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7. Kongress der Kommunistischen Internationale
(25. Juli - 20. August 1935)

Wilhelm Florin :

Diskussionsbeitrag

3.‑4. August 1935

 

 

Quelle:

Berichte über den VII. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale, Rundschau über Politik, Wirtschaft und Arbeiterbewegung, Basel 1935, 4. Jahrgang, Nr. 35, 37, 39, 40, 42, 45, 47, 49, 50, 52, 54, 56, 58, 60, 62, 65, 66, 67, 72 und 74.

Nachdruck:

Protokoll des VII. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale, Moskau 25. Juli‑20. August 1935, Band 1; Erlangen, K. Liebknecht Verlag, 1974; S. 417‑428.

 

 

 

 

 

 

Erstellt: Juni 2017

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Dokumente der Kommunistischen Internationale ‑ Übersicht

 

 

 

 

 

 

Wir sehen in Deutschland eine in der Geschichte des Imperialismus noch nicht erreichte Machtstellung des Trustkapitals. Alle kleinen Wirtschaftsgruppen und Außenseiter müssen sich beugen. Der ganze Außenhandel ist seinen politischen Zielen unterstellt. Die Finanzmagnaten mobilisieren die letzten Mittel und Reserven für die Aufrüstung, für ihr Ziel, den imperialistischen Raubkrieg.

Mit Hilfe der landwirtschaftlichen Zwangsorganisationen und der Zwangsregelung des landwirtschaftlichen Produktions- und Marktwesens hat das Finanzkapital seine Herrschaft über die zersplitterte Mittel- und Kleinwirtschaft zu einem zuvor nie möglichen Maße aufrichten können.

Das alles charakterisiert den heutigen deutschen Imperialismus und die Funktion des Faschismus. Dieser Prozeß verstärkt sich noch im Übergang von der Krise zur Depression besonderer Art.

Es wachsen die Tendenzen einer Kriegszwangswirtschaft noch vor Ausbruch des Krieges.

Diese kapitalistisch-faschistische Zwangswirtschaft führt zu einer gesteigerten Bereicherung der Finanzkapitalisten, aber zugleich zu einer unerhörten Ausräuberung aller übrigen Schichten.

Das führt zu einer Vertiefung der grundlegenden Klassenwidersprüche, zu erhöhten Schwankungen der Mittelschichten und zur zeitweiligen schroffen Zuspitzung im Lager der Bourgeoisie, unter dauernder Unterhöhlung und Bedrohung der Totalität der faschistischen Partei.

Gerade jetzt sehen wir in Berlin und in anderen deutschen Städten organisierte Judenpogrome, einen gesteigerten Terror gegen katholische Organisationen und protestantische Kreise, eine neue breite Terrorwelle mit bestialischen Folter- und Mordmethoden, die alles bisher Dagewesene an Grausamkeit übertrifft.

Dabei ist das Charakteristische, daß sich der terroristische Druck gegenwärtig in auffälliger Weise auch verschärft gegen bürgerliche Oppositionsgruppen aller Art, gegen Stahlhelm, Konservative, usw. wendet.

Die allgemeine Unzufriedenheit mit dem Hitler-Regime nimmt zu. Fast jede Maßnahme des Regimes erweckt Unzufriedenheit und reizt vielfach zum Widerstand ‑ ohne, daß es schon gelungen wäre, einen breiten Strom des Widerstandes zu schaffen.

Die Frage der Zerstörung der Massenbasis der faschistischen Diktatur, der baldigen Erschütterung des Regimes, hängt von der Entfaltung der Aktionskraft des Proletariats, von der Schaffung der proletarischen Einheitsfront ab. Es vollzieht sich bereite ein Prozeß der Sammlung und des Zusammenschlusses der aktivsten Teile des Proletariats. Gleichzeitig müssen wir aber feststellen: es ist eine Schere vorhanden zwischen der allgemeinen Unzufriedenheit, dem zunehmenden Vertrauen zur Kommunistischen Partei und der Fähigkeit der Partei, durch ihre organisierende Kraft die Einheitsfront zur Entfaltung zu bringen. Die Schere kann geschlossen werden, wenn unsere Organisation in der Durchführung ihrer Aufgaben sich vor allem unten ausbaut, arbeitsfähige Leitungen schafft, und wenn die Einheiten und Leitungen ein maximales Maß von Initiative entfalten.

