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11. Parteitag der Kommunistischen Partei Deutschlands

(2 - 7 März 1927)

Thesen zur politischen Lage und zu den Aufgaben der KPD

 

 

Quelle:

Thesen und Resolutionen des XI. Parteitages der Kommunistischen Partei Deutschlands, Essen, 2. bis 7. März 1927. Hrsg. vom Zentralkomitee der KPD, Berlin 1927, S. 5-35. [1].

Abgedruckt in:

Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED (Hrsg.): Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung: Reihe 2: 1914-1945, Band 8: Januar 1924–Oktober 1929; Verlag     Dietz, 1957; S 445‑479.

 

 

 

 

 

 

Erstellt: Mai 2020

Druckversion
Dokumente der KPD 1918-1945 - Inhalt

 

 

 

 

 

 

I. Die proletarische Weltrevolution und die kapitalistische Stabilisierung[2]

1. Das gegenwärtige Zeitalter der Weltgeschichte ist die Epoche der proletarischen Weltrevolution. Der jetzige Abschnitt dieser Epoche ist dadurch gekennzeichnet, daß eine relative, teilweise, äußerst bedingte Stabilisierung des Kapitalismus in einer Reihe von Ländern im Vergleich zu den Jahren 1919/20 eingetreten ist. Das Bestehen einer relativen kapitalistischen Stabilisierung zeigt sich sowohl auf ökonomischem Gebiet (Zunahme der Weltproduktion, Steigerung des internationalen Warenumsatzes, Regelung der Währungsverhältnisse) als auch auf politischem Gebiet. (Verlangsamung des Tempos der proletarischen Revolution in Europa nach ihrem elementaren Ansturm in den ersten Nachkriegsjahren. In England ist dagegen ein beschleunigter Gang der Revolution festzustellen.)

Die relative kapitalistische Stabilisierung ist nur eine vorübergehende Etappe in der Gesamtepoche des Niedergangs des Weltkapitalismus. Sie ist nur eine Teilphase in der Epoche der proletarischen Weltrevolution, ein Teilmoment innerhalb der "allgemeinen revolutionären Krise, die nicht anders enden kann als mit der siegreichen Revolution" (Lenin)[3]. Der ökonomische Ausdruck für den bedingten und widerspruchsvollen Charakter der kapitalistischen Stabilisierung ist der fieberhafte Konjunkturwechsel, das wachsende Mißverhältnis zwischen der Leistungsfähigkeit des Produktionsapparates und der tatsächlichen Produktionshöhe, die zunehmende Ungleichmäßigkeit in der Entwicklung der verschiedenen Länder und der einzelnen Produktionszweige, die ständige, zunehmende, in ihrem Ausmaß gigantische Arbeitslosigkeit.

2. Die kapitalistische Stabilisierung vollzieht sich auf dem Wege der ungeheuersten Ausbeutung der Arbeiterklasse, der Verelendung der werktätigen Mittelschichten, der verstärkten Unterdrückung und Ausplünderung der Kolonialvölker, des Faschismus, des weißen Terrors und der schärfsten Reaktion. Das Proletariat wird zum Widerstand gezwungen; seine wirtschaftlichen Abwehrkämpfe müssen unter den Verhältnissen des Trustkapitals in politische Massenkämpfe von größter Ausdehnung und stärkster Wucht umschlagen (englischer Generalstreik und Bergarbeiterstreik[4]). So wird der Prozeß der kapitalistischen Stabilisierung selbst zu einer Frage des Klassenkampfes. Die Stabilisierungsversuche der Bourgeoisie finden ihre Grenze am Grad der Widerstandsfähigkeit der Arbeiterklasse. Die Erschütterung der Front des Weltkapitalismus ermöglicht den Durchbruch dieser Front an den schwächsten Stellen durch die Proletarier der einzelnen Länder. Die Fragestellung "Kapitalistische Stabilisierung oder proletarische Revolution" ist daher völlig sinnlos. Bei einem zweifellosen Fortbestehen der durch den Weltkrieg geschaffenen allgemein revolutionären Krise des Kapitalismus können rasch akut revolutionäre Situationen in den verschiedenen Ländern entstehen. Gegenwärtig marschiert die Weltrevolution in drei Hauptkolonnen: der fortschreitende Aufbau des Sozialismus in der Sowjetunion, die große nationale Revolution in China[5] und die Erhebungen der anderen Kolonialvölker; der proletarische Klassenkampf in den kapitalistischen Ländern, vor allem sein mächtiger Aufschwung in England. Diese sind zugleich gewaltige Faktoren, die in den Prozeß der kapitalistischen Stabilisierung Bresche schlagen. Auch in Deutschland, wo die kapitalistische Stabilisierung gewisse Erfolge erzielt hat, zeigt die beginnende Radikalisierung der Arbeiterbewegung ein Wachstum der revolutionären Kräfte. Die stärkste Basis der proletarischen Weltrevolution ist die Sowjetunion, der Staat der proletarischen Diktatur und des sozialistischen Aufbaues.

Die siegreiche Rolle der chinesischen Revolution, der Einfluß, den sie auf die nationalrevolutionäre Bewegung in allen kolonialen und halbkolonialen Ländern ausübt, ist ein Faktor von gewaltiger historischer Bedeutung. Die chinesische Revolution bedeutet, daß Millionen des chinesischen Volkes in den Kampf gegen den[6] Weltimperialismus mit hineingezogen werden. Sie untergräbt die Stabilisierungsversuche des Imperialismus und in erster Linie des englischen Kapitalismus. Die chinesische Revolution führt dazu, daß die Weltrevolution und die proletarische Revolution in der USSR eine ernsthafte Verbündete in einem der entscheidenden Länder Asiens gewinnt.

Die Anstrengungen des Weltproletariats müssen darauf gerichtet sein, alle Kräfte für die aktive Unterstützung der chinesischen Revolution zu mobilisieren und in jeder Weise den Übergang der chinesischen Revolution auf den Weg der nichtkapitalistischen Entwicklung zu erleichtern. Für diese Perspektive der nichtkapitalistischen Entwicklung muß zusammen mit der Arbeiterklasse und dem Bauerntum Chinas das Weltproletariat kämpfen.

Die einzige Führerin der proletarischen Weltrevolution ist die Komintern, die bolschewistische Weltpartei, die organisierende Kraft des internationalen Kommunismus.

II. Die imperialistische Kriegsgefahr und die internationale Lage Deutschlands

3. In der Periode der relativen kapitalistischen Stabilisierung wird die Kriegsgefahr akuter und unmittelbarer. Die imperialistischen Mächte bereiten sich auf einen neuen Weltkrieg um die zweite Neuaufteilung der Erde vor. Die Welt war bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts unter die imperialistischen Mächte aufgeteilt. Die erste Neuaufteilung der schon aufgeteilten Welt erfolgte durch den imperialistischen Weltkrieg 1914 bis 1918. Das durch den Versailler Gewaltfrieden[7] geschaffene System der Verteilung der Erde hat nicht nur keinen der vorhandenen Widersprüche gelöst, sondern es gerät in einen noch schärferen, noch akuteren Konflikt mit den neuentstandenen Kräfteverhältnissen auf dem Weltmarkt. Diese Gegensätze müssen unvermeidlich zu militärischen Zusammenstößen zwischen den kapitalistischen Gruppen, zu einem neuen imperialistischen Krieg führen, der nichts als die direkte Fortsetzung und Vollendung der imperialistischen Politik ist. In der Phase der kapitalistischen Stabilisierung nimmt die Jagd nach den Märkten immer schärfere Formen an. Der Wettkampf der imperialistischen Mächte spitzt sich unaufhörlich zu. Der Völkerbund bedeutet nicht den Zusammenschluß des internationalen, ja nicht einmal des europäischen Kapitalismus, wie es die Sozialdemokratie zur Rechtfertigung der bürgerlichen Politik behauptet, sondern er ist lediglich ein Kriegsinstrument gegen die Sowjetunion und die Kolonien, ein Werkzeug zur Unterdrückung der kleineren und schwächeren Länder durch die europäischen Großmächte unter Führung Englands. Die pazifistische Propaganda der Bourgeoisie und der Sozialdemokratie für den Völkerbund dient ausschließlich als Deckmantel für die Politik militärischer Rüstungen, räuberischer Feldzüge und bewaffneter Zusammenstöße. Es ist notwendig, das Problem der Kriegsgefahr in aller Schärfe vor der Arbeiterklasse zu stellen.

4. In letzter Zeit nehmen die imperialistischen Kriegsvorbereitungen die ausgeprägte Form des Aufmarsches zur militärischen Intervention gegen die USSR an. Der fortschreitende Aufbau des Sozialismus, das Bündnis mit der chinesischen Revolution, die Unterstützung des englischen Bergarbeiterstreiks, die Erweckung wachsender Sympathien der Arbeiter in den kapitalistischen Ländern (Rußlanddelegationen[8]) verstärken die Rolle der Sowjetunion als des mächtigsten und gefährlichsten Störungsfaktors der kapitalistischen Stabilisierung. Gewillt, die Basis der Revolution zu vernichten, und getrieben von verzweifeltem Drang zur gewaltsamen Erweiterung der Märkte, stellen die Kapitalisten aller Länder erneut die "russische Frage". Die Drohnote Chamberlains an die Sowjetregierung[9] bedeutet die unzweideutige Ankündigung und die beschleunigte Vorbereitung des Krieges Englands gegen die USSR. Das Ziel der Interventionspläne ist der Sturz der proletarischen Diktatur, die Verwandlung der Sowjetunion in einen Bestandteil des Weltkapitalismus. Unbeschadet dieses Zieles erstreben die Imperialisten jeden Interventionskrieg als Mittel zur gewaltsamen Unterbrechung des sozialistischen Aufbaues in der Sowjetunion und zur Verhinderung der Industrialisierung des Landes. Zugleich mit der Einkreisung der Sowjetunion rüsten sich die Imperialisten zur blutigen Erwürgung der chinesischen Revolution und aller kolonialen und halbkolonialen Befreiungsbewegungen (Indonesien, Indien, Türkei, Mexiko, Mittelamerika). Über alle die Imperialisten trennenden Gegensätze hinweg bricht sich die sowjetfeindliche Kriegstendenz unter Führung des englischen Imperialismus Bahn. Eine ganze Reihe von Geheimverträgen und Militärkonventionen, von reaktionären Verschwörungen und faschistischen Staatsstreichen (Polen[10], Litauen[11]) sind nur einzelne Glieder in der Kette des Kriegsplanes gegen die Sowjetunion. Da letzten Endes nicht nur die Kriegstechnik, sondern die Stellungnahme breiter Arbeitermassen über den Ausgang eines modernen Feldzuges entscheidet, setzt die Bourgeoisie die ganze riesige Maschine der ideologischen Einwirkung auf die Massen gegen die Sowjetunion in Gang (Kirche, Presse, Presse, antibolschewistische Hetze der 2. Internationale, Amsterdamer Internationale[12], Verleumdungsfeldzug der deutschen Sozialdemokratie, Granatenkampagne[13], moskaufeindliche Agitation der ultralinken Renegaten). Alle nationalen und sozialen Kämpfe, alle Auseinandersetzungen gruppieren sich immer mehr um den einen entscheidenden Konflikt, um den Grundgegensatz: Sowjetunion gegen den Weltimperialismus, Sozialismus gegen Kapitalismus.

5. Das veränderte Kräfteverhältnis auf dem Weltmarkt bewirkt eine weitgehende Umgruppierung der Mächte. Der verschärfte Konkurrenzkampf verursacht den Zusammenbruch alter Gruppierungen und die Bildung neuer imperialistischer Blocks. Die bezeichnenden Tatsachen der gegenwärtigen Situation sind: die Verlegung des Schwergewichts der wirtschaftlichen und politischen Macht nach den Vereinigten Staaten von Amerika, die sich die europäischen Staaten zu Schuldnern gemacht haben und die Hegemonie auf dem Weltmarkt besitzen; ferner der wirtschaftliche und politische Niedergang Englands, die Verwandlung Frankreichs in ein Industrieland, das stärkere Hervortreten Italiens und die Entstehung eines neuen deutschen Imperialismus. Die Vormachtstellung des amerikanischen Finanzkapitals gegenüber allen europäischen Siegerstaaten, die zunehmende Rivalität zwischen den Vereinigten Staaten und England, der Kampf zwischen England und Frankreich um die Vorherrschaft in Europa führten zur Auflösung der großen Entente, zum Verfall des Völkerbundes und zum Beginn der Liquidierung des Versailler Friedens. Hierdurch wurde die internationale Lage Deutschlands wesentlich verändert. Die deutsche Bourgeoisie gewann schrittweise die Möglichkeit zurück, unter Ausnutzung der Gegensätze zwischen den Siegermächten eine selbständige Außenpolitik zu treiben. Es gelang ihr ‑ zunächst unter wechselnder Anlehnung an die verschiedenen imperialistischen Gruppierungen ‑, das Ruhrgebiet zu befreien, mit englisch-amerikanischer Hilfe ihre wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit zu stärken, in den Völkerbund und den Völkerbundsrat einzutreten und wieder in den Gang der Weltpolitik einzugreifen. Die Herausbildung eines Interventionsblocks gegen die USSR unter englischer Führung erhöhte das spezifische Gewicht Deutschlands, das seit Locarno[14] immer stärker in die Einkreisungspolitik gegen die Sowjetunion hineingezogen wird.

III. Die Entwicklung des neuen deutschen Imperialismus

6. Die neueste Entwicklung des kapitalistischen Deutschlands unterscheidet sich radikal und prinzipiell von seiner Lage vom November 1918 bis 1923. Der erste imperialistische Weltkrieg endete mit einer völligen Niederlage der deutschen Bourgeoisie, mit ihrer Kapitulation vor den Ententemächten, die ihr in dem Versailler Gewaltfrieden napoleonische Bedingungen diktierten. Deutschland verlor nicht nur sämtliche Kolonien und ganze Landesteile (Saargebiet, Danzig, Westpreußen, Elsaß-Lothringen, Oberschlesien), sondern es geriet in einen Zustand der Unterjochung, Erniedrigung und direkten Ausraubung durch die imperialistischen Siegerstaaten. Seine wichtigsten Industriegebiete (Saar, Rheinland, Ruhr, Oberschlesien) wurden von fremden Truppen besetzt. Das Land mußte unerträgliche Reparationslasten aufbringen. Die Loslösung des Rheinlands und Bayerns drohte. Die deutsche Bourgeoisie war isoliert, aus den Reihen der Großmächte verdrängt, in ein Objekt der imperialistischen Politik verwandelt. Das kapitalistische Deutschland befand sich in der Lage eines halb abhängigen Landes bei einer rein formellen staatlichen Selbständigkeit. Die Bourgeoisie setzte der imperialistischen Unterdrückung teilweise einen passiven Widerstand entgegen, der durch Verständigungsversuche unterbrochen wurde. Sie war gezwungen, eine ‑ allerdings unentschiedene ‑ Politik der Annäherung an die Sowjetunion zu verfolgen (Rapallo[15]). Gleichzeitig bewirkte die Niederlage Deutschlands im Weltkrieg die stärksten Änderungen in der Struktur seiner kapitalistischen Wirtschaft (Dekonzentrationsprozeß in der Industrie, Verringerung der Rolle der Banken, Schwächung der Verbindungen zwischen Industrie und Banken, Aufhören des Kapitalexports, Überfremdung durch ausländischen Kapitalimport). Infolge dieser objektiven Bedingungen war Deutschland in der Periode zwischen 1918 und 1923 kein imperialistisches Land und war nicht imstande, eine imperialistische Politik zu führen. Die vorhandenen Tendenzen einer möglichen imperialistischen Entwicklung hatten in jener Zeit keine entscheidende Bedeutung; im Falle eines Krieges gegen die Entente wäre für Deutschland ausschließlich ein Bündnis mit der Sowjetunion möglich gewesen. Unter diesen eigenartigen historischen Bedingungen, die besonders klar während der Ruhrbesetzung (1923)[16] zutage traten, war Deutschland ein Land, das objektiv einen gerechten, nationalen Befreiungskrieg gegen die imperialistische Vergewaltigung führen konnte, aber durch die Herrschaft der Bourgeoisie am Kampf um seine Selbständigkeit behindert war.

Unter diesen Umständen konnten die Kommunisten im Falle eines Krieges Deutschlands gegen die Entente die Losung des Krieges nicht ablehnen, durften keinen defätistischen Kurs einschlagen und die Niederlage Deutschlands erstreben, was jedoch jeden Gedanken eines Burgfriedens oder Blocks mit der eigenen Bourgeoisie gegen die Entente unbedingt ausschloß. Sie mußten vielmehr ‑ besonders angesichts der heranreifenden unmittelbar revolutionären Situation des Jahres 1923 ‑ die schärfste, entschlossenste Linie auf den Sturz der eigenen Bourgeoisie verfolgen. Sie mußten den feigen, schwächlichen Widerstand der deutschen Bourgeoisie, ihr verräterisches Paktieren mit den französischen Imperialisten entlarven und die Arbeiterklasse als einzige Vorkämpferin der nationalen Befreiung in den Kampf gegen die ausländischen Unterdrücker führen. So mußten die Leninisten die Frage der nationalen Verteidigung im unterdrückten Deutschland von 1923 stellen. Auf Grund der neuen imperialistischen Entwicklung Deutschlands kann es keinen anderen als einen imperialistischen Krieg führen. Jeder Gedanke an eine nationale Verteidigung durch das Proletariat bedeutet unter diesen Umständen schlimmsten sozialpatriotischen Arbeiterverrat. Die einzige revolutionäre Antwort auf einen Krieg des imperialistischen Deutschlands ist eine entschieden defätistische Politik: der Kampf des Proletariats für die Niederlage und den Sturz der eigenen Bourgeoisie. Die Leugnung dieses Unterschiedes durch die Ultralinken aller Gruppierungen in der Lage Deutschlands von 1923 und von heute leitet nur Wasser auf die Mühle der chauvinistischen bürgerlich-sozialdemokratischen Politik.

7. Seit 1923 hat sich die Lage Deutschlands grundlegend verändert. Die Niederlage der deutschen Arbeiterklasse im Oktober 1923, der andere schwere Niederlagen vorausgegangen waren, bildete den Ausgangspunkt der Stabilisierung des deutschen Kapitalismus. Die Steigerung und Verwicklung der Interessengegensätze zwischen den imperialistischen Staaten, die Einmischung des englisch-amerikanischen Kapitals führt zur weitgehenden Befreiung Deutschlands von der imperialistischen Unterdrückung, zu seiner Rückverwandlung aus einem Objekt der imperialistischen Politik in ihr Subjekt. Der Prozeß der kapitalistischen Stabilisierung fällt zusammen mit der Wiederherstellung der wirtschaftlichen und politischen Grundlagen des deutschen Imperialismus.

Es vollzieht sich eine riesenhafte Konzentration des Kapitals. An die Stelle der spekulativ zusammengewürfelten Inflationskonzerne (Stinnes[17]) treten finanzkapitalistische Trusts vom Typus der größten Industrievereinigungen der Welt (Vereinigte Stahlwerke AG, IG Farben). Die monopolistischen Verbände beherrschen die ganze Wirtschaft. Die Verschmelzung des Industriekapitals mit dem zentralisierten Bankkapital macht rasche Fortschritte. Einige wenige Großbanken nehmen eine Monopolstellung ein. Das vereinigte Finanzkapital nimmt alle Rohstoffquellen in Besitz. Mit Hilfe der Extraprofite der finanzkapitalistischen Trusts beginnen die Zurückdrängung des ausländischen Einflusses, die "Renationalisierung" der Wirtschaft (Rückkauf ins Ausland gegebener Aktien usw.) und die ersten Versuche zur Wiederaufnahme des Kapitalexports (steigende Beteiligung an ausländischen Unternehmungen, Anleihen usw.). Das deutsche Finanzkapital fördert die Tendenzen zur internationalen Kartellierung und betätigt sich als treibende Kraft in den neu gebildeten internationalen Kapitalistenverbänden (Kontinentale Stahlgemeinschaft, Kali). Die Konsolidierung der kapitalistischen Wirtschaft zeigt sich u. a. in der Steigerung der Profite, in der Erhöhung der organischen Zusammensetzung des Kapitals, in der Zunahme der Produktion von Eisen, Stahl und Kohle, in der Goldparität der Markwährung, im Wachstum des Außenhandels, in der Befestigung des Geld- und Kapitalmarktes, im Rückgang der Konkurse und Geschäftsaufsichten, in der Zunahme der Neuanlagen von Kapital (Aktienmissionen, inländische Anleihen usw.). Im Kampf um die Neuverteilung der Welt kann sich der deutsche Kapitalismus auf folgende besondere Vorteile stützen:

1.  niedriger Stand des Lohnanteils an den Produktionskosten im Vergleich zu anderen imperialistischen Ländern als Folge der Niederlage der Arbeiterklasse, herbeigeführt durch den von der Sozialdemokratie unterstützten Vorstoß der Bourgeoisie;

2.  Befreiung von den inneren Vorkriegs-, Kriegs- und einem großen Teil der Nachkriegsschulden durch die Inflation;

3.  eine außerordentlich enge Verbindung der Wissenschaft und Technik mit dem unmittelbaren Produktionsprozeß, wodurch die Möglichkeit einer sprunghaften Entwicklung entsteht (neue Erfindungen auf dem Gebiet der Chemie, der Energie- und Wärmetechnik, der Kohleverflüssigung, der Metallbearbeitung);

4.  ein starker Vorsprung im Tempo der finanzkapitalistischen Entwicklung (Kapitalskonzentration, kapitalistische Rationalisierung) gegenüber England und Frankreich. In ökonomischer Hinsicht bestätigt sich auch nach der deutschen Niederlage im Weltkrieg, "daß der deutsche Imperialismus frischer, kräftiger, organisierter ist und höher steht als der englische" (Lenin)[18].

8. Andererseits stößt der deutsche Kapitalismus auf eine Reihe besonders krasser Widersprüche und objektiver Schranken, die seine Entwicklung einschnüren und hemmen:

1.  die Zusammenschrumpfung des Innenmarktes infolge der Massenerwerbslosigkeit, der Verelendung der Arbeiterschaft, des Kleinbürgertums und des kleinen Bauerntums;

2.  die Verengerung der Außenmärkte und ihre Versperrung durch Schutzzölle, Subventionen usw.;

3.  die Belastung mit Reparationszahlungen (im Jahre 1928/29 2,5  Milliarden Mark) und die ausländische Wirtschaftskontrolle (Eisenbahnen, Zölle, Währung) auf Grund des Dawes‑Plans[19], Tributpflichtigkeit auf Grund der Auslandskredite;

4.  das Fehlen des Besitzes von Kolonien und gesicherten Territorien für den Kapital- und Warenexport;

5.  die Eroberung von Kolonien und wirtschaftlichen Einflußsphären ist für Deutschland im gegenwärtigen Moment durch seine militärische und politische Schwäche infolge der Niederlage im Weltkriege erschwert (Verbot der Entfaltung einer militärischen Macht und des Baues einer Kriegsflotte, Besetzung des Rheinlandes, [des] polnischen Korridors usw.).

Alle diese Faktoren bewirken eine sich ständig erneuernde Wirtschaftskrise, die trotz der kapitalistischen Stabilisierung und trotz wechselnder Teilkonjunkturen der einzelnen Wirtschaftszweige (z. B. während des englischen Streiks) zunimmt und in der riesenhaften, zwischen 2,5 und 3,5 Millionen schwankenden Erwerbslosenziffer, in Kurzarbeit und Stillegungen ihren Ausdruck findet. Alle ökonomischen Widersprüche der imperialistischen Entwicklung Deutschlands entstehen aus der äußersten Verschärfung des Grundwiderspruchs zwischen der Notwendigkeit zum gesteigerten Absatz infolge wachsender Produktionskapazität und der mangelnden Aufnahmefähigkeit der Märkte. Hieraus entsteht die schärfste Zuspitzung des Klassenkampfes in absehbarer Zukunft. Die Bourgeoisie versucht in zwei Richtungen, sich einen Ausweg aus diesen Schwierigkeiten zu bahnen: nach außen durch die verstärkte Teilnahme am imperialistischen Kampf um die Weltmärkte, nach innen durch die Offensive gegen die Lebenshaltung der Arbeiterklasse, durch die kapitalistische Rationalisierung.

Die Perspektiven des neuen deutschen Imperialismus sind indessen begrenzt. Es wäre eine spießbürgerliche Illusion zu glauben, er könne die Blüte und Macht seiner Vorkriegsjahre wiederherstellen. Die deutsche Revolution wird unvermeidlich diesem Prozeß ein Ende bereiten.

9. Die imperialistische Entwicklung Deutschlands erzeugte einen schroffen Umschwung seiner außenpolitischen Orientierung. Der neue deutsche Imperialismus mischt sich aktiv in die internationale Politik ein. Die Grundlage seiner Betätigung wird durch zwei Faktoren bestimmt. Er wirft seine ökonomische Macht als außenpolitische Waffe in die Waagschale (Angebot der Eisenbahnobligationen in Thoiry[20], Zollkrieg mit Polen, Anleihe an Rumänien). Als Subjekt der Weltpolitik bereitet er sich zu dem herannahenden Kampf um die Neuverteilung der Erde vor, bemüht sich, alle Hindernisse für die Reorganisation und den Ausbau seiner militärischen Macht aus dem Wege zu räumen, und versucht mit allen Mitteln, den Besitz von Kolonien zu erringen. Als besiegtes, entwaffnetes, tributpflichtiges Land ist das imperialistische Deutschland gegenwärtig noch zu schwach, um sich isoliert gegen einen ernsten Gegner durchsetzen zu können. Es ist daher gezwungen, zwischen den anderen Großmächten zu manövrieren. Es nutzt die Gegensätze zwischen Amerika und England, zwischen England und Frankreich aus, um durch die Anlehnung bald an die eine, bald an die andere der konkurrierenden Staatengruppen seine eigene Stellung zu befestigen. Die Teilnahme Deutschlands an der Politik der imperialistischen Blocks, seine leitende Rolle bei den internationalen Kartellbildungen wirkt ihrerseits beschleunigend auf die Umgruppierung der europäischen Mächte. Die deutsche Außenpolitik verstärkt insbesondere den englisch-französischen Gegensatz (Annäherung an England in Locarno, Abmachungen mit Frankreich in Thoiry, die eine wichtige Umgruppierung der Kräfte in Europa, eine Annäherung an Frankreich bedeuteten, Abkommen mit Italien). Die westliche Orientierung des deutschen Imperialismus fällt zusammen mit einer Änderung seiner Haltung gegenüber der Sowjetunion, dem Übergang zu einem allgemein sowjetfeindlichen Kurs, der Unterstützung der englischen Interventionspolitik (Durchmarschbestimmungen des Völkerbundsstatuts[21], scharfe Pressekampagne gegen die USSR, Förderung des litauischen Militärputsches). Ausdehnungsfähig und profithungrig ohne genügenden Spielraum für seine politische Betätigung, aber unbegrenzt in seinen Ansprüchen und unberechenbar in seinen Handlungen, wird der deutsche Imperialismus zu einem der Stützpunkte des konterrevolutionären Aufmarsches gegen den Sowjetstaat und zum Schrittmacher des drohenden Krieges.

IV. Die Offensive des Kapitals und die kapitalistische Rationalisierung

10. Entstanden aus den Niederlagen der proletarischen Revolution, begründet auf dem Elend der Arbeiterschaft und des Kleinbürgertums, schreitet die Stabilisierung des deutschen Kapitalismus auf ihrem Wege fort mit einer erneuten, noch heftigeren und breiteren Offensive gegen die werktätigen Volksmassen. Um ihre Konkurrenzfähigkeit auf dem verengerten Weltmarkt wiederzugewinnen, vereinigt die Bourgeoisie alle Kräfte zum organisierten Druck auf die Arbeiterklasse. Infolge der eigenartigen, widerspruchsvollen Entwicklung des deutschen Imperialismus nimmt die Offensive des Kapitals in Deutschland einen besonders scharfen und konsequenten Charakter an. Die wichtigste unter den mannigfaltigen Formen des politischen und wirtschaftlichen Feldzugs gegen die Arbeiterklasse ist die kapitalistische Rationalisierung, d. h. die Gesamtheit der vom Finanzkapital angewandten Methoden zur Steigerung der Profite durch Herabsetzung der Produktionskosten bei erhöhter Ausbeutung und sinkender Lebenshaltung des Proletariats. Die Umwandlung der technischen und organisatorischen Struktur der Wirtschaft ist mit folgenden Maßnahmen gegen die Arbeiterschaft verbunden:

1.  Vergrößerung des absoluten Mehrwerts durch Verlängerung der Arbeitszeit (Beseitigung des Achtstundentags, Überstunden);

2.  Vergrößerung des relativen Mehrwerts durch Steigerung der Produktivkraft der Arbeit mittels Einführung neuer Produktionsmethoden (technischer Fortschritt) und durch Intensivierung der Arbeit, d. h. verstärkte Ausbeutung in der gleichen Zeit, dichtere Ausfüllung der Poren der Arbeitszeit (Verschärfung der Aufsicht, automatische Arbeitskontrolle, Antreibersystem, Stoppuhr, laufendes Band, Herabdrückung der Akkordsätze);

3.  direkte Herabsetzung der Löhne, teilweise unter den Wert der Arbeitskraft;

4.  vermehrte Frauen- und Jugendarbeit;

5.  Abbau aller sozialpolitischen Ausgaben;

6.  massenhafte Erwerbslosigkeit.

Die Methoden der kapitalistischen Rationalisierung sind keineswegs geschichtlich neue Erscheinungen, sondern der Kapitalismus ist seit seinem Anbeginn zur fortwährenden Umwälzung der Produktion, zur ständig wachsenden Ausbeutung der Arbeiterklasse in jeder Form gezwungen. In seiner monopolistischen Epoche verwandeln sich diese Existenzbedingungen des Kapitalismus in die Bedingungen seines Unterganges. Der gegenwärtige Prozeß der kapitalistischen Rationalisierung führt in Deutschland bei einem minimalen Aufstieg der kapitalistischen Wirtschaft zur Zerstörung der wichtigsten gesellschaftlichen Produktivkraft, der menschlichen Arbeitskraft. Das besondere, prinzipiell neue Merkmal der gegenwärtigen Entwicklung besteht einerseits in dem dauernden absoluten Wachstum der Millionenarmee der Erwerbslosen im Gegensatz zu der periodisch schwankenden Erwerbslosenzahl des "normalen" Kapitalismus; andererseits in der Tatsache, daß die Preise infolge des monopolistischen Charakters der Wirtschaft und infolge des Drucks des toten Kapitals (unvollständige Ausnutzung des Produktionsapparates) nicht entsprechend der gesteigerten Arbeitsproduktivität gesenkt, sondern auf hohem Niveau gesichert, teilweise sogar erhöht werden. Hierin zeigt sich das parasitäre Wesen des modernen Kapitalismus, seine Fäulnis. Ein untrennbarer Bestandteil der kapitalistischen Rationalisierung ist die Einschränkung der Produktion, die massenhafte Überflüssigmachung von Arbeitskräften, die Kurzarbeit bei gleichzeitiger Ausdehnung der Überstunden, die Schließung nicht nur von rückständigen, sondern auch von modernsten Betrieben, die "unrentabel" werden.

