11. Plenum des Exekutivkomitees
der Kommunistischen Internationale
(26. März -
11. April 1931)
Dmitrij Zaharovič Manuilʹskij
Bericht: Die kommunistischen Parteien und die Krise des Kapitalismus
(Auszüge)
26. März 1931
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Quelle: D. S. Manuilski: Die kommunistischen Parteien und die Krise des Kapitalismus - Bericht vor dem XI. Plenum des EKKI, Verlag der Kommunistischen Internationale, Hamburg, Verlagsbuchhandlung Carl Hoym Nachf. L. Cahnbley, 1931 [1]. |
Bericht
[...]
4. Ein Haupthindernis bei der Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse durch die kommunistischen Parteien, ein Haupthindernis in der Entwicklung der heutigen revolutionären Bewegung der Massen zu Entscheidungskämpfen des Proletariats und der Werktätigen gegen das kapitalistische System ist die Sozialdemokratie und der reformistische Gewerkschaftsapparat aller Länder.
In der heutigen Krise zeigt sich besonders deutlich, daß die Sozialdemokratie zu; einer Partei des mitten in seiner Krise stehenden, verwesenden parasitären Kapitalismus geworden Ist, was sie zu einer Partei des sozialen und politischen Rückschritts, der sozialen und politischen Zersetzung, zu einer noch reaktionäreren und konterrevolutionäreren Partei macht, als es die bürgerlichen Parteien zu einer Zeit waren, in der sich der Kapitalismus noch in aufsteigender Linie bewegte. Indem die Sozialdemokratie die Arbeiterklasse desorganisiert, sie zur Kapitulation vor dem Kapitalismus drängt, die Faschisierung des Klassenstaates der Bourgeoisie durch Phrasen über “organisierten Kapitalismus”, über einen “über den Klassen stehenden sozialen Staat” zu verschleiern sucht, ist sie bestrebt, alle Voraussetzungen für die Niederwerfung der Arbeiterklasse, für die Zerstörung ihrer Organisationen und Errungenschaften zu schaffen, um den von der allgemeinen Krise erfaßten Kapitalismus zu retten und dem Siege des Faschismus den Weg zu ebnen.
So wird die Sozialdemokratie zum Bestandteil der bürgerlichen Diktatur in allen ihren Formen, darunter auch der faschistischen. Ihre Hauptfunktion ist es, eine Massenbasis für den Faschismus zu schaffen, denn, wie Lenin zutreffend betont, kein Regime kann ohne eine gewisse Massenbasis bestehen. Das schließt aber nicht aus, daß die Sozialdemokratie unter den Streichen der die Massen radikalisierenden Wirtschaftskrise genötigt ist, in den ihr durch die Manövrierfähigkeit des Kapitals gesteckten Grenzen “linke” Manöver auszuführen. Das vergangene Jahr zeigte eine äußerst beschleunigte Faschisierung der Sozialdemokratie, die sie durch “linke” Manöver zu verdecken bestrebt war, von denen die kommunistischen Parteien manchmal überrumpelt wurden. Diese Kombination von faschistischen Methoden mit “linker” Phrase bildet jenes neue, für die Sozialdemokratie charakteristische Zickzack, das die kommunistischen Parteien in ihrer taktischen Linie berücksichtigen müssen.
[Ende Abschnitt 4]
[...]
Welches sind die sozialen und politischen Folgen der Krise? Die erste und wichtigste Folge ist die weitere Revolutionierung der Arbeiterklasse und die Verschärfung des Klassenkampfes. Die Krise, die mit einem Rückgang der Produktion verbunden ist. hat in allen kapitalistischen Ländern mit ganz wenigen Ausnahmen etwa ein Drittel bis die Hälfte der Arbeiter erwerbslos gemacht. Diese ungeheure Reservearmee der Arbeit wird im Falle einer Milderung der gegenwärtigen Krise nur teilweise aufgesaugt werden. Sie hängt wie das Damoklesschwert über der kapitalistischen Gesellschaft und schafft eine für die revolutionäre Agitation äußerst aufnahmefähige Situation. Die neuen Versuche der kapitalistischen Rationalisierung, die die augenblickliche Krise begleiten, werden wiederum neue ungeheure Schichten von Arbeitern entqualifizieren, was zur Verschlechterung ihrer Lage beitragen wird. Der Ruin der kolonialen und halbkolonialen Agrarländer, wie er durch die Krise hervorgerufen wird, verringert jenen Extraprofit, mit dessen Hilfe die Bourgeoisie die aristokratische Spitze der Arbeiterklasse korrumpiert. Der Bankrott der Kleinbanken, z. B. in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, deren Spareinlagen in der Hauptsache, wenn man von den bessergestellten Farmern absieht, von diesen Schichten der Arbeiteraristokratie stammen, untergräbt ihre ökonomische Lage. Das aber untergräbt unvermeidlich den Boden unter den Füßen der Sozialdemokratie und wird ihn weiter untergraben. Die Sozialdemokratie wird mit um so größerer Zähigkeit Posten im kapitalistischen Staat zu ergattern suchen, um die zahlreiche Arbeiterbürokratie, die im Apparat des kapitalistischen Staates hochgezüchtet wurde, als ihre Basis zu erhalten. Daher die Einengung der Basis der Sozialdemokratie in der Arbeiterklasse bei weiterer Faschisierung.
Die Versuche der Bourgeoisie, die Arbeiterklasse unter Ausnützung der Krise auszuplündern, tragen keinen episodischen Charakter. Die Bourgeoisie ist bestrebt, eine neue, noch niedrigere Lebenshaltung für die Arbeiterklasse festzulegen als bisher.
Nicht Angleichung an den “höheren” Lohnstandard des amerikanischen Arbeiters bringt der Kapitalismus dem Proletariat in der heutigen Periode der Verschärfung aller kapitalistischen Gegensätze, sondern Angleichung des Arbeitslohnes des amerikanischen Arbeiters an den Stand in Europa (an den österreichischen Standard) und Annäherung des Lebenshaltungsniveaus des europäischen Arbeiters, an das Niveau der Kolonialarbeiter. Es wäre wider alle Vernunft, anzunehmen, die Arbeiterklasse werde sich um der zweifelhaften Rettung des Kapitalismus willen, ohne zu murren, kleinkriegen lassen. Im Gegenteil. Sowohl im Weiterverlaufe der Krise als auch bei den möglichen ersten Anzeichen einer Verbesserung der Wirtschaftskonjunktur, muß es zu ungeheuren Kämpfen der Arbeiterklasse kommen.
Eine weitere Folge der Krise ist die Radikalisierung der Bauernmassen. Die Agrarkrise, die den stärksten Sturz der Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse und Kolonialrohstoffe unter den Verhältnissen der seit vielen Jahren bestehenden “Schere” nach sich gezogen hat, hat dem bäuerlichen Kleinbetrieb, der auch ohnedies durch den hohen Pachtzins, die Wucherzinsen, die Wucherdarlehen, die unaufhörlich steigenden Steuern und die immer drückenderen Lasten des Militarismus niedergezwungen wird, den Rest gegeben. Die rasch zunehmende Verelendung der Bauernmassen, die ungeheure Armeen von Hungernden hervorbringt, die für ihre Arbeitskraft keine Verwendung finden, radikalisiert die Bauernschaft, sprengt in Europa und Amerika die in gewissem Sinne vorhandene "Einheitsfront" des kleinbäuerlichen Eigentümers mit dem Großbauern, dem Großagrarier und Kapitalisten, löst eine Krise in den sogenannten Bauernparteien aus und erzeugt in ihnen eine politische Differenzierung, die die wirtschaftliche Differenzierung der Bauernschaft widerspiegelt.
Diese Radikalisierung der Bauernschaft fing mit den elementarsten, einfachsten Formen der Opposition gegen die Bourgeoisie an und zeigt sich jetzt in der Sabotage oder der offenen Verweigerung der Steuerzahlungen (Indien, Westukraine), in Brandstiftungen auf den großen Gütern (Westukraine, Mexiko) und in spontanen Bauernaufständen (Syrien, Palästina, Lateinamerika) und steigert sich bis zu einem regelrechten Klassenkampf, wie er von den Arbeiter- und Bauernarmeen in China geführt wird.
Die dritte Folge der Krise ist die Zunahme der Unzufriedenheit unter den Schichten der unteren Beamten und Angestellten, die ebenfalls von der Senkung der Lebenshaltung und von Entlassungen betroffen werden, unter den Intellektuellen sowie unter dem technischen Personal der Industrie, den Ingenieuren und Technikern (infolge “Überproduktion”) unter den durch die Krise ruinierten kleinen Geschäftsleuten, Handwerkern, Inhabern kleiner Werkstätten, schließlich unter dem sogenannten Mittelstand, der ebenso wie während der Inflationszeit durch die großkapitalistischen Haie ausgeplündert wird. d. h. unter jenen Schichten, die infolge des Umstandes, daß wir Kommunisten zu schwach sind, das Hauptreservoir bilden, aus dem der Faschismus seine Anhänger gewinnt.
Viertens führt die Krise im Lager der herrschenden Klassen zu einer Festigung der Positionen des Finanzkapitals im ganzen System des monopolistischen Kapitalismus, und zwar auf der Grundlage des durch die Krise beschleunigten Konzentrationsprozesses des Kapitalismus. Das Finanzkapital verschlingt die schwächeren Konkurrenten, die früher als andere durch die Epidemie der Bankrotte und durch den Kurssturz der Aktien zu Boden geworfen werden. Es nützt den Mechanismus der Trusts und Kartelle aus, um die Preise hoch zu halten, und wenn die Preise stürzen, so wälzt sich die Hauptlast auf die ungeschützten Wirtschaftszweige sowie die ungeschützten Produzentenvereinigungen ab. In der Hauptsache aber plündert es die breiten Massen der Werktätigen dadurch aus, daß es ihnen die ganze Last der Krise aufbürdet. Durch diese Mittel erreicht das Finanzkapital eine Neuverteilung des infolge der Krise verringerten Nationalvermögens zu seinem Vorteil. Damit verknüpft ist eine Verschärfung des Kampfes unter den verschiedenen Gruppen des Kapitals um den Profitanteil, und zwar zwischen dem Bank- und dem Industriekapital, zwischen Rentiers und Industriellen, zwischen Agrariern und Industriellen, zwischen Trusts und Außenseitern, zwischen den einzelnen Trusts untereinander usw.
All das führt zur Sprengung des Rahmens der alten bürgerlichen politischen Parteien, die auf der Grundlage eines anderen Kräfteverhältnisses der verschiedenen Gruppen der Bourgeoisie entstanden sind; das löst seitens der Bourgeoisie das Bedürfnis nach äußerster Zentralisation der Mittel der Staatsgewalt aus. Zur Überwindung ihres inneren Kampfes greift die Bourgeoisie angesichts der ihr drohenden werktätigen Massen zu dem Versuch der Bildung einer "Konzentrationspartei" oder der Organisierung einer faschistischen Massenpartei, die als Verbindungsorganisation zu den verelendenden kleinbürgerlichen Massen dient. Die Bourgeoisie, die ihre alte soziale Massenbasis verloren hat, ist genötigt, in einer neuen, äußerst lockeren, fluktuierenden, in bezug auf ihre Stimmungen veränderlichen sozialen Basis, die sie nur durch eine gefährliche und mit schweren Folgen drohende soziale Demagogie zu behaupten vermag, eine Stütze zu suchen.
Auf dem Gebiete der internationalen Beziehungen besteht eine unmittelbare Folge der Krise darin, daß sie mit ihrer ganzen Schwere die schwächeren und schwächsten Länder trifft. Sie trifft mit großer Härte die Kolonial- und halbkolonialen Länder, die Agrarländer, die das Hinterland der kapitalistischen Großmächte darstellen, sie drückt auf die politisch und finanziell von den Großmächten abhängigen Länder, wie z. B. Polen und die baltischen Randstaaten, die Balkanstaaten, sie drückt auf die im letzten imperialistischen Weltkrieg unterlegenen Länder wie Deutschland und Österreich. Der ungleichmäßige Preissturz bringt die Agrarstaaten, die landwirtschaftliche Erzeugnisse und Kolonialrohstoffe ausführen, in eine besonders unvorteilhafte Lage auf dem Weltmarkt. Wenn man berücksichtigt, daß diese Länder in den meisten Fällen Schuldnerländer sind, so wird es verständlich, daß sie, in Waren ausgedrückt, infolge des Preissturzes mehr zu zahlen haben als vor der gegenwärtigen Krise. Sogar Deutschland, das ein hochindustrielles Land ist, muß infolge des allgemeinen 20‑prozentigen Preissturzes auf Grund des Youngplanes[2] um etwa 20 Prozent mehr zahlen. Das aber führt zu einer Verschärfung des Reparationsproblems, des Problems der interalliierten Schulden und der Weltverschuldung überhaupt; das schafft an diesen Ländern die Voraussetzungen für eine raschere Ausreifung der Elemente der revolutionären Krise als in den anderen kapitalistischen Ländern, den Gläubigerländern.
Gleichzeitig bringt der Rückgang des Welthandels, der von einer allerort stattfindenden Einengung der Aufnahmefähigkeit der Außenmärkte zeugt, eine besondere Verschärfung des Kampfes um diese Märkte mit sich, die die kapitalistischen Länder zwingt, zur Aufrechterhaltung ihrer Position auf diesen Märkten und zur Eroberung neuer Märkte, zum Dumpingsystem und zur hemmungslosesten Schutzzollpolitik zu greifen. Dumping- und Schutzzollpolitik sind voneinander nicht zu trennende Elemente der Wirtschaftspolitik des monopolistischen Kapitalismus. Es ist absolut klar, daß, je mehr sich die kapitalistischen Länder gegen die ausländische Konkurrenz durch hohe Zollmauern abgrenzen, die Konkurrenten dieses Landes um so aktiver zum Dumping greifen werden, um die Schranken des Schutzzollsystems zu durchbrechen. Je aktiver andererseits die Dumpingpolitik dieser Konkurrenten ist, um so höher steigen die Schutzzölle, um die "nationale" Industrie und Land Wirtschaft gegen das Dumping zu schützen.
Es wird sehr viel über ein Dumping der Sowjetunion geschrien. Wovon aber zeugt der gesamte Welthandel der kapitalistischen Länder? Der polnische Zucker z. B. wird im Ausland um das Fünffache billiger als auf dem polnischen Innenmarkt verkauft, Eisenerzeugnisse fast um das Doppelte billiger. Flacheisen wird von den Vereinigten Staaten, England und Deutschland auf den Außenmärkten zur Hälfte des Preises auf dem Innenmarkt verkauft. Solche Beispiele ließen sich in beliebiger Menge anführen.
Für das Dumping ist es charakteristisch, daß die Verluste, die das Kapital durch das Dumping auf dem Außenmarkt erleidet, durch eine entsprechende Steigerung der Preise auf dem Innenmarkt kompensiert werden. In der gleichen Richtung wirkt auch das Schutzzollsystem, das mit seiner ganzen Schwere den Konsumenten auf dem Innenmarkt trifft. Mit anderen Worten: die Kosten des Zollkrieges der kapitalistischen Magnaten tragen letzten Endes die werktätigen Massen. Die unter dem Einfluß der Krise immer stärker werdende Schutzzollpolitik hat die Tendenz zu einer Atomisierung der kapitalistischen Weltwirtschaft, wodurch Voraussetzungen für eine Art ökonomischer “Balkanisierung” geschaffen werden, die die Gegensätze sowie die Anlässe zu Zusammenstößen und Konflikten unter den kapitalistischen Staaten häuft. Diese Balkanisierung schließt natürlich nicht aus, daß diese vermehrten Gegensätze und Konflikte sich im allgemeinen im Bannkreis der 'mit dem Kampf um die Welthegemonie verbundenen, ausschlaggebenden Gegensätze bewegen.
Dieser zersplittert geführte Wirtschaftskrieg schafft nun eine Unzahl von Pulverkammern, eine Unmenge von Sprengstoff für neue imperialistische Kriege, auch für einen neuen Weltkrieg. Schließlich zieht der Kampf auf Grund der Schutzzollpolitik, der sich unter dem Einfluß der Krise immer mehr in einen Streit unter den herrschenden Klassen um die Wege der Rettung des Kapitalismus vor einem Zerfall verwandelt, eine Umgruppierung im Lager der Bourgeoisie nach sich, indem er ihre politischen Parteien durcheinanderbringt. In England, diesem in der Vergangenheit klassischen Lande des Freihandels, sprengt die Schutzzollpolitik, die zum Banner des Kampfes um die Agrarisierung der Dominions und Kolonien, um ihre wirtschaftliche Abschnürung durch das englische Kapital, zum Banner des Kampfes gegen das wirtschaftliche Vordringen der Vereinigten Staaten Amerikas auf den Märkten des Imperiums geworden ist, bereits das traditionelle Drei-Parteien-System und gewinnt innerhalb der drei alten Parteien immer mehr Anhänger. Dieser Prozeß fand seine Widerspiegelung auf dem letzten Gewerkschaftskongreß in Nottingham, wo sich die Mehrheit der Gewerkschaftsbürokraten für die Schutzzollpolitik erklärte, gegen eine Minderheit, die die Exportindustrien (Kohlen-, Textil-, Elektroindustrie) vertrat. Die Bildung der "Neuen Partei" durch das frühere Mitglied der Labour Party, Mosley, der von Rothermeere und Beaverbrook ihr Schutzzollprogramm, von der sogenannten "Arbeiter"-Partei ihre soziale Demagogie entlehnt, ist neben der Evolution, welche die Sozialdemokratie in anderen Ländern in der Richtung zur Schutzzollpolitik durchmacht, ein Beweis, daß das reaktionäre Schutzzollprogramm des Finanzkapitals aktiv von der sich faschisierenden Zweiten Internationale[3] unterstützt wird.
Alle diese sozialen und politischen Folgen der Krise verschärfen im höchsten Grade die Hochspannung des Klassenkampfes innerhalb der kapitalistischen Länder und den Kampf der herrschenden Cliquen dieser Länder untereinander.
Sie führen:
1. zu einer außerordentlichen Verschärfung der im Versailler System der internationalen Beziehungen verankerten Gegensätze, zu einer Verschärfung, die sich einem bewaffneten Zusammenstoß der imperialistischen Staaten um die Neuaufteilung der Welt nähert;
2. zu einer Verstärkung aller Formen der politischen Reaktion des Regimes der bürgerlichen Diktatur und zu einem immer stärkeren Uebergang derselben zu offen faschistischen Formen der Unterdrückung der Werktätigen;
3. zu einem weiteren Wachstum des revolutionären Aufschwungs und zur Tendenz des Umschlagens dieses Aufschwungs in die revolutionäre Krise.
Das Versailler System ist das System der internationalen Beziehungen, wie sie sich als Resultat des Weltkrieges auf der Grundlage der allgemeinen Nachkriegskrise des Kapitalismus herausgebildet hatten. Die gegenwärtige Krise, die aus der allgemeinen Krise des Kapitalismus herausgewachsen ist, hat alle in diesem System enthaltenen Gegensätze aufs äußerste verschärft. Was ist nun das Versailler System? Lenin hat auf dem 2. Kongreß der Kommunistischen Internationale folgende Definierung dieses Systems gegeben:
1 ¼ Milliarden Menschen in unterdrückten Kolonien ‑ Ländern, die man bei lebendigem Leibe aufgeteilt hat. wie Persien, die Türkei, China; Ländern, die besiegt und in die Lage von Kolonien versetzt worden sind. Nicht mehr als eine Viertelmilliarde Menschen haben wir in den Ländern, die ihre Stellung behalten haben. Aber sie sind alle in wirtschaftliche Abhängigkeit von Amerika geraten und waren während des Krieges alle militärisch abhängig. Denn der Krieg hatte die ganze Welt ergriffen und keinem einzelnen Staate erlaubt, wirklich neutral zu bleiben. Und wir haben schließlich eine Bevölkerung von nicht mehr als einer Viertelmilliarde in den Ländern, in denen natürlich nur die Oberschichten, nur die Kapitalisten von der Aufteilung der Erde profitieren.
(Lenin, Bericht über die internationale Lage auf dem II. Kongreß der Komintern. Sämtliche Werke, 35 Bd. XXV., S. 410. Verlag für Literatur und Politik, Wien- Berlin.)
Das Versailler System ist somit ein Weltsystem des Imperialismus, das auf einem vielgliedrig gestuften Bau der Unterdrückung beruht. Es ist dies eine Pyramide, deren Spitze das Monopolkapital der Vereinigten Staaten bildet, das eine Reihe der größten kapitalistischen Länder (Frankreich, Italien usw.) in ökonomische Abhängigkeit gebracht hat. Solche Länder, wie z. B. Frankreich, halten wiederum ihrerseits eine Reihe kleinerer “Sieger”-Länder ‑ Polen, Jugoslawien, Tschechoslowakei ‑ in der Lage von Vasallen. Diese letzteren Länder schnüren im Rahmen ihrer Staaten den Ukrainern, Deutschen, Weißrussen, Kroaten, Slowenen, Mazedoniern, Slowaken usw. die Kehle zu. Und am Fuße dieser Pyramide befindet sich die 1 ¼ Milliarde der Unterdrückten in den Kolonien.
Wie sieht dieses Versailler System heute aus?
Im Jahre 1931 sieht es etwas anders aus als in den Jahren 1919/20. Zu jener Zeit war das Versailler System der konzentrierte Ausdruck der politischen und wirtschaftlichen Gegensätze, wie sie unmittelbar aus den Kräfteverhältnissen bei der Beendigung des Weltkrieges hervorgegangen sind. In dem Jahrzehnt der Nachkriegskrise des Kapitalismus haben sich neue Gegensätze auf breiter Front herausgebildet, die sich mit den durch den imperialistischen Krieg hinterlassenen Gegensätzen verflechtend und diese auf erweiterter Grundlage reproduzierend einen noch komplizierteren, verwickelteren Knäuel von Gegensätzen der kapitalistischen Länder geschaffen haben als zur Zeit der Beendigung des Weltkrieges. Bei aller Mannigfaltigkeit der kapitalistischen Gegensätze, von denen jeder einzelne im Laufe seiner weiteren Entwicklung die Rolle eines Sarajewo zu spielen vermag, ist der grundlegende und ausschlaggebende Gegensatz in der kapitalistischen Welt der anglo-amerikanische Gegensatz. Die Entwicklung der revolutionären Bewegung in Indien, wo England eine Milliarde Pfund Sterling, d. h. mehr als in allen Dominions investiert hat; die zentrifugalen Tendenzen der Dominions, die sich in der Richtung einer Lostrennung vom englischen Weltreich entwickeln; das stürmische Vordringen Amerikas in den Dominions sowie in Brasilien und Argentinien; der seit Jahren anhaltende Krisenzustand der englischen Wirtschaft; die ungeheure Erwerbslosenarmee, die in der ganzen Nachkriegsperiode bestand, alles das stellt immer akuter die Frage des weiteren Bestehens des englischen Weltreiches und wird diese Frage immer schärfer stellen. England ist neben Deutschland das Land, in dem sich alle ausschlaggebenden Gegensätze der Nachkriegskrise des Kapitalismus kreuzen. Diese Gegensätze entwickeln sich hier langsamer als in Deutschland, bergen aber für den englischen Imperialismus keine geringeren Folgen in sich, als die Folgen des imperialistischen Weltkrieges für Deutschland. Alle diese Tendenzen haben sich unter dem Einfluß der Weltkrise besonders verschärft und schüren den Kampf zwischen den Vereinigten Staaten Amerikas und England. Im zähen Kampf um jede einzelne seiner Positionen ist das von den Vereinigten Staaten bedrängte England genötigt, Schritt um Schritt zurückzuweichen; vor Amerika auf der Londoner Flottenkonferenz, wo es nach der Kapitulation vor Amerika auf der Washingtoner Konferenz in der Frage der Parität der Linienschiffe diese Parität in den Flottenrüstungen auch für alle anderen Schiffstypen akzeptierte; es ist genötigt, in Verletzung aller Traditionen der alten englischen Politik in Europa, vor Frankreich zurückzuweichen in der Frage der Anerkennung der Hegemonie Frankreichs auf dem europäischen Kontinent; es ist genötigt, in den Ländern Lateinamerikas zurückzuweichen, wo im Laufe des Jahres 1930 in den meisten Fällen durch Agenten des amerikanischen Imperialismus der Reihe nach sechs “Revolutionen” ‑ in Haiti, San Domingo, Peru, Bolivien, Argentinien und Brasilien ‑ organisiert wurden; es war genötigt, vor den Dominions, hinter deren Rücken die Vereinigten Staaten stehen, auf der letzten Reichskonferenz in der Frage der Vorzugszolltarife für die Einfuhr englischer Waren zurückzuweichen, d. h. in der Frage des Schutzes Großbritanniens gegen die Konkurrenz der übrigen Welt, in erster Linie gegen die Vereinigten Staaten Amerikas. Und dieses Zurückweichen ist nicht etwas Zufälliges, Zeitweiliges; es ist das der Ausdruck der langsam in Jahrzehnten herangereiften Verlagerungen des Kräfteverhältnisses der kapitalistischen Mächte, es ist das die Linie des geschichtlichen Niederganges Großbritanniens als Kolonialmacht, die letzten Endes geschichtlich weder die Baldwin noch die Macdonald-Thomas noch die Beaverbrook-Mosley vor dem Zerfall retten werden. Die Totengräber des englischen Weltreiches sind die in revolutionäre Bewegung gekommenen und kommenden kolonialen und halbkolonialen Völker in vier Kontinenten der Welt. Aus der heraufziehenden Katastrophe Großbritanniens, der es durch die Politik der herrschenden Klasse entgegentreibt, aus der kommenden bewaffneten Auseinandersetzung unter den Weltimperialisten, die unvermeidlich mit einer Niederlage Englands enden wird, kann die Arbeiterklasse sich und zugleich alle Werktätigen Englands nur retten durch die proletarische Revolution unter Führung einer englischen kommunistischen Massenpartei.
Aber die englische Bourgeoisie weicht nicht kampflos zurück, sie führt, als die erfahrenste und in der Politik der Weltherrschaft gerissenste Bourgeoisie, mit vorübergehenden wechselnden Erfolgen den Kampf an den einzelnen Abschnitten der 'imperialistischen Front gegen die Vereinigten Staaten Amerikas. England mit seinen Kolonialbesitzungen kontrolliert noch 87 Prozent der Weltkautschukproduktion, 88 Prozent der Metall-, 69 Prozent der Gold-, 43 Prozent der Zinn-, 30 Prozent der Zink-, 23 Prozent der Blei-, 15 Prozent der Silber-, 77 Prozent der Wollgewinnung, 66 Prozent der Roggen-, 27 Prozent der Weizenerzeugung usw. Seine Petroleumgesellschaften kämpfen, und nicht immer ohne Erfolg, gegen die amerikanischen Gesellschaften. England betreibt an allen Enden der Welt eine äußerst aktive Politik und sendet seine Missionen zur Festigung der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen (die Reise des Prinzen von Wales nach Lateinamerika).
Durch die Methode der brutalsten Repressalien gegen die werktätigen Massen, verbunden mit kleineren Zugeständnissen an die nationale Bourgeoisie, behauptet England noch immer seine Herrschaft in den Kolonien; seine Flotte ist vorerst noch stärker als die amerikanische, die nur 60 Prozent der englischen Flotte ausmacht. Die englische Admiralität, die die quantitative Parität anerkannt hat, macht riesige Anstrengungen zur Steigerung des Kampfwertes ihrer Schiffe und verschiebt die Frage der Flottenrivalität auf dieses Gebiet. Durch Ausspielung der “gelben Gefahr” gegen solche Dominions wie Australien und Neu-Seeland und die daraus abgeleitete Notwendigkeit der englischen Flotte zu deren Verteidigung gegen eine Invasion Japans, hält England diese Dominions vorläufig noch im Fahrwasser seiner Politik. Angesichts der unter dem Einfluß der Krise heranreifenden inneren Schwierigkeiten beruft die englische Bourgeoisie ihren Agenten, die "Arbeiter"partei, an die Regierung und wälzt das ganze Odium der Durchführung der kapitalistischen Rationalisierung, der Unterdrückung der revolutionären Bewegung in den Kolonien, der ungeheuren Erwerbslosigkeit und der Offensive gegen die Arbeiterklasse auf deren Schulter ab. Durch die von Jahr zu Jahr anschwellenden und besonders durch die jetzige Krise beschleunigten, wirklich revolutionären Bewegungen der breitesten werktätigen Massen Lateinamerikas, Bewegungen, die bedingt sind, durch die Verquickung von drei sozialen und politischen Gesellschaftssystemen in diesen Ländern, nämlich der Sklaverei, des Feudalismus und des monopolistischen Kapitalismus ‑ bedingt sind durch die heranreifende Agrarrevolution der Peonen und des Landarbeiterproletariats sowie durch die breite nationale Bewegung der Indianer ‑, wird gleichzeitig dem amerikanischen Imperialismus der Boden genau so abgegraben, wie die heranreifende indische revolutionäre Bewegung die Herrschaft des englischen Imperialismus unterwühlt. Alles das zeugt von der Langwierigkeit und Zähigkeit des anglo-amerikanischen Kampfes, der die ganze dritte Periode der Nachkriegsentwicklung des Kapitalismus erfüllen wird. Entgegen der ultraimperialistischen Theorie von der “friedlichen” wirtschaftlichen Überwindung Englands durch die Vereinigten Staaten treibt die ganze Entwicklung mit Unvermeidlichkeit einem imperialistischen Weltkrieg um die Neuaufteilung der Welt entgegen.
Der zweite sich verschärfende Gegensatz, der das Versailler System zu sprengen droht, ist der Youngplan. Viele glauben, daß der Youngplan lediglich die gegenseitigen Beziehungen zwischen den Verbündeten und Deutschland reguliere. Das ist falsch. Der Youngplan ist eine Kernfrage des ganzen Versailler Systems. Er sollte, ebenso wie vor ihm der Dawesplan[4], nach dem Vorhaben seiner Urheber der Bourgeoisie als eine wichtige Basis für die Erhaltung der kapitalistischen Stabilisierung dienen; und wenn die kapitalistische Stabilisierung eine Krise durchmacht, so muß auch der Youngplan eine solche durchmachen.
Das im Kriege geschlagene, ausgeplünderte, auf mehrere Generationen hinaus mit einer unglaublich hohen Kontribution belegte Deutschland war im Laufe der ganzen Nachkriegsperiode eine offene Wunde auf dem Leibe der kapitalistischen Welt. Es hat die Reparationszahlungen größtenteils auf Kosten von gewährten Anleihen entrichtet. Um nicht bankrott zu werden, mußte es aus allen Kräften seine Ausfuhr steigern. (Überaus charakteristisch ist es in dieser Hinsicht, daß von allen kapitalistischen Ländern nur Deutschland im letzten Jahr seine Ausfuhr nach den Ländern Lateinamerikas vergrößerte.) Das hat jedoch den Kampf um die Märkte noch mehr verschärft und die Gegensätze des Versailler Systems kompliziert. Deutschland, das des lothringischen Erzes, der Kohlenbecken des Saargebiets und teilweise Oberschlesiens verlustig wurde, seinen Produktionsapparat in den Jahren der relativen Stabilisierung durch die Durchführung der kapitalistischen Rationalisierung verstärkt und ausgedehnt hat, gleichzeitig aber keine Kolonien besitzt, hat infolge des immer schärfer werdenden Gegensatzes zwischen seiner Ökonomik und der Versailler Politik im Laufe der ganzen Nachkriegsperiode eine chronische Depression durchgemacht, die nur von äußerst kurzen fieberhaften Konjunkturperioden unterbrochen war. Die herrschenden Klassen Deutschlands haben, um den Druck der Reparationsforderungen des imperialistischen Frankreichs aushaken und die Positionen des deutschen Kapitalismus sowohl nach innen wie nach außen behaupten zu können, durch fortwährende Senkung der Lebenshaltung der Arbeiterklasse die Reparationslasten auf deren Schultern abgewälzt. Das Versailler System mit seinen sozialpolitischen Folgen ist denn auch eine der Quellen der Radikalisierung der deutschen Arbeiterklasse und der erstarkenden Kraft der deutschen Kommunistischen Partei, die aus der Feueresse der Revolution und des Bürgerkrieges der Jahre 1918/19 hervorging und weiter gewachsen ist.
Die ausgebrochene Krise hat sowohl alle außenpolitischen als auch die innerpolitischen Gegensätze aufs äußerste verschärft und für das deutsche Proletariat eine unerträgliche Lage geschaffen; daher denn auch das Heranreifen der Voraussetzungen für die revolutionäre Krise in Deutschland, das Wachstum des Faschismus, das Wachstum der kommunistischen Bewegung, das von der immer bedeutenderen Wendung der Massen auf den Weg der proletarischen Revolution zeugt. Daher kommt auch die Zuspitzung der Beziehungen zwischen den kapitalistischen Cliquen der Siegerländer und aller, die in Versailles zu kurz gekommen sind, denen dort die Schlinge um den Hals gelegt worden war (Bulgarien, Ungarn usw.), deren “antiversailler” Tendenzen der italienische Faschismus anzuführen versuchte. Das zwischen Frankreich und England auf Initiative der "Arbeiter"regierung abgeschlossene provisorische Flottenabkommen, die Scheinverhandlungen[5] der deutschen Faschisten mit den Vertretern des französischen Imperialismus, die gesamte in bezug auf die Versailler Verpflichtungen legalistische Evolution des Faschismus nach den Wahlen vom 14. September in Deutschland (die Abstimmung gegen den kommunistischen Antrag auf Einstellung der Reparationszahlungen[6]) bestätigen nur neuerdings, daß die einzige Partei und die einzige Klasse, die wirklich gegen das Versailler System kämpft, die Kommunistische Partei und das Proletariat ist.
Drittens war das abgelaufene Jahr charakterisiert durch eine Verschärfung der Gegensätze zwischen den Kolonien und dem gesamten System des Weltimperialismus. Die revolutionäre Bewegung in den Kolonien entfaltete sich im Laufe der gesamten Nachkriegsperiode als eine Folge des drückenden feudalimperialistischen Jochs und des erwachenden nationalen Bewußtseins der werktätigen Massen, als Folge der barbarischen Ausbeutung der Kolonialarbeiter und der ganz brutalen Ausplünderung der einheimischen Bauernschaft durch regelrechte Raubbaumethoden.
Die Weltkrise vertiefte und verschärfte alle Formen der kolonialen Sklaverei der Millionen werktätigen Eingeborenen, die durch den Sturz der Weltmarktpreise in erster Linie und am stärksten betroffen wurden, was den Prozeß der Pauperisierung der kolonialen Bauernschaft beschleunigte und den Ausbruch einer Massenunzufriedenheit auslösen mußte. Die Jahre 1929 und 1930 standen im Zeichen spontaner Kolonialaufstände, die sowohl das Gebiet des Pazifischen Ozeans und des arabischen Ostens als auch das schwarze innere Afrika erfaßten.
Doch die höchste Spannung erreichten die Formen der nationalrevolutionären Bewegung in Indien, in Indochina und in China. Der revolutionäre Kampf in diesen Ländern führt einen direkten Schlag gegen die Grundfesten der kolonialen Herrschaft des Imperialismus. In dieser Bewegung tritt allmählich die Arbeiterklasse in den Vordergrund des Kampfes, und in China wird die Kommunistische Partei bereits zur führenden Kraft der Arbeiter- und Bauernbewegung. In diesen Bewegungen werden die Probleme der Macht und der Agrarrevolution in ihrer ganzen Größe aufgerollt und auf einem großen Territorium Chinas auch praktisch entschieden.
Die revolutionäre Bewegung in den Kolonien, die eine Einengung bzw. die völlige Vernichtung einer Reihe der größten Märkte nach sich zog, das Risiko steigerte, die Kapitalsinvestierungen durch die Imperialisten und die Gewinnaussichten verringerte, trug ihrerseits zur Vertiefung der Weltkrise bei.
Schließlich muß die Verschärfung der nationalen Frage hervorgehoben werden, als deren Erscheinungsform die von der polnischen faschistischen Regierung mit unerhörter Grausamkeit unterdrückte Bauernbewegung in der Westukraine anzusprechen ist. Diese Bewegung, die mitten im Zentrum Europas unter den ukrainischen Bauern aufflammte, die durch das Messer des Versailler Vertrages Polen zugeteilt wurden, besitzt weit größere symptomatische Bedeutung, als das auf den ersten Blick scheinen mag. Die Bewegung in der Westukraine ist ein Aufstand der werktätigen Massen gegen die kapitalistische Balkanisierung Europas, gegen die durch den Versailler Vertrag errichtete staatliche und nationale Zerstückelung. Solche Bewegungen müssen mit der fortschreitenden Erschütterung des Versailler Systems unvermeidlich überall wachsen: in Elsaß-Lothringen und in Flandern, auf dem Balkan und im östlichen Teil des kapitalistischen Europas. Das aber fordert von den Kommunisten eine größere Aufmerksamkeit gegenüber den Fragen der nationalen Unterdrückung, eine größere Aktivität bei der Mobilisierung der Massen zum Kampf gegen das nationale Joch, für das Recht auf Selbstbestimmung bis zur Lostrennung.
Der durch das Spiel der Kräfte der Siegerländer im Gefolge des Weltkrieges geschaffene Rahmen des Versailler Systems ist für alle zu eng geworden. Für die Vereinigten Staaten Amerikas deshalb, weil die hauptsächlichsten Kolonien und großen Kontinente von England ausgebeutet werden, weil England uneingeschränkt über die Meere herrschen will. Für England, weil Frankreich über das kapitalistische Europa herrscht, weil Frankreich ein gefährlicher Rivale Englands als Beherrscher von Kolonien und Inhaber von Völkerbunds"mandaten" geworden ist. Für Frankreich, weil Deutschland der Hals nicht restlos zugeschnürt wurde. Für Deutschland, weil ihm seine “eigenen” Rohstoffquellen, die Kolonien, weggenommen, die reichsten Industriegebiete abgezwackt und auf seinem Territorium Korridore errichtet wurden. Für Italien, weil es einen ungehinderten Weg durch das Mittelmeer nach Afrika zur Abstoßung seiner überschüssigen Bevölkerung und zur Ausplünderung der afrikanischen Eingeborenen braucht. Für alle kleinen Raub- und Vasallenstaaten deshalb, weil ahnen die Gebietsteile, die ihnen ihre Herren zugesprochen haben, zu eng sind, und weil jeder von ihnen bestrebt ist, sich auf Kosten der Nachbarn auszudehnen.
Aus alledem aber ergibt sich: die Krise, die die Gegensätze der imperialistischen Staaten untereinander verschärft, und das Joch, das auf den Kolonialvölkern und den unterdrückten Nationen lastet, erschwert, beschleunigt, erschüttert das Versailler System, den Ausbruch des Kriegsreigens, verstärkt die revolutionären Bewegungen in den Kolonien sowie die nationalrevolutionären Bewegungen in den kapitalistischen Nationalitätenstaaten.
Dem Wachstum der Gegensätze und der Aggressivität des Imperialismus auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen entspricht in den Klassenbeziehungen im Innern der kapitalistischen Staaten ein verstärkter Klassenkampf und eine Verschärfung der bürgerlichen Diktatur, die immer mehr zu offen faschistischen Formen der Unterdrückung der Werktätigen übergeht. Die politische Reaktion als Regierungssystem hat mit der Entwicklung des Imperialismus ununterbrochen in allen kapitalistischen Staaten zugenommen und ist die zweite, die Kehrseite der imperialistischen Aggressivität geworden.
Das faschistische Regime ist nicht irgendein neuer Staatstypus; es ist eine der Formen der bürgerlichen Diktatur der imperialistischen Epoche. Der Faschismus wächst organisch aus der bürgerlichen Demokratie hervor. Der Prozeß des Überganges der bürgerlichen Diktatur zur offenen Form der Unterdrückung der Werktätigen stellt denn auch das Wesen der Faschisierung der bürgerlichen Demokratie dar. Eine bürgerliche Demokratie von jenem Typus, wie er für die Ära der bürgerlichen Revolutionen des vergangenen Jahrhunderts charakteristisch war, besteht heute nirgends. In Wirklichkeit haben wir bürgerlich-demokratische Formen der kapitalistischen Diktatur der Epoche des Imperialismus und der allgemeinen Krise des Kapitalismus, das heißt sich faschisierende bürgerliche Demokratien.
Die Gesamtheit der modernen kapitalistischen Staaten ist ein buntes Konglomerat faschistischer Länder (Italien, Polen) und sich mit Elementen und sich mit Elementen des Faschismus verquickender bürgerlicher Demokratien, die auf verschiedenen Stufen ihrer Faschisierung stehen, wie z. B. Frankreich oder England. Sogar Länder, die erst jetzt bürgerlich-demokratische Revolutionen durchmachen, wie z. B. Mexiko und andere Länder Lateinamerikas, legen angesichts der imperialistischen Einkreisung den Weg zu den faschistischen Formen der bürgerlichen Demokratie in so kurzen Fristen zurück, daß Tage und Wochen ganzen Jahren und Jahrzehnten in der Geschichte der früher entstandenen bürgerlicher Demokratien Europas entsprechen. Marx sagte, daß die bürgerliche Demokratie eine Form der Umwälzung, nicht aber eine konservative Form des Fortbestehens der Bourgeoisie sei. Durch diese Form erkaufte sich die Bourgeoisie die aktive Mitwirkung und Beteiligung des Proletariats an den bürgerlich-demokratischen Revolutionen. Aber am Tage nach der Eroberung der Macht durch die Bourgeoisie evolutionierte diese Form in der Richtung der politischen Reaktion.
Hieraus die erste Schlußfolgerung, daß nur ein bürgerlicher Liberaler die bürgerliche Demokratie von heute dem faschistischen Regime als eine prinzipiell von ihm verschiedene Form gegenüberstellen kann. Vermittels einer solchen Gegenüberstellung betrügt die Sozialdemokratie bewußt die Massen, um vor ihnen die Tatsache zu verbergen, daß der moderne kapitalistische Staat eine Diktatur der Bourgeoisie darstellt, gleichviel, ob er in der Form der sich faschisierenden bürgerlichen Demokratie oder in Form des offenen Faschismus auftritt.
Aber die zweite sehr wichtige Schlußfolgerung ist die, daß man die Etappen in der Entwicklung der Faschisierung des kapitalistischen Staates nicht ignorieren darf, daß man, will man eine richtige taktische Einstellung gewinnen, aufmerksam die konkreten Verhältnisse und Faktoren, die die Faschisierungsprozesse der Bourgeoisie ihres Staates beschleunigen, analysieren und untersuchen muß. Die Fehler, die in einzelnen Sektionen in der Frage des Faschismus vorgekommen sind, lagen zum Teil (Kostrzewa[7] in Polen) auf der Linie der Konstruierung eines prinzipiellen Gegensatzes zwischen bürgerlicher Demokratie und Faschismus, zum Teil aber (Österreich und Finnland) liefen sie in der Praxis darauf hinaus, daß die Etappen in der Entwicklung der faschistischen Diktatur geleugnet werden. Beide Fehler hängen zusammen mit der Unterlassung einer konkreten Analyse des Grades der Verschärfung des Klassenkampfes, des Grades der Krise der Spitzen und des sich daraus ergebenden Grades der Faschisierung der Parteien der Bourgeoisie. Faschisierung der Parteien der Bourgeoisie. Der opportunistische Fehler der Gruppe Kostrzewa bestand nicht darin, daß sie den Sozialfaschismus nicht mit dem Faschismus identifizierte, sondern darin, daß sie die weit fortgeschrittene Faschisierung der PPS.[8] unter den konkreten Verhältnissen Polens nicht sah.
Die Errichtung der faschistischen Diktatur kann auf verschiedene Weise erfolgen: nach und nach, d. h. auf dem sogenannten “trockenen” Wege, dort, wo eine starke Sozialdemokratie vorhanden ist, die das Proletariat dadurch entwaffnet, daß sie es auffordert, auf dem Boden der Gesetzlichkeit zu bleiben, wobei sie dem Faschismus eine Position nach der anderen ausliefert und das Proletariat zur Kapitulation vor ihm führt, wie z. B. in Österreich. An der Durchführung der faschistischen Diktatur “auf trockenem Wege” arbeitet die deutsche Sozialdemokratie. Aber gerade deshalb, weil es in Deutschland eine starke Kommunistische Partei gibt die tagaus tagein die Arbeiter zum Kampf gegen die sich faschisierende bürgerliche Diktatur mobilisiert, kommt der österreichische Weg der Durchführung der faschistischen Diktatur für Deutschland nicht in Frage.
Die faschistische Form der Diktatur der Bourgeoisie ist nicht nur ein Produkt der "objektiven" im Lager der herrschenden Klasse vor sich gehenden Prozesse, sondern auch ein Produkt des Kräfteverhältnisses der Klassen. Ihre Errichtung hängt entweder mit einem Rückzug des Proletariats (der kampflos oder sogar unter Kämpfen erfolgt) oder mit seiner vorübergehenden Niederlage im Kampfe zusammen. Der andere Typus der Errichtung der faschistischen Diktatur (Italien und Polen) hängt mit dem faschistischen Staatsstreich zusammen. Solche Staatsstreiche, die in bezug auf die untereinander hadernden Cliquen der Bourgeoisie direkt Operettenhaft anmuten, sind ausschließlich gegen das Proletariat, gegen die Klasse der Unterdrückten gerichtet, die die kapitalistische Gesellschaft mit der Revolution bedroht. Aber sowohl im ersteren als auch im letzteren Falle bleibt die Errichtung der faschistischen Diktatur gleicherweise eine präventive Konterrevolution.
Viele verbinden mit dem Moment dieser sogenannten faschistischen "Revolutionen" den Moment der Errichtung der faschistischen Diktatur, bzw. den Moment ihrer endgültigen Festigung. Das ist falsch. Der italienische Faschismus vollbrachte einen beträchtlichen Teil der Aufgaben der Faschisierung erst nach dem "Marsch auf Rom"[9]. Mit dem Gespenst der faschistischen "Revolution" spielt besonders die Sozialdemokratie, um die Wachsamkeit der Arbeiter gegenüber der von ihr betriebenen Faschisierung auf “trockenem Wege” einzuschläfern. Es gibt aber auch Kommunisten, die der Hypnose der Vorstellung von der faschistischen "Revolution" unterliegen und glauben, daß der Kampf gegen den Faschismus von dem Moment an beginne, wo er bewaffnet auf die Straße tritt, um den "Umsturz" durchzuführen. Die Theorie vom "Faschismus als Umsturz" wurzelt in Wirklichkeit in einer rein formalen, parlamentarischen Vorstellung vom Faschismus. Das Entscheidende am Faschismus sei es ‑ so denkt mancher ‑ daß er das Parlament abschaffe und die Einrichtungen der bürgerlichen Demokratie liquidiere. In Wirklichkeit ist das Wesentliche am Faschismus sein offener Angriff auf die Arbeiterklasse mit allen Methoden des Zwanges und der Gewalt, der Bürgerkrieg gegen die Werktätigen. Die Abschaffung der Überreste der bürgerlichen Demokratie ist ein sekundäres, ein Nebenprodukt dieser ausschlaggebenden, entscheidenden Linie der Klassenoffensive gegen das Proletariat. Übrigens ist auch die Aufhebung des Parlaments bei der faschistischen Diktatur keineswegs unausbleiblich, wie das Beispiel Polens zeigt.
Häufig wird ‑ auch in unseren Reihen ‑ bei der Charakterisierung des Faschismus auf jene Wesenszüge hingewiesen, die die Faschisten selbst besonders hervorheben, wenn sie von ihrem Raubregime sprechen, wie zum Beispiel der korporative Charakter des faschistischen Staates, auf die Spitze getriebene nationalistische Ideologie ("Groß-Italien", "Drittes Reich"), ebenso das ganze mittelalterliche Gewand, in dem der Faschismus auftritt, usw. Aber diese Züge stellen nicht das Wesen des Faschismus dar. Das ist weit eher die ideologische Hülle, die davon zeugt, daß die herrschenden Klassen in der Epoche der allgemeinen Krise des Kapitalismus außerstande sind, eine neue leitende Idee hervorzubringen, und daß sie deshalb an die Vergangenheit appellieren müssen, ähnlich dem Zarismus am Vorabend seiner Todesstunde, der auch an die Zeiten von Minin und Posharski oder Iwan Kalita[10] appellierte. Unter der Form des Korporativstaates verbirgt sich in Wirklichkeit die Aufrichtung der offenen Diktatur der Bourgeoisie über die Arbeiterklasse. In die nationalistische Ideologie kleidet sich in Wirklichkeit die durchaus neuzeitliche imperialistische Aggressivität der kapitalistischen Staaten. Der Faschismus ist nicht eine verspätete historische Fehlgeburt des Mittelalters, sondern ein Produkt des Monopolkapitals, der auf der Konzentration und Zentralisation des Kapitals bei gleichzeitigem Wachstum der Trusts und Kartelle beruht und zu einer ungeheuren Zentralisierung des gesamten Apparates der Unterdrückung der Massen ‑ unter Einbeziehung der politischen Parteien, des Apparates der Sozialdemokratie, der reformistischen Gewerkschaften, der Genossenschaften usw. ‑ führt. Seine krüppelhaften ideologischen Formen beruhen darauf, daß er den politischen Überbau des verfaulenden Kapitalismus darstellt. Diese retrograde Ideologie verquickt sich mit allen ideologischen Attributen der bürgerlichen Demokratie der Epoche des Monopolkapitals, mit der Theorie des “organisierten Kapitalismus”, mit der Theorie der “Wirtschaftsdemokratie”, mit den Ideen des “Industriefriedens”, mit der Theorie des “Staatskapitalismus als neuer Ära der gesellschaftlichen Beziehungen”, mit der Theorie des “über den Klassen stehenden Staates” usw. Der Faschismus, der das Pulver nicht erfunden hat. hat ebensowenig auch diese Ideen erfunden. Er übernahm sie als fertige Ideen von der Sozialdemokratie und kleidete sie in mittelalterliche Formeln. Und diese Gemeinsamkeit der Ideologie zeugt am besten von der Verwandtschaft des Faschismus und des Sozialfaschismus. Das spricht die Sozialdemokratie selbst durch den Mund von Albert Thomas aus: "Sozialismus und Faschismus unterscheiden sich nur durch die Methoden voneinander. Beide vertreten die Interessen der Arbeiterschaft[11]." Davon zeugt auch die Tatsache, daß die soziale Basis der Sozialdemokratie, die sich immer mehr und mehr auf die Schichten orientiert, die dem Faschismus als soziale Basis dienen (Kleinbürgertum, Angestellte), sich ändert. Diese Gemeinsamkeit der Ideologie und der sozialen Basis wird durch jenes hauptsächliche Moment bedingt, daß Faschismus. sowohl als auch Sozialfaschismus einheitlich den Interessen des verfaulenden Kapitalismus in der Epoche seiner allgemeinen Krise dienen. Die Sozialdemokratie ist der Apologet nicht des Kapitalismus überhaupt, sondern des verfaulenden Kapitalismus. Sie übernimmt für seine Existenz mit allen seinen Gegensätzen und Folgen die volle Verantwortung. Renner[12] schreibt Anfang 1930 ("Gesellschaft" Nr. 2, 1930)[13]:
Der Bürgerkrieg zerstört unsere Wirtschaft, und zwar in einem solchen Maße, daß es am Ende gleichgültig ist, wer siegt und wer besiegt ist! Beide bleiben als Bettler zurück und kommen unter den heutigen weltwirtschaftlichen Verhältnissen nicht mehr hoch.
Er fährt fort:
Das Interesse der arbeitenden Klasse ist heute, beim Stande unserer wirtschaftlichen und politischen Entwicklung, fast immer identisch mit dem höchsten Allgemeininteresse. [...] Dieses höhere Ganze ist die Wirtschaftsgemeinschaft eines Volkes.
...das heißt, die sich zersetzende kapitalistische Wirtschaft.
Hier ist die alte Idee der “Vaterlandsverteidigung”, um deretwillen die Sozialdemokratie die Arbeiter aller Länder im Jahre 1914 auf die Schlachtbank trieb, bereits eine überwundene Etappe; hier wird offen und zynisch als die zentrale Idee der Sozialdemokratie in der Epoche der gegenwärtigen Krise die Aufgabe der Rettung des bereits unter dem Anstoß objektiver Faktoren krepierenden Kapitalismus gestellt.
Was ist das Entscheidende am Faschismus vom Standpunkt unserer taktischen Einstellungen?
In erster Linie der Überfall der Bourgeoisie auf die Arbeiterklasse durch eine Reihe von Anschlägen auf ihre revolutionären Organisationen: die Kommunistische Partei, die Roten Gewerkschaften und die anderen Massenorganisationen, um die revolutionäre Arbeiterbewegung zu zertrümmern, ihren Funktionärbestand durch physische Vernichtung oder Massen-' Verhaftungen auszurotten, die Arbeiterpresse zu vernichten und sogar die von der bürgerlichen Demokratie bereits eingeschränkte Versammlungs- und Redefreiheit sowie das Wahlrecht der Arbeiter überhaupt abzuschaffen, ein System des brutalsten Terrors gegenüber den Arbeitern zu errichten, jegliche Bewegung der Arbeiterklasse brutal zu unterdrücken und dadurch die uneingeschränkte Macht der Unternehmer und der Fabrikverwaltungen im Betrieb aufzurichten. Diese Zertrümmerung der Arbeiterbewegung geht Hand in Hand entweder mit einer gewaltsamen Einbeziehung aller Arbeiter in die faschistischen Organisationen (Italien) oder aber mit einer Aufteilung der Einflußsphären zwischen den Faschisten und den Sozialfaschisten, welche letzteren zur Agentur des Faschismus innerhalb der Arbeiterklasse werden (Polen). Der Faschismus, der mit seinen Methoden der Zertrümmerung der Arbeiterbewegung die Methoden des russischen Zarismus übertrifft und seine Herrschaft auf der durch das Regime der bürgerlichen Diktatur errichteten ökonomischen und politischen Sklaverei der Arbeiterklasse gründet, vollendet das System der Versklavung der Arbeit durch den kapitalistischen Staat.
Zweitens strebt die Bourgeoisie mit Hilfe des Faschismus nach Abschaffung des Klassenkampfes, indem sie ihn durch eine einseitige Offensive der Diktatur des Kapitals gegen die Werktätigen ersetzt; sie führt die “Arbeitsgemeinschaft” der bürgerlichen Demokratie durch die Methoden der nackten ökonomischen und politischen Gewalt durch. Sie hebt das Streikrecht auf und ersetzt es durch ein System des Zwangsschlichtungswesens, das sie dann auch in den Arbeitskodex der sich faschisierenden bürgerlichen Demokratien aufnimmt; der Idee, des “über den Klassen stehenden Staates” bedient sie sich ähnlich wie der Sozialdemokratie als eines Werkzeuges zur Abwürgung des Klassenkampfes des Proletariats, wobei sie das ganze Lexikon der heuchlerischen Formeln der bürgerlichen Demokratie über Bord wirft und den Charakter der bürgerlichen Diktatur als Unterdrückungsmaschinerie in einer immer zynischeren und eindeutigeren Form offenbart.
Drittens verwandelt die Bourgeoisie mit Hilfe des Faschismus endgültig die reformistischen Gewerkschaftsorganisationen bzw. die eigenst geschaffenen neuen, faschistischen Gewerkschaften in ebensolche Unterdrückungsorgane des kapitalistischen Staates, wie es die Polizei, das Gericht, die Kaserne und das Gefängnis sind. Der Faschismus, der auf diese Weise einzelne Schichten der Arbeiter in das System der faschistischen Diktatur einzugliedern bestrebt ist und den Druck des staatlichen Unterdrückungsapparates auf die Arbeiterklasse um ein Vielfaches steigert, will in bezug auf die gesamte Arbeiterklasse auf politischem Gebiet das vollenden, was auf wirtschaftlichem Gebiet in bezug auf den einzelnen Arbeiter das kapitalistische Fließband tut, nämlich den Arbeiter in ein Anhängsel der gesamten Maschinerie der kapitalistischen Unterdrückung verwandeln.
Viertens ersetzt der monopolistische Kapitalismus das alte System der politischen Parteien durch eine halbmilitärische oder militärische terroristische Organisation des Kapitalismus in Form der sogenannten einheitlichen faschistischen Partei, die dem Zweck des Bürgerkrieges angepaßt ist. Die Umstellung der Bourgeoisie auf den Bürgerkrieg äußert sich in erster Linie darin, daß das Kapital seine bewaffneten Streitkräfte auf der Grundlage einer mechanisierten, nur aus Kadern zusammengesetzten Klassenarmee neu organisiert, zweitens darin, daß es neben seiner Armee eigene Kader in Form besonderer faschistischer Abteilungen schafft. Der alte Typus der Wehrpflichtarmeen stirbt ab, da er mit revolutionären Aufständen droht. Die Bourgeoisie fürchtet sich in der Epoche der Kriege und der Revolutionen vor dem Volk in Waffen. Daher die Idee der Söldnerarmee, des Kaderheeres, der mechanisierten Armee, der Armee der Spezialisten der Zerstörung. Ein Wortführer dieser Tendenzen ist der englische General Fuller[14]. Fuller ist für eine "kleine Armee von Maschinen". Das soll, seiner Meinung nach, eine "Armee der gepanzerten Ritter" aus zuverlässigen Faschisten sein. Dem Kanonenfutter, den Bauern und Arbeitern, weist er eine Hilfsrolle zu, die Rolle der Okkupationsarmee, der die mächtigen Kampfmaschinen nicht anvertraut werden dürfen. Für ein kleines Söldnerheer tritt auch der deutsche General Seeckt[15] ein, der sich dabei auf die Erfahrung des letzten Krieges und besonders der russischen Armee beruft, "die dem Einfluß zersetzender Elemente unterlag". Die Bourgeoisie träumt von einer motorisierten und mechanisierten, "auserlesenen bürgerlichen Garde", der die Aufgabe zufällt, den ersten Stoß gegen den Gegner zu führen und für die "große" Armee des "bewaffneten Volkes" die leitenden Kader stellt. Die gleiche Idee unterstützt durch ihre Förderung der "Rüstungseinschränkung" faktisch auch die Sozialdemokratie.
Gleichzeitig wachsen in allen kapitalistischen Ländern die faschistischen bewaffneten Abteilungen (der Stahlhelm[16] in Deutschland, der Strzelez[17] in Polen, das Schützenkorps[18] in Finnland, die Heimwehren[19] in Österreich usw.). Von dem zahlenmäßigen Bestand dieser Abteilungen kann man sich auf Grund folgender Ziffern eine Vorstellung machen: Die polnischen Strzelez-Organisationen zählen über 600.000 Mitglieder, darunter 1000 Offiziere und 5000 Unteroffiziere, die sich mit der ständigen militärischen Ausbildung der übrigen Mitglieder des Vereins befassen; in Rumänien zählt die Organisation "Voinici"[20] 200.000 Mitglieder, in Finnland allein die weibliche faschistische Organisation "Lotta‑Swjard"[21] 50.000 militärisch ausgebildete Faschistinnen. Außerdem gibt es in allen Ländern allerhand patriotische Sport-, Pfadfinder- und sonstige Organisationen, die ihrem Wesen nach ebenfalls faschistisch sind. Die polnische "Liga für Luft- und Giftgasabwehr"[22] zählt 500.000 Mitglieder, die "britische Legion"[23] 500.000 Mitglieder usw.
Könnte der Faschismus all seine Raubpolitik durchführen, wenn er nicht eine gewisse Massenbasis hätte? Natürlich nicht. Die Epoche des monopolistischen Kapitalismus ist mit einer Vermehrung der deklassierten Elemente verbunden, die sich infolge des Ruins der Bauernschaft, der kleinen Produzenten, der Handwerker und kleinen Geschäftsleute, infolge der Überproduktion an technischen Intellektuellen, an verschiedenen Kommissionären usw. herausbilden und sich überhaupt aus Leuten rekrutieren, die auf zufälligen Verdienst angewiesen sind. Die modernen Städte der kapitalistischen Länder wimmeln von solchen Elementen, aus denen das Verbrechertum, die Prostitution und jegliche Art Abenteurertum ihre Kader schöpfen. In kritischen Zeiten, wie zum Beispiel nach der Beendigung des Weltkrieges von 1914/18, vermehrte sich diese Armee der Deklassierten durch die “erwerbslosen” Offiziere, deren einziges Handwerk die meisterhafte Beherrschung der Mordtechnik war und die die Banden für alle Abenteurer jener Zeit ‑ Mussolini, d'Annunzio[24], Noske[25], Kapp[26] usw. ‑ stellten. Eine noch stärkere Vermehrung der deklassierten Elemente bringt die gegenwärtige Krise mit sich. Mit Hilfe der politischen Korruption schafft die sich faschisierende Bourgeoisie aus diesen Elementen den Grundstock der faschistischen Bewegung, die außer diesen Elementen das städtische Kleinbürgertum, die Großbauern, einen erheblichen Teil der Studentenschaft, Vertreter der Kirche, des Militärs usw. erfaßt.
Um diesen äußerst fluktuierenden und bunten Bestand seiner Anhänger zu halten und um gewisse Arbeiterschichten gewinnen zu können, muß der Faschismus zu einer plumpen Demagogie greifen, die die reaktionärsten Forderungen mit einer “fast” sozialistischen Phraseologie verbindet. Das Bestehen der Sowjetunion, die die Ära der proletarischen Weltrevolution eröffnet hat. und das Wachstum der revolutionären Stimmungen unter den Massen zwingen den Faschismus, sich dem Geist der Zeit anzupassen und die Massen zur "Revolution" gegen die prostituierte bürgerliche Demokratie aufzurufen. Dadurch, daß er die Not und das Elend der Massen ausnutzt, bis dahin passive Bevölkerungsschichten in die Politik hineinbezieht, den Einfluß der Sozialdemokratie, einer der festesten Säulen des Kapitalismus, untergräbt und durch seine Politik der offenen Gewalt die tiefeingewurzelten Vorurteile der bürgerlichen Legalität zerschlägt ‑ dadurch verstärkt der Faschismus ‑ selbst ein Produkt der Krise des Kapitalismus ‑ die Unbeständigkeit des kapitalistischen Systems und bereitet seinen eigenen sowie den Untergang des gesamten kapitalistischen Systems vor. Doch die Niederlage des Faschismus ist nicht unvermeidlich. Sie ist unvermeidlich nur bei einer aktiven Kampfpolitik der Arbeiterklasse, die politisch und organisatorisch von einer starken kommunistischen Partei geführt wird, die den Klassenhaß der Massen gegen den Faschismus mobilisiert. Dieser brennende und tiefe Klassenhaß gegen den Faschismus ist in der Politik der Kommunisten, die mitunter zusammen mit den Massen der “Hypnose” der “fast revolutionären” Phraseologie des Faschismus unterliegen, häufig nicht recht zu spüren. Es ist unverständlich, wieso man in der kommunistischen Presse von den Faschisten schreiben konnte, daß sie Feinde des bestehenden Regimes seien. Welches Regimes? Des Regimes der bürgerlichen Diktatur? Aber das ist doch nicht bestimmend für die Natur des Faschismus! Der Faschismus ist kein Feind der bürgerlichen Diktatur, er ist ihre ausgeprägteste Unterdrückungsform. Man kann nicht gegen den Faschismus kämpfen, ohne gegen alle Formen der bürgerlichen Diktatur, gegen alle ihre reaktionären Maßnahmen zu kämpfen, die die Bahn für die faschistische Diktatur freimachen.
Das aber bedeutet erstens, daß der Kampf gegen den Faschismus eine systematische Entlarvung des sozialdemokratischen Betrugs bedeutet, mit dem der wahre konterrevolutionäre Charakter der bürgerlichen Diktatur, die Phrase von der Demokratie bemäntelt wird und der gerade dadurch die Schlagkraft der Arbeiterklasse im Kampf gegen die Diktatur des Kapitalismus lahmt und ihre Wachsamkeit gegenüber dem Faschismus einschläfert. Das bedeutet zweitens, daß nur durch entschiedenen Kampf gegen die bürgerliche Diktatur, die in der Form der bürgerlichen Demokratie auftritt, die Kommunisten den Erfolg des Kampfes gegen den Faschismus sichern werden. Das bedeutet drittens, daß der Kampf gegen den Faschismus ebenso wie auch der Kampf gegen den Krieg nicht erst dann geführt werden darf, wenn die Kanonen sprechen und die Maschinengewehre rattern, sondern daß er tagaus tagein gegen alle Formen der Offensive des Kapitalismus sowohl auf wirtschaftlichem als auch auf politischem Gebiet geführt werden muß.
Das Wachstum des Faschismus stellt die kommunistischen Parteien vor folgende Aufgaben:
Massenabwehr der Arbeiter gegenüber den faschistischen Banden durch Organisierung von Massenkampforganen in den Betrieben auf der Grundlage der breitesten Einheitsfront mit den sozialistischen Arbeitern; Verstärkung der Arbeit unter der Jugend, die den Krieg und die Revolution nicht mitgemacht hat, unermüdlicher Kampf mit dem Faschismus um die Arbeiter-Jugend, ebenso Kampf mit der Kirche, dem Militarismus, die die Arbeiterjugend mit reaktionärer Propaganda vergiften; Verstärkung der Arbeit unter den Erwerbslosen, um das Eindringen des faschistischen Einflusses unter den Erwerbslosen zu paralysieren; Bildung von Selbstschutzabteilungen zum Schutz der Arbeiterorganisationen, der Arbeiterpresse und des Lebens der aktivsten revolutionären Kämpfer gegen Pogrome und Morde; propagandistische und organisatorische Vorbereitung und .Durchführung politischer Massenstreiks als eines der wirksamsten Kampfmittel gegen den Faschismus; Kampf um die Hegemonie des Proletariats über die halbproletarischen und kleinbürgerlichen Elemente in Stadt und Land, vor allem durch Festigung der revolutionären Organisation des Proletariats durch Mobilisierung dieser Schichten auf Grund konkreter Kampflosungen gegen den Steuerraub, gegen die Teuerung und gegen die Preispolitik der Trusts und Kartelle, gegen die Bankenspekulationen, gegen das Wucherkapital und den Pachtzins, für die Enteignung des Grund und Bodens, für die Forderungen der Landarbeiter, gegen alle Arten der nationalen Unterdrückung (wirtschaftlicher, politischer und kultureller Art).
Die erste Frage, die gestellt werden muß, ist die Frage des Charakters des gegenwärtigen revolutionären Aufschwungs. Ist das ein episodischer Aufschwung, der durch vorübergehend wirkende Faktoren bedingt ist, oder ist das ein Aufschwung, der eine ganze geschichtliche Epoche der internationalen Die Arbeiterbewegung kennt Flut und Ebbe vorübergehender Art. In den letzten Jahren waren wir Zeugen so ungeheurer Bewegungen wie der englische Generalstreik, auf den ein gewisses Abfluten der revolutionären Welle in England folgte. Wir erinnern uns daran, daß das Ende des durch die November-Revolution in Deutschland abgebrochenen imperialistischen Krieges im Zeichen des gewaltigen revolutionären Aufschwungs stand, der in Deutschland und in Österreich und Ungarn zum Sturz der Monarchie und zur Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten geführt hatte.
Wodurch unterscheidet sich der gegenwärtige revolutionäre Aufschwung von dem Aufschwung der Jahre 1918/19? Schließlich haben in der Periode der Teilstabilisierung des Kapitalismus spontane Ausbrüche der Massenbewegung stattgefunden. Welchen Platz nehmen sie in unserer Charakteristik des revolutionären Aufschwunges ein? Alle diese Fragen werden von den rechten und trotzkistischen Renegaten bewußt vertuscht, um beweisen zu können, daß im Jahre 1931 keinerlei Aufschwung vorhanden, sondern nur eine Offensive des Kapitals, ein Triumph der politischen Reaktion und ein Wachstum des Faschismus gegeben sei, daß die Arbeiterklasse sich in der Zeit der Krise noch mehr in der Abwehrstellung befindet, als das bis jetzt der Fall war. Es muß vor allen Dingen festgestellt werden, daß der gegenwärtige revolutionäre Aufschwung die heranreifende zweite Runde der Revolutionen und Kriege ist. Er unterscheidet sich von der der Jahre 1918/19 dadurch, daß er noch nicht dessen Intensität erreicht hat, aber auch dadurch, daß er sich, während der Existenz des erstarkten Staates der proletarischen Diktatur vollzieht, der den Sozialismus aufbaut und bereits bei der Fertigstellung des Fundaments der sozialistischen Ökonomik angelangt ist; und dies bei einer zum Unterschied von 1918/19 weit fortgeschritteneren Differenzierung der Arbeiterbewegung, bei Bestehen festgefügter, politisch erstarkter kommunistischer Parteien, nach einer zwölfjährigen Erfahrung der Arbeiterklasse, die die Sozialdemokratie in einer Reihe fortgeschrittener kapitalistischer Länder an der Macht gesehen hat; und beim Heranreifen einer weit einschneidenderen Verschärfung aller Gegensätze des Kapitalismus, als es 1918/19 der Fall war.
