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Zentrale der Kommunistischen Partei Deutschlands

Aufruf

13. März 1920

 

 

Quelle:

Die Rote Fahne, Nr. 30, 14. März 1920 (2. Ausgabe).

Abgedruckt in:

Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED (Hg.): Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung - Reihe 2 - Band 7 - Februar 1919‑Dezember 1923 - Halbband 1 - Februar 1919‑Dezember 1921. Berlin, Dietz, 1966, S. 211‑213.

Erwin Könnemann, Gerhard Schulze (Hg.): Der Kapp-Lüttwitz-Ludendorff-Putsch - Dokumente. München, Olzog, 2002, S. 158‑160.

 

 

 

 

 

 

Erstellt: Oktober 2014

Druckversion
KPD 1918 1945 - Inhalt

 

 

 

 

 

 

Erich Ludendorffs 18. Brumaire[1].

Militärdiktatur oder Proletarierdiktatur?

In der Auslieferungskrise[2] sagten wir euch, die Regierung Ebert-Bauer sei nur noch ein Schmutzfleck an den Rockschößen der Ludendorff und Lüttwitz. Die Ludendorff-Lüttwitz haben mit einer Handvoll Baltikumern[3] den lästigen Schmutzfleck abgeschüttelt.

Es sind dieselben Baltikumer, die die Regierung in den Kampf gegen Sowjetrußland geschickt hatte, die sie der Entente von neuem als Kanonenfutter anbot und denen sie unter Bruch des Völkerrechts Waffen und Munition gelassen hatte.

Die Ebert-Bauer-Noske sind stumm und widerstandslos in die Grube gefahren, die sie sich selber gegraben haben. "Nachrichten besagen, daß von radikaler Seite beabsichtigt ist, die Regierung heute oder in den nächsten Tagen zu stürzen[4]."

Mit dieser letzten frechen Lüge auf den Lippen, "ein Strolch noch im Sterben", das revolutionäre Proletariat denunzierend, stürzt der Proletarierschlächter Noske wie ein faules Rohr in sich zusammen.

Die Regierung Ebert-Bauer war seit 14 Tagen unterrichtet von den Plänen der Ludendorffer. General Lüttwitz stellte mehrere Tage zuvor der Regierung das Ultimatum, in der heuchlerischen Form von "Fachministern", die in die Regierung eintreten sollten. Die weggefegte Regierung hat bis zur letzten Minute nicht gewagt, die proletarischen Massen zu unterrichten und auf den Plan zu rufen.

Warum hat die Regierung widerstandslos kapituliert vor 5000 Baltikumern in einer Stadt, die mehr als l Million Proletarier in ihren Mauern birgt? Zwischen sich und dem Proletariat hatte sie einen Wall von Proletarierleichen aufgeschichtet. Keine Brücke führte mehr über den reißenden Blutstrom, der den verräterischen Sozialismus von den Arbeitern trennte.

Diese Bankrotteure wußten, daß sie, sobald sie die Arbeiter aufrufen, zugleich mit den Ludendorffern weggefegt würden. Und sie kämpften ja nur noch um ihre jämmerliche Existenz als Maden im verfaulenden Leichnam der kapitalistischen Wirtschaft und als Henkersknechte des bürgerlichen Staates.

Seit Jahr und Tag war diese Regierung gewarnt, sie taumelte blind und frech in den Abgrund. Was waren ihre letzten Taten? Sie hat die Gefängnisse, Festungen, Zuchthäuser mit Tausenden revolutionärer Arbeiter angefüllt. Der unerhörte Blutbefehl gegen die Bergarbeiter des Ruhrgebietes, das war ihre letzte wirtschaftliche Aktion[5].

Im Augenblick des Versinkens ruft diese Gesellschaft von Bankrotteuren die Arbeiterschaft zum Generalstreik auf zur "Rettung der Republik".