Die Grundfrage des Sturzes der faschistischen Diktatur und der Auslösung der proletarischem Revolution in Deutschland ist die Schaffung eines Verhältnisses unserer Partei zu den sozialdemokratischen Massen und ihren Organisationen, das den neuen Bedingungen entspricht.

War unter der Weimarer Ära die Sozialdemokratie in Deutschland eng mit dem Staatsapparat verwachsen, waren auch die unteren Leitungen dadurch beeinflußt, gefesselt und mit Tausenden von Illusionen fest an die Politik der Bourgeoisie gebunden, so mußten wir tief von unten her an die einzelnen Mitglieder und unteren Funktionäre herangehen, um die Einheitsfront zu entwickeln.

Diese Einheitsfront wurde mit großen Mängeln und Schwächen durchgeführt. Wir brandmarkten vor den sozialdemokratischen Arbeitern die Rolle der sozialdemokratischen Führer im allgemeinen Faschisierungsprozeß. Wir knüpften aber nicht an die wachsenden Gegensätze zwischen Führung und Massen der Sozialdemokratie im Jahre 1932 an, um schon damals bei dem offensichtlichen Herannahen der Änderung der Herrschaftsmethoden durch die Bourgeoisie an die unteren Organisationen und Leitungen heranzukommen. Dadurch wurde unser Angebot an die sozialdemokratische Führung am 20. Juli beim Staatsstreich in Preußen[1] zu einem isolierten Akt. Wir zogen aus dem 20. Juli nicht genügend die Lehre, die sich mehr und mehr verändernden Bedingungen zu berücksichtigen und mit großer Kühnheit immer wieder erneut an die unteren Organisationen der Sozialdemokratie heranzutreten.

Heute, in einer ganz neuen Lage, wo sich große Veränderungen in der Denkweise der sozialdemokratischen Funktionäre vollzogen haben und vollziehen, müssen wir an alle diese Organisationen und Leitungen zur Herstellung der Einheitsfront immer wieder erneut herantreten mit dem Ziel der Zusammenarbeit zur Abschließung von kurzfristigen und dauernden Abkommen.

Unsere sektiererischen Fehler nach der Aufrichtung der Hitler-Diktatur sind in dem Umstand zu suchen, daß wir die richtige Einschätzung der mit dem Staatsapparat verbundenem Sozialdemokratie der Weimarer Ära teilweise in Verhältnisse übertrugen, unter denen die Sozialdemokratie illegal ist und sich ein entscheidender Wandlungsprozeß unter ihren Mitgliedern und Funktionären vollzog und vollzieht.

Zwei Seiten ein und desselben Sektierertums waren die Folge. Einerseits war eine Unterschätzung der wirklichen Linksentwicklung, vor allem des Funktionärkaders der SPD zu verzeichnen, die zu der Auffassung führte, daß man keine breite organisierte Einheitsfront schaffen könne. Andrerseits war eine Überschätzung dieses Prozesses vorhanden, aus der wir unsere fehlerhafte Taktik ableiteten, in der Hauptsache unsere revolutionäre Doktrin zu propagieren. Wir glaubten den Wiederaufbau der Sozialdemokratie verhindern zu können.

Wir sahen nicht, wie nach einer geraumen Zeit der Depression aktive sozialdemokratische Arbeiter, Reichsbannerarbeiter usw. sich wieder zusammenschlossen. Wir gingen nicht an diese Organisationen heran, um die Einheitsfrontpolitik auf neue Art zu stellen.

Wir registrierten ganz richtig alle reaktionären Äußerungen des Prager Parteivorstandes. Seine Ablehnung der Einheitsfront und seine Anbiederung an die faschistische Diktatur brachten wir als Beweis dafür, daß die Sozialdemokratie die alte geblieben sei. Dabei sahen wir aber nicht genügend, wie sich im Schoße der Sozialdemokratie auch unter den Funktionären ein revolutionärer Entwicklungsprozeß bis selbst in die oberen Kader vorbereitet und vollzieht.

Wir haben zu Beginn dieses Jahres nach ernster Kritik die Wendung zur Einheits- und Volksfrontpolitik und die Umstellung unserer Arbeitsmethoden eingeleitet. Wir stellten damals fest, daß das Sektierertum seinen besonderen Ausdruck fand: In dem Widerstand gegen die Entfaltung der breitesten Einheitsfront, in dem Widerstand gegen die Wiederherstellung der Freien Gewerkschaften, in der fehlenden Differenzierung zwischen den linken und rechten SPD-Führern, in der scheinradikalen Einschätzung der Lage, in der Unterschätzung der Selbstkritik.

Wir gehen jetzt dazu über, den linken und revolutionären Elementen in den sozialdemokratischen Organisationen, den Arbeitern und Funktionaren, die für die Aktionseinheit und Einheitsfront sind, in ihrem Kampfe gegen die rechtem Elemente des Prager Parteivorstandes zu helfen, um die gemeinsame Kampffront zustande zu bringen.

In unserer Partei kam die Meinung zum Ausdruck, den antifaschistischen Willensausdruck der Arbeitermassen bei den Vertrauensrätewahlen gegen das Regime schlechthin als die breite Einheitsfront, als die reale existierende Einheitsfront zu bezeichnen.

Durch eine solche Beurteilung könnten wir uns die Herausarbeitung und Erkämpfung einer organisierten Einheitsfront und des geschlossenen antifaschistischen Kampfes erschweren. Es gilt, jede einfache, gelegentliche Verständigung zwischen kommunistischen und sozialdemokratischen Arbeitern, die der Beginn der Entfaltung der Einheitsfront ist, weiter systematisch und zielbewußt zu entwickeln.

Es sind Beispiele vorhanden, wo die lose Zusammenarbeit in Betrieben sich zu einer festen Form der Einheitsfront entwickelte, die sich über den ganzen Betrieb zog und sogar auf das ganze Wohngebiet ausgedehnt werden konnte. In einigen Fällen ging der Entwicklungsprozeß von unten her über den Ortsbereich hinaus und griff in andere Organisationsbereiche über.

Ein Netz von Pakten und Abkommen, ein Netz von Einheitsfront-Komitees, ein direktes Zusammengehen aller Organisationen der Arbeiter ‑ das ist die organisierte Einheitsfront der neuen Art, die wir anstreben.

Wir stellen fest, daß die in letzter Zeit abgeschlossenen Abkommen einen konkreteren Inhalt haben als vorher.

Es ist richtig, wir können die sozialdemokratischen Arbeiter dem Einfluß reaktionärer Führer nur dann entreißen, wenn wir verstehen, dort anzuknüpfen, wo die Verständigung wächst: im gemeinsamen Kampf gegen Lohnabbau und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, im gemeinsamen Kampf für den Wiederaufbau der Freien Gewerkschaften, in der gemeinsamen Organisierung der proletarischen Solidarität gegen den faschistisches Mordterror.

Wir Kommunisten mit unserer größeren konspirativen Erfahrung müssen die volle Verantwortung für die größtmögliche Sicherung der Organe der Einheitsfront gegen die Maßnahmen des Klassenfeindes übernehmen. Das ist von großer Bedeutung für die Vertiefung eines Vertrauensverhältnisses zwischen uns und den Sozialdemokraten.

Wir sehen, daß der revolutionäre Entwicklungsprozeß unter den sozialdemokratischen Arbeitern gerade in der letzten Zeit unter dem Eindruck der verschärften Kriegsgefahr, dem gesteigerten bestialischen Mordterror der Nazis, unter dem Eindruck der Friedenspolitik der Sowjetunion und unserer Einheitsfrontpolitik wichtige Fortschritte macht. Wir können feststellen, daß auch der Prager Parteivorstand der SPD auf Grund der Stimmungen der Arbeitermassen im Lande in wichtigen Fragen einen gewissen Wechsel seiner bisherigen Stellung vornimmt.

Aus der jetzigen Haltung der deutschen sozialdemokratischen Presse glauben wir schließen zu können, daß sich für gemeinsame Einheitsfrontabkommen gegen den faschistischen Mordterror bessere Möglichkeiten ergeben.

Wir begrüßen im Interesse der Einheitsfront und im Interesse der Arbeiterklasse aufs wärmste jede Verbesserung der Möglichkeit, die Fragen der gemeinsamen Aktion gegen die barbarische Kriegs- und Hungerpolitik des Hitler-Faschismus vor den Arbeitermassen aufzuzeigen und setzen mit um so größerer Energie unseren Kampf um die Schaffung der Einheitsfront fort.

Kameradschaftlich müssen wir die sozialdemokratischen Genossen von der Notwendigkeit gemeinsamer Schritte überzeugen.

In dieser Situation wenden wir uns erneut von der Tribüne des internationalen Proletariats aus an den umgruppierten Parteivorstand und an jedes seiner Mitglieder, mit uns Kommunisten die Einheitsfront zu schließen, und wenn auch zunächst nur zum gemeinsamen Kampf gegen den Terror.

Ist es noch notwendig, auf die unermeßliche Bedeutung eines nationalen Einheitsfrontabkommens hinzuweisen, angesichts des Beispiels in Frankreich, wo der Faschismus noch nicht an der Macht ist. Wir aber erleben in unserem Lande tagtäglich die grausamen Terrorschläge der faschistischen Diktatur. Das blutende deutsche Proletariat, die elementarste Freiheitsregierung im Herzen eines jeden Werktätigen schreit nach Einheit. Vom Tempo der Entwicklung der Einheitsfront hängt der Sturz der Hitler-Diktatur ab. Wir sagen den linken Führern, jedes Zögern, jede Unentschlossenheit verlängert den qualvollen Leidensweg des Proletariats und verzögert seine Befreiung. Die linken sozialdemokratischen Führer sollten auch wissen, daß sie durch die Behauptung, wir machten Manöver, faktisch den rechten Gegnern der Einheitsfront innerhalb der Sozialdemokratie helfen, an ihrem Konservatismus hartnäckig festzuhalten.

Viele sozialdemokratische Arbeiter und auch im Arbeitskreis revolutionärer Sozialisten zusammengefaßte linke Funktionäre sagen, man müsse eine neue einheitliche Partei schaffen. Wir haben darauf bisher eine ungenügende Antwort gegeben. Wir müssen eine positive Antwort geben und mit allem Ernst zum Ausdruck bringen, daß wir mit ganzer Leidenschaft für die Schaffung einer Partei des Proletariats sind, um auch die organisatorische Spaltung aufzuheben.

Wenn die Funktionäre der Sozialdemokratie, besonders die Linken, befürchten, daß wir sie dabei abhalftern wollen, so sagen wir, die Herstellung der organisatorischen Einheit der Arbeiterklasse in einer revolutionären Partei auf dem Boden des Marxismus schließt in sich die proletarische Demokratie von der Basis bis zur Spitze.

Einige linke deutsche sozialdemokratische Führer schrieben: Um Einheitsfront machen zu wollen, muß man erst ein Programm haben. Wir antworten: Der Kampf um Frieden, Freiheit und Brot ist ein Programm. Der Kampf für demokratische Volksrechte gegen den Faschismus ist ein Programm. Das sollte jedem klar sein. Aber wir sind auch immer bereit, auf dem Wege von Verhandlungen erneut ganz konkrete Vorschläge zu machen für ein gemeinsames Kampfprogramm, das für alle in der Einheits- und Volksfront sich zusammenfindende Organisationen annehmbar sein sollte.

Wenn auch die zentrale Frage der Einheitsfront auf dem Verhältnis zur Sozialdemokratie beruht, so begrenzen wir die Einheitsfront nicht auf die Sozialdemokratie. Wir erstreben ebenso die Einheitsfront mit den katholischen Arbeitervereinen und mit den teilweise noch immer unter sich in Verbindung stehenden christlichen Gewerkschaftern.

Wir müssen mit den katholischen Kameraden konkrete Vereinbarungen zur Verteidigung der halbkonfessionellen Arbeiterorganisationen erstreben, und wenn deren Legalität trotz Kampf nicht aufrecht zu erhalten ist, diesen Arbeitern vorschlagen, innerhalb der faschistischen Organisationen sich mit uns zusammenzuschließen und organisiert zu kämpfen.

In Deutschland sind breite oppositionelle, geradezu kämpferische Stimmungen in der Jugend vorhanden. Das zeigt, daß die Voraussetzungen für die Schaffung einer breiten oppositionellen, alle Unzufriedenen erfassende Jugendbewegung vorhanden sind.

Diese zu schaffen und zu entwickeln von unten und durch Verhandlungen von oben her, durch die planmäßige, systematische, getarnte Arbeit innerhalb aller Organisationen, wo Jugendliche sich zusammenfinden, ist die neue zentrale Aufgabe der Partei und des Jugendverbandes auf dem Gebiete der Jugendpolitik. Nur bei einer solchen Entfaltung der Arbeit kann der Jugendverband als der treibende, aber unsichtbare Kern aus der breiten Jugendbewegung heraus seine eigene Organisation verstärken und die illegalen Formen seiner Arbeit verbessern und sichern.

Dieser politischen Linie soll sich der Jugendverband in seiner Sprache und seiner Organisationsform anpassen. Die Hauptgrundlage der Organisationsform des Verbandes liegt neben den Zellen in den Betrieben, in Zellen innerhalb der faschistischen Massenorganisationen.

Unsere Genossen hielten vielfach die Arbeit in der "Arbeitsfront" eines Kommunisten unwürdig und glaubten, daß die Arbeiter sie als Verräter an der Sache des Proletariats ansehen würden.

Wir haben auf diesem Gebiete die ersten Ansätze einer Wendung. Bisher sprachen wir nur zögernd von der Ausnutzung der halblegalen und legalen Möglichkeiten, statt mutig und offen zu sagen, daß die Arbeit innerhalb der faschistischen Massenorganisationen zur Hauptmethode unserer Arbeit werden muß.

Wenn wir in der deutschen Armee tausende Unteroffiziersposten besetzen könnten, würden unsere Anhänger keine 24 Stunden zögern.

Warum zögern wir immer noch, einen wirklichen, klugen Kampf um die Besetzung der unteren Funktionen in den faschistischen Massenorganisationen zu führen? Auch in dieser Frage müssen alle Formulierungen fallen, die uns bisher beengten.

Diese unsere Politik kann rechte Gefahren erzeugen. Man darf aber aus Furcht vor rechten Gefahren eine richtige Politik nicht mit Angst durchführen. Unsere Partei muß es lernen, mit der unablässigen Propaganda für die Lehren von Marx, Engels, Lenin und Stalin die Fähigkeit zu verbinden, diese Lehren in der Einheits- und Volksfrontpolitik zu verwirklichen.

Mit der Aufrichtung der faschistischen Diktatur in Deutschland verfolgte das Finanzkapital im wesentlichen zwei große Ziele zu gleicher Zeit: Festigung und Erweiterung der Machtbasis zur besseren Durchsetzung seiner imperialistischen Politik, und die Niederschlagung und Atomisierung der revolutionären Kräfte als Bedingung zur Machtbehauptung im Innern und zur möglichst reibungslosen Durchführung seiner Expansionspläne.

Die besondere Eigenart seiner Methoden des Chauvinismus, die ihn als am reaktionärsten kennzeichnen, bestehen:

1. in der Allseitigkeit des Terrors, in seiner Gründlichkeit, dem alles umspannenden Netz der verfeinerten Formen des Terrors, der alle Werktätigen, jeden einzelnen Menschen, bis in sein engstes Privatleben unter Organisatìonskontrolle und Zwang stellt.

2. in der engen Verflechtung seines aggressiven Nationalismus mit sozialer Demagogie und antikapitalistischer Phraseologie, mit der Erhebung des Nationalsozialismus und seiner mystischen Rassentheorie vom Herrenvolk zu einer Verkündung der Weltmission des deutschen Volkes für eine neue Etappe tausendjähriger Weltgeschichte.

Diese Methoden sollen die Herstellung einer Geistesverfassung der breiten Massen bezwecken, in der sie die Unterjochung unter die Kommandogewalt des Großkapitals, die Vernichtung jeglicher Freiheit widerspruchslos hinnehmen und ihren Einsatz für die Zielsetzung des deutschen Imperialismus begeistert und opferbereit als Ausdruck und Willen ihrer eigenen Interessen, als Ringen um ihre eigene gesicherte Zukunft erblicken sollen.

Diese Methoden der Gewalt und des Betrugs laufen stets ineinander, lösen einander ab und  ergänzen sich.

Während die deutschen Sozialdemokraten dem Kapitalismus mit der Hilferdingschen These vom organisierten Kapitalismus, vom friedlichen Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus und dem Bestreben der Klassenversöhnung zu Hilfe eilten, traten die Faschisten mit antikapitalistischen Phrasen auf, die den Zweck hatten, den wahren Charakter des Kapitalismus zu verschleiern, die antikapitalistischen Stimmungen aufzufangen, den Widerstand gegen den Kapitalismus zu brechen, durch die Ableitung auf die angeblich klassenlose nationale Volksgemeinschaft im "völkischen Sozialismus".

Die Erfahrung hat gezeigt, daß die Faschisten, einmal an die Macht gelangt keineswegs den antikapitalistischen Plunder einfach über Bord werfen, sondern ihn als soziale Demagogie ständig weiter gebrauchen und bei wachsenden Schwierigkeiten betont anwenden.

Sie brüsten sich, mit wenigen Verordnungen das erreicht zu haben, was den "Marxisten" in fünfzehn Jahren nicht möglich gewesen sei. Das Primat des Kapitalismus und damit jede Ursache des Klassenkampfes, sei durch sie beseitigt. Jede weitere klassenkämpferische Handlung müsse daher als volksfeindliches Verbrechen an der nunmehr einigen Volksgemeinschaft verfolgt werden.

In derselben Zeit, wo unser Kongreß tagt, sehen sich die Faschisten in Deutschland durch die wachsende Unzufriedenheit der Massen, durch die gesteigerten Differenzen im Lager der Bourgeoisie veranlaßt, ihre volksfeindliche Politik mit Warnungen an die angeblich niedergeschlagene Reaktion, die ihr Haupt wieder erheben wolle, zu verschleiern.

Diese antikapitalistische Phraseologie wird jedoch zu einer gefährlichen Schwäche für das Regime, zu einem Sprengmittel in dem Moment, da wir es verstehen, in den antifaschistischen Massenorganisationen selbst an diese Phraseologien anzuknüpfen, und sie auszunutzen.

Mechanisch stellten wir der Parole der zweiten Revolution die proletarische Revolution gegenüber, statt von innen, aus der Mitte der SA und der Arbeitsfront an die Stimmungen der zweiten Revolution anzuknüpfen, diesen Stimmungen Richtung und Ziel zu geben.

Gerade der 30. Juni[2] zeigt, daß wir Oppositionsbewegungen nicht maßgebend beeinflussen können, wenn wir außerhalb der faschistischen Massenorganisationen stehen.

Diese antikapitalistische Phraseologie der Faschisten wird ergänzt durch eine ausgebaute soziale Demagogie mit großer Beweglichkeit. "Kraft durch Freude", Winterhilfe, "Verschönerung des Arbeitsplatzes", Betriebsappelle, Ehrengerichte sind Mittel dieser Demagogie.

Auch hier genügt es nicht, diese Mittel einfach als Schwindel zu bezeichnen, sondern sie müssen zu Hebeln der Aktivisierung der Arbeiter werden. Statt hingenommener Geschenke an Einzelne, müssen wir ihnen den Charakter rechtmäßiger Forderungen für alle geben, um die gekämpft werden muß.

Die soziale Demagogie ist eine ständige Waffe der Faschisten im Kampfe gegen unsere Klasse, mittels der sie das Proletariat zu entwaffnen suchen. Sorgen wir mehrfach dafür, daß ihre sozialdemagogischen Schüsse nach hinten losgehen.

Antikapitalistische Phraseologie und soziale Demagogie der Faschisten werden sozusagen gekrönt in ihrer nationalen Demagogie.

Wie der Faschismus durch die Verquickung von antikapitalistischer und sozialer Demagogie den Chauvinismus hochzutreiben versucht, beweist er mit seiner Generallosung bei der Abstimmung an der Saar, die lautete: Gegen den westlichen Kapitalismus, für den deutschen Sozialismus.

Die Unzulänglichkeit der antikapitalistischen und sozialen Maßnahmen wird von den deutschen Faschisten gar nicht bestritten, aber die Schuld wird auf Versailles und seine Folgen, auf einen Kampf des "jüdischen" Weltkapitals, die Beschneidung der Ausfuhr, den Mangel an Rohstoffen und kolonialen Absatzgebieten zurückgeführt und mit der angeblichen Raumnot des deutschen Volkes begründet.

Ja, noch mehr! Der Faschismus versucht ‑ nicht immer erfolglos ‑ die aus sozialen Ursachen erwachsende Unzufriedenheit für die Steigerung des Chauvinismus auszunutzen, indem er seine imperialistische Eroberungspolitik als eine soziale Angelegenheit der Massen auslegt.

Daraus folgt die scheinbar widerspruchsvolle Tatsache, daß bei wachsender Unzufriedenheit der Massen mit der sozialreaktionären Politik des Faschismus, zeitweilig auch die chauvinistische Welle anwachsen kann.

Der Chauvinismus erfaßt nicht nur breitere Schichten, wie die Anhänger des Regimes, er hat auch Teile der Arbeiterschaft in seinen Bann gezogen. Die Klassenwidersprüche, Ausbeutung und Unterdrückung verhindern zwar eine feste Verankerung der chauvinistischen Idee in den Massen, aber nicht ihre zeitweilige wellenmäßige Ausbreitung.

Der Chauvinismus muß in allen seinen Erscheinungsformen und Schattierungen bekämpft werden. Erste Voraussetzung dafür ist, daß wir beharrlich die faschistische Kriegskatastrophen-Perspektive enthüllen.

Die zweite Voraussetzung ist, daß wir Kommunisten die in Deutschland weitverbreitete sozialdemokratische Theorie ausrotten, daß der Faschismus nur im Zusammenhang mit einem Kriege und mit einer Hilfe von außen niedergerungen werden kann, wodurch sogar der Wunsch auf schnellen Ausbruch des Krieges in revolutionärer Ungeduld bei Arbeitern zum Ausdruck kommt, die daher keinen genügend ernsthaften Kampf gegen die faschistischen Kriegstreiber und die chauvinistische Verhetzung der Massen führen.

Die dritte Voraussetzung ist: Unsere Parteiorganisation darf nicht vergessen, die gefährliche Seite der diplomatischen Doppelzüngigkeit der faschistischen Führer immer wieder aufzuzeigen, die am krassesten in den widerspruchsvollen Friedensphrasen der Spitzen und der offenen Kriegspropaganda der unteren korrumpierten Bonzen zum Ausdruck kommt.

Wir können als Internationalisten im Kampf gegen den Chauvinismus an die nationalen Empfindungen des deutschen Volkes anknüpfen und sagen: die Größe eines Volkes muß man an seiner Freiheit messen.

Es ist schmachvoll für einen deutschen Werktätigen, die Rechtlosigkeit geduldsam hinzunehmen.

Es ist die Ehre eines jeden deutschen Volksgenossen, für Meinungs- und Vereinigungsfreiheit zu kämpfen.

Wir fordern Arbeiter- und Volkskontrolle über die Verwendung der Gelder in Organisationen und Kommunen. Wir fordern Mitbestimmung in der Gestaltung der großen Politik unseres Volkes.

So und ähnlich können wir für die Arbeiter und Werktätigen die Forderungen auf allen Gebieten formulieren, ohne zu vergessen, sie mit den materiellen Interessen zu verquicken.

Das ist ein Weg, der zur antifaschistischen Volksfront führt.

Steigern sich in Deutschland die Schwierigkeiten des Regimes, äußert das werktätige Volk in den vielfältigsten Formen seine Unzufriedenheit, wachsen die Differenzen in der totalen Partei ‑ dann werden jedesmal die wildesten Judenpogrome gemacht. Damit will man Schrecken und Willfährigkeit erzeugen. Die Judenpogrome werden von nationalsozialistischen Parteiorganisationen und Staatsstellen organisiert und durchgeführt. Der Wille des Volkes wird vorgetäuscht und umgefälscht.

Wir Kommunisten, als die Freunde aller Unterdrückten und damit auch der Juden in Deutschland, haben in der letzten Zeit oftmals direkte Gegenaktionen organisieren können. Wir sind dabei auf die breiteste Solidarität aller anständigen Menschen gestoßen. Der ‘Kampf gegen die tierischen Judenpogrome kann durch die Solidarität aller humanitären Menschen der Welt wirksam unterstützt werden.

500.000 Menschen sind in Deutschland öffentlich rechtlos und ehrlos erklärt, weil sie Juden sind. Das ist die Kulturschmach des Faschismus, der dem Bolschewismus seine Barbarei unterschiebt.

Die Lage des Kleinbürgertums hat sich unter dem Faschismus weiter verschlechtert. Es ist tief enttäuscht, zum Teil verzweifelt und sucht in seiner Unzufriedenheit nach einer neuen Orientierung. Wir müssen ihm diese Orientierung geben.

Auf diesem Gebiete haben wir in Deutschland noch die allergrößten Mängel zu verzeichnen. Wir haben die Losung der antