Description : F:\Werner\orig\02_inet\Ignition\site\img\pag\entete.jpg

Startseite

 

 

English

 

Français

 

Español

 

Site-Übersicht

 

 

 

 

 

Deutsch   >   Grunddokumente   >

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

12. Plenum des Exekutivkomitees
der Kommunistischen Internationale
(27. August - 15. September 1932)

Dmitrij Zaharovič Manuilʹskij
Diskussionsrede
(Auszüge)

September 1932

 

 

Quelle:

Dmitriĭ Zakharʹevich Manuilʹskiĭ: Das Ende der kapitalistischen Stabilisierung, Moskau, Verlagsgenossenschaft Ausländischer Arbeiter in der UdSSR, 1932 [1].

 

 

 

 

 

 

Erstellt: November 2016

Druckversion
Dokumente der Kommunistischen Internationale ‑ Übersicht

 

 

 

 

 

 

Diskussionsrede zum Bericht des Genossen Kuusinen
über die internationale Lage und die Aufgaben der Sektionen der Kommunistischen Internationale

Das Neue in der internationalen Situation

Das Wichtigste und das Neue, das in den Thesen, die dem Plenum vorgeschlagen wurden, enthalten ist, das, was schon seinerzeit Genosse Stalin signalisiert hatte ‑ das ist das Ende der kapitalistischen Stabilisierung. Man darf ohne Übertreibung behaupten, daß dies das Wichtigste ist, was die Komintern seit dem Ende des ersten Turnus der Kriege und Revolutionen festgestellt hat. Diese Tatsache wird in den nächsten Jahren die Politik der Komintern bestimmen. Im Laufe des raschen Wechsels der Ereignisse, der sich auf der Grundlage des Endes der kapitalistischen Stabilisierung vollziehen wird, werden wir entsprechend der veränderten Situation die kommunistischen Parteien umorientieren müssen.

Das Ende der kapitalistischen Stabilisierung bedeutet eine schroffe Veränderung der internationalen Situation (Zusammenbruch der Dawes[2] und Youngpläne[3], der Reparationen, Sprengung des Washingtoner Abkommens, ungeheure Verschärfung der Widersprüche zwischen den imperialistischen Räubern); eine Veränderung der Klassenverhältnisse in den kapitalistischen Ländern (Verelendung der werktätigen Massen, ihre noch größere Versklavung durch das Finanzkapital, Anwachsen des Faschismus und des revolutionären Aufschwungs auf Grund des verschärften Klassenkampfes); veränderte Wechselbeziehungen zwischen den imperialistischen Staaten und den Kolonien (rasender Angriff gegen die Kolonien, Krieg in China, Massenhinrichtungen in Indien, in Indochina) und als Antwort darauf ‑ Aufschwung der national-revolutionären Bewegung in den Kolonien; schließlich veränderte Wechselbeziehung zwischen den imperialistischen Räubern und der Sowjetunion (das Eintreten der UdSSR in die Periode des Sozialismus und ihre Festigung auf dem Wege zum Sozialismus rufen den wütenden Haß der kapitalistischen Welt hervor, was ein Beweis dafür ist, daß die “Atempause” sich ihrem Ende nähert).

Der Umstand, daß die Prozesse, die zum Ende der kapitalistischen Stabilisierung geführt haben, noch nicht abgeschlossen sind und daß alle Hauptwidersprüche des Kapitalismus sich in den verschiedenen Ländern ungleichmäßig auswirken, kann die Bedeutung dieser Tatsache nicht abschwächen. Länder wie die Vereinigten Staaten, Frankreich, Deutschland, China und Indien stehen sämtlich im gleichen Zeichen des Endes der kapitalistischen Stabilisierung, wenn auch die Tiefe der Klassenverschiebungen, die Schärfe der Klassenwidersprüche und die internationale Lage dieser Länder grundverschieden sind.

Das Ende der kapitalistischen Stabilisierung ist keine lokale Angelegenheit, es ist eine internationale Erscheinung. Aus dieser Tatsache werden wir taktische Schlußfolgerungen von internationaler Gültigkeit ziehen müssen. Genosse Kuusinen hat aber mit Recht in seinem Referat davor gewarnt, diese taktischen Schlußfolgerungen, zu schablonisieren und die Eigenart der einzelnen Länder sowie die Ungleichmäßigkeit der Entwicklung der revolutionären Prozesse nicht in Betracht ziehen.

Diese Tatsache kann auch dadurch nicht erschüttert werden, daß das Ende der kapitalistischen Stabilisierung heute noch nicht den völligen Zusammenbruch des Versailler Systems bedeutet. Wir befinden uns am Anfang dieses Zusammenbruchs. Deutschland und Österreich sind nach wie vor erdrückt, die alten Versailler Grenzlinien werden nach wie vor aufrechterhalten, und nach wie vor umgibt sich Frankreich mit dem Ring seiner Vasallen- Verbündeten (Polen, Tschechoslowakei, Rumänien, Jugoslawien). Rings um das ganze Versailler System (Reparationen, Grenzen, Aufrüstung) entfaltet sich jetzt ein scharfer Kampf, wie er noch nie dagewesen ist. Er hat dieses System bereits stark angegriffen und sich auf die Beschleunigung des Endes der kapitalistischen Stabilisierung ausgewirkt.

Diese Tatsache, die von gewaltiger internationaler Bedeutung ist, kann auch, dadurch nicht beeinträchtigt werden, daß sich das Ende der kapitalistischen Stabilisierung angesichts eines sehr starken Zurückbleibens der kommunistischen Parteien hinter der günstigen objektiven Situation vollzieht. Dieses Zurückbleiben verzögert bloß den Zusammenbruch des Kapitalismus und das Umschlagen des Endes der kapitalistischen Stabilisierung in die revolutionäre Krise. Dadurch entsteht auch im wesentlichen die Lage, daß zwischen dem Ende der kapitalistischen Stabilisierung und der revolutionären Krise in den entscheidenden kapitalistischen Ländern eine gewisse Zeit vergehen wird, deren Dauer neben der weiteren Auswirkung der objektiven Faktoren von der Aktivität der kommunistischen Parteien abhängen wird. So groß aber diese Aktivität auch sein mag, das Umschlagen des Endes der kapitalistischen Stabilisierung in die revolutionäre Krise wird in den verschiedenen Ländern ungleichmäßig vor sich gehen. Wir haben am wenigsten Grund, diesen Zeitabschnitt, der den Übergang zum zweiten Turnus der Kriege und Revolutionen bildet, als eine besondere vierte Periode darzustellen, die zur fünften Periode der allgemeinen revolutionären Krise führt.

Auf dem 6. Kongreß haben wir die dritte Periode als die der Verschärfung aller kapitalistischen Hauptwidersprüche charakterisiert, die die kapitalistische Welt unvermeidlich zum zweiten Turnus der Kriege und Revolutionen führt. Aber gerade das Ende der kapitalistischen Stabilisierung bildet sozusagen die “Seele” dieser Periode.

"Diese dritte Periode", ‑ heißt es in der Resolution des 6. Weltkongresses[4] ‑ "in der sich der Widerspruch zwischen dem Wachstum der Produktivkräfte und der Verengerung dar Märkte ganz besonders verschärft, führt unvermeidlich zu einer neuen Phase von Kriegen zwischen den imperialistischen Staaten, von Kriegen gegen die Sowjetunion, nationalen Befreiungskriegen gegen den Imperialismus, Interventionen des Imperialismus, gigantischen Klassenkämpfen. Diese Periode, in der sich alle internationalen Gegensätze [...] verschärfen, in der sich die inneren Widersprüche in den kapitalistischen Ländern zuspitzen [...], in der Bewegungen in den Kolonien ausgelöst werden [...] führt unvermeidlich über eine weitere Entwicklung der Widersprüche der kapitalistischen Stabilisierung zur erneuten Erschütterung der kapitalistischen Stabilisierung und zur äußersten Verschärfung der allgemeinen Krise des Kapitalismus [...]. Daher das Heranreifen einer neuen Ära gewaltiger kriegerischer Zusammenstöße, des Interventionskrieges gegen die Sowjetunion, daher die mit allen Mitteln betriebene Intervention in China. Die Entwicklung der Widersprüche der kapitalistischen Stabilisierung führt auf diese Weise schließlich unvermeidlich zu einem Umschlagen der gegenwärtigen “Stabilisierungsperiode” in eine Periode gewaltiger Katastrophen."

Es gab eine Zeit, wo einzelne Genossen geneigt waren, einzelne große Streiks oder Demonstrationen, als Ereignisse zu betrachten, die über den Rahmen der dritten Periode hinausragen; schon auf dem 10. EKKI‑Plenum wurden einige Stimmen laut: muß man denn nicht die revolutionäre Bewegung in die “vierte Klasse” versetzen? Die Genossen, die diese Frage aufgeworfen haben, haben den wahren revolutionären Charakter der dritten Periode nicht begriffen. Wir mußten gegen das Spiel mit den Perioden, das an die Stelle einer ernsten revolutionären Einschätzung der Ereignisse nichtssagende, leere und den wirklichen internationalen und klassenmäßigen Veränderungen nicht entsprechende Schemen setzte, ganz entschieden auftreten. Das Ende der kapitalistischen Stabilisierung als eine besondere Periode ohne Revolutionen und Kriege hinzu stellen, das heißt, diese Periode als eine allgemeine Verwesung bei völliger Passivität der Arbeiterklasse darstellen. Das würde bedeuten, das Schicksal des Monopolkapitalismus dem des antiken Rom und Griechenland gleichzustellen ‑ Zersetzung des sozialen und politischen Systems ohne jegliche Aktivität jener Klasse, die dieses System in den Abgrund stößt. Wenn wir aber auch genaue Termine nicht voraussagen und die genaue Dauer des Zeitabschnittes zwischen dem Ende der kapitalistischen Stabilisierung und der Phase der Revolutionen und Kriege nicht im voraus bestimmen können, so dürfen wir doch deshalb nicht fatalistisch annehmen, daß diese Periode der Zersetzung des Kapitalismus eine sehr lange sein wird. Dabei wird vor allem die Arbeiterklasse ein Wörtchen mitzureden haben.

Die Frage des Endes der kapitalistischen Stabilisierung ist von gewaltiger Bedeutung auch aus dem Grunde, weil sie über die Frage der neuen Stufe der allgemeinen Krise des Kapitalismus entscheidet. Das Neue, das wir in dieser Beziehung in unseren Thesen aussprechen, besteht darin, daß sich die allgemeine Weltkrise des Kapitalismus einer neuen Stufe ihrer Entwicklung nähert. Was stellt diese neue Entwicklungsstufe der allgemeinen Krise des Kapitalismus dar, und was ist ihr Inhalt? Das ist eben der neue Turnus der Kriege und Revolutionen, und, um den Inhalt dieser neuen Stufe der allgemeinen Krise des Kapitalismus zu verstehen, müssen wir uns konkret darüber klar werden, worin die sozialen und politischen Folgen des Endes der kapitalistischen Stabilisierung bestehen.

Das Anwachsen der Widersprüche des Kapitalismus

Die kapitalistische Wellwirtschaft hat nie eine harmonische Einheit dargestellt. Aber auch die relative Einheit der kapitalistischen Wirtschaft, die vor dem Weltkrieg bestand, ist durch die proletarische Revolution in Rußland, die die Weltwirtschaft in zwei völlig verschiedene Welten zerschlagen hat, gesprengt worden. Die Entstehung der sozialistischen Wirtschaft in der UdSSR war die Hauptursache der allgemeinen Weltkrise des Kapitalismus. Die gegenwärtige ökonomische Krise hat aber weitere Verwüstungen im Lager der kapitalistischen Weltwirtschaft angerichtet. Sie hat diese Wirtschaft in ihre national-staatlichen Bestandteile aufgelöst. Die Periode, die zwischen dem 11.[5] und dem 12. EKKI‑Plenum liegt, war dadurch gekennzeichnet, daß in ihr die Prozesse der Auflösung der Weltwirtschaft in ihre Bestandteile sehr starke Ausmaße erreicht haben. Durch die kapitalistische Welt ging eine Welle des “ökonomischen Nationalismus”, (Entwicklung des Protektionismus, Verbote der Valutaausfuhr, Zollkriege, Kontingentierung, Präferenzsystem usw.). Die Tendenzen zur wirtschaftlichen Autarkie haben überall ein rasendes Entwicklungstempo angenommen. Die kapitalistische Welt gleicht der untergehenden "Titanic", auf der jeder danach trachtet, vor allem sich selbst auf Kosten seines Nächsten zu retten. Das ist auch die ökonomische Basis jener nationalistischen Welle, deren Anwachsen in den Thesen des 12. Plenums konstatiert wird und die mit der Entwicklung des Faschismus aufs engste verknüpft ist. Das ist auch eine Erscheinung des Endes der kapitalistischen Stabilisierung, die die allgemeine Krise des Kapitalismus auf eine neue Stufe hebt.

Diese hochgeschwellten nationalistischen Stimmungen nähren nicht nur den Faschismus, sie erzeugen in der kapitalistischen Welt eine Kriegspsychose. Die kapitalistische Welt gleicht jetzt noch mehr als am Vorabend des Weltkrieges einem Pulverfaß. Bloß die unterirdischen Leitungen zu diesem Pulverfaß haben ihren Platz gewechselt. Zu den alten Gegensätzen in Europa sind die Gegensätze am Stillen Ozean hinzugekommen. Die Pazifikära am Ende der kapitalistischen Stabilisierung bedeutet nicht nur den Krieg gegen China, nicht nur die Gefahr eines Krieges gegen die Sowjetunion, sie bedeutet auch den heranreifenden Konflikt zwischen Japan und den Vereinigten Staaten. Das Washingtoner Abkommen der 5 Großmächte ist bereits gesprengt; die Pazifikära der Weltkonflikte, die den ganzen Komplex der europäischen Konflikte am Mittelmeer und am Atlantischen Ozean in sich schließt, kündigt einen noch nie dagewesenen fürchterlichen Weltkrieg an, der sämtliche Kontinente des Erdballs in Bewegung setzen wird.

Dieser heranreifende Weltkrieg bricht ein in das komplizierte Geflecht der kolonialen Bewegungen, in die zugespitzte, mit sozialen Konflikten überladene innere Lage der kapitalistischen Staaten.

Alle Widersprüche des Kapitalismus werden jetzt auf einer verbreiterten Basis reproduziert. Denn während der erste Turnus der Revolutionen und Kriege einen vorwiegend europäischen Charakter trug, wird der zweite Turnus die Werktätigen in Konflikte von nicht nur europäischer, sondern von Weltbedeutung hineinführen. Solche Ereignisse wie die Verschärfung der Beziehungen zwischen Polen und Deutschland wegen des Danziger Korridors, der Krieg in China, das Waffenklirren Japans und Amerikas, schließlich die offen zum Ausdruck kommenden Pläne, die Sowjetunion von Osten und Westen her zu überfallen, ‑ das sind neue Momente, die mit dem Ende der kapitalistischen Stabilisierung verbunden sind. Ist es denn bloßer Zufall, daß jetzt, neben Deutschland und Polen, China und Japan zu Knotenpunkten der revolutionären Weltbewegung werden, daß auf sie jetzt die Augen des ganzen Weltproletariats gerichtet sind? Es ist dies die politische Synthese des balkanisierten Europa und der zu einem Knoten geschürzten Widersprüche am Pazifik.

Deutschland, das Land mit der stärksten kommunistischen Massenpartei, steht von allen hochentwickelten kapitalistischen Ländern der proletarischen Revolution am nächsten. Die deutsche Revolution ‑ das bedeutet die Revolution in ganz Mittel- und Osteuropa, das bedeutet die Schaffung einer starken revolutionären Faust, die gegen die gesamte übrige kapitalistische Welt gerichtet ist, das bedeutet ein entscheidendes Übergewicht des Landes der proletarischen Diktatur über den Rest der kapitalistischen Welt. Deutschland ‑ das wichtigste Kettenglied im ganzen Versailler System, das Land mit der am meisten zerrütteten Wirtschaf t unter den kapitalistischen Großmächten, das Land, in dessen Innern der schärfste Klassenkampf tobt, ‑ es ist die blutende Wunde Europas (die deutsche Frage ist nach der Sowjetunion das Problem, das die kapitalistische Welt am stärksten beunruhigt) , es ist der Kampf eines hochentwickelten kapitalistischen Landes gegen seine Versklavung durch den Imperialismus.

Polen ist ein Land der Arbeiter- und Bauernbewegung mit revolutionären Kampftraditionen, es bildet die Brücke zur proletarischen Revolution in Deutschland. Polen ist aber zugleich der kapitalistische Vorposten in der Einkreisung der UdSSR, ist in dem Krieg, der gegen den ersten Arbeiterstaat wird, die Stoßwaffe des Weltimperialismus und in erster Reihe Frankreichs, ist der Gendarm der Reaktion und des Faschismus in ganz Osteuropa. Polen ist das Land des absteigenden Faschismus, der seinen Bankrott offen zur Schau trägt.

Und neben diesen zwei Ländern steht China, das bei der Zerstörung der kapitalistischen Stabilisierung eine äußerst wichtige Rolle gespielt hat, der Nerv der Widersprüche der größten kapitalistischen Mächte am Stillen Ozean, der alle antagonistischen Konflikte zwischen Japan und den Vereinigten Staaten ausgelöst hat, China, das mit seiner Revolution die Völker Indochinas, Indiens, der Philippinen, der Malaiischen Inseln und der anderen Kolonien aus ihrem Schlafe weckt, das Labilitätszentrum des gesamten Kolonialsystems des Weltimperialismus, das im Osten durch die Mongolei mit der Sowjetunion verbunden ist, China mit seinem riesigen Sowjet-Territorium, mit seiner unbesiegbaren Roten Armee. Bedenkt, Genossen, daß die Kuomintang allein seit dem 11. EKKI‑Plenum drei Feldzüge (insgesamt waren es vier) gegen die Sowjetgebiete unternommen hat, und daß alle diese drei Feldzüge von der siegreichen Roten Armee zurückgeschlagen worden sind. Das war eine geschichtliche Prüfung der Möglichkeit und Anwendbarkeit des Sowjetsystems nicht nur in China, sondern bei den Kolonialvölkern überhaupt. In diesem Kampfe haben Millionenmassen für die Sowjetmacht in China “mit den Waffen abgestimmt”. Die national-revolutionäre Bewegung hat in China seit dem 11. Plenum im Zusammenhang mit dem japanischen Überfall eine noch nie dagewesene Höhe erreicht und ihrem Ausmaß nach die Bewegung, die wir in den Jahren 1925/27 beobachtet haben, weit hinter sich gelassen. Diese antijapanische Bewegung war wirklich eine Massenbewegung aller Werktätigen. Sind etwa diese Tatsachen für das Ende der kapitalistischen Stabilisierung weniger charakteristisch als der Rückgang der Produktion usw.?

Und schließlich Japan, das Land, das die kapitalistische Stabilisierung nicht nur durch das Fallen seines Yen gesprengt hat, sondern durch den Krieg, durch seine aggressive Politik im Fernen Osten, die von dem Bestreben Japans diktiert ist, zur ausschlaggebenden Großmacht in ganz Asien zu werden und durch seine Flotte die asiatische Küste des Stillen Ozeans zu beherrschen. Aber gleichzeitig mit dem Krieg und dem Wüten der militärfaschistischen Reaktion sprengen auch die Elemente der anwachsenden Krise in Japan die kapitalistische Stabilisierung.

Die Verschärfung des Klassenkampfes und das Anwachsen des Faschismus

Zweitens bedeutet das Ende der kapitalistischen Stabilisierung eine Verschärfung des Klassenkampfes und ein Anwachsen des Faschismus. Dies ist eine übliche Formel unserer Thesen und Resolutionen und stellt als solche nichts Neues dar. Jedoch wird der Grad der Faschisierung der kapitalistischen Staaten in dieser neuen Etappe ein anderer sein als bisher. Das, was sich jetzt in Deutschland abspielt, ist das Muster für den Weg, den die kapitalistischen Länder beschreiten werden, wenn nicht revolutionäre Kampfaktionen oder die proletarische Revolution diese Prozesse aufhalten oder ihnen ein Ende setzen. Wenn wir ernsthaft vom Ende der kapitalistischen Stabilisierung sprechen, so müssen wir auch sagen, daß auch die Ära der sogenannten bürgerlichen Demokratie in das Stadium einer scharfen Krise eintritt, die sie zur politischen Agonie führt. Die Entwicklung dieser Krise der bürgerlichen Demokratie wird von zwei Momenten bestimmt werden: vom Anwachsen des- revolutionären Aufschwungs und von der Entwicklung des. Faschismus.

Bis jetzt haben wir davon gesprochen, daß die Bourgeoisie mit Hilfe ihrer zwei Flügel regiert ‑ der Sozialdemokratie und des Faschismus. Die Periode der kapitalistischen Stabilisierung war dadurch gekennzeichnet, daß die Bourgeoisie sich hauptsächlich der Sozialdemokratie bediente (Koalitionen, sozialdemokratische Regierungen). Das Ende der kapitalistischen Stabilisierung vergrößert das spezifische Gewicht des Faschismus im System der staatlichen Verwaltung des Kapitals. Es wäre verfrüht zu behaupten, daß die Sozialdemokratie schon das Gnadenbrot erhält, das sie wegen ihrer früheren Verdienste im Altersheim verzehren darf. Anderseits wäre es aber falsch, zu glauben, in der Stellung der Sozialdemokratie im System des kapitalistischen Staates habe sich, durch die Tatsache des Endes der kapitalistischen Stabilisierung selbst nichts verändert. Ferner darf man besonders am Ende der kapitalistischen Stabilisierung sich den Faschismus nicht als einen einseitigen Prozeß, des Wachstums der Reaktion vorstellen. Die Parteien organisieren den Bürgerkrieg nicht, wenn nirgendwo Elemente dieses Krieges vorhanden sind, wenn es niemanden gibt, gegen den man kämpfen will. Es wäre lächerlich zu glauben, die Entwicklung des Faschismus werde parallel mit einer stabilen Lage und Passivität im Lager des Proletariats vor sich gehen. Das trifft sowohl für die einzelnen Länder als auch im internationalen Maßstabe zu.

Erstens ist der Faschismus selbst, der ein Produkt der kapitalistischen Verwesung ist, wie Genosse Kuusinen richtig betont hat, der Zersetzung verfallen. Sogar in der aufsteigenden Linie des deutschen Faschismus können wir bereits Elemente seines Zerfalls beobachten.

Zweitens ist das Ende der kapitalistischen Stabilisierung dadurch gekennzeichnet, daß jene faschistischen Diktaturen, die noch in der Periode der kapitalistischen Stabilisierung aufgerichtet wurden (Jugoslawien, Polen, Italien), die Schläge des revolutionären Massenaufschwungs verspüren. Daher wäre es falsch, in der neuen Phase der allgemeinen Krise des Kapitalismus die Entwicklung; des Faschismus ausschließlich als eine aufsteigende Linie darzustellen. Hier werden die Linien auch in der entgegengesetzten Richtung laufen. Und das werden die Elemente des revolutionären Aufschwungs und der herannahenden revolutionären Krise sein.

Unsere Thesen charakterisieren die jetzige Situation als einen Kampf der antagonistischen Kräfte, der stellenweise sich stürmisch verschärft, stellenweise gehemmt wird. In diesem Kampfe der antagonistischen Kräfte reifen eben die Elemente der Revolution und der Konterrevolution heran, die der gegenwärtigen äußerst labilen Situation immanent sind. Mit vollem Recht hat Marx gesagt: Die Partei der Revolution erzeugt eine geschlossene Partei der Reaktion. Der Faschismus ist als politische Partei genau so labil wie die gesamte gegenwärtige Situation. Als Produkt der Zersetzung des Kapitalismus weist er sogar in den Augenblicken seines höchsten Aufschwungs Merkmale der Verwesung auf. Und wenn es zur Zertrümmerung der Sozialdemokratie schon vieler Jahre bedurft hat, so werden für den Zerfall des Faschismus unter den Bedingungen des Endes der kapitalistischen Stabilisierung natürlich viel kürzere Fristen nötig sein.

Doch wird der Faschismus nicht automatisch zusammenbrechen, er wird nicht zerfallen, wenn man ihm nicht einen Stoß versetzt. "Keine Klasse, ‑ sagte Lenin mit Recht ‑ kein Regime fällt, wenn man es nicht stößt." Wir haben seinerzeit auf dem 11. Plenum gegen die Unterschätzung des Faschismus gekämpft (gegen die Theorie von der allgemeinen Offensive, gegen die Theorie, daß wir dem Faschismus den Weg verstellt hätten, daß der Faschismus ein Defensivmittel des Kapitalismus, daß er nur ein Produkt der Zersetzung ist, Theorien, die von Genossen Neumann in Deutschland aufgestellt wurden). Aber jetzt, Genossen, im Augenblick des Endes der kapitalistischen Stabilisierung entsteht eine neue Gefahr, und zwar die der Unterschätzung des Faschismus als Element der Zersetzung des Kapitalismus, die Gefahr der Betrachtung der faschistischen Diktatur als eines Faktors der Konsolidierung der Klassenherrschaft der Bourgeoisie.

Es ist hier bereits richtig darauf hingewiesen worden, daß man den Faschismus des Endes der kapitalistischen Stabilisierung nicht dem Faschismus ihres Anfangs gleichsetzen darf. Wer kann jetzt behaupten, daß eine Regierung mit Hitler als Reichskanzler den deutschen Kapitalismus aus der Sackgasse herausbringen und die kapitalistische Stabilisierung wieder herstellen könnte? Die kluge und berechnende deutsche Bourgeoisie läßt deshalb vorläufig Hitler nicht an die Macht kommen, weil sie befürchtet, ihre Reserve dadurch zu kompromittieren; sie befürchtet, daß die Hitlerleute die innerpolitische Lage Deutschlands noch mehr verwirren, eine für sie äußerst gespannte internationale Situation herbeiführen und das Heranreifen der revolutionären Krise in Deutschland beschleunigen würden. Man darf nicht vergessen, daß Deutschland kein halbagrarisches Land wie Polen oder Italien ist. Deutschland ist ein Land mit einem riesigen Proletariat, ein Land, in dem die Erinnerungen an die proletarische Revolution 1918 (auch wenn sie nicht gelungen ist) lebendig sind, ein Land mit einer starken Kommunistischen Partei, einem Proletariat mit Traditionen seiner Klassenorganisationen und einer langjährigen Geschichte des Klassenkampfes. Diesen Massen einen faschistischen Maulkorb aufzusetzen, sie an das faschistische Hakenkreuz zu schlagen wird der Regierung Papen-Schleicher nicht gelingen.

Drittens darf man nicht vergessen, daß die Machtübernahme Hitlers in Deutschland eine ganz andere internationale Situation schaffen würde als die Machtübernahme Mussolinis oder Pilsudskis. Sie bedeutete eine neue Verschärfung der Widersprüche von Versailles, eine ungeheure Zuspitzung der europäischen Beziehungen, was wiederum das Heranreifen der revolutionären Krise in Mitteleuropa beschleunigen würde. Und dies ist nicht nur für Deutschland allein charakteristisch. Unter den Bedingungen des Endes der kapitalistischen Stabilisierung ist der Faschismus eine Quelle Internationaler Abenteuer und scharfer bewaffneter Zusammenstöße. Stellt euch nur einen Augenblick vor, was Europa in internationaler Hinsicht darstellte, wenn es faschistisch würde. Das hieße ‑ aufgepflanzte Bajonette, geladene Geschütze, in Gang gesetzte Tanks; das wäre der Krieg aller gegen alle. Am wenigsten sähe es einem Idyll der kapitalistischen Stabilisierung ähnlich. Und das keineswegs zufällig. Der Faschismus des Endes der kapitalistischen Stabilisierung wird immer mehr seine Elemente der fortschreitenden Zersetzung des Kapitalismus in den Vordergrund treten lassen, doch bedeutet dies nicht, daß sich die Elemente der terroristischen Diktatur nicht ebenfalls entwickeln werden.

Und eben das ist es, was wir auf dem 11. Plenum noch nicht gesagt haben und was wir jetzt auf dem 12. Plenum sagen müssen. Dieser Umstand zwingt die Bourgeoisie, vor den Massen mit dem Faschismus zu manövrieren. Sowohl in Finnland als auch in Deutschland sehen wir eine Bourgeoisie, die das Regime der faschistischen Diktatur aufgerichtet hat, diese Tatsache aber bewußt dadurch verschleiert, daß sie die Lappo- bzw. die Hitlerbanden vorläufig noch in Reserve hält, als ein Mittel des terroristischen Druckes auf die Massen, damit sie die gegenwärtige Phase der faschistischen Diktatur dulden. Unser Regime ist noch kein Regime der faschistischen Diktatur ‑ sagt die Bourgeoisie zu den Massen ‑, wenn ihr aber dieses Regime nicht dulden werdet, treten wir den Platz an Hitler ab. Worin besteht aber das Wesen einer faschistischen Diktatur mit Reserve, deren Muster wir heute in Deutschland sehen? Man darf natürlich die Regierung Papen-Schleicher mit der Regierung Brüning nicht identifizieren, doch ist die Regierung Papen-Schleicher keine vollendete faschistische Diktatur. Ist denn überhaupt eine vollendete faschistische, Diktatur vom Typus des italienischen Faschismus, eine sozusagen stabile faschistische Diktatur unter den gegenwärtigen, äußerst labilen Bedingungen des Endes der kapitalistischen Stabilisierung möglich? Anderseits hat der italienische Faschismus dadurch, daß er nach seiner Machtergreifung eine Zeitlang die proletarische Presse ("Avanti"), Arbeiterorganisationen, die Gewerkschaften, und halblegal die Kommunistische Partei existieren ließ, den Charakter einer faschistischen Diktatur keineswegs verloren. Deshalb, weil er die Arbeiterbewegung erst ein paar Monate später unterdrückt hat, hat er in den ersten Monaten seiner Herrschaft keineswegs den Charakter einer faschistischen Diktatur aufgegeben.

Wir glauben, daß wir in Deutschland bereits eine faschistische Diktatur haben; ob aber die Hitlerbanden zur Macht kommen werden oder ob die Regierung Papen Schleicher sich längere Zeit wird halten können, ist von einer ganzen Reihe innerpolitischer und internationaler Bedingungen in Deutschland abhängig, in erster Reihe aber von der Aktivität der Arbeiterklasse und davon, ob die Kommunistische Partei es verstehen wird, die antifaschistische Einheitsfront zu verbreitern und die breiten Massen des deutschen Proletariats um ihre Losungen zu vereinigen. Es wäre falsch, die Arbeit des Plenums in die Bahn scholastischer Diskussionen abzulenken, statt die Lage des deutschen Proletariats und jene Aufgaben zu analysieren, vor die es der Kampf gegen den seit der Zeit des 11. Plenums stark angewachsenen Faschismus stellt.

Das Ende der Periode der sozialen Reformen

Das dritte Moment des Endes der kapitalistischen Stabilisierung ist das Ende der Periode der sozialen Reformen, die Erschütterung der Lage der Arbeiteraristokratie, das neue Lebenshaltungsniveau der Arbeiterklasse neben der Massenverelendung der Bauernschaft und des städtischen Kleinbürgertums, oder mit anderen Worten die massenhafte Proletarisierung der breiten werktätigen Massen. Wir dürfen nicht die neue Stufe der allgemeinen Krise des Kapitalismus als einen rein ökonomischen Prozeß der Weltwirtschaft betrachten, ohne dabei, die sozialen und politischen Folgen, die sich aus dem ökonomischen Umschwung ergeben, zu berücksichtigen; sonst werden wir weder die Dialektik der Zuspitzung des Klassenkampfes noch den Faschismus, noch den revolutionären Aufschwung der Massen begreifen können. Das ist der Schlüssel zur proletarischen Revolution. Das ist der Schlüssel dazu, daß die Kommunisten jetzt mehr denn je ihre Aufmerksamkeit auf die täglichen Nöte der Massen richten und sie zum Kampf für ihre elementarsten ökonomischen Forderungen mobilisieren müssen.

Gerade jetzt, wo die Sozialdemokratie und die Reformisten, die im Fahrwasser der kapitalistischen Ideologie treiben, den Kapitalismus verteidigen, indem sie beweisen, daß er nicht in der Lage sei, neue Reformen zu gewähren, die Lage der Arbeiterklasse zu verbessern, daß er unter dem Druck der Weltkrise gezwungen sei, die Löhne herabzusetzen ‑ gerade jetzt müssen wir Kommunisten diesen Tatsachen überall unsere Linie des Kampfes für die Teilforderungen der Arbeiterklasse entgegenstellen. Wir müssen mit noch größerer Energie die Sozialdemokratie entlarven, die unter der Maske eines Radikalismus in Worten die Arbeiter in der Tat demoralisiert, Passivität und Kapitulationsstimmung züchtet. Gerade die wirtschaftlichen Nöte der Massen bilden die Grundlage für das Hinüberwachsen des revolutionären Aufschwungs in die revolutionäre Krise.

Man müßte wahnsinnig sein, um zu glauben, daß sich die Arbeiterklasse der Neuen Welt oder Europas, die doch immerhin über eine jahrzehntelange Erfahrung des Kampfes für ihr Lebenshaltungsniveau und über Organisationstraditionen verfügt, widerstandslos restlos versklaven lassen und mit einem für die Arbeiter zu Beginn des Kapitalismus üblichen materiellen Lebensniveau zufrieden geben wird. Jetzt hegt die Arbeiterklasse noch Illusionen über die Möglichkeit, zu den normalen Zeiten der kapitalistischen Stabilisierung zurückzukehren. Sie betrachtet die jetzige Lage als eine provisorische, eine vorübergehende. Hier und da glauben noch die am meisten zurückgebliebenen Elemente unter den Arbeitslosen, daß der Krieg oder das legendäre "Dritte Reich" ihnen Arbeit verschaffen werde. Doch das Ende der kapitalistischen Stabilisierung öffnet ihnen die Augen. Die Perspektive großer Kämpfe ist nicht von uns Kommunisten erfunden worden, sie wird heute zur Realität, und morgen wird sie die kapitalistische Welt in den Abgrund stoßen.

Wir müssen die Kommunisten aller Länder auf diesem Plenum dazu aufrufen, den unerbittlichen Kampf allen jenen Theorien anzusagen, die das Ende der Periode der sozialen Reformen mit dem Ende des Kampfes um die Teilforderungen der Arbeiterklasse identifizieren. Das Ende der Periode der sozialen Reformen bedeutet zwar, daß es der Bourgeoisie nicht mehr gelingen wird, den Kapitalismus zu beschönigen und zu verdecken, um ihn für die Massen annehmbar zu machen, doch bedeutet dies keineswegs, daß die Arbeiterklasse nicht mehr erfolgreich für ihre Teilforderungen kämpfen kann, daß diese Teilkämpfe nur revolutionäre Gymnastik sind und weiter nichts. Unter den Bedingungen des Endes der kapitalistischen Stabilisierung wächst die revolutionäre Bedeutung dieser Teilkämpfe ungeheuer; jede solche Schlacht schlägt heute eine Bresche in das System des Kapitalismus. Und eben dadurch unterscheiden sich die gegenwärtigen Teilkämpfe von dem ehemaligen Kampf der Sozialdemokratie für die “sozialen Reformen”, der den Kapitalismus nur beschönigte und festigte. Jetzt birgt jede Bewegung für Teilforderungen, die die Werktätigen mit den Grundlagen des kapitalistischen Systems in Konflikt bringt, ungeheure revolutionäre Möglichkeiten in sich. Jetzt können aus jedem kleinsten Streik, aus jeder elementaren lokalen Bewegung revolutionäre Ereignisse von gewaltiger, gesamtstaatlicher Bedeutung entstehen. Und wer diese revolutionäre Seite der heutigen Teilkämpfe übersieht, der stellt sich in Wirklichkeit auf den Vorkriegsstandpunkt der Sozialdemokratie in der Frage der “sozialen Reformen”.

Die Rolle der Sowjetunion

Dann das vierte Moment 8 die Rolle der Sowjetunion beim Eintritt des Endes der kapitalistischen Stabilisierung. Das Ende der Stabilisierung ist nicht allein dadurch gekennzeichnet, daß der Kapitalismus sich im Abstieg von seiner relativen Stabilisierung befindet, sondern auch dadurch, daß die Sowjetunion seit ihrer Wiederherstellungsperiode in ununterbrochenem Aufstieg begriffen ist. Diese zwei einander diametral entgegengesetzten Entwicklungslinien vertiefen den Abgrund, der zwischen den in unversöhnlichem Widerspruch zueinander stehenden Welten liegt, verschärfen die Widersprüche zwischen ihnen und werfen immer entschiedener und schroffer die Frage "Wer — wen?"[6] in internationalem Maßstäbe auf.

Der revolutionäre Aufschwung

Und nun zum revolutionären Aufschwung. Die kapitalistische Stabilisierung ist bekanntlich von folgenden drei Hauptfaktoren bestimmt worden: dem ökonomischen ‑ Wiederherstellung der Weltwirtschaft auf ihr Vorkriegsniveau (Stabilisierung der Währung, kapitalistische Rationalisierung, eine gewisse Verkleinerung der Agrarschere); dem internationalen ‑ Verständigung der Imperialisten über die Ausbeutung Deutschlands (Dawes-Plan), Chinas, der Kolonien und über die “Stabilisierung” der Beziehungen zur UdSSR; dem politischen ‑ vorübergehende Unterdrückung der revolutionären Bewegung in Mitteleuropa durch die Bourgeoisie und Niederschlagung der ersten Welle der Nachkriegsoffensive des Weltproletariats durch die Weltbourgeoisie. Dieses letzte Moment, diesen subjektiven Faktor heben wir besonders hervor. Die Zerstörung der kapitalistischen Stabilisierung konnte nicht lediglich das Resultat objektiver Faktoren sein: der Weltwirtschaftskrise (Wachstum des Faschismus und Krieg) und der Erschütterung des Kräfteverhältnisses, das sich auf der internationalen Arena herausgebildet hatte. Der Zusammenbruch der Stabilisierung war auch das Resultat der innerhalb jedes kapitalistischen Landes sich abwickelnden Klassenkämpfe, die im internationalen Maßstabe in Gestalt der revolutionären Bewegung ganzer Völker gegen die imperialistische Unterdrückung gewissermaßen ihre Fortsetzung finden. Die Entwicklung der Weltwirtschaftskrise während der letzten drei Jahre hat nicht nur die Klassengegensätze verschärft, sondern die Ausbreitung des Klassenkampfes war auch ein äußerst wichtiger Faktor bei der Verschärfung und Vertiefung der Weltwirtschaftskrise selbst.

[...]

Welchen Einfluß wird nun das Ende der kapitalistischen Stabilisierung auf die Entwicklung des revolutionären Aufschwungs ausüben? Unzweifelhaft wird es schon in der allernächsten Zeit ein neues Stadium dieses Aufschwungs erzeugen, dadurch daß in den Ländern, die sich im allgemeinen Stadium des revolutionären v Aufschwungs befinden, dieser Aufschwung in eine revolutionäre Krise, und in den Ländern mit heranreifenden Elementen der revolutionären Krise diese in eine revolutionäre Situation hinüberwachsen wird. Die ersten Anzeichen dieses Prozesses beobachten wir z. B. in Japan, wo neben den Elementen des Faschismus und des Krieges auch Elemente der revolutionären Krise heranreifen. Zwei Urelemente wie Ormuzd und Ahriman werden in Gestalt zweier Klassen, die zwei entgegengesetzte Auswege aus der allgemeinen Krise des Kapitalismus verfechten, miteinander kämpfen: Krieg und Faschismus auf der einen und die Revolution auf der anderen Seite.

Ob die werktätigen Massen dazu verurteilt sein werden, noch einen Aufschwung des Faschismus und des Krieges durchzumachen, bevor sie zur proletarischen Revolution schreiten ‑ das hängt in erster Reihe von den kommunistischen Parteien ab; denn heute gibt es auf dem ganzen Erdball keine andere Kraft, die die Werktätigen mobilisieren, sie um ihre Kampflosungen zusammenschließen, sie in revolutionären Klassenorganisationen organisieren und in den Kampf führen könnte zur Zerschlagung des Faschismus und zum Sturz des Kapitalismus. Theoretisch können wir auch nicht eine derartige Entwicklung der Ereignisse ausschließen, daß in einzelnen kapitalistischen Ländern der Faschismus und der Krieg der proletarischen Revolution zuvorkommen, in anderen mit ihr parallel gehen werden, wir werden aber ganz entschieden gegen die in einzelnen Gliedern der Partei sich verbreitenden fatalistischen Einstellungen auftreten, die sich von vornherein mit der Unvermeidlichkeit einer derartigen Entwicklung der geschichtlichen Ereignisse abfinden. Diese fatalistische Einstellung besteht darin, daß die historische Arbeit zur Vorbereitung der proletarischen Revolution der Krieg und der Faschismus für uns machen werden, daß sie den Einfluß der Hauptbremse der proletarischen Revolution, der Sozialdemokratie, untergraben und zerstören werden, daß es für uns zwecklos sei, uns in Wirtschaftskämpfe einzulassen, in denen wir Gefahr laufen, aus den Betrieben hinauszufliegen; daß wir nicht gegen den Faschismus zu kämpfen brauchen, da er in der Entwicklung des Kapitalismus ein unvermeidliches Stadium sei, und daß der Faschismus, je eher er zur Macht gelangt, desto schneller sich überleben und Bankrott machen werde; daß die faschistischen Massen doch schließlich spontan zu uns kommen werden. Die Orientierung auf die Spontaneität ist die Kehrseite dieser Einstellung.

Jetzt, unter den Bedingungen des Endes der kapitalistischen Stabilisierung, stellt diese Einstellung für uns die größte Gefahr dar. Sie demoralisiert die Arbeiterklasse, erzeugt die Ideologie des “Chwostismus” (d. h. des Nachhinkens. Die Red.)[7] und der Passivität. Sie schläfert die Wachsamkeit der Arbeitermassen ein und bereitet mit der Politik des “kleineren Übels” die Situation vor, in der der Faschismus unbemerkt zur Macht gekommen sein wird. Das ist eine zutiefst rechte, opportunistische Ideologie der Kapitulation, die ohnmächtig Verängstigung und Verwirrung predigt. Wenn wir in Deutschland keine Streiks zu verzeichnen haben, wenn unser Kampf gegen den Faschismus dort hinter dem Wachstum des Faschismus stark zurückbleibt, so ist das, neben der demoralisierenden Tätigkeit der Sozialdemokratie, auch solchen um sich greifenden Stimmungen zuzuschreiben. Wenn die KPD am 20. Juli nicht schnell genug auf den “Staatsstreich” der Papen-Regierung reagiert hat, wenn die Aktion der Partei sich wie der Gang einer zu schwerfälligen Maschine abwickelte und mit dem schnellen Tempo der Ereignisse nicht Schritt hielt, so müssen wir auch hier die Widerspiegelung solcher Stimmungen suchen. Ich glaube, Genossen, die Meinung des gesamten Plenums auszusprechen, wenn ich erkläre, daß die Kommunistische Internationale die Führung der KPD, die vor gewaltigen Aufgaben steht und unter sehr schweren Bedingungen arbeiten muß, voll und ganz unterstützt. Die Komintern kämpfte und wird auch weiterhin kämpfen gegen die desorganisatorischen Schritte gewisser Elemente, die versuchen, Zwietracht unter den Parteifunktionären zu säen statt mit allen Kräften die Parteiführung bei der Erfüllung der äußerst verantwortlichen Aufgaben, die vor der KPD stehen. Aber, Genossen, das ganze Plenum erwartet eine Antwort auf die Frage, warum es in Deutschland, in dem Land, dessen Partei ihrer Bedeutung nach die erste Partei der Komintern nach der KPdSU(B) ist, so wenige ökonomische Streiks gibt. Streiks gibt es in Spanien, Polen, in der Tschechoslowakei, aber sehr wenige in Deutschland. Diese Frage steht jetzt, am Ende der kapitalistischen Stabilisierung, ganz besonders scharf.

Vor allem muß festgestellt werden, daß in Deutschland eine ganze Reihe von spezifischen Schwierigkeiten vorhanden ist, die die anderen Länder bei der Entwicklung der Streikkämpfe nicht kennen.. Zweitens muß daran erinnert werden, daß das deutsche Proletariat in der letzten Zeit immer häufiger zu einzelnen politischen Streiks greift. Drittens benützen die deutschen Arbeitermassen, besonders im Kampfe gegen den Faschismus, andere Kampfmittel ‑ wie z. B. die Straße. Aber durch all das ist die Frage noch nicht erschöpft. Man sagt, die Streiks in Deutschland verzögerten sich infolge der schweren internationalen Lage des Landes. Unter dem Einfluß der sozialdemokratischen Agitation glaubt die Arbeiterklasse noch, daß sie das kapitalistische Deutschland, das im imperialistischen Krieg eine Niederlage erlitten hat, vor dem schrecklichen Druck des Weltimperialismus (in erster Reihe Frankreichs) retten muß. Das Predigen der nationalen Einheit und der Opfergemeinschaft erhält von Versailles Nahrung dadurch, daß das Versailler System nicht nur die Elemente der revolutionären Krise, sondern auch weitere Schwierigkeiten ihres Heranreifens erzeugt. Ferner wird behauptet, der Entwicklung der Streikkämpfe stünden außerdem die starke Sozialdemokratie und die starken reformistischen Gewerkschaften im Wege; dazu, sagt man, kamen die noch nicht überwundenen Illusionen, daß die Wiederkehr der kapitalistischen Stabilisierung möglich sei, wenn man das Land nicht durch Ausbrüche der Klassenkämpfe erschüttert. Man behauptet, der unbändige Unternehmerterror, der den Arbeiter mit Maßregelung bedroht, spiele in Deutschland eine viel größere Rolle als in anderen Ländern. All das ist richtig. Aber als revolutionäre Politiker müssen wir nicht nur diese Schwierigkeiten, sondern auch die neuen großen Möglichkeiten sehen, die sich im Zusammenhang mit dem Ende der kapitalistischen Stabilisierung für ökonomische Kämpfe ergeben und noch weiterhin ergeben werden.

Die Tatsache, daß der Kapitalismus zu keinen sozialen Reformen mehr fähig ist, daß der kapitalistische Staat sich immer mehr seiner sozialen Verpflichtungen gegenüber der Arbeiterklasse entledigt und sich immer offener in ein Organ der politischen Unterdrückung verwandelt, die Tatsache, daß eine ungeheuerliche gegenseitige Abhängigkeit und Verflechtung des Finanzkapitals und aller seiner Verzweigungen mit dem Staatsapparat entsteht, ‑ diese Tatsachen setzen natürlich der Entwicklung der Streikkampfe eine Reihe von Hindernissen entgegen. Alle diese Züge, die der Monopolkapitalismus in der Periode seiner allgemeinen Krise trägt, sind schon im Schöße der kapitalistischen Stabilisierung herangereift, aber jetzt, in der Periode ihres Endes, erhalten auch sie eine neue Belebung. Die Sozialdemokratie sagt den Massen: die Bourgeoisie meldet Bankrott an, sie kann die Löhne nicht mehr erhöhen, sie kann die Sozialversicherung nicht zahlen, ihr Staat kann keinerlei Funktionen ausüben. Unter diesen Umständen aber ist der Wirtschaftskampf, der Kampf um wirtschaftliche Forderungen zwecklos, denn er hat immer weniger Chancen auf Erfolg. Einzelne Gruppen des Proletariats, die sich in den Kampf einlassen, sind gegenüber dem Monopolkapitalismus machtlos und werden einzeln geschlagen werden. Man muß kapitulieren, ‑ sagt die Sozialdemokratie; und den großen Entscheidungskampf abwarten,  fügen die rechten und “linken” Opportunisten hinzu.

Die Theorie von der Unmöglichkeit der Streiks während der Wirtschaftskrise wächst heute hinüber in die Theorie von der Unmöglichkeit der Teilkämpfe in der Periode des Endes der kapitalistischen Stabilisierung. Wenn es aber keine Wirtschaftskämpfe gibt, wenn die Bedingungen für den Entscheidungskampf um die proletarische Diktatur noch nicht reif sind, wenn die politischen Teilkämpfe am Panzer des ins Ungeheuerliche gewachsenen kapitalistischen Staatsapparates zerschellen, dann bleibt nichts, übrig als sich auf den Faschismus und auf den Krieg wie auf Bundesgenossen zu orientieren. Unsere wichtigste Kampf auf gäbe besteht darin, diese für die Sache der proletarischen Revolution gefährlichen Stimmungen zu überwinden. Wenn das Proletariat auf den Streik als Kampfmittel verzichtete, so würde es sich dadurch angesichts des kapitalistischen Angriffs vollständig entwaffnen und dem Kapital volle Aktionsfreiheit gegen das Lebensniveau der werktätigen Massen gewähren. Man sagt, es sei schwer zu kämpfen, aber warum verstehen es denn unsere polnischen und spanischen Genossen in Ländern mit kleineren kommunistischen Parteien, mit einem schwächeren und “ärmeren” Kapitalismus, erfolgreich Kämpfe zu führen, und nicht nur Lohnkürzungen zu verhindern, sondern auch Lohnerhöhungen durchzusetzen?

Wenn wir aber auch annehmen, daß es wirklich eine Reihe von spezifischen Schwierigkeiten gibt, die die Entwicklung der Streikkämpfe hemmen, so ist es die Pflicht der Partei, andere Kampfformen auszunutzen, um die Arbeitermassen an wirtschaftliche und politische Kämpfe heranzuführen. In diesen Kämpfen wird das Proletariat lernen, zu äußerst wirksamen Mitteln zu greifen, um seinen Feind zum Rückzug zu zwingen, bevor es sein stärkstes Zwangmittel in Anwendung bringt ‑ die proletarische Revolution.

Es ist notwendig, Besonders zu betonen, daß Wirtschaftskämpfe unter den Bedingungen des Endes der kapitalistischen Stabilisierung weitaus schneller als früher in politische Kämpfe hinüberwachsen und daß wirtschaftliche Streiks sich aufs engste mit politischen Streiks verflechten. Auf eine einigermaßen neue Art werden wir in der nächsten Zeit die Frage des politischen Massenstreiks stellen. Das Proletariat wird sich durch die Erfahrung seines. Kampfes davon überzeugen, daß es ohne einen solchen gleichzeitigen konzentrierten Schlag unmöglich ist, den Widerstand des- Klassenfeindes zu brechen. Und diese Kampfmethode beginnt sich der Weg in die Massen zu bahnen. Eben deswegen spielt jetzt die Sozialdemokratie, die die Stimmung der Arbeiter berücksichtigt, mit der Losung des Generalstreiks. Man muß hinter diesen Betrug der Sozialdemokratie den Willen der Massen zu erkennen verstehen; sonst würden wir die Massen der niederträchtigen sozialdemokratischen Demagogie ausliefern. Wir müssen der Sozialdemokratie diese Waffe entreißen, indem wir die Frage der Vorbereitung und Durchführung des politischen Massenstreiks vor dem breiten Forum der Arbeiterklasse behandeln und an Hand der Erfahrung beweisen, daß die Sozialdemokratie mit ihren großsprecherischen Losungen die Arbeiter in Wirklichkeit betrügt.

Wir dürfen nicht vergessen, daß unter den Bedingungen des Endes der kapitalistischen Stabilisierung der politische Massenstreik zu einem der wichtigsten und wirksamsten Kampfmittel im Waffenarsenal der Arbeiterklasse wird. Bei der Aufstellung der Losung des politischen Massenstreiks sind die Kommunisten verpflichtet; die konkreten Bedingungen seiner Durchführung in Betracht zu ziehen, damit die Losung des politischen Massenstreiks nicht in der Luft hängt, wie dies in der Praxis der kommunistischen Parteien häufig der Fall war. Wenn wir aber die Frage der proletarischen Diktatur, die Frage des politischen Massenstreiks stellen, so bedeutet das keineswegs, daß wir uns von oben herab zu unserer alltäglichen Arbeit der Verstärkung unserer Verbindung mit den Massen stellen dürfen. Diese alltägliche Arbeit ist ja das einzig sichere Mittel, um zu verhindern, daß sich unser Kampf für die proletarische Diktatur, für die Vorbereitung und Organisierung des politischen Massenstreiks in leere Worte, in inhaltslose revolutionäre Phrasen verwandelt.

[...]

Man muß verstehen, daß es, wenn wir nach zahlreichen Resolutionen der sechs Weltkongresse und der elf Plenums die Beschlüsse der ersten drei Weltkongresse noch nicht durchgeführt haben, unsere Pflicht ist, dies vor allen Sektionen der Kommunistischen Internationale auszusprechen. Und ist denn die Charakterisierung des gegenwärtigen Moments als Ende der kapitalistischen Stabilisierung nicht die größte revolutionäre Perspektive, die wir bei dem gegebenen Verhältnis der Klassenkräfte der kommunistischen Bewegung geben? Gerade diese Perspektive bedingt die neue Stellung der Frage der proletarischen Diktatur in der vor uns stehenden Periode. Unsere Agitation und Propaganda für die Losung der proletarischen Diktatur wird immer mehr in eine Losung breiter Aktionen der Massen hinüberwachsen, die sie in Verbindung mit ihren alltäglichen Forderungen zum Kampf für die Errichtung der proletarischen Diktatur erheben. Die Elemente des reinen Propagandismus werden etwas zurücktreten. Auch an die Losungen der Übergangsperiode werden wir etwas anders herangehen müssen. Heute stellen wir diese Losungen noch fast nirgends auf, aber morgen kann diese Frage durch die Entwicklung der Ereignisse in einzelnen kapitalistischen Ländern für die kommunistischen Parteien aktuell werden.

Besonders aktuell können z. B. solche Losungen werden wie die Konfiskation der Lebensmittelvorräte und der Gegenstände des dringendsten Bedarfs durch die Kampforgane der Arbeiterklasse zur Versorgung der bedürftigen Massen der arbeitslosen Bevölkerung, oder die Losung der Besetzung und Inbetriebsetzung der stillgelegten Betriebe durch die Arbeiter usw. Wenn wir von der auf den ersten Blick bescheidensten, einfachsten alltäglichen Massenarbeit sprechen, müssen wir auch die Möglichkeit spontaner Ausbrüche der Massenbewegung voraussehen. Wenn wir in der Periode der teilweisen kapitalistischen Stabilisierung solche Bewegungen beobachtet haben wie die Protestbewegung gegen die Hinrichtung Saccos und Vanzettis, die Julitage in Wien[8], oder den Generalstreik in England, der im Laufe weniger Tage das kapitalistische Regime in England bis auf die Grundfesten erschüttert hat, was soll man dann jetzt sagen, wo die kapitalistische Welt in die Periode des Endes der kapitalistischen Stabilisierung eingetreten ist?

[...]

Über die Sozialdemokratie

[...]

Die Sozialdemokratie hat sich nach der durch den Krieg und die Oktoberrevolution hervorgerufenen Krise als Partei der kapitalistischen Stabilisierung etabliert. Das Ende der kapitalistischen Stabilisierung entreißt ihr diese Grundlage. Nach dem Kriege von 1914 hat die Sozialdemokratie Pazifismus gespielt, Lärm um den Völkerbund geschlagen und zu beweisen versucht, daß der Kapitalismus durch die “Demokratie” den Frieden sichern kann. Der Krieg im Fernen Osten, die Gefahr eines Krieges zwischen Polen und Deutschland, die Gefahr eines Überfalles auf die UdSSR ‑ die gesamte gegenwärtige Vorkriegssituation hat der Sozialdemokratie auch dieses Werkzeug, mit dem sie die Massen, die den Krieg fürchten, an der Nase herumgeführt hat, entrissen. Die Sozialdemokratie hat die Demokratie verteidigt ‑ der Faschismus hat ihr auch das genommen; sie hat sich auf soziale Reformen gestützt ‑ der Kapitalismus hat auch diese Möglichkeit zerstört; sie hat von der Angst vor Erschütterungen gelebt, die sich noch bei den zurückgebliebenen, mit Spießertum infizierten Arbeiterschichten erhalten hat, doch ist der Kapitalismus in eine Periode der schwersten Erschütterungen eingetreten und hat Millionen von Menschen, und mit ihnen auch die Sozialdemokratie mit sich gerissen.

Das sind die Ursachen, die die gegenwärtigen Wandlungen der Sozialdemokratie bestimmen. Man darf sich diese Wandlungen, wie überhaupt alle sozialen und politischen Prozesse, nicht als Prozesse vorstellen, die rein mechanisch, gleichzeitig und gleichartig im internationalen Maßstabe vor sich gehen. Diese Prozesse werden in den verschiedenen Ländern verschieden verlaufen, je nach dem Grad der Verschärfung der Krise und des Klassenkampfes, je nach dem Wachstum des Faschismus, der Radikalisierung der Massen usw. Im wesentlichen lassen sie sich auf folgende zwei Typen zurückführen: a) der eine Teil der Sozialdemokratie wird, dem Beispiel MacDonalds, Thomas', Snowdens folgend, offen in das Lager des Kapitalismus und der Reaktion überlaufen; b) der zweite Teil wird unter dem Druck der Massen frondieren und versuchen, die Massen vom Übergang zum Kommunismus abzuhalten (die englischen Unabhängigen, die Gruppe Seydewitz-Rosenfeld); der Hauptkern der Sozialdemokratie, der eine linke Abzweigung hat, wird noch einmal versuchen, die Prozesse der Radikalisierung der Arbeiterklasse zu meistern, indem er eine Reihe äußerst radikal klingender Lösungen aufstellt.

Gegenwärtig beobachten wir in den wichtigsten kapitalistischen Ländern, wie dieser Typus der Manöver der Sozialdemokratie Gestalt gewinnt. Das ist ein neuer Zug in der Entwicklung der Sozialdemokratie, der bedingt ist durch das Ende der kapitalistischen Stabilisierung. Diese Manöver finden ihren Ausdruck in vier Hauptmomenten: Die Sozialdemokratie, die im Laufe von Jahrzehnten als, eine Partei der sozialen Reformen aufgetreten ist, deklariert sich heute als eine Partei des Sozialismus, des Endziels der Arbeiterbewegung, ‑ natürlich eines demokratischen Sozialismus, der ohne proletarische Revolution, auf dem Wege der Durchführung des "Nationalisierungsprogramms" im Rahmen des Kapitalismus erreicht werden soll. Mit diesem Manöver versucht die Sozialdemokratie das Bewußtsein der Arbeiter zu verwirren und sie wie 1918‑1919 mit Sozialisierungsplänen zu betrügen. Und dieser Umstand diktiert uns Kommunisten die Notwendigkeit, die Frage der Macht, der proletarischen Diktatur, ganz besonders präzise zu stellen. Dies ist augenblicklich das wichtigste Kettenglied in dem Kampf gegen die Sozialdemokratie, das wir ergreifen müssen. Unsere Losungen müssen sich daher in der gegenwärtigen Etappe durch besondere Präzision auszeichnen und dürfen keinen Zweifel an ihrem wirklichen Inhalt zulassen. Schon jetzt übernimmt die Sozialdemokratie formell eine ganze Reihe unserer Kampflosungen, deren revolutionären Inhalt sie sorgfältig ausmerzt, so die Losung der Arbeiter- und Bauernregierung, stellenweise auch die Losung der proletarischen Diktatur usw. Zweifellos wird sie auch solche Losungen wie die der proletarischen Demokratie ausnützen. Deshalb muß im Kampf gegen die Demagogie, die die Sozialdemokratie mit dem Sozialismus treibt, unsere alte Kampflosung der Diktatur des Proletariats, die Losung der Macht, besonders klar hervortreten.

Das zweite Manöver: Die Sozialdemokratie spielt jetzt Opposition gegen den bürgerlichen Staat. Wels erklärt, daß die Sozialdemokratie nach reiflicher Überlegung (also, wohlgemerkt, nicht einfach in der Aufregung, sondern mit Überlegung!) zur Überzeugung gelangt sei, daß der Kapitalismus sich überlebt habe und der Sozialismus auf die Tagesordnung gestellt sei! Vandervelde erklärt, ein Zurück zur Koalitionspolitik gebe es nicht mehr. Diese Demagogie der Sozialdemokratie kompliziert den Kampf gegen sie, da sie in den Massen Illusionen über eine Wendung des Sozialfaschismus zur Klassenpolitik erweckt. Dies erfordert von unseren Parteien nicht nur einfach, daß sie gegen den Verrat der sozial- demokratischen Führer agitatorisch auftreten, sondern daß sie die oppositionellen Stimmungen der sozialdemokratischen Arbeiter gegen den bürgerlichen Staat auf eine Weise ausnützen, daß diese Stimmungen in eine wirkliche Aktion ausmünden, in deren Verlauf die Massen den Wert der angeblichen “Opposition” der sozialdemokratischen Führer aus Erfahrung kennenlernen.

Daraus kann aber für einige Kommunisten die Frage entstehen, ob denn die Sozialdemokratie angesichts dieser Situation und des Wachstums des Faschismus nicht aufhöre, die soziale Hauptstütze der Bourgeoisie zu sein. Könnten wir uns, Genossen, eine so paradoxe Situation vorstellen, daß wir die Sozialdemokratie geschlagen hätten, der Faschismus aber noch mehr gewachsen wäre, so müßten wir natürlich unsere alte Leninsche These von der Sozialdemokratie als sozialer Hauptstütze der Bourgeoisie revidieren. Wäre dies aber z. B. in Deutschland geschehen, so gäbe es dort keinen Faschismus und auch keinen Kapitalismus mehr. Gäbe es keinen sozialdemokratischen Einfluß in der Arbeiterklasse, so würde auch die Welt anders aussehen. Es wird behauptet, man könne in Italien die Sozialdemokratie nicht als soziale Hauptstütze der Bourgeoisie ansehen. Wer hat aber dem italienischen Faschismus zur Macht verholfen? Auf wessen Schultern ist der Faschismus in Deutschland emporgekommen? Wer sabotiert jetzt die Kampfabwehr der Massen gegen den faschistischen Terror in allen kapitalistischen Ländern? Die soziale Hauptstütze sein, das heißt eben den Kampf der einzigen revolutionären Klasse gegen die bürgerliche Diktatur in allen ihren Formen hemmen. Die zweite Frage: Wird der Faschisierungsprozeß der Sozialdemokratie in der Situation des Endes der kapitalistischen Stabilisierung nicht aufgehalten? Er wird auch weiter so verlaufen, wie er in den Ländern verlief, wo die Sozialdemokratie nicht direkt an der Regierung beteiligt war. Eine Partei, die auch unter den Bedingungen des Endes der kapitalistischen Stabilisierung auf dem Boden des Kapitalismus steht, kann nicht anders als sich faschisieren. Herr Blum ist an keiner Koalition beteiligt, er verteidigt aber deshalb in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft den Faschismus nicht schlechter als Noske[9], im Gegenteil, sogar besser, klüger und elastischer. Die Faschisierung der Sozialdemokratie bedeutet die Verschärfung ihrer brutalen Methoden gegen den revolutionären Vortrupp der Arbeiterklasse, gegen die Kommunistische Partei, bedeutet ihren wachsenden Haß gegen die Sowjetunion.

[...]

Schlußfolgerungen

[...]

 

 

 

 

 

Fußnoten



[1].       [321ignition] Die Fußnoten sind von uns, unter Verwendung von eventuellen in der Quelle enthaltenen Fußnoten, formuliert.

[2].       Dawesplan.

Am 1. September 1924 tritt der nach dem amerikanischen Bankier Charles Dawes genannte Dawesplan in Kraft. Durch ein Expertenkomitee in London angenommen, legt er die Höhe der durch Deutschland auf Grund des Vertrags von Versailles schuldigen Kriegsreparationen fest und sieht deren Zahlung in Form einer Anleihe und von Steuern vor, sowie die schrittweise Evakuierung der Ruhr durch die französischen und belgischen Truppen.

[3].       Youngplan.

Am 31. Mai 1929 nimmt ein in Paris versammelter interalliierter Ausschuss einen Plan für die Neustaffelung auf 59 Jahre (bis 1988) des Restbetrages der seitens Deutschlands nach den Bestimmungen des Vertrags von Versailles fälligen Kriegsreparationen. Er wird Youngplan genannt, nach einem der Kommissionsmitglieder, Owen Young (Vorsitzender des Aufsichtsrates von General Electric). Er löst den 1924 angenommenen Dawesplan  (cf. Fußnote 2 ) ab. Jedoch lehnen die USA bezüglich der Schulden seitens der Alliierten ihnen gegenüber es ab, dass deren Rückzahlung mit der Frage der deutschen Reparationen verbunden werde. Eine erneute vom 16. Juni bis zum 9. Juli 1932 in Lausanne abgehaltene Konferenz vermindert den Betrag der Reparationen und bewilligt ein Moratorium von drei Jahren. Letzten Endes werden die Konten erst 2010 durch die Deutsche Bundesrepublik endgültig saldiert.

[4].       Cf. das Dokument .

[5].       Das 11. Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale wird vom 26 März bis 11 April 1931 abgehalten.

[6].       W.I. Lenin, "Die Neue Ökonomische Politik und die Aufgaben der Ausschüsse für politisch-kulturelle Aufklärung", Werke, Band 33, Berlin, Dietz Verlag, 1977, S. 46‑47:

Wer wird siegen - der Kapitalist oder die Sowjetmacht? Darauf läuft der ganze gegenwärtige Krieg hinaus: Wer wird siegen, wer wird die Lage schneller ausnutzen [...]?  [...] Die ganze Frage ist die: Wer wird wen überflügeln?

[7].       хвост, in Russisch, bedeutet Schwanz.

[8].       Österreich, Wien, Juli 1927.

Am 30. Januar 1927, in Schattendorf, einem Ort des Bundeslandes Burgenland, eröffnet eine Gruppe monarchistischer Kriegsveteranen das Feuer auf einen Zug des Republikanischen Schutzbundes, (eine proletarische bewaffnete Organisation, die 1923 gegründet wurde und mit der Sozialdemokratie verbunden ist). Der Angriff hat zwei Tote zur Folge, davon ein Kind. Der Fall wird am 14. Juli in Wien vor Gericht behandelt, die Täter werden freigesprochen, ungeachtet dessen, dass sie die Tatsachen nicht leugnen. Am 15. bricht ein spontaner Generalstreik aus und führt zu Zusammenstößen in der Umgebung des Justizpalastes. Die Polizei macht von Feuerwaffen Gebrauch, die Schiessereien setzen sich am nächsten Tag noch fort. Der Schutzbund reagiert zunächst nicht; später greift er ein, aber unbewaffnet und in der Absicht, das Vorgehen der Demonstranten zu entschärfen; schließlich, den mörderischen Angriffen der Polizei ausgesetzt, zieht er sich zurück. Insgesamt werden 86 Tote unter der Bevölkerung gezählt, sowie 4 Polizisten; mehr als 1000 Verletzte werden ins Spital eingeliefert. In der Nacht vom 15. auf den 16. Juli verbreitet die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) eine Sonderausgabe ihres Organs Die Rote Fahne, wo die von der Partei formulierten Forderungen vorgebracht werden: Auflösung und Entwaffnung aller faschistischen Organisationen, Säuberung des Staatsapparates (Polizei, Heer, Gendarmerie) von reaktionären Elementen, Bewaffnung der Arbeiterschaft. Am Nachmittag des 15. Juli entschließen sich die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutsch-Österreichs (SDAPDÖ) und die Gewerkschaftsführer dazu, zu einem 24‑stündigen Generalstreik sowie zu einem unbeschränkten Streik der Verkehrsmittel und des Post-, Telegraphen- und Telefondienstes aufzurufen, wobei sie an die Regierung eine Reihe von Forderungen richten: Ende der Repressalien, Anklage gegen die für das Gemetzel Verantwortlichen, Einberufung des Parlaments. Der Bundeskanzler Ignaz Seipel weist die Forderungen zurück und, um sich über die Delegation lustig zu machen, bemerkt er in Hinsicht auf eine Abhaltung einer Parlamentssitzung: da "müssen Sie, meine Herren, erst dafür sorgen, daß die Bahn wieder fährt, sonst können ja die Abgeordneten nicht nach Wien fahren." Die Sozialdemokraten heben tatsächlich die Anweisung zum Verkehrsbetriebsstreik auf.

Am 16. Juli schreibt das Mitteilungsblatt der Sozialdemokratie: "Je vollständiger die Genossen die Parole, heute zu Hause zu bleiben und nicht auf die Straße zu gehen, befolgen, desto wirksamer wird die Bereitschaft des Schutzbundes sein, im Falle der Notwendigkeit einzugreifen."

Und am 7. August schreibt die Arbeiter‑Zeitung: "Wir sind nicht im Kampf besiegt, wir sind vielmehr dem Kampf ausgewichen."

[Zitate nach Historische Kommission beim ZK der KPÖ: Geschichte der Kommunistischen Partei Österreichs, 1918-1955: Kurzer Abriss; Wien, Globus Verlag, 1977; S. 103‑104.]

[9].       Gustav Noske.

1884 tritt Noske der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD) bei, die 1890 den Namen Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) annimmt. Von 1906 bis 1918 ist er Abgeordneter für die SPD. 1914 veröffentlicht er ein Buch "Kolonialpolitik und Sozialdemokratie", das die Kolonialpolitik Deutschlands positiv beurteilt. Während des 1. Weltkrieges unterstützt er die Position der Vaterlandsverteidigung. Im Dezember 1918 wird er Mitglied des Rates der Volksbeauftragten, der die Funktion einer provisorischen Regierung ausübt. Im Januar 1919 führt er die mit Hilfe der Freikorps durchgesetzte Niederwerfung des Versuchs eines revolutionären Aufstandes an. Im Februar wird er zum Verteidigungsminister [Reichswehrminister] ernannt und führt die Neuschaffung der Streitkräfte durch. Im März 1920, zum Zeitpunkt des Lüttwitz-Kapp-Putsches, wird er unter Druck der kämpfenden Arbeiter gezwungen, zurückzutreten. Von 1920 bis 1933 hat er den Posten des Oberpräsidenten der Provinz Hannover inne.