Das revolutionäre Proletariat weiß, daß es gegen die Militärdiktatur auf Leben und Tod zu kämpfen haben wird. Aber es wird keinen Finger rühren für die in Schmach und Schande untergegangene Regierung der Mörder Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs. Es wird keinen Finger rühren für die demokratische Republik, die nur eine dürftige Maske der Diktatur der Bourgeoisie war.

Die Bourgeoisie übt jetzt ihre Diktatur direkt aus, durch ihre altgewohnten Herren, die Helden von 1914: Das ist die ganze Änderung.

Die demokratische Republik ist rettungslos verloren; nicht sie gilt es zu retten, der die Arbeiter einen Fluch ins Grab nachschleudern und die sie im Innersten ihres Wesens als eine Lüge und einen Betrug erkannt haben. Es gilt vielmehr, mit aller Macht den Kampf aufzunehmen um die proletarische Diktatur, um die Räterepublik.

Kapitalismus oder Kommunismus?

Militärdiktatur oder Proletarierdiktatur?

So ist jetzt die Frage unausweichlich gestellt.

Wenn in dieser "Stunde der Gefahr" die blutbedeckten Verräter des Sozialismus oder mattherzige Schwachköpfe die Arbeiter zur "Sammlung" aufrufen, so antworten wir ihnen:

Es gibt nur eine Sammlung, die keine Lüge ist, die Sammlung um das rote Banner des Kommunismus.

Sollen die Arbeiter in diesem Augenblick sich zum Generalstreik erheben?

Die Arbeiterklasse, die gestern noch in Banden geschlagen war von den Ebert-Noske, waffenlos, unter schärfstem Unternehmerdruck[6], ist in diesem Augenblick nicht aktionsfähig. Wir halten es für unsere Pflicht, das klar auszusprechen.

Die Arbeiterklasse wird den Kampf gegen die Militärdiktatur aufnehmen in dem Augenblick und mit den Mitteln, die ihr günstig erscheinen. Dieser Augenblick ist noch nicht da. Er ist da, wenn das Gesicht der Militärdiktatur sich enthüllt haben wird.

Ein Teil der Arbeiter kennt die Züge dieser Militärdiktatur: Ungarn! Die große Masse wird sie zuerst durch die Taten der Militärdiktatur kennenlernen: wenn statt der Geißeln Skorpione auf die Rücken der Arbeiter niedersausen, wenn die wiedergekehrten Helden von 1914 den August 1914 wiederbringen werden. Wenn zur eisernen Unterdrückung im Innern neue Kriegsgefahr ihr Haupt erhebt. Die Arbeiterklasse wird bis zu Ende kämpfen mit den Schlachtrufen:

Nieder mit der Militärdiktatur!

Für die Diktatur des Proletariats!

Für die deutsche kommunistische Räterepublik!

 

Zentrale der Kommunistischen Partei Deutschlands (Spartakusbund)

 

 

 

 

 



[1]. Eine Mehrheit der in Berlin anwesenden Vertreter der Zentrale beschloss, unterstützt von Führern der Berliner Bezirksleitung der KPD, im Gegensatz zu einer Minderheit in der Zentrale, bei Ausbruch des Putsches nicht zur Beteiligung am Generalstreik aufzurufen. Diese Stellungnahme korrigierte die Zentrale der KPD bereits am nächsten Tage.

Cf. Aufruf der KPD vom 14. März 1920 .