Schon die Tatsache, daß sich die Zahl der revolutionären Brandherde in allen Ecken und Enden der kapitalistischen Welt (China, .Indien, Indochina, die Länder Lateinamerikas) vermehrt hat, zeugt davon, daß die zweite Runde der 'Revolutionen und Kriege nicht rein europäischen Charakter, sondern weltumspannenden Charakter besitzen wird.
Infolgedessen muß auch die zweite Runde der Revolutionen und Kriege die Welt weit tiefer und umfassender erschüttern als der Aufschwung der Jahre 1918/19; sie wird, ihrem Schwung nach, eine Fortsetzung des Oktobers 1917 werden und zum Sieg des Proletariats in einer Reihe kapitalistischer Länder führen.
Eine Rückkehr von der jetzigen Krise zu einer kapitalistischen Stabilisierung, wie das Otto Bauer glaubt, wird es nicht geben. Vielmehr wird eine weitere Verfaulung des Kapitalismus vor sich gehen und ein Anwachsen des revolutionären Aufschwungs, mit neuer Kraft. Aber gerade deshalb, weil es der Aufschwung einer ganzen geschichtlichen Epoche und nicht ein episodischer Aufschwung ist, sind in ihm Schwankungen konjunktureller Art möglich. Beispiele solcher Schwankungen hatten wir nicht nur einmal in unserer Arbeit während des letzten Jahres. In den Vereinigten Staaten Amerikas gelang. es der Kommunistischen Partei, am 6. März etwa 1 ¼ Million Arbeiter auf die Straße zu führen. Und nichtsdestoweniger haben es die amerikanischen Kommunisten in diesem Jahre am 25. Februar nur fertiggebracht, etwa 300.000 Mann auf die Beine zu bringen.
Der gegenwärtige revolutionäre Aufschwung entwickelt sich ungleichmäßig. Hier überholen die einen Länder die anderen, bleiben wieder etwas zurück und lassen sich von den erst zurückgebliebenen überholen. Z. B. wird es keine Übertreibung sein, zu sagen, daß der Internationale Erwerbslosentag in der Tschechoslowakei in diesem Jahre in bezug auf seine Vorbereitung und seinen Kampfcharakter besser als in allen anderen Ländern durchgeführt worden ist. Trotz dieser Ungleichmäßigkeit, der Flut und Ebbe der Bewegung, bewegt sich die allgemeine Entwicklungslinie des revolutionären Aufschwungs im ganzen zweifelsohne in aufsteigender Linie.
Im Zusammenhang damit ersteht die Frage spontaner einzelner Ausbrüche der Bewegung wie der Krakauer Aufstand 1923[27] mit Übergang polnischer Soldaten auf die Seite der Arbeiter, oder Demonstrationen wie aus Anlaß der Hinrichtung Saccos und Vanzettis 1927, oder der Wiener Aufstand vom 15. Juli 1927[28], und es erhebt sich auch die Frage der Rolle und der Bedeutung solcher Ausbrüche unter den Verhältnissen des gegenwärtigen revolutionären Aufschwungs. Lenin schrieb 1916, daß sich in Europa derart viel Zündstoff angesammelt habe, daß ein solcher Zwischenfall wie die Zabernaffäre zum Ausbruch der Revolution führen könne. Zündstoff dieser Art hat sich seither noch viel mehr angehäuft, aber die Organisiertheit und die Erfahrung der Bourgeoisie im Kampfe gegen die proletarische Revolution sind größer geworden. Zweifelsohne jedoch steht fest, daß bei der gegenwärtigen erschreckend schlechten Lage der Massen, ihrem Hunger, ihrer Not und Leiden, bei der zunehmenden Empörung derart gegen die kapitalistische Gesellschaftsordnung jeder Ausbruch dieser Art zum Ausgangspunkt einschneidender revolutionärer Bewegungen werden kann.
Ein Fehler einiger Kommunisten in der Vergangenheit, besonders des Genossen Sinowjew, bestand darin, daß sie jeden solchen Teilausbruch, der lokale Bedeutung besaß, für das Ende der kapitalistischen Stabilisierung hielten und als den Beginn einer neuen revolutionären Ära proklamierten. Andererseits ist es der Geist des völligen Defaitismus und der Kapitulation vor dem Klassenfeind, der der opportunistischen Anschauung anhaftet, die die Offensive des Kapitalismus und das Wachstum des Faschismus als einen einseitigen Prozeß, lediglich als eine Erstarkung der Positionen der Bourgeoisie betrachtet. Das ist schon allein deshalb nicht richtig, weil die zäheste Offensive des Kapitals und das stärkste Wachstum der politischen Reaktion gerade in den Ländern mit der stärksten untergrabenen wirtschaftlichen Lage und mit den heranreifenden Voraussetzungen der revolutionären Krise vor sich geht. Aber selbst, wenn man sich eine derart paradoxe Lage vorstellt, daß die Arbeiterklasse der kapitalistischen Länder nur zurückweicht, was den Tatsachen des Klassenkampfes widerspricht, so widerlegt allein die Tatsache der gigantischen Offensive, die das Proletariat in der Sowjetunion gegen die kapitalistischen Elemente in Stadt und Land führt, gründlich diese liquidatorische Theorie des lückenlosen Rückzuges des Weltproletariats.
Aber die Behauptung, daß das Proletariat in den kapitalistischen Ländern nur zurückweiche, ist eine ganz infame Lüge. Die Wirtschaftskrise revolutioniert die Massen. Was bedeutet eine Demonstration von der Art wie in Budapest am 1. September, was bedeuten die fast alltäglichen blutigen Zusammenstöße in Deutschland, Streiks von der Art wie der Ruhrstreik, der gegen alle vereinigten Kräfte des Kapitals durchgeführt wurde, die Ereignisse in China, Indien, Spanien, in den Ländern Lateinamerikas, die einsetzende Gärung unter der Sozialdemokratie, die Alarmstimmung der herrschenden Klassen?
Man darf die Frage des revolutionären Aufschwungs nicht simplifizieren und muß auch jene zusätzlichen Schwierigkeiten des Kampfes sehen, die die Arbeiterklasse unter den Verhältnissen der Krise zu bestehen hat. Die Taktik der Unternehmer im Kampfe gegen die Streikbewegung ist komplizierter geworden: das Kapital ist heute bemüht, den Widerstand der Arbeiter durch eine nicht nur bezirksweise, sondern häufig betriebsweise geführte Offensive zu zersplittern; beim Abschluß der Tarifverträge setzt das Kapital für die verschiedenen Bezirke verschiedene Ablaufstermine der Verträge fest, um dadurch wiederum die Einheit der Aktionen des Proletariats zu zerschlagen; schließlich greift es zu einem System kurzfristiger Verträge, die ihm gestatten, den Arbeitslohn nach und nach von Stufe zu Stufe abzubauen. Die Krise hat entsprechend den Verschiebungen innerhalb des Proletariats (Erwerbslose und im Betrieb Stehende), entsprechend der Hineinziehung anderer sozialer Gruppierungen, der Bauernschaft, der städtischen Armut und der Angestellten in die Bewegung auch die Bedeutung der verschiedenen Kampfformen verschoben. Wenn bis Ende 1929 die überwiegende Form, die den Aufschwung charakterisierte, die Streikbewegung war, so gewinnen gegenwärtig neben den Streiks auch die anderen Kampfformen: Erwerbslosendemonstrationen, Zusammenstöße der Massen mit der Polizei, Verweigerung der Steuerzahlungen, Bauernaufstände unter Anwendung solcher Kampfformen wie in der Westukraine, immer breiteren Eingang. Die Streikbewegung, die sich im Laufe dieses Jahres entwickelte, widerlegt die Lüge der Reformisten und Opportunisten, daß in Zeiten einer Krise unmöglich gestreikt werden kann. Sowohl in Berlin als auch im Ruhrgebiet, in Schottland und in Südwales, besonders aber in Lancashire und anderen Orten streikte das Proletariat, und zwar streikte es überall nicht schlecht. Aber die Ausnutzung des Streiks als einer Kampfwaffe ist schwieriger geworden, heute ist das spezifische Gewicht jedes wirtschaftlichen Streiks im Vergleich zu den früheren Jahren des Aufschwungs um ein Vielfaches gestiegen. Worin äußert sich die höhere Stufe des gegenwärtigen Aufschwungs im Vergleich zu den früheren Jahren? Darin, daß die Kommunisten in einer Reihe kapitalistischer Länder und in einer Reihe von Fällen die Klassenkämpfe selbständig zu führen beginnen.
Die Kommunisten führen augenblicklich in China zwar nicht eine siegreiche Nordexpedition durch, bei der sie Schanghai und andere Industriezentren einnehmen, dafür fällt ihnen auch kein Tschang Kai Schek im Moment des Sieges in den Rücken[29]. Sie führen augenblicklich als Partei selbständig die chinesische Rote Armee der Bauern und Arbeiter gegen Tschang Kai Schek, gegen alle konterrevolutionären Generäle und die vereinigten Kräfte der gesamten imperialistischen Front. In der Eroberung der Hegemonie des Proletariats in der nationalrevolutionären Bewegung haben sie seit dem Jahre 1926 einen ungeheuren, entscheidenden Fortschritt gemacht, indem sie die revolutionäre Bewegung in ihrer Klassendifferenzierung auf eine neue, höhere Stufe gehoben haben.
Die Kommunisten in Europa führen augenblicklich nicht Generalstreiks vom Umfange des englischen im Jahre 1926 durch, die im entscheidenden Moment von den Purcell, Citrine und anderen Generalratsmitgliedern verraten werden, aber sie führen selbständig als Partei gegen die reformistischen Gewerkschaften den Streik im Ruhrgebiet und haben einen ernsthaften Fortschritt in der Eroberung der Führung der Arbeiterbewegung Diese Tatsachen zeugen davon, daß sowohl die deutsche als auch die chinesische Kommunistische Partei trotz der verschiedenen Stufe ihrer Entwicklung und ihrer bolschewistischen Erfahrung jede für sich, entsprechend der konkreten Situation in ihren Ländern, die zentrale Frage, die Frage der Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse, auf richtige, bolschewistische Art löst.
Wir haben seit dem 10. Plenum in der selbständigen Führung der Klassenkämpfe noch nicht viel erreicht, aber es wäre dumm, wie es die Opportunisten in unseren Reihen tun, über eine angebliche Einengung der Basis des kommunistischen Einflusses zu lamentieren, weil die Kommunisten die selbständige Führung der Klassenkämpfe begonnen haben. Würden die Kommunisten solche Bewegungen wie den englischen Generalstreik oder die Nordexpedition selbständig führen, so würde das bedeuten, daß sie die Mehrheit der Arbeiterklasse und der werktätigen Massen erobert haben, und das würde zum sofortigen Siege der proletarischen Revolution führen. Das höhere Stadium des revolutionären Aufschwunges wird charakterisiert durch die mit der Verwirklichung der selbstständigen Führung der Klassenkämpfe durch die Kommunisten verbundene Revolutionierung dieser Klassenkämpfe. Gerade deshalb gewinnen wirtschaftliche Streiks, wie das der Ruhrstreik gezeigt hat, bei einer selbständigen Führung durch die Kommunisten politische Bedeutung, und man kann behaupten, daß jede Bewegung unter kommunistischer Führung die Tendenz haben wird, sich auf ein höheres Stadium zu erheben, da ihre Entwicklung nicht mit dem schweren Bleigewicht der reformistischen Bonzen, die die Bewegung rückwärts ziehen, belastet sein wird. Und unsere Schwäche besteht darin, daß wir in den meisten kommunistischen Parteien über Resolutionen, in denen die selbständige Führung der Klassenkämpfe im Prinzip gelobt wird, nicht hinausgekommen sind. Die Aufgabe der selbständigen Führung der Klassenkämpfe ist eine Aufgabe, die nicht in zwei bis drei Wochen oder in zwei bis drei Monaten zu lösen ist. Es gibt unter den Kommunisten Stimmungen, zu jedem Plenum des ZK. eine neue Aufgabe “auszudenken”: manche glauben, daß eine Aufgabe lösen nichts anderes heißt, als eine Resolution über sie verfassen, daß wir 1931 bereits alle Aufgaben aller "drei Perioden" der Nachkriegsentwicklung übersprungen und hinter uns haben. Das ist das schädlichste und verhängnisvollste Vorurteil, das es in der Arbeit der Kommunisten geben kann. Die Aufgabe der Eroberung der selbständigen Führung der Klassenkämpfe erfordert noch eine lange Zeit zu ihrer vollen Verwirklichung. Sie ist ein Bestandteil der vom EKKI. den kommunistischen Parteien auf dem 10. Plenum gestellten großen strategischen Aufgabe der Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse. Die Lösung dieser Aufgabe aber setzt neben der Eroberung der selbständigen Führung der Klassenkämpfe die Untergrabung der Massenbasis der Sozialdemokratie voraus, die eine feste Stütze in den reformistischen Gewerkschaften besitzt. Der Beschluß einer Reihe kommunistischer Parteien, den Kurs auf die Organisierung einer selbständigen revolutionären Gewerkschaftsbewegung zu nehmen ‑ das ist ein Beschluß von wahrhaft historischer Bedeutung. Es bedeutet, daß von ihnen die Frage des revolutionären Aufschwungs allen Ernstes vor den Massen gestellt wird, daß die Kommunisten, ausgehend von der Beurteilung des Charakters und des Tempos des gegenwärtigen revolutionären Aufschwungs, in ihrer täglichen organisatorischen Arbeit die revolutionär-praktischen Schlußfolgerungen ziehen. Nur auf der Welle dieses Aufschwungs werden die Kommunisten die selbständige revolutionäre Gewerkschaftsbewegung aufzubauen und zu festigen vermögen.
Die verräterische Politik der reformistischen Gewerkschaftsbürokratie in der gegenwärtigen Krise schafft günstige Voraussetzungen für die erfolgreiche Lösung dieser Aufgabe durch die kommunistischen Parteien; überall, wo die kommunistischen Parteien bis jetzt schwach waren, eröffnen sich ihnen breite Möglichkeiten einer, raschen Entwicklung und Festigung der Bewegung der Revolutionären Gewerkschaftsopposition. Für diese kommunistischen Parteien ist das der wichtigste Weg zur Eroberung der selbständigen Führung der Klassenkämpfe, zur Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse.
In den Ländern, wo das Proletariat starke kommunistische Parteien besitzt, müssen diese kommunistischen Parteien die selbständige revolutionäre Gewerkschaftsbewegung im Prozesse der Massenbewegungen des Proletariats festigen und ausbauen und aus allen Kräften an der Steigerung der Kampffähigkeit der roten Gewerkschaften im Kampfe gegen die Offensive des Kapitals arbeiten. Nur im Klassenkampf werden die Kommunisten starke revolutionäre Massengewerkschaften zu schmieden vermögen, die wirklich imstande sind, die Wirtschaftskämpfe des Proletariats vorzubereiten und zu führen und zu organisatorischen Stützpunkten der kommunistischen Parteien bei der Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse zu werden. Wie aber steht es augenblicklich mit der Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse? Wir müssen konstatieren, daß seit dem 10. Plenum eine der vier Parteien, die vom Plenum als jene bezeichnet wurden, die der Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse am nächsten gekommen sind, die Kommunistische Partei Deutschlands, einen wirklich ernsthaften Schritt gemacht hat. Nicht schlecht hat in der letzten Zeit an der Lösung dieser Aufgabe die KP. der Tschechoslowakei zu arbeiten begonnen; kleine Erfolge hat die KP. Polens aufzuweisen. Doch die französische Kommunistische Partei ist sogar etwas zurückgegangen.
Der Fehler vieler Kommunisten nach dem 10. Plenum bestand darin, daß sie die Aufgabe der Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse, der Eroberung der selbständigen Führung der Klassenkämpfe als eine Aufgabe betrachteten, die sich mit einer einzigen Kraftanstrengung erreichen läßt. Und dieser Fehler war kein zufälliger. Er ergab sich bei ihnen aus der falschen Einstellung zur Frage des Charakters und des Tempos des revolutionären Aufschwungs. Diese Genossen setzten dem revolutionären Aufschwung äußerst kurze Fristen, stellten sich seine Entwicklung äußerst einfach vor, als eine raketenartige ununterbrochen aufsteigende Linie ohne Verzögerung und Konjunkturschwankungen. Dieser Fehler wurde dadurch vertieft, daß die Frage des revolutionären Aufschwungs vor den Parteimassen äußerst abstrakt und mechanisch gestellt wurde, ohne Berücksichtigung der Besonderheiten jedes einzelnen Landes, die sein Tempo und seine Entwicklungsform bestimmen. Eine solche Einstellung führte zum Überspringen der komplizierten, mühseligen Aufgaben der “groben” organisatorischen Arbeit, schuf eine von leerem Draufgängertum getragene Stimmung, nährte die Orientierung auf die Spontaneität, vereinfachte allzusehr die Stellung aller Parteiaufgaben. Die revolutionäre Spontaneität werde ja gewissermaßen die Massen den Kommunisten zutreiben, die selbständige Führung der Klassenkämpfe durch die Kommunisten werde sich in der Arbeiterklasse durchsetzen ohne besondere Anstrengungen unsererseits. Die Sozialdemokratie sei bereits entlarvt und zerfalle sozusagen automatisch, die Kommunisten aber brauchten nur “den Fallenden zu stoßen”. Der wirtschaftliche Streik "schlage" unter den Verhältnissen der "dritten Periode" in den politischen "um", ohne daß die Kommunisten die Positionen der Reformisten in der Arbeiterklasse erst noch zu erschüttern brauchen usw. Viele der Kommunisten sind an das entscheidende, höchst wichtige Problem in unserem taktischen Arsenal, an die Frage des politischen .Massenstreiks allzu leicht herangetreten. Jetzt, wo sie sich an den Schwierigkeiten der Durchführung des politischen Massenstreiks die Finger verbrannt haben, glauben manche, daß die Frage des politischen Massenstreiks auf unbestimmte Zeit aufgeschoben sei. Dabei hat aber das 10. EKKI.‑Plenum klipp und klar gesagt, daß das Problem des. politischen Massenstreiks das entscheidende Problem für die unmittelbar nächste Periode ist:
Die Anwendung der Waffe des politischen Massenstreiks wird den kommunistischen Parteien helfen, in die zersplitterten wirtschaftlichen Aktionen der Arbeiterklasse größere Einheit hineinzubringen, eine breite Mobilisierung der proletarischen Massen durchzuführen, aus allen Kräften ihre politische Erfahrung zu vermehren und sie an den unmittelbaren Kampf um die Diktatur des Proletariats heranzuführen.
(Aus der Resolution des 10. Plenums "Über die internationale Lage und die nächsten Aufgaben der Kommunistischen Internationale".)
Die Frage des politischen Massenstreiks gewinnt augenblicklich, im Moment der in einigen kapitalistischen Ländern zutage getretenen Tendenzen der Verschärfung der Wirtschaftskrise und des Heranreifens der Voraussetzungen einer revolutionären Krise, weit aktuellere Bedeutung als während des 10. EKKI‑Plenums. Die rasche Revolutionierung der Massen, die Desorientierung der herrschenden Klassen, eine gewisse Desorganisierung der Staatsmaschine des Kapitals und die tiefgehende Gärung innerhalb der Sozialdemokratie schaffen die Voraussetzung für die erfolgreiche Ausnutzung dieser Waffe des Klassenkampfes. Besonders wächst die Bedeutung des politischen Massenstreiks als einer Kampfwaffe gegen den angreifenden Faschismus und gegen die Gefahr des Interventionskrieges.
Die ganze Erfahrung der internationalen Arbeiterbewegung hat gezeigt, daß gerade im Moment der heranreifenden revolutionären Krise in einem Lande der politische Massenstreik aus einer Agitations- und Propagandalosung zur Aktionslosung wird. So war das in Rußland im Jahre 1905, so war es in Deutschland in den revolutionären Jahren 1918/23, so ist es gegenwärtig in Spanien, in China, Indien, d. h. überall, wo die Macht erschüttert und die revolutionäre Welle hoch im Anstieg ist.
Die politischen Massenstreiks, die an Kraft, Umfang und Intensität in rascher Folge immer mehr zunehmen, werden in solchen Momenten zur Vorstufe des bewaffneten Kampfes der Arbeiterklasse um die Macht. Jedoch wäre es falsch, das, was Lenin über den politischen Massenstreik unter den Verhältnissen des Jahres 1905 schrieb, mechanisch auf alle Länder zu übertragen. In den größten kapitalistischen Ländern geht das Proletariat nicht einer bürgerlich-demokratischen Revolution, sondern der proletarischen Revolution entgegen, hier haben wir einen anderen Aufmarsch der Klassenkräfte, hier wird die Frage der Verbündeten des Proletariats in anderer Weise gestellt, anders ist der Grad des Einflusses der Sozialdemokratie usw. Der Übergang von den wirtschaftlichen Streiks zu den politischen Streiks in diesen Ländern ist weit schwieriger als in China, in Indien und in Spanien. Hier bedarf es, um die Losung des politischen Massenstreiks aus einer Agitationslosung in eine Aktionslosung zu verwandeln, noch einer großen politischen und organisatorischen Arbeit zur Eroberung der selbständigen Führung der Klassenkämpfe und zur Untergrabung der Massenbasis der Sozialdemokratie, dieses gewichtigsten Hindernisses auf dem Wege der Durchführung des politischen Massenstreiks.
Indes haben die Kommunisten in der Praxis die Frage der Durchführung des politischen Massenstreiks nicht mit der Aufgabe der selbständigen Führung der Klassenkämpfe und mit der Untergrabung des Einflusses der Sozialdemokratie verbunden und haben mehr Hoffnungen auf das Moment der Spontaneität gesetzt, das in den kapitalistischen Ländern beim Vorhandensein einer starken Sozialdemokratie eine geringere Rolle spielt als in Indien oder China, oder 1905 in Rußland.
Und da gelangten manche bald in eine Lage, wo ihnen “die Erfolge zu Kopfe stiegen”. Die Kommunistische Partei der Vereinigten Staaten Amerikas hat nach dem atembenehmenden Erfolg vom 6. März nicht rechtzeitig bemerkt, daß die revolutionären 'Gewerkschaften in ihrem Mitgliederbestand trotz der gewaltigen Weltkrise zurückgegangen sind, daß ihre Werbekampagnen, die von Tausenden angeworbener neuer Parteimitglieder Kunde brachten, den Mitgliederstand der Partei nicht vergrößerten, hauptsächlich infolge der starken Fluktuation in ihren Reihen und weil viele junge Parteimitglieder, denen keine ernsthafte politische Bearbeitung zuteil wurde, lautlos wieder abgingen. In Ungarn hat die Kommunistische Partei nach dem Erfolg vom 1. September einen Hungermarsch angesetzt, ohne irgendwelche ernsthafte politische und organisatorische Vorbereitungsarbeit zu betreiben, in der Hoffnung, daß nunmehr den Massen gleichfalls alles so klar sei, wie für die junge, kampfentschlossene Führung der Ungarischen Kommunistischen Partei. Und da die breite Arbeitermasse sogar in Budapest von dem Hungermarsch nichts gehört hatte, gelang dieser nicht und führte lediglich zu einem Aufgebot großer Kräfte der ungarischen Gendarmerie und Polizei. Die französische Kommunistische Partei hatte im Laufe des letzten Jahres keinerlei solcher Erfolge, die ihr hätten zu Kopfe steigen können, aber das hinderte sie nicht, in der Praxis derartige Bocksprünge ebenfalls zu machen.
Zum 6. März und zum 1. Mai 1930 stellte die französische Partei die Losung des "politischen Generalstreiks" auf, ohne irgendwelche Vorbereitung der Massen auf eine derartige Bewegung. Als sich herausstellte, daß die Streikbewegung im Norden Frankreichs gegen das Sozialversicherungsgesetz zu Ende ging, stellte die Kommunistische Partei noch vor der faktischen Beendigung des Streiks die Losung "Revanche im Oktober" auf, ohne den leisesten Versuch zu machen, irgend etwas in dieser Richtung zu unternehmen.
In England hat die mechanische Art des Herantretens der Kommunisten an die Frage der selbständigen Führung der Klassenkämpfe dazu geführt, daß die Kommunisten die Arbeit in den Gewerkschaften unter dem Vorwand der Neuorientierung der Arbeit auf die Betriebe vernachlässigten und die Minderheitsbewegung, die sie äußerst ungeschickt politisierten, auf eine Basis herabdrückten, die nicht breiter ist als die Basis der Partei, dem Kampf für die unmittelbaren Forderungen der Arbeiterklasse sehr geringe Aufmerksamkeit widmeten und einen Moment lang die Partei in die Gefahr einer Loslösung von den Arbeitermassen brachten.
Aber am krassesten äußerte sich der Fehler der Kommunisten in der Frage des Charakters und des Tempos des revolutionären Aufschwungs ‑ in der Beurteilung des Heranreifens der "politischen" Krise in den verschiedenen Ländern. Wenn man den Begriff der politischen Krise nicht vulgarisiert, sie nicht auf parlamentarische Formen reduziert und mit dem Wachstum des Faschismus identifiziert; wenn man sie ferner nicht als einen einseitigen Prozeß der Desorientierung der herrschenden Spitzen hinstellt und mit den politischen Elementen der allgemeinen Nachkriegskrise des Kapitalismus verwechselt, so müssen wir sagen, daß es einen Unterschied zwischen politischer und revolutionärer Krise nicht gibt. Natürlich besitzt der Wechsel der Kabinette unter den Verhältnissen der gegenwärtigen Krise eine etwas andere Bedeutung als die Ministerkrisen der Ära der kapitalistischen Stabilisierung; natürlich ist die Verstärkung der faschistischen Tendenzen in diesem, oder jenem Lande mit ein Symptom des Heranreifens der Elemente einer revolutionären Krise, weil das von der Desorientierung der herrschenden Klassen zeugt. Das Umschlagen der wirtschaftlichen Krise in die revolutionäre wird in der kapitalistischen Welt natürlich unter dem großen geschichtlichen Gesichtswinkel betrachtet, der durch solche Faktoren der Nachkriegskrise des Kapitalismus bestimmt ist, wie das Bestehen der UdSSR., das Wachstum der internationalen revolutionären Arbeiter- und Bauernbewegung, die nationalrevolutionäre Bewegung in den Kolonien, die Verschärfung der Gegensätze des Versailler Systems, die Loslösungstendenzen der Dominions usw. Aber von hier bis zur politischen Krise mit jenem revolutionären Inhalt, den wir In sie hineinlegen, ist noch eine Distanz von ungeheurer Größe. Die Nachkriegskrise des Kapitalismus hat eine objektiv revolutionäre Lage in der kapitalistischen Welt geschaffen, aber diese Lage bedeutet nicht das Vorhandensein einer revolutionären Krise. Das Heranreifen der revolutionären Krise vollzieht sich nicht nur geographisch ungleichmäßig, ungleichmäßig ist auch das Heranreifen der einzelnen Elemente der revolutionären Krise, des objektiven und subjektiven Elements. Der englische Generalstreik schuf eine revolutionäre Krise in England, obwohl bis dahin in England eine Krise der Spitzen nicht bestand. Augenblicklich entwickelt sich der objektive Faktor weit rascher als der subjektive Faktor. Vom Zurückbleiben dieses letzteren zeugt, wenn nichts anderes, so das Wachstum des Faschismus. Die übereilte Neigung zu Verallgemeinerungen führt dazu, daß die Kommunisten das Vorhandensein einer "politischen Krise" verkünden, obwohl einzelne Systeme einer revolutionären Krise erst teilweise zur Entfaltung gelangt sind. So erblickten die französischen Genossen in dem Regierungsantritt des Ministeriums Steeg den Beginn einer "politischen" Krise in Frankreich, das gleiche sahen die amerikanischen Genossen in dem Wahlsieg der Demokraten; die Kommunisten der Tschechoslowakei schlugen alle Rekorde und verkündeten in dem ursprünglichen Thesenentwurf zu ihrem letzten Parteitag den Beginn einer "politischen Krise in der ganzen Welt".
Eine vollentfaltete revolutionäre Krise haben wir leider noch in keinem einzigen Lande. Aber dahin treibt die Entwicklung vor allem in China, wo wir bereits von einer revolutionären Krise sprechen können, die jedoch noch nicht einen allgemein-nationalen Umfang angenommen hat; in schwächerem Maße geht dahin auch die Entwicklung in Indien und Voraussetzungen einer Entwicklung in dieser Richtung gibt es sowohl in Deutschland als auch in Polen. Ob sich diese Voraussetzungen aber zu einer revolutionären Krise entwickeln werden, wird von einer ganzen Reihe von Umständen abhängen: von dem weiteren Wachstum der Sowjetunion, von dem Grade der weiteren Verschärfung und Vertiefung der Weltkrise, von dem Grade des Wachstums der internationalen Gegensätze, von dem Grade der Erschütterung und Schwächung des Kapitalismus in den ausschlaggebenden kapitalistischen Ländern, in den Vereinigten Staaten Amerikas, in England und Frankreich, von den Erfolgen, die die kommunistischen Parteien erzielen werden usw.
Elemente der revolutionären Krise sind in latentem Zustand im gesamten kapitalistischen System der Nachkriegsära enthalten. Sie wachsen aus der allgemeinen Krise des Kapitalismus hervor, verschärfen sich durch die gegenwärtige Weltwirtschaftskrise und entwickeln sich auf der Grundlage des revolutionären Aufschwungs der Massenbewegung; sie sind mit einer äußersten, infolge der Krise alles bisherige übertreffenden Zuspitzung der Not und des Elends der Massen, mit ihrer wachsenden revolutionären Aktivität, mit der Erschütterung des gesamten internationalen und innerpolitischen Systems der kapitalistischen Herrschaft, mit einer raschen Umgruppierung der Klassenkräfte, mit einer heranreifenden Krise der “Spitzen” verbunden, die auf dem Wege des Faschismus, des Krieges und der Intervention einen Ausweg aus den Gegensätzen suchen. Die in Ausreifung befindlichen Elemente der politischen Krise üben ihrerseits wiederum Einfluß auf die weitere Zuspitzung und Vertiefung der Weltkrise aus. Es ist kein Zufall, daß die Internationale Handelskammer eine der Quellen der gegenwärtigen Krise in den “politischen Unruhen” erblickt, die einen Teil der Welt erfaßt haben. Um die Frage der revolutionären Krise richtig zu stellen, muß man die Lage in jedem einzelnen Lande konkret analysieren.
Die Voraussetzungen zum Umschlagen des revolutionären Aufschwungs in eine revolutionäre Krise äußern sich vor allem an den schwachen Kettengliedern des kapitalistischen Systems. Sie treten in denjenigen Ländern in Erscheinung, die im Gesamtsystem des Nachkriegskapitalismus bereits die ganze Zeit “Engpässe” darstellten und wo die Wirtschaftskrise mit speziellen besonders schweren Umständen der allgemeinen Nachkriegskrise des Kapitalismus in diesen Ländern zusammentrifft. Zu diesen Ländern gehört Deutschland, wo auf das besondere Entwicklungstempo der Tendenz zur politischen Krise die Last des Versailler Systems, des Youngplans, die Verringerung der Möglichkeit der kolonialen Ausbeutung bei gleichzeitigem Bestehen eines außerordentlich entwickelten monopolistischen Kapitalismus und das Vorhandensein eines starken Proletariats einwirken, das die Erfahrungen der Revolution und des Bürgerkrieges hinter sich hat. Weiter gehört hierher Polen mit seinem Charakter als Nationalitätenstaat, mit seiner nationalen Unterdrückung und seinem nationalen Kampf, der eine äußerste Unbeständigkeit seiner Grenzen schafft. Hier wirkt auf die Beschleunigung des Entwicklungstempos der Tendenz zur Krise die allgemeine Schwäche des kapitalistischen Wirtschaftsapparates ein, die verbunden ist mit dem Verlust der alten russischen Märkte, mit den Konkurrenzschwierigkeiten auf den europäischen Märkten, mit der infolge der Rolle Polens bei der Vorbereitung des Krieges gegen die Sowjetunion ungeheuerlichen Last des Militarismus. Hierher gehören auch Länder wie Spanien, wo die Überreste des Feudalismus zusammen mit der kapitalistischen Ausbeutung weiteren Zündstoff für die Entwicklung der politischen Krise schaffen; schließlich die Kolonien, China und Indien, wo das Heranreifen der politischen Krise bedingt wird durch eine ganz enge Verflechtung der wirtschaftlichen Krise mit einer besonders schweren Form der Agrarkrise, durch die tolle Offensive des Imperialismus auf die Kolonien, die die feudal-imperialistische Ausbeutung der Werktätigen der Kolonien steigert, durch die ungeheuerliche Ruinierung der Massen und durch die in ihrem Umfang und in ihrer Intensität ungeheure Welle der nationalrevolutionären Bewegung.
In Deutschland, wo der revolutionäre Aufschwung unter allen kapitalistischen Ländern Europas den größten Umfang erreicht hat, finden die Voraussetzungen zur revolutionären Krise ihren Ausdruck in folgendem:
a) in der wachsenden Empörung breitester werktätiger Massen gegen die kapitalistische Offensive, gegen Not und Erwerbslosigkeit,
b) in der Zunahme der revolutionären Kräfte des Proletariats, im Massenwachstum der KP, und der revolutionären Gewerkschaftsbewegung,
c) in den ernsten Fortschritten der Kommunistischen Partei bei der selbständigen Führung der Klassenkämpfe des Proletariats (Ruhr),
d) in der scharfen Scheidung der Klassenkräfte verbunden mit "Selbstentlarvung" (Lenin) aller Parteien und Parteiprogramme, sowie in der Zersetzung der Sozialdemokratie ‑ eine Erscheinung, die sich auf das ganze Land erstreckt und selbst die stärksten Positionen der Sozialdemokratie, wie Braunschweig und Süddeutschland, in Mitleidenschaft zieht,
e) in der raschen Evolution der bürgerlichen Diktatur zu ihrer schärfsten, zur faschistischen Form, als Ergebnis der Verschärfung des Klassenkampfes, was davon zeugt, daß es der deutschen Bourgeoisie nicht mehr möglich ist, in der bisherigen Weise, unter bloßer Ausnutzung des Sozialfaschismus zur Beruhigung der Massen, zu regieren und zu wirtschaften,
f) Die Erschütterung der Grundlagen des Versailler Systems[30] und des Youngplanes[31].
Es ist als besonderes Verdienst der KPD hervorzuheben, daß sie es verstand, die Aufgaben des Kampfes für die nationale Befreiung der deutschen werktätigen Massen mit ihrem Kampf für ihre soziale Befreiung, für die proletarische Diktatur zu verbinden. Dieses Programm des revolutionären Kampfes des Proletariats als Führer aller Werktätigen muß die Achse aller revolutionären Klassenkämpfe bilden, um eine Verbindung des Kampfes für die Tagesinteressen der Massen mit dem Kampf zum Sturze der bürgerlichen Diktatur herzustellen.
Die zentrale Aufgabe der KPD ist die maximale Beschleunigung der Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse und der Zerstörung der Massenbasis der Sozialdemokratie. Dies verlangt in erster Linie eine weitere kühne Entfaltung der selbständigen Führung der Klassenkämpfe des Proletariats auf dem Boden breitester Hineinziehung sozialdemokratischer und parteiloser Arbeiter in alle Organe der Einheitsfront von unten. Die KPD ist stark genug, um in der Tat zu zeigen, daß die Arbeiterklasse der Offensive des Kapitals auf den Arbeitslohn und die Lebenshaltung der werktätigen Massen Einhalt zu gebieten vermag. Dies verlangt weiterhin die ernsteste Aufmerksamkeit auf die wirkliche Verwandlung der RGO und der revolutionären Gewerkschaften in Massenorganisationen, in wahre Führer der Wirtschaftskämpfe des Proletariats. Die KPD ist stark genug, um den Arbeitern durch Taten zu beweisen, daß die RGO. und die revolutionären Gewerkschaften fähig sind, diese Kämpfe zu organisieren und durchzuführen. Dies setzt schließlich voraus, daß die KPD weiter dafür kämpft, der proletarischen Revolution in Deutschland Verbündete zu sichern und in den kleinbürgerlichen Massen von Stadt und Land den führenden EinfIuß zu erlangen. Dieser Kampf muß mit viel größerer Energie, in viel rascherem Tempo geführt werden als bisher. Die KPD muß dem Massenvormarsch der Faschisten Einhalt gebieten, muß ihre Aktionen gegen den Faschismus mit den allgemeinen Kämpfen der Arbeiterklasse koordinieren und denjenigen Industriezweigen, wo die Faschisten Fuß gefaßt haben (chemische Industrie, Bergbau, Eisenbahn), besondere Aufmerksamkeit zuwenden.
Wir müssen die allgemeine Linie der KPD in vollem Umfang billigen, die im Kampfe für die rascheste Erfüllung dieser konkreten Aufgaben die Idee der proletarischen Diktatur systematisch und unermüdlich propagiert und den werktätigen Massen Deutschlands mit aller Überzeugungskraft zeigt, daß der einzige wirkliche Ausweg aus kapitalistischen Krisen und Versailler Knechtung im Sturze der bürgerlichen Diktatur und in der Errichtung eines Rätedeutschlands liegt.
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1. Die vom 10. EKKI.‑Plenum und von der Erweiterten Tagung des EKKI.‑Präsidiums im Februar 1930 gestellte Prognose des unvermeidlichen weiteren Anwachsens des revolutionären Aufschwungs und der Beschleunigung seines Tempos hat sich in vollem Umfange bestätigt. Trotz der ungleichmäßigen Entwicklung erfaßt der revolutionäre Aufschwung in dem Maße der Erweiterung und Vertiefung der Weltkrise neue Territorien, neue Schichten des Proletariats und der werktätigen Massen; er erreicht in einer Anzahl von Ländern eine höhere Entwicklungsstufe, während sich in anderen Ländern Voraussetzungen für die Entwicklung der Wirtschaftskrise in eine revolutionäre Krise zeigen.
2. In der praktischen Verwirklichung der selbständigen Führung der Klassenkämpfe haben einige KI‑Sektionen (Deutschland, Tschechoslowakei) ernstliche Erfolge auf dem Boden der Organisierung der proletarischen Einheitsfront von unten zu verzeichnen. Dies führte zur Revolutionierung der Klassenkämpfe und zu einer tatsächlichen, nicht nur proklamierten Untergrabung des sozialdemokratischen Einflusses in der Arbeiterklasse. Die politische und organisatorische Erfahrung dieser Sektionen in der selbständigen Führung der Klassenkämpfe müssen sich sämtliche Sektionen der Kommunistischen Internationale zu eigen machen.
3. Das Heranreifen der revolutionären Krise in den verschiedenen Kolonien, Halbkolonien und kapitalistischen Ländern Europas, die in ihrer weiteren Entwicklung gegen das Gesamtsystem des Weltimperialismus stößt, gestaltet die Frage des Zurückbleibens der kommunistischen Bewegung in drei der größten kapitalistischen Länder, in den Vereinigten Staaten, Frankreich und England, zu einer besonders brennenden. Im Interesse des Erfolges der revolutionären Bewegung in Deutschland, Polen, China, Indien ist der Festigung der kommunistischen Bewegung in den Vereinigten Staaten, England und Frankreich, besonders in den Vereinigten Staaten und England, deren kommunistische Parteien die “Engpässe” der revolutionären Weltbewegung sind, besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden.
4. Alle kommunistischen Parteien müssen im Anschluß an die Massenaktionen des deutschen und polnischen Proletariats, sowie des Proletariats und der Werktätigen von China und Indien eine Bewegung internationaler proletarischer Solidarität und revolutionärer Unterstützung entfalten. Die kommunistischen Parteien aller Länder, in erster Linie die der Vereinigten Staaten, Englands, Japans und Frankreichs müssen die Arbeiterklasse mobilisieren, um eine Intervention des Weltimperialismus in China zu verhindern.
5. Die kommunistischen Parteien Deutschlands, Polens, Chinas und die junge, sich erst herausbildende KP. Indiens und ihre Arbeit zur Mobilisierung und Organisierung der Massen erlangen gegenwärtig größte Bedeutung. Ihre Erfolge in der Vertiefung und Erweiterung des revolutionären Aufschwunges durch Mobilisierung neuer breitester Schichten der Arbeiterklasse und der Werktätigen sind von größtem revolutionierenden Einfluß auf die Arbeiterbewegung der zurückgebliebenen Länder und werden diesen Einfluß in immer steigendem Maße ausüben.
Die Krise zieht die Bilanz der Nachkriegsentwicklung der Sozialdemokratie, die auf dem Wege zu ihrer Faschisierung eine Reihe von Etappen durchlaufen hat.
Erste Etappe ‑ Weltkrieg 1914‑19l8. Trotz aller Beschlüsse der internationalen Kongresse der 2. Internationale über die Stellung der Sozialdemokratischen Partei zum Krieg hat die internationale Sozialdemokratie dadurch, daß sie unter der Losung der “Vaterlandsverteidigung” aktiv am Krieg teilnahm, den “Burgfrieden” mit der Bourgeoisie abschloß, den Klassenkampf des Proletariats abwürgte und die grausame Diktatur der Militärclique unterstützte, das kapitalistische System vom Niedergang gerettet, der ihm von den Furien des Krieges bereitet wurde. Ihren Verrat hüllte sie in die Ideologie eines neuen goldenen Zeitalters, das als Ergebnis des Weltkrieges für die Arbeiterklasse anbrechen soll, wobei sie die Abrüstung der Völker, ewigen Frieden, das Anbrechen der Ära der sozialen Gerechtigkeit, den Sieg der Demokratie verspricht.
Hierher gehört auch die Periode der proletarischen Revolutionen, die dem Krieg ein Ende bereitet haben, beginnend mit der Oktoberrevolution im Jahre 1917 in Rußland. Die deutsche Sozialdemokratie verrät das russische Proletariat im kritischsten Moment. Sie unterstützt mit allen Kräften den Feldzug der deutschen imperialistischen Armee gegen die russischen Arbeiter und Bauern, die die Kriegsaktionen eingestellt haben, die Okkupation der Territorien der revolutionären Völker des ehemaligen zaristischen Imperiums durch die Generale des Kaisers (Ukraine, Don, Lettland, Polen), sie hilft ihnen der russischen Revolution den Brester Frieden diktieren, den schändlichsten Frieden, der noch gemeiner war als der Versailler Frieden, gleichzeitig erstickt sie den Aufstand der Arbeiter und Matrosen durch den Bluthund Noske in Blut und rettet damit den Kapitalismus vor der proletarischen Revolution in Deutschland.
Zweite Etappe ‑ die Sozialdemokratie hilft dem Kapitalismus aus der schweren Krise heraus, die der Krieg hinterlassen hat und stellt den Kapitalismus wieder her. Das ist die Periode der kapitalistischen Stabilisierung, die durch die größten Leiden der Werktätigen in Verbindung mit Inflation, durch das Nachkriegschaos Europas, erkauft wurde.
Dritte Etappe ‑ die Periode der kapitalistischen Rationalisierung, die Periode des “organisierten Kapitalismus”. Sie rettet nicht nur, sondern rekonstruiert den Kapitalismus, sie verbreitert die ökonomische Basis für die Diktatur des Finanzkapitals. Sie ist nicht nur die Partei der Stabilisierung des Kapitalismus, sie wird noch mehr zu einer Partei der Trusts und Kartelle. Das ist die Periode ihrer verstärkten Faschisierung. Sie bereitet sich vor, schon mit eigenen Händen die Diktatur des Finanzkapitals durchzuführen, indem sie durch den Mund von Wels auf dem Magdeburger Parteitag den Werktätigen mit der "Diktatur" der Sozialdemokratischen Partei droht[32].
Und plötzlich fällt das alles zusammen, fallen der “organisierte Kapitalismus”, die kapitalistische Stabilisierung zusammen. Die Sozialdemokratie kehrt zum Ausgangspunkt zurück, sie muß noch einmal den Kapitalismus von schweren sozialpolitischen Erschütterungen retten, die die Krise für ihn mit sich führt. Sie muß den ständigen Kreislauf von vorne beginnen, aber in einer Lage, wo die Massen die Erfahrungen der Rettung des Kapitalismus nach dem Kriege in allen ihren Etappen durchgemacht haben, wo von ihnen neue Opfer verlangt werden, indem für sie ein neues Existenzniveau von halbkolonialem Typus festgesetzt wird, während zur gleichen Zeit der Sozialismus in der Sowjetunion ihnen die Vorteile des sozialistischen Wirtschaftssystems anschaulich beweist. Im Bewußtsein von Millionen vollzieht sich ein qualvoller Prozeß der “Umwertung der Werte”, es wird die Bilanz der Politik der Sozialdemokratie gezogen.
Die Sozialdemokratie versprach, den Kriegen ein Ende zu machen, die kapitalistischen Staaten zur Abrüstung zu bringen ‑ in Wahrheit aber hat sie die Massen an den Abgrund drohender neuer imperialistischer Kriege, zu Kriegen der imperialistischen Räuber in den Kolonien, zu tollem Wettrüsten gebracht.
Die Sozialdemokratie versprach, aus dem “Kriegssozialismus” eine Grundlage für die sozialistische Umgestaltung der kapitalistischen Gesellschaft nach dem Kriege zu machen ‑ in Wirklichkeit hat sie den Kapitalismus in seiner ganzen räuberischen Ausbeutung wieder hergestellt.
Die Sozialdemokratie versprach, den durch die Revolution in Bewegung gebrachten Massen, den Sozialismus auf "gesetzmäßigem" Wege zu verwirklichen, indem sie Projekte der "Sozialisierung" ausarbeitete, ‑ in Wirklichkeit hat sie auf gesetzlichem Wege die Ausplünderung der Werktätigen durch Abbau der Sozialversicherung, durch Steuererhebungen, Zollerhöhungen für Lebensmittel durchgeführt und führt sie auch weiter durch.
Die Sozialdemokratie versprach, nach dem Kriege eine Ära der sozialen Gerechtigkeit zu verwirklichen ‑ in Wirklichkeit hat sie eine Epoche schlimmerer kapitalistischer Sklaverei für die Arbeiterklasse als vor dem Kriege verwirklicht.
Die Sozialdemokratie versprach, als sie das Proletariat während des Krieges und nach dem Kriege zur Beendigung des Klassenkampfes aufforderte, die “Wirtschaftsdemokratie”, den “Industriefrieden” usw. zu verwirklichen ‑ in Wirklichkeit hat sie den bestialischsten Angriff des Kapitals auf die Arbeiter in allen kapitalistischen Ländern auf der ganzen Linie geführt.
Die Sozialdemokratie versprach, daß “der Kapitalismus über die Demokratie in den Sozialismus hineinwachsen” werde ‑ in Wirklichkeit ist sie als Partei durch den Sozialfaschismus in den monopolistischen Kapitalismus hineingewachsen.
Die Sozialdemokratie versprach, daß sich mit Durchführung der kapitalistischen Rationalisierung die Lage der Arbeiterklasse bessern werde ‑ in Wirklichkeit sind Dutzende von Millionen von Arbeitern aus dem Produktionsprozeß herausgeworfen worden und das Lebensniveau der Arbeiterklasse hat sich bis aufs äußerste gesenkt.
Die Sozialdemokratie versprach, den Arbeitslohn der europäischen Arbeiter “auf das Niveau der Arbeiter von Ford” zu heben ‑ in Wirklichkeit ist der Lohn der Fordarbeiter auf das Niveau der europäischen Arbeiter gesunken.
Die Sozialdemokratie versprach, die kapitalistische Welt in die Ära des “organisierten Kapitalismus” zu bringen, die Krisen zu liquidieren, die Grundlagen zum allgemeinen Wohlstand zu schaffen ‑ in Wirklichkeit kam es zu einer nie dagewesenen Explosion der kapitalistischen Anarchie, zu der größten Krise der Geschichte, zu entsetzlicher Notlage der Massen.
Die Sozialdemokratie prophezeite der USSR. den Untergang, wobei sie sich bemühte, durch systematische Verleumdung das Vertrauen der Arbeitermassen der kapitalistischen Länder zur proletarischen Diktatur und zu den Erfolgen des sich aufbauenden Sozialismus zu untergraben ‑ in Wirklichkeit siegt der Sozialismus trotz der Bekämpfung durch das Weltkapital und die gesamte Sozialdemokratie, und Millionen Werktätiger scharen sich um die USSR.
Die Sozialdemokratie lehnte die Methoden der Gewaltanwendung durch die proletarische Diktatur gegen Ausbeuter, Parasiten und Schädlinge ab, aber sie war für die Gewaltanwendung der Ausbeuter gegen die Werktätigen, die erwachenden Kolonien, für die Gewaltmethoden der Kapitalsdiktatur. Die Politik der Sozialdemokratie ist der Weg von Versailles, ist der Youngplan, die Diktatur des französischen Kapitals in Europa, mit einem Wort, es ist die Politik des Kapitalismus mit seinen Kriegen, dem Faschismus, der Abwürgung der Kolonien, der Intervention gegen die USSR., der Herunterdrückung des Lebensniveaus der Arbeiter bis auf das Bettlerniveau der Kolonien.
Wer den Kapitalismus konsequent unterstützt, muß seine gesamte Politik unterstützen ‑ darin ist die Quelle der Faschisierung der Sozialdemokratie zu suchen. Viele sozialdemokratische Arbeiter waren der Meinung, daß sich die Kommunisten, wenn sie von der Faschisierung der Sozialdemokraten sprachen, von agitatorischen Motiven und nicht vom Wesen der Evolution dieser Partei leiten ließen. In Wirklichkeit ist die Faschisierung der Sozialdemokratie aus der Tatsache entstanden, daß die Sozialdemokratie wie ein in Ketten geschmiedeter Sträfling zusammen mit dem monopolistischen Kapitalismus den gesamten Weg seiner Entwicklung durchlief. Sie belog die Massen, allein schon deshalb, weil diese Lüge durch die Widersprüche zwischen den Überresten der bürgerlich-demokratischen Phraseologie und der faschistischen Entwicklung des monopolistischen Kapitals bedingt war. Die letzten Jahre der Faschisierung der Sozialdemokratie werden dadurch charakterisiert, daß auch diese “Widersprüche” der ersten Etappe ihrer Faschisierung sich allmählich verwischen und die Ideologie sich den Erfordernissen der Gesetze, sozusagen der “historischen Notwendigkeit” anpaßt.
Wenn man sich in die Argumentation der Sozialdemokratie bei der Verteidigung ihrer Politik vor den Massen vertieft, so erkennt man sie als die Wiederholung des historischen Ausspruchs von Bethmann-Hollweg: "Not kennt kein Gebot"[33]. Der durch die Krise erschütterte Kapitalismus benötigt, um aus der Krise herauszukommen, den Lohnabbau ‑ Snowden verlangt von der Arbeiterschaft dieses Opfer. Der Kapitalismus benötigt weiterhin die Einschränkung der Ausgaben für Sozialversicherung ‑ die deutsche Sozialdemokratie nimmt das Brüningprogramm an[34]. Der Kapitalismus benötigt die Einstellung des Klassenkampfes der Arbeiter und der Streikbewegungen ‑ die Sozialdemokratie führt, nach dem Beispiel des italienischen Faschismus, das sogenannte Zwangsschlichtungsverfahren ein. Der Kapitalismus benötigt die Besänftigung Indiens ‑ die Regierung der Arbeiterpartei übernimmt die Henkerrolle gegen die indischen Arbeiter und Bauern. Der Kapitalismus benötigt auf dem Wege der Einführung der faschistischen Diktatur in der Regierung einen Brüning‑ die Sozialdemokratie nimmt den berüchtigten Paragraphen 48[35] an und unterstützt die Brüningregierung widerspruchslos und treu, wie keine bürgerliche Partei in Deutschland.
Not kennt kein Gebot.
Die Faschisierung der Sozialdemokratie wird durch dieses höchste Gebot der Not gerechtfertigt. Sie faschisiert sich deshalb, weil der monopolistische Kapitalismus sich faschisiert, von dessen Boden sie nicht wegrücken kann. Die augenblickliche Phase der Faschisierung der Sozialdemokratie, die mit der Krise zusammenhängt, besteht darin, daß sich die Sozialdemokratie infolge des rascheren Verfaulens des Kapitalismus in eine Partei nicht eines stabilisierten, rationalisierten, sondern eines rasch verfaulenden Kapitalismus verwandelt. Und daraus entspringen alte Eigenschaften: die Politik der widerspruchslosen Unterstützung der Brüningregierung, die Politik der Intervention gegen die Sowjetunion usw. Wir unterstreichen besonders das letzte Moment ‑ den Übergang der 2. Internationale zur Taktik des Schädlingswesens und der Intervention gegen die Sowjetunion, da es etwas Neues und Entscheidendes in der ganzen Nachkriegsentwicklung der Sozialdemokratie darstellt. Vom ersten Tage des Entstehens des proletarischen Staates an war die internationale Sozialdemokratie der Lieferant der Ideologie für die Organisatoren der Sabotage, konterrevolutionärer Aufstände, des Schädlingswesens, der Spionage und der Diversionsakte. Man konnte nicht gemeine Legenden über den “roten Imperialismus”, der die ganze Welt bedroht, in Umlauf bringen, den Bolschewismus zugleich mit dem Faschismus als “Quelle der Weltunruhen” und imperialistischen Kriege in den Kolonien darstellen, man konnte nicht das soziale und politische Regime in der Sowjetunion als eine Diktatur über die Arbeiter und Bauern hinstellen, ohne daß konterrevolutionäre Klassen und Gruppen (Kulakentum, Nepman-Bourgeoisie, alte Spezialisten), daraus entsprechende, praktische Schlußfolgerungen zogen. Durch diese gesamte Agitation gegen die Sowjetunion hat die Sozialdemokratie das Schädlingswesen und die Intervention vorbereitet. Aber, so wie der kindisch gewordene[36] Kautsky offen für den bewaffneten Kampf der imperialistischen Staaten gegen die Sowjetunion aufzutreten, hat die 2. Internationale selbst aus Angst vor den ihr noch folgenden Arbeitern nicht gewagt.
Deshalb die gemeine, doppelsinnige Taktik der Menschewiki.
"Lieber Ede, das tut man, aber davon spricht man nicht." Durch diesen kurzen Satz aus einem Brief Auers an Bernstein charakterisierte einer der Angeklagten im menschewistischen Prozeß, der alte Liquidator Ikow, die interventionistische Taktik der 2. Internationale.
Auf ihren öffentlichen Tagungen faßte die 2. Internationale Beschlüsse zugunsten der Wiederaufnahme der Wirtschaftsbeziehungen mit der Sowjetunion, hinter den Kulissen aber versorgt sie, vermittels der SPD., mit Geldmitteln die russischen Menschewiki, die mit dem "Torgprom" in Verbindung standen und faktisch auf Anweisung des französischen Generalstabs auf allen Gebieten der Volkswirtschaft Schädlingsarbeit betrieben, um die Aufgaben der Intervention, die Schwächung der Wehrhaftigkeit der Sowjetunion zu erleichtern. Sie, die in der Zeit des Zarismus “Vaterlandsverteidiger” waren, wurden im Zeitalter des sozialistischen Aufbaus zu Defaitisten. Damit ist alles gesagt.
Was zeigte der Prozeß gegen die russischen Menschewiki, der kürzlich stattfand? Die Menschewiki und die 2. Internationale waren keine platonischen Defaitisten. Defaitisten gegenüber der proletarischen Diktatur und dem im Aufbau begriffenen Sozialismus waren sie seit jeher.
Das Neue besteht darin, daß sie zu aktiv wirkenden konterrevolutionären Defaitisten geworden sind, daß der Unterschied zwischen den zaristischen Intendanten, die in die Versorgungsorgane eindrangen und dort Sabotageakte organisierten, und den Menschewiki verschwunden ist; das Neue besteht darin, daß die 2. Internationale und ihre "russische" Sektion der menschewistischen Emigranten von der Propaganda des Defaitismus gegenüber der proletarischen Revolution zu Sabotageakten übergegangen sind, daß sie sich nicht mehr damit begnügten, die “Meinungen” für eine militärische Intervention vorzubereiten, sondern zur praktischen Durchführung dieser Intervention geschritten sind.
Hieraus ergibt sich der Block der Menschewiki mit der Industriepartei, deren Führer Ramsin auf dem Prozeß nicht ohne Ironie erklärte:
Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich des künftigen Regimes interessierten uns nicht. Es war für uns wichtiger, daß die Menschewiki sich unmittelbar mit der Schädlingsarbeit befaßten.
Und die Menschewiki, als Sektion der 2. Internationale, handelten auch so. Sie sabotierten die Beschaffung von Lebensmitteln, sie hemmten die Verteilung der Waren unter die werktätige Bevölkerung, sie stellten übertriebene Kreditforderungen und legten absichtlich verringerte Pläne für den Neuaufbau vor und sie untergruben die Stabilität der Sowjetwährung.
All das geschah nicht nur mit Wissen, sondern sogar nach den Anweisungen der 2. Internationale und ihres Kernstücks, der deutschen Sozialdemokratie, die durch Hilferding und Breitscheid die Abramowitsch und Dan in den Fragen der neuen Taktik gegenüber der Sowjetunion instruierten. Nach dem Prozeß der russischen Menschewiki muß es für die Werktätigen der Sowjetunion, für die Arbeiter der kapitalistischen Länder klar sein, daß die sozialfaschistische Internationale eine Stoßbrigade des französischen Imperialismus bei der Verwirklichung seiner Interventionspläne ist. Es ist nicht von Belang, wie die Rollen im Augenblick der Intervention verteilt sein werden, von Belang ist nur das eine: die Vernichtung des Sowjetlandes, denn es bringt der internationalen Sozialdemokratie den Tod.
Man kann die Summe der “leitenden Ideen” voraussehen, in deren Glorie die internationale Sozialdemokratie die Intervention erstrahlen lassen wird ‑ wenn die internationale Arbeiterklasse die Intervention nicht durchkreuzt. Als Angreifer wird natürlich die Sowjetunion gelten ‑ sie war es, die systematisch die Friedensbestrebungen der Sozialdemokratie zunichte gemacht hat, sie sei es, die den Weltmarkt mit billigen, durch Zwangsarbeit russischer Proleten hergestellten Waren überschwemmt, die Bauern ins Elend treibt, die Arbeitslosigkeit in der Industrie steigert und die Löhne der Arbeiter in den kapitalistischen Ländern herabdrückt. Die Sowjetunion sei es, die die Löhne der deutschen Arbeiter drückt, indem sie der deutschen Industrie Aufträge zu niedrigen, die deutschen Industriellen unbefriedigenden Preisen erteilt. Die Sowjetunion, die daran verzweifeln muß, in Europa und Amerika durch wirtschaftliche Desorganisierung Chaos hervorzurufen, die in ihren Hoffnungen auf die Verwirklichung des Sozialismus in einem rückständigen Lande enttäuscht ist, greife zum Krieg als letzten Mittel, um der wachsenden Empörung der Massen, die ohne Demokratie, ohne französische Anleihen, ohne Abramowitsch und Dan nicht leben wollen, standzuhalten! Der Krieg der kapitalistischen Welt gegen die Sowjetunion ist ein Krieg der Demokratie gegen die Diktatur.
So wird mit dem Blute der Arbeiter die Ideologie des künftigen “heiligen” Krieges gegen die Sowjetunion geschrieben.
Was fesselt aber die Arbeiter, trotz dieser langen Kette von Verrätereien, an die Sozialdemokratie? Als eine Ursache dieser Erscheinung bezeichnen wir zumeist das Verwachsen der Sozialdemokratie mit dem monopolistischen Kapitalismus und seinem Staat, die Macht ihres Parteiapparates, multipliziert mit der Macht des Staatsapparates, die Korruption der Arbeiteraristokratie, das Wachsen der sozialdemokratischen Bürokratie ‑ alles, ohne diese Erscheinungen konkret zu analysieren, ohne den Massen zu zeigen, wie diese Prozesse eigentlich verlaufen. Wir beschränken uns auf eine bloße Wiederholung unserer Thesen zu diesen Fragen. Die Grundlage der Beziehungen zwischen dem Apparat der Sozialdemokratie und den ihr angeschlossenen Arbeitern hat den Charakter der Freiwilligkeit verloren ‑ sie beruht auf Zwang verschiedenster Art. Die ganze kapitalistische Ordnung beruht auf Zwang. Sie könnte keine zwei Tage existieren, wenn ihr diese Grundlage verlorenginge. Dieser Zwang findet seinen Ausdruck in der wirtschaftlichen Abhängigkeit der Arbeit vom Kapital ‑ einer Abhängigkeit, die in Wirklichkeit nichts anderes ist als Sklaverei, gekleidet in wohlklingende Phrasen über die von bürgerlichen Revolutionen verkündete Gleichheit. Zwangsarbeit ist ein integrierender Bestandteil des Kapitalismus. Die wirtschaftliche Herrschaft des Kapitals bildet die Grundlage für seine politische Herrschaft, die sich auf Polizei, Gendarmerie, Gefängnisse usw. stützt.
Das Verwachsen der Sozialdemokratie mit dem ganzen Apparat der kapitalistischen Ordnung kommt darin zum Ausdruck, daß die Sozialdemokratie, die zu einem Bestandteil dieser Ordnung geworden ist, das ganze System ihrer Beziehungen zu der Masse dem Staatsapparat nachgebildet hat. Dem Arbeiter steht es, rechtlich betrachtet, frei, zu arbeiten oder müßig zu bleiben, aber in Wirklichkeit muß er arbeiten, um nicht Hungers zu sterben. Rechtlich betrachtet kann er beliebige Überzeugungen haben. In Wirklichkeit aber wandert er ins Gefängnis, fliegt er aufs Pflaster, bekommt er blaue Bohnen, wenn er öffentlich, auf der Straße, seiner Überzeugung Ausdruck gibt. Dem Arbeiter steht es frei, sich dem reformistischen Verband anzuschließen oder nicht ‑ in Wirklichkeit muß er es unter dem Zwang der wirtschaftlichen Notwendigkeit tun. Er ist in das Netz des Zwangssystems ebenso eng verstrickt wie in den Apparat des bürgerlichen Staates. Der sogenannte soziale Staat, der das ganze Leben des Arbeiters von der Geburt bis zum Tode kontrolliert, verwirklicht diese Kontrolle mit Hilfe der reformistischen oder faschistischen Gewerkschaften. Arbeit bekommt er durch die Gewerkschaft, die Arbeitslosenunterstützung aus der Gewerkschaftskasse, das ganze System der Sozialversicherung hängt aufs engste mit dem Gewerkschaftsapparat zusammen. In allen sozialen Institutionen sitzen Sozialdemokraten. Der Unternehmer will nur durch Vermittlung der Sozialdemokratie verhandeln, um ihr Ansehen in den Arbeitermassen, zu heben. Der sozialdemokratische Betriebsrat hat Zutritt in das Allerheiligste des Direktors, er strahlt sozusagen das Licht des Kapitals wider. Seine kleinen Anliegen werden erfüllt, damit die Arbeiter an die Nützlichkeit eines politisch so wohlgesinnten Betriebsrates glauben. Tod, Krankheit, Invalidität, Alter, dies alles ist eine Kette von Abhängigkeiten, die der sozialdemokratische Apparat ausnutzt, um den Arbeiter in seinen Krallen festzuhalten. Ist für dieses System nicht die Methode bezeichnend, die von den Sozialdemokraten nach dem Chemnitzer Straßenbahnerstreik angewandt wurde, als nur diejenigen wieder Arbeit erhielten, die während des Streiks in der reformistischen Gewerkschaft registriert waren?
Neben dieser Form des Zwanges wird in weitestem Maße Korruption aller Art angewandt. Zehntausende Sozialdemokraten finden Aufnahme im kapitalistischen Staatsapparat, bekommen Posten bei der Polizei und bei der Politischen Polizei, werden zu den treuesten Kettenhunden der kapitalistischen Ordnung, die im buchstäblichsten materiellen Sinne an ihrem Weiterbestehen interessiert sind. Daraus folgt aber nicht nur, daß die Sozialdemokratie vom Kapitalismus zur Liquidierung der Arbeiterbewegung ausgenutzt wird, sondern auch, daß sie selber den ganzen kapitalistischen Staatsapparat zur Verstärkung ihres Druckes auf die Arbeiterklasse ausnutzt. Ihre Fesseln können nicht gesprengt werden, ohne dem ganzen kapitalistischen Staat einen Schlag zu versetzen, ebenso, wie es unmöglich ist, gegen diesen Staat zu kämpfen und dabei das weit verzweigte Zwangssystem der Sozialdemokratie unberührt zu lassen. Daher kommt es, daß der Einfluß der Sozialdemokratie, in Zeiten, wo die ganze Maschinerie des kapitalistischen Staates aus den Fugen zu gehen beginnt, ebenfalls stark zurückgeht. Die Tatsache, daß in der SPD. eine starke innere Gärung einsetzt, daß die Arbeiter, besonders die Jugendlichen sich von ihr abzukehren beginnen, zeugt davon, daß das ganze kapitalistische System in Deutschland Risse und Sprünge aufzuweisen hat.
Das ist die erste objektive Ursache für die Stärke der Sozialdemokratie. Aber es ist nicht die einzige.
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Schlußwort
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Sechstens: Der Faschismus wird in unserer Definition nicht zu irgendeinem entscheidenden Faktor der revolutionären Krise erhoben, vielmehr wird ihm die bescheidenere Rolle eingeräumt, eines der Symptome 'zu sein für die Desorientierung der herrschenden Klassen und für ihr Bestreben, auf dem Wege der Unterdrückung der Arbeiterklasse einen Ausweg aus der Lage zu finden. Der Faschismus wird in einen gewissen Rahmen gestellt; das mußte umsomehr getan werden, als bei der Beurteilung der Krise in den Spitzen, des Faschismus und der revolutionären Krise vieles unklar war. Wir lehnen die Identifizierung der revolutionären Krise mit dem Faschismus ab. Die Tatsache, daß die Bourgeoisie gezwungen ist, mit faschistischen Methoden die Bewegung der Werktätigen zu unterdrücken, bedeutet nicht, daß die Spitzen nicht wie früher regieren. Der Faschismus ist keine neue Regierungsmethode, die sich vom System der Diktatur der ^Bourgeoisie unterscheidet. Wer so denkt, ist ein Liberaler.
Und schließlich, siebentens, wird betont, warum wir gerade im Zusammenhang mit der revolutionären Krise von der Gefahr neuer imperialistischer Kriege und von der Gefahr der militärischen Intervention gegen die UdSSR gesprochen haben.
Ist es etwa ein Zufall? Nein, Genossen, wir betonen gerade diese Verschärfung der äußeren Gegensätze, die Gefahr der imperialistischen Kriege und besonders die große Gefahr eines konterrevolutionären Krieges gegen die Sowjetunion, um den dialektischen Entwicklungsprozeß des Anwachsens und der Entwicklung der revolutionären Krise hervorzuheben. Dadurch wird die revolutionäre Krise von uns nicht dargestellt als irgendein einseitiger Prozeß, der sich nur nach obenhin vollzieht, sondern sie wird in der dialektischen Wechselwirkung des sich aufs äußerste verschärfenden Klassenkampfes analysiert. Damit werfen wir jegliche Formeln über Bord, die das Anwachsen 'der revolutionären Krise schematisch nur mit der Offensive des Proletariats verbinden wollten und unterstellen die Frage über Angriff oder Verteidigung der Klassen der konkreten Analyse des Kräfteverhältnisses auf der jeweiligen Stufe des Klassenkampfes Nehmt die Intervention gegen die UdSSR. Es ist hier davon gesprochen worden, daß der Faschismus, im großen geschichtlichen Aufriß betrachtet, eine Abwehr der Bourgeoisie gegen die proletarische Revolution ist. Und ebenso kann behauptet werden, daß im großen geschichtlichen Aufriß betrachtet, die Intervention auch eine Abwehr der Bourgeoisie gegen den siegenden Sozialismus ist. Aber wir würden einen großen taktischen Fehler begehen, wollten wir jetzt auf diese These die taktische Linie aufbauen. Die Intervention gegen die UdSSR ist nicht eine Abwehr der kapitalistischen Welt gegen die UdSSR, sondern ein Angriff auf den ersten proletarischen Staat der Welt. Und wir müssen das dutzend Male in unserer Agitation immer wieder sagen. Zweifellos würde diese Offensive des Weltkapitals gegen die UdSSR in der Situation der heranreifenden revolutionären Krise in die allgemeine Offensive des Weltproletariats gegen den Weltkapitalismus umschlagen. Derjenige aber würde einen Fehler begehen, der, ausgehend von dieser Perspektive die Frage so stellen wollte, daß die Bourgeoise sich durch die Intervention nur verteidigt, wo sie doch geschichtlich letzten Endes die sich verteidigende Klasse ist. Diese sich verteidigende Bourgeoise geht nicht ohne Erfolg oft zum Angriff auf die Arbeiterschaft über, die geschichtlich letzten Endes die angreifende Klasse ist.
Noch ein höchst wichtiges Moment muß bei der Aufstellung der revolutionären Perspektive betont werden. Manche geraten sehr häufig bei der Analyse der Elemente der revolutionären Krise in einem einzelnen Lande dadurch auf falsche Fährte, daß sie die revolutionären Perspektiven dieses Landes ausschließlich mit der inneren Situation dieses Landes verknüpfen. Nehmt ein Land wie Spanien, oder nehmt die mitteleuropäischen Länder. Wäre es richtig, wenn man z. B. die Perspektiven der revolutionären Bewegung in Deutschland ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der inneren Kräfteverhältnisse der Klassen betrachten wollte? Läßt sich die Perspektive der Volksrevolution in Deutschland außerhalb des komplizierten internationalen Komplexes und vor allem außerhalb der Frage der UdSSR betrachten? Kann man sich auch nur einen Augenblick lang vorstellen, daß irgendeine große revolutionäre Bewegung in Mitteleuropa nicht, solche Folgen wie einen großen internationalen Kampf nach sich ziehen würde?
Wir sind doch heute nicht mehr im Jahre 1918/19. Auch nicht mehr im Jahre 1923. Heute kann keine einzige kommunistische Partei sich große Perspektiven stellen und dabei die UdSSR, ignorieren.
Wenn wir also die Charakteristik der revolutionären Krise, wie sie in den Thesen enthalten ist, zusammenfassen, müssen wir zugeben, daß diese Charakteristik erschöpfend ist und daß diese Charakteristik am besten und am klarsten unsere Grundeinstellung widerspiegelt.
Ich gehe nunmehr über zu der Frage, ob man die politische Krise als ein irgendwie besonderes Stadium der revolutionären Krise gegenüberstellen kann. Ich muß sagen, daß die deutschen Genossen unbedingt richtig handeln, wenn sie die Dinge so darstellen, daß die wirtschaftliche Krise zu einer außerordentlichen Verschärfung des Klassenkampfes und zu zunehmenden .politischen Erschütterungen führt, was das Anwachsen der revolutionären Krise beschleunigt. Das ist absolut richtig. Man darf sich nicht vorstellen, daß die Folgen der wirtschaftlichen Krise sich nur auf wirtschaftlichem Gebiet auswirken. Die wirtschaftliche Krise löst große politische Erschütterungen aus, die das Heran- 109 reifen der politischen Krise fördern. Aber manche Genossen sind geneigt, unter dem Begriff politische Krise einen solchen Zustand des revolutionären Aufschwungs zu verstehen, der in der Hauptsache und ausschließlich durch die eingetretene Zersetzung der herrschenden Klassen bei einem Zurückbleiben der revolutionären Aktivität der Massen charakterisiert wird. Da wird also die politische Krise dargestellt als Ausdruck der Disproportion zwischen dem objektiven und subjektiven Faktor des revolutionären Aufschwungs. Genosse Garlandi[37] hat zur Verteidigung dieser Ansicht eine Stelle aus meiner Rede in der Sitzung der italienischen Kommission im Juni/Juli 1930 angeführt. Wie lagen die Dinge in dieser Sitzung der italienischen Kommission?
Genosse Ercoli[38], der in dieser Kommission als Referent auftrat, sprach über den Beginn der politischen Krise in Italien. Wir waren zurückhaltend und bezweifelten die Richtigkeit dieser Behauptung. Ich habe folgendes ausgeführt:
Genosse Ercoli hat In seinem Referat den gegenwärtigen Zustand des Faschismus als Beginn einer politischen Krise des Faschismus charakterisiert. Mir scheint, daß vor allem präzisiert werden muß, was es heißt: Beginn der politischen Krise des Faschismus. Wenn man einige Artikel in der italienischen kommunistischen Presse durchsieht. so kann man feststellen, daß unzweifelhaft Übertreibungen der Elemente des Zerfalls, der Krise des Faschismus vorliegen. Es würde richtiger sein, zu sagen, daß wir in Italien die ersten Anzeichen einer beginnenden politischen Krise, recht schwache Anzeichen haben. Und das deshalb, weil unsere KP dort kein politischer Faktor ist.
Im Anschluß daran warf ich die Frage auf:
Welcher Unterschied besteht zwischen der Matteotti-Krise[39] und der jetzigen heranreifenden Krise? Die Matteotti-Krise war eine Krise des politischen Überbaus. Heute kracht die ökonomische Grundlage in ihren Fugen, und von diesem Standpunkte aus wird die heutige Krise weit tiefere Folgen in Italien haben als die Matteotti-Krise.
Heute, im März 1931, halte ich diese Charakteristik der Lage in Italien noch zu 100 Prozent für richtig, weil wir gerade in Italien dagegen waren, mit dem Begriff politische Krise zu spielen, da es weder im Juni 1930, noch im März 1931 eine derartige Krise in Italien gab. Wir betonen, daß die “Matteotti-Krise” eben deshalb sich nicht zu einer revolutionären Krise auswuchs, weil die faschistische Diktatur durch die “Matteotti-Krise” nicht in ihren ökonomischen Grundlagen erschüttert war.
Ich glaube, daß man dem Genossen Thälmann zustimmen muß, der in seiner Rede sich dahin äußerte, daß es sich um eine bessere Terminologie handelt. Wir haben gestern in der politischen Kommission auf Vorschlag der deutschen Delegation die Bezeichnung "politische Krise" durch die Bezeichnung "revolutionäre Krise" ersetzt. Warum taten wir das? Weil wir von den Erwägungen ausgehen, daß die deutschen Genossen wahrscheinlich recht haben, wenn sie sagen, daß der Ausdruck "politische Krise" in unserer .politischen Sprache abgedroschen ist und zur Bezeichnung der aller verschiedenartigsten Begriffe bis einschließlich der Ministerkrisen zur Anwendung gelangte. Wenn es sich darum handelt, eine präzisere Terminologie festzulegen, so bin ich überzeugt, daß wir ohne Nachteile für die Interessen der Weltrevolution in unseren Thesen den Ausdruck "politische Krise" durch den Ausdruck "revolutionäre Krise" ersetzen können. Denn wir können aus unseren Reden und aus unserer Presse nicht die Wortwendung ausmerzen, deren wir uns zur Charakteristik der verschiedenartigsten politischen Situationen bedienen. Und dadurch erklärt sich teilweise jener Wirrwarr, der um diese Terminologie entstanden ist und der sogar die Debatten auf diesem Plenum zu verzerren drohte.
Aber, Genossen. etwas ganz anderes ist es, wenn wir die Frage aus dem Gebiete der Terminologie auf das Gebiet der grundsätzlichen Diskussion verlegen wollten, wenn man die politische Krise der revolutionären Krise als ein niedrigeres Stadium des revolutionären Aufschwungs gegenüberstellen wollte, um die Ungleichmäßigkeit der Entwicklung der verschiedenen Elemente der revolutionären Krise auszudrücken. Hier geht es schon um die revolutionäre dialektische Methode des Marxismus, die für uns bei der Analyse des revolutionären Aufschwungs obligatorisch ist. Wir dürfen, Genossen, die dynamischen revolutionären Prozesse nicht durch Formeln ersetzen, die den statischen Zustand der Bewegung fixieren. Wir dürfen die Dialektik des Klassenkampfes nicht in ein ausgedachtes Schema hineinzwängen. Worin besteht das Wesen unserer revolutionären bolschewistischen leninistischen Methode? Als Marxisten-Leninisten sind wir verpflichtet, in jedem einzelnen Falle die konkret Situation der Verteilung der Klassenkräfte zu analysieren, den Grad der Desorganisierung der herrschenden Spitzen, den Grad der Unzufriedenheit sowie der Kampfaktivität der Massen, den Grad des Zerfalls der Sozialdemokratie, dieser sozialen Hauptstütze der bürgerlichen Diktatur, die Kraft und den politischen Einfluß der Kommunistischen Partei sowie das Ausmaß der organisatorischen Erfassung der Massen durch dieselbe. Nur unter diesen Bedingungen werden wir imstande sein, die richtige taktische Linie festzulegen, sie im Moment jäher Wendungen, die in revolutionären Perioden durch äußerst rasche Verschiebungen im Kräfteverhältnis der Klassen bedingt werden, zu ändern und nicht hinter dem beschleunigten Tempo der Ereignisse, hinter dem stürmisch wachsenden Tempo der Massenbewegungen zurückzubleiben.
Was bietet uns nun konkret, im Sinne einer solchen Analyse der Lagerung der Klassenkräfte, die Bezeichnung der politischen Krise als eines solchen Stadiums des revolutionären Aufschwungs, wo noch keine Situation des Aufstandes vorhanden ist? Werden doch alle Situationen bis zum Beginn der proletarischen Revolution oder der bürgerlich-demokratischen Revolution in den Kolonien dadurch charakterisiert, daß die Elemente des Aufstandes in ihnen noch nicht vorhanden sind. Versuchte man alle diese Situationen nach der Methode von Lamarck oder Buffon zu klassifizieren, dann erhielte man nicht einen Prozeß des revolutionären Aufschwungs, sondern eine Art kinematographischer Filmaufnahme von den verschiedensten Situationen, die durch verschiedene Stufen, sowohl der Desorganisierung der herrschenden Klassen, als auch den Graden der Unzufriedenheit und Aktivität der Massen, sowie des Einflusses der Kommunistischen Partei usw. gekennzeichnet wären. Und versuchte man hierauf auch genaue Definitionen zu geben für die verschiedenen Stadien des revolutionären Aufschwungs, die sich in diesen Situationen äußern, dann erhielten wir ein riesiges Archiv solcher Definitionen, die die revolutionäre Weltpartei nicht ein Jota der richtigen Einschätzung des sich entfaltenden revolutionären Prozesses näherbringen würden. Wir würden ein Schema vor uns haben, aber nicht den lebendigen dialektischen Prozeß. Treten wir mal von einer anderen Seite an die Frage der revolutionären Krise heran, als an eine Krise, die durch das Vorhandensein der Situation des Aufstandes charakterisiert wird. Kann die sogenannte Situation des Aufstandes als Kriterium für die Bestimmung der revolutionären Krise in Frage kommen? Lenin hat wiederholt von der Situation des Aufstandes gesprochen und wir werden mehr als einmal noch von der Situation des Aufstandes sprechen, aber Lenin hat dabei stets eine konkrete Analyse der Situation gegeben. Nehmen wir Indien. Gibt es in Indien eine Situation des Aufstandes oder nicht? Wer übernimmt es, zu beweisen, daß die Massen in Indien, wenn sie Waffen in der Hand hätten, eine Situation des Aufstandes herbeiführten, ohne danach zu fragen, was in den Thesen der Kommunistischen Internationale gesagt wird? Nehmen wir Indochina. Haben wir in Indochina eine Situation des Aufstandes oder nicht? Dort sind Aufstände in einzelnen Bezirken schon im Gange. Die Bewegung in Indien hat dessen ungeachtet einen weiteren, allgemein-nationalen Charakter angenommen, als in Indochina. Jetzt fragt sich aber, welche der beiden Kolonien dem revolutionären Aufstande näher ist. Der Begriff der Situation des Aufstandes an sich erklärt noch nichts. Das ist eine Formel, die entziffert werden muß. Ein Mißbrauch dieses Begriffes, ohne konkrete Analyse, könnte das analytische Denken der Kommunisten abstumpfen, die sich dann damit begnügen würden, die Formel anzuwenden, anstatt eine konkrete Analyse anzustellen über das Kräfteverhältnis der Klassen und über die Schwierigkeiten, welche der Ausreifung und Entwicklung der revolutionären Krise in einer Reihe kapitalistischer Länder im Wege stehen. Wenn wir konkret die Frage der Schwierigkeiten in den einzelnen Ländern stellen und diesen nicht auszuweichen suchen durch eine Gegenüberstellung der Formel der politischen Krise und der revolutionären Krise, so werden wir sagen müssen, daß in Deutschland z. B. das Haupthemmnis der revolutionären Krise in erster Linie die Tatsache ist, daß die Massenbasis der sozialdemokratischen und reformistischen Gewerkschaften noch nicht endgültig untergraben ist, daß die Avantgarde der Arbeiterklasse ‑ die Kommunistische Partei ‑ noch nicht stark genug ist, um die Verbündeten, die der Faschismus noch in seinem Bann hält, mitzureißen. Allerdings haben die Kommunisten in Deutschland dem Einfluß der Faschisten bereits gewisse Schranken gezogen. Daß der deutschen Revolution von ihren westlichen Grenzen her der französische Imperialismus droht, daß in Deutschland die Bourgeoisie in der Reichswehr eine faschistische Klassenarmee besitzt, während das Proletariat vorläufig entwaffnet ist ‑ alle diese Umstände hemmen die Entwicklung der revolutionären Krise in Deutschland, halten das Reifen ihrer Elemente zurück und verzögern das Umschlagen in eine revolutionäre Situation.
In Indien ist der hemmende, die revolutionäre Krise aufhaltende Faktor der britische Imperialismus, den die englische Arbeiterklasse noch nicht zu stürzen vermochte. Ferner der Umstand, daß das indische Proletariat noch nicht organisiert auftritt, sich seiner selbst als Klasse noch nicht bewußt geworden ist und daß die nationalreformistische Bewegung noch bedeutende Schichten des Proletariats mitreißt, und schließlich wird in Indien die Entwicklung der revolutionären Krise zur revolutionären Situation gehemmt durch das Fehlen einer Kommunistischen Partei. Nehmt China. Hier ist das hauptsächlich hemmende Moment die Einheitsfront aller imperialistischen Staaten bei der Unterdrückung der revolutionären Bewegung der werktätigen Massen Chinas.
Diese ganze Mannigfaltigkeit der subjektiven, sowie objektiven Elemente, die die revolutionäre Krise hemmen, will man nun in eine allgemeine Formel zwingen unter der Bezeichnung ‑ politische Krise, noch dazu als ein Vorstadium, das der revolutionären Krise vorausgeht. Die revolutionären Prozesse sind komplizierter als die Formeln, sie werfen alle Formeln, die nicht auf der Analyse des Kräfteverhältnisses der Klassen, sondern auf einem für alle Fälle fertigen Schema aufgebaut sind, ohne weiteres über den Haufen.
Die politische Krise der revolutionären als ein besonderes Stadium gegenüberzustellen, ist deshalb unzweckmäßig, weil diese Gegenüberstellung sowohl zu “linken” Entgleisungen als auch zu rechten Fehlern führen kann. Wollten wir auf dem Standpunkt stehen, daß in Deutschland die politische Krise bereits eine überwundene Etappe sei, und daß wir doch schon in die Phase einer revolutionären Krise getreten seien, dann müßte das bedeuten, daß wir äußerst rasch über alle Etappen hinwegschreiten. Aber diese so überaus rasche und übereilte Ablösung und Auswechslung der Etappen kann viele praktische Fehler im Gefolge haben. Wollten wir uns in Deutschland auf einen solchen Standpunkt stellen, so würden wir viele von uns noch nicht gelöste Aufgaben einfach beiseite schieben. Das wäre eine Taktik des Überspringens von komplizierten Aufgaben und kein zäher Kampf um die erfolgreiche Lösung derselben.
Aber diese Gegenüberstellung birgt auch die Gefahr vieler rechter Fehler in sich. Die Definierung der politischen Krise als eines besonderen Stadiums, das der “eigentlichen” revolutionären Krise vorausgeht, birgt die Gefahr in sich, daß man dadurch in gewissem Grade die sogenannten Übergangsetappen im brandlerischen Sinne deutet, bzw. solche Übergangslosungen sanktioniert, wie die Produktionskontrolle. Wir erinnern uns, welche gewaltige bolschewistische Arbeit z. B. die Kommunistische Partei Deutschlands leisten mußte, um diese Etappentheorie zu zerschlagen. Will man uns nun diese Etappentheorie von der anderen Seite her unterschieben? Die Gegenüberstellung von politischer und revolutionärer Krise ist weiter dadurch gefährlich, daß sie unter taktischen Gesichtspunkten das Zurückbleiben, der internationalen revolutionären Bewegung hinter der günstigen objektiven Situation nahezu zu einem neuen soziologischen Gesetz erhebt. Könnten wir in eines der grundlegenden Dokumente der Kommunistischen Internationale diese Unterteilung des revolutionären Aufschwungs in Stadien der politischen und revolutionären Krise aufnehmen und das verewigen, was, wie zu hoffen ist, nur zeitweilige vorübergehende Bedeutung besitzt? Praktisch aber würde die Anwendung des Begriffes der politischen Krise, als eine Art “Krise der Spitzen”, nur bedeuten, daß die Kommunistische Partei in den Schützengräben der politischen Krise Deckung suchen will, um ihr Zurückbleiben zu rechtfertigen. Angenommen, daß eine kommunistische Partei auf die Offensive des Kapitals nicht mit der Mobilisierung der proletarischen Kräfte zur Gegenoffensive antwortet und dem angreifenden Faschismus keine Abwehr entgegensetzt, so wird sie stets die Möglichkeit besitzen, das dadurch zu erklären, daß in ihrem Lande vorerst nur eine politische Krise, aber noch keine revolutionäre Krise herrsche.
Die Gefährlichkeit der Gegenüberstellung von politischer und revolutionärer Krise besteht darin, daß die ganze Frage der politischen Krise im Grunde genommen auf die Frage des Faschismus hinausläuft. Es wächst der Faschismus, folglich beginnt der Zerfall der herrschenden Klasse, folglich sind die Elemente der politischen Krise gegeben. Es würde eine Art mechanischer Theorie der Revolution kultiviert, wonach sie als objektiver Prozeß betrachtet wird und für uns im Grunde genommen nichts mehr weiter übrigbleibt, als den Schutt und Staub des unter dem Druck der objektiven Faktoren eingestürzten kapitalistischen Baues hinwegzuräumen. Die Aufgaben der Kommunisten würden bei einer solchen Stellung der Frage überaus vereinfacht werden. Die Lösung dieser Aufgaben würde nahezu als ein ununterbrochener Triumphmarsch erscheinen. Überwindung des Faschismus ‑ nichts leichter als das! Er verfault und zerfällt ganz von allein. Das Kleinbürgertum ist bereits selbst vom Faschismus enttäuscht und kehrt ihm den Rücken. Da sich der Faschismus bei dem Versuch, in die Betriebe einzudringen die Finger verbrannte, ist er schon gänzlich geschlagen. Wenn der alte Guesde, als er noch Marxist war, sagte, daß der Krieg die Mutter der Revolution ist, so folgt daraus noch lange nicht, daß der Faschismus der Vater der Revolution ist.
Der Faschismus ist nicht nur der Ausdruck der Krise des Kapitalismus und der beginnenden Zersetzung der herrschenden Klassen. Nur das sagen, heißt nicht alles sagen. Der Faschismus ist eine der Formen der Offensive des Kapitals, die in sich die Elemente der bürgerlichen Krise trägt. Der Faschismus ist sowohl Offensive, als auch Verteidigungsmaßnahme des Kapitals.
Genosse Remmele hat in seiner Polemik gegen die Rechten bewiesen, wie die Abwehr der Arbeiterklasse dialektisch in einen Gegenangriff übergeht. Das stimmt, auch wenn wir diese Dialektik auf den Faschismus anwenden. Man muß nur etwas genauer das, was Remmele gesagt hat, nach einzelnen Ländern konkretisieren.
Was haben wir in Wirklichkeit? Auf dem einen Frontabschnitt haben wir die Offensive des Proletariats ‑ und zwar in der UdSSR, auf den anderen Frontabschnitten haben wir die Offensive des Kapitals bei einer Gegenoffensive des Proletariats ‑ in Deutschland vor allem, in Frankreich, in Polen und in England, aber auch hier muß man die Situation konkret untersuchen und sich nicht auf eine allgemeine These über Hinüberwachsen der Abwehr in einen Gegenangriff des Proletariats beschränken.
Schließlich haben wir in der dritten Gruppe von Ländern eine Offensive bei einem sehr schwachen Widerstand der Arbeiterklasse. Nehmt Jugoslawien oder Italien.
Wodurch unterscheidet sich die gegenwärtige Offensive des Kapitals von der gewöhnlichen Offensive des Kapitals? Ich glaube, vor allem nicht dadurch, daß das Kapital stärker geworden ist, daß seine Positionen sich gefestigt haben, sondern dadurch, daß es schwächer geworden ist, daß seine Positionen geschwächt worden sind. Zweitens dadurch, daß diese Offensive des Kapitals Hand in Hand geht mit einem Wachstum des Faschismus, was von der eingetretenen Desorientierung der herrschenden Klassen zeugt. Das Wachstum des Faschismus allein bedeutet noch keine Stärkung der Position des Kapitals. Wenn auf den Straßen die Maschinengewehre aufgefahren werden, so fühlt sich die herrschende Klasse dabei nicht fester und ruhiger. Das ist keineswegs ein Beweis der Stärke eines Regimes.
Aber das Kapital greift ja gerade deshalb an, um seine Positionen zu verstärken, um stärker zu werden, um den Gegenangriff des Proletariats auf der ganzen Linie, sowohl auf der wirtschaftlichen als auch auf der politischen Linie niederzuschlagen. Die Offensive des Kapitals birgt in sich sowohl Elemente seiner Abwehr gegen die Revolution als auch gleichzeitig Elemente des Angriffs. Es stimmt, daß ein höheres Stadium des revolutionären Kampfes der Massen auch eine höhere Stufe der konterrevolutionären Abwehr des Kapitals mit sich bringt.
Aber ein vollkommener Parallelismus ist nicht immer und unter allen Umständen obligatorisch. Gerade dadurch, daß eine Klasse rasch zu neuen Kampfformen übergeht, überrumpelt sie den Gegner und schlägt ihn. So war es stets in der Geschichte. Dadurch, daß wir im Oktober 1905 zu einer neuen Kampfform übergingen, zum Generalstreik, haben wir den Zarismus überrumpelt, aber im Dezember des gleichen Jahres 1905 hatte sich der Zarismus bereits vorbereitet. Dem Proletariat in den kapitalistischen Ländern wird es schwerer fallen, die proletarische Revolution zu vollbringen, weil die Bourgeoise bereits aus der Erfahrung des Oktobers 1917 gelernt hat. Und die Aufgabe unserer Taktik besteht durchaus nicht darin, lediglich objektiv diesen Parallelismus der Formen der Revolution und der Konterrevolution zu verkünden, sondern darin, diesen Parallelismus durch die Taktik der Überrumpelungsangriffe zu unseren Gunsten zu durchbrechen. Derjenige, der zur Taktik der Überrumpelungsangriffe übergeht, schlägt den Gegner. Darum ist es die vordringlichste und unerläßlichste Pflicht der Kommunisten, die Gefahr zu sehen, ruhig Blut zu bewahren, unter dem Einfluß der Erfolge nicht den Kopf zu verlieren, die eigenen Kräfte sowie die Kräfte des Feindes nüchtern abzuschätzen und es zu verstehen, die eigenen Erfolge richtig einzuschätzen und sie nicht zu überschätzen, aber auch die Kräfte des Gegners nicht zu überschätzen. Dadurch, daß wir taktisch die allgemeine Gegenoffensive verkünden, während wir in Wirklichkeit geschlagen werden, ja, an einer Reihe von Stellen sogar äußerst gründlich geschlagen werden und uns zurückziehen ‑ dadurch wird noch kein Gegenangriff entstehen.
Man sagt, daß sich die Bourgeoisie in einer Abwehrsituation befinde; aber auf Grund dieser Tatsache kann man nicht die allgemeine Offensivtheorie für den heutigen Tag aufstellen. Heute versucht die Bourgeoisie in Deutschland die Kommunisten in die Illegalität zu drängen, in anderen Ländern sperrt sie sie in die Gefängnisse, erschießt sie, würgt sie, wirft sie massenweise aus den Betrieben, setzt den Arbeitslohn herunter und hebt die Sozialversicherung auf. Werden wir all das als Abwehrmaßnahmen betrachten? Werden wir uns damit trösten, daß wir die angreifende Seite sind? Was bedeutet das für unsere taktische Einstellung von heute?
Der Faschismus in Deutschland kann in seiner hitlerischen Form abzuflauen beginnen, anscheinend hat er unter dem Form abzuflauen beginnen, anscheinend hat er unter dem Einfluß der Aktivität unserer Partei eine solche rückwärtige Entwicklung bereits begonnen. Aber die sich faschisierende bürgerliche Diktatur in Deutschland, die von Brüning und der Sozialdemokratie verwirklicht wird, kann sich dabei festigen, wenn man sich eine so paradoxe Lage vorstellt, daß sich das deutsche Proletariat an dem Siege über die hitlerische Form der faschistischen Bewegung genug sein ließe. Wäre dem so, dann würde das bedeuten, daß die bürgerliche Diktatur der Regierung Brüning die Möglichkeit erlangen würde, dem deutschen Proletariat ganz unerwartet einen Schlag zu versetzen. Die KPD. ist sich aber dieser Gefahr bewußt, sie mobilisiert die Massen, um diesen Schlag zu parieren.
Der Fehler der Rechten in der Beurteilung des Faschismus besteht darin, daß sie im Faschismus nur eine gewöhnliche Offensive des Kapitals, nur eine Verstärkung der faschistischen Reaktion erblicken. Die Verstärkung der faschistischen Reaktion aber halten sie für eine Verstärkung der Position des Kapitals. Daher die Schlußfolgerungen, daß die Arbeiterklasse schwächer geworden sei, daß sie den Rückzug antreten müsse, daß man während der Krise nicht streiken könne, daß man mit dem Faschismus ein Übereinkommen treffen müsse, um den Bürgerkrieg zu vermeiden, d. h. mit anderen Worten, wir haben hier eine Rechtfertigung der gesamten verräterischen Taktik der Sozialdemokratie.
Anderer Art ist der theoretisch denkbare, “linke” Fehler; hier würde die Einstellung darauf hinauslaufen, im Faschismus nur ein Produkt der Zersetzung des Kapitalismus zu erblicken. Die faschistische Bewegung wäre demnach eine Art objektiver “Verbündeter” der Kommunisten, der die Stabilität des kapitalistischen Systems und die Massenbasis der Sozialdemokratie sozusagen von der anderen Seite her untergräbt. Würden die Kommunisten einen solchen Standpunkt einnehmen, so würden sie den wichtigsten Umstand, den Umstand, daß der Faschismus eine Form der Offensive des Kapitals darstellt, ignorieren. Sie würden der Anschauung sein, daß das Auftauchen des Faschismus davon zeuge, daß das Kapital schwächer, das Proletariat dagegen stärker geworden sei. Sie würden dem Faschismus eine ausschließlich revolutionierende Rolle zuschreiben. Daraus würde folgen, daß das Kommen des Faschismus geradezu wünschenswert sei, gewissermaßen nach dem Grundsatz: je schlimmer, desto besser. Das Wachstum des Faschismus bereite den Sieg des Kommunismus vor.
Eine derartige Fragestellung über den Faschismus würde zur Passivität im Kampfe gegen den Faschismus führen. Und eine solche Einstellung haben die Kommunisten natürlich nicht und können sie auch nicht haben.
Die faschistische Bewegung ist in Wirklichkeit eine der Formen der Offensive des Kapitals unter den Verhältnissen der allgemeinen Krise des Kapitalismus und des beginnenden Zerfalls der herrschenden Klassen. Das aber macht aus dem Faschismus eine besondere, ungewöhnliche Form der Offensive des Kapitals.
Der Faschismus widerspiegelt den dialektischen Widerspruch der sozialen Entwicklung. Er enthält beide Elemente, sowohl das Element der Offensive der herrschenden Klasse als auch das Element ihrer Zersetzung. Mit anderen Worten ‑ die faschistische Entwicklung kann sowohl zu einem Siege des Proletariats als auch zu seiner Niederlage führen. Die Frage entscheidet hier der subjektive Faktor, d. h. der Klassenkampf des Proletariats. Führt die Arbeiterklasse einen aktiven Kampf gegen den Faschismus ‑ so werden sich um so rascher im Faschismus die Elemente des Zerfalls entwickeln. Weicht das Proletariat ohne Kampf zurück, wie z. B. in Italien im Jahre 1920, so werden im Faschismus um so stärker die Merkmale der Offensive gegen die Arbeiterklasse auftreten. Der erstere Weg führt zum Siege über die faschistische Diktatur, der zweite ‑ zur Niederlage des Proletariats. Genosse Thälmann führte den Fall Scheringer[40] an ‑ ein sehr interessanter Fall, ohne Zweifel ist er ein Anzeichen der beginnenden Differenzierung in der faschistischen Bewegung. Aber warum hat dieser Prozeß in Deutschland und nicht in Österreich oder Italien begonnen.
Deshalb nicht, weil Monate hindurch unsere starke Kommunistische Partei in Deutschland einen Offensivkampf gegen den Faschismus geführt hat. Damit hat sie die Stärke des Proletariats gezeigt. Verbündete erobern für das Proletariat kann man nur durch die Demonstrierung der Kraft des Proletariats, durch die Klassenkämpfe des Proletariats und seiner Avantgarde ‑ der Kommunistischen Partei. Das Kleinbürgertum ist gewöhnt, die Kraft zu achten. Als z. B. die Mitglieder des englischen Generalrats nach der Sowjetunion kamen, achteten sie die Macht der Regierung der proletarischen Diktatur. Wenn das Kleinbürgertum den Glauben an die Kraft des Kapitals verliert, imponiert ihm die Kraft des Proletariats.
Die Bolschewiki gingen stets mit den Menschewiki darin auseinander, daß die Bolschewiki der Meinung waren, daß man die Zwischenklassen nur durch die revolutionäre Aktivität des Proletariats auf den Weg der Revolution bringen kann, nicht aber durch Abkommen mit ihnen, nicht dadurch, daß man auf ihr Niveau herabsteigt. Es stimmt, daß das Auftauchen und sogar das vorübergehende Wachstum der faschistischen Bewegung nicht eine Niederlage des Proletariats bedeutet. Aber die Errichtung der faschistischen Diktatur, die sich in der Verdrängung der Kommunistischen Partei in die Illegalität, in der gewaltsamen Abwürgung des Klassenkampfes des Proletariats, in der Verwandlung der Gewerkschaften in ähnliche Organe des kapitalistischen Staates wie Polizei, Gefängnis und Kaserne äußert bei einer ungenügenden Abwehr von seiten des Proletariats, bedeutet eine vorübergehende Niederlage des Proletariats. Es ist nur dann keine Niederlage des Proletariats, wenn die Arbeiterklasse Schritt für Schritt um jede ihrer Positionen kämpft, selbst wenn sie unter dem Ansturm der überlegenen Kräfte des Gegners im Kampfe zurückweichen muß. Es besteht absolut keine Garantie dafür, daß wir nicht im Kampfe zurückweichen, daß wir nicht selbst im Moment der revolutionären Krise zurückweichen müssen. Im Juli 1917 haben wir vorübergehend einen Rückzug angetreten. Aber falsch wäre es, anzunehmen, daß man die Durchführung der faschistischen Diktatur nur durch proletarische Revolution verhindern kann. Die proletarische Revolution ist das einzige Mittel zum Sturz der bürgerlichen Diktatur überhaupt, unabhängig davon, in welcher Gestalt diese auftritt. Wir können nicht mit Bestimmtheit sagen, daß wir immer durch Kämpfe die faschistische Diktatur verhindern können. Aber, was wir mit Bestimmtheit sagen können, ist das, daß wir durch Kämpfe die Durchführung der faschistischen Diktatur stets hemmen können. Das gilt absolut. Die Steigerung der faschistischen Reaktion und damit auch die Durchführung der faschistischen Form der bürgerlichen Diktatur durch die Bourgeoisie kann man nur hemmen durch den täglichen Kampf des Proletariats ‑ und zwar den wirtschaftlichen, politischen usw. Hemmen wir doch die Offensive des Kapitals z. B. auf wirtschaftlichem Gebiet durch unsere Gegenoffensive. Und dadurch unterscheiden wir uns von den Reformisten und Brandlerianern, die behaupten, daß in Zeiten von Krisen Streiks unmöglich seien, daß die Streiks von vornherein zum Mißerfolg verurteilt. Wäre es etwa nicht derselbe opportunistische Fatalismus, wenn wir die Durchkreuzung der faschistischen Form der bürgerlichen Diktatur nur von der proletarischen Revolution abhängig machen wollten?
[...]
Worin äußert sich konkret in der Frage des Faschismus unser Zurückbleiben? Erstens darin, daß wir durch unsere Passivität der Bourgeoisie die Möglichkeit lassen, trotz der enger gewordenen wirtschaftlichen Basis des Reformismus, trotz der enger gewordenen Manövrierfähigkeit des Kapitals auf wirtschaftlichem Gebiet, immerhin in den Fragen des Parlamentarismus, des Youngplans, in der Frage von Versailles, in der Schutzzollpolitik usw. zu manövrieren. Zweitens äußert sich unser Zurückbleiben in der Frage des Faschismus darin, daß wir der Sozialdemokratie erlauben, in der Frage der Formen der. bürgerlichen Diktatur zu manövrieren. Und das ist jetzt ihr Hauptmanöver in einer ganzen historischen Periode. Die Sozialdemokratie ist bestrebt, die Massen von den grundlegenden Fragen des Klassenkampfes abzulenken auf einen polemischen Streit über die Form ihrer eigenen Unterdrückung ‑ auf die Fragen, welche Form der bürgerlichen Diktatur besser sei: die parlamentarische oder die außerparlamentarische. Die Theorie des sogenannten “kleineren Übels”, von der sowohl Genosse Thälmann als auch Genosse Pollit in ihren Reden gesprochen haben, ist augenblicklich der Hauptkanal, in dem sich die parlamentarischen Illusionen der Massen bewegen. Die Sozialdemokratie wird nicht nur heute und nicht nur morgen, sondern im Laufe einer ganzen Periode, im Laufe einer längeren Zeit mit ihrem Scheinkampf gegen den Faschismus manövrieren und mit allen nur denkbaren Mitteln jene grundlegende Tatsache vertuschen, daß Faschismus und Sozialfaschismus lediglich zwei Schattierungen ein und derselben sozialen Stütze der bürgerlichen Diktatur sind. Diese Illusionen der Massen zu zerstören ‑ das gewährleistet die Untergrabung des Massenfundaments der Sozialdemokratie in der Arbeiterklasse. Wie lassen sich diese Illusionen in dieser grundlegenden Frage zerschlagen? An Hand der Tatsachen in wirtschaftlichen und politischen Tageskämpfen gegen das Kapital. Das ist jetzt das Hauptkettenglied unseres Kampfes gegen die Sozialdemokratie, um ihren Einfluß auf die Massen zu brechen. Die in unseren Reihen zu verzeichnenden Fehler, die sich in der Linie einer prinzipiellen Gegenüberstellung von bürgerlicher Demokratie und Faschismus, von Sozialdemokratie und Hitlerpartei bewegen und die Kommunisten objektiv in das Lager von Leuten vom Schlage des italienischen Liberalen Nitti treiben, sind für die kommunistische Bewegung höchst schädlich und verhängnisvoll. Augenblicklich ist das unsere Hauptgefahr.