11. Die Offensive des Kapitals begnügt sich nicht mit dem Feldzug gegen die Lebenshaltung der Arbeiterklasse, sondern sie verschlechtert auch die Existenz der halbproletarischen und kleinbürgerlichen Bevölkerungsschichten durch Hochschutzzölle, Besteuerung des Massenverbrauchs, Verteuerung aller wichtigen Bedarfsartikel infolge der Kartellpreise, unerträgliche Erhöhung der Mieten bei stärkster Wohnungsnot. Die kapitalistische Rationalisierung vernichtet die wichtigsten materiellen Errungenschaften, die sich das deutsche Proletariat im jahrzehntelangen Klassenkampf der Vorkriegszeit und in der Novemberrevolution erobert hat. Trotz schrankenloser Auspressung der Arbeitskraft (30prozentige Leistungssteigerung im Ruhrkohlenbergbau) sinken die Reallöhne, und die durchschnittliche Arbeitszeit beträgt 52 bis 60 Stunden (in einigen Betrieben wurde die 70- und sogar die 80stündige Arbeitszeit eingeführt). Die unvermeidliche Folge der kapitalistischen Rationalisierung ist die wachsende Zunahme des Elends, des Drucks, der Knechtung, der Erniedrigung und der Ausbeutung des Proletariats. Andererseits wälzt das monopolistische Finanzkapital einen Teil der Lasten des verschärften Konkurrenzkampfes, des Dawes‑Planes und der Wirtschaftskrise auf die nichtkartellierten Produktionszweige der kleinen und verarbeitenden Industrie ab.

12. Während die Sozialdemokratie und die reformistischen Gewerkschaftsführer ihre Aufgabe in der Förderung der kapitalistischen Rationalisierung erblicken, hat die Kommunistische Partei die Aufgabe, die Massen zum Widerstand gegen die kapitalistische Rationalisierungspolitik zu mobilisieren, die Unzufriedenheit der Arbeiterklasse zu organisieren und ihren Klassenkampf bis zum Sturz der kapitalistischen Ordnung zu verschärfen. Die Kommunisten können nicht gegen die Einführung neuer Maschinen, eine bessere Technik oder eine Reorganisation des Arbeitsprozesses sein. Sie dürfen ebensowenig den sozialverräterischen Standpunkt der Unterstützung des Kapitals bei der Verbesserung seiner Wirtschaft einnehmen. Die Arbeiterklasse kann nicht rückwärts schreiten zum Kapitalismus der Vergangenheit, sondern sie muß vorwärts, über die finanzkapitalistischen Trusts hinaus zum Sozialismus schreiten. Die revolutionär-marxistische Einstellung zum Problem der kapitalistischen Rationalisierung besteht im Kampf auf zwei Linien. Die Partei muß der Rationalisierung des ausbeuterischen, verwesenden Kapitalismus, die mit dem Elend der Massen und der Zerrüttung der gesellschaftlichen Produktivkräfte bezahlt wird, die Losungen der proletarischen Diktatur, der sozialistischen Wirtschaftsorganisation und der sozialistischen Rationalisierung entgegenstellen. Ihren Hauptkampf muß die Partei gegen die verheerenden praktischen Auswirkungen der kapitalistischen Rationalisierung führen. Sie muß die Ausbeutungs- und Wucherpraktiken der Trusts und Kartelle enthüllen und die Betriebsräte für die Erweiterung ihrer Rechte und Befugnisse auf dem Wege des unversöhnlichen Klassenkampfes gegen die Unternehmer zusammenfassen. Sie muß weit energischer und konsequenter als bisher den Kampf der Arbeiter gegen jede Verschlechterung ihrer Lage, für die Verbesserung ihrer Lebenshaltung organisieren und es dabei verstehen, alle Kampfformen, vom täglichen Kleinkrieg im Betrieb bis zu den größten Massenaktionen gegen das Trustkapital und seine Staatsmacht, anzuwenden.

V. Die Neugruppierung der Klassenkräfte und die Regierung des Bürgerblocks[22]

13. Der Änderung der wirtschaftlichen Struktur Deutschlands entspricht eine weitgreifende Umgestaltung der inneren Politik, eine Neugruppierung der Klassenkräfte und der politischen Parteien. Die Verschiebung der Besitzverhältnisse ändert die soziale Basis des Klassenkampfes. Die Offensive des Kapitals und die Defensive der notleidenden Massen erschüttern die Weimarer Republik und durchbrechen den Rahmen des demokratischen Parlamentarismus. Die sozialen Auseinandersetzungen werden in wachsendem Maße durch außerparlamentarische Mittel entschieden. Die Umgruppierung der Klassen vollzieht sich in drei verschiedenen Richtungen. Auf seiten der Bourgeoisie wird die Konzentration des Kapitals durch die Konzentration der politischen Macht ergänzt. Die höchstorganisierten, am stärksten vertrusteten Teile des Kapitals übernehmen die Führung der bürgerlichen Politik. Neben der Stahl-, Eisen- und Kohleindustrie treten die Elektrogruppen und das chemische Kapital in den Vordergrund. Die spezifische Rolle des Bankkapitals wird gestärkt. Im ganzen wird die Wendung "von der Herrschaft des Kapitals schlechthin zu der Herrschaft des Finanzkapitals" (Lenin)[23] abgeschlossen. Der reaktionäre Charakter des Finanzkapitals zeigt sich in der Abschließung eines Blocks der vereinigten Kapitalisten mit den Großgrundbesitzern (gemeinsame "Lösung" der Zollfrage, Abhängigkeit des Agrarkapitals von den Banken und der chemischen Industrie). Innerhalb der Arbeiterklasse reifen durch die Folgen der kapitalistischen Rationalisierung elementare Kräfte der Abwehr heran. Die starke Arbeiteraristokratie der Vorkriegszeit ist an Umfang und an Bedeutung zusammengeschmolzen. Entgegen der vom Kapital erstrebten Spaltung des Proletariats in Arbeitende und Erwerbslose, in qualifizierte und unqualifizierte Arbeiter treibt das Wachstum von Not, Ausbeutung und Reaktion die Idee der Einheit tiefer und tiefer in die Arbeiterklasse hinein. In ihren Reihen vollzieht sich ein tiefgehender Radikalisierungsprozeß, der die Grundlage des Reformismus untergräbt, den Einfluß der Kommunisten stärkt und die Voraussetzungen für einen neuen Aufstieg des proletarischen Klassenkampfes schafft. Innerhalb des Kleinbürgertums, das durch die Inflation zum großen Teil enteignet wurde und schwer unter der kapitalistischen Stabilisierung leidet, herrscht wachsende Unzufriedenheit und eine soziale Gärung, die sowohl die städtischen Mittelschichten als auch die Kleinbauern und die schwächeren Mittelbauern erfaßt. Als politisches Resultat dieser Veränderungen ergibt sich der reaktionäre Zusammenschluß der gesamten Bourgeoisie, die Linksschwenkung der Arbeiterklasse und die Schwächung der kleinbürgerlichen Zwischengruppierungen.

14. Die imperialistische Politik durchdringt mit absoluter Unvermeidlichkeit alle Gebiete des öffentlichen Lebens. "Das Finanzkapital strebt nach Herrschaft, aber nicht nach Freiheit. Politische Reaktion auf der ganzen Linie ist eine Eigenschaft des Imperialismus." (Lenin[24].) Die deutsche Bourgeoisie zieht alle reaktionären Kräfte gegen das Proletariat zusammen, um einen festen politischen Überbau für die Trustherrschaft zu errichten. Das Finanzkapital erkennt die von ihm beherrschte Weimarer Republik als eine zweckmäßige Staatsform für die uneingeschränkte Ausübung seiner Klassendiktatur an, unterordnet alle demokratischen Mittel und Institutionen seinen reaktionären Zielen, vereinigt die legalen Unterdrückungsmaßnahmen des Staatsapparates mit den monarchistischen und faschistischen Organisationen, faßt alle konterrevolutionären Machtmittel nach einem einheitlichen Plan zusammen. Alle bürgerlichen Parteien schwenken unter die Fahne des Imperialismus ein. Ihre außenpolitischen Differenzen werden durch den Übergang der Rechtsparteien, einschließlich der konterrevolutionären Wehrverbände, zur Stresemannschen Westorientierung beseitigt. Die innenpolitischen Unterschiede zwischen monarchistischer und republikanischer Bourgeoisie, zwischen den Deutschnationalen und der schwarzrotgoldenen "Mitte", treten in den Hintergrund. Diese Konsolidierung der Bourgeoisie ist keineswegs dauerhaft. Die Gegensätze innerhalb des bürgerlichen Lagers treten bei jeder größeren Schwierigkeit erneut in Erscheinung. Die Aufgabe des Proletariats und der Kommunisten ist es, diese Gegensätze im Interesse des Klassenkampfes auszunutzen.

Die wichtigste Aufgabe der Arbeiterklasse ist jedoch in der gegenwärtigen Periode, angesichts der Konsolidierung der Bourgeoisie, die Schaffung einer wirklich einheitlichen Klassenfront gegen die Kapitalisten. Der Einheitsfront der Kapitalisten muß die stählerne Einheitsfront des Proletariats entgegengestellt werden.

Die Erstarkung der Bourgeoisie führt zur Verdrängung der Sozialdemokratie aus der Reichsregierung. Die Konzentration der kapitalistischen Macht findet ihren vollkommenen Ausdruck im Bürgerblock, der nach Ausschaltung des Parlaments durch den Reichspräsidenten Hindenburg und nach der Kapitulation aller kleinbürgerlichen Parteien und Gruppen die Regierung übernimmt. Alle Regierungskrisen seit 1923, alle früheren Rechtskabinette dienten nur zur Vorbereitung dieses entscheidenden Schrittes zur imperialistischen Reorganisation der Staatsmacht. Als Instrument der großen Trusts, als Kampforgan gegen die Arbeiterklasse hat die Regierung des Bürgerblocks die Aufgaben, die kriegerische Großmacht zu entfalten, die Reichswehr zusammen mit den militärischen Geheimverbänden in ein zuverlässiges Werkzeug der sowjetfeindlichen Machenschaften umzuschmieden, das Wirtschaftsprogramm der Unternehmer durchzuführen, alle Überreste der Novemberrevolution zu liquidieren, die Arbeiterbewegung durch Verbote, Verfolgungen und Terrormaßnahmen niederzuschlagen. Auf dem Wege der Gesetzgebung erfolgen der Raub des Streik- und Koalitionsrechts, die Verhängung von Zwangsschiedssprüchen, die Haftbarmachung der Gewerkschaften, die Vernichtung der Presse-, Vereins- und Versammlungsfreiheit, die Einführung der Militärdiktatur mit Hilfe von Ausnahmeparagraphen. Die ausbeuterische Zoll-, Handels-, Steuer- und Sozialpolitik wird durch die kulturelle Reaktion, durch das Kirchenkonkordat[25], das Reichsschulgesetz[26] und verschärfte Zensurbestimmungen vervollständigt. Die alten Kader der kaiserlichen Bürokratie, Junker, Offiziere, Agenten der Schwerindustrie, ergänzt durch Faschisten, Klerikale und einige rechte Sozialdemokraten, leiten die staatliche Exekutivgewalt. Die monarchistische Gegenrevolution dringt in alle Behörden der Republik und beherrscht Justiz, Armee, Polizei.

VI. Die Rolle der Sozialdemokratie

15. Die Sozialdemokratie ist für die Bourgeoisie gegenwärtig als aktive Regierungspartei überflüssig geworden, nachdem sie die erste Welle der deutschen proletarischen Revolution (1918 bis 1920) und ihren letzten Ansturm im Herbst 1923 blutig niedergeworfen hat. Trotz ihres erzwungenen Übergangs in die Scheinopposition bleibt die Sozialdemokratie eine der Hauptstützen des bürgerlichen Regimes. Sie spielt die Rolle einer passiven Regierungspartei, einer zusätzlichen Garantie für die Herrschaft des Bürgerblocks, mit der sie sich abfindet, jederzeit bereit, im Falle verschärfter Klassenkämpfe und revolutionärer Schwierigkeiten erneut auf den Ruf der Bourgeoisie in eine Koalition einzutreten. Andererseits verzichtet die Bourgeoisie auch heute nicht vollkommen auf die Dienste der Sozialdemokratie, sondern gibt ihr weiterhin die Möglichkeit, eine Rolle zweiten Ranges im kapitalistischen Staat zu spielen (Einladung Silverbergs[27]). Die Koalitionsregierungen in Preußen und anderen Ländern, die vorläufig vom Bürgerblock noch geduldet werden, verkörpern dieses Doppelspiel zwischen Bourgeoisie und Sozialdemokratie in der Regierungsfrage.

16. Die Sozialdemokratie ‑ der Hauptfeind der Kommunistischen Partei in der Arbeiterbewegung ‑ ist eine bürgerliche und entsprechend den Verhältnissen des wiedererstehenden deutschen Imperialismus eine imperialistische Arbeiterpartei. Die führende Richtung der SPD, die den politischen Kurs der Gesamtpartei bestimmt, hat sich nicht nur bedingungslos und endgültig von den Prinzipien des Sozialismus und des Klassenkampfes getrennt, sondern demonstriert auch in offen zynischer Form ihren vollständigen Bruch mit allen Überresten jener Traditionen, die einstmals der sozialdemokratischen Bewegung einen proletarischen und revolutionären Klassencharakter verliehen. Die gesamte geistige und politische Entwicklung der SPD in den letzten Jahren vollzieht sich im Zeichen dieser Liquidierung aller Klassentraditionen. Die Ideologie dieser Partei wird immer mehr auch in formalen Einklang mit jener Rolle gebracht, die sie seit 1914 spielt: der Rolle eines Lobredners und Verteidigers des Imperialismus.

17. Auf dem Gebiete der Theorie kapituliert die Sozialdemokratie vollständig vor dem Revisionismus. Die krassesten Zeichen dieser Waffenstreckung sind: die direkte Verneinung der Marxschen Lehre von den Tendenzen der kapitalistischen Entwicklung; die "Begründung" des Verzichts auf die proletarische Revolution und die proletarische Diktatur mit der Behauptung, der Kapitalismus habe sich als "elastischer" erwiesen, als Marx und Engels annahmen; die Leugnung des Wachstums der Gegensätze zwischen den Produktivkräften und den kapitalistischen Produktionsverhältnissen, die Leugnung des Verelendungsprozesses der Massen, die Behauptung, daß die Klassengegensätze und der Klassenkampf sich mildern; die Leugnung der Unvermeidlichkeit des Krieges in der kapitalistischen Gesellschaft, die den Charakter einer offenen, zynischen Rechtfertigung des Imperialismus in der Nachkriegszeit annimmt. Bernsteins revisionistische Formel: "Die Bewegung ist alles, das Ziel ist nichts"[28], wird durch die namhaftesten sozialdemokratischen Theoretiker (Kautsky u. a.) anerkannt. Die Sozialdemokratie bezieht im offenen Kampfe gegen den revolutionären Marxismus die Position des alten Revisionismus, dessen Bekämpfung in längst vergangenen Zeiten ein internationales Verdienst der SPD war.

Dieser theoretische Verfall der Sozialdemokratie wird durch den Triumph des Spießbürgertums in ihren Reihen gekrönt. (Prinzipieller Verzicht auf die antireligiöse Propaganda, höchste Duldsamkeit gegenüber dem Pfaffentum, Bestehen einer einflußreichen Strömung für Verbindung des Kapitalismus mit dem Sozialismus.)

18. Auf dem Gebiete des politischen Kampfes treten die "Endziele" der jetzigen SPD nicht aus dem Rahmen der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie. Die Eroberung der parlamentarischen Mehrheit auf Grund parlamentarischer Stimmzettelwahlen zur Schaffung einer "festen" Regierungskoalition mit der Bourgeoisie ‑ das ist das höchste Ideal der SPD und zugleich das Kennzeichen ihres tief reaktionären und heillos parlamentarischen Kretinismus. Der völlige und offene Übergang der SPD in das Lager der imperialistischen Bourgeoisie trägt einen um so schmachvolleren Charakter, als das Großkapital nur die lakaienhafte Mitarbeit der Sozialdemokratischen Partei duldet. Die sozialdemokratische Koalitionspolitik, die der Herrschaft des Bürgerblocks den Weg ebnete, hat mit der Erreichung dieses Resultats ihren eigenen Bankrott herbeigeführt. Die Sozialdemokratie, die die proletarische Revolution als Mittel und Weg zur Umwandlung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung in die sozialistische ablehnt, stellt in ihrem positiven Programm den rein reformistischen Plan der "Wirtschaftsdemokratie" auf, deren Verwirklichung die Grundlagen des kapitalistischen Eigentums festigen, die Anarchie überwinden und alle Gegensätze der kapitalistischen Gesellschaft beseitigen soll. Die heutige Sozialdemokratie "lehnt" das Privateigentum nur insoweit "ab", als sie zum Verteidiger des staatskapitalistischen Monopols wird. Die imperialistische Stufe der kapitalistischen Entwicklung betrachtet die SPD als Übergang zum "organisierten" (manche Reformisten sagen "staatlichen") Kapitalismus, der alle Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft beseitigen soll. In dieser bewußten Vertuschung der schreienden Gegensätze des modernen Kapitalismus zeigt sich krasser als irgendwo anders das Apologetentum der SPD. Sie betrachtet es als ihre "geschichtliche" Mission, diese staatskapitalistische Entwicklung durch die Politik der "Wirtschaftsdemokratie" zu fördern. Der reaktionär-utopische Charakter dieser Theorie zeigt sich darin, daß die "Wirtschaftsdemokratie" als Teilnahme der Gewerkschaften an der Leitung der Produktion unter den Bedingungen des kapitalistischen Privateigentums und der bürgerlichen Klassenherrschaft gedacht wird. Der reale und positive Inhalt der "Wirtschaftsdemokratie" besteht in der Arbeitsgemeinschaftspolitik, in der Verwirklichung der Tendenz des Imperialismus, die Arbeiterklasse politisch und geistig zu verknechten, die Gewerkschaften zu einem Anhängsel des kapitalistischen Ausbeutersystems zu degradieren und den wirtschaftlichen Kampf des Proletariats zunichte zu machen. Auf diese Weise gelangte die SPD und die sozialdemokratische Gewerkschaftsbürokratie von einer anderen Seite aus zur Lösung derselben Aufgabe, die sich der Faschismus gegenüber der organisierten Arbeiterklasse stellt. Der konkrete Ausdruck der Orientierung auf die "Wirtschaftsdemokratie" ist im gegenwärtigen Moment die Mitarbeit der SPD und der reformistischen Gewerkschaftsspitzen an der kapitalistischen Rationalisierung. Damit fesselt die Sozialdemokratie das Proletariat, lähmt die Widerstandskraft seiner Organisationen und gibt der Bourgeoisie die Möglichkeit, Millionen Arbeiter auf die Straße zu werfen, die Arbeitszeit zu verlängern, die Löhne herabzusetzen und auf dem sinkenden Lebensniveau des Proletariats ungeheure Profite zu machen.

19. Am deutlichsten zeigt sich der imperialistische Charakter der heutigen SPD in den Fragen des internationalen Klassenkampfes und der Weltpolitik. Die II. Internationale hat die opportunistische Politik der Vorkriegszeit und die Burgfriedenspolitik im Weltkrieg zur bewußten, systematischen und allgemeinen Unterstützung der bürgerlichen Klassenherrschaft erweitert. Der schamlose Übergang der italienischen reformistischen Gewerkschaftsführer auf die Seite Mussolinis zeigt, daß es für den Arbeiterverrat der Sozialdemokratie keine praktischen Grenzen gibt. Während die internationale Sozialdemokratie die proletarische Revolution verneint und bekämpft, stellt sie ihre ganze Kraft in den Dienst der kapitalistischen Rationalisierung, deren Relativität sie im schroffsten Gegensatz zu allen Tatsachen der Wirklichkeit leugnet. Sie verbreitet die Illusion, der Weltkapitalismus gehe einer neuen "Blüte" entgegen. Unter dieser betrügerischen Losung fordert sie die Arbeiterklasse auf, alle Lasten und Qualen als Tribut für den versprochenen "Wiederaufstieg" der kapitalistischen Gesellschaftsordnung widerstandslos zu erdulden. Die SPD hat bei der Entscheidung zwischen dem Weltimperialismus und dem Arbeiterstaat, der USSR, schon längst ihre Wahl zugunsten des Imperialismus getroffen. Unter dem Deckmantel der "Kritik" an der proletarischen Diktatur (Kautsky, Otto Bauer u. a.) übernimmt sie immer mehr die aktive Rolle der "geistigen" Avantgarde für den englischen Vormarsch zur Intervention, der sie durch eine beispiellose Hetze gegen die Sowjetunion (Granatenkampagne) die größte Hilfe leistet. Andererseits entwickelt sich die SPD in der letzten Zeit immer deutlicher zum kriegerischen Sozialpatriotismus. Der "Pazifismus" der SPD, der in der jüngsten Vergangenheit seine Quelle in der militärischen Schwäche und der politischen Abhängigkeit Deutschlands vom Ententekapital hatte, ist gegenwärtig nichts anderes als eine Bemäntelung der neuen imperialistischen Politik der deutschen Bourgeoisie. Mit Hilfe der Theorien vom "realistischen Pazifismus" (Hilferding[29]), vom "Ultraimperialismus" (Kautsky), von der "Friedensmission des Völkerbundes" (Breitscheid) rechtfertigt die SPD die Kolonialpolitik, die [Politik] der entschiedensten Westorientierung Deutschlands, seine Beteiligung an der Intervention gegen die USSR, seine aktive Mitwirkung an der imperialistischen Ausplünderung aller unterdrückten Völker.

Die Verteidigung des Imperialismus, die offene Verfechtung der allgemeinen Interessen des Kapitals gegen die Arbeiterklasse, der Kampf gegen die proletarische Revolution ‑ das ist die historische Rolle der gegenwärtigen Sozialdemokratie.

20. Die Lebensfähigkeit der SPD, die trotz ihres unaufhörlichen Verrats an den Interessen des Proletariats, trotz des Bankrotts ihrer Koalitionspolitik, trotz des Vormarsches der Kommunistischen Partei bis jetzt noch die Mehrheit der organisierten deutschen Arbeiterschaft beeinflußt, hat eine Reihe verschiedenartiger Ursachen. Die sozialökonomische Basis der reformistischen Politik bildet die Arbeiteraristokratie, die verbürgerlichte Oberschicht der Arbeiterschaft, die trotz ihres verringerten Umfanges noch immer die ausschlaggebende Rolle in der SPD spielt. Im Moment der Novemberrevolution und später unter dem Druck der Inflations- und Stabilisierungslasten haben sich breite Schichten des Kleinbürgertums der SPD angeschlossen. Zusammen mit der Arbeiteraristokratie üben sie einen viel größeren Einfluß auf den Kurs der Partei aus als die proletarische Mitgliedschaft. Eine der stärksten Triebkräfte der sozialdemokratischen Politik bildet die reformistische Gewerkschaftsbürokratie und der außerordentlich große sozialdemokratische Parteiapparat, der eng mit dem Beamtenapparat einschließlich der Polizei des republikanisch-kapitalistischen Staates verwachsen ist. Die wichtigsten politischen Ursachen für die Lebensfähigkeit der SPD sind: die Ausnutzung der Reste der Zugeständnisse, zu denen die Bourgeoisie unter dem Druck des revolutionären Ansturms der Arbeiterschaft gezwungen wurde, als "Resultate" der reformistischen "Vermittlungspolitik"; die sozialdemokratischen Traditionen der älteren Generation der Arbeiterschaft; schließlich die schweren teils opportunistischen, teils sektiererischen Fehler der Kommunistischen Partei in ihrem Kampfe gegen die SPD. Durch die Verringerung der Arbeiteraristokratie wird die sozialökonomische Basis der SPD verengert. Durch den offenen Angriff der Bourgeoisie, ihren Verzicht auf jede Konzessionspolitik gegenüber der Arbeiterschaft und durch die richtige Taktik der Kommunisten wird die politische Basis dieser imperialistischen Arbeiterpartei im Proletariat zerstört, ihre Lebensfähigkeit untergraben.

Nach ihrem Hinauswurf aus der Regierungskoalition beginnt die Sozialdemokratie im Reichsmaßstabe eine banale oppositionelle Komödie zu spielen. Diese Scheinopposition beschränkt sich ausschließlich auf gelegentliche parlamentarische "Kritik" und unbestimmte, nichtssagende Drohungen. Nichts wäre falscher, [als] zu glauben, daß die Sozialdemokratie und [die] Gewerkschaftsbürokratie auf Grund ihrer "Oppositionsstellung" jetzt irgendwelche ernsthaften Wirtschaftskämpfe gegen die Kapitalisten führen würden. Im Gegenteil, wie bisher werden sie auch künftig jeden wirklichen Kampf der Arbeiter abwürgen.

Da diese Scheinopposition bewußt darauf abzielt, neue Illusionen in der Arbeiterschaft zu erwecken, ist es eine der wichtigsten aktuellen Aufgaben der Partei, diesen Betrug zu entlarven und die sozialdemokratischen und parteilosen Arbeiter vor diesem gefährlichen Irrtum zu warnen.

21. Neben der offiziellen Parteiführung bildet die zentristische "Linke" in der SPD die zweite Hauptform des Opportunismus. Ihre Politik besteht darin, das offene Bündnis mit der Bourgeoisie durch scheinradikale Losungen zu verdecken und zu fördern, die Arbeiter durch eine feinere, verhülltere und deshalb um so gefährlichere Propaganda vom Klassenkampf abzuhalten und vom Klassenkampf abzuhalten und damit die Sozialdemokratie zu retten. Die "linken" Führer sind daher der Hauptfeind innerhalb der SPD (z. B. Richtung der "Leipziger Volkszeitung" und Frankfurter "Volksstimme" usw.), den die Kommunisten vernichtend schlagen müssen, um die Mehrheit der deutschen Arbeiterklasse vom Joch des reformistischen Einflusses zu befreien. Der theoretische Ausdruck dieser Richtung ist die austromarxistische Schule, ihre wichtigste praktische Verkörperung die sächsische Sozialdemokratie. Die zentristischen Führer, deren Hauptspezialität im Kampf gegen die proletarische Diktatur und gegen den Bolschewismus mit angeblich "linken Argumenten" besteht, sind die äußerste Barriere gegen die proletarische Einheitsfront und gegen den vordringenden Kommunismus. So wie die Sozialdemokratische Partei als Ganzes die Funktion erfüllt, den kapitalistischen, reaktionären Charakter der bürgerlichen Klassenherrschaft zu maskieren, besteht die Rolle der "linken" Führerschaft in der Sozialdemokratie darin, das verräterische, arbeiterfeindliche Wesen der opportunistischen Politik zu maskieren. Auf diese Weise wenden die rechten und "linken" Führer der SPD ein wirksames System der "Arbeitsteilung" an. Mit Hilfe ihrer Scheinkritik an den rechten Sozialverrätern gelang es den zentristischen Führern bisher, größere Massen klassenbewußter, wirklich oppositioneller Arbeiter innerhalb und außerhalb der SPD an sich zu fesseln, in ihrer Linksentwicklung aufzuhalten und weiterhin unter den Einfluß der Sozialdemokratischen Partei zu spannen. Diese Arbeiterschichten erzwangen die Abspaltung der sächsischen ASPD[30], deren Politik in allen Grundzügen mit dem Kurs der rechtssozialdemokratischen Parteiführer übereinstimmt. Das Doppelspiel der "linken" Sozialdemokratie, ihre ungleichartige Zusammensetzung aus zentristischen Führern und wirklich linken Arbeitermassen stellt die Kommunisten vor eigenartige, komplizierte taktische Aufgaben. Um die betrügerischen Manöver der "linken" Führer zu durchkreuzen und ihren hemmenden Einfluß zu brechen, müssen die Kommunisten jeden ihrer Scheinkämpfe gegen die rechten Sozialverräter in einen wirklichen Kampf der oppositionellen Arbeiter zu verwandeln suchen und zugleich die Differenzierung im zentristischen Lager selbst, den Bruch der linken Arbeitermassen mit beiden sozialdemokratischen Führergruppen beschleunigen. Diese Taktik erfordert die sorgfältige Berücksichtigung aller auftretenden Gegensätze im Lager der SPD, die nüchterne Unterscheidung zwischen ihren verschiedenen Richtungen, die schärfste, rücksichtsloseste Bekämpfung der "linken" Sozialdemokratie; die entschlossene, überzeugende Betonung des Willens der Kommunisten, die Einheitsfront mit den oppositionellen sozialdemokratischen Arbeitern zu bilden. Die Kommunisten müssen die Illusion[en] auch der ehrlich oppositionellen sozialdemokratischen Arbeiter offen und sachlich bekämpfen, ohne in einen süßlich-kompromißlerischen Ton gegenüber den sozialdemokratischen Arbeitern zu verfallen.

Die Partei und das Proletariat müssen sich darüber klar sein, daß die Herausbildung eines wirklichen linken Flügels der deutschen Arbeiterbewegung nur im Kampfe gegen die "linken" SPD-Führer möglich ist.

22. Aus dem Bankrott der sozialdemokratischen Koalitionspolitik und aus der Verschärfung des Klassenkampfes entsteht innerhalb der SPD eine dritte Strömung, die revolutionäre proletarische Opposition. Durch einfache untere Funktionäre vertreten, hat sich diese Richtung von vielen zentristischen Illusionen befreit. Sie setzt sich für den revolutionären Klassenkampf, für das Bündnis mit der Sowjetunion und für die Einheitsfront mit den Kommunisten ein. Die Ansätze dieser zunächst noch unklaren, unorganisierten proletarischen Opposition zeigen sich fast in allen Teilen des Reiches, besonders in den zentristischen Bezirken Sachsen, Thüringen, Frankfurt, aber auch in den Mehrheitsorganisationen wie Berlin, Breslau, Hamburg, Ruhrgebiet. Die revolutionäre Opposition äußert sich u. a. in Mißtrauenskundgebungen gegen die Parteileitung, Protesten gegen die reformistische Politik, Boykott der Werbetätigkeit, Teilnahme an Bewegungen und Organisationen für die Einheitsfront, Versuchen der Fraktionsbildung (zum ersten Male in größerem Umfange auf dem KdW[31]). Die sozialdemokratischen Führer versuchen vergeblich, diese wachsende revolutionäre Opposition durch Ausschlüsse und Mundtotmachung zu unterdrücken. Die Aufgabe der Kommunisten besteht darin, diese Arbeitermassen auf die Seite und in die Reihen der KPD hinüberzuziehen. Das wichtigste Mittel dazu ist die aktivste Anwendung der Einheitsfronttaktik auf alle Kampffragen im örtlichen und bezirklichen Maßstab. Die Partei muß nach dem Beispiel der erfolgreichen Bewegung für den Volksentscheid und für den Werktätigenkongreß ähnliche Kampagnen im Reichsmaßstab bei entscheidenden Anlässen durchführen, um die sozialdemokratischen Arbeiter zu gewinnen.

VII. Die Radikalisierung der Arbeiterklasse und ihr Bündnis mit allen Werktätigen

23. Die beginnende Radikalisierung der deutschen Arbeiterklasse hat tiefe, objektive Ursachen und ist von größter Bedeutung für die weitere Entwicklung des Klassenkampfes. Die Offensive des Kapitals, der erhöhte Druck auf die Arbeiterschaft, die Erwerbslosigkeit, die Vorstöße der Reaktion, die drohende Kriegsgefahr haben in den breitesten proletarischen Massen einen Prozeß der geistigen Umstellung ausgelöst. Durch die Folgen der Niederlage im Weltkriege und den starken Rückgang des Kapitalexports ist die ökonomische Basis für eine Arbeiteraristokratie und damit der Nährboden des Opportunismus wesentlich zusammengeschrumpft. Die Bourgeoisie ist nicht mehr imstande, durch Extraprofite auf Kosten der Ausbeutung anderer Völker breite Oberschichten des Proletariats zu bestechen und größeren Arbeiterkategorien eine bevorzugte, halb bürgerliche Lebensstellung zu verschaffen. Die unaufhörliche Zuspitzung der sozialen Gegensätze zerstört die reformistischen Illusionen, zertrümmert den Glauben an die Weimarer Republik und entlarvt die heuchlerische Agitation für den "Klassenfrieden". Mit dem Bankrott der Koalitionspolitik und des arbeitsgemeinschaftlichen Kurses der Gewerkschaftsführer wächst die Enttäuschung der Massen. Andererseits wecken die Erfolge des sozialistischen Aufbaues in der Sowjetunion neue Sympathien für den Kommunismus.

24. Die Linksschwenkung des Proletariats nimmt in Deutschland eigenartige Formen an. Die Arbeiterschaft steht noch in der Defensive, obwohl sie die Periode der gesunkenen Kampffähigkeit bereits überwunden hat. Bisher wurden noch keine großen aktiven Massenkämpfe gegen die Offensive des Kapitals geführt, sondern es zeigte sich nur eine gesteigerte Aktivität im Tageskampf. Der Radikalisierungsprozeß ist nicht das Resultat, sondern nur der Ausgangspunkt mächtiger proletarischer Abwehraktionen. Die wichtigsten Kennzeichen und Ausdrucksformen für die fortschreitende Loslösung der Arbeitermassen von der reformistischen Führung sind:

1.  starker Drang breitester Schichten zur Bildung der proletarischen Einheitsfront im Kampf gegen das Kapital (Volksentscheidskampagne, Bildung verschiedener Einheitsorgane, Kongreß der Werktätigen);

2.  zunehmender Wille zur Abwehr der Unternehmeroffensive und zum Widerstand gegen die kapitalistische Rationalisierungspolitik (Tarifkündigungsbewegungen, Erkämpfung[32] des Achtstundentages und der Lohnerhöhung, Verweigerung von Überschichten, Hamburger Hafenarbeiterstreik, Erwerbslosenbewegung, Bewegungen und Streiks für Lohnerhöhung und Arbeitszeitverkürzung in Sachsen, Berlin, Mitteldeutschland, Schlesien, im Rheinland);

3.  Massenströmung für die Solidarität mit der Sowjetunion und der internationalen Revolution (erste und zweite Arbeiterdelegation, Jugenddelegation, Arbeiterinnendelegation, Ablehnung der antibolschewistischen Hetze, Sympathie für die russische Revolution, Stimmung für die internationale Gewerkschaftseinheit, Proteste gegen den Faschismus, weißen Terror und Interventionsversuchen);

4.  Wachstum des linken Flügels in der Arbeiterbewegung (revolutionäre Arbeiteropposition in der SPD, den Gewerkschaften, dem Reichsbanner[33], der Sozialistischen Arbeiterjugend);

5.  Aufschwung revolutionärer parteiloser Massenorganisationen (Roter Frontkämpferbund[34], RFMB[35], IAH[36], Rote Hilfe[37]);

6.  Ausbreitung des politischen Einflusses und langsame Erhöhung der Mitgliederzahl der KPD.

25. Parallel mit der Radikalisierung der Arbeiterklasse vollzieht sich ein politischer Umschwung in den Reihen des werktätigen Kleinbürgertums. Durch die Inflation enteignet, vom Trustkapital durch Erhöhung der Zölle, Steuern, Mieten und Preise ausgeplündert, von den bürgerlichen Parteien betrogen, in ihren Hoffnungen getäuscht, aller Aussichten auf eine Besserung ihrer Lage beraubt, werden Millionen Angehörige der Mittelschichten durch den Gang der Ereignisse selbst auf den Weg des politischen Kampfes gestoßen. Die faschistische Bewegung, der sich diese Massen ursprünglich zum großen Teil anschlossen, wurde rasch als einfaches Anhängsel der kapitalistischen Politik entlarvt und brach nach der außenpolitischen Umstellung der Bourgeoisie zusammen. Die Ideologie der bürgerlichen Parteien wird immer mehr in ihrer Verlogenheit entlarvt. Die nationalistischen Phrasen der Deutschnationalen[38], die christlich-sozialen des Zentrums[39], die nationalliberalen der Volkspartei[40], die fortschrittlichen der Demokraten[41] stehen im krassesten Widerspruch[42] zur Wirklichkeit, vor allem zur Wirtschaftspolitik der Bourgeoisie. Wachsende Teile der Proletarier und Kleinbürger, die den kapitalistischen Parteien noch folgen, wenden sich von ihnen ab. Die SPD ist weder imstande noch gewillt, die notleidenden Mittelschichten in den Kampf gegen das Trustkapital zu führen. Daher nähern sich diese halbproletarischen und kleinbürgerlichen Massen in wachsendem Maße der proletarischen Klassenfront, um ihre wirtschaftliche Existenz zu verteidigen. Die Linksschwenkung der städtischen Mittelschichten äußert sich in ihrer Loslösung den großen kapitalistischen Parteien (Massenabwanderung der Wähler in neugegründete "Mittelstandsparteien"), in der Bildung besonderer Interessenorganisationen der Werktätigen und im politischen Zusammenschluß mit der Arbeiterklasse (Kampf für die Fürstenenteignung[43], Kongreß der Werktätigen). Das Kleinbauerntum und das schwächere Mittelbauerntum befindet sich gleichfalls in einer schwierigen Lage, die in zahlreichen Pfändungen, Zwangs- und Notverkäufen und wachsendem Bodenhunger (besonders in Mitteldeutschland) zum Ausdruck kommt. Schutzzölle, Steuerdruck, Kreditnot, Preisdiktatur der Kartelle treiben diese bäuerlichen Schichten zum Widerstand gegen die junkerlich-kapitalistische Politik, zur Opposition im Landbund, zur Sammlung in den Bauernbünden, teilweise zur Unterstützung des proletarischen Klassenkampfes.

26. Der Radikalisierungsprozeß der Massen wird durch eine Reihe von Gegentendenzen aufgehalten und gestört. Die Bourgeoisie unternimmt die größten Anstrengungen, um das Proletariat sozial und politisch zu spalten und mit Hilfe der Monopolprofite eine neue Arbeiteraristokratie aufzubauen, die zwar zahlenmäßig unbedeutend, aber vom Standpunkt des Produktionsprozesses von außerordentlicher Wichtigkeit ist (Verbreiterung der Lohnspanne, Amerikanismus, Arbeiterbanken). Diese Versuche haben jedoch infolge der objektiven Lage des deutschen Imperialismus keine ernsten Aussichten auf Erfolg. Das stärkste Hindernis der Linksentwicklung ist die Beherrschung des Apparates der deutschen Arbeiterbewegung durch die Reformisten, d. h. durch die Agenten des Klassenfeindes. Der Druck der menschewistischen Bürokratie, die historische Beharrungskraft der sozialdemokratischen Traditionen üben noch längere Zeit ihre Wirkung aus. Nach ihrer Verdrängung aus den Regierungen versuchen die sozialdemokratischen Führer sehr geschickt zu "manövrieren", um durch die Anschlagung scheinoppositioneller Töne ihre wirkliche Rolle zu verheimlichen und neue Illusionen zu erzeugen. Weitere Kampfmethoden der Bourgeoisie gegen die Einheitsfront der Werktätigen sind: die Förderung von Werksgemeinschaften[44], die soziale und sozialreformistische Demagogie der bürgerlichen Parteien und der gelben Verbände, faschistische Vorstöße gegen die Arbeiterbewegung, Schaffung scheinradikaler Splitterparteien, die dem Kleinbürgertum die Möglichkeit geben, seine Empörung ohne Schaden für den Kapitalismus zum Ausdruck zu bringen.

27. Die Gegenmaßnahmen der Bourgeoisie nehmen einen immer brutaleren Charakter an, während die Abwehr des Proletariats und der mit ihm verbündeten Mittelschichten in eine[45] Offensive überzugehen beginnt. Die wirtschaftlichen und politischen Tageskämpfe zeigen immer schärfer die Tendenz, sich zu wirklichen Machtkämpfen zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie zu entfalten. Als das nächste Resultat ergibt sich eine immer weitere Entwicklung der breitesten werktätigen Volksmassen in der Richtung der proletarischen Revolution. Für diese unterdrückten Massen heißt die Entscheidung: entweder Rückfall in völlige Sklaverei und Untergang für viele Millionen ‑ oder revolutionärer Kampf zum Sturz des kapitalistischen Systems, Errichtung der proletarischen Diktatur und Aufbau des Sozialismus.

Bei diesem Entwicklungsprozeß der proletarischen Revolution gewinnt der subjektive Hauptfaktor, die Entschlossenheit, Einheit und Tatkraft der Kommunistischen Partei, eine entscheidende Bedeutung. Sie hat die Aufgabe, durch konsequente Anwendung einer richtigen, leninistischen Politik die Massen zum Widerstand gegen die kapitalistische Stabilisierung zu mobilisieren. Die leninistische Politik wird in der gegenwärtigen Periode der deutschen Revolution durch vier grundlegende Gesichtspunkte bestimmt, die miteinander untrennbar verbunden sind:

1.  Herstellung der proletarischen Einheitsfront im Kampf gegen die Bourgeoisie;

2.  Brechung des sozialdemokratischen Einflusses und Eroberung der Mehrheit im Proletariat durch die Kommunisten;

3.  Bündnis der Arbeiterklasse mit allen Werktätigen zum gemeinsamen Kampf gegen das Finanzkapital;

4.  feste proletarische Leitung aller Bewegungen der Werktätigen, Hegemonie der von der Kommunistischen Partei geführten Arbeiterklasse in der Volksrevolution.

Wenn die Kommunistische Partei versteht, eine wirklich leninistische Politik durchzuführen, dann wird sie zur Führerin des Proletariats und aller ausgebeuteten Werktätigen. Der Ausgang des entscheidenden Kampfes ist dann nicht mehr zweifelhaft, die sozialistische Revolution muß und wird siegen, die deutsche Sowjetrepublik wird errichtet werden.

VIII. Die Perspektiven der deutschen Revolution

28. Die Kommunistische Partei betrachtet es als ihre wichtigste Aufgabe, nicht nur an allen Teilkämpfen des Proletariats teilzunehmen, sondern auch die Führung dieser Kämpfe zu übernehmen. Die Kommunistische Partei wird jede Gelegenheit ausnutzen, um für die Verbesserung der Lage der Arbeitenden zu kämpfen. Aber sie erklärt gleichzeitig, daß die endgültige Befreiung der Arbeiterklasse aus Elend, Not und Sklaverei des Kapitalismus nur möglich ist durch den Sturz der Bourgeoisie und ihres Staates, daß die gesamte Entwicklung der sozialen Widersprüche zu einer solchen revolutionären Lösung unvermeidlich führt. Jede Möglichkeit einer Umgestaltung der kapitalistischen Wirtschaft durch Reformen ist absolut ausgeschlossen und begünstigt nur die weitere Versklavung der Arbeitermassen. In vollstem Umfange bewahrheitet sich die leninistische Lehre, daß "der staatsmonopolistische Kapitalismus die vollständige materielle Vorbereitung des Sozialismus, seine unmittelbare Vorstufe ist, denn auf der historischen Stufenleiter gibt es zwischen dieser Stufe und derjenigen, die Sozialismus heißt, keinerlei Zwischenstufen mehr"[46].

Auf dem Boden der relativen kapitalistischen Stabilisierung, in der Periode zwischen zwei Wellen der Revolution entwickeln und festigen sich auch in Deutschland die Kräfte des proletarischen Aufstandes gegen die Herrschaft der Bourgeoisie. Je besser es der Kommunistischen Partei gelingt, durch die konsequente und richtige Anwendung der kommunistischen Politik die Massen zum Widerstand gegen die kapitalistische Stabilisierung zu mobilisieren, desto schärfer werden die Klassenkämpfe. Im Verlauf der verschärften Kämpfe muß abermals eine unmittelbar revolutionäre Situation entstehen, d. h. eine Situation, in der die herrschenden Klassen aufs schwerste desorganisiert sind, in der die proletarischen Massen sich im Zustand der höchsten revolutionären Erregung befinden, in der die Mittelschichten auf die Seite des Proletariats übergehen. Im Maße des Herannahens einer solchen Situation muß die Kommunistische Partei alle Massenaktionen immer schärfer auf die Losungen der Arbeiterkontrolle über die gesamte Produktion und Verteilung als einer Übergangslosung zur Expropriation der Bourgeoisie, der Bewaffnung des Proletariats und der Bildung der politischen Arbeiterräte zuspitzen. Im Moment des Vorhandenseins einer unmittelbar revolutionären Situation entsteht für die Partei die Aufgabe, die Massen zum direkten Sturm auf den bürgerlichen Staat zu führen. Die Arbeiterklasse muß der Bourgeoisie im offenen Kampf die Macht entreißen und selbst die gesamte Staatsmacht in ihre Hände nehmen. Sie muß die Arbeiter-und Bauern-Regierung, die Rätemacht, die Diktatur des Proletariats aufrichten.

IX. Taktik, Erfolge und Fehler der KPD

29. Der Offene Brief des EKKI[47] bildete das Fundament für die taktische Linie der KPD seit dem Herbst 1925. Im Mittelpunkt der Politik des ZK stand die Einheitsfronttaktik als der in der gegenwärtigen Periode einzig richtige Weg zur Zusammenfassung breiter proletarischer Massen im Kampf gegen die kapitalistische Ausbeutung. Die Einheitsfronttaktik beschränkt sich weder auf eine leere Agitationsformel, noch bedeutet sie irgendeine Form der Koalition mit der Sozialdemokratischen Partei oder ihrem "linken" Flügel. Der Kampf für die proletarische Einheitsfront ist der Kampf um die Gewinnung der Mehrheit der Arbeiterklasse, um ihre Führung, um die Organisierung der proletarischen Revolution. Die umfassende Anwendung, die systematische Entfaltung der Einheitsfronttaktik hat bei weitem nicht ihren Höhepunkt erreicht, sondern beginnt erst. Sie stößt auf den zähen, erbitterten Widerstand der erfahrenen sozialdemokratischen Führerschaft. Die KPD hat sich durch die Liquidierung der sektiererischen Abweichungen und durch die Verwirklichung der bolschewistischen Massenpolitik nicht dem Reformismus genähert ‑ wie die ultralinken Schwätzer prophezeiten ‑, sondern sie hat unter klarer Herausarbeitung ihrer revolutionären Rolle, unter schärfster Abgrenzung von der SPD, im schonungslosen Kampf gegen die sozialdemokratischen Führer die ersten Erfolge errungen und Teile der Arbeiterschaft auf die Seite des Kommunismus hinübergezogen. Sie muß diese Linie konsequent fortsetzen und wesentlich verstärken. Die Aufgabe der Einheitsfronttaktik beschränkt sich nicht auf die Losreißung der sozialdemokratischen Arbeiter vom Reformismus, sondern sie erfordert auch den Kampf um die Gewinnung der Millionen parteiloser Arbeiter, der proletarischen Anhänger des Reichsbanners, des Zentrums und der christlichen Gewerkschaften, die in steigende Opposition zur Politik des Bürgerblocks geraten. Der Schwerpunkt der Einheitsfronttaktik liegt gegenwärtig in der Gewerkschaftsbewegung. Die freien Gewerkschaften[48] gewinnen unter den Verhältnissen der kapitalistischen Stabilisierung erhöhte Bedeutung als die elementarsten und breitesten Klassenorganisationen des Proletariats. Sie bilden den Hebel für die Entfesselung größerer Wirtschaftskämpfe, die unvermeidlich in politische Kämpfe umschlagen werden. Die Eroberung der Gewerkschaften schneidet die Wurzeln des sozialdemokratischen Einflusses ab. Durch die Radikalisierung der Arbeiterklasse ist eine breite Basis für die richtige und erfolgreiche Durchführung der kommunistischen Gewerkschaftsarbeit entstanden. Die politischen Voraussetzungen für die Ausgestaltung und Festigung des linken Flügels der deutschen Arbeiterbewegung bestehen. Die Kommunisten müssen durch tägliche unermüdliche Kleinarbeit die Führung in der Arbeiterschaft erringen[49]. Gleichzeitig muß die Partei stärkere Kräfte auf die brennende Erwerbslosenfrage konzentrieren. Die Hauptaufgabe der Kommunisten ist das Eindringen in die Betriebe, die energische Führung aller proletarischen Tageskämpfe, um immer breitere Arbeiterschichten aus ihrer Unbeweglichkeit herauszureißen und die begonnene Linksentwicklung auf die höhere Stufe aktiver Massenbewegungen gegen die Offensive des Kapitals zu heben.

30. Die Partei hat seit dem Offenen Brief eine Reihe ernster Erfolge zu verzeichnen. Das wichtigste Ergebnis ihrer Arbeit ist die Niederreißung der Schranken zwischen den Kommunisten und den breiten Massen des Proletariats, die wesentliche Erhöhung der Autorität und des politischen Einflusses der KPD in der deutschen Arbeiterschaft. Ihr Ansehen in den Betrieben und Gewerkschaften ist zwar gestiegen, aber bei weitem nicht in dem Maße, wie es möglich und notwendig wäre. Die Kommunistische Partei stand im Kampf für die entschädigungslose Fürstenenteignung an der Spitze einer Volksbewegung von 14 1/2 Millionen Werktätigen. Die Volksentscheidskampagne ebenso wie die Durchführung des Werktätigenkongresses vereinigten die Mobilisierung des Industrieproletariats mit der Sammlung großer Teile der städtischen Mittelschichten und des werktätigen Bauerntums gegen die Großbourgeoisie, wobei die Führung in den Händen der Arbeiterklasse lag. Die Partei machte bei den Kommunal- und Parlamentswahlen (mit Ausnahme der mecklenburgischen, Lübeckschen und thüringischen) große Fortschritte, besonders in Sachsen. An weiteren Erfolgen sind zu vermerken: die Reisen und Berichterstattungskampagnen der Arbeiterdelegationen, die Organisierung der Erwerbslosen, die Reichskonferenz der Erwerbslosen[50] in Verbindung mit dem KdW, der Sieg in den Berliner Metallarbeiterwahlen, die Entstehung der revolutionären proletarischen Opposition in der SPD, das Wachstum der mit der KPD sympathisierenden Organisationen (RFB u. a.). Erfolge auf innerparteilichem Gebiete sind: Weiterführung der Reorganisation auf Betriebszellen, der Wiederaufbau der Fraktionsarbeit in den Gewerkschaften, der Abschluß der Parteidiskussion, der Sieg der leninistischen Politik über die ultralinke Opposition, die Isolierung und Ausstoßung der kleinbürgerlichen rechten und "linken" Renegaten (Korsch[51], Maslow[52], Ruth Fischer[53], Urbahns[54], Schönlank[55], Stetter[56] usw.), die fortschreitende Konsolidierung der Partei.

31. Gleichzeitig mit den Erfolgen der Partei zeigte sich auch eine Reihe von Fehlern, die ausnahmslos durch das ZK korrigiert wurden, und von Schwächen, die um jeden Preis beseitigt werden müssen. Diese Fehler und Schwächen erklären sich keineswegs nur durch objektive Schwierigkeiten und durch die systematische Störungsarbeit der ultralinken Opposition, sondern auch durch theoretische Unsicherheit, mangelnde Aktivität und organisatorische Unzulänglichkeit der Parteiarbeit. Die Hauptfehler und Mängel der Partei liegen auf dem Gebiete der Arbeit zur Gewinnung der breiten Massen der Arbeiterklasse. Große Teile der Arbeiterklasse erblicken in der KPD ihre Avantgarde und folgen unserer Partei in den Fragen des politischen Kampfes, aber die Partei hat noch nicht genügend das Vertrauen der Arbeitermassen im Kampfe um ihre wirtschaftlichen Tagesforderungen errungen. Daraus erklären sich vor allem die Mängel der Gewerkschaftsarbeit der Partei, die Unterschätzung ihrer Bedeutung und infolgedessen die Passivität in der Gewerkschaftsarbeit, die mangelnde Fähigkeit der Parteimitglieder, eine richtige Linie in der gewerkschaftlichen Tagespraxis durchzuführen. Die häufigsten Fehler der Gewerkschaftsarbeit bestanden darin, daß man entweder eine abstrakt-allgemeine Propaganda unter Vernachlässigung der praktischen Arbeit führte oder aber daß man eine nicht genügend revolutionäre, manchmal sogar eine direkt opportunistische Praxis übte, die sich nicht scharf genug von der [der] Sozialdemokratie unterschied. Infolgedessen war die Partei trotz ihres beträchtlichen Einflusses in einer Reihe wichtiger Verbände nicht imstande, diesen Einfluß auszuwerten und zu befestigen. Außerdem besteht in der Partei eine Tendenz gegen die Anwendung der Einheitsfront, die mechanische Verneinung der Spitzenverhandlungen und ungeschickte Anwendung der Einheitsfronttaktik durch Aufstellung solcher Forderungen, die für die linksgestimmten sozialdemokratischen Arbeiter völlig unannehmbar sind. Diese Fehler und Mängel führen letzten Endes zur Verneinung der Einheitsfronttaktik, zur Isolierung der Partei von den Arbeitermassen, zur Gefahr des Sektierertums. (Beispiele solcher linken Fehler sind: die Ablehnung der Reststimmenverbindung bei den Berliner Stadtverordnetenwahlen[57], der Widerstand gegen das Angebot der Duldung einer sozialdemokratischen Minderheitsregierung in Sachsen[58] u. a.)

Eine Gefahr in der Partei stellt andererseits die Tendenz zur opportunistischen Auslegung der Einheitsfronttaktik dar, die die revolutionäre Rolle der Partei vergißt und ihre Selbständigkeit zugunsten einer parlamentarischen Koalition mit der Sozialdemokratie opfert. (Beispiele solcher rechten Fehler sind: die Abstimmung der Reichstagsfraktion zum Knappschaftsgesetz[59], die Rede zur Flaggenfrage in der Bremer Bürgerschaft[60], die groben Fehler vor und nach der Regierungsbildung in Mecklenburg[61], eine ganze Reihe von opportunistischen Abweichungen unserer Fraktionen in den Gemeindeparlamenten, passives und unrevolutionäres Verhalten eines Teils unserer Betriebsräte usw.) Die Partei muß in jedem Falle der Anwendung der Einheitsfronttaktik ihre Selbständigkeit bewahren, sich die Freiheit der Kritik erhalten und darf keinesfalls vor den Massen ihr kommunistisches Gesicht verlieren. Wie im politischen Kampf, so muß die Partei auch in ihrer Gewerkschaftsarbeit die revolutionären Methoden der Massengewinnung anwenden.

Zum größten Teil kam in den genannten Fehlern nicht eine bewußte Durchkreuzung, sondern nur eine falsche Auslegung der richtigen Parteilinie zum Ausdruck. Die Hauptschwächen der Partei zeigten sich in der mangelhaften Kontrolle der Parlamentsfraktionen, in der verspäteten Organisierung der Erwerbslosenbewegung und in der äußerst unzulänglichen Durchführung der Gewerkschaftsarbeit, die sich schädlich auf die Solidaritätsaktion für den englischen Streik, auf den Kampf gegen die Ausschlüsse und auf einige Verbandswahlen auswirkte.

32. Eines der wichtigsten Probleme der künftigen Arbeit ist die organisatorische Verankerung des wachsenden Einflusses der Partei in den Arbeitermassen. Die politische Bedeutung der KPD ist erheblich gestiegen, aber ihre Mitgliederzahl hat nicht annähernd im gleichen Maße zugenommen. In Zusammenhang damit steht die mangelhafte organisatorische Festigung und Zusammenfassung der zahlreichen neuentstandenen Organe der proletarischen Einheitsfront. Es besteht eine "Schere". Dieses Mißverhältnis muß unbedingt überwunden werden, wenn die Partei und die Revolutionierung des Proletariats raschere und größere Fortschritte machen soll. Es ist notwendig, alle Maßnahmen zur Steigerung der Werbekraft der Partei und zur maximalen Erhöhung ihrer Mitgliederzahl zu treffen.

Zusammenfassend stellt der 11. Parteitag fest, daß das ZK die Beschlüsse der Komintern durchgeführt, eine richtige politische Linie verfolgt, wichtige positive Ergebnisse der Parteiarbeit erzielt und die leninistische Entwicklung der Partei im Kampf gegen alle Abweichungen gekräftigt hat.

X. Die gegenwärtigen Hauptaufgaben der Partei

Die wichtigsten praktischen Aufgaben der Partei in der gegenwärtigen Situation sind folgende:

33. Erstens: Kampf gegen die Kriegsgefahr.

Enthüllung der drohenden Gefahr eines neuen imperialistischen Krieges, Ergreifung aller Maßnahmen zur Bekämpfung seines Ausbruchs und Vorbereitung der Massen zur Umwandlung des imperialistischen Krieges in den Bürgerkrieg; Bloßlegung der treibenden Kräfte, des Wesens und der Ziele des imperialistischen Krieges; tagtägliche Entlarvung der Kriegspolitik des neuen deutschen Imperialismus und der sozialdemokratischen Führer; Bekämpfung des Völkerbundes, der pazifistischen, paneuropäischen, ultraimperialistischen und ähnlichen Illusionen; unermüdlicher Nachweis an konkreten Beispielen, "wie der Krieg jeden Tag ausbrechen kann" (Lenin)[62]; Kampf gegen die militärischen Rüstungen und die Kriegsvorbereitungen der Industrie; größter Nachdruck auf die agitatorische und organisatorische Erfassung der Arbeiter in den Munitions- und Waffenbetrieben, besonders in der chemischen Industrie, sowie der Verkehrs- und Transportarbeiter. - Warnung vor den kleinbürgerlich-utopistischen Ideen der "Dienstverweigerung", des "Boykotts des Krieges", des "Friedensschlusses" durch die bürgerliche Regierung, Verfechtung der Leninschen Losungen gegen den imperialistischen Krieg (Herbeiführung der Niederlage der eigenen Regierung, revolutionärer Defätismus, Agitation für die Massenverbrüderung der Soldaten an der Front; Teilnahme der Arbeiter an jedem reaktionären Kriege, um Waffen in die Hand zu bekommen, die Armee zu zersetzen und revolutionäre Bewegungen für den Sturz der eigenen Bourgeoisie zu organisieren).

34. Zweitens: stärkste Unterstützung der Sowjetunion und der chinesischen Revolution.

Schonungslose Bekämpfung der verräterischen sozialdemokratischen und ultralinken Antisowjethetze; Aufrüttelung der Massen zur Verteidigung des Staates der proletarischen Diktatur gegen die drohende imperialistische Intervention; Erläuterung der Friedenspolitik der Sowjetunion, ihres Rechts auf die revolutionäre Landesverteidigung und auf die Stärkung der proletarischen Wehrmacht; Klarstellung der Bedeutung des Verteidigungskampfes der Sowjetunion gegen eine imperialistische Intervention als des einzigen gerechten und revolutionären Krieges, des Krieges der Arbeiterklasse gegen die kapitalistischen Unterdrücker; Vorbereitung der Arbeiterklasse für ihre konkreten Aufgaben im Falle einer Intervention: Verhinderung aller Waffentransporte für die imperialistischen Armeen, aktiver Widerstand gegen ihren Durchmarsch durch Deutschland, Organisierung von Aktionsausschüssen, um die imperialistische Front im Rücken zu erschüttern, allseitige Unterstützung der Roten Armee; breiteste Tätigkeit für die Kampfgemeinschaft der Arbeiterklasse und aller Werktätigen mit dem Land des sozialistischen Aufbaus, für die Solidarität mit der großen chinesischen Revolution und den anderen kolonialen Erhebungen gegen den bewaffneten Überfall der englischen und sonstigen Imperialisten; Unterstützung aller Kraftzentren der internationalen revolutionären Bewegung, aller Klassenkämpfe der Proletarier anderer Länder und aller Aktionen gegen den Imperialismus; Mobilisierung der Arbeiterschaft gegen den internationalen Faschismus und den weißen Terror.

35. Drittens: Organisierung des Kampfes gegen die Offensive des Kapitals.

Zusammenfassung aller Kräfte der Arbeiterklasse für diesen Kampf; größte Aktivität der Kommunisten bei den Auseinandersetzungen über die Tagesfragen in den Betrieben und energischste Initiative im täglichen Kleinkampf gegen die praktischen Auswirkungen der kapitalistischen Rationalisierung; im Vordergrund: der Kampf um die Arbeitszeit, den Arbeitslohn, [die] Arbeitsbedingungen und gegen Arbeitslosigkeit; klare Herausarbeitung und Verteidigung von konkreten Teilforderungen der Arbeiterschaft; Erläuterung der prinzipiellen kommunistischen Losungen an Hand der wirklichen Erfahrungen der Massen.

36. Viertens: Kampf für die sozialpolitischen Forderungen der Arbeiterschaft und aller Werktätigen.

a) Für die Arbeiter in den Betrieben: Kampf gegen Arbeitszeitverlängerung, Überstundenunwesen, Lohnherabsetzung, Akkordsystem, besonders gegen den Abbau der Akkordlöhne, Antreiberei, Verschärfung des Arbeitstempos, arbeiterfeindliche Anordnungen, Maßregelungen, Entlassungen, Kurzarbeit, Betriebsstillegungen; schärfster Kampf gegen den Raub des Streik- und Koalitionsrechts durch Zwangsschiedssprüche und Verbindlichkeitserklärungen; restlose Zurückeroberung des Achtstundentages in den Betrieben und der Siebenstundenschicht unter Tage; Erkämpfung der 42‑Stunden-Woche; Lohnerhöhungen in allen Industriezweigen, gleichen Lohn für gleiche Arbeit, Kampf für bessere Arbeitsbedingungen (Pausen, Urlaub usw.); Gleichstellung der land- und forstwirtschaftlichen Arbeiter mit den Industriearbeitern in allen arbeits- und sozialrechtlichen Fragen, gegen jede Beschränkung der Freizügigkeit und des Streikrechts.

b) Für die Erwerbslosen: gegen Erwerbslosenversicherung[63], Lohnklassenstaffelung, Beschränkung der Unterstützungsdauer, Pflichtarbeit[64], gegen jede Sonderregelung für land- und forstwirtschaftliche Arbeiter usw., für Wiedereinstellung in die Betriebe, restlose Aufrechterhaltung des Unterstützungssystems, Erhöhung der Unterstützungssätze, Sonderbeihilfen, Gewährung von Mietzuschüssen, Lebensmittel- und Kohlenlieferungen usw.

c) Für alle Werktätigen: Beseitigung aller Massensteuern (Lohnabzug, Umsatz-, Verkehrs-, Verbrauchs-, Hauszinssteuern), Erhöhung und progressive Staffelung der Besitzsteuern (Körperschafts-, Kapitalertrags-, Fusions-, Börsen-, Einkommen-, Vermögens- und Vermögenszuwachs-Erbschaftssteuer) unter Freilassung kleiner Vermögen bis 20.000 Mark und kleiner Einkommen bis 5000 Mark; Verhinderung jeder Steuerermäßigung für die Besitzenden und aller Subventionen für das Großkapital; Verbot aller Pfändungen und Zwangsvollstreckungen, Offenlegung der Steuerlisten, restlose Aufrechterhaltung des Mieterschutzgesetzes, Verbot jeder Mieterhöhung und planmäßiger Wohnungsbau auf Kosten der Besitzenden; Beseitigung der Schutzzölle.

d) Für das arbeitende Bauerntum: Kampf gegen die Ausplünderung der kleinen und mittleren Bauernschaft durch das Finanzkapital, den Großgrundbesitz und die Steuerpolitik des bürgerlichen Staates; Enteignung des Großgrundbesitzes und Zuteilung ausreichenden Bodens an die ärmeren Bauernschichten; wirksamen Pächterschutz, zinslose langfristige Staatskredite zur Erhaltung und Verbesserung der Klein- und Mittelbetriebe; sofortige ausreichende Hilfe an die unwetter- und seuchengeschädigten werktätigen Bauern; Befreiung der "Ackernahrung"[65] von allen Vermögens-, Grund-, Gewerbe-, Erbschafts- und Grunderwerbssteuern, Verhinderung jeder Pfändung und Zwangsvollstreckung von bäuerlichen Produktionsmitteln und des Zwangsverkaufs von Boden.

37. Fünftens: Kampf gegen die Regierung des Bürgerblocks, gegen Reaktion und Monarchismus. Aufrüttelung der gesamten Arbeiterklasse und der Werktätigen zum gemeinsamen Kampf gegen die Regierung des Bürgerblocks, gegen alle Koalitionsregierungen, gegen die staatliche Reaktion, den Unternehmerterror in den Betrieben, den wachsenden Betriebsfaschismus[66], die Vorstöße der monarchistischen und faschistischen Konterrevolution; Mobilisierung der gesamten Arbeiterklasse gegen den bayrischen Regierungsfaschismus, der in Bayern unsere Partei tatsächlich in die Illegalität gedrängt hat und dessen Methoden durch die Bürgerblockregierung immer mehr auf das gesamte Reich ausgedehnt und übernommen werden; stärkste Unterstützung des Kampfes der KP in Bayern um die Legalität vor allem in der Presse und in der gesamten Agitation; Kampf gegen Reichswehr, Polizei, Wehrverbände, schwarzweißrote Organisationen, Klassenjustiz, reaktionäre Bürokratie und Kulturschmach unter den Losungen: Säuberung der Behörden von allen Monarchisten, Miliz aus dem werktätigen Volke, Vernichtung der faschistischen Verbände, Entwaffnung der Bourgeoisie, Bewaffnung der Arbeiterklasse, entschädigungslose Fürstenenteignung, Amnestie für die proletarischen politischen Gefangenen.

38. Sechstens: schärfste Bekämpfung der Sozialdemokratischen Partei und Gewinnung der sozialdemokratischen Arbeitermassen. Konsequenter unerbittlicher Kampf gegen die rechte und "linke" SPD; Entlarvung ihrer verräterischen Politik in allen Lebensfragen der Arbeiterklasse, ihres reaktionären Kampfes gegen die Herstellung der proletarischen Einheitsfront, ihrer Mitschuld an allen Erfolgen der kapitalistischen Bourgeoisie im Kampf gegen das Proletariat, ihrer Untätigkeit gegen die Regierung des Bürgerblocks; Durchkreuzung des Doppelspiels der "linken" Führer durch Aufrollung praktischer Tagesforderungen, vor denen sie nicht ausweichen können, Enthüllung ihrer Scheinopposition; aktivste Förderung der revolutionären Arbeiteropposition in der SPD mit dem Ziel der Loslösung breiter Mitgliedermassen aus der Sozialdemokratischen Partei; direktes Herantreten an die sozialdemokratischen Arbeiter unter konsequenter Bekämpfung ihrer Illusionen und ohne Verwischen der politischen Gegensätze; Überzeugung der Massen von der Ehrlichkeit des kommunistischen Kampfes für die Einheitsfront, von der Bereitschaft der Kommunisten, auch in den kleinsten Brotfragen zusammen mit den sozialdemokratischen Arbeitern gegen die Bourgeoisie zu kämpfen; Entfaltung der Methoden der organisatorischen Verbindung zwischen KPD- und SPD-Arbeitern; Herantreten an die lokalen Organisationen der SPD; intensivste Unterstützung der begonnenen Fraktionsbildung des revolutionären Arbeiterflügels innerhalb der SPD, Ermutigung seiner oppositionellen Fraktionsarbeit.

39. Siebentens: Sammlung und Festigung der gesamten Linksbewegung der deutschen Arbeiter.

Sammlung aller revolutionären Tendenzen, Zusammenfassung aller Zwischenstufen und Übergangsformen, die als Resultat der Radikalisierung der deutschen Arbeiterklasse entstehen, zu einer mächtigen Linksbewegung, deren Schwerpunkt in einer breiten Massenopposition in den Gewerkschaften liegt. Die volle Aufmerksamkeit ist dabei zu richten nicht nur auf die Zweckmäßigkeit der zusammenfassenden Losungen und der anzuwendenden, bisher unzulänglichen organisatorischen Methoden, sondern vor allem auf die konkrete Weiterentwicklung der Taktik des richtigen Herantretens an die sich erst allmählich radikalisierenden Arbeiter, um sie durch die kommunistische Beeinflussung vom Banne der sozialdemokratischen und bürgerlichen Traditionen zu befreien.

1.  Umwandlung der Gewerkschaften in Industrieverbände,

2.  Kampf für die Besserung der wirtschaftlichen Lage der Arbeiterschaft, für Achtstundentag und Lohnerhöhung,

3.  gegen jede Arbeitsgemeinschaft und Koalitionspolitik,

4.  Einheitsfront der Arbeiter im Betrieb mit den Erwerbslosen,

5.  internationale Gewerkschaftseinheit, Solidarität mit der Sowjetunion.

6.  Kampf gegen den Imperialismus und [die] Kriegsgefahr.

40. Achtens: äußerste Verstärkung der Gewerkschaftsarbeit.

Festigung und Verbreiterung der Opposition gegen die Arbeitsgemeinschaftspolitik der reformistischen Gewerkschaftsspitzen, gegen die Abwürgung der Wirtschaftskämpfe, gegen die Verwandlung der freien Gewerkschaften in Hilfsorgane des Kapitals und Werkzeuge des imperialistischen Staates; Hauptforderung im Kampf gegen das Trustkapital: Reorganisation nach Industrieverbänden und Abschluß von Kampfbündnissen zwischen den großen Verbänden; Sammlung der Mitgliedschaft unter den Losungen: Einleitung breiter Abwehrkämpfe gegen die Verschlechterung der proletarischen Lebenshaltung und gegen den Raub des Koalitionsrechts, Massenstreiks, gestützt auf die englischen Erfahrungen, Zusammenfassung der Betriebsräte gegen das Trustkapital, Zurückeroberung des Achtstundentages und höhere Löhne, Unterstützung der Erwerbslosenbewegung, Anerkennung der Erwerbslosenbewegung, Anerkennung der Erwerbslosenausschüsse, Aufnahme der Erwerbslosen.

Kampf für die internationale Gewerkschaftseinheit; Forderung der Einberufung eines gemeinsamen Kongresses der Amsterdamer Internationale und der Roten Gewerkschaftsinternationale; Entlarvung und rücksichtslose Bekämpfung des Sabotagefeldzuges der Reformisten, insbesondere der deutschen Gewerkschaftsführer gegen die internationale Einheit; organisatorischer Ausbau der Einheitsbewegung. Bildung von Werbeausschüssen für die hundertprozentige freigewerkschaftliche Organisierung der Arbeiterschaft, schärfster Widerstand gegen die Ausschlüsse oppositioneller Arbeiter.

Enge Verbindung der Gewerkschaftsarbeit mit der politischen Gesamtarbeit der Partei; restloser Gewerkschaftsbeitritt aller Kommunisten.

Bessere und elastischere Durchführung der Fraktionsarbeit unter weitgehender Hinzuziehung der Sympathisierenden; Verlegung des Schwergewichts der kommunistischen Gewerkschaftsarbeit auf die Großbetriebe; Eroberung des unteren gewerkschaftlichen Vertrauenskörpers in den Betrieben; aktivste Beteiligung der Kommunisten am gesamten Gewerkschaftsleben; Ausmerzung aller opportunistischen Abweichungen der Kommunisten in den Gewerkschaften; Ausbildung geschulter, kampferfahrener kommunistischer Gewerkschafter, die das Vertrauen der Arbeiterschaft besitzen und zu ihrer Führung fähig sind.

41. Neuntens: Neubelebung der Betriebsrätebewegung.

Zusammenfassung der Betriebsräte nach Industriezweigen, Trusts und Bezirken ohne Rücksicht auf die Sabotage der Gewerkschaftsbürokratie; Erziehung der Betriebsräte zur Leitung des Abwehrkampfes gegen die Kapitaloffensive, Herstellung enger, ständiger Verbindung zwischen Betriebsräten und Erwerbslosenausschüssen.

Erweiterung der Rechte der Betriebsräte durch den unversöhnlichen Klassenkampf; erhöhte Aktivität der Kommunisten bei allen Betriebsrätewahlen.

42. Zehntens: Führung des Kampfes der Erwerbslosen.

Organisierung des Kampfes der Erwerbslosen für ihre Einreihung in den Klassenkampf der gesamten Arbeiterschaft, für ihren Zusammenschluß mit den freien Gewerkschaften, für den Kampf um die Durchsetzung ihrer Forderungen; entschlossene Abwehr aller Maßnahmen zur Verschlechterung ihrer Lage; Kampf gegen den reformistischen Verrat an den Erwerbslosen, der die Lohndrückerei und das Streikbrechertum fördert, ebenso wie gegen die anarchosyndikalistischen, ultralinken und sonstigen gewerkschaftsfeindlichen Tendenzen; stärkere Auswertung der Parlamentsarbeit für die Sache der Erwerbslosen; Ausbau der Erwerbslosenausschüsse in Verbindung mit den Betriebsräten und Gewerkschaften; Führung aller Massenaktionen gegen die Erwerbslosigkeit.

43. Elftens: Bündnis mit allen Werktätigen.

Aufrechterhaltung und Ausbau der Verbindungen mit allen werktätigen Volksschichten, Unterstützung ihres Kampfes gegen das Finanzkapital, feste Sicherung der proletarischen Hegemonie innerhalb des Bündnisses mit allen Werktätigen; energische Tätigkeit unter den Handwerkern, Gewerbetreibenden, Kleinhändlern, Sparern, Kleinrentnern, Kriegsopfern, Intellektuellen usw.; Schwergewicht auf die Arbeit unter den Beamten, in den Mietervereinigungen und Aufwertungsverbänden; Bekämpfung demokratischer Illusionen und antiproletarischer Forderungen.

Größere Aktivität für das Bündnis zwischen Arbeiterschaft und Bauerntum; Bildung kommunistischer Parteizellen auf dem Dorf; Unterstützung des Reichsbundes der Kleinbauern, verstärkte Arbeit in den Landarbeiter-, Kleinbauern-, Siedler- und Pächterorganisationen; Klassenkampf gegen Junker und Großbauern; Heranziehung der ärmeren Mittelbauern, Förderung der kleinbäuerlichen Opposition im Landbund, Bauernvereinen, Bauernbünden und landwirtschaftlichen Genossenschaften; Forderung der Enteignung des Großgrundbesitzes; Aufstellung und Vertretung der konkreten Kampflosungen der Werktätigen; Propaganda für die Arbeiter-und-Bauern-Regierung.

44. Zwölftens: Mobilisierung der Arbeitergenossenschaften.

Verstärkung der Aktivität der Partei in den Arbeiterkonsumvereinen für die Eingliederung in den Kampf gegen die Kapitaloffensive um die Verbesserung der Lebensexistenz der Arbeiterklasse und für den Sturz der kapitalistischen Herrschaft; Organisierung aller Kommunisten in den Arbeiterkonsumvereinen, Verstärkung der genossenschaftlichen Fraktionsarbeit, systematische genossenschaftliche Tätigkeit der Betriebs- und Straßenzellen, Vollendung des Fraktionsaufbaus; Propaganda für die Stärkung und den Ausbau der Arbeitergenossenschaften, Zuführung neuer Mitglieder usw. usw.

45. Dreizehntens: Stärkung der sympathisierenden proletarischen Massenorganisationen.

Richtige Einschätzung der außerordentlichen Bedeutung des Roten Frontkämpferbundes als Kampfinstrument der Arbeiterklasse, Stützpunkt der proletarischen Einheitsfront und Kräftereservoir für die Kommunistische Partei; gesteigerte Arbeit für die Ausbreitung und die innere Festigung des RFB, der RJ und des RFMB; Verlegung des Schwergewichts dieser Organisationen in die Betriebe zum Kampf gegen den wachsenden Betriebsfaschismus; Entwicklung der propagandistischen Tätigkeit und der politischen Aktivität dieser Organisationen unter Einschränkung der äußerlichen mechanischen Agitation; schärfster Kampf gegen das Reichsbanner bei systematischer Anwendung der Einheitsfronttaktik gegenüber seinen proletarischen Mitgliedern; Unterstützung der IAH und IRH[67]; unbedingte Verschärfung der Parteikontrolle über die Kommunisten in allen parteilosen Massenorganisationen und straffste Durchführung der Fraktionsarbeit.

46. Vierzehntens: erhöhte Tätigkeit unter der proletarischen Jugend und den proletarischen Frauen.

Tatkräftigste Unterstützung der kommunistischen Jugendbewegung; Verteidigung der Forderungen der Jugend in den Gewerkschaften, in der Öffentlichkeit, in den Parlamenten usw.; engste Verbindung mit der kommunistischen Jugend in der praktischen Arbeit.

Durch die Rationalisierungspolitik der deutschen Bourgeoisie wächst die Rolle der jugendlichen Arbeiterschaft innerhalb des Produktionsprozesses. Die Fordisierung und Taylorisierung[68] der Betriebe ermöglicht den Unternehmern, mehr als bisher die billige Arbeitskraft der Jugendlichen, besonders der ungelernten Arbeiter, auszunutzen, sie als Lohndrücker gegen die gesamte Arbeiterschaft zu gebrauchen. Die Rechtlosigkeit der Jungarbeiter und die Politik der reformistischen Gewerkschaftsführer, die die Interessen der Jugendlichen vollkommen außer acht lassen, erleichtern den Unternehmern die Durchführung ihrer Politik, die auf die Herabdrückung des Lebensniveaus der Gesamtarbeiterschaft und die Differenzierung der Fachausbildung zum Zwecke der Züchtung einer Betriebsaristokratie und Herabdrückung des Niveaus der breiten Arbeitermassen gerichtet ist.

Stärkere Aufmerksamkeit für die proletarische Frauenbewegung (RFMB, Frauendelegiertensystem); Unterstützung ihres wirtschaftlichen und politischen Kampfes, Vertretung ihrer Forderungen; viel aktivere Hilfe der Gesamtpartei, vom ZK bis zur letzten Parteiorganisation, als bisher für die kommunistische Arbeit unter den Frauen; stärkere Unterordnung der gesamten Frauenarbeit unter die allgemeine politische Arbeit der Partei und stärkere Verlegung des Schwergewichts auf die Gewinnung der Industriearbeiterinnen als bisher.

XI. Der Kampf um die leninistische Linie der Partei

47. Mit dem 11. Parteitag der KPD beginnt eine neue Phase des Kampfes um die leninistische Linie der Partei. Die Bolschewisierung der KPD, d. h. ihre Umwandlung in eine bis zu Ende revolutionäre, bolschewistische Massenpartei, hat seit dem Offenen Brief wesentliche Fortschritte gemacht. Die letzten Jahre standen im Zeichen des schärfsten innerparteilichen Kampfes zur Überwindung der rechten und ultralinken Abweichungen. Der 11. Parteitag konstatiert den vollständigen geistigen und politischen Sieg des leninistischen Standpunktes in der KPD gegen alle Oppositionsversuche, den Bankrott der ultralinken Strömungen, die als Träger "moskaufeindlicher" Stimmungen im Proletariat die "moskaufeindlichen" Tendenzen der deutschen Bourgeoisie widerspiegeln und aus ihren kominternfeindlichen, antibolschewistischen Auffassungen die gleichen praktisch-politischen Schlußfolgerungen gezogen haben wie Kautsky. Die verschiedenen ultralinken Gruppierungen versuchten, die Partei durch den unverhüllten Bruch mit den bolschewistischen Organisationsprinzipien, durch die Anwendung fraktioneller, spalterischer Kampfmethoden, durch die offene Mißachtung aller Parteibeschlüsse, durch die dauernde Verletzung der Parteidisziplin zu desorganisieren. Eine Reihe ultralinker Führer (Katz[69], Schwarz[70], Korsch, Maslow, Ruth Fischer, Urbahns, Scholem[71] u. a.) wurden wegen ihrer konterrevolutionären Handlungen aus der Partei ausgeschlossen. Sie haben sich inzwischen ausnahmslos zu bewußten Renegaten des Kommunismus entwickelt und betreiben zusammen mit der Sozialdemokratie das schändliche Handwerk des Verrats an allen revolutionären Bewegungen der ganzen Welt (Sowjetunion, chinesische Revolution, englischer Streik, Komintern, KPD). Durch eine Reihe von Zwischenstufen stehen die ausgeschlossenen Parteifeinde auch weiterhin in ideologischer und politischer, teilweise sogar in organisatorischer Verbindung mit den Überresten der ultralinken Opposition innerhalb der KPD. Der Hauptkampf muß gegen die schwankende, kleinbürgerliche Politik der Weber-Gruppe[72] und der Kötter-Gruppe[73] gerichtet werden, die auch weiterhin den Standpunkt der ausgeschlossenen Feinde des Kommunismus innerhalb der Partei vertreten. Der 11. Parteitag fordert das ZK auf, diese Gruppen politisch zu zerschlagen und die Liquidierung jeder Fraktionsarbeit mit besonderer Strenge durchzuführen. Die Partei muß auch künftig den entschiedensten Kampf gegen alle kleinbürgerlich-opportunistischen Abweichungen, mögen sie offen mit einer rechten Plattform auftreten oder sich hinter linken Phrasen verbergen, rücksichtslos fortsetzen.

48. Die gegenwärtige Entwicklung des Klassenkampfes in Deutschland stellt an die Partei immer größere und kompliziertere Anforderungen. Angesichts der imperialistischen Kriegsgefahr und der reaktionären Vorstöße der Bourgeoisie muß die Partei ihre Reihen fester und fester zusammenfügen. Sie muß die absolute Einheitlichkeit und Festigkeit ihrer Führung sichern und den lebendigen Zusammenhang der gesamten Parteiarbeit mit der Kommunistischen Internationale und dem EKKI verstärken. Die Konzentration der Partei, d. h. die Kampfgemeinschaft aller aktiven Verteidiger der revolutionär-marxistischen Linie der Komintern gegen den Opportunismus von rechts und von links, muß ohne Rücksicht auf frühere Gruppierungen und fraktionelle Reminiszenzen vollendet werden. Gleichzeitig ist die Festigung des Organisationsapparats der Partei, die breite Durchführung der Parteidemokratie, die Schaffung kollektiver proletarischer Leitungen in allen Organisationen, die zweckmäßige Verteilung der Parteikräfte, die beschleunigte Herausbildung neuer führender kommunistischer Arbeiterkader aus den Großbetrieben notwendig.

49. Besondere Aufmerksamkeit muß die Partei der Hebung ihres theoretischen Niveaus zuwenden. Jeder Kommunist muß sich der Tatsache bewußt werden, daß die KPD die einzige Erbin jener großen Traditionen des wissenschaftlichen Marxismus und der revolutionären Vergangenheit der deutschen Arbeiterbewegung ist, die von der heutigen Sozialdemokratie schmählich preisgegeben worden sind. Die Kommunistische Partei muß das ständig wachsende Bedürfnis der Arbeiterklasse nach der Verallgemeinerung ihrer Erfahrungen und der wissenschaftlichen Begründung ihrer Aufgaben erfüllen. "Ohne revolutionäre Theorie [...] keine revolutionäre Bewegung" (Lenin)[74]. Die Partei muß ihre tagtägliche Arbeit durch aktives theoretisches Denken befruchten, wenn sie nicht in leeres Agitatorentum verfallen will. Nur die angestrengteste kollektive theoretische Arbeit gibt der Partei die Möglichkeit, die gewaltigen Erfahrungen der deutschen Revolutionsjahre für den proletarischen Klassenkampf nutzbar zu machen, die widerspruchsvollen Tendenzen der kapitalistischen Stabilisierung im Lichte der Leninschen Theorie des Imperialismus zu begreifen, den Einfluß der bürgerlichen Ideologie, alle Formen des sozialdemokratischen Reformismus und die kleinbürgerlich-ultralinken "Lehren" durch die schärfste Polemik zu bekämpfen, die Strategie und Taktik der Partei auf Grund der tatsächlichen Kampferfahrungen zu überprüfen und aus ihrer Selbstkritik die richtigen praktischen Schlüsse zu ziehen. Nur durch diese theoretische Arbeit vermag die Partei aus den Fehlern der Vergangenheit Lehren für die Zukunft zu ziehen, das Kraftbewußtsein ihrer Mitglieder zu erhöhen und ihre führende Rolle unter den Massen zu sichern. Das ZK muß die notwendigen Maßnahmen zur Verstärkung der theoretischen Parteiarbeit treffen (einheitliche Zusammenfassung der Parteigeschichte, kritische Untersuchung der Fehler vom Oktober 1923, Einrichtung einer jährlich stattfindenden Parteischule, Ausbau der "Internationale" zu einer wirklich führenden marxistisch-leninistischen Zeitschrift, Erweiterung des Elementarunterrichts, Propagandaarbeit in den Zellen).

50. Die politische Linie der Partei ist eine richtige. Es genügt aber nicht, daß die Partei im allgemeinen eine richtige Linie verfolgt, sondern zur Erfüllung ihrer Aufgaben ist es notwendig, daß 1. diese Linie wirklich von allen Organisationen aktiv, unter praktischer Berücksichtigung aller Einzelheiten der konkreten örtlichen Verhältnisse durchführt und die Durchführung von den leitenden Parteiorganen genau kontrolliert wird; daß 2. die Richtigkeit der Parteilinie nicht nur den Kommunisten, sondern der gesamten Arbeiterschaft begreiflich gemacht wird, denn ohne das Vertrauen der Arbeitermassen ist die beste revolutionäre Politik zum Scheitern verurteilt. Die Partei muß tiefer in die proletarischen Massen eindringen, fester in den Betrieben und in allen Arbeiterorganisationen, ganz besonders in den Gewerkschaften Wurzel fassen. Sie muß ihre Anstrengungen auf die Eroberung der wichtigsten Industriezentren, der ausschlaggebenden Produktionszweige (Metall, Bergbau, Chemie, Verkehr), der entscheidenden Großbetriebe konzentrieren. Sie darf nicht den leisesten Versuch einer opportunistischen Trennung der Tagesforderungen von den revolutionären Zielen des Kommunismus zulassen. Sie muß in der gegenwärtigen Situation, die keinen unmittelbar revolutionären Charakter trägt, jederzeit auf eine Beschleunigung des Tempos der revolutionären Entwicklung gerüstet sein. Der 11. Parteitag bildet den Übergang von den Parteidiskussionen der Vergangenheit zur verstärkten revolutionären Massenarbeit, zur Organisierung der herannahenden Massenkämpfe, in denen die Kommunistische Partei Deutschlands ihre Probe bestehen muß als das Sprengungselement der kapitalistischen Stabilisierung, als die Avantgarde der deutschen Arbeiterklasse, als die künftige Führerin der proletarischen Diktatur.

 

 

 

 

 

Fußnoten



[1].     [321ignition] Die Fußnoten sind von uns, unter Verwendung von eventuellen in der Quelle enthaltenen Fußnoten, formuliert.

[2].     Die Thesen wurden gegen acht Stimmen angenommen.

[3].     Wladimir I. Lenin: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus (April 1917). In: Werke, Band 22; Berlin, Dietz Verlag, 1972; S. 196:

Auf dem Boden des durch den Krieg hervorgerufenen Ruins in der ganzen Welt erwächst somit die weltweite revolutionäre Krise, die, welch lange und schwere Wandlungen sie auch durchmachen mag, nicht anders enden kann als mit der proletarischen Revolution und deren Sieg.

[4].     Großbritannien, Bergwerke, 1925-1926.

In Großbritannien kündigen die Bergwerkseigentümer am 30. Juni 1925 an, dass sie die Löhne der Bergarbeiter senken werden. Infolge des Widerstandes seitens der Nationalen Bergarbeitergewerkschaft (National Union of Mineworkers), unterstützt vom Gewerkschaftskongress (Trades Union Congress, TUC), der einzigen zentralisierten Gewerkschaftsorganisation, die mit der Labour Party verbunden ist, beschließt die Regierung von Stanley Baldwin (Conservative Party) einzugreifen und bewilligt die zur Aufrechterhaltung des Lohnniveaus erforderlichen Mittel für einen Zeitraum von neun Monaten. Sie bildet eine Kommission unter dem Vorsitz von Herbert Samuel (einer der Führer der Liberal Party), die mit der Untersuchung der Lage des Bergbaus beauftragt ist und ihren Bericht im März 1926 veröffentlicht. Sie schließt die Idee einer Verstaatlichung aus, empfiehlt die Einstellung der Subventionen, und dass die Löhne der Bergarbeiter tatsächlich gesenkt werden. Gleichzeitig ändern die Bergwerkseigentümer über die Lohnsenkungen hinaus die Beschäftigungsbedingungen in allgemeinerer Weise, insbesondere durch eine Verlängerung des Tagesarbeitszeit und die Festsetzung der Lohnsätze nach Bezirken; sie geben bekannt, dass, wenn die Bergarbeiter diese Beschlüsse nicht vor dem 1. Mai akzeptieren, sie eine Aussperrung durchführen werden.

Am 1. Mai verkündet der TUC einen Aufruf zum Streik für den 4. Mai und nimmt Verhandlungen auf, in der Hoffnung im Voraus eine Einigung zu erzielen. Seit dem Tod des TUC-Generalsekretärs Fred Bramley im Oktober 1925 übt Walter Citrine die Funktion vorläufig aus, er wird dann im September 1926 offiziell zum Generalsekretär ernannt. Ramsay MacDonald, der Vorsitzende der Labour Party, nimmt gegen die Auslösung eines Generalstreiks Stellung. Die Verhandlungen scheitern. Der TUC wendet die Methode an, zuerst die Arbeiter in bestimmten Schlüsselbereichen in Streik treten zu lassen ‑ Eisenbahnen, Transportmittel, Häfen, Druckereien, Bauwesen, Stahlindustrien. Am 7. Mai nimmt Samuel mit dem TUC Verbindung auf. Ohne sich mit den Bergarbeitern abzustimmen, einigen sich die TUC-Vertreter mit Samuel auf die Bedingungen, unter denen als Gegenleistung für eine Weiterführung der Verhandlungen der Streik abgebrochen werden könnte. Die Bergarbeiter lehnen die Vereinbarung ab, der Generalrat des TUC bestätigt sie aber am 11. Mai und erklärt den Streik für beendet. Die Regierung übernimmt jedoch nicht die Bedingungen der Vereinbarung.

Am 21. Juni lässt die Regierung ein Gesetz verabschieden, das die Aussetzung des Gesetzes über den Sieben-Stunden-Tag für Bergarbeiter (Miners' Seven Hours Act) für eine Dauer von sieben Jahre erklärt, womit die Rückkehr zum achtstündigen Arbeitstag genehmigt wird. So bestätigen die Bergwerkseigentümer im Juli die angekündigten Maßnahmen. Die Bergarbeiter setzen den Streik fort, sind jedoch gezwungen, schrittweise zur Arbeit zurückzukehren; viele von ihnen werden gemaßregelt und bleiben arbeitslos.

In der Folge verabschiedet die Regierung 1927 das Gesetz über Handelsstreitigkeiten und Gewerkschaften (Trade Disputes and Trade Unions Act), das sowohl Generalstreike als auch Solidaritätsstreike verbietet und den öffentlichen Beamten den Beitritt zu Gewerkschaften, die dem TUC angeschlossen sind, untersagt.

[5].     Guomindang oder Kuomintang ("Nationalistische Partei").

Im Laufe des Jahres 1911 greift die 1905 durch Sun Yat‑sen gegründete Revolutionäre Allianz (Zhongguo geming Tongmenghui, d. h. Vereinigte revolutionäre Liga Chinas, kurz Tongmenghui) aktiv in die Entfaltung der Agitation ein, die sich gegen das kaiserliche Regime richtet und zu dessen Zusammensturz führt. Am 29. Dezember wählen Vertreter der verschiedenen Provinzen Sun Yat‑sen als Präsidenten der Republik. Im Februar 1912 gelingt es Yuan Shikai, der vom Kaiserhof beauftragt ist, die Revolten zu unterdrücken, den jungen Kaiser Puyi zur Abdankung zu bewegen; eine in Nanjing (Nanking) stattfindende Versammlung ernennt Yuan Shikai zum Präsidenten der Republik. Die Tongmenghui gestaltet sich zur Guomindang um, die als Programm die “Drei Prinzipien des Volkes” formuliert: Nationalismus, Volksrecht, Volkswohl *. Jedoch bewirken 1913 Aufstände die Auflösung der Guomindang durch das Regime. 1914 bemächtigt sich Japan der deutschen Konzessionen in China (Qingdao, in der Provinz Shandong) und zwingt China 1915 sein Protektorat auf. Yuan Shikai stirbt 1916, für China beginnt eine lange Periode von Kämpfen zwischen den republikanischen Oberhäuptern und den Generalen. Im nördlichen China stehen sich die Dujun (“Kriegsherren”) als Rivalen in bewaffneten Konflikten, die bis 1927 andauern, gegenüber: Zhang Zuolin, Gouverneur der Mandschurei, Cao Kun, Gouverneur der Provinz Zhili (heute ungefähr Hebei entsprechend), usw.

1921 wird in Shanghai die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) gegründet, die im darauffolgenden Jahr sich der Kommunistischen Internationale anschließt. 1922 wird Sun Yat‑sen in Guangzhou (Kanton) zum Präsidenten der Republik ernannt. Er setzt sich das Ziel, angesichts der zwei feindlichen Faktionen, deren eine von Japan, die andere von Großbritannien unterstützt wird, das ganze südliche China wiederzuerobern und Beijing (Peking) einzunehmen. Ab 1923‑1924 erhält er die Unterstützung durch die UdSSR, und die Guaomindang akzeptiert das Prinzip der Einheitsfront, das die Eingliederung der Kommunisten in die Guaomindang mit sich bringt. Nach dem Tode Sun Yat‑sens 1925 findet eine Spaltung innerhalb der Guaomindang statt zwischen einerseits einer Fraktion um Wang Jingwei und Song Qingling (Witwe Sun Yat‑Sens) und andrerseits der von Jiang Jieshi (Chiang Kai‑shek) geführten. 1926 gewinnt Jiang Jieshi die Oberhand und schließt die Kommunisten aus den führenden Organen aus. Er organisiert eine “Nordexpedition” mit dem Ziel, die von verschieden Gouverneuren beherrschten Provinzen zurückzugewinnen. Am 12. April 1927 wird eine von der KPCh angetriebene Erhebung der Arbeiter von Shanghai durch die Armee Jiang Jieshis unterdrückt, das Massaker verursacht Tausende Opfer. Nanjing wird Sitz der Regierung der Guomintang unter Jiang Jieshi. Die Kommunisten verlieren ihre städtischen Basen, Mao Zedong, Zhou Enlai und Zhu De bilden eine Volksbefreiungsarmee, die sich in den Bergen der Provinz Hunan und später Jiangxi sammelt. 1928 marschiert Jiang Jieshi nach Norden und zieht im Juni in Beijing ein, das zur Hauptstadt bestimmt wird.

        * “Drei Prinzipien des Volkes” (chinesisch “Sanmin zhuyi”, “min” bedeutet Volk, Bürger): Nation (minzu), Demokratie (minquan), Wohlfahrt (minsheng).

[6].     "Kampf gegen den  Weltimperialismus" [Anmerkung in "Dokumente und Materialien..."]: Im Original "Kampf des".

[7].     Vertrag von Versailles, 1920.

Um den Friedenszustand mit Deutschland wiederherzustellen, versammeln sich die siebundzwanzig Alliierten oder Beteiligten Siegermächte (tatsächlich zweiunddreißig, insofern Großbritannien im Namen Kanadas, Australiens, Südafrikas, Neuseelands und Indiens spricht) zur Friedenskonferenz in Paris, vom 18. Januar 1919 bis zum 10. August 1920; bei diesen Verhandlungen werden außerdem die vier Nebenverträge von Saint‑Germain-en‑Laye, Trianon, Neuilly-sur‑Seine und Sèvres ausgearbeitet.

In der Praxis werden die Arbeiten dominiert durch ein Direktorium mit vier Mitgliedern: Georges Clemenceau für Frankreich, David Lloyd George für Großbritannien, Vittorio Emanuele Orlando für Italien, Thomas Woodrow Wilson für die USA. Der Pakt des Völkerbundes wird in den Text des Friedensvertrags in der Form einer Präambel integriert.

Die hauptsächlichen Gebietsklauseln betreffen die Rückgabe Elsass-Lothringens an Frankreich, die Verwaltung des Saargebiets vorerst durch den Völkerbund auf Dauer von fünfzehn Jahren und dann die Organisierung einer Volksabstimmung, sowie die Organisierung einer anderen von Deutschland und Polen geforderten Volksabstimmung in Schleswig und in Schlesien. Toruń (vormalig Thorn) wird an Polen abgetreten; Danzig (heute Gdansk) wird eine unter Kontrolle des Völkerbundes verwaltete Freistadt, und der Korridor von Danzig, der Polen einen Zugang zum Meer sichert, isoliert so Ostpreußen von den anderen Gebieten Deutschlands. Die Sudetendeutschen werden in die Tschechoslowakei integriert. Auch verzichtet Deutschland auf alle seine Kolonien, und zwar zugunsten der Alliierten Mächte, wobei der Völkerbund beauftragt wird, gewissen dieser Mächte ein Mandat zu erteilen.

Nach Abschaffung des Wehrdienstes wird das Deutsche Heer auf 100.000 Mann (gegen 400.000 Anfang 1919) reduziert, und die Marine auf 15.000. Die Herstellung neuen Kriegsmaterials (Unterseeboote, Schwergeschütze und Panzer) wird verboten, die Kriegsflotte beschlagnahmt und die Festungsbauten müssen unter Kontrolle der Reparationskommission zerstört werden. Als Übergangsmaßnahme muss Deutschland 20 Milliarden Goldmark zahlen, bis dann die Reparationskommission den Betrag der zur Deckung der Kriegsschäden bestimmten Reparationen festsetzt.

Um die Durchführung der Vertragsklauseln zu garantieren, sollen das linke Rheinufer sowie drei Brückenköpfe am rechten Ufer (höchstens) fünfzehn Jahre lang durch die Alliierten Mächte besetzt bleiben, das Rheinland wird entmilitarisiert, und Deutschland muss seine Verantwortung bezüglich der durch den Krieg verursachten Schäden anerkennen.

[8].     Deutsche Arbeiterdelegation in die UdSSR, 1925 und 1926.

Vom 14. Juli bis zum 28. August 1925 weilt die erste deutsche Arbeiterdelegation in der UdSSR. Sie besteht aus 58 Delegierten (29 Mitglieder der SPD, 17 der KPD, 12 Parteilose). Der Leningrader Sowjet, Gewerkschafts- und Parteifunktionäre sowie Deputierte der Roten Armee und der Flotte veranstalten am Abfahrtstag der Delegation eine Abschiedskundgebung, auf der der Delegationsleiter, Xaver Freiberger (SPD), die von allen Delegationsmitgliedern unterzeichnete Deklaration verliest.

Vom 27. Juli bis zum 15. September 1926 weilt die zweite deutsche Arbeiterdelegation in der UdSSR. Sie besteht aus 67 Delegierten(45 Mitglieder der SPD, 8 der KPD, 5 der Christlich-Sozialen Reichspartei).

[9].     Großbritannien, Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit der UdSSR, 1927.

Im Rahmen der Verschärfung der Antisowjethetze in Großbritannien, mit der der Abbruch der diplomatischen Beziehungen zur UdSSR vorbereitet wird, verbreitet die englische Zeitung Manchester Guardian am 3. Dezember 1926 eine Meldung über angebliche Granatenlieferungen der UdSSR an die deutsche Reichswehr, die sofort von der Presse der SPD aufgegriffen wird. Am 23. Februar 1927 richtet der Außenminister Großbritanniens, Joseph Austen Chamberlain, eine Note an die Regierung der UdSSR, in der er wegen angeblicher antibritischer Propaganda der Sowjetunion mit der Annullierung des britisch-sowjetischen Handelsvertrages und dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen droht. Großbritannien bricht die diplomatischen Beziehungen tatsächlich am 27. Mai ab, sie werden am 3. Oktober 1929 wieder aufgenommen.

[10].    Józef Piłsudski.

Piłsudski befehligte zu Beginn des Ersten Weltkriegs eine polnische Brigade innerhalb der österreichisch-ungarischen Armee, trat dann aber auf die Seite der gegnerischen alliierten Mächte. Er proklamierte die Republik am 11. November 1918 in Warschau und wurde vom Landtag als Staatsoberhaupt bestätigt. 1923 zog er sich aus dem öffentlichen Leben zurück, übernimmt aber am 12. Mai 1926 durch einen Staatsstreich die Macht. Er vereint die Funktionen des Staatsoberhauptes, des Premierministers und des Kriegsministers und setzt seine persönliche Macht ein; er behält bestimmte Erscheinungen einer parlamentarischen Demokratie bei, regiert aber auf autoritäre Weise. Im Oktober 1927 wird eine Organisation gebildet, in der sich mehrere kleine Parteien, konservative und katholische Gruppen, Vertreter der Industrie, aus der Polnischen Sozialistischen Partei (Polska Partia socjalistyczna, PPS) hervorgegangene Fraktionen sowie Bauernparteien, Berufsverbände, soziale und kulturelle Vereinigungen und viele Einzelpersonen zusammenschließen. Sie wird als Überparteilicher Block für die Zusammenarbeit mit der Regierung (Bezpartyjny Blok Współpracy z rządem, BBWr) bezeichnet; dieser Block fördert ein "Sanierungs"-Programm (auf Polnisch: "Sanacja") des politischen Lebens. 1930 übernimmt eine Militärjunta die Regierung, die Führer der Oppositionsparteien wurden festgenommen. Piłsudski stirbt 1935.

[11].    Litauen, Staatsstreich 1926.

Im 18. Jahrhundert bestand zunächst ein Doppelstaat Polen-Litauen, der aber im Laufe wiederholter Machtkämpfe zwischen Russland, Preußen und Österreich zerstückelt wurde (Verträge von 1772, 1793 und 1795). Litauen befand sich so unter russischer Herrschaft.

1904 entwarfen litauische Professoren der katholisch-theologischen Akademie in St. Petersburg das Programm der "Litauischen Christlichen Demokratischen Allianz". Es richtete sich auf Freiheit für Litauen aus. Nach Umwandlung der zaristischen Autokratie in eine konstitutionelle Monarchie mit der Reichsduma als Volksvertretung konnten sich baltische Politiker an der Legislative beteiligen. Die Christliche Demokratische Allianz war auf dem Wilnaer Landtag 1905 vertreten, wo die Autonomie Litauens proklamierte wurde, was allerdings unerfüllt blieb. Mit dem 1. Weltkrieg wurde das Land von den Deutschen besetzt. Nach Kriegsende wurde im Versailler Vertrag die Unabhängigkeit Litauens erklärt. Die Unterzeichnung der Verfassung und die Erklärung zur Republik Litauen erfolgten 1920. Die Christlich-Demokraten, seit 1917 offiziell als "Christlich Demokratische Partei Litauens" konstituiert, gewinnen 1920 im christlich-demokratischen Block (mit dem "Bauernbund" und der "Arbeitsföderation") 52 % der Mandate und haben im Parlament zunächst eine hegemoniale Stellung inne. Als die Christdemokraten bei den Parlamentswahlen 1926 die Mehrheit verlieren, übernimmt das Bündnis aus Sozialdemokraten, der linksliberalen Partei der Volkssozialisten und den Vertretern der nationalen Minderheiten die Regierung. Die Armeeführung missbilligt die Beteiligung der polnischen Volksgruppe an der Regierung und stürzt in der Nacht vom 16. auf den 17. Dezember 1926 die politische Führung durch einen Militärputsch. Die Christdemokraten und die rechte Splittergruppe der Nationalisten ("Tautininkai") bilden eine neue Regierung. Der Führer der Tautininkai, Antanas Smetona, wird zum Staatspräsidenten gewählt. Der Kriegszustand wird verhängt. Wenige Monate später kommt es zu einem Streit zwischen den Christdemokraten und den Nationalisten. Gestützt auf die Armee löst Smetona im April 1927 das Parlament auf. Er erlässt 1928 eine neue Verfassung, die dem Staatspräsidenten eine sehr starke Stellung einräumt.

[12].    Internationaler Gewerkschaftsbund (genannt “Amsterdamer Gewerkschaftsinternationale”).

1901 wird in Kopenhagen eine Versammlung von Vertretern der Gewerkschaftszentralen von Norwegen, Schweden, Finnland, Dänemark, Deutschland, Frankreich und Belgien abgehalten. Ein weiteres Treffen folgt 1903, und es wird ein internationales Sekretariat mit Carl Legien als Sekretär gegründet. 1913 wird die Bezeichnung Internationaler Gewerkschaftsbund (IGB) angenommen. Der 1. Weltkrieg führt zu der den kriegerischen Bündnissen entsprechenden Spaltung. 1919 wird der IGB wiedergebildet. Eine erste Versammlung wird im Februar 1919 in Bern abgehalten, mit Juli-August wird der Sitz in Amsterdam eingerichtet. Der IGB wird von der neuen Internationalen Arbeitsorganisation anerkannt. Die Aufnahme der Gewerkschaften der Sowjetunion zum IGB wird verweigert. Die amerikanische AFL tritt schließlich 1937 in den IGB ein.

[13].    Cf. Fußnote 9 .

[14].    Vertrag von Locarno, 1925.

Am 5. Oktober 1925 beginnt in Locarno eine internationale Konferenz über europäische Sicherheitsfragen, an der neben Reichskanzler Hans Luther - der 1927 der Deutschen Volkspartei (DVP) beitritt - und Außenminister Gustav Stresemann (DVP) die führenden Staatsmänner Italiens, Frankreichs, Großbritanniens, Belgiens, Polens und der Tschechoslowakei teilnehmen. Am 16. werden Verträge abgeschlossen, welche ein europäisches Sicherheits- und Friedenssystem begründen sollen. Deutschland, Frankreich und Belgien verzichteten auf eine gewaltsame Veränderung ihrer Grenzen. Die im Vertrag von Versailles (cf. Fußnote 7 ) festgelegte deutsche Westgrenze wird vom Deutschen Reich ebenso bestätigt wie die Entmilitarisierung des Rheinlands. Großbritannien und Italien übernehmen die Garantie, bei einer Vertragsverletzung der jeweils geschädigten Seite zu Hilfe zu kommen.

Zudem wird auf der Konferenz der Beitritt Deutschlands zum Völkerbund verabredet, welcher am 10. September 1926 erfolgt. Eine Anerkennung der deutsch-polnischen Grenze kommt in Locarno hingegen nicht zustande, Deutschland behält sich ausdrücklich die Möglichkeit einer Revision seiner Ostgrenze offen.

[15].    Vertrag von Rapallo, 1922.

Anlässlich einer 1922 in Genua stattfindenden internationalen Wirtschaftskonferenz kommt es in Rapallo, unweit des Konferenzorts Genua, zu Sonderverhandlungen der deutschen Regierung mit der sowjetrussischen Delegation. Die Verhandlungen führen am 16. April 1922 zu einem für die Westmächte überraschenden Vertragsabschluss des Deutschen Reichs mit Sowjetrussland. Mit dem von Reichskanzler Joseph Wirth und Außenminister Walther Rathenau unterzeichneten Abkommen nimmt Deutschland seine 1918 abgebrochenen diplomatischen Beziehungen zu Sowjetrussland wieder auf. Beide Seiten verzichten gegenseitig auf Ersatz der Kriegskosten und der Kriegsschäden. Damit wird der Artikel 116 des Vertrags von Versailler hinfällig, der Russland Aussicht auf deutsche Reparationen eröffnet hatte. Im Gegenzug verzichtet Deutschland auf alle Ansprüche für das durch russische Verstaatlichungsmaßnahmen betroffene deutsche Eigentum.

Der Vertrag bietet der deutschen Seite die Möglichkeit, die Beziehungen zu Sowjetrussland zu verbessern. Beide Staaten wollen damit ihre internationale Isolierung durchbrechen. Bei den Westmächten löst er jedoch die Furcht vor einer allgemeinen Erschütterung der Versailler Nachkriegsordnung aus, insbesondere die Existenz Polens sehen sie in Frage gestellt. Tatsächlich befürwortet vor allem die Führung der Reichswehr unter General Hans von Seeckt eine gemeinsame militärische Aktion mit Sowjetrussland, um Polen zu liquidieren und die deutsche Ostgrenze von 1914 wiederherzustellen. Entgegen den Befürchtungen der Alliierten und den Hoffnungen der politischen Rechten in Deutschland begründet der Vertrag jedoch kein gegen die Westmächte und Polen gerichtetes deutsch-russisches Bündnis.

[16].    Deutschland, Ruhrbesetzung, 1923.

        1921:

24.‑29. Januar: In Paris findet eine Konferenz der Alliierten Sieger-Mächte zur Frage der Wiedergutmachung statt.

21. Februar: In London beginnt eine Konferenz der Alliierten Sieger-Mächte zur Frage der Wiedergutmachung. 3. März: Im Rahmen der Konferenz fordern die Alliierten Sieger-Mächte unter Androhung von Sanktionen, dass die deutsche Regierung die auf der Januar-Konferenz in Paris festgelegten Bestimmungen akzeptiert oder einen angemessenen Gegenvorschlag vorlegt. Die Bundesregierung lehnt ab. 7. März: Die Verhandlungen zwischen den Alliierten Sieger-Mächte und Deutschland werden abgebrochen. 8. März: Truppen der Alliierten Sieger-Mächte besetzen die Rhein-Häfen Duisburg, Duisburg-Ruhrort, Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen). Mit der Besetzung wird die Grenze zwischen den besetzten Gebieten (Rheinland) und dem Rest des Reichsgebiets zur Zollgrenze. Die deutschen Gebiete am linken Rheinufer werden von Truppen der Alliierten Sieger-Mächte besetzt, sowie die Brückenköpfe Mainz, Koblenz und Köln. Nichtsdestoweniger bleibt die Souveränität des deutschen Staates erhalten. Die Alliierten Sieger-Mächte lassen die französische Verwaltung und die französischen Gerichte ihre Arbeit fortsetzen, unterwerfen sie jedoch der Kontrolle durch die Militärbehörden, die befugt sind, Dekrete zu erlassen, während die Dekrete des Reiches oder Preußens der Zustimmung der Besatzungsbehörden unterliegen.

27. April: Die Reparationskommission setzt die Höhe der Reparationen auf 132 Milliarden Goldmark fest. 29. April bis 5. Mai: In London findet eine Konferenz der Alliierten Sieger-Mächte statt. Deutsche Gegenvorschläge werden abgelehnt, die Gespräche abgebrochen. 5. Mai: Die Alliierten Sieger-Mächte stellen ein Ultimatum, das die rasche Ausführung des Friedensvertrages (Abrüstung) und die Annahme der Wiedergutmachungsbestimmungen fordert. Wenn eine Milliarde nicht vor 25 Tagen bezahlt wird, drohen sie, das Ruhrgebiet zu besetzen. 11. Mai: Der Reichstag beschließt mit 220 gegen 172 Stimmen, den von der Londoner Konferenz am 5. Mai festgelegten Reparationsplan anzunehmen. 26. Dezember: Die Alliierten Sieger-Mächte stellen gegen die Stimme des Vertreters Englands eine vorsätzliche Nichterfüllung der Holzlieferungen Deutschlands fest und teilen dies den betroffenen Regierungen mit.

        1923:

10. Januar: In Bezugnahme auf die Feststellung vom 26. Dezember 1922 kündigen die französische und die belgische Regierung ihre Absicht an, das Ruhrgebiet zu besetzen. 11. Januar: Französische und belgische Truppen marschieren in Essen und Gelsenkirchen (Nordrhein-Westfalen) ein. In den folgenden Tagen wird die Besetzung auf Bochum und Dortmund (Nordrhein-Westfalen) ausgedehnt.

Im Rahmen der Definition des Rheinland-Statuts durch den Vertrag von Versailler war die Haute commission interalliée des territoires rhénans (Internationale Rheinland-Oberkommission, HCITR) geschaffen worden, die sich aus Kommissaren der Alliierten Sieger-Mächte zusammensetzte; die HCITR wurde mit der Festlegung der Besatzungspolitik beauftragt. Es ist eine zivile Einrichtung, der die Militärbehörden im Rheinland unterstellt sind. Sie kann sowohl für die Besatzungstruppen als auch für die deutsche Verwaltung verbindliche Dekrete erlassen. Der Einzug der Truppen in das Ruhrgebiet erfolgt unter der Schirmherrschaft der Mission Interalliée de Contrôle des Usines et des Mines (MICUM). Die MICUM setzt sich aus Ingenieuren zusammen, die von der HCITR, von Ministerien und von der Privatindustrie delegiert wurden, ist jedoch unabhängig von der HCITR.

        1924:

16. Juli: In London beginnt eine Konferenz der Alliierten Sieger-Mächte, ohne Anwesenheit Deutschlands. Eine deutsche Delegation wird erst ab dem 2. August eingeladen. Sie trifft am 5. ein, unter der Leitung von Bundeskanzler Wilhelm Marx (Zentrum), Außenminister Gustav Stresemann (DVP) und Finanzminister Hans Luther (ohne Partei). Das Hauptthema ist der Dawes-Plan (cf. Fußnote 19 ), der tatsächlich angenommen wird. Es wird eine Vereinbarung erreicht, wonach die französischen und belgischen Truppen das Ruhrgebiet innerhalb eines Jahres verlassen werden. Die Konferenz endet am 16. August. Der Dawes-Plan tritt am 1. September in Kraft. Was das Ruhrgebiet betrifft, stellt die MICUM ihre Arbeit am 21. Oktober ein; die requirierten Bergwerke sowie die Autorität im Zollbereich werden am 28. an Deutschland zurückübertragen und dann am 16. November die Eisenbahnverwaltung.

        1925:

31. Juli: Französische und belgische Truppen schließen die am 14. Juli begonnene Evakuierung aus dem Ruhrgebiet ab. Die am 11. Januar 1923 unternommene Besetzung wird damit beendet. 25. August: Die alliierten Machttruppen evakuierten die seit dem 8. März 1921 besetzten Rheinhäfen Duisburg, Duisburg-Ruhrort, Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen).

[17].    Hugo Stinnes.

1892 gründet Stinnes die Hugo Stinnes GmbH, deren Tätigkeit in der Verarbeitung und dem Handel von Kohle besteht. 1898 ist er einer der Hauptgründer der Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk AG (RWE). Im selben Jahr gründet er zusammen mit August Thyssen (Vater von Fritz Thyssen) die AG Mülheimer Bergwerksverein. 1901 gründet er die Deutsch-Luxemburgische Bergwerks‑ und Hütten AG (Deutsch-Luxemburg), in Bochum. 1902 erwirbt er gemeinsam mit August Thyssen die Mehrheit der Anteile an der RWE, deren Aufsichtsratsvorsitzender er wird. 1910 erwirbt die Deutsch-Luxemburg nach anderen Transaktionen die Dortmunder Union AG und wird zu einem der größten deutschen Unternehmen im Bergbau.

1913 bildet er mit Alfred Hugenberg und Emil Kirdorf eine "Dreierkommission", die parallel zur offiziellen Leitung des Centralverbandes Deutscher Industrieller (CDI) handelt.

1920 gründet Stinnes zusammen mit Albert Vögler die Rhein-Elbe-Union GmbH als Zusammenschluss der Deutsch-Luxemburg, der Gelsenkirchener Bergwerks AG (GBAG) von Essen, und des Bochumer Vereins für Bergbau und Gußstahlfabrikation. Gleichzeitig bildet die Rhein-Elbe-Union eine Interessengemeinschaft mit der Siemens-Gruppe im Rahmen der zu diesem Zweck in Düsseldorf gegründeten Siemens-Rhein-Elbe-Schuckert-Union GmbH. 1926 wird mit der Bildung der Vereinigten Stahlwerke AG (VStAG) die Rhein-Elbe-Union GmbH noch erweitert durch die Einbeziehung folgender Unternehmen: 1. Thyssen-Gruppe, von Duisburg-Hamborn (Aktiengesellschaft für Hüttenbetrieb, von Meiderich; Gewerkschaft August-Thyssen-Hütte; Gewerkschaft Friedrich Thyssen; Gewerkschaft Lohberg; Gewerkschaft Rhein I; Firma Thyssen & Co, von Mülheim/Ruhr); 2. Phoenix, Aktien-Gesellschaft für Bergbau und Hüttenbetrieb, von Dortmund-Hörde; 3. Vereinigte Stahlwerke van der Zypen und Wissener Eisenhütten AG, von Köln-Deutz; 4. Rheinische Stahlwerke, von Essen.

1920 tritt Stinnes der DVP bei.

Stinnes stirbt 1924. Im folgenden Jahr zieht sich Edmund, einer seiner Söhne, aus der Stinnes-Gruppe zurück und lässt sich seine Erbschaftsanteile in Geldform übertragen. Die Stinnes-Gruppe sieht sich bald finanziellen Schwierigkeiten ausgesetzt. 23 Banken, die Anteile halten, verkaufen diese. Die Teilnahme an Deutsch-Luxemburg wird von einer angloamerikanischen Gruppe übernommen und Deutsch-Luxemburg wird in Kürze in die VStAG integriert. Die Teilnahme an der RWE wird vom preußischen Staat übernommen. 1926 schließt die Familie Stinnes eine Vereinbarung mit US-Banken, und das verbleibende Vermögen wird an zwei amerikanische Holdinggesellschaften, Hugo Stinnes Industries Inc. und Hugo Stinnes Corp., übertragen.

[18].    Wladimir I. Lenin: Der Imperialismus als höchstes Stadium..., op. cit.; S. 295.

[19].    Dawes‑Plan.

Am 1. September 1924 tritt der nach dem amerikanischen Bankier Charles Dawes genannte Dawes‑Plan in Kraft. Durch ein Expertenkomitee in London angenommen, legt er die Höhe der durch Deutschland auf Grund des Vertrags von Versailles schuldigen Kriegsreparationen fest und sieht deren Zahlung in Form einer Anleihe und von Steuern vor, sowie die schrittweise Evakuierung der Ruhr durch die französischen und belgischen Truppen.

[20].    Verhandlungen Deutschland-Frankreich, Thoiry, September 1926.

Der deutsche Außenminister Gustav Stresemann und der französische Außenminister Aristide Briand beraten am 17. September 1926 in Geheimverhandlungen in Thoiry (Frankreich) über schwebende wirtschaftliche und politische Fragen (Rückgabe des Saargebietes an Deutschland, Beendigung der Besetzung des Rheinlandes und andere) mit dem Ziel einer Verständigung zwischen dem deutschen und dem französischen Imperialismus. Dafür sollte die deutsche Regierung Frankreich bei der Sanierung seiner Finanzen durch Verkauf deutscher Eisenbahnobligationen unterstützen. Die Verhandlungen, die in nationalistischen Kreisen Frankreichs Empörung hervorriefen, führten auch auf Grund der Intervention der britischen Regierung zu keinem Abkommen; sie trugen jedoch zur weiteren Verschärfung der Gegensätze zwischen den imperialistischen Mächten in Europa bei.

[21].    Durchmarschbestimmungen der Völkerbundssatzung.

Der Artikel 16 der Völkerbundssatzung legte Maßnahmen für den Fall fest, dass ein Staat einen Angriffskrieg entfesselte, ohne jedoch den Begriff "Angriffskrieg" zu definieren. Nach diesem Artikel hatten alle Bundesmitglieder sämtliche Beziehungen zu dem betreffenden Land abzubrechen und mit ihren Streitkräften "zu der bewaffneten Macht beizutragen [...], die den Bundesverpflichtungen Achtung zu verschaffen bestimmt ist". Vor allem waren die Bundesmitglieder verpflichtet, "den Streitkräften eines jeden Bundesmitgliedes, das an einem gemeinsamen Vorgehen zur Wahrung der Bundesverpflichtungen teilnimmt, den Durchzug durch ihr Gebiet zu ermöglichen". Der Artikel 17 legte in Ergänzung dazu fest, dass bei Streitfragen mit beziehungsweise unter Nichtmitgliedern jeder Staat, der Nichtmitglied ist, aufgefordert werden sollte, sich allen den Mitgliedern obliegenden Verpflichtungen sowie der Entscheidung des Völkerbundsrates zu unterwerfen. Lehnte der betreffende Staat ab und wurde in einen Krieg gegen ein Bundesmitglied verwickelt, so sollte Artikel 16 gegen ihn in Kraft treten.

[22].    Regierungen des "Bürgerblocks", 1925-1927.

Der DNVP war es durch das Wahlversprechen, für eine volle Aufwertung der durch die Inflation entwerteten Kriegsanleihen und Sparguthaben einzutreten, gelungen, Millionen Angehörige der ruinierten Mittelschichten zu gewinnen. Sie bildet im Januar 1925 gemeinsam mit DVP, BVP und Zentrum die erste Bürgerblockregierung, das Kabinett Luther. Diese Regierung legt am 26. März Gesetzentwürfe zur Aufwertungsfrage vor. In ihnen sind vor allem für die Kleinguthaben minimale Aufwertungssätze (von 2,5 bis 12,5 Prozent), bei Hypotheken dagegen von 25 (statt bisher 15) Prozent vorgesehen. Die ersteren stehen überdies nur auf dem Papier, da sie nicht vor 1940 abgehoben werden können. Die Aufwertungsgesetze, die in diesem Sinne im Juli verabschiedet werden, legalisieren die Umverteilung des Volksvermögens zugunsten des Großkapitals und fixieren die Ausplünderung der Mittelschichten durch Kriegsanleihen und Inflation endgültig.

Am 17. Dezember 1926 tritt das dritte Kabinett Marx (DDP, BVP, Zentrum, DVP) zurück. Wilhelm Marx, abermals mit der Regierungsbildung beauftragt, versucht zunächst, eine Regierung der Großen Koalition zu bilden. Während die SPD-Führung ihre Bereitschaft dazu erklärt, lehnt die DVP ab. Daraufhin beauftragt der Reichspräsident Paul von Hindenburg Marx mit der Bildung einer Regierung aus Vertretern des Zentrums, der DVP und der DNVP, die am 28. Januar zustande kommt.

[23].    Wladimir I. Lenin: Der Imperialismus als höchstes Stadium..., op. cit.; S. 229.

[24].    Wladimir I. Lenin: "Der Imperialismus und die Spaltung des Sozialismus". In: Werke, Band 23; Berlin, Dietz Verlag, 1972; S. 103. Lenin schreibt: "Viertens “will das Finanzkapital nicht Freiheit, sondern Herrschaft”. Politische Reaktion auf der ganzen Linie ist eine Eigenschaft des Imperialismus." Er zitiert dabei Rudolf Hilferding. Vgl. W. I. Lenin: "Über eine Karikatur auf den Marxismus". In: Werke, Bd. 23; Berlin, Dietz Verlag, 1972; S. 34. Dort schreibt Lenin: "“Das Finanzkapital will nicht Freiheit, sondern Herrschaft”, sagt Rudolf Hilferding völlig richtig in seinem “Finanzkapital”."

[25].    Preußen, Kirchenkonkordat 1929.

Zur Zeit der Weimarer Republik finden zwischen dem Vatikan und den Länderregierungen jahrelange Verhandlungen über Konkordate statt. Das Konkordat mit Preußen wird am 14. Juni 1929 zum Abschluss gebracht; in ihm wird unter anderem festgelegt, die finanziellen Zuwendungen des preußischen Staates an die katholische Kirche erheblich zu erhöhen.

[26].    Reichsschulgesetz.

1925 war ein Schulgesetzentwurf zurückgezogen worden. 1927 wird ein unter der Verantwortung von Reichsinnenminister Walter von Keudell (DNVP) ausgearbeiteter Entwurf veröffentlicht und im Oktober im Reichstag in erster Lesung beraten. Er zielt darauf ab, die Bekenntnisschule, in der der gesamte Unterricht mit den Grundsätzen der betreffenden Religionsgemeinschaft in Übereinstimmung zu stehen hat, zur Regel zu erheben. Damit wird das Verfassungsprinzip der Schulhoheit des Staates angegriffen. Der Entwurf wird bereits in erster Lesung abgelehnt. Auch die DDP und Teile der DVP greifen ihn wegen seines offen klerikalen Charakters an. Das trägt zum Zerfall der Bürgerblockregierung Marx bei, die seit Januar im Amt ist (cf. Fußnote 22 ).

[27].    Einladung Silverbergs.

Gemeint ist wahrscheinlich das Auftreten des rheinischen Industriellen Paul Silverberg auf der Tagung des Reichsverbandes der Deutschen Industrie am 3. und 4. September 1926. In seiner Rede fordert Silverberg sowohl die politische Mitarbeit und Mitverantwortung der SPD in der Regierung als auch die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften. Theodor Leipart (seit 1921 Vorsitzender des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes, ab 1922 auch stellvertretender Vorsitzender des Internationalen Gewerkschaftsbundes) nimmt zu dieser Rede in einem Interview Stellung, in dem er die Haltung Silverbergs - wenn auch mit Vorbehalt - begrüßt.

http://histmove.ouvaton.org/pag/chr/pag_009/de/docu_1926_02_04_Silverberg.htm

 

[28].    Eduard Bernstein über "Endziel" und "Bewegung".

Die Anspielung bezieht sich auf einen Text von Bernstein aus 1898.

"Der Kampf der Sozialdemokratie und die Revolution", 2. Teil; In: Die Neue Zeit, 16. Jahrgang 1897-98, 1. Bd.(1898), H. 18, S. 548 - 557.

[http://library.fes.de/cgi-bin/neuzeit.pl?id=07.02887&dok=1897-98a&f=189798a_0548&l=189798a_0557]

Auszug:

[...]

Ich gestehe es offen, ich habe für das, was man gemeinhin unter "Endziel des Sozialismus" versteht, außerordentlich wenig Sinn und Interesse. Dieses Ziel, was immer es sei, ist mir gar nichts, die Bewegung alles. Und unter Bewegung verstehe ich sowohl die allgemeine Bewegung der Gesellschaft, d. h. den sozialen Fortschritt, wie die politische und wirthschaftliche Agitation und Organisation zur Bewirkung dieses Fortschritts.

Die Sozialdemokratie hat also danach den baldigen Zusammenbruch des bestehenden Wirthschaftssystems, wenn es als Produkt einer großen verheerenden Geschäftskrisis gedacht wird, weder zu gewärtigen, noch zu wünschen. Was sie zu thun, und noch auf lange hinaus zu thun hat, ist, die Arbeiterklasse politisch zu organisieren und zur Demokratie auszubilden, und für alle Reformen im Staate zu kämpfen, welche geeignet sind, die Arbeiterklasse zu heben und das Staatswesen im Sinne der Demokratie umzugestalten. [...]

Mehr darüber hier: Eduard Bernstein über "Endziel" und "Bewegung" ►.

[29].    Rudolf Hilferding.

Hilferding wurde in Österreich geboren. 1901 tritt er der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs (SDAPÖ) bei. 1906 übernimmt er eine Tätigkeit als Wirtschaftslehrer an der SPD-Parteischule in Berlin. 1907 wird er Chefredakteur des SPD-Organs Vorwärts. 1910 veröffentlicht er die Studie "Das Finanzkapital". Im August 1914 unterzeichnet er einen Aufruf der Herausgeber des Vorwärts, um zu protestieren, dass die SPD-Fraktion im Parlament die Kriegskredite genehmigt hat. 1917 verlässt er die SPD und tritt der USPD bei. Er wird Chefredakteur des Organs dieser Partei, Freiheit. Nach den Aufstandsbewegungen vom November 1918 ernennt ihn der Rat der Volksbeauftragten, der nach dem Fall der Monarchie als provisorische Regierung eingesetzt wurde, zu einem Mitglied der Kommission zur Sozialisierung. 1919 erhält er die deutsche Staatsangehörigkeit. 1921 nimmt er am Gründungskongress einer internationalen Gruppierung teil, die sich offiziell "Internationale Arbeitsgemeinschaft sozialistischer Parteien" nennt, aber allgemein als "Internationale 2 ½" bezeichnet wird. 1922 lehnt er eine Annäherung der USPD an die KPD ab und setzt sich für die Fusion der USPD mit der SPD ein. Von August bis Oktober 1923 ist er Finanzminister in der Regierung von Gustav Stresemann (DVP). 1925 erarbeitet er gemeinsam mit Karl Kautsky das SPD-Programm, das auf dem Kongress dieses Jahres in Heidelberg verabschiedet wird. Von Juni 1928 bis Dezember 1929 ist er erneut Finanzminister in der von Hermann Müller (SPD) geführten Regierung der Großen Koalition. 1931 verteidigt er innerhalb der SPD die Position der Toleranz gegenüber der Minderheitsregierung von Heinrich Brüning.

Die Beobachtung eines angeblichen "realistischen Pazifismus" ist unter anderem in einem Artikel Hilferdings aus dem Jahre 1924 enthalten.

Rudolf Hilferding: "Realistischer Pazifismus"; Die Gesellschaft, Jahrgang 1924, 2. Band, Heft 8; Berlin, J. H. W. Dietz Nachf., S. 97-114

Auszug [S. 110-112]:

[...] In diesem Zusammenhang kommt es darauf an, die Bedeutung der Demokratie für eine Politik des realistischen Pazifismus zu untersuchen. Man spricht so oft von "bürgerlicher" Demokratie. Gewiß, die Grundlagen für das Ideengebäude der modernen Demokratie sind von den Denkern des dritten Standes gelegt worden. In der geschichtlichen Wirklichkeit aber ist in den großen, kapitalistischen Staaten die Demokratie von der fortschreitenden Arbeiterbewegung erkämpft worden, und Lassalle hatte recht, als er die Idee des allgemeinen Wahlrechts, das er nur allzusehr mit Demokratie identifizierte, der Arbeiterklasse zurechnete. Die Verwirklichung der Demokratie beginnt erst in neuester Zeit. Erst kurz vor dem Krieg ist in England die Macht des House of Lords gebrochen, erst während des Krieges das Wahlrecht zum Unterhaus wirklich allgemein geworden. Zur Demokratie gehört aber nicht nur Gleichheit des Wahlrechts, Preß- und Versammlungsfreiheit; sie erfordert, um ihre Leistungen vollbringen zu können, die Selbstverwaltung, die außerhalb der angelsächsischen Welt noch recht unvollständig sich entfaltet hat, und die das wichtigste Mittel ist, die Selbstherrlichkeit des bureaukratischen Apparates zu beschränken und seine Unterordnung unter den demokratischen Staatswillen zu gewährleisten. Die Demokratie verlangt ebenso die Unterordnung des militärischen Willens unter den zivilen, also die Ueberwindung dessen, was im eigentlichen Sinne Militarismus heißt. Demokratie ist aber nur möglich, wenn ihre Träger vorhanden sind: politisch aktionsfähige, geschulte, verantwortungsbewußte, organisierte Massen. Denn ohne diese werden die demokratischen Institutionen allerdings zu bloßen Formen, die bonapartistisch oder oligarchisch mißbraucht werden. Statt über die Mängel der Demokratie zu klagen, ist deshalb Befreiung der Demokratie von ihren Mängeln die politische Aufgabe. Im Kampf um die Demokratie und vor allem durch die Betätigung in der Demokratie können erst ihre Träger funktionstüchtig werden. Denn die demokratische Selbstregierung weckt einerseits das Interesse an den gesellschaftlichen Problemen und stärkt das Klassenbewußtsein, schafft aber zugleich eine staatliche Organisation, in der die Klassengegensätze am ehesten ohne gewaltsame Eruption ausgetragen werden können. Denn zweierlei bewirkt die demokratische Verfassung: einmal werden die politischen Stärkeverhältnisse der Klassen ständig gemessen und diese Kenntnis der Kräfte bedeutet und erleichtert ihre Berücksichtigung; sodann setzen sich diese Kräfte unmittelbar um in die Bildung des Staatswillens, der in der Demokratie nur die Resultante des Willens der Staatsbürger ist, als solcher sich erst bildet, nicht als Wille einer von der Masse abgesonderten, anders bestimmten Herrschaftsorganisation ihr von außen entgegentritt. Dabei darf nicht übersehen werden, daß auf die politische Willensbildung all die sozialen Beziehungen und Abhängigkeiten einwirken, die aus der ökonomischen Organisation der Gesellschaft stammen. Aber deren Ausschaltung erfordert Aenderung der ökonomischen Organisation und ist nicht als Mangel der politischen Verfassung zuzurechnen.

So stehen wir erst am Anfang der demokratischen Entwicklung. Ihr wesentliches Merkmal ist die Plastizität, Biegsamkeit oder Anschmiegsamkeit der demokratischen Staatsmacht an die wechselnden Kräfteverhältnisse der sozialen Klassen im Gegensatz zur relativen Starrheit anderer Regierungssysteme. Das bedeutet zugleich, daß, so sehr sich innerhalb der staatlichen Herrschaftsorganisation das Interesse der kapitalistischen Schichten noch durchsetzt, doch bei der Bildung des Staatswillens der politische Einfluß der breiten Massen immer stärker und im Gegensatz zu früher unmittelbarer einwirkt. Dies um so mehr, als zugleich mit der Aenderung des politischen Systems die Stärke und das Machtbewußtsein vor allem der Arbeiterklasse gewachsen ist.

Wir haben gesehen, wie nach dem Kriege die Machtpolitik gerade der wichtigsten Staaten nicht im Sinne kriegerischer Auseinandersetzungen wirkt, wir haben feststellen können, daß auch innerhalb der Staaten starke kapitalistische Schichten vor allem an der Wiederherstellung der politischen Sicherheit und damit ihrer Betätigungsmöglichkeit interessiert sind. Mit diesem Interesse verbindet sich das der breiten Bauern- und Arbeitermassen, der Träger der Demokratie. Angesichts dieser Konstellation kann unsere Losung nicht sein: der Kapitalismus ist der Krieg, der Sozialismus ist der Friede. Wir müssen die Situation, die vielleicht - nur ökonomisch gesehen - eine vorübergehende wäre, dazu benützen, um sie durch Verwendung der politischen Macht zu einer definitiven zu gestalten. Und wir können das, weil innerhalb der Demokratie der Staatswille in steigendem Maße beeinflußt werden kann durch den politischen Willen der organisierten Arbeiterbewegung.

[...]

[30].    Alte Sozialdemokratische Partei.

Am 10. Oktober 1923 in Sachsen und am 16. Oktober in Thüringen werden Landesregierungen gebildet, denen unter Führung von SPD-Ministerpräsidenten (Erich Zeigner in Sachsen, August Frölich in Thüringen) jeweils zwei Vertreter der KPD als Minister angehören.

Siehe dazu:

- das von der Bezirksleitung Groß-Thüringen der KPD am 11. September 1923 formulierte Programm zur Bildung einer Arbeiter- und Kleinbauern-Regierung in Thüringen ►, und

- das vom Landesvorstand Sachsen der KPD am 29. September 1923formulierte Programm zur Bildung einer sozialdemokratisch-kommunistischen Regierung in Sachsen ►.

Als diese sächsische Regierung einem Ultimatum des Reichskanzlers Stresemann vom 27. Oktober, innerhalb von 24 Stunden zurückzutreten, nicht nachkommt und auch nicht daran denkt, die Kommunisten aus der Regierung zu entlassen, entheben Reichspräsident und Reichskanzler ‑ gestützt auf Art. 48 der Verfassung ‑ am 29. Oktober 1923 die verfassungsmäßige Regierung Sachsens ihres Amtes und setzen einen Reichskommissar ein. Erst als Reichsregierung und Reichswehr sich weigern, auch gegen das Kahr-Lossow-Regime in Bayern * vorzugehen, entscheiden sich die sozialdemokratischen Minister schließlich dazu, das Kabinett zu verlassen; der Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) bleibt im Amt.

Die schon von jeher links von der Reichspartei stehende sächsische Parteiorganisation wird 1923 zur Massenbasis der entstehenden Linksopposition in der SPD. Nach der kurzlebigen Minderheitsregierung Alfred Fellisch (SPD), die nach 6 Wochen ihre Tolerierung durch die DDP verliert, beschließt eine knappe Mehrheit der Landtagsfraktion am 4. Januar 1924, unter Max Heldt (SPD) eine Koalitionsregierung mit den DDP und der DVP zu bilden. Das geschieht zwei Tage vor einem außerordentlichen Parteitag, von dessen Zustimmung ‑ nach einem Parteitagsbeschluss vom 2. Dezember 1923 ‑ die Bildung einer jeglichen Koalitionsregierung abhängig ist. Am 6. Januar 1924 missbilligt der Landesparteitag den Disziplinbruch der 25 Landtagsabgeordneten, fordert den Rücktritt des Ministerpräsidenten Heldt sowie die sofortige Auflösung des Landtags und erklärt gegen 3 Stimmen, daß die SPD in Sachsen an der Regierung Heldt nicht beteiligt sei. 23 Landtagsabgeordnete beharrten ‑ mit Billigung des Parteivorstandes in Berlin ‑ auf ihrem Standpunkt und begeben sich damit in Gegensatz zur gesamten sächsischen Parteiorganisation. Dieser Gegensatz wird von beiden Seiten mit den schärfsten Mitteln in der Öffentlichkeit ausgetragen. Alle Einigungsversuche auf den Reichsparteitagen 1924 in Berlin und 1925 in Heidelberg scheitern. Nach wechselvollen Kämpfen erklären im April 1926 die sächsischen Parteiinstanzen den Ausschluss der 23 Anhänger der Regierung im Landtag aus der SPD aus, und gründen im Juli unter Wilhelm Buck und Karl Bethke die Alte Sozialdemokratische Partei Sachsens (ASPS). Der Versuch, diese Partei zu einer Konkurrenzpartei der SPD auch im Reichsgebiet zu entwickeln (ASPD) scheitert; sie löst sich 1932 auf.

        * Bayern, Kahr-Lossow.

Am 26. September 1923 verhängt die bayerische Regierung den Ausnahmezustand und ernennt den früheren Ministerpräsidenten von Kahr zum Generalstaatskommissar mit faktisch diktatorischer Vollmacht. Dieser treibt sogleich den Konflikt mit Berlin zum Höhepunkt. Er setzt die Vollzugsverordnung des Republikschutzgesetzes (1922) für Bayern außer Kraft, zieht den Chef der Landespolizei Hans von Seißer an sich und unterstellte sich den von Berlin abgesetzten Landeskommandanten der Reichswehr, Otto von Lossow. So verpflichtet er sich die Reichswehr für Bayern; sie soll die Grenze gegen Thüringen - wo Kommunisten an der Regierung teilnehmen (cf. Fußnote 30 ) ‑ sichern. Kahr selbst sucht die nationalen Verbände um sich zu sammeln, jedoch nicht zu einem Putsch gegen Berlin, sondern um Berlin zum Handeln zu bringen.

[31].    Kongress der Werktätigen, 1925‑1926.

Ab November 1925 entwickelt die KPD eine Kampagne, die darauf abzielt, das gesamte Vermögen der ehemals regierenden Fürsten ohne Entschädigung zu enteignen (cf. Fußnote 43 ). Die Kampagne zielt grundlegend darauf ab, Einheitskomitees ins Leben zu bringen, die neben den von der KPD angeführten Arbeitern in erster Linie sozialdemokratische Arbeiter organisieren sollen, sowie auch andere unter der kapitalistischen Gesellschaft leidende Schichten. Es gelingt, ein Volksentscheid-Verfahren einzuleiten, jedoch kommt es nicht zur Annahme des vorgelegten Gesetzentwurfes. Um die Bemühungen zur Einheitsfront weiterzutreiben, beschließt die KPD, einen "Kongress der Werktätigen" zu organisieren. Im September 1926 wird ein "Reichsausschuss der Werktätigen" eingerichtet, der die Mobilisierung für den Kongress koordinieren soll und in dem die KPD entscheidend vertreten ist. Der Reichskongress der Werktätigen findet vom 3. bis 5. Dezember 1926 in Berlin statt. Er wählt einen Reichsausschuss der Werktätigen, dem 8 Mitglieder der KPD, 4 der SPD und 5 Vertreter anderer Parteien und Organisationen angehören. Nach der Beendigung des Kongresses beschließt das Politische Büro des ZK der KPD die Fortführung der Kampagne im Sinne der Hauptforderungen des Kongresses: "Kampf gegen die kapitalistische Rationalisierung, Achtstundentag und Lohnerhöhung".

[32].    "Erkämpfung" [Anmerkung in "Dokumente und Materialien..."]: Im Original "Verweigerung".

[33] .   Organisation "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold".

Die Organisation "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold" ist eine Massenorganisation der SPD, die 1924 von dieser Partei, zusammen mit der Zentrumspartei, der Deutschen Demokratische Partei (DDP) und einigen kleinen Parteien, gegründet wurde. Grundlage des Reichsbanners ist der Wille, die Republik vor den Aktivitäten der äußersten Rechten und auch der KPD zu schützen. Präsident von der Gründung bis 1931 ist Otto Hörsing (SPD). Ab 1867 hatten die schwarz-weiß-roten Farben die Flagge des Norddeutschen Bundes gebildet, sie dienten dann von 1871 bis 1919 sowie von 1933 bis 1945 als Farben des Deutschen Reiches. 1919 entschied die Weimarer Nationalversammlung, dass die Nationalfarben Schwarz-Rot-Gold waren, aber die monarchistischen, konservativen und nationalsozialistischen Gruppen trugen weiterhin die Schwarz-Weiß-Rot-Farben.

[34] .   Roter Frontkämpferbund.

Am 31. Mai 1924 findet in Halle ein Treffen der KPD-Zentrale statt. Am 11. Mai hatten mit der DVFP und der NSDAP verbundene Wehreinheiten für einen "deutschen Tag" in dieser Stadt mobilisiert. Die Kommunisten hatten sich vorgenommen, den Marsch zu stören, die Polizei hatte das Feuer eröffnet und 8 Todesopfer und 16 Schwerverletzte verursacht. Die KPD-Zentrale kommt zum Schluss, eigene Wehreinheiten zu bilden, die die Arbeiterbewegung vor Angriffen der Polizei oder der äußersten Rechten schützen können. Es wird beschlossen, eine solche Organisation unter dem Namen "Roter Frontkämpferbund" (RFB) zu gründen. (Die bisher gebildeten, aber verbotenen, proletarischen Hundertschaften benützten schon die Bezeichnung als "Frontkämpfer"). Um den Bau des RFB schrittweise durchzuführen, werden zunächst die Gebiete Halle-Merseburg und Groß-Thüringen ausgewählt. Die erste Gruppe des RFB wird im Juli 1924 in Hildburghausen in Thüringen gebildet, eine zweite im selben Monat in Halle, dann andere im August in Chemnitz sowie in Dresden und im September in Leipzig. Am 1. Februar 1925 findet in Berlin die 1. Konferenz des RFB auf nationaler Ebene statt. Sie ernennt Ernst Thälmann zum Vorsitzenden, Willi Leow zum Stellvertreter. Am 21. Mai findet in Berlin die 2. Konferenz statt, am 3. Juni 1927 die 3. Im Juli 1925 wird in Nürnberg ein Treffen zur Gründung des RFB in Bayern einberufen, das jedoch von den Behörden verboten wird. Erst am 2. April 1928 hebt das Reichsgericht das Verbot der lokalen Gruppe aus Dortmund auf, und in der Folge können Einheiten des RFB in Bayern geschaffen werden. Am 3. Mai 1929, im Zusammenhang mit den von der KPD am 1. Mai organisierten Demonstrationen, beschließt die preußische Regierung die Auflösung des RFB, die Maßnahme wird am 6. Mai durchgeführt. In den folgenden Tagen wird die Organisation auch in Bayern, Sachsen, Hamburg, Lippe-Detmold und Mecklenburg-Strelitz verboten; andere Regionalregierungen zögern. Carl Severing (SPD), Innenminister Preußens im Rahmen einer von Otto Braun (SPD) geführten regionalen Koalitionsregierung, ersucht darum, dass ein Verbot des RFB auf nationaler Ebene beschlossen werde. Nach Abhaltung am 10. Mai einer Konferenz der regionalen Innenminister wird dieses Verbot verlautet. Somit ist der RFB gezwungen, dauerhaft in den Untergrund zu gehen.

[35].    Roter Frauen- und Mädchenbund (RFMB).

Ende November 1925 bildet die KPD eine proletarische Frauenorganisation, den Roten Frauen- und Mädchenbund (RFMB),

[36].    Internationalen Arbeiterhilfe (IAH), 1921‑1935.

Im Sommer 1921 wird Sowjetrussland von einer Hungersnot heimgesucht. In dieser Situation erlässt Lenin am 6. August 1921 einen "Appell an das internationale Proletariat":

[...] Hilfe tot not. Die Sowjetrepublik der Arbeiter und Bauern erwartet diese Hilfe von den Werktätigen, von den Industriearbeitern und kleinen Landwirten. Die Massen der einen wie der anderen werden selbst vom Kapitalismus und  Imperialismus überall unterdrückt, aber wir sind überzeugt, daß sie trotz ihrer eigenen schweren Lage, die sich aus der Arbeitslosigkeit und der wachsenden Teuerung ergibt, unserem Appell Gehör schenken werden. [...]

[In: Lenin, Werke, Band 32; Berlin, Dietz Verlag, 1982; S. 526.]

Mit der Koordination dieser internationalen Solidaritätskampagne wird Willi Münzenberg. Nach der Einrichtung eines Büros in Berlin ruft Münzenberg die schon aktiven Hilfskomitees sowie Gewerkschaften, Arbeiterparteien, Intellektuelle und Künstler dazu auf, sich einem "Auslandskomitee zur Organisierung der Arbeiterhilfe für die Hungernden in Rußland" anzuschließen. Am 12. August 1921 konstituierte sich dieses Komitee in Berlin provisorisch. Den Gründungsaufruf unterzeichnen neben Kommunisten wie Clara Zetkin auch Wissenschaftler, Künstler und Schriftsteller wie Käthe Kollwitz, Albert Einstein, Maximilian Harden, Heinrich Vogeler, George Grosz, Martin Andersen Nexö, Anatole France und Henri Barbusse. Hilfstransporte für Russland werden von Skandinavien bis Südafrika, von Argentinien bis zu den USA und Australien organisiert. Die IAH sammelt 1921 und 1922 rund fünf Millionen Dollar und bringt 40.000 Tonnen Lebensmittel, Kleider, Maschinen und Medikamente mit rund 100 Schiffstransporten nach Russland.

Ab 1924 werden die Komitees der IAH zu einer zentralisierten Mitgliederorganisation zusammengefasst, die neben Kommunisten auch Sozialdemokraten, bürgerliche Demokraten und insbesondere Parteilose umfasst. So wird die praktische Hilfe mit politischer Aufklärung verbunden. Im deutschsprachigen Raum ist hierfür das wichtigste Instrument die Arbeiter-Illustrierte-Zeitung (AIZ), die Anfang der 30er-Jahre eine Auflage von bis zu einer halben Million erreicht.

Im Rahmen der IAH schafft Münzenberg eine auf Medien ausgerichtete Organisation. Dazu gehören Tageszeitungen wie die Welt am Abend und Illustrierte wie Der Eulenspiegel, die Vereinigung der Arbeiterphotographen, der Neue Deutsche Verlag, der Buchklub "Universum Bücherei für alle" und die "Prometheus Filmverleih- und Vertriebs-GmbH".

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 in Deutschland wird die IAH verboten. 1935 erfolgt die Auflösung der nun in Moskau beheimateten IAH.

[37].    Internationale Rote Hilfe (IRH).

Die Internationale Rote Hilfe wird 1922 in Zusammenarbeit mit der Kommunistischen Internationale gegründet. Ihr erster Präsident ist Julian Marchlewski, dessen Nachfolgerin 1925  Clara Zetkin wird. 1932 findet der erste internationale Kongress der IRH mit Vertretern von 71 nationalen Sektionen statt.

[38].    Deutschnationale Volkspartei (DNVP, "die Deutschnationalen").

Mit dem Zusammenbruch des Deutschen Kaiserreichs am Ende des Ersten Weltkriegs mussten sich auch die zersplitterten Parteien des rechten Lagers neu formieren. Politiker der Freikonservativen Partei, der Deutschkonservativen Partei, der Deutschen Vaterlandspartei, des Alldeutschen Verbands, der Christlichsozialen sowie der Deutschvölkischen unterzeichnen einen am 24. November 1918 veröffentlichten Aufruf zur Gründung einer neuen Rechtspartei, können sich aber zunächst nicht über die konkrete Zielsetzung der neuen Partei verständigen. Schließlich wird der Name Deutschnationale Volkspartei (DNVP) durchgesetzt. Zum Vorsitzenden wird der ehemalige preußische Finanzminister und DNVP-Mitbegründer Oskar Hergt gewählt. Alfred von Tirpitz und Wolfgang Kapp, die beiden Gründer der Vaterlandspartei, sowie Alfred Hugenberg zählen zu den bekanntesten Mitgliedern der Partei. Die DNVP vertritt vor allem die politischen und wirtschaftlichen Interessen der Eliten des Kaiserreichs: des Adels, des Beamtentums, des Offizierskorps und des gehobenen Bürgertums. Starken Rückhalt findet die Partei in der protestantischen Kirche, bei den ostelbischen Agrariern, bei Vertretern von Industrie und Handel sowie bei den militanten Vaterländischen Verbänden und beim Stahlhelmbund.

Die Anhänger der DNVP, die "Deutschnationalen", empfinden sich als die eigentlichen Verlierer der Revolution 1918/19 und bekämpfen das parlamentarisch-demokratische System der Weimarer Republik erbittert. Sie fordern die Wiederherstellung der Hohenzollern-Monarchie, weisen die von den Entente-Staaten behauptete Alleinschuld des Deutschen Reichs am Kriegsbeginn 1914 als Verleumdung zurück und sind überzeugt von der Richtigkeit der 1919 von Paul von Hindenburg öffentlich vorgetragenen "Dolchstoßlegende". Zum Kern ihrer außenpolitischen Forderungen zählen die Außerkraftsetzung des Vertrags von Versailles sowie die Rückgabe der abgetretenen Gebiete und der ehemals deutschen Kolonien. Über die auflagenstarken Zeitungen des Hugenberg-Konzerns und über dessen Materndienst, der den meisten deutschen Lokalzeitungen Druckvorlagen für den Politikteil liefert, wird die antidemokratische und antirepublikanische Politik der DNVP bis in den letzten Winkel Deutschlands getragen.

Da die Politik der Deutschnationalen einem Teil der Deutschvölkischen (Anhänger der Deutschen Volkspartei, DVP) zu gemäßigt ist, verlassen viele von ihnen 1922 die DNVP und gründen die nationalistisch-antisemitische Deutsch-Völkische Freiheitspartei. Doch auch nach Abspaltung dieser deutsch-völkischen Gruppe verfügen die Deutschnationalen über einen einflussreichen alldeutsch-völkischen Parteiflügel unter Alexander Freiherr von Freytag-Loringhoven, der sich u. a. die Bekämpfung der "Vorherrschaft des Judentums in Regierung und Öffentlichkeit sowie die Unterbindung der ostjüdischen Einwanderung" auf die Fahne geschrieben hat. Die DNVP unterstützt den von General Walther von Lüttwitz im März 1920 initiierten Putsch nur mit starker Zurückhaltung. (Der von Lüttwitz zum Reichskanzler ernannte Wolfgang Kapp ist Mitglied des Parteivorstands der DNVP).

Bei der Wahl des Reichspräsidenten 1925 unterstützen die Deutschnationalen Paul von Hindenburg.

In der Phase der relativen Stabilisierung der Republik stellt die DNVP ihre Vorbehalte gegen das parlamentarische System vorübergehend zurück und beteiligt sich erstmals an einer Reichsregierung. Sie ist mit drei Ministern in dem 1925 gebildeten Kabinett Luther vertreten, zieht sich jedoch bald aus Protest gegen die Verträge von Locarno aus der Regierungsverantwortung zurück. Vier Deutschnationale haben im Kabinett Marx 1927/28 Ministerämter inne und erschweren mit ihren Ämtern die fundamentale Oppositionshaltung der DNVP. Nach deutlichen Verlusten bei der Reichstagswahl 1928, als die Partei nur noch 14,2 Prozent erringt, übernimmt Hugenberg als Exponent des radikal-nationalistischen Flügels den Parteivorsitz und bringt die Partei wieder auf einen strikten Ablehnungskurs zum "Weimarer System". Unter Hugenberg organisiert die DNVP mit der NSDAP 1929 den Volksentscheid gegen den Young-Plan, der die Höhe der deutschen Reparationszahlungen regelt, doch können sie nur knapp 14 Prozent aller Wahlberechtigten in diesem Sinne mobilisieren. Bei der Reichstagswahl vom 14. September 1930 erhält die DNVP rund 7 Prozent Stimmen, während die NSDAP mit 18,3 Prozent zur zweitstärksten Partei wird. Hugenberg strebt mit Gründung der Harzburger Front 1931 ein enges Bündnis mit der NSDAP an. Zu den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 tritt die DNVP gemeinsam mit dem Stahlhelmbund als "Kampffront Schwarz-Weiß-Rot" an und erreicht mit 8 Prozent der abgegebenen Stimmen ein zwar eher mäßiges Ergebnis, aber sie sichert damit der gemeinsamen Koalitionsregierung unter Hitler 51,9 Prozent aller Stimmen. Ab Mai firmiert die Partei als "Deutschnationale Front", Ende Juni 1933 wird sie zur Selbstauflösung gezwungen.

[39] .   Deutsche Zentrumspartei (Zentrum).

Das Zentrum wurde 1870 als politischer Vertreter des Katholizismus gegründet. Nach dem Zweiten Weltkrieg werden ihre wichtigsten Führer zur Bildung der heutigen Christlich-Demokratischen Union Deutschlands (CDU) beitragen.

[40].    Deutsche Volkspartei, DVP)

Nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs schließen sich der von Gustav Stresemann geführte rechte Flügel der ehemaligen Nationalliberalen Partei und ein Teil der früheren Fortschrittlichen Volkspartei im Dezember 1918 zur Deutschen Volkspartei (DVP) zusammen. Deren Ziel ist es, Deutschland von den "roten Ketten" der Sozialdemokratie und des Kommunismus zu befreien, wie es das Wahlplakat von 1920 zum Ausdruck bringt. Dem parlamentarischen System der Weimarer Republik zunächst äußerst ablehnend gegenüberstehend, nähert sich die DVP unter dem Vorsitz Stresemanns langsam an die neue Staatsform an. Die im Oktober 1919 veröffentlichten Grundsätze der DVP betonen den Gedanken nationaler Machtstaatspolitik und zielen noch auf die Wiederherstellung des Kaisertums. Von der Schwerindustrie finanziell massiv unterstützt, steht die DVP in scharfer Konfrontation zu den politischen Zielen der SPD. Ebenso eindeutig wie die DNVP lehnt die DVP als Partei des "nationalen Liberalismus" die Revolution von 1918/19 prinzipiell ab. Die insbesondere von der DDP und DVP erhobene Forderung nach einer klaren Trennung von Staat und Kirche führt immer wieder zu Konflikten mit der Zentrumspartei.

Dem von General Walther von Lüttwitz im März 1920 initiierten Putsch bringt die DVP weit mehr Sympathien entgegen als die DNVP, zu deren Mitgliedern der von Lüttwitz zum Reichskanzler ernannte Wolfgang Kapp zählt. Während die linksliberale Presse das undurchsichtige Verhalten Stresemanns und der DVP während des Putsches heftig kritisiert, erreichte die DVP bei der von Lüttwitz erzwungenen Reichstagswahl vom 6. Juni 1920 mit knapp 14 Prozent aller Stimmen ihr bestes Ergebnis überhaupt. Mit dem Beitritt zu der unter Konstantin Fehrenbach im Juni 1920 gebildeten Koalition von Zentrum und DDP beteiligt sich die DVP ‑ trotz ihrer Vorbehalte gegenüber dem parlamentarischen System ‑ erstmals an einer Reichsregierung.

Im Zuge der immer stärkeren Polarisierung zwischen der extremen Rechten und der extremen Linken vor dem Hintergrund emporschnellenden Arbeitslosigkeit sucht die DVP eine Annäherung an die "nationalistische Opposition", die sich im Oktober 1931 zur Harzburger Front formiert. Die politisch bedeutungslos gewordene Partei löst sich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 27. Juni 1933 auf.

[41].    Deutsche Demokratische Partei (DDP).

Die DDP wird am 20. November 1918 als Nachfolger der 1910 gebildeten Fortschlichen Volkspartei (FVP) gegründet. Der DDP gehören auch ehemalige Mitglieder der 1866 gegründeten Nationalliberalen Partei (NLP) an, deren Existenz im November 1918 endet.

[42].    "stehen im krassesten Widerspruch" [Anmerkung in "Dokumente und Materialien..."]: Im Original "treten in den krassesten Widersprüchen".

[43].    Fürstenenteignung

Die Wahl des ehemaligen kaiserlichen Generalfeldmarschalls Paul von Hindenburg zum Reichspräsidenten im April 1925 ist für die Angehörigen der deutschen Fürstenhäuser ermutigend. Der Adel einschließlich des im holländischen Exil lebenden Kaisers Wilhelms II. war mit der Novemberrevolution 1918 entmachtet worden, jedoch stellen die Fürsten Entschädigungsforderungen in Höhe von zusammen 2,5 Milliarden Reichsmark für ihre enteigneten Ländereien und Besitztümer. Vor Gericht geben im monarchistischen Geist erzogene Richter diesen Forderungen regelmäßig statt. Im Oktober lässt sich auch die preußische Regierung von Ministerpräsident Otto Braun (SPD) auf einen Vergleich ein, der dem ehemaligen preußischen Königshaus der Hohenzollern weitere 185 Millionen Reichsmark zusichert.

Am 25. November 1925 legt der Fraktionsvorsitzende der KPD, Walter Stoecker, im Reichstag einen Gesetzentwurf vor, dessen erster Artikel lautet: "Das gesamte Vermögen der ehemals regierenden Fürsten sowie aller ihrer Familienangehörigen mit allen seinen unbeweglichen, beweglichen und sonstigen Bestandteilen wird ohne Entschädigung enteignet." Das Gesetz soll rückwirkend zum 8. November 1918 gültig sein, so dass die Fürsten alle bisherigen Ansprüche verlieren würden.

Am 2. Dezember, als im Reichstag über diesen Gesetzentwurf und einen wesentlich gemäßigteren Entwurf der DDP debattiert wird und diese Initiativen anschließend in den Rechtsausschuss abgeschoben werden, richtet der KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann im Namen des Zentralkomitees einen offenen Brief an die Vorstände der SPD, des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB), der Angestelltengewerkschaften sowie der proletarischen Wehrorganisationen Reichsbanner und Roter Frontkämpferbund. Thälmann schlägt eine gemeinsame Kampagne für einen laut Weimarer Verfassung möglichen Volksentscheid zur entschädigungslosen Fürstenenteignung vor. Zu dessen Durchführung bildet sich am 6. Januar 1926 auf Anregung der KPD ein überparteilicher Ausschuss unter Leitung des Wirtschaftswissenschaftlers Robert René Kuczynski. Erst nachdem sich ihre Hoffnungen auf eine Regierungsbeteiligung nicht erfüllt haben und der Druck ihrer Parteibasis massiv angewachsen ist, beschließt am 19. Januar die Führung der SPD die Unterstützung der Kampagne. Ein vom Kuczynski-Ausschuss ausgearbeiteter Gesetzesantrag zur Fürstenenteignung wird vom SPD-Vorsitzenden Otto Wels gemeinsam mit Thälmann und Kuczynski unterzeichnet.

Am 27. Januar 1926 demonstrieren 200.000 Menschen in Berlin unter Losungen wie "Dem Volke die Schlösser, den Fürsten die Asyle". Vielerorts bilden sich Einheitskomitees aus Kommunisten, Sozialdemokaten, Parteilosen und Gewerkschaftern, aber auch pazifistischen Organisationen. Prominente Künstler und Wissenschaftler wie Albert Einstein, Käthe Kollwitz und Kurt Tucholsky werben für die Fürstenenteignung, und die Maler Otto Dix, George Grosz und John Heartfield unterstützen die Kampagne.

Trotz massiver Sabotage durch die Rechtsparteien vor allem in ländlichen Gebieten zeichnen sich 12,5 Millionen Wähler zwischen dem 12. und 17. März in die Listen zum Volksbegehren ein. Nachdem die bürgerliche Reichstagsmehrheit am 6. Mai 1926 den Gesetzentwurf ablehnte, wurde der Volksentscheid eingeleitet. Ein aus völkischen und deutschnationalen Verbänden und Parteien gebildeter "Reichsbürgerrat" gegen den Volksentscheid wurde nicht nur vom Reichspräsidenten unter Verstoß gegen die Verfassung mit einem zustimmenden Brief unterstützt, sondern auch von katholischen Bischöfen mit einem Hirtenbrief. Dennoch stimmten 14.455.184 Bürger, das ist 36,4 Prozent der Wahlberechtigten, am 20. Juni für die Enteignung der Fürsten.

Für eine Annahme des Gesetzes wären allerdings 20 Millionen Stimmen notwendig, da jede nicht abgegebene Stimme automatisch als Gegenstimme gezählt wird. Doch für die KPD geht es nicht allein um die Fürstenenteignung. Die Kampagne mit der Bildung von Einheitskomitees in vielen Orten Deutschlands soll der KPD die Möglichkeit geben, neben sozialdemokratischen und parteilosen Arbeitern auch Teile der Bauernschaft sowie hinter der bürgerlichen Zentrumspartei stehende katholische Arbeiter anzusprechen. Während Thälmann dafür plädiert, dieses Bündnis durch eine gemeinsame Kampagne gegen die kapitalistischen Rationalisierungsmaßnahmen und ihre Folgen zu festigen, verweigert der SPD-Vorstand bereits am Tag nach der Abstimmung wieder jede Zusammenarbeit mit den Kommunisten, um sich erneut den bürgerlichen Parteien anzudienen.

[44].    Werksgemeinschaften.

In den 1920-Jahren wird von den Unternehmern das schon aus dem 19. Jahrhundert stammende Konzept der "Werksgemeinschaft" verstärkt propagiert. 1925 wird auf Initiative des Vereins deutscher Eisenhüttenleute das Deutsche Institut für technische Arbeitsschulung (DINTA) gegründet. Die vom DINTA angenommenen Leitgedanken können folgendermaßen formuliert werden:

1. die Befreiung des Arbeiters aus der Einsamkeit seiner isolierten Teilfunktionen im Herstellungsprozeß; 2. die Überwindung der feindseligen Oppositionsstellung zwischen Arbeiter und Unternehmer, und in ihrer summarischen Abrundung, wenn wir uns auf ihre seelische Bedingtheit besinnen, 3. die Befriedigung und Befriedung des Arbeiters im gegenwärtigen Wirtschaftssystem mit den Mitteln, die der deutschen Wirtschaft in ihrer gegenwärtigen Lage zur Verfügung stehen.

[45].    "in eine  Offensive überzugehen beginnt" [Anmerkung in "Dokumente und Materialien..."]: Im Original "sich bestrebt zur".

[46].    Wladimir I. Lenin: "Die drohende Katastrophe und wie man sie bekämpfen soll". In: Werke, Band 25; Berlin, Dietz Verlag, 1972; S. 370.

[47].    Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale, [Offener] Brief an alle Organisationen und Mitglieder der KPD ►, August 1925.

[48].    Freie Gewerkschaften.

Am 22. Oktober 1878 war das "Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie" (geläufig "Sozialistengesetz" genannt) in Kraft getreten, welches alle sozialistischen und sozialdemokratischen Organisationen und deren Aktivitäten verbot. Es galt bis zum 30. September 1890, Zeitpunkt, an dem es nicht verlängert wurde. Danach wurde im Rahmen der "Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands" eine Gewerkschaftsstruktur nach sozialistischer Ausrichtung gebildet.

Bereits am 18. August 1889 war anlässlich der Delegiertenversammlungen der Ruhrbergleute in Dorstfeld (seit Juni 1914 in Dortmund, Nordrhein-Westfalen) der "Verband zur Wahrung und Förderung der bergmännischen Interessen in Rheinland und Westfalen" gegründet worden. Während der 1890 in Halle (Sachsen-Anhalt) abgehaltenen deutschen Bergarbeitertagung wurde die Organisation zum "Verband deutscher Bergleute", der später auf "Verband der Bergarbeiter Deutschlands" umbenannt wird (der Verband von 1889 wird nun "Alter Verband" genannt).

Vom 1. bis 6. Juni 1891 fand in Frankfurt am Main der Metallurgische Arbeiterkongress statt. Hiermit wird der Allgemeine Deutsche Metallarbeiterverband (DMV) gegründet. Bis zur Zeit vor dem 1. Weltkrieg schließt der DMV nach und nach fast die Hälfte der Gewerkschaften dieses Bereiches ein. 1930 bleiben nur noch die Kupferschmiede und der Zentralverband der Heizer und Maschinisten außerhalb des DMV.

Vom 14. bis 18. März 1892 fand in Halberstadt der erste von der Generalkommission organisierte Gewerkschaftskongress statt. Er stimmte für die Annahme einer zentralisierten Struktur auf der Grundlage von Gewerkschaften, die durch Kooperationsvereinbarungen gebildet wurden. Die Frage der Bildung von Verbänden nach Industrie blieb offen, was die Anerkennung des DMV bedeutete.

Im Laufe der Zeit wurde der Brauch eingeführt, diese Organisationen als "Freie Gewerkschaften" zu bezeichnen, um sie einerseits von den 1869 von Max Hirsch und Franz Duncker gegründeten Gewerkvereine und andererseits von den christliche Gewerkschaften, die ab 1899 gegründet wurden, zu unterscheiden.

Im Juli 1919 konstituieren die "freien Gewerkschaften" sich zum "Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund" (ADGB). Es werden auch im Angestellten- und Beamtenbereich zwei separate Verbände gebildet, die mit dem ADGB verbunden bleiben. Im November 1920 vereinen sich die "freien" Angestelltengewerkschaften ‑ innerhalb und außerhalb des ADGB ‑ im "Allgemeinen freien Angestelltenbund" (AfA-Bund). Für Beamte besteht seit Dezember 1918 der "Deutsche Beamtenbund" (DBB), der seine Neutralität gegenüber politischen Parteien bekräftigt, aber im Juni 1922 wird der "Allgemeine Deutsche Beamtenbund" (ADB) gegründet, der dem ADGB nahe steht. Die Bezeichnung "freie Gewerkschaften" umfasst daher den ADGB, den Afa-Bund und den ADB.

[49].    "erringen" [Anmerkung in "Dokumente und Materialien..."]: Im Original: bringen. Die Korrektur erfolgte nach dem Text der Thesen in: Die Rote Fahne, Nr. 68 und 74 vom 22. und 29. März 1927.

[50].    Reichskonferenz der Erwerbslosen.

Cf. Fußnote 31 .

[51].    Karl Korsch.

Korsch ist zunächst Mitglied der USPD, An deren im Oktober 1920 abgehaltenen Parteitag gehört er zu den Delegierten, die für den Anschluss der USPD an die Kommunistische Internationale unter Anerkennung der 21 Aufnahmebedingungen stimmen. Der so abgegrenzte linke Flügel vereinigt sich im Dezember mit der KPD. Im Oktober 1923 wird Korsch Justizminister in der sozialdemokratisch-kommunistischen Regierung in Thüringen (cf. Fußnote 30 ), ab Februar 1924 ist er Abgeordneter im Thüringer Landtag. Im Mai 1924 wird er Chefredakteur des theoretischen KPD-Organs Die Internationale. Ab Juli 1924 ist er Reichstagmitglied. Er gehört zur Gruppe Scholem-Katz-Rosenberg-Korsch-Schwarz (cf. Fußnote 69 ), die jedoch auseinanderfällt. Eine Gruppe um Korsch und Ernst Schwarz bleibt bestehen, sie gibt ab März 1926 die Zeitschrift Kommunistische Politik heraus und organisiert eine eigene linke Gruppe gleichen Namens. Am 30. April 1926 wird Korsch aus der KPD ausgeschlossen. Er hat auch Verbindung zu der Oppositionsgruppe Sapronow-Smirnow in der KPdSU. Er zählt zu den Unterzeichnern des im September veröffentlichten "Briefs der 700" (cf. Fußnote 53 ). Zu diesem Zeitpunkt kommt es zum Bruch zwischen Korsch und Schwarz; Korsch führt die Herausgabe der Kommunistischen Politik weiter, während Schwarz die Gruppe "Entschiedene Linke" bildet. 1927‑1928 verschwindet die Korsch-Gruppe von der politischen Bühne. Korsch bleibt bis 1928 Reichstagsabgeordneter.

        Heinrich Schlagewerth.

Schlagewerth tritt 1918 der USPD bei und geht mit der Mehrheit 1920 zur KPD. 1923 wird er in München-Gladbach Vorsitzender der dortigen KPD. Er wird wegen politischer Tätigkeit mehrmals verurteilt. Im Dezember 1924 in den Reichstag gewählt, schließt er sich 1925 der Gruppe um Karl Korsch an. Als deren Organisator wird er 1926 aus der KPD ausgeschlossen, er zeichnet für die Zeitung der Korsch-Gruppe Kommunistische Politik verantwortlich. Er bleibt bis 1928 als Korsch-Anhänger im Reichstag. Nach 1933 ist er illegal in verschiedenen linken Gruppen aktiv. Im Oktober 1936 verhaftet, bestreitet er zunächst jede politische Tätigkeit, erklärt sich dann aber bereit, auszusagen. Er schreibt über seine Beweggründe, er habe "anhand der Praktiken und auch der Theorie gefunden, daß der Nationalsozialismus die Ebene und das Fundament des Sozialismus in sich trägt". Am 6.April 1938 findet vor dem Oberlandesgericht Hamm ein Prozess statt, in dem Schlagewerth angeklagt ist und sämtliche Mitangeklagten belastet. Er wird zu drei Jahre Zuchthaus verurteilt. Als das Reichssicherheitshauptamt anschließend Schutzhaft über ihn verhängen will, wendet sich die Gestapo München-Gladbach dagegen, denn Schlagewerth habe nach seiner Verhaftung "freiwillig ein umfangreiches Geständnis" abgelegt, wodurch der "gesamte illegale Apparat der KPD, KPO, Anarcho-Syndikalisten" aufgerollt werden konnte. Er wird am 16. Mai 1939 aus dem Zuchthaus entlassen. Nach 1945 tritt er politisch nicht mehr hervor.

[52].    Arkadi Maslow.

Cf. Fußnote 53 .

[53].    Ruth Fischer.

Geboren als Elfriede Eisler in Leipzig (ihre Mutter war geborene Ida Fischer), sie wuchs sie in Wien auf. Hier heiratete sie Paul Friedländer.

Nach Ausbruch des Weltkrieges schließt sie sich der österreichischen Sozialdemokratie an. Nach der Revolution 1918 nimmt sie an der Gründung der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) teil. 1919 siedelt sie nach Berlin über, wo sie sich mit der KPD verbindet. Ab 1920 ist sie Mitarbeiterin am theoretischen Organ der KPD Die Internationale. 1921 wird sie zur Leiterin der Berliner Parteiorganisation gewählt, sie ist jetzt unter dem Namen Ruth Fischer aktiv. Ab 1921 gehört sie dem Zentralausschuss der KPD an. Im Juni 1921 wird sie von Friedländer geschieden, die deutschen Behörden wollen sie ausweisen, sie geht im Januar 1923 eine Scheinehe mit einem Funktionär der Berliner KPD, Gustav Golke, ein, und erhält damit die deutsche Staatsangehörigkeit.

Auf dem 8. Parteitag (Januar 1923) kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen der von Heinrich Brandler angeführten Zentrale einerseits und Fischer, Arkadi Maslow, Hugo Urbahns, Ernst Thälmann und anderen, andererseits. Am 17. Mai 1923 kooptiert der ZA Fischer, Ottomar Geschke, Thälmann und Arthur König in die Zentrale. Auf dem 9. Parteitag (April 1924) erreichen diese Oppositionellen die Mehrheit. Maslow wird bald nach dem Parteitag verhaftet, Fischer leitet praktisch die KPD. Noch immer steckbrieflich gesucht, aber im Mai 1924 in den Reichstag gewählt, kann sie legal leben.

Nach Auflösung des Reichstags im November 1924 verhaftet, wird Fischer im Dezember 1924 erneut Reichstagsabgeordnete und kommt deshalb wieder frei. Auf dem 5. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale (1924) wird sie als Kandidatin ins EKKI gewählt. 1925 spaltet sich die Führung der KPD, Werner Scholem, Iwan Katz und Arthur Rosenberg (cf. Fußnote 69 ) treten gegen Fischer auf. Nach dem 10. Parteitag (Juli 1925) wird im August der "Offene Brief" (cf. Fußnote 47 ) angenommen (für den Fischer selbst stimmt), ihre politische Parteikarriere endet. Sie wird von der KI nach Moskau berufen, reist aber danach am 5. Juni 1926 aus Moskau ab, was als "schwerer Disziplinbruch" verurteilt wird, und sie verliert ihre Funktion als EKKI-Mitglied.

Am 20. August wird der Ausschluss von Fischer und Maslow aus der KPD bekannt gegeben. Fischer schließt sich der "linken" Opposition an und gehört zu den Mitbegründern des Leninbundes, zieht sich aber bald aus der Organisation zurück. 1933 flieht sie zusammen mit Arkadi Maslow nach Paris, wo sich beide bis 1940 aufhalten. Sie stehen 1934‑1936 mit Trotzki in Verbindung. 1936 gründen sie die Gruppe Internationale (Marxisten-Leninisten), die bis Januar 1939 ein gleichnamiges Mitteilungsblatt herausgibt. 1940 fliehen Maslow und Fischer aus Frankreich und kommen nach Lissabon. Fischer gelingt es ein Visum für die USA zu erhalten und entkommt dorthin.

        Arkadi Maslow

Maslow ist in Russland geboren, seine Familie ließ sich 1899 in Deutschland nieder. Am. 5. Dezember 1918 richtete er sich an den Spartakusbund mit Verlangen nach Aufnahme. Auf dem 5. Parteitag der KPD (November 1920) wird er als Vertreter der russischen Sektion (Kriegsgefangene) in den Zentralausschuss gewählt. Ab 1921 nimmt er an der Leitung der Berliner Parteiorganisation teil. Er ist Mitarbeiter am theoretischen Organ der KPD Die Internationale und Redakteur für außenpolitische Fragen bei der Roten Fahne. Auf dem 7. Parteitag (August 1921) wird er erneut in den ZA gewählt. Im Februar 1922 in Berlin verhaftet, macht er bei der Polizei falsche Angaben, er behauptet als russischer Agent und Vertrauensmann Trotzkis und Radeks nach Deutschland gekommen zu sein. Er hofft bei der damaligen guten Verbindung zwischen Deutschland und Russland damit eher freizukommen. Auf dem 8. Parteitag (Februar 1923) tritt er gemeinsam mit Ruth Fischer als Wortführer für die Opposition auf, er wird wieder in den ZA sowie in die Redaktionskommission gewählt. Im September 1923 geht er nach Moskau. Erst nachdem im Januar 1924 eine Konferenz in Moskau die Ablösung der Brandler-Führung der Partei beschlossen hat, kann Maslow nach Deutschland zurückkehren.

Er steht zusammen mit Fischer an der Spitze der Opposition, welche im April 1924 schließlich die Führung übernimmt. Er wird in die Zentrale und ins Politische Büro gewählt. Am 20. Mai 1924 wird er zufällig zur Sistierung festgenommen und nach Ermittlung seiner wahren Identität festgehalten. Vom Gefängnis aus nimmt er weiterhin an der Leitung der politischen Arbeit der KPD teil. Auch der 10. Parteitag (Juli 1925) wählt Maslow ins ZK und ins Politische Büro. Am 1. September 1925 beginnt der Prozess gegen Maslow, Anton Grylewicz, Paul Schlecht und Wilhelm Schumacher. Am gleichen Tag druckt die Rote Fahne den "Offenen Brief" der KI (cf. Fußnote 47 ) ab, in dem Maslow und Fischer kritisiert werden. Das Gericht verurteilt Maslow zu vier Jahren Gefängnis, im Juli 1926 wird er wegen seines schlechten Gesundheitszustandes aus dem Gefängnis beurlaubt und die vom Gericht ausgesprochene Ausweisung aufgeschoben.

Am 20. August wird der Ausschluss von Maslow und Fischer aus der KPD bekannt gegeben. Maslow schließt sich der "linken" Opposition an und gehört zu den Mitbegründern des Leninbundes, zieht sich aber bald aus der Organisation zurück. 1933 flieht er zusammen mit Ruth Fischer nach Paris. Sie stehen 1934‑1936 mit Trotzki in Verbindung. 1936 gründen sie die Gruppe Internationale (Marxisten-Leninisten), die bis Januar 1939 ein gleichnamiges Mitteilungsblatt herausgibt, für das Maslow die wichtigsten Artikel schreibt. 1940 fliehen Maslow und Fischer aus Frankreich und kommen nach Lissabon. Maslow gelingt es ein Visum für Kuba zu erhalten und entkommt dorthin.

        "Brief der 700"

Anfang August 1926 treffen sich die oppositionellen Führer Fischer, Maslow, Korsch, Weber und Kötter und verfassen einen gemeinsamen Entwurf einer Solidaritätserklärung für bezüglich der russische Opposition. Daraufhin einigen sich außer der Leipziger Gruppe und einem Teil der sogenannten Weddinger Opposition (davon Kötter) die "linken" Oppositionellen auf eine Erklärung, für die Unterschriften gesammelt werden. Unter der Losung "Zurück zu Lenin, zum wirklichen echten, unverfälschten Leninismus" wird der Brief am 11. [1. ?] September veröffentlicht. 700 Mitglieder der KPD, darunter etwa 50 weithin bekannte Führer und Funktionäre, solidarisieren sich "voll und ganz mit der Leningrader Opposition", also mit Zinoviev. Das Dokument wurde von den ZK-Mitgliedern Urbahns, Scholem, Schlecht, Schütz, Schwan (alle gleichzeitig Reichstagsabgeordnete), Hans Weber und dem ZK-Kandidaten Schimanski unterschrieben. Unterzeichner sind ferner die Abgeordneten des Preußischen Landtags Bartels, Gehrmann, Grylewicz, Eppstein, Kilian, Gustav Müller, Skjellerup und Hedwig Krüger. Schließlich unterschrieben Führer regionaler Parteiorganisationen, so die Leiter des Bezirks Pfalz, Baumgärtner (MdL Bayern) und Frenzel, Politische Leiter Berliner Verwaltungsbezirke (Böttcher, Hesse, Engel, Riese), des Unterbezirks Wiesbaden (Quarsch), Köln-Mitte (Knoche), vier Unterbezirkssekretäre des Ruhrgebietes (Kelch, Körner, Nowak und Petrasch), Mitglieder von Bezirksleitungen (Wölk, Winkler, und Schade-Berlin, Szymzak-Ruhr, Umland-Wasserkante), Landtagsabgeordnete (Besser-Anhalt, Roth-Hessen), Provinzialabgeordnete (Schüpler, O. Weber), Berliner Stadt- und Bezirksverordnete (Schlüter, Busch, Witzke, Kynast, Müller, Kunow, Zaulig, Fieber, S. Schütz, Siemsch, H. Krüger, Preißig, Kowalke, Liebing, Pilz, Böttcher, Rieger, Prippenau, Hüttköper). Die Leitung der KPD von Rathenow unterschrieb für die gesamte Ortsgruppe. Inhaltlich unterstützt der Brief völlig die Haltung der russischen Opposition.

        Leninbund

Am 8. und 9. April 1928 findet in Berlin die Gründungskonferenz des Leninbundes statt. 153 Delegierte vertreten etwa einhundert Ortsgruppen. Zur Mitgliedschaft gehören vor  allem "linke" Oppositionelle der KPD aus den Jahren 1926-1927, davon die Ausgeschlossenen Maslow und Fischer (August 1926) sowie Urbahns und Scholem (November 1926). Zum Vorsitzenden wird Urbahns gewählt, Scholem ist Mitglied der Reichsleitung. Unter jenen, die zur Schaffung der Gruppe beigetragen haben, befinden sich einige exilierte Oppositionelle aus der UdSSR, unter ihnen Georgi Safarov, Anhänger von Zinoviev, und Eleazar Solntsev, Anhänger Trotzkis. Maslow beginnt die Herausgabe der Zeitschrift Volkswille.

Maslow und Fischer ziehen sich bald aus dem Leninbund zurück, unter anderem beeinflusst durch die Haltung Zinovievs, die zu diesem Zeitpunkt nicht ihren Erwartungen entspricht, und weil sie auf ihr Verlangen nach Wiederaufnahme in die KPD ausgerichtet bleiben. Ihre Schritte in letzterem Sinne haben jedoch keinen Erfolg. Danach nimmt Urbahns die hauptsächliche Führungsstelle im Leninbund ein. Für einige Zeit steht für den Leninbund die Unterstützung Trotskis im Vordergrund. Trotski weist aber die Orientierung Urbahns, deren Ziel immer ausgeprägter die Bildung einer neuen Partei in Konkurrenz mit der KPD ist, zurück. 1930 wird der Bruch offensichtlich, der Leninbund verliert in der Folge seine Substanz.

[54].    Hugo Urbahns.

Urbahns ist zunächst Mitglied des Spartakusbundes, dann Mitbegründer der KPD. Von 1921 bis 1924 gehört er dem Zentralausschuss an. Im Januar 1924 wird er verhaftet, im Januar 1925 zu zehn Jahren Festung verurteilt, aber schon Oktober 1925 freigelassen. Auf dem 10. Parteitag (Juli 1925) war er in Abwesenheit in das ZK gewählt worden. Im August 1926 stimmt er gegen den Ausschluss von Ruth Fischer und Arkadi Maslow, Er zählt zu den Unterzeichnern des im September veröffentlichten "Briefs der 700" (cf. Fußnote 53 ). Im November wird er aus der KPD ausgeschlossen. 1928 ist er mit Ruth Fischer, Arkadi Maslow und Werner Scholem führender Mitbegründer des Leninbundes (cf. Fußnote 53 ).

[55].    Reinhold Schönlank.

Schönland wird gegen 1911-1913 aktives Mitglied der SPD. 1917-22 ist er Mitglied der USPD (und kurze Zeit der KPD), er kehrt er 1922 zur SPD zurück.

[56].    Johannes Stetter.

Ab 1903 ist Stetter Mitglied der SPD, er wird Anhänger des linken Flügels. 1917 tritt er der USPD bei, 1918 ist er deren hauptamtlicher Sekretär. 1920 geht er mit der linken USPD-Flügel zur KPD. Er wird Parteisekretär in Stuttgart. Von 1920 bis 1924 ist er Abgeordneter des Württembergischen Landtages, 1923 ist er Polit-Leiter des Bezirks Württemberg. Wegen seiner Beteiligung an der Vorbereitung des geplanten Oktoberaufstands Anfang 1924 wird er verhaftet; dann im Mai entlassen, da er für Württemberg in den Reichstag gewählt wird. Er gehört zum rechten Parteiflügel, deshalb wird er bei der Dezemberwahl 1924 an einen aussichtslosen Platz der Wahlliste gesetzt und nicht wiedergewählt. Da er polizeilich gesucht ist, schickt ihn die Partei nach Lothringen, er leitete dort von Februar bis Mai 1925 die IAH, dann befindet er sich illegal in Mannheim, er wird am 30. Mai verhaftet. Er bleibt bis Oktober in Haft, wird dann im Rahmen einer vom Reichspräsidenten Hindenburg erklärten Amnestie freigelassen. Am 30. Juni 1926 wird er aus der KPD ausgeschlossen, er tritt der SPD bei.

[57].        Berliner Stadtverordnetenwahlen, Oktober 1925.

Anlässlich der Berliner Stadtverordnetenwahlen vom 1. Oktober 1925, beschließt das ZK der KPD, dem Bezirksvorstand Berlin-Brandenburg der SPD eine Listenverbindung zur Sammlung der Reststimmen vorzuschlagen. Das ZK entwirft einen Brief und setzt seine Absendung gegen den Widerstand der Bezirksleitung, die unter starkem "linken" Einfluss steht, durch. Die SPD lehnt die Listenverbindung ab und beantwortet den Brief nicht.

[58].    Angebot der Duldung einer sozialdemokratischen Minderheitsregierung in Sachsen, November 1926.

Siehe dazu:

Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED (Hrsg.): Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Reihe 2 - 1914-1945, Band 8 - Januar 1924–Oktober 1929; Berlin, Dietz Verlag, 1957:
Dok. 133: Manifest des Landesvorstandes Sachsen der KPD vom 19. November 1926 an die sächsischen Werktätigen zur Regierungsbildung in Sachsen (S. 373)
Dok. 135: Erklärung der Fraktion der KPD im Sächsischen Landtag am 30. November 1926 zur Wahl eines sozialdemokratischen Ministerpräsidenten (S. 379)

[59].    Abstimmung der Reichstagsfraktion zum Knappschaftsgesetz.

1926 wird im Bereich der Sozialversicherung eine neue Fassung des ursprünglich 1923 eingeführten Knappschaftsgesetzes angenommen. Im Reichstag tritt für die KPD Wilhelm Schwan als Antragsteller und Hauptredner auf. Bei der Schlussabstimmung stimmte er dem Gesetz zu. Schwan arbeitet im KPD-Politbüro in Berlin als Nachfolger von Wilhelm Florin, der ebenfalls Reichstagsabgeordneter ist.

        Wilhelm Schwan

Schwan wird 1912 Mitglied der SPD. Während des 1. Weltkriegs schließt er sich der USPD an. Im November 1918 wird er Vorsitzender des Arbeiter- und Soldatenrates in Hamm, 1919 wird er vom Kriegsgericht Münster zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Während des Kapp-Putsches 1920 kämpft er gegen die Truppen der Generäle Lichtschlag und Watter. In Abwesenheit zum Tode verurteilt, flüchtet er in das infolge des Vertrags von Versailles besetzte Gebiet. Mit dem linken USPD-Flügel geht er zur KPD (er ist Delegierter am Vereinigungsparteitag). Er wird Sekretär im Unterbezirk Duisburg. Auf dem 8. Parteitag (1923) wird er in die Gewerkschaftskommission und als Kandidat in den Zentralausschuss gewählt. Bis 1924 leitet er den Unterbezirk Duisburg weiter. Der Bezirksparteitag Ruhr im März 1924 beruft ihn zum Sekretär für Gewerkschaftsfragen in die Bezirksleitung Ruhr, m Juni wird er Politischer Leiter des Bezirks Ruhr. Im Mai und im Dezember 1924 wird er im Wahlkreis Düsseldorf-West als Abgeordneter in den Reichstag gewählt. Am 1. Februar 1925 übernimmt er Funktionen bei der Zentrale in Berlin, im Juli wird er erneut Politischer Leiter im Ruhrgebiet. Der 10. Parteitag (Juli 1925) beruft ihn ins ZK. Im August ist er Mitglied der Delegation, die in Moskau über die Fischer-Führung verhandelt, er unterschreibt den "Offenen Brief" (cf. Fußnote 47 ), wird auf Vorschlag Ernst Thälmanns ins Politische Büro aufgenommen und bildet zusammen mit Thälmann und Philipp Dengel das Präsidium des Politbüros. Er gehört im September 1925 neben Thälmann, Dengel, Arthur Ewert, Wilhelm Florin und Ottomar Geschke auch dem Sekretariat an. Ende 1925 verlässt er das Politbüro, im März 1926 wird er aus dem ZK entfernt. Er schließt sich der Ruth-Fischer-Opposition an und versucht, im Ruhrgebiet diese Opposition aufzubauen, unterzeichnet im September 1926 den "Brief der 700" (cf. Fußnote 53 ). Auf der Tagung des ZK am 5. November 1926 tritt er gegen die Parteilinie auf und wird gemeinsam mit Werner Scholem und Hugo Urbahns aus der KPD ausgeschlossen, mit der Begründung der "Duldung von Korruption im Ruhrgebiet". Im Reichstag gehört er zur Gruppe der "linken Kommunisten", schließt sich aber keiner Organisation an, sondern scheidet aus der aktiven Politik aus. Sein Reichstagsmandats erlöscht 1928.

[60].    Rede zur Flaggenfrage in der Bremer Bürgerschaft.

Nach der Gründung des Norddeutschen Bundes 1866 wurden für die Reichsflagge die Farben Schwarz-Weiß-Rot gewählt. Die im Juli 1919 angenommene Verfassung des Deutschen Reichs bestimmt, dass die Reichsfarben Schwarz-Rot-Gold waren, die Handelsflagge aber Schwarz-Weiß-Rot mit den Reichsfarben in der oberen inneren Ecke. Unabhängig davon halten weite Teilen des politischen Feldes und der Bevölkerung an Schwarz-Weiß-Rot fest, als Symbol der Monarchie und darüber hinaus der vorläufig verlorenen Macht des deutschen Reiches, sei es monarchistisch oder republikanisch. Am 11. April 1921 gibt der Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) eine Flaggenverordnung heraus, die nicht weniger als zehn verschiedene Reichsflaggen vorsieht.

1926 unternimmt der Reichskanzler Hans Luther Schritte, deutschen Auslandsvertretungen das Recht zuzugestehen, neben der schwarz-rot-goldenen Reichsflagge auch die schwarz-weiß-roten Farben zu zeigen. Auf seinen Anlass verordnet der Reichspräsident Hindenburg im Mai 1926, dass die deutschen Behörden außerhalb Europas und in europäischen Seehäfen künftig neben der Reichsdienstflagge auch die Handelsflagge zu zeigen haben. Die SPD, die DDP und das Zentrum protestieren ebenso wie die Gewerkschaften und der Wehrverband Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Nach heftigen Debatten um die neue Flaggenordnung stellt die DDP am 12. Mai 1926 im Reichstag einen Misstrauensantrag gegen Reichskanzler Luther, der mit 176 gegen 146 Stimmen bei 103 Enthaltungen (DNVP und DVP) angenommen wird. Am Tag darauf tritt das Kabinett Luther zurück. Die Flaggenverordnung bleibt stillschweigend in Kraft.

Anlässlich der Vorbereitungen zum Verfassungstag August 1927 werden in einem Erlass durch Reichswehrminister Otto Geßler die Flaggen schwarz-weiß-rot und schwarz-rot-gold einander gleichgestellt, es ist aber verboten, die schwarz-weiß-rote Flagge ohne auch die schwarz-rot-goldene Flagge zu hissen.

Zu der betroffenen Zeit, 1926-1927, war die KPD in Bremen durch Adolf Ehlers vertreten.

        Adolf Ehlers.

Nach dem 1. Weltkrieg ist er Mitglied der KPD, ab 1921 Leiter der kommunistischen Jugend in Bremen, Vorstandsmitglied des Deutschen Metallarbeiterverbandes und des ADGB Bremen. Er ist auch Redakteur und Sekretär der Partei in Bremen. Von 1923 bis 1927 ist er Mitglied der Bremer Bürgerschaft. Als Anhänger des rechten Parteiflügels wird er Anfang 1925 aus der KPD ausgeschlossen. Er wird Ende 1925 wieder aufgenommen, ist Leiter der Roten Hilfe im Bezirk Nordwest, ab 1927 Leiter der Propagandaabteilung im Zentralvorstand der Roten Hilfe. 1929 wird er erneut als Rechter aus der KPD ausgeschlossen.

        Stellungnahme der KPD zur Flaggenverordnung im Reichstag.

Am 11. Mai 1926 hält Walter Stoecker, Vorsitzender der KPD-Fraktion im Reichstag, eine Rede zu dieser Frage. Nachfolgend davon ein Auszug.

Quelle: Verhandlungen des Reichstags. III. Wahlperiode 1924. - Band 390. Stenographische Berichte (von der 187. Sitzung am 26. März 1926 bis zur 224. Sitzung am 2. Juli 1926). Berlin 1926. Druck und Verlag der Reichsdruckerei; S. 7175-7181.

[https://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt2_w3_bsb00000074_00473.html]

[...] Aber ein Glied in einer Kette ist die Flaggenverordnung wohl, sie ist ein Glied einer Kette reaktionärer Verfassungsbrüche. Diese Verordnung Luthers ist nicht nur eine offene monarchistische Demonstration, ist nicht nur eine Provokation der arbeitenden Massen Deutschlands, sondern sie ist auch ohne Zweifel ein Verfassungsbruch. Und in dieser Hinsicht absolut kein Ausnahmefall. Denn wir sehen ganz deutlich die Kette reaktionärer Vorstöße in den letzten Monaten von seiten Luthers, von seiten der Monarchisten gegen die Verfassung, gegen die Arbeiterschaft. Luther und Hindenburg marschieren dabei Arm in Arm. Es fing an im vergangenen Sommer mit dem verfassungswidrigen Beschluß des Reichskabinetts, den Beschluß des Reichstags in der Frage der Fürsorgeversicherung nicht durchzuführen. Dann folgte der ebenfalls verfassungswidrige Vorstoß Hindenburgs in der Frage der Uniformen für die alten abgedankten Offiziere. Geßler hat sich monatelang hier im Reichstage bemüht, eine Mehrheit für eine Aufhebung der Beschlüsse aus den Kapptagen zu schaffen. Als ihm das nicht gelang, erlebten wir plötzlich eines Tages eine Verordnung des Präsidenten Hindenburg, wonach es den alten abgedankten Offizieren erlaubt wurde, wieder Uniformen zu tragen. Das war der zweite verfassungswidrige Vorstoß der Herren Luther und Hindenburg. Dann kam vor wenigen Monaten das Eingreifen Hindenburgs gegen das vom Reichstage beschlossene Duellgesetz. Hindenburg weigerte sich, dieses Gesetz durchzuführen, und schon fielen die Parteien der Mitte, schon fielen die Parteien des Zentrums und der Demokraten untertänigst um, und es wurde ein neues Gesetz nach dem Willen Hindenburgs beschlossen. Dann ein viel ernsterer Fall: der Beschluß des Reichskabinetts, daß das Fürstenenteignungsgesetz des Volksbegehrens verfassungsändernden Charakters sei, ein Beschluß, der ganz offensichtlich gegen die Verfassung verstößt. (Sehr richtig! bei den Kommunisten.) Denn die Verfassung sieht eine solche Enteignung zum Wohle der Allgemeinheit ausdrücklich vor. Um aber den Fürsten ihren Raub zu sichern, beschloß dieses Kabinett unter der Führung Luthers, daß der Volksentscheid verfassungsändernd sei, um ihm damit die Spitze abzubrechen, um damit einen Sieg des Volksentscheids zu verhindern. Ein weiterer Vorstoß des Kabinetts Marx war dann der Beschluß gegen die Freunde der Aufwertung, gegen die Kreise des Mittelstandes, in der Frage der Aufwertung ein Volksbegehren und einen Volksentscheid unmöglich zu machen. Dann kommt in dieser Kette die Flaggenverordnung, die ja heute von Reichskanzler Luther ausdrücklich aufrechterhalten wird, wenngleich er warten will, bis die verschiedenen Briefe in Guatemala und in Honolulu oder sonstwo angetroffen sind. Damit hören aber diese Vorstöße nicht auf. Wir erlebten in den vergangenen Woche erst einen Beschluß des Reichskabinetts, den Reichstag auszuschalten in der Frage des Abbaus der Erwerbslosenunterstützung, und wenige Tage später schon eine neue Provokation, indem durch die Presse die Meldung geht, daß auf Veranlassung des Reichsinnenministers Külz dem Reichsrat ein neues Vereinsgesetz vorgelegt worden ist, das nichts anderes will, als auf kaltem Wege das Vereins- und Versammlungsrecht der Arbeiterklasse Deutschlands beseitigen. Hinzu kommen die Pläne auf Verschlechterung des Wahlrechts, auf Hinaufschraubung des Wahlalters, die gerade von Herrn Luther und seinen Freunden betrieben werden. Dazu die Versuche des Reichsrats, gegenüber dem Reichstag seine Macht zu stärken. Ich brauche ferner nur noch an die Ministerbesprechung in München und an die neue bayerische Denkschrift zu erinnern. Wenn wir diese Kette von Verfassungsbrüchen durch Luther und dieses Kabinett sehen, dann verstehen wir das zufriedene Lächeln der Herren Deutschnationalen, dann verstehen wir auch das provokatorische Auftreten des Herrn Grafen Westarp eben hier im Reichstag. Denn Graf Westarp kann mit dieser Entwicklung wirklich zufrieden sein. Sein Programm, das er im vergangenen Sommer aufgestellt hat, geht Schritt für Schritt in Erfüllung, ohne daß die Deutschnationalen dabei Minister zu stellen brauchen denn die Herren Külz und Marx verstehen es viel besser, das Programm des Herrn Westarp durchzuführen, als das Herr Schiele im Kabinett Luther jemals gewagt hätte. Die Pläne Luthers sind klar. Luther und Hindenburg haben von den Herren Kapp und Lüttwitz gelernt. Luther und Hindenburg treiben die monarchistische Reaktion vor, nicht durch offenen Putsch, sondern durch kalte, trockene Verfassungsänderungen, durch Kabinettsbeschlüsse, indem sie auf diese Weise die Verfassung abwürgen und ihr das Genick umdrehen. Das politische Programm dabei ist ebenfalls klar. Man will die offene Diktatur des Schwerkapitals und der Monarchisten, um erstens den Volksentscheid in der Fürstenfrage zu verhindern und um das ganze Rationalisierungsprogramm des Schwerkapitals durchzuführen. Sie wollen auf diese Weise eine gesteigerte Ausbeutung und Unterdrückung der Arbeitermassen Deutschlands durchführen, sie wollen damit ihr Ziel, den Zehn und Zwölfstundentag, die Beseitigung der Erwerbslosenunterstützung, die weitere Herabsetzung der Löhne der Arbeiter, Angestellten und Beamten und den völligen Abbau der sozialpolitischen Reste unserer Gesetzgebung durchführen. Das hat sehr viel mit der Flaggenverordnung zu tun. Denn diese Flaggenverordnung symbolisiert ja deutlich Ihren Machtwillen zur Durchführung dieses Programms. Die geplante Hissung der schwarzweißroten Flagge ist doch das Symbol der Pläne, die Sie gegen die Arbeitermassen vor haben. Deshalb die Pläne Luthers und Hindenburgs zwecks Abbau der demokratischen Verfassung, deshalb ihre Pläne auf Beseitigung der demokratischen Staatsform, deshalb ihre Pläne auf Hissung der schwarzweißroten Flagge. Diese schwarzweißrote Fahne, die auch Herr Luther über Deutschland wieder hissen will - mag er das hier in einem Eiertanze noch so sehr verborgen haben, ist nicht nur die Fahne des alten Kaiserreichs, nicht nur die Fahne des desertierten Hohenzollerngeschlechts, nicht nur die Fahne von Wilhelm dem Türmer, Schwarz-Weiß-Rot ist heute die Fahne der Gegenrevolution, die Fahne des Stahlhelms und der Fememorde. Schwarz-Weiß-Rot, sage ich, ist heute die Fahne der Monarchisten, die Fahne eines neuen imperialistischen Deutschland mit brutaler Gewaltpolitik nach innen und imperialistischer Gewaltpolitik nach außen. Schwarz-Weiß-Rot ist die Fahne der geplanten offenen Diktatur über die deutschen Arbeitnehmer, über die Massen des arbeitenden Volkes. Verlassen Sie sich darauf, so wenig wie die deutsche Arbeiterklasse eine neue monarchistische Gegenrevolution dulden wird, so wenig wird sie die Hissung der schwarzweißroten Fahne dulden. In einheitlicher Kampffront wird die deutsche Arbeiterklasse die Republik gegen den Vorstoß der Monarchisten verteidigen, und Sie können sich darauf er lassen, daß in dieser Frage die roten Frontkämpfer mit den Reichsbannerleuten in einheitlicher Front aufmarschieren werden, um Ihre Vorstöße mit vereinter Kraft niederzuschlagen und niederzuwerfen. Weshalb diese Erklärung der Kommunisten? Haben die Kommunisten etwa eine besondere Vorliebe für diese schwarzrotgoldene Republik? Nein, dem ist nicht so. Wenn wir die Republik gegen die Anstürme der Monarchisten verteidigen, so deshalb, weil die demokratische Republik ein besserer Kampfboden für die Arbeiterklasse ist als die Monarchie, weil die Republik ein besserer Kampfplatz für die Entwicklung der proletarischen Kräfte ist als die Monarchie. [...]

Der Kampf zwischen Schwarz Weiß Rot und Schwarz Rot Gold ist ja im Grunde nichts anderes als der Kampf zweier Flügel der deutschen Bourgeoisie. Während der schwarzweißrote Flügel mit den schwarzweißroten Fahnen die offene und unverhüllte Diktatur über die Arbeiterklasse errichten will, sehen wir, daß der schwarzrotgoldene Flügel dasselbe Ziel nur mit anderen Mitteln erreichen will. [...]

[61].    Regierungsbildung in Mecklenburg-Schwerin, 1926.

Im Juni 1926 finden in Mecklenburg-Schwerin Landtagswahlen statt. Die bisherige Regierungspartei DNVP verliert ein Drittel der Stimmen und kommt auf 26,6 Prozent. Die KPD kommt nur auf 6,6 Prozent und verliert zwei Drittel ihrer Mandate. Die SPD kann Stimmen gewinnen, sie erreicht 39,9 Prozent und wird die stärkste Fraktion mit 20 der 50 Sitze. Sie bildet eine Minderheitsregierung unter Paul Schroeder (SPD), Julius Asch (SPD) und Richard Moeller (DDP), die jeweils mehrere Ministerien übernahmen. Diese Regierung braucht die Zustimmung der KPD. Der KPD-Fraktionsführer im Landtag Hugo Wenzel erklärt:

Den Tausenden von sozialdemokratischen Wählern soll jetzt die Regierung zeigen, daß sie wirklich aufräumen wird mit der Strauchdiebpolitik Brandenstein. Solange sie das tun wird, werden wir nicht nur neutral bleiben gegenüber dieser Regierung, sondern werden wir jeden Schritt dieser Regierung unterstützen mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln. [...] Wir werden der Regierung keine Möglichkeit zum Regieren geben in dem Augenblick, wo sie sich mit der mecklenburgischen Junkerschaft verbündet, in dem Augenblick, wo sie gegen die Interessen der werktätigen Bevölkerung handelt. So werden wir uns zu der heutigen Regierung verhalten.

Wenzel gerät damit in Konflikt mit der Partei. Philipp Dengel führt u. a. auf dem 11. Parteitag aus:

In dieser Hinsicht sind auch schwere opportunistische Abweichungen in einigen Landesparlamenten gemacht worden. Ich denke vor allem an Mecklenburg. Es war dort nicht nur ein einmaliges Eingreifen, sondern ein drei- bis viermaliges Eingreifen des ZK notwendig, um eine gewisse Form der Koalitionspolitik zu liquidieren. Was haben die Mecklenburger Genossen gemacht? Die Mecklenburger Genossen - und mitschuldig ist die Bezirksleitung - haben durch Stimmenthaltung ermöglicht, daß eine sozialdemokratisch-demokratische Koalitionsregierung gewählt wurde, sie haben es zweitens einige Monate hindurch versäumt, die Massen auf den Sturz dieser Koalitionsregierung durch außerparlamentarische Mobilisation vorzubereiten. Mithin hat sich die dortige kommunistische Fraktion mitschuldig gemacht an einer Politik, die diese Koalitionsregierung in der Hauptsache gegen das Proletariat durchführte.

Wenzel wird als Fraktionsführer abgelöst und mit Johannes Warnke ersetzt. Am 3. März 1927 lehnt die KPD den von Finanzminister Julius Asch vorgelegten Haushaltsplan ab. Damit ist die Regierung gestürzt, denn auch die um die Gunst ihrer mittelständischen Wählerschaft besorgte Wirtschaftspartei verweigert dem Etat ihre Zustimmung und stellt sich hinter den Misstrauensantrag, den die Kommunisten in der gleichen Sitzung einbringen. Daraufhin finden am 22. Mai 1927 Landtagswahlen statt. Die SPD wird wieder stärkste Partei mit 40,8 Prozent und zieht mit 21 Abgeordneten in den Landtag ein. Die DNVP stellt erneut die zweitstärkste Fraktion mit elf Abgeordneten. KPD und DVP haben weitere Stimmen eingebüßt, behalten aber ihre drei bzw. vier Abgeordneten. Der Sozialdemokrat Paul Schroeder wird erneut Ministerpräsident. Als stärkste Partei trägt die SPD der DDP und der KPD eine Regierungsbeteiligung an. Der KPD-Fraktionsführer Johannes Warnke begründet die ablehnende Haltung seiner Partei im Landtag folgendermaßen:

Unser Standpunkt ist allgemein bekannt. Wir lehnen nicht nur ab, in Verhandlungen einzutreten, wenn das Ziel eine Koalitionsregierung zwischen sozialdemokratischer und bürgerlichen Parteien sein soll, sondern wir sind als Gegner jeder Regierung dieser Staatsform nur für die Bildung einer Arbeiter- und Bauernregierung zu haben.

[62].    Wladimir I. Lenin: "Bemerkungen zu den Aufgaben unserer Delegation in Haag". In: Werke, Band 33; Berlin, Dietz Verlag, 1971; S. 436.

[63].    Gesetz über die Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, 1927.

Das Gesetz über die Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung wird am 7. Juli 1927 von den bürgerlichen Parteien und der SPD gegen die Stimmen der KPD im Reichstag angenommen. Damit wird der Grundsatz der allgemeinen staatlichen Erwerbslosenfürsorge endgültig beseitigt. Reich und Gemeinden finanzierten lediglich die Krisenfürsorge; die Kosten der Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung sind je zur Hälfte von den Unternehmern und den Arbeitern aufzubringen. Die Unterstützungssätze der Arbeitslosenversicherung sind nach 11 Lohnklassen gestaffelt. Nur die oberen Lohnklassen erhalten nunmehr Unterstützungssätze, die an diejenigen der bisherigen staatlichen Fürsorge heranreichen. Die Sätze der unteren Lohnklassen werden zum großen Teil erheblich herabgesetzt. Die Senkung beträgt bei alleinstehenden Arbeitern 3‑30, bei Arbeitern mit mehreren Kindern 50‑80 Prozent. Der Erwerbslose erhält nach 26wöchiger Arbeitslosenunterstützung ‑ nach Prüfung der "Bedürftigkeit" und einer Anwartschaft von 13 Wochen ‑ nur noch die äußerst niedrigen Sätze der Krisenunterstützung. Ein großer Teil der Arbeiter ‑ so die Land- und Forstarbeiter ‑ und die Lehrlinge, die vor Erlass des Gesetzes Erwerbslosenfürsorge erhielten, werden nicht von der Arbeitslosenversicherung erfasst. Zudem werden nach den Paragraphen 87 und 94 nur diejenigen unterstützt, die "unfreiwillig arbeitslos" geworden und nicht durch Streik oder Aussperrung ohne Arbeit waren.

[64].    Pflichtarbeit, 1923-1927.

Die mit Wirkung vom 1. November 1923 eingeführte Pflichtarbeit für Erwerbslose findet auch Eingang in das im Juli 1927 angenommene Arbeitslosenversicherungsgesetz, allerdings wird sie hier beschränkt auf Jugendliche unter 21 Jahren und auf Empfänger der Krisenunterstützung.

[65].    Ackernahrung

Der heute nicht mehr übliche Begriff bezeichnete jene Mindestfläche, die für den (dem allgemeinen Lebensstandard in einem Staat einigermaßen entsprechenden) Lebensunterhalt einer (vierköpfigen) Familie ohne Zuerwerb notwendig ist.

[66].    Betriebsfaschismus.

Als Betriebs- oder Werkfaschismus werden verschiedene Organisationen militaristisch-faschistischen beziehungsweise nationalistischen Charakters (Werksportbewegung, Stahlhelmgruppen, nazistische Betriebszellen) bezeichnet. Sie werden von den Unternehmern verstärkt ab Mitte der 1920-Jahre zur Terrorisierung der Arbeiterorganisationen vor allem in den Großbetrieben benutzt.

[67].    Cf. Fußnote 36 .

[68].    Taylor-System, Ford-System.

Das Taylor-System war ein von dem amerikanischen Kapitalisten Frederick Taylor entwickeltes System zur Intensivierung der Arbeit. Das nach dem amerikanischen Monopolisten Ford benannte Ford-System baute auf dem Taylor-System auf, ergänzte es durch Fließbandverfahren und weitestgehend mechanisierte Arbeitsgänge.

[69].    Gruppe Werner Scholem-Arthur Rosenberg-Iwan Katz

Die hier genannte Gruppe bildet sich im Frühjahr 1925 aus bisherigen Mitgliedern der Maslow-Fischer-Gruppe. Sie lehnt unter anderem den vom EKKI formulierten Standpunkt betreffend eine "relative Stabilisierung des Kapitalismus" ab, und wiedersetzt sich allgemein der von dem EKKI und der KPdSU ausgehenden Einflussnahme. Auf dem 10. Parteitag bekämpft Ruth Fischer, von Ernst Thälmann, Ernst Schneller und Hermann Remmele unterstützt, ihre früheren Bundesgenossen. Am Ende des Parteitags kommt es zu einer Annäherung von Opposition und Führung.

        Werner Scholem

Werner Scholem wird auf dem 9. Parteitag (April 1924) in die Zentrale sowie ins Politische Büro gewählt, am 10. Parteitag (Juli 1925) wieder ins ZK und ins Politbüro. Nach der Veröffentlichung des "Offenen Briefes" des EKKI (August 1925) (cf. Fußnote 47 ) versucht er, die "linke" Opposanten zu sammeln und gegen die neue Führung um Ernst Thälmanns zu mobilisieren. Er hält auf der Parteikonferenz im Oktober 1925 das Korreferat gegen Thälmann und wird auf dieser Tagung aus dem ZK ausgeschlossen. Er ist Teilnehmer des 6. EKKI-Plenums 1926. Er zählt zu den Unterzeichnern des im September 1926 veröffentlichten "Briefs der 700" (cf. Fußnote 53 ). Er wird am 5. November 1926 aus der Partei ausgeschlossen.

        Arthur Rosenberg

Arthur Rosenberg wird auf dem 9. Parteitag (April 1924) in die Zentrale der KPD gewählt. Auf dem 5. Weltkongress der Komintern (1924) wird er zum Mitglied des EKKI und auch in dessen Präsidium gewählt. Auf dem 10. Parteitag (Juli 1925) wird er ins ZK gewählt. Auf der EKKI-Tagung im März 1926 trennt er sich von den "linken" Oppositionellen und geht zur Thälmann-Führung über. Er ist Delegierter des 11. Parteitags (März 1927), wo er bereits die Rechten und Heinrich Brandler verteidigt. Am 26. April 1927 erklärt er "wegen des Versagens der Komintern in der China-Frage" seinen Austritt aus der KPD.

        Iwan Katz

Iwan Katz wird vom 9. Parteitag (April 1924) in die Zentrale und ins Politische Büro gewählt. Er wird ins EKKI-Präsidium nach Moskau geschickt. Während der Auseinandersetzungen 1925 wird er zunächst als Vertreter beim EKKI abgelöst. Am 12. Januar 1926 wird er aus der Partei ausgeschlossen.

[70].    Ernst Schwarz.

Schwarz (Pseudonyme Tiede) schließt sich 1925 der Opposition um Werner Scholem, Arthur Rosenberg und Iwan Katz an. Er gehört zur Gruppe Scholem-Katz-Rosenberg-Korsch-Schwarz, die jedoch auseinanderfällt. Eine Gruppe um Korsch und Ernst Schwarz bleibt bestehen, sie gibt ab März 1926 die Zeitschrift Kommunistische Politik heraus und organisiert eine eigene linke Gruppe gleichen Namens. Am 30. April 1926 wirde Schwarz aus der KPD ausgeschlossen. Im Herbst dieses Jahres trennt er sich von der Korsch, gibt ein eigenes Organ heraus Entschiedene Linke und nähert sich der KAPD. Im Dezember 1927 tritt er aus seiner eigenen Gruppe "Entschiedene Linke" aus, weil diese sich mit der KAPD verschmilzt und er auf Grund der antiparlamentarischen Orientierung der KAPD sein Reichstagsmandat hätte niederlegen müssen. Er bleibt bis 1928 Reichstagsabgeordneter.

[71].    Cf. Fußnote 69 .

[72].    Hans Weber.

Weber wird 1920 in den Zentralausschuss der KPD gewählt, dem er bis 1924 angehört. Ab 1925 ist er Oppositioneller. Am 10. Parteitag (Juli 1925) wird er ins ZK gewählt. Er zählt zu den Unterzeichnern des im September 1926 veröffentlichten "Briefs der 700" (cf. Fußnote 53 ). Er spielt eine führende Rolle in der sogenannten Weddinger Opposition (cf. Fußnote 73 ). Auf dem 11. Parteitag (März 1927) wird er nicht mehr ins ZK gewählt, er wird danach am 14. März 1928 aus der KPD ausgeschlossen. Er besorgt die Herausgabe von Trotzkis Schrift: "Die internationale Revolution und die Kommunistische Internationale" (1929), Er bleibt einige Zeit Leiter der Weddinger Opposition, die 1930 die Gruppe Linke Bolschewiki-Leninisten, gründet. In der Folge zieht er sich von der aktiven Politik zurück.

[73].    Wilhelm Kötter.

Kötter tritt 1920 in die KPD ein. 1923 und neuerlich 1925 ist er Unterbezirks-Leiter in Bielefeld. Er ist Delegierter als Vertreter der Oppositionellen am 10. Parteitag (Juli 1925). 1926 ist er einer der Führer der Weddinger Opposition (cf. Fußnote 72 ). Er ist Delegierter auf dem 11. Parteitag (März 1927). Die Weddinger Opposition spaltet sich, Meinungsverschiedenheiten betreffen unter anderem den "Brief der 700"(cf. Fußnote 53 ). dem sich Kötter nicht anschließt. Im August 1927 wird er wieder Politischer Leiter des oppositionellen Unterbezirks Bielefeld. Am 24. Juni 1930 wird er wegen "groben Disziplinbruchs und Parteischädigung" aus der KPD ausgeschlossen. Politisch tritt er nicht mehr hervor.

[74].    Wladimir I. Lenin: Was tun? Brennende Fragen unserer Bewegung. In: Werke, Band 5; Berlin, Dietz Verlag, 1973; S. 379.