[2]. Der Versailler Vertrag stellte in den Artikeln 227–230 Kaiser Wilhelm II. "wegen schwerster Verletzung des internationalen Sittengesetzes und der Heiligkeit der Verträge unter öffentliche Anklage" und sah die Auslieferung derjenigen Deutschen vor, denen ein Verstoß "gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges" zur Last gelegt wurde. Letztere sollten durch Militärgerichte der ehemaligen Kriegsgegner abgeurteilt werden. Am 3. Februar 1920 wurden die von den alliierten Siegermächten erstellten Auslieferungslisten der deutschen Friedensdelegation in Paris übergeben, jedoch verweigerte deren Vorsitzender, Kurt von Lersner, ihre Annahme. Genannt wurden einige der herausragenden militärischen und politischen Führer des Kaiserreichs, darunter Paul von Hindenburg, Erich Ludendorff, Kronprinz Wilhelm, Theobald von Bethmann-Hollweg. Am 12. Februar wurde auf einer interalliierten Konferenz in London das Auslieferungsproblem erörtert. Lloyd George behauptete, überrascht zu sein, die Namen von Hindenburg, Ludendorff und Bethmann-Hollweg auf der Liste zu sehen. Ihm sei nicht bekannt, was ihnen vorzuwerfen sei. Schließlich wurde das Angebot der deutschen Regierung aufgegriffen, Prozesse gegen die Beschuldigten vor dem Leipziger Reichsgericht durchzuführen. Der Verzicht auf die Auslieferung sollte nur vorläufig und von der erfolgreichen Strafverfolgung der Kriegsverbrecher abhängig sein. Als die Leipziger Prozesse im Frühjahr 1921 in ein Fiasko mündeten, nahmen die Alliierten endgültig von ihren diesbezüglichen Forderungen Abstand.

[3]. Die als Baltikum bezeichneten Gebiete umfassen Estland und den größten Teil von Lettland, ein Gebiet das seit dem 17. Jahrhundert von den baltischen Baronen, das heißt den deutschsprachigen Adeligen, beherrscht war.

[4]. Am 12 März befahl der Reichswehrminister Gustav Noske, die Berliner Reichswehrtruppen und die Sicherheitspolizei in Alarmzustand zu versetzen. Der in diesem Sinne vom Reichswehrgruppenkommando I erlassene Befehl lautete:

"1. Nachrichten besagen, daß von radikaler Seite beabsichtigt ist, die Regierung heute oder in den nächsten Tagen zu stürzen. 2. Die Garnisonen Berlin, Potsdam, Spandau, Döberitz, Zossen, Jüterbog sind bis auf weiteres alarmbereit zu halten, desgleichen die Berliner Sicherheitspolizei. 3. Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften sind erneut darauf hinzuweisen, daß ihnen der Schutz der verfassungs- und gesetzmäßigen deutschen Regierung anvertraut ist."

Dieser Befehl wurde per Telegramm an die genannten Garnisonen, darunter auch Döberitz, d. h. die Marinebrigade Ehrhardt, übermittelt. Er wurde in der Morgenausgabe des Vorwärts vom 13. März 1920 ‑ ohne Unterschrift ‑ veröffentlicht. Laut Aussage des Majors Fedor von Bock war der Befehl unterzeichnet vom Oberkommando Noske und verantwortlich für die Befehlsausgabe sei Noskes Stabschef, Major Erich von Gilsa, gewesen. Laut Aussage des Stabschefs von General Walther von Lüttwitz, General Martin von Oldershausen wurde bei der Verbreitung des Befehls als Vorwand angegeben, "was die Truppen für solche Alarmbefehle gewohnt waren, daß Unruhen von links zu erwarten wären [...] Das fiel absolut nicht mehr auf und schien mir ein plausibler Grund. Wir fürchteten durch Bekanntgabe des wahren Grundes Beunruhigung".

Siehe:

Erwin Könnemann, Gerhard Schulze (Hg.): Der Kapp-Lüttwitz-Ludendorff-Putsch - Dokumente. München, Olzog, 2002, S. 133‑134;

Erwin Könnemann, Brigitte Berthold, Gerhard Schulze (Hg.): Arbeiterklasse siegt über Kapp und Lüttwitz - Band 1 (Archivalische Forschungen zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Band 7, Ausgabe 1). Zentralinstitut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR, Berlin, Akademie-Verlag, 1971, S. 95.

[5]. Anfang des Jahres 1920 wurden in den Regierungsbezirken Arnsberg, Minden, Münster und Düsseldorf Standgerichte und außerordentliche Kriegsgerichte geschaffen, mit deren Hilfe das Ruhrproletariat zu Überschichten und "Notstandsarbeiten" gezwungen werden sollte.

[6]. Im Original: Unternehmertrupp.