Es muß direkt gesagt werden, daß die Tatsache, daß wir unaufhörlich das Wort "Faschismus" abwandeln, die Tatsache, daß wir den Faschismus gewissermaßen als "Ding an sich" der bürgerlichen Diktatur gegenüberstellen, ohne einen konkreten historischen Klasseninhalt in ihn hineinzulegen, beweist, daß manche Genossen, die sonst restlos auf der Linie der Komintern stehen, sich doch noch nicht ganz von den liberalen Einflüssen dieses Geschreis freigemacht haben, das die Sozialdemokratie bewußt gegenüber der faschistischen Form der Diktatur der Bourgeoisie erhebt, um die breiten Massen zu betrügen. Wir geraten alle ein wenig unter den Einfluß dieser Ideologie, deren Spuren deutlich hier in einzelnen Reden zu spüren waren. Zur Charakteristik des Faschismus in Frankreich hat man z. B. eine solche wunderliche Tatsache angeführt, daß man einen kommunistischen Bürgermeister nicht einmal in das Bürgermeisteramt hineingelassen habe oder, als Beweis für die Faschisierung Hollands hat man angeführt, daß bereits zwei Kommunisten zu der (für Holländer ungewöhnlichen) Strafe von drei Monaten Gefängnis verurteilt wurden. So tragisch diese Tatsachen auch sind, so glauben wir doch, daß die Zerstörung ganzer Dörfer in Indochina durch französische Flugzeuge und die blutige Unterdrückung des Aufstandes in Holländisch-Indien viel eher die Faschisierung der bürgerlichen Diktatur beweisen, als die verhältnismäßig unschuldigen Plänkeleien dieser Diktatur mit einem kommunistischen Bürgermeister. Aber nehmen wir unsere jungen oder sogar die älteren Gelehrten. Einige dieser Genossen sind bestrebt, mit der Lupe, buchstäblich mit der Lupe die geringsten Feinheiten herauszufinden, die die faschistische Form der Diktatur der Bourgeoisie von der bürgerlichen Diktatur sozusagen “normalen” Typs unterscheiden, in dem vergeblichen Bemühen, eine allumfassende Definierung des Faschismus zu finden. Wozu das, Genossen? Sind denn etwa die marxistisch-leninistischen Definierungen der bürgerlichen Diktatur schon veraltet und auf die faschistische Form der bürgerlichen Diktatur nicht mehr anwendbar? Hinter all diesen krampfhaften theoretischen Bemühungen, die nur die Frage verwirren, ja zur eigenen Verwirrung, und was schlimmer ist zur Verwirrung anderer führen, verbirgt sich in Wirklichkeit eine Gegenüberstellung des Faschismus als “neuer Typus” des bürgerlichen Staates gegen den alten demokratischen Typus dieses letzteren. Die ganze Verschärfung des Klassenkampfes zeugt davon, daß der Unterschied der Methoden der Klassenherrschaft zwischen der sogenannten bürgerlichen Demokratie und dem Faschismus sich immer mehr verwischen wird, bzw. in der Praxis bereits verwischt ist. Soll doch jemand versuchen nachzuweisen, daß z. B. die Politik der deutschen Sozialdemokratie gegenüber dem Land des sozialistischen Aufbaus ‑ der UdSSR ‑ “fortschrittlicher”, besser sei als die Politik des italienischen Faschismus. Die Sozialdemokratie verkündet, um die Massen bewußt zu betrügen, daß der Hauptfeind der Arbeiterklasse der Faschismus sei, um so die Frage des Kampfes gegen die Diktatur des Kapitals überhaupt von der Tagesordnung abzusetzen, ihre demokratischen Forderungen herauszustreichen und in der Arbeiterschaft den Eindruck zu erwecken, daß sie für die “demokratische” Form ihrer Ausbeutung und gegen die faschistische zu kämpfen haben. Besonders trifft das in Frankreich zu, wo dieses Manöver mit den Interessen des französischen Imperialismus und seinem Kampfe gegen die italienische Bourgeoisie zusammenfällt. Unsere erste Aufgabe im Kampf gegen die parlamentarischen Illusionen der Massen besteht darin, dieses Manöver zu entlarven. Die Kommunisten müssen vor allem in den eigenen Reihen in dieser Frage Klarheit schaffen. Der Hauptfeind der Arbeiterklasse war, ist und bleibt stets die Bourgeoisie. Wir brauchen nicht neue Formen zu erfinden. In den sich faschisierenden bürgerlichen Demokratien, in den faschistischen Staaten, überall, auf allen Etappen der Faschisierung der kapitalistischen Staaten ist der Hauptfeind der Arbeiterklasse ‑ die Diktatur des Kapitals, unabhängig von ihrer demokratischen oder faschistischen Form. Das aber bedeutet, daß in Ländern wie Frankreich die Kommunisten der Sozialdemokratie nicht gestatten dürfen, die Massen mit dem Gespenst des drohenden Faschismus zu schrecken, sondern daß sie den Kampf gegen die heute bestehende Diktatur des Kapitals, gegen die prostituierte bürgerlich-demokratische Republik führen müssen; das bedeutet, daß in Deutschland der Hauptfeind heute die von der Sozialdemokratie unterstützte Brüningregierung ist, die Regierung der Durchführung der faschistischen Diktatur, die heute den ganzen Druck der bürgerlichen Diktatur auf die Arbeiterklasse verkörpert. Je nachdem, auf welchen Flügel die Bourgeoisie sich im Kampf gegen das Proletariat stützen wird, müssen wir auch feststellen, nach welcher Seite der Hauptschlag der Kommunisten geführt werden muß. Daß besonders in Deutschland der Schlag gegen die bürgerliche Diktatur in der Person der Brüningregierung geführt werden muß, das zeigt am besten die letzte Rede Wirths[41], die den Plan zur Abwürgung der deutschen Arbeiterklasse durch die Diktatur des Kapitals mit Hilfe der Sozialdemokratie und der Hitlerpartei enthüllte. Die Brüningregierung ist jetzt der Hauptfeind auch noch deshalb, weil einem Machtantritt Hitlers jetzt erhöhte Widerstände entgegenstehen nicht nur infolge der eingetretenen Differenzierungen innerhalb der Hitlerbewegung, sondern vor allem infolge der letzten Veränderungen der internationalen Lage, die gegenwärtig den Hoffnungen der Hitlerleute auf eine Nachgiebigkeit der Vereinigten Staaten und Großbritanniens in der Revision des Youngplans und des Versailler Vertrages ein Ende setzen. Gerade eine solche Fragestellung gestattet uns am besten die Entlarvung der Theorie des “kleineren Übels”. Gerade weil die Kommunisten in Deutschland gegen die bürgerliche Diktatur, als ihren heute durch die Brüningregierung verkörperten Hauptfeind kämpften, entlarvten sie das Manöver der Sozialdemokratie, die die Brüningregierung als das “kleinere Übel” im Vergleich zum Faschismus Hitlerscher Färbung hinstellt. Beruht doch die ganze Theorie des “kleineren Übels” auf der Voraussetzung, daß der Faschismus Hitlerscher Färbung der Hauptfeind sei, und man kann den Arbeitern, ausgehend von dieser Voraussetzung, ohne restlose Identifizierung der Brüningregierung mit einer etwaigen Hitlerregierung, nicht beweisen, daß die Brüningregierung kein kleineres Übel ist. Wir aber identifizieren Brüning trotzdem nicht mit Hitler, und den Sozialfaschismus, der Brüning unterstützt, nicht mit dem Hitlerfaschismus. Um die Theorie des “kleineren Übels” zu zerschlagen, müssen die Kommunisten den Massen daher erläutern, daß das ganze System der bürgerlichen Diktatur auf der Ausnutzung sowohl der sogenannten bürgerlichen Demokratie als auch des Faschismus im Kampfe gegen die Arbeiterklasse aufgebaut ist. Das wird auch im Programm der Kommunistischen Internationale gesagt, wo es heißt: "Entsprechend der jeweiligen politischen Konjunktur bedient sich die Bourgeoisie sowohl der faschistischen Methoden, als auch der Methoden der Koalition mit der Sozialdemokratie [...] um den Vormarsch der Revolution zu hemmen[42]." Diese zwei Methoden der Herrschaft von dem ganzen System der bürgerlichen Diktatur zu trennen, ist unmöglich. Das Vorhandensein dieser zwei Methoden erlaubt der Bourgeoisie, im Laufe einer Reihe von Jahren zu manövrieren. "Wäre die Taktik der Bourgeoisie immer ein und dieselbe" ‑ sagte Lenin einmal[43] ‑ "oder wenigstens immer einheitlich, so würde die Arbeiterklasse rasch lernen, darauf mit einer ebenso gleichartigen oder einheitlichen Taktik zu antworten. In Wirklichkeit arbeitet die Bourgeoisie in allen Ländern zwei Systeme der Herrschaft aus, zwei Methoden des Kampfes um ihre Interessen und die Verteidigung ihrer Herrschaft, wobei diese zwei Methoden bald einander ablösen, bald aber sich in den verschiedensten Kombinationen miteinander verflechten." Genau so stellt auch Genosse Stalin die Frage[44]: "Der Faschismus ist die Kampforganisation der Bourgeoisie, die sich auf die aktive Unterstützung der Sozialdemokratie stützt. Die Sozialdemokratie ist objektiv der gemäßigte Flügel des Faschismus. [...] Ebensowenig Grund besteht zu der Annahme, daß die Sozialdemokratie ausschlaggebende Erfolge in den Kämpfen oder in der Regierung des Landes ohne aktive Unterstützung der Kampforganisation der Bourgeoisie zu erzielen vermag. Diese Organisationen schließen sich gegenseitig nicht aus, sondern ergänzen einander. Es sind das nicht Antipoden, sondern Zwillinge." Die Benutzung dieser zwei Methoden erlaubt es der Bourgeoisie, die Schraube der Unterdrückung der Massen immer fester anzuziehen, sie mit der Gefahr von “rechts” im Schach zu halten und zugleich der Sozialdemokratie zu helfen, in der Rolle eines Vorkämpfers der “Demokratie” aufzutreten.
[...]
[...]
In zweiter Linie ist das die Erfahrung der KP. Deutschlands, die sowohl in ihrem Programm der sozialen und nationalen Befreiung, in ihrem Kampf für den Frieden, als auch in der Konkretisierung ihrer strategischen Hauptlosung der "Volksrevolution" niedergelegt ist.
Übrigens hatten einige Genossen hinsichtlich der Losung der "Volksrevolution" ihre Zweifel. Sollen wir ‑ sagten sie ‑ die alte klare Losung der proletarischen Revolution durch einen neuen Terminus, der der Epoche der Revolutionen des Jahres 1848 entlehnt ist, ersetzen?
Nun haben aber erstens die deutschen Genossen die Losung der proletarischen Revolution nicht durch die Losung der "Volksrevolution" ersetzt. Sie haben niemals die alten bolschewistischen Losungen abgeschafft. Die Losung der "Volksrevolution" in ihren Dokumenten und in ihrer agitatorischen Tagesarbeit ist ein Synonym der proletarischen Revolution. Sie bedeutet unter den gegebenen konkreten Verhältnissen in Deutschland, wo ein ungeheurer Klassenumschwung vor sich geht, daß die KPD., wenn sie auch noch nicht die Mehrheit der Arbeiterklasse erobert hat, doch schon zu einer Partei von Millionen unterdrückten und ausgebeuteten werktätigen Massen ist.
Genosse Thälmann hatte recht, als er in seinem Referat darauf hinwies, daß man die Aufgabe der Eroberung der Verbündeten für das Proletariat nicht der Aufgabe der Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse gegenüberstellen dürfe. Diese Aufgaben hängen aufs allerengste miteinander zusammen. Je näher die Kommunistische Partei der Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse kommt, um so mehr wächst ihre Kraft und ihr Einfluß auf die anderen, nichtproletarischen Bevölkerungsschichten.
Bedeutet das aber, Genossen, daß wir in Deutschland bereits die Losung, die Aufgabe der Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse von der Tagesordnung absetzen? Durchaus nicht! Das bleibt die grundlegende Hauptaufgabe, die strategische Aufgabe für Deutschland. Wir haben in Deutschland die Mehrheit der Arbeiterklasse noch nicht erobert. Betrachtet die letzten Betriebsrätewahlen. Alle Parteien haben Verluste, unsere Partei hat gewonnen. Es gibt jedoch Stellen, wo alle Parteien Verluste haben und auch unsere Partei prozentuale Verluste hat, aber geringere, zum Beispiel im Ruhrgebiet.
[...]
[1]. [321ignition] Die Fußnoten sind von uns, unter Verwendung von eventuellen in der Quelle enthaltenen Fußnoten, formuliert.
[2]. Plan Young.
Am 31. Mai 1929 nimmt ein in Paris versammelter interalliierter Ausschuss einen Plan für die Neustaffelung auf 59 Jahre (bis 1988) des Restbetrages der seitens Deutschlands nach den Bestimmungen des Vertrags von Versailles fälligen Kriegsreparationen. Er wird Youngplan genannt, nach einem der Kommissionsmitglieder, Owen Young (Vorsitzender des Aufsichtsrates von General Electric). Er löst den 1924 angenommenen Dawesplan (cf. Fußnote 18 ►) ab. Jedoch lehnen die USA bezüglich der Schulden seitens der Alliierten ihnen gegenüber es ab, dass deren Rückzahlung mit der Frage der deutschen Reparationen verbunden werde. Eine erneute vom 16. Juni bis zum 9. Juli 1932 in Lausanne abgehaltene Konferenz vermindert den Betrag der Reparationen und bewilligt ein Moratorium von drei Jahren. Letzten Endes werden die Konten erst 2010 durch die Deutsche Bundesrepublik endgültig saldiert.
[3]. Sozialistische Internationale.
1864 wird in London die “Internationale Arbeiter-Assoziation” gegründet, an der Karl Marx und Friedrich Engels aktiv teilnehmen; sie wird 1876 durch Entschluss ihrer in Philadelphia abgehaltenen Generalversammlung aufgelöst. 1889 wird in Paris ein internationaler Arbeiterkongress abgehalten. Die so eingerichtete Koordinierung zwischen Parteien marxistischer Orientierung wird geläufig “Zweite Internationale” genannt. In einer ersten Phase wird, abgesehen von der Einberufung von Kongressen, keine besondere organisatorische Struktur eingerichtet. 1900 wird ein Internationales sozialistisches Büro gebildet, sowie ein mit den laufenden Angelegenheiten beauftragtes Exekutivkomitee mit Sitz in Brüssel.
Am 14. und 15. Februar 1915 wird in London eine Konferenz der sozialistischen Parteien der alliierten Länder abgehalten. Die Zahl der Delegierten beläuft sich auf 46. Frankreich ist folgendermaßen vertreten: für die Sozialistische Partei SFIO (Parti socialiste Section française de l'Internationale ouvrière, SFIO) Alexandre Desrousseaux genannt Bracke, Adéodat Compère-Morel, Marcel Cachin, Jean Longuet, Marcel Sembat, Pierre Renaudel, Edouard Vaillant, Louis Dubreuilh, Ernest Poisson, Braemer; für die Allgemeine Konföderation der Arbeit (Confédération générale du travail, CGT) Léon Jouhaux, Alexandre Luquet, Moulinier, Albert Bourderon, Alphonse Merrheim. Großbritannien ist unter anderem vertreten durch Arthur Henderson, Ramsay Macdonald, Keir Hardie, William Anderson, Bruce Glasier; Belgien ist insbesondere durch Émile Vandervelde und Camille Huysmans vertreten; für Russland nehmen unter anderen Teil Ivan M. Maisky von der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands - Menschewiki, sowie Viktor M. Černov und Ilja A. Rubanovič von der Partei der Sozialrevolutionäre, etc.
Nach dem 1. Weltkrieg wird zunächst im Februar 1919 eine Konferenz in Bern abgehalten, danach wird im August 1920 in Genf die 2. Internationale wiedergebildet, unter Beteiligung einer reduzierten Zahl von Parteien. Sie richtet ihren Sitz in London ein.
Eine Anzahl anderer Parteien gründet im Februar 1921 in Wien die “Internationale Arbeitsgemeinschaft sozialistischer Parteien”; Friedrich Adler und Otto Bauer spielen eine wichtige Rolle. Offiziell wird die Organisation auch “Wiener Internationale” bezeichnet, geläufig wird sie aber “2 ½. (Zweieinhalbte) Internationale” genannt.
Im Mai 1923 auf einem in Hamburg abgehaltenen Kongress gründen diese Internationale und die 2. Internationale gemeinsam die “Sozialistische Arbeiterinternationale”.
[4]. Dawesplan.
Am 1. September 1924 tritt der nach dem amerikanischen Bankier Charles Dawes genannte Dawesplan in Kraft. Durch ein Expertenkomitee in London angenommen, legt er die Höhe der durch Deutschland auf Grund des Vertrags von Versailles schuldigen Kriegsreparationen fest und sieht deren Zahlung in Form einer Anleihe und von Steuern vor, sowie die schrittweise Evakuierung der Ruhr durch die französischen und belgischen Truppen.
[5]. In der französischsprachigen Veröffentlichung des Berichtes: "pourparlers secrets", das heißt "geheime Unterredungen".
[6]. Deutschland, KPD, Programmerklärung 1930.
Am 24. August 1930 veröffentlicht die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) ein Dokument "Programmerklärung zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes - Proklamation des ZK der KPD" (cf. den Text ►), wovon hier ein Auszug:
Nur wir Kommunisten kämpfen sowohl gegen den Youngplan als auch gegen den Versailler Raubfrieden, den Ausgangspunkt der Versklavung aller Werktätigen Deutschlands, ebenso wie gegen alle internationalen Verträge, Vereinbarungen und Pläne (Locarnovertrag, Dawesplan, Youngplan, deutsch-polnisches Abkommen usw.), die aus dem Versailler Friedensvertrag hervorgehen. Wir Kommunisten sind gegen jede Leistung von Reparationszahlungen, gegen jede Bezahlung internationaler Schulden.
[7]. Wera Kostrzewa (Pseudonyme von Marianna Koszutska).
Kostrzewa ist Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Arbeiterpartei Polens (Komunistyczna Partia Robotnicza Polski, KPRP, ab 1925 Komunistyczna Partia Polski, KPP) nach deren Gründung 1918. Auf dem 5. Weltkongress der Kommunistischen Internationale, 1924, wird die Orientierung der Führung der KPRP kritisiert. Auf dem 3. Parteitag der KPP, 1925, wird Kostrzewa nicht ins Zentralkomitee wiedergewählt. Auf dem 5. Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale im Juni 1929 wird die Stellung der KPP in Bezug auf den Faschismus kritisiert, insofern sie annimmt, dass zwischen Faschismus und reformistischen Parteien ein Antagonismus besteht, und dass demzufolge die Polnische sozialistische Partei (Polska Partia Socjalistyczna, PPS) geneigt wäre sich dem Faschismus entgegenzustellen. Kostrzewa wird aller Führungsstellen enthoben.
[8]. Polnische sozialistische Partei (Polska Partia socjalistyczna, PPS).
[9]. Das in Italien durch die National-faschistische Partei begründete Regime.
Am 28. Oktober 1922 organisieren die italienischen Faschisten den “Marsch auf Rom”, eine Machtdemonstration die als Resultat am 30. zur Bildung einer von Mussolini geführten Regierung führt. Dieser hatte schon vorher im November 1921 die Nationale faschistische Partei (Partito Nazionale Fascista, PNF) gegründet, und im Juni 1922 hatten sich faschistische Gewerkschaften konstituiert durch Vereinigung zu einem Generalverband der nationalen Gewerkschaften. Die Kommunisten sind zwar einer polizeilichen Repression ausgesetzt, doch nach einer Verhaftungswelle im Februar 1923 werden ihre Prozesse im Oktober mit Freisprüchen abgeschlossen. Letztendlich richtet Mussolini zwischen Jänner 1925 und März 1929 nach und nach eine Diktatur ein, die sich auf einen Staat mit weiten Vollmachten stützt, welcher durch seinen Chef (Il Duce) personifiziert wird. Auf Grundlage des Gesetzes von Dezember 1925, ist letzterer ausschließlich und persönlich vor dem König verantwortlich. Ab Januar 1926 geht die Exekutive uneingeschränkt mittels Notverordnungen vor. Im November, nach einem Mordversuch gegen Mussolini, schaffen die "Gesetze zur Verteidigung des Staates" ("leggi per la difesa dello Stato ") die Pressefreiheit ab, verbieten alle politischen Parteien außer der PNF, reorganisieren die Polizei unter Kontrolle durch die Organisation zur Überwachung und Bekämpfung des Antifaschismus (Organizzazione di vigilanza e repressione dell'antifascismo, OVRA) und schaffen ein Sondergericht zum Schutz des Staates (Tribunale Speciale per la Difesa dello Stato). So geht der Staat Hand in Hand mit einer Einheitspartei, die einem Großrat des Faschismus (Gran Consiglio del Fascismo) untergeordnet ist, der die Kandidaten zu den Parlamentswahlen auswählt und im Falle von Machtvakuum Kandidaten zum Posten des Regierungschefs präsentieren kann (Gesetze von 1928). Ab 1929 ist die PFN integraler Bestandteil der Institutionen; die Kammer der Deputierten, zwar beibehalten bis 1938, ist ihr praktisch untergeordnet.
[10]. Iwan I. (Iwan Danilowitsch, Beiname: Kalita).
Iwan I., Enkelsohn von Alexander Newski, ist Großfürst von Moskau ab 1325 bis zu seinem Tod 1341. Über Russland regieren zu dieser Zeit, seit dem Fall von Kiew 1240, die mongolischen Herrscher. Iwan gelingt es, das Hoheitsgebiet seines Fürstentums zu verdoppeln, er bringt einen breiten Prozess von Zusammenfügung russischer Gebiete in Gang, der bis zur Unabhängigkeit gegenüber der mongolischen Vorherrschaft führt. Ebenfalls unter seiner Herrschaft wird Moskau religiöse Hauptstadt Russlands.
Kozma Minin, Fürst Dimitri Poscharski.
Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts, herrscht in Russland eine durch Rivalitäten um die Macht geprägte Lage. Iwan IV., genannt Iwan der Schreckliche, ist nur 3 Jahre alt, als er 1533 seinem Vater, dem Großfürsten von Moskau Wassili II., nachfolgt. Ab seinem 16. Lebensjahr unternimmt Iwan es, die monarchische Gewalt in den Gebieten um Moskau wiederherzustellen: er lässt sich zum "Zar und Großfürst von ganz Russland" ernennen, sodann sich vom Metropoliten von Moskau, Oberhaupt der russischen orthodoxen Kirche, in dieser Eigenschaft weihen. Nach seinem Tod 1584 folgt ihm einer seiner Söhne, Feodor I., nach. Dieser stirbt 1598 ohne Nachkommen, und so endet die von dem ersten Fürst von Nowgorod, Rurik, stammende Dynastie, die Ende des 9. Jahrhunderts regierte. Zum Zar ernannt wird Boris Godunow, Schwager von Feodor I., ein Bojar. Bojar ist ein nicht erblicher, vom Herrscher verliehener Titel; die Bojaren umfassen die engen Ratgeber des Zaren, Oberhäupter der Armee, Botschafter hohen Ranges, Leiter von ministeriellen Abteilungen, Gouverneure der bedeutendsten Städte. Godunow stirbt im April 1605, sein Sohn Feodor II. wird sein Nachfolger. Inzwischen erhält Grigori Otrepjew ‑ ein dem Priesteramt enthobener Mönch, der vorgibt, einer der Söhne Iwans, Dimitri, zu sein, der in Wirklichkeit 1591 ermordet wurde ‑ die Unterstützung von polnischen und litauischen Adeligen. Feodor II. wird am 10. Juni 1605 ermordet, am 20. zieht Otrepjew in Moskau ein, er ruft sich als Zar aus.
Boris Godunow hatte 1597 ein Gesetz verkündet, das bestimmt war, die Entwicklung der Agrikultur zu fördern; es verband die Bauern mit dem Boden den sie bestellten und schuf so einen neuen Typ von Leibeigenschaft. Otrepjew ergreift unverzüglich Maßnahmen zugunsten der Bauern, er verstimmt die Bojaren, die ihn ermorden und Wassili Schuiski auf den Thron heben. Ihr Handeln stößt auf den Widerstand der Kosaken und der Bauern, die wegen der Gesetze über Leibeigenschaft empört sind und die Härte der Bojarenregierung fürchten. Sie erheben sich im Süden Russlands und ein zweiter “falscher Dimitri”, der schon auf Moskau vorrückt, eint sich mit ihnen. Gleichzeitig fällt der König von Polen Sigismund III. in das Land ein, in der Hoffnung, sich des russischen Thrones zu bemächtigen; Schweden hingegen, in Bezug auf eine Bitte um Hilfe von Wassili Schuiski, entsendet ein Heer.
Letzterer wird 1610 abgesetzt. Eine Gruppe von Bojaren schlägt die Kandidatur von Wladyslaw Wasa, Sohn von Sigismud III., vor, der für seine Wahl als Zar sorgt und unter Begleitung eines polnischen Heeres in Moskau einzieht. Kozma Minin, einem Metzger aus Nischni Nowgorod, gelingt es, im Nord‑Osten Russlands ein Volksheer einzuberufen, über das der Fürst Dmitri Poscharski den Befehl übernimmt. Unterstützt durch die Kosaken, marschiert dieses Heer auf Moskau und zwingt 1612 die Polen zum Rückzug. 1613 wird Michael Romanow, Großneffe von Anastasia Romanowna, Witwe von Iwan IV., zum Zar ernannt. Michael begründet so die Dynastie der Romanow, die bis 1917 herrschen wird.
[11]. Albert Thomas.
1904 ist Thomas für die gewerkschaftliche Rubrik der Tageszeitung L'Humanité verantwortlich und wird in Champigny-sur-Marne zum Gemeinderat gewählt, wo er acht Jahre später Bürgermeister wird. Als Journalist schreibt er für die Zeitschriften L'Information und Revue socialiste, er gründet die Revue syndicaliste und danach L'Information ouvrière et sociale. 1910 wird er als Abgeordneter eines der Wahlbereiche des Departements der Seine gewählt, und er wird in 1914 wiedergewählt. Im Mai 1915 wird er zum Unterstaatssekretär für Artillerie und militärische Ausrüstung ernannt. Im Jahr darauf wird er Rüstungsminister. Im November 1919, auf der ersten Sitzung der Internationalen Arbeitskonferenz in Washington (der er nicht beiwohnt), ernennt ihn der Verwaltungsrat der so konstituierten Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) zum Direktor des Internationalen Arbeitsbüros (IAB), welches Organ als Sekretariat der IAO fungiert.
Im Mai 1928 unternimmt Thomas, in seiner Qualität als Beobachter und Direktor des BIT, eine Reise nach Italien. Er wird von verschiedenen Vertretern des Regimes empfangen, und bei diesen Anlässen macht er Erklärungen, darunter eine am 3. Mai, in Antwort auf die Rede von Giuseppe Bottai, Unterstaatssekretär des Ministeriums der Korporationen. Daraus hier ein Auszug:
Die Hohen Vertragsparteien, die 1919 die Friedensverträge abgeschlossen haben, versprachen den Arbeitern der Welt gewisse Reformen in Übereinstimmung mit gewissen anerkannten Rechten und Prinzipien. Die Carta del Lavoro des faschistischen Italiens hat auch den Arbeitern Italiens eine Zahl bestimmter Reformen versprochen. Ich habe zahlreiche Ähnlichkeiten zwischen diesen beiden wichtigen Dokumenten wahrgenommen. Ich habe jedoch auch eine Auslassung wahrgenommen. Die Carta del Lavoro erwähnt nicht ausdrücklich den Acht‑Stundentag. Wenn ich auch wohl etwas Besorgnis in Bezug auf diesen Punkt empfand, stellt die Erklärung, die das Oberhaupt der Regierung vor einigen Tagen abgab, diese Angelegenheit klar. "Wir", sagte er, "waren die Ersten, die eine Gesetzgebung über den Acht‑Stundentag einführten, obwohl wohlhabendere Länder, die als demokratisch gelten, noch dabei sind, diese Angelegenheit zu diskutieren." Die Ähnlichkeit, die zwischen der Carta del Lavoro und dem Vertrag besteht, ist es, was ohne Zweifel Italien in Stand gesetzt hat, eine beträchtliche Zahl von Übereinkommen zu ratifizieren. [...] Auf der kürzlich abgehaltenen Weltkonferenz über Bevölkerung waren wir, dank unserer Besorgnis für internationale Gerechtigkeit, in völligem Einverständnis mit den Erklärungen der italienischen Vertreter. Die Faschistische Regierung wünscht jedoch, weiter zu gehen. Sie wünscht nicht nur, den Arbeitern den Nutzen von gerechten Reformen zu garantieren, sondern, wie sie selbst es formuliert haben, sie wünscht, die italienische Gesellschaft von Grund auf umzuorganisieren. Die Carta del Lavoro verspricht nicht nur diese und jene bestimmten Reformen, sondern führt auch gewisse Regeln und Prinzipien ein, und ein Versuch wird unternommen, die Gesellschaft auf Grund dieser Prinzipien zu organisieren. [...] Auf der anderen Hand bin ich sicher, dass sie mit mir einverstanden sein werden, dass, wenn die werktätigen Klassen einer Gemeinschaft im Genuss gewisser Rechte stehen, wenn sie wohlhabend sind, und vor allem wenn die Verbesserung ihrer Stellung mit einem Anstieg der Produktion einhergeht, dann besteht das sicherste Mittel, die Produktion beizubehalten und zu fördern, darin, dass soziale Gerechtigkeit gegenüber den Arbeitern gezeigt wird. Ich fühle in höchstem Ausmaße Vertrauen in unsere Zusammenarbeiten gemäß diesen Leitlinien. [...] Italien und Frankreich, und in der Tat die lateinischen Länder im Allgemeinen, sind beschuldigt worden, sie hätten große Prinzipien, ohne sie vollständig in Anwendung zu bringen. Je mehr ich von den Tatsachen sehe, desto sicherer bin ich, dass dies ein voreiliges und ungerechtes Urteil ist. Vor einem Jahr haben sie ihre Carta del Lavoro verkündet. Ich habe mit Befriedigung ihre Erklärung vermerkt, dass sie sich bemühen, allmählich und in zunehmendem Maße die Prinzipien der Charta der Arbeit durchzuführen, und dass schon substanzielle Fortschritte gemacht wurden.]
[The High Contracting Parties who concluded the Treaties of Peace in 1919 promised certain reforms to the workers of the world in accordance with certain recognised rights and principles. The Carta del Lavoro of Fascist Italy also promised a number of definite reforms to the workers of Italy. I have observed numerous similarities between these two important documents. I have, however, also observed one omission. The Carta del Lavoro does not explicitly mention the 8‑hour day. Although I may have felt some uneasiness on this point, the statement which the Head of the Government made some days ago clears up the matter. "We", he said, "were the first to establish legislation on the 8‑hour day, although wealthier countries, which are said to be democratic, are still discussing the matter." The similarity which exists between the Carta del Lavoro and the Treaty is no doubt what has enabled Italy to ratify a considerable number of Conventions. [...] At the recent World Population Conference we found ourselves, owing to our anxiety for international justice, in full agreement with the declarations of the Italian representatives. The Fascist Government, however, desires to go further. It does not merely wish to secure the benefit of just reforms for the workers, but as you yourself have put it, it desires to reorganise Italian society from its foundations. The Carta del Lavoro does not merely promise certain definite reforms, but also establishes certain rules and principles, and an attempt is being made to organise society on the basis of those principles. [...] On the other hand, I am sure you will agree with me that when the working classes of a community enjoy certain rights, when they are prosperous, and above all when the improvement in their position is parallel with an increase in production, the surest means of maintaining and promoting production is to show social justice towards the workers. I feel the utmost confidence in our collaboration on these lines [...] Italy and France, and indeed the Latin countries in general, have been accused of having great principles but not applying them completely. The more I see of the facts, the more sure I am that that is a hasty and unjust judgment. A year ago you promulgated your Carta del Lavoro. I noted with satisfaction your statement that you are gradually and progressively endeavouring to carry out the principles of your Labour Charter, and that substantial progress has already been made.]
[Industrial and Labour Information, Volume 26; International Labour Office, 1928.]
Und hier, was Thomas in seinem Reise-Tagebuch notiert:
Und wenn auch, auf faschistischer Seiten, es nicht angebracht ist, zu denken, dass man alles erfunden und alles geschaffen hat, es nicht angebracht ist, zu denken, dass man das Beispiel gegeben hat, da sich überall dieselben Phänomene äußern, so wäre es andrerseits dumm, aufgrund der politischen Umstände und der diktatorischen Methode die Tatsache zu leugnen, dass Italien für alle diese notwendigen Konstruktionen neue und systematischere Formeln als anderswo gegeben hat.
[http://www.cedias.org/pdf/guerin_thomas.pdf]
[12]. Karl Renner.
Nach dem Sturz der Monarchie in Österreich 1918 bildet Renner, der der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutsch‑Österreichs (SDAPDÖ) (ab Oktober 1933 Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutsch‑Österreichs, SDAPÖ) angehört, die erste Regierung der neu errichteten Republik; er ist ebenfalls Mitglied der konstituierenden Nationalversammlung. Er wird als einer der Vertreter des sogenannten "Austromarxismus" betrachtet. Als ab Januar 1934 das Regime die völlige Ausschaltung der Sozialdemokraten einleitet, nimmt die Führung der SDAPÖ, insbesondere Renner sowie Otto Bauer, eine Stellung stillschweigender Kapitulation ein. Dennoch bildet sich innerhalb der Partei eine linke Opposition heraus. Am 12. Februar reagieren diese Aktivisten angesichts einer Polizeioperation, bewaffnete Zusammenstöße entwickeln sich auf nationaler Ebene und dauern mehrere Tage an. Renner wird verhaftet und bleibt einige Monate im Gefängnis.
Am 12. März 1938 vollzieht das nationalsozialistische Regime Deutschlands die Annexion Österreichs. Am 10. April findet in dem besetzten Land eine mit einer Reichstagswahl einhergehende Volksabstimmung statt über folgenden Text: "Bist Du mit der am 13. März 1938 vollzogenen Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich einverstanden und stimmst Du für die Liste unseres Führers Adolf Hitler?" Eine Woche vorher, am 3. April, veröffentlicht die Zeitung Neues Wiener Tagblatt ein Interview, in dem Renner erklärt: "Obschon nicht mit jenen Methoden, zu denen ich mich bekenne, errungen, ist der Anschluss nunmehr doch vollzogen, ist geschichtliche Tatsache; und diese betrachte ich als wahrhafte Genugtuung für die Demütigungen von 1918 und 1919 [...] Als Sozialdemokrat und somit als Verfechter des Selbstbestimmungsrechtes der Nationen [...] werde ich mit “Ja” stimmen."
[Rolf Steininger: Streiflichter des 20. Jahrhunderts - Zeitungsartikel von 1986 bis 2011 - eine Auswahl; Innsbruck, Innsbruck Univ. Press, 2011, p. 149.]
[13]. Karl Renner: "Grundsätzliches zum Kampf der österreichischen Sozialdemokratie gegen den Faschismus", Die Gesellschaft, Berlin, Jg. 7 (1930/1), p. 130‑140.
Hier ein vollständigerer Auszug:
Allerdings erklären wir uns nicht als Tolstoianer oder Ghandisten, welche der Gewalt, wenn sie uns gegenübertritt, passiv als bloße Dulder begegnen. Aber die Gewalt ist uns ein bloßes Notmittel der Defensive geworden! Das Ergebnis dieser Haltung ist in theoretischer Würdigung: Der Klassenkampf ist kein absolutes schrankenloses Mittel mehr, er hat seine Schranken. [...] Alle unsere Argumentationen laufen auf den einen Gedanken hinaus: Der Bürgerkrieg zerstört unsere Wirtschaft, und zwar in einem solchen Maße, daß es am Ende gleichgültig ist, wer siegt und wer besiegt ist! Beide bleiben als Bettler zurück und kommen unter den heutigen weltwirtschaftlichen Verhältnissen nicht mehr hoch. [...] Die Ereignisse bestätigten eine große Wahrheit, deren Verkünder wir und nur wir gewesen waren: Bourgeoisie und Proletariat führen ihren Klassenkampf ‑ aber sie können ihn praktisch nur führen in dem Rahmen der Aufrechterhaltung eines höheren Ganzen! Geht dieses dabei in Trümmer, so ist aller Klassenkampf um seine möglichen Früchte betrogen. Dieses höhere Ganze ist die Wirtschaftsgemeinschaft eines Volkes! Es kann sich bei diesem Kampfe nur darum handeln, ob der eine oder der andere diese Wirtschaft beeinflusse, führe, beherrsche, der Kampf aber kann niemals so weit gehen, daß diese Wirtschaft selbst leide, verelende, zerbreche! Die absolute Negation des Ganzen macht den Kampf der Teile untereinander sinnlos! Daß die kämpfenden Teile immer noch bloße Glieder eines höheren Ganzen sind, macht den Klassenkampf eben zu dem dialektischen Begriff, der er immer im Sinne unserer Altmeister war, der jedoch von manchem scholastischen Schüler scholastisch ausgelegt wurde. These - Antithese - Synthese. Das Ganze ‑ in unserem Falle die Wirtschaft ‑ bleibt immer die höhere Synthese der Teile. Und so kam es, daß das Interesse des Ganzen gegen die Klassen, auch gegen uns selbst und unsere Traditionen, zu wahren das Amt der österreichischen Arbeiterklasse wurde. Sie ist es, die das allgemeine Interesse gerettet hat, indem sie, ohne die Bereitschaft zum Klassenkampf auch nur einen Augenblick zu vernachlässigen, über alle überlieferten Vorurteile hinweg die Notwendigkeit des inneren Friedens betont und durchgesetzt hat. Unsere Lage war gewiß einzigartig, sie wiederholt sich in genau derselben Weise wohl in keinem anderen Lande. Dennoch aber prägen sich diese neuen Erfahrungen so deutlich aus, daß ich zu dem Schlusse komme: Das Interesse der arbeitenden Klassen ist heute, beim Stande unserer wirtschaftlichen und politischen Entwicklung, fast immer identisch mit dem höchsten Allgemeininteresse! [...] Wir in Österreich sind nun einmal auf das Interesse des allgemeinen Bürgerfriedens und des Gesamtwirtschaftsinteresses eingeschworen und haben die Zuversicht, daß wir mit diesem Ziele den Kampf siegreich beenden werden.
[14]. John Frederick Charles Fuller.
Fuller ist ein britischer Offizier, der 1898 in das Heer eintrat. Er dient zunächst bei dem Burenkrieg in Südafrika. Während des Ersten Weltkrieges entwickelt er Angriffspläne, deren zentrales Element ein massiver und koordinierter Einsatz von Panzern und Flugzeugen ist. Nach dem Krieg dringt er auf die Schaffung eines völlig mechanisierten Heeres in Verbindung mit Luftwaffeneinheiten, aber seine Ideen bleiben unbeachtet. Er schreibt insbesondere ein Buch mit dem Titel "Über die zukünftige Kriegsführung". Daraus hier ein Auszug:
Meiner Ansicht nach wird letzten Endes der Zyklus des Artilleriekrieges oder mechanischen Krieges das in hohem Masse professionelle Heer wiedereinführen, und die Wehrpflicht wird in den Hintergrund treten, in der Form von Truppen zweiten Ranges; die Miliz wird das Land des Feindes besetzen, nachdem dessen mechanisierte Kräfte besiegt, zurückgedrängt oder vernichtet worden sind.
[Finally, in my opinion, the artillery, or mechanical, cycle of war will reintroduce the highly professional army and conscription will be relegated to the troops of the second line, the militia which will occupy the enemy's country after his mechanised forces have been defeated, driven back, or destroyed.]
[John Frederick Charles Fuller: On Future Warfare; Sifton, Praed & Company, Limited, 1928.]
[15]. Hans von Seeckt.
Von Seeckt, in Deutschland, ist zunächst von Oktober 1919 bis März 1920 Oberhaupt des Truppenamts, welches den Führungsstab des Oberhauptes der Heeresleitung darstellt, sodann von Juni 1920 bis Oktober 1926 Oberhaupt der Heeresleitung. Während der Jahre 1930‑1932 und dann 1934‑1935 übt er eine Rolle in China als Berater des Generals Chiang Kai-shek, des Führers des Guaomindang, aus. Bei seiner Rückkehr nach Deutschland wird er zum Kommandanten eines Infanterieregiments ernannt.
[16]. Die Organisation “Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten”.
Die Organisation Stahlhelm wird im Dezember 1918 von dem Reserveoffizier Franz Seldte in Magdeburg gegründet. Sie ist 1930 mit ungefähr 500 000 Mitgliedern der stärkste Wehrverband des Deutschen Reichs. Im Oktober 1931 bilden der Stahlhelm, die NSDAP und die DNVP die “Harzburger Front”. 1934 wird der Stahlhelm unter der Bezeichnung “NS-Frontkämpferbund” organisatorisch in die SA eingegliedert und 1935 wird diese Organisation aufgelöst.
[17]. Strzelec, oder Związek Strzelecki.
1815 schafft der Wiener Kongress, der nach dem Sturz Napoleons einen umfassenden Friedensvertrag für Europa schließt, das Königreich Polen (auch “Kongresspolen” genannt), welches aus ungefähr drei Vierteln der Gebiete des ehemaligen, 1807 gebildeten, Herzogtums Warschau besteht; der Kaiser von Russland ist in Personalunion auch König von Polen. Der Rest der polnischen Gebiete wird unter Russland, Österreich und Preußen aufgeteilt.
1892 wird in Paris die Polnische sozialistische Partei (Polska Partia Socjalistyczna, PPS) gegründet; Józef Piłsudski tritt ihr bei. 1905 bildet die PPS eine bewaffnete Miliz unter dem Namen “Kampforganisation der PPS” (“Organizacja Bojowa PPS”, OB‑PPS, oder Bojowka), die der Führung durch Piłsudski unterstellt ist. 1906 auf dem Parteitag von Wien der PPS führen interne Meinungsverschiedenheiten zu einer Spaltung, die in die Gründung der “PPS‑Revolutionäre Fraktion” (“Polska Partia Socjalistyczna-Frakcja Rewolucyjna”, PPS‑FR) mündet. Piłsudski, mit einem beträchtlichen Teil der Mitglieder der OB‑PPS, schließt sich der PPS‑FR an. 1908 beginnen diese Aktivisten, sich in dem seit 1772 dem österreichisch-ungarischen Reich angegliederten Galizien niederzulassen, wo die österreichische Reichsregierung ihnen erhebliche Autonomie gewährt. Kazimierz Sosnkowski, eng mit Piłsudski verbunden, bildet in Lwów (heute Lviv in der Ukraine) den “Union für den aktiven Kampf” (“Związek Walki Czynnej”, ZWC). Ab 1909 wird es möglich, auf legalem Wege Schützenvereine zu gründen, der ZWC bildet den “Schiessverein” (“Związek Strzelecki”) in Lwów und die “Gesellschaft 'Der Schütze'” (“Towarzystwo 'Strzelec'”, TS) in Kraków.
Neben der PPS ist eine der wichtigsten Parteien die Nationaldemokratie (Narodowa Demokracja, ND), gegründet 1897 durch Zygmunt Balicki, Jan Ludwik Poprawski und Roman Dmowski. Im mit dieser Partei verbundenen politischen Lager existiert seit 1867 die “Polnische Gesellschaft für Gymnastik 'Der Falke'” (“Polskie Towarzystwo Gimnastyne 'Sokół'”); letztere gründet in Lwów die “Feldstaffeln 'Die Falken'” (“Polowe Drużny 'Sokole'”). Im bäuerlichen Milieu existieren die “ Bartosz-Staffeln ” (“Drużyny Bartoszowe”), an sich unpolitisch, aber praktisch unter Einfluss der ND. Außerdem, unabhängig sowohl von der Koalition um Piłsudski als auch der ND, gründet die in Lwów organisierte Jugendorganisation “Glut” (“Zarzewie”) die “Polnischen Schützenstaffeln” (“Polski Drużyny Strzeleckie”).
Nach 1912 wird die ZWC umgestaltet in eine breitere paramilitärische Organisation, bekannt als “Schütze” (“Strzelec”). Diese an einen Rat gebunden, der politische Vertreter verschiedener linksgerichteter Gruppen, darunter Gruppen von Bauern und sozialistische Gruppen, umfasst. Die Befehlshaberrolle fällt Piłsudski zu. Nach der Schaffung des unabhängigen Polens wird der Strzelec neu aufgestellt als paramilitärische Jugendorganisation, die politisch mit dem Lager von Piłsudski verbunden ist.
[18]. Finnland und Russland.
Russland erobert Finnland während des Krieges 1808‑1809 gegen Schweden; Finnland nimmt dabei die Stellung eines autonomen Großherzogtums an. Am 7 März 1917 sichert die im Februar in Russland gebildete provisorische Regierung Finnland die Erhaltung seiner "inneren Unabhängigkeit" zu. Ein von Aktivisten, deren Ziel die Unabhängigkeit Finnlands gegenüber Russland ist, gebildetes Militärkomitee leitet die Errichtung von örtlichen Miliztruppen, genannt “Schutzkorps” (in Schwedisch “Skyddskär”), ein. Vertreter dieses Militärkomitees wenden sich an Deutschland, um Waffen zu erhalten. Das finnische Parlament, mit den Stimmen der Sozialisten und der Rechten, nimmt ein Ermächtigungsgesetz an, auf dessen Basis am 20 Juli die Unabhängigkeit Finnlands in allen Gebieten mit Ausnahme des Äußeren und der Verteidigungspolitik erklärt wird. Am 8. November erklären die Führer von russischen Sowjets in Helsinki den Belagerungszustand für Finnland. Am 10. trifft ein neuer, von der Sowjetmacht ernannter, Generalgouverneur ein, das finnische Parlament lehnt sein Mandat ab. Die finnischen Bolschewiken lösen mit Erfolg einen Generalstreik aus, um die Russische Revolution zu unterstützen, aber er endet am 20. November infolge eines Aufrufs in diesem Sinne durch die Sozialisten im Parlament. Es bestehen Differenzen zwischen letzteren und den bolschewistischen Roten Garden, deren Anzahl ungefähr 30.000 beträgt. Am 4. Dezember erklärt der Präsident (Procurator) des Senats Svinhufvud die Unabhängigkeit Finnlands, welche am 6. durch das Parlament bestätigt wird. Sie wird durch die Sowjetmacht anerkannt, dennoch bleiben ungefähr 40.000 sowjetische Soldaten im Land.
Am 12. Januar 1918 ermächtigt das Parlament den Senat, Kräfte zur Aufrechterhaltung der Ordnung zu schaffen; der Präsident Svinhufvud beauftragt Carl Gustaf Emil Mannerheim mit dieser Aufgabe. Am 24. fordert die finnische Regierung den Rückzug der sowjetischen Truppen. Zu diesem Zeitpunkt beträgt die Stärke der aus verschiedenen Korps zur Aufrechterhaltung der Ordnung bestehenden Truppe ungefähr 40.000 Personen; diese erlangen nun einen Status von bewaffneten Regierungstruppen. Am 27. lösen örtliche Zusammenstöße zwischen Schutzkorps und Roten Garden eine Situation von Bürgerkrieg aus. Am folgenden Tag besetzen Rote Garden das Regierungsviertel in Helsinki und rufen die Bildung einer revolutionären Regierung aus. Die konterrevolutionären Kräfte erhalten Unterstützung durch Deutschland, insbesondere mittels Entsendung von Truppen. Am 13. April kapituliert die revolutionäre Regierung. Was die Sozialdemokraten um Väinö Tanner betrifft, so stehen sie auf Seiten der Regierung von Svinhufvud.
1931 wird die Stärke des Schutzkorps auf 100.000 eingeschätzt, während das auf Wehrdienstpflicht ruhende Heer nur ungefähr 30.000 zählt.
[19]. “Heimwehr”, in Österreich.
In Österreich bezeichnet der Sammelbegriff “Heimwehr” (oder die Varianten Heimatschutz, Heimatwehr, Heimwehren) Einheiten von Freiwilligenmilizen, die ursprünglich nach dem 1. Weltkrieg gebildet, und dann auf verschiedenen regionalen Ebenen zusammengefasst wurden.
[20]. Faschistische Organisationen in Rumänien.
In Rumänien, im Kontext zwischen den beiden Weltkriegen, ist die wichtigste rein faschistische Organisation die “Liga der christlichen nationalen Verteidigung” (“Liga Apărării Naționale Creștine”), auch “Legion des Erzengels Michaels” genannt; 1927 gegründet, wird sie von Alexandru C. Cuza und Corneliu Zelea-Codreanu geführt. In der Folge wird sie “Eiserne Garde” genannt. Es gibt andere Organisationen gleicher Art. Der “Rumänische nationale Bund” (“Fascia Națională Română”) erscheint unter zwei aufeinanderfolgenden Versionen: zunächst die von Elena Bacaloglu 1923 gegründete, deren vorwiegender Teil nach einer Spaltung von geführt Titus Vifor wird; danach die Version des Colonel Stoica 1929, die kurzlebig ist, da Stoica prompt verhaftet wird.
1918 wird das Groß-Rumänien gebildet, in das die vormals Teil des österreichisch-ungarischen Reiches bildende Region von Transsylvanien* eingefügt wird. In Transsylvanien wird 1869 die “Rumänische nationale Partei” (“Partidul Naţional Român”) geschaffen; ab 1896 ist einer ihrer wichtigsten Führer Iuliu Maniu. Die dominierende Partei der Region ist die “Nationale liberale Partei” (“Partidul naţional liberal”). In der dem alten Königreich von Rumänien entsprechenden Region wird 1918 die Bauernpartei (Partidul Ţărănesc) gegründet, die von Ion Mihalache geführt ist.
1926 wird durch Zusammenschluss der Rumänischen nationalen Partei aus Transsylvanien, der Bauernpartei von Mihalache sowie den Bauernparteien von Bessarabien und Bukovina die Nationale Bauernpartei (Partidul Naţional Ţărănesc, Nationalzaranisten) gebildet. In ihrer Opposition gegenüber der Nationalen liberalen Partei stützt sich die Nationale Bauernpartei auf eine Jugendorganisation, Chemarea. Bei den Wahlen von Dezember 1928 erreicht diese Partei eine grosse Mehrheit, Maniu wird Ministerpräsident. Er führt eine Zusammenarbeit mit der Rumänischen sozialdemokratischen Partei (Partidul Social Democrat Român), welche Sitze im Parlament unter der Etiquette der Nationalzaranistischen Partei innehat, und deren Mitglieder wichtige Stellungen im Arbeitsministerium besetzen.
Im Juli 1929 werden 40 Mitglieder der Eisernen Garde verhaftet, unter Anklage, gegen die Regierung zu komplottieren. Im Ausgang des Prozesses werden 26 freigesprochen, die anderen zu leichten Strafen verurteilt. In diesem Kontext tendiert die Organisation Chemarea, sich in eine paramilitärische Organisation umzugestalten; ihr Kern ist unter der Bezeichnung “roate de voinici” (“Jugendeinheiten “voinic” bedeutet junger Mann der mutig, stark, tapfer, ist) bekannt. Maniu tritt im Oktober 1930 zurück (danach leitet er eine kurzlebige Regierung con Oktober 1932 bis Januar 1933).
1932 erhält die Eiserne Garde vier Sitze im Parlament. Sie unternimmt eine gewalttätige Kamapgne, bedeutende Mitglieder der Regierung und der Verwaltung werden getötet, im Dezember 1933 fällt ihnen der Ministerpräsident Ion Duca zum Opfer.
[21]. Lotta‑Svärd.
1917 beginnen Aktivisten, die die Unabhängigkeit Finnlands gegenüber Russland zum Ziel haben (cf. Fußnote 18 ►), bewaffnete Formationen zu gründen, die sich als Einheiten freiwilliger Feuerwehr ausgeben. Parallel dazu werden lokale Einheiten zur Aufrechterhaltung der Ordnung organisiert. Nach und nach wandeln sich diese verschiedenen Gruppen in Organisationen des Typus von lokalen Zivilgarden (Suojeluskunta). Dazu kommen Frauenvereine, die diese Gruppen unterstützen und dann während des Bürgerkrieges 1918 zu den Aktionen der Weißen Armee beitragen. Schließlich richten sie sich auf eine permanente Organisation aus. Der Name “Lotta‑Svärd” erscheint zunächst Anfang 1919 und wird dann 1921 offiziell angenommen. Er ist durch eine Sammlung von Gedichten von J. L. Runeberg inspiriert, die im Kontext des Krieges mit Russland von 1808‑1809 eingeordnet sind; zu den Figuren gehört eine Frau namens Lotta Svärd (und das schwedische Wort svärd bedeutet übrigens Schwert). Grundsätzlich sind die Lotta‑Svärd waffenlos, nichtsdestoweniger ist dies keine strikte Regel. Die von den Lotta‑Svärd umfasste Palette politischer Orientierungen erstreckt sich vom Zentrum zur Rechten. 1930 sind die Mitglieder dazu aufgerufen, für die "antikommunistischen Kräfte" zu stimmen. Während des Krieges gegen die UdSSR ab 1940 nehmen die Lotta‑Svärd neuerlich die Rolle als Hilfskraft der Armee ein. In diesem Rahmen treten sie ebenfalls in Verbindung mit der Finnischen sozialdemokratischen Partei (Suomen Sosialidemokraattinen Puolue, SSP).
[22]. Liga für Luftverteidigung und Gasschutz, in Polen.
1922 wird die “Liga für die Luftverteidigung des Staates” (“Liga Obrony Powietrznej Państwa”, LOPP) gegründet, die 1928 auf “Liga für Luftverteidigung und Gasschutz” (“Liga Obrony Powietrznej i Przeciwgazowej”) umbenannt wird. Die LOPP zielt darauf ab, die Jugend der Schulen und die Arbeiterjugend anzuwerben, mittels Aktivitäten an Sonntagen und in der abendlichen Freizeit: Unterricht, Konferenzen, Plakate, Zeitungsartikel, Filmvorführungen, Herausgabe und Verteilung von Publikationen, Wanderausstellungen, etc., all dies zum Thema der Verteidigung der Zivilbevölkerung. Insbesondere, in der Schule, werden die Schüler militärisch betreut hinsichtlich der Handhabung von Gasmasken und Tragbahren.
[23]. British Legion.
1921 wird in Großbritannien durch Zusammenschluss mehrerer während des 1. Weltkrieges gebildeter Organisationen ehemaliger Frontkämpfer [ex-servicemen] die “Britische Legion” (“British Legion”) gegründet. 1971 wird das Präfix “Royal” an den Namen hinzugefügt.
Wenn auch keine Veranlassung besteht, ein allgemeines Urteil über die politische Orientierung der Mitglieder der Britischen Legion zu fällen, kann man deutliche Anzeichen von Neigungen zur faschistischen Rechten feststellen, ebenso in den Ursprüngen der Organisation wie in ihren späteren Aktivitäten. Unter den Gründermitgliedern befindet sich Graham Seton Hutchinson. Dieser unternimmt in der Folge Aktivitäten faschistischer Tendenz, indem er zunächst 1931 versucht, sich an der durch Oswald Mosley geführten Britischen Union der Faschisten (British Union of Fascists) zu beteiligen, dann 1933 die Faschistische Partei des Britischen Empire (British Empire Fascist Party) gründet, sowie eine andere, National Workers Movement (dann National Socialist Workers Party und danach National Workers Party) (Nationale Arbeiterbewegung / Nationalsozialistische Arbeiterpartei / Nationale Arbeiterpartei) genannte Gruppe. Ein anders Beispiel: Charles Bentinck-Budd, der 1926 in der Stadt seines Wohnsitzes zum Vizepräsidenten des lokalen Zweiges der Britischen Legion gewählt wird; 1933 kündet er seinen Eintritt in die Britische Union der Faschisten an.
Im Juli 1935 begibt sich eine Delegation der Britischen Legion unter Führung ihres Präsidenten Francis Fetherston-Godley nach Deutschland. Das Programm schließt einen Besuch des Konzentrationslagers von Dachau ein. Auszug aus dem von der Delegation bei ihrer Rückkehr in Großbritannien gemachten Bericht:
[Die Besucher verließen das] "Lager mit einem Gefühl von Bedrückung, das teils durch den Gedanken der vollen Bedeutung der Isolationshaft in einer dunklen Zelle verursacht war, aber vielleicht mehr durch den Einblick in die niederen Typen der Menschheit, die die Inspektion der Insassen bot"; "bei der Betrachtung der Umstände in einem deutschen Konzentrationslager wird es notwendig sein, die Tatsache nicht außer Acht zu lassen, dass das Land sich noch im Zustand von Revolution befindet und dass die subversiven Kräfte keineswegs inaktiv sind."
[They left the] "camp with a feeling of depression, caused in part by the thought of the full meaning of solitary confinement in a dark cell, but perhaps more by the glimpse into the low types of humanity which an inspection of the inmates afforded"; "in considering the conditions in a German concentration camp it will be necessary not to lose sight of the fact that the country is still in a state of revolution and that the subversive forces are by no means quiescent".
[https://research-repository.st-andrews.ac.uk/bitstream/10023/7101/3/NialJABarrPhDThesis.pdf, p. 228]
Im August 1938 unternimmt der Präsident der British Legion für Schottland, Ian Hamilton, einen Besuch in Deutschland, und wird von Adolf Hitler empfangen. Hier einige Sätze, die den Kommentaren die er der Presse bei seiner Rückkehr in Großbritannien macht, entnommen sind (zitiert nach den damaligen Zeitungsartikeln):
"Die größte Kriegsgefahr liegt in den derzeitigen Grenzen Deutschlands." [...] "Ich habe den Eindruck bekommen, dass Deutschland nicht ewig tolerieren wird, provoziert zu werden." [...] "Die Deutschen sind viel aktiver im Interesse des Friedens als die Briten, und glauben fest, dass Hitler sie aus dem Krieg heraushalten kann." [...] "Ich bin sicher, dass der Führer mit Grauen erfüllt ist bei der Idee eines europäischen Krieges, aber es gibt eine Grenze für die Geduld einer großen Nation."
["The greatest danger of war lies on the actual frontiers of Germany." [...] "I got the impression that Germany will not indefinitely tolerate being provoked." [...]"The Germans are much more active in the interests of peace than the Britons and firmly believe that Hitler can keep them out of war." [...] "I am sure the Fuehrer is horrified at the idea of a European war, but there is a limit to the patience of a great nation."]
[24]. Fiume (Rijeka).
1915 hatte der Vertrag von London den Hafen von Fiume (Rijeka auf Kroatisch) und sein Hinterland nicht Italien zugesprochen. Der Zerfall des österreichisch-ungarischen Reiches am Ende des 1. Weltkrieges veranlasst Italien, seine Gebietsforderungen über die Ostküste der Adria erneut vorzubringen.
Nach der Unterzeichnung des Waffenstillstandes von Villa Giusti (Padua), am 3. November 1918, besetzen die italienischen Truppen eine Anzahl von Häfen der Adriaküste, darunter den von Fiume, wo ein italienisches Nationalkomitee den Anschluss an Italien verlangt. In Reaktion darauf wird die Stadt erneut unter Kontrolle durch die Alliierten Siegermächte gebracht. Auf der Friedenskonferenz, die im Jänner 1919 in Paris eröffnet wird, setzen die Alliierten den Entschluss durch, dass Dalmatien dem zukünftigen jugoslawischen Staat angeschlossen wird, unter Schaffung eines Freistaats für Fiume und sein Hinterland. Einige italienische Offiziere, die dieses Ergebnis ablehnen, beschließen, sich an den nationalistischen Dichter Gabriele d'Annunzio zu wenden, der sich an die Spitze von ungefähr 2000 Freiwilligen stellt, sich am 12. November 1919 der Stadt bemächtigt und sie als an das Königreich Italien angeschlossen erklärt. Im November 1920 wird der Vertrag von Rapallo zwischen Italien und dem im Dezember 1918 gegründeten Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen unterzeichnet, der die Gebietsstreitigkeiten zwischen beiden Staaten regelt. Daraufhin bemächtigen sich die italienischen Kräfte der Stadt, dann setzen im März 1922 die Faschisten die von den Autonomisten dominierte lokale Regierung ab, und im März 1924 wird Fiume an Italien angeschlossen. 1947 mit dem Vertrag von Paris wird die Stadt Fiume, die ihren kroatischen Namen Rijeka wieder annimt, Jugoslavien zugesprochen.
[25]. Gustav Noske.
1884 tritt Noske der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD) bei, die 1890 den Namen Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) annimmt. Von 1906 bis 1918 ist er Abgeordneter für die SPD. 1914 veröffentlicht er ein Buch "Kolonialpolitik und Sozialdemokratie", das die Kolonialpolitik Deutschlands positiv beurteilt. Während des 1. Weltkrieges unterstützt er die Position der Vaterlandsverteidigung. Im Dezember 1918 wird er Mitglied des Rates der Volksbeauftragten, der die Funktion einer provisorischen Regierung ausübt. Im Januar 1919 führt er die mit Hilfe der Freikorps durchgesetzte Niederwerfung des Versuchs eines revolutionären Aufstandes an. Im Februar wird er zum Verteidigungsminister [Reichswehrminister] ernannt und führt die Neuschaffung der Streitkräfte durch. Im März 1920, zum Zeitpunkt des Lüttwitz-Kapp-Putsches, wird er unter Druck der kämpfenden Arbeiter gezwungen, zurückzutreten. Von 1920 bis 1933 hat er den Posten des Oberpräsidenten der Provinz Hannover inne.
[26]. Wolfgang Kapp.
Der Artikel 160 des Vertrags von Versailles schreibt die Reduzierung des deutschen Heeres auf 100.000 Berufssoldaten vor, sowie die Auflösung der aus Freiwilligen zusammengesetzten Freikorps. Um diese Beschränkungen zu erreichen, werden ab Sommer 1919 ungefähr 200.000 Soldaten der Freikorps demobilisiert. Insbesondere muss auf Befehl der Alliierten Siegermächte die von Hermann Ehrhardt kommandierte Marine‑Brigade Ehrhardt aufgelöst werden. Der General höchsten Grades des Heeres (zu dieser Zeit Vorläufige Reichswehr genannt), Walther von Lüttwitz, weigert sich, diese Bestimmung auszuführen. Am 13. März 1920 besetzt er an der Spitze der Marine-Brigade Ehrhardt, die seinem Kommando untersteht, das Regierungsviertel in Berlin und ernennt Wolfgang Kapp, einen Beamten der preußischen Verwaltung, zum Kanzler. Jedoch reagieren die Arbeiter mit einem Generalstreik und bewaffnetem Widerstand, sodass vier Tage später der Putsch zum Scheitern gebracht wird.
[27]. Polen, Streikbewegungen 1923
Ab Juli 1923 entwickeln sich in Polen eine Reihe von Streikbewegungen, der Textilarbeiter, Bergleute, Staats- und Gemeindebediensteten, Eisenbahner, Postangestellten erschüttert. Gegen Ende Oktober eine Lage des Generalstreiks ein. Die Kommunisten beteiligen sich aktive, jedoch übt die Polnische sozialistische Partei (Polska Partia socjalistyczna, PPS) eine vorwiegende Rolle aus. Unter dem Einfluss der kommunistischen Agitation gehen die Kämpfe manchmal in bewaffnete Zusammenstösse und Kämpfe mit der Polizei und dem Militär über, insbesondere in Kraków (Krakau), Tarnów, Borysław (heute Borislaw in der Ukraine), Lwów (Lemberg, heute Lwiw in der Ukraine). In Kraków entwaffnen die Streikenden das gegen sie entsandte Militär, sie beherrschen einige Tage lang die Stadt. Jedoch verständigt sich die PPS-Führung letzten Endes mit der Regierung und erreicht die Beendigung der Bewegung.
[28]. Österreich, Wien, Juli 1927.
Am 30. Januar 1927, in Schattendorf, einem Ort des Bundeslandes Burgenland, eröffnet eine Gruppe monarchistischer Kriegsveteranen das Feuer auf einen Zug des Republikanischen Schutzbundes, (eine proletarische bewaffnete Organisation, die 1923 gegründet wurde und mit der Sozialdemokratie verbunden ist). Der Angriff hat zwei Tote zur Folge, davon ein Kind. Der Fall wird am 14. Juli in Wien vor Gericht behandelt, die Täter werden freigesprochen, ungeachtet dessen, dass sie die Tatsachen nicht leugnen. Am 15. bricht ein spontaner Generalstreik aus und führt zu Zusammenstößen in der Umgebung des Justizpalastes. Die Polizei macht von Feuerwaffen Gebrauch, die Schiessereien setzen sich am nächsten Tag noch fort. Der Schutzbund reagiert zunächst nicht; später greift er ein, aber unbewaffnet und in der Absicht, das Vorgehen der Demonstranten zu entschärfen; schließlich, den mörderischen Angriffen der Polizei ausgesetzt, zieht er sich zurück. Insgesamt werden 86 Tote unter der Bevölkerung gezählt, sowie 4 Polizisten; mehr als 1000 Verletzte werden ins Spital eingeliefert. In der Nacht vom 15. auf den 16. Juli verbreitet die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) eine Sonderausgabe ihres Organs Die Rote Fahne, wo die von der Partei formulierten Forderungen vorgebracht werden: Auflösung und Entwaffnung aller faschistischen Organisationen, Säuberung des Staatsapparates (Polizei, Heer, Gendarmerie) von reaktionären Elementen, Bewaffnung der Arbeiterschaft. Am Nachmittag des 15. Juli entschließen sich die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutsch-Österreichs (SDAPDÖ) und die Gewerkschaftsführer dazu, zu einem 24‑stündigen Generalstreik sowie zu einem unbeschränkten Streik der Verkehrsmittel und des Post-, Telegraphen- und Telefondienstes aufzurufen, wobei sie an die Regierung eine Reihe von Forderungen richten: Ende der Repressalien, Anklage gegen die für das Gemetzel Verantwortlichen, Einberufung des Parlaments. Der Bundeskanzler Ignaz Seipel weist die Forderungen zurück und, um sich über die Delegation lustig zu machen, bemerkt er in Hinsicht auf eine Abhaltung einer Parlamentssitzung: da "müssen Sie, meine Herren, erst dafür sorgen, daß die Bahn wieder fährt, sonst können ja die Abgeordneten nicht nach Wien fahren." Die Sozialdemokraten heben tatsächlich die Anweisung zum Verkehrsbetriebsstreik auf.
Am 16. Juli schreibt das Mitteilungsblatt der Sozialdemokratie: "Je vollständiger die Genossen die Parole, heute zu Hause zu bleiben und nicht auf die Straße zu gehen, befolgen, desto wirksamer wird die Bereitschaft des Schutzbundes sein, im Falle der Notwendigkeit einzugreifen."
Und am 7. August schreibt die Arbeiter‑Zeitung: "Wir sind nicht im Kampf besiegt, wir sind vielmehr dem Kampf ausgewichen."
[Zitate nach Historische Kommission beim ZK der KPÖ: Geschichte der Kommunistischen Partei Österreichs, 1918-1955: Kurzer Abriss; Wien, Globus Verlag, 1977; S. 103‑104.]
[29]. Guomindang oder Kuomintang ("Nationalistische Partei").
Im Laufe des Jahres 1911 greift die 1905 durch Sun Yat‑sen gegründete Revolutionäre Allianz (Zhongguo geming Tongmenghui, d. h. Vereinigte revolutionäre Liga Chinas, kurz Tongmenghui) aktif in die Entfaltung der Agitation ein, die sich gegen das kaiserliche Regime richtet und zu dessen Zusammensturz führt. Am 29. Dezember wählen Vertreter der verschiedenen Provinzen Sun Yat‑sen als Präsidenten der Republik. Im Februar 1912 gelingt es Yuan Shikai, der vom Kaiserhof beauftragt ist, die Revolten zu unterdrücken, den jungen Kaiser Puyi zur Abdankung zu bewegen; eine in Nanjing (Nanking) stattfindende Versammlung ernennt Yuan Shikai zum Präsidenten der Republik. Die Tongmenghui gestaltet sich zur Guomindang um, die als Programm die “Drei Prinzipien des Volkes” formuliert: Nationalismus, Volksrecht, Volkswohl *. Jedoch bewirken 1913 Aufstände die Auflösung der Guomindang durch das Regime. 1914 bemächtigt sich Japan der deutschen Konzessionen in China (Qingdao, in der Provinz Shandong) und zwingt China 1915 sein Protektorat auf. Yuan Shikai stirbt 1916, für China beginnt eine lange Periode von Kämpfen zwischen den republikanischen Oberhäuptern und den Generalen. Im nördlichen China stehen sich die Dujun ("Kriegsherren") als Rivalen in bewaffneten Konflikten, die bis 1927 andauern, gegenüber: Zhang Zuolin, Gouverneur der Mandschurei, Cao Kun, Gouverneur der Provinz Zhili (heute ungefähr Hebei entsprechend), usw.
1921 wird in Shanghai die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) gegründet, die im darauffolgenden Jahr sich der Kommunistischen Internationale anschließt. 1922 wird Sun Yat‑sen in Guangzhou (Kanton) zum Präsidenten der Republik ernannt. Er setzt sich das Ziel, angesichts der zwei feindlichen Faktionen, deren eine von Japan, die andere von Großbritannien unterstützt wird, das ganze südliche China wiederzuerobern und Beijing (Peking) einzunehmen. Ab 1923‑1924 erhält er die Unterstützung durch die UdSSR, und die Guaomindang akzeptiert das Prinzip der Einheitsfront, das die Eingliederung der Kommunisten in die Guaomindang mit sich bringt. Nach dem Tode Sun Yat‑sens 1925 findet eine Spaltung innerhalb der Guaomindang statt zwischen einerseits einer Fraktion um Wang Jingwei und Song Qingling (Witwe Sun Yat‑Sens) und andrerseits der von Jiang Jieshi (Chiang Kai‑shek) geführten. 1926 gewinnt Jiang Jieshi die Oberhand und schließt die Kommunisten aus den führenden Organen aus. Er organisiert eine “Nordexpedition” mit dem Ziel, die von verschieden Gouverneuren beherrschten Provinzen zurückzugewinnen. Am 12. April 1927 wird eine von der KPCh angetriebene Erhebung der Arbeiter von Shanghai durch die Armee Jiang Jieshis unterdrückt, das Massaker verursacht Tausende Opfer. Nanjing wird Sitz der Regierung der Guomintang unter Jiang Jieshi. Die Kommunisten verlieren ihre städtischen Basen, Mao Zedong, Zhou Enlai und Zhu De bilden eine Volksbefreiungsarmee, die sich in den Bergen der Provinz Hunan und später Jiangxi sammelt. 1928 marschiert Jiang Jieshi nach Norden und zieht im Juni in Beijing ein, das zur Hauptstadt bestimmt wird.
* “Drei Prinzipien des Volkes” (chinesisch “Sanmin zhuyi”, “min” bedeutet Volk, Bürger): Nation (minzu), Demokratie (minquan), Wohlfahrt (minsheng).
[30]. Vertrag von Versailles.
Um den Friedenszustand mit Deutschland wiederherzustellen, versammeln sich die siebundzwanzig Alliierten oder Beteiligten Siegermächte (tatsächlich zweiunddreißig, insofern Großbritannien im Namen Kanadas, Australiens, Südafrikas, Neuseelands und Indiens spricht) zur Friedenskonferenz in Paris, vom 18. Januar 1919 bis zum 10. August 1920; bei diesen Verhandlungen werden unter anderem die vier Nebenverträge von Saint-Germain-en-Laye, Trianon, Neuilly-sur-Seine und Sèvres ausgearbeitet.
In der Praxis werden die Arbeiten dominiert durch ein Direktorium mit vier Mitgliedern: Georges Clemenceau für Frankreich, David Lloyd George für Großbritannien, Vittorio Emanuele Orlando für Italien, Thomas Woodrow Wilson für die USA. Der Pakt des Völkerbundes wird in den Text des Friedensvertrags in der Form einer Präambel integriert.
Die hauptsächlichen Gebietsklauseln betreffen die Rückgabe Elsass-Lothringens an Frankreich, die Verwaltung des Saargebiets vorerst durch den Völkerbund auf Dauer von fünfzehn Jahren und dann die Organisierung einer Volksabstimmung, sowie die Organisierung einer anderen von Deutschland und Polen geforderten Volksabstimmung in Schleswig und in Schlesien. Toruń (vormalig Thorn) wird an Polen abgetreten; Dantzig (heute Gdansk) wird eine unter Kontrolle des Völkerbundes verwaltete Freistadt, und der “Korridor” von Dantzig, der diesem Staat einen Zugang zum Meer sichert, isoliert so Ostpreußen von den anderen Gebieten Deutschlands. Die Sudetendeutschen werden in die Tschechoslowakei integriert. Auch verzichtet Deutschland auf alle seine Kolonien, und zwar zugunsten der Alliierten Mächte, wobei der Völkerbund beauftragt wird, gewissen dieser Mächte ein Mandat zu erteilen.
Nach Abschaffung des Wehrdienstes wird das Deutsche Heer auf 100.000 Mann (gegen 400.000 Anfang 1919) reduziert, und die Marine auf 15.000. Die Herstellung neuen Kriegsmaterials (Unterseeboote, Schwergeschütze und Panzer) wird verboten, die Kriegsflotte wird beschlagnahmt und die Festungsbauten müssen unter Kontrolle der Reparationskommission zerstört werden. Als Übergangsmaßnahme muss Deutschland 20 Milliarden Goldmark zahlen, bis dann die Reparationskommission den Betrag der zur Deckung der Kriegsschäden bestimmten Reparationen festsetzt.
Um die Durchführung der Vertragsklauseln zu garantieren, sollen das linke Rheinufer sowie drei Brückenköpfe am rechten Ufer (höchstens) fünfzehn Jahre lang durch die Alliierten Mächte besetzt bleiben, das Rheinland wird entmilitarisiert, und Deutschland muss seine Verantwortung bezüglich der durch den Krieg verursachten Schäden anerkennen.
[31]. Plan Young.
Am 31. Mai 1929 nimmt eine in Paris versammelter interalliierter Ausschuss einen Plan für die Neustaffelung auf 59 Jahre (bis 1988) des Restbetrages der seitens Deutschlands nach den Bestimmungen des Vertrags von Versailles fälligen Kriegsreparationen. Er wird Youngplan genannt, nach einem der Kommissionsmitglieder, Owen Young (Vorsitzender des Aufsichtsrates von General Electric). Er löst den 1924 angenommenen Dawesplan ab. Jedoch lehnen die USA bezüglich der Schulden seitens der Alliierten ihnen gegenüber es ab, dass deren Rückzahlung mit der Frage der deutschen Reparationen verbunden werde. Eine erneute vom 16. Juni bis zum 9. Juli 1932 in Lausanne abgehaltene Konferenz vermindert den Betrag der Reparationen und bewilligt ein Moratorium von drei Jahren. Letzten Endes werden die Konten erst 2010 durch die Deutsche Bundesrepublik endgültig saldiert.
[32]. Otto Wels, Parteitag der SPD Mai 1929, Eröffnungsrede (Auszug):
Es ist nicht zu leugnen, daß das parlamentarische Regime eine schwierige Zeit durchmacht. In großen Ländern ist es durch ein System der Diktatur ersetzt, sei es die faschistische oder die bolschewistische. Da gilt es für uns in Deutschland, ganz besonders verantwortungsbewußt zu handeln. (...) Nein, es ist unsre Aufgabe, die Demokratie zu stärken und die Republik zu schützen. Gelänge es den Feinden der Republik, der Demokratie in Deutschland so schweren Schaden zuzufügen, daß einmal kein anderer Ausweg bliebe als Diktatur dann, Parteigenossen, sollen Stahlhelm, sollen Nationalsozialisten, sollen ihre kommunistischen Brüder von Moskau das eine wissen: die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften als die Vertreter der großen Masse des deutschen Volkes, festgefügt in ihren Organisationen, in verantwortungsbewußtem Handeln und in unzerbrechlicher Disziplin, würden auch trotz ihrer demokratischen Grundeinstellung die Diktatur zu handhaben wissen. Das Recht auf Diktatur fiele ihnen allein zu, niemand anderm, und bei ihnen wäre allein auch die Garantie für eine Rückkehr zur Demokratie nach Überwindung von Schwierigkeiten, die wir nicht wünschen, gegeben.
[Sozialdemokratischer Parteitag Magdeburg 1929, vom 26. bis 31. Mai, Protokoll; Berlin, J.H.W. Dietz Nachf., 1929; S. 14.]
[33]. Theobald von Bethmann-Hollweg.
In Deutschland, am 24. Juni 1907, wird Bethmann-Hollweg zum Staatssekretär des Reichsamts des Innern und auch zum Vizepräsidenten des Staatsministeriums von Preußen ernannt. Am 7. Juli 1909 löst er Bernhard von Bülow als Reichskanzler, Außenminister und preußischer Ministerpräsident ab. Am 13. Juli 1917 wird er seiner Funktionen enthoben.
Am 28. Juli 1914 erklärt Österreich-Ungarn Serbien den Krieg und fällt unverzüglich in dieses Land ein. Am 1. August erklärt Deutschland Russland den Krieg. Am selben Tag ordnet der französische Präsident, Raymond Poincaré, die Generalmobilmachung an. Am 2. August fällt Deutschland ohne Ankündigung in Luxemburg ein und fordert Belgien ultimativ auf, deutsche Truppen durch sein Gebiet marschieren zu lassen; am 3. erklärt Deutschland Frankreich den Krieg; am 4. marschieren deutsche Truppen in Belgien ein, unter Missachtung der internationalen Abkommen die seit 1831 die Neutralität dieses Landes garantieren. Noch am selben Tag erklärt Großbritannien seinerseits Deutschland den Krieg.
Es ist an diesem 4. August, dass Bethmann-Hollweg im Reichstag über die Kriegslage spricht und den Ausdruck "Not kennt kein Gebot" verwendet:
Meine Herren, wir sind jetzt in der Notwehr; und Not kennt kein Gebot! Unsere Truppen haben Luxemburg besetzt, vielleicht schon belgisches Gebiet betreten. Meine Herren, das widerspricht den Geboten des Völkerrechts. Die französische Regierung hat zwar in Brüssel erklärt, die Neutralität Belgiens respektieren zu wollen, solange der Gegner sie respektiere. Wir wußten aber, daß Frankreich zum Einfall bereit stand. Frankreich konnte warten, wir aber nicht! Ein französischer Einfall in unsere Flanke am unteren Rhein hätte verhängnisvoll werden können. So waren wir gezwungen, uns über den berechtigten Protest der luxemburgischen und der belgischen Regierung hinwegzusetzen. Das Unrecht ‑ ich spreche offen ‑, das Unrecht, das wir damit tun, werden wir wieder gutzumachen suchen, sobald unser militärisches Ziel erreicht ist. Wer so bedroht ist wie wir und um sein Höchstes kämpft, der darf nur daran denken, wie er sich durchhaut!
[Verhandlungen des Reichstags, Band 306; Druck und Verlag der Norddeutschen Buchdruckerei und Verlags-Anstalt; 1916.]
[34]. Deutschland, Brüning, Notverordnungen 1930.
In Deutschland ist Heinrich Brüning (Zentrumspartei) Reichskanzler vom 31. März 1930 bis zum 1. Juni 1932. In seiner Regierungserklärung im Reichstag am 1. April 1930 stellt er klar: "Das neue Reichskabinett ist entsprechend dem mir vom Herrn Reichspräsidenten erteilten Auftrag an keine Koalition gebunden." Was die Sozialversicherungen betrifft, nimmt er eine Reihe einschränkender Maßnahmen vor, welche die Lage der Arbeitslosen verschlechtern. Die Verordnung zur Behebung personeller, wirtschaftlicher und sozialer Notstände vom 26. Juli 1930 enthält diesen Bereich betreffende Bestimmungen. In der Folge finden im Reichstag diese Verordnung betreffende Diskussion statt, insbesondere am 18.‑19. Oktober. Es wird mit den Stimmen namentlich der SPD beschlossen, die Untersuchung der Frage einem Ausschuss anzuvertrauen. Die KPD unterbreitet einen Misstrauensantrag gegen die Regierung, und andere unterschiedliche Misstrauensanträge werden vorgelegt, darunter einer durch die NSDAP. Es wird mit 317 Stimmen ‑ darunter SPD, Zentrum, DVP ‑ gegen 234 beschlossen, alle Misstrauensanträge insgesamt zu ignorieren und auf die Tagesordnung überzugehen.
Die SPD‑Fraktion im Reichstag stellt ihre Position in einem Beschluss vom 18. Oktober klar, wovon hier ein Auszug:
Die von der Regierung Brüning nach der Auflösung des Reichstages erlassenen Notverordnungen enthalten nicht nur einige sozialpolitische Verschlechterungen [...]; es befinden sich auch darin die Steuerzuschläge auf Einkommen über 8000 Mark und außerdem der gesamte Haushalt für das laufende Rechnungsjahr. Die vorbehaltlose und sofortige Aufhebung der Notverordnungen würde also einen Zusammenbruch der gesamten öffentlichen Finanzwirtschaft zur Folge haben. [...] Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion handelt also im Interesse der Arbeiterklasse, wenn sie die sofortige Aufhebung der Notverordnungen ablehnt und der Überweisung an einen Ausschuss zustimmte. In diesem wird sie den Kampf um die Beseitigung der arbeiterfeindlichen Bestimmungen der Notverordnung führen [...]. Die Sozialdemokratie [...]. Sie steht auch jetzt in entschiedenster Gegnerschaft gegen diese Regierung. Trotzdem hat sie keinen Misstrauensantrag gegen das Kabinett eingebracht, sie hat auch die von den Nationalsozialisten, Kommunisten und anderen Parteigruppen eingebrachten Misstrauensanträge abgelehnt. [...] Diese taktische Stellung der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion besagt nichts anderes, als dass sie selbst den Zeitpunkt bestimmen wird, an dem sie zum Angriff gegen das Kabinett Brüning vorgeht. Eine solche Taktik ist in Ländern mit gefestigter parlamentarisch-demokratischer Verfassung eine Selbstverständlichkeit.
Am 1. Dezember wird die Verordnung des Präsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen erlassen, die neuerlich unter anderem die Sozialversicherungen betrifft. Am 6. Dezember unterbreiten KPD, NSDAP und DNVP getrennt im Reichstag Anträge, die die Aufhebung der Verordnung verlangen. Die Anträge werden mit 292 Stimmen ‑ darunter SPD, Zentrum, DVP ‑ gegen 254 ‑ darunter KPD, NSDAP, DNVP ‑ abgelehnt. KPD, DNVP, WP unterbreiten getrennt Misstrauensanträge gegen die Regierung. Sie werden mit 291 Stimmen ‑ darunter SPD, Zentrum, DVP ‑ gegen 255 ‑ darunter KPD, NSDAP, DNVP ‑ abgelehnt.
[35]. Deutschland, Weimarer Verfassung, Artikel 48.
Am 6. Februar 1919 kommt in der Stadt Weimar eine verfassungsgebende Versammlung zusammen. Die neue Verfassung legt für Deutschland einen als Bundesrepublik definierten institutionellen Rahmen fest. Die gesetzgebende Versammlung (Reichstag) wird für eine Periode von vier Jahren gewählt. Der Präsident wird durch allgemeines Wahlrecht für eine Periode von sieben Jahren gewählt und verfügt über weite Vorrechte. Er kann den Reichstag auflösen, und der Artikel 48 der Verfassung gibt ihm das Recht, im Falle einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit den Ausnahmezustand zu verhängen und Notverordnungen zu erlassen, die Gesetzescharakter haben.
[36]. In der französischsprachigen Veröffentlichung des Berichts: "à l'esprit sénile", das heißt "altersschwachsinnig".
[37]. Ruggero Grieco (pseudonyme: Garlandi).
In Italien, 1912, tritt Grieco der Italienischen sozialistischen Partei (Partito socialista italiano, PSI) bei. Anfang 1919 schließt er sich der abstentionistischen Fraktion Amadeo Bordigas an, und in deren Namen wird er im Februar 1920 Mitglied des Sekretariats der Partei. Er ist es, der die Erklärung verfasst, welche Bordiga am 21. Januar 1921 vorliest, als die kommunistische Fraktion die Arbeiten des 17. Parteitages verlässt und einen anderen Parteitag einberuft, um die Kommunistische Partei Italiens (Partito comunista d'Italia, KPI) zu gründen. Grieco wird ins Zentralkomitee der neuen Partei gewählt. Er befindet sich unter denen, die es daraufhin ablehnen, der Stellungnahme des 4. Kongresses der Kommunistischen Internationale zu folgen, welche anweist, die Verschmelzung der KPI mit der PSI vorzunehmen, und er tritt vom Zentralkomitee zurück. Jedoch wird er am 3. Parteitag der KPI im Januar 1926 in Lyon ins Zentralkomitee wiedergewählt. Am Ende des Jahres flüchtet er nach der Schweiz, dann nach Paris. Am 17. Oktober 1927 wird er in Italien in Abwesenheit zu 17 Jahren und 6 Monaten Haft verurteilt. Im Juli 1928 nimmt er am 6. Kongress der KI teil. Zwischen April 1929 und August 1930 leitet er das südamerikanische Sekretariat der KI. Er kommt nach Paris zurück, und Ende 1934, nach der Abreise Palmiro Togliattis nach Moskau, übernimmt er die Führung der Partei. 1935 nimmt er am 7. Kongress der KI teil und wird Mitglied des Exekutivkomitees der KI. 1940 verlässt er Paris, um sich in Moskau niederzulassen.
[38]. Palmiro Togliatti (pseudonym: Ercoli).
[39]. Giacomo Matteotti.
Matteotti ist Generalsekretär der Italienischen sozialistischen Partei (Partito socialista italiano, PSI) ab 1922. Die in Italien an der Macht stehende führende faschistische Gruppe, die Benito Mussolini, seinen Bruder Arnaldo und gewisse Persönlichkeiten in hohen Stellungen umfasst, ist während der Jahre 1921‑1924 in mehrere Korruptionsaffären verwickelt. Bei der Kampagne für die Parlamentswahlen im Frühjahr 1924 stellt sich Matteoti den faschistischen Milizen (Squadristi) entgegen und hält mehrere streitbare Reden, in denen er die durch die Faschisten bis in den höchsten Sphären begangenen Veruntreuungen anprangert. Er wird am 10. Juni 1924 am hellen Tag durch eine Gruppe faschistischer Aktivisten entführt. Die von Amerigo Dumini geführten Täter sind bekannt dafür, dass sie unter der Leitung des Oberhauptes der Polizei und der Miliz, Emilio de Bono, arbeiten. Mateottis Leiche wird am 16. August aufgefunden. Es ist wahrscheinlich, dass Giovanni Marinelli, Kassenführer der Nationalen faschistischen Partei (Partito Nazionale Fascista, PNF), und Filippo Filippelli, Direktor der Zeitung Corriere italiano, direkt beteiligt waren. De Bono, Aldo Finzi, Unterstaatssekretär des Inneren, und Cesare Rossi, Oberhaupt des Amts für Presse und Propaganda, haben eingegriffen, um die Flucht der Schuldigen zu begünstigen.
[40]. Deutschland, KPD, Richard Scheringer.
1923, noch als Gymnasiumschüler, erlebt Scheringer die Besetzung der Ruhr durch französische und belgische Truppen. Er nimmt an Sabotageakten teil, er ist durch Verhaftung bedroht und flieht nach Berlin. Infolge eines Zusammenspiels verschiedener Umstände ist er im Oktober 1923 in einen von Kreisen innerhalb des Heeres organisierten Putschversuch verwickelt. Nach Abschluss seiner Schulzeit tritt er als Freiwilliger in die Reichswehr ein, die für ihn das Ziel der nationalen Befreiung angesichts der durch den Vertrag von Versailles geschaffenen Lage verkörpert. Indem er den elitistischen Charakter des Offizierskorps beobachtet, neigt er zu den Nationalsozialisten. Er selbst erreicht Leutnantsgrad. 1930 wird er zusammen mit zwei anderen Offizieren wegen subversiver Tätigkeit innerhalb der Armee verhaftet und zu achtzehn Monaten Gefängnis verurteilt. Während seiner Haftzeit kommt er in Kontakt mit kommunistischen Häftlingen. In einem am 18 März 1931 an die KPD gerichteten Brief erklärt er: "Ich sage mich daher endgültig von Hitler und dem Faschismus los und reihe mich als Soldat ein in die Front des wehrhaften Proletariats." Am 3 April druckt die Rote Fahne einen offenen Brief Scheringers an die "Berliner SA‑Proleten" ab, in dem er seine ehemaligen Kameraden dazu aufruft, im gleichen Sinne zu handeln. Infolge dieser Stellungnahmen wird er zu einer zusätzlichen Haft von zweieinhalb Jahren verurteilt. Im September 1933 wird er infolge einer vom Reichspräsidenten Paul von Hindenburg beschlossenen Gnadenmaßnahme freigelassen. Er tritt offiziell im November 1945 der KPD bei.
[41]. Regierungen Heinrich Brüning (Zentrum).
Am 28. Juni 1928 war eine von Heinrich Müller (SPD) geführte Koalitionsregierung gebildet worden, die Mitglieder der SPD, des Zentrums, der DVP und der DDP umfasste. Am 27. März 1930 tritt Müller zurück, am 30. März wird eine von Heinrich Brüning (Zentrum) geführte Minderheitsregierung gebildet, die Mitglieder des Zentrums, der DVP, der DDP, der BVP, der WP, der DNVP umfasst, insbesondere den Innenminister Joseph Wirth (Zentrum), den Verteidigungsminister Wilhelm Groener, den Arbeitsminister Adam Stegerwald (Zentrum). Diese Regierung wird im Oktober 1931 von einer anderen, wieder von Brüning geführten Regierung mit geänderter Zusammensetzung abgelöst, welche bis zum 30. Mai 1932 im Amt bleibt.
Am 14. September finden Reichstagswahlen statt. Von insgesamt 577 Mandaten erzielt die SPD 143, die NSDAP 107, die KPD 77, das Zentrum 68. Die Regierung Brüning bleibt im Amt. Die Analyse der neuen Aufteilung im Parlament führt Brüning sowie Wirth zur Ansicht, dass in der Praxis die Regierung nicht Gefahr läuft, gestürzt zu werden. Die NSDAP lässt klar wissen, dass sie es nicht eilig hat, in die Regierung einzutreten und dass, falls das Zentrum sie in diesem Sinne anspräche, sie die Ministerien des Inneren und der Verteidigung verlangen würde. Diese abwartende Haltung bringt eine passive Billigung mit sich, zumindest solange es nicht zu einer Ausweitung der Regierung zur SPD kommt. Letzterer gegenüber ist das Zentrum in günstiger Stärkeposition, da sie jederzeit die regionale Regierung in Preußen ‑ die von Otto Braun (SPD) geführt wird und Mitglieder der SPD, des Zentrums, der DDP, der DStP umfasst ‑ stürzen und Einberufung von Wahlen erzwingen kann. Am 3. Oktober 1930 versammelt sich die Reichstagsfraktion der SPD. Aus der Diskussion geht die Annahme einer Tolerierungspolitik der Brüning-Regierung gegenüber hervor. Diese Haltung konkretisiert sich bei den Abstimmungen über verschiedene dem Reichstag vorgelegte Misstrauensanträge. Im Übrigen findet am 5. Oktober eine erste persönliche Unterredung zwischen Brüning und Adolf Hitler statt.
Allgemein gesprochen charakterisiert sich die Orientierung der Regierung insbesonders durch folgende Punkte. Die Regierung behauptet, dass sie sich ebenso dem Faschismus wie dem Bolschewismus widersetzt; sie arbeitet in diesem Sinn mit den Sozialdemokraten zusammen, die ähnliche Positionen vorzeigen; in der Praxis sucht sie implizite oder explizite Arrangements mit den Nationalsozialisten.
Schon 1924 war auf Initiative der SPD die Organisation “Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold” gebildet worden, an der Mitglieder des Zentrums ‑ insbesondere Wirth ‑, der DDP sowie der Gewerkschaften teilnehmen. Diese Gruppierung stellt sich das Ziel der Verteidigung der Republik gegen ihre Feinde auf Seiten der extremen Rechten und der extremen Linken. Für die SPD kann man die folgenden Vertreter nennen: Eduard Bernstein, Otto Braun, Theodor Haubach, Otto Hörsing, Julius Leber, Paul Löbe, Carlo Mierendorff, Philipp Scheidemann, Otto Wels. Am 16. Dezember 1931 gründen die SPD, das Reichsbanner, der ADGB, der Afa-Bund, der Arbeiter-Turn- und Sportbund die “Eiserne Front”. Deren Führung besteht aus dem Vorsitzenden der SPD Wels sowie Karl Höltermann (SPD). Letzterer löst in diesem Zusammenhang den ursprünglichen Vorsitzenden des Reichsbanners, Hörsing, zunächst in der Praxis und im Juli 1932 offiziell ab. Zur Zeit der Gründung der Eisernen Front ist das Zentrum nicht mehr im Reichsbanner vertreten.
Am 11. August 1930, dem Jahrestag des Inkrafttretens der Verfassung von 1919, hält Wirth eine Rede. Er stellt das Anwachsen des Radikalismus fest, wobei er dieses Phänomen nicht ausschließlich mit den "staatsfremde Flügelparteien" ‑ womit er die Faschisten, die sich auf das Regime Mussolinis basieren, und die Kommunisten, aber auch die bürgerliche Mitte im Auge hat; er behauptet, dass weder der Faschismus noch der Bolschewismus eine Lösung bieten. Im Laufe einer am 30. Oktober abgehaltenen Sitzung der Regierung warnt Brüning vor einer Haltung, die auf Ansicht gegründet wäre, dass die Nationalsozialisten für den Staat in gleicher Weise wie die Kommunisten gefährlich seien. Im Laufe einer Diskussion, die am 19. Dezember innerhalb der Regierung stattfindet, hebt Wirth hervor, dass seiner Ansicht nach die Positionen Hitlers sich im Laufe der Zeit gewandelt haben: zuerst sei die NSDAP sicherlich eine revolutionäre Partei gewesen, aber die derartigen Stellungnahmen seien nach Hitlers Zeugenaussage vor dem Reichsgerichts in Leipzig am 25. September 1930* beträchtlich in den Hintergrund getreten; so existieren nach Wirth zwei Strömungen, eine radikale und eine andere, mehr legalistisch; man könne daher nicht ein für allem Mal behaupten, dass die Nationalsozialisten sich endgültig außerhalb der Legalität stellen.
Im Laufe der Jahre 1930‑1932 nimmt eine spezielle Thematik breite Proportionen an, jene der Anprangerung des "Kulturbolschewismus". Sie bildet ein Propagandafeld, wo sämtliche politische Kräfte vom Zentrum bis zur extremen Rechten einen gemeinsamen Nenner finden können. Im Frühjahr 1930 richtet das Innenministerium eine besondere, mit dem Kampf gegen die atheistische Propaganda beauftragte Dienststelle ein. Unter Einfluss des Zentrums wird eine systematische Kampagne über dieses Thema geführt. Am 17. Dezember 1930 protestiert das Zentrum in Preußen gegen die Einrichtung in Berlin einer Vertretung der Liga der streitbaren Gottlosen. Es handelt sich um eine in der UdSSR existierende Organisation, die von Emelian Jaroslavskij (echter Name Mineï Izrailevitch Gubelman) geleitet wird; sie geht aus einer 1923 von Atheisten gegründeten Gruppe hervor, welche 1925 in Liga der Gottlosen (Союз безбожников) umgewandelt und 1929 in Liga der streitbaren Gottlosen (Союз воинствующих безбожников) umbenannt wurde. Faktisch hat die Ankündigung des Ereignisses die Wirklichkeit verzerrt: die Nachricht betraf nur die Zusammenlegung auf internationaler Ebene der Organisationen von Freidenkern, darunter die sowjetische.
Am 20. Februar 1931 drückt sich Wirth über dieses Thema in dem Haushaltsausschuss des Reichstags aus:
Die bolschewistischen Propagandaschriften bedeuten einen Einbruch in die westeuropäische Kultur, der schwer erträglich ist [...] Diese Schriften stellen die vollendete Rohheit dar, die vorstellbar ist. Mir fällt besonders auf, daß es sich hierbei um die Ausnutzung einer antikirchlichen und antireligiösen Ideenwelt nicht so sehr als Kampfmittel gegen den Kapitalismus handelt, sondern um ein ungeheures Abirren von jeder geistigen Welt. Es ist ein Einbruch der Barbarei und Unkultur in ein Kulturland und in einen Kontinent, der der Träger der Kultur durch Jahrtausende gewesen ist.
Was die SPD betrifft, so arbeitet sie in Polizeiaktionsbelangen eng mit der Regierung zusammen, insbesondere in Preußen, wo die regionale Regierung von Otto Braun (SPD) geführt wird. Am 22. Oktober 1930 wird Carl Severing (SPD) zum Innenminister von Preußen ernannt; am 5. November wird Albert Grzesinski (SPD) zum Polizeipräsidenten von Berlin ernannt. Sie bleiben in diesen Posten bis zur Absetzung der regionalen Regierung durch die Reichsregierung, am 20. Juli 1932. Im Laufe der Jahre 1930‑1932 verkündet Grzesinski wiederholt Verbote betreffend das Organ der KPD, Die Rote Fahne: am 9 November 1930; im Mai, August, Dezember 1931 für eine Dauer von insgesamt 41 Tagen; im Januar, März, April 1932 für eine Dauer von insgesamt 16 Tagen (sein Nachfolger Kurt Melcher führt diese Unterdrückungsmaßnahmen fort).
Am 28. März 1931 wird die Notverordnung "zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen" verkündet. Sie betrifft "öffentliche politische Versammlungen sowie alle Versammlungen und Aufzüge unter freiem Himmel" und verordnet: "Sie können verboten werden, wenn nach den Umständen zu besorgen ist, [...] daß eine Religionsgemeinschaft des öffentlichen Rechts, ihre Einrichtungen, Gebräuche oder Gegenstände ihrer religiösen Verehrung beschimpft oder böswillig verächtlich gemacht werden." Dieser Text war in Koordination mit den Regionen, wo es keine nationalsozialistischen Minister gab, ausgearbeitet worden, und insbesondere in Absprache mit Severing. Dieser hatte am 6. März an die Polizeistellen ein Rundschreiben gerichtet, in dem er ihnen Anweisung gibt, zur Aburteilung der "Störer" der öffentlichen Sicherheit und Ordnung "beschleunigte Verfahren" durchzuführen, "damit Straftat und Sühne [...] unmittelbar aufeinander folgten". Diese Anregungen sind in die Verordnung übernommen worden.
Am 4. Mai 1932 wird eine Verordnung "über Auflösung der kommunistischen Gottlosenorganisation" verkündet: "Die Internationale Proletarischer Freidenker (Sitz der Exekutive Berlin) und die ihr nachgeordneten oder angeschlossenen kommunistischen Freidenkerorganisationen, insbesondere der Verband Proletarischer Freidenker Deutschlands [...] sowie die Kampfgemeinschaften Proletarischer Freidenker werden [...] für das Reichsgebiet mit sofortiger Wirkung aufgelöst."
[43]. Lenin, sämtliche Werke, Bd. 12. Verlag für Literatur und Politik, Wien-Berlin.
"Die Differenzen in der europäischen Arbeiterbewegung", Werke, Bd. 16, S. 356.
Wäre die Taktik der Bourgeoisie immer die gleiche oder zumindest immer gleichartig, so würde die Arbeiterklasse rasch lernen, sie mit einer ebenso gleichbleibenden oder gleichartigen Taktik zu beantworten. In Wirklichkeit bildet die Bourgeoisie in allen Ländern unvermeidlich zwei Systeme des Regierens heraus, zwei Methoden des Kampfes für ihre Interessen und für die Verteidigung ihrer Herrschaft, wobei diese zwei Methoden bald einander ablösen, bald sich miteinander in verschiedenartigen Kombinationen verflechten. Die erste Methode ist die Methode der Gewalt, die Methode der Verweigerung jeglicher Zugeständnisse an die Arbeiterbewegung, die Methode der Aufrechterhaltung aller alten und überlebten Institutionen, die Methode der unnachgiebigen Ablehnung von Reformen. Darin besteht das Wesen der konservativen Politik, die in Westeuropa immer mehr aufhört, die Politik der Grundbesitzerklassen zu sein, die immer mehr zu einer der Spielarten der allgemeinen bürgerlichen Politik wird. Die zweite Methode ist die Methode des “Liberalismus”, der Schritte in der Richtung auf die Entfaltung politischer Rechte, in der Richtung auf Reformen, Zugeständnisse usw.
[44]. Stalin, "Zur internationalen Lage", Broschüre, russ. 1924.
J. W. Stalin, Werke Bd. 6, Dietz Verlag Berlin 1952, S. 146.
Manch einer glaubt, die Bourgeoisie sei, nicht der Not gehorchend, sondern aus eigenem Triebe, sozusagen aus freien Stücken, zum “Pazifismus” und “Demokratismus” gekommen. Dabei wird angenommen, daß die Bourgeoisie, nachdem sie die Arbeiterklasse in entscheidenden Kämpfen (Italien, Deutschland) geschlagen habe, sich als Siegerin fühle und sich jetzt den “Demokratismus” erlauben könne. Mit anderen Worten, solange entscheidende Kämpfe im Gange waren, habe die Bourgeoisie eine Kampforganisation, den Faschismus, gebraucht, jetzt aber, da das Proletariat geschlagen sei, brauche die Bourgeoisie den Faschismus nicht mehr und könne ihn durch den “Demokratismus” als die beste Methode zur Verankerung ihres Sieges ersetzen. Daraus wird die Schlußfolgerung gezogen, die Macht der Bourgeoisie habe sich gefestigt, man müsse die “Ära des Pazifismus” als lang andauernd, die Revolution in Europa aber als auf die lange Bank geschoben ansehen.
Diese Annahme ist völlig falsch.
Erstens trifft es nicht zu, daß der Faschismus nur eine Kampforganisation der Bourgeoisie sei. Der Faschismus ist nicht nur eine militärtechnische Kategorie. Der Faschismus ist eine Kampforganisation der Bourgeoisie, die sich auf die aktive Unterstützung der Sozialdemokratie stützt. Die Sozialdemokratie ist objektiv der gemäßigte Flügel des Faschismus. Es liegt kein Grund zu der Annahme vor, die Kampforganisation der Bourgeoisie könnte ohne die aktive Unterstützung durch die Sozialdemokratie entscheidende Erfolge in den Kämpfen oder bei der Verwaltung des Landes erzielen. Ebensowenig liegt Grund zu der Annahme vor, die Sozialdemokratie könnte ohne die aktive Unterstützung durch die Kampforganisation der Bourgeoisie entscheidende Erfolge in den Kämpfen oder bei der Verwaltung des Landes erzielen. Diese Organisationen schließen einander nicht aus, sondern ergänzen einander. Das sind keine Antipoden, sondern Zwillingsbrüder. Der Faschismus ist der nicht ausgestaltete politische Block dieser beiden grundlegenden Organisationen, der unter den Verhältnissen der Nachkriegskrise des Imperialismus entstanden und auf den Kampf gegen die proletarische Revolution berechnet ist. Die Bourgeoisie kann sich ohne das Vorhandensein eines solchen Blocks nicht an der Macht behaupten. Darum wäre es ein Fehler, wollte man glauben, der “Pazifismus” bedeute die Beseitigung des Faschismus. “Pazifismus” unter den jetzigen Verhältnissen bedeutet Festigung des Faschismus, wobei sein gemäßigter, sozialdemokratischer Flügel in den Vordergrund geschoben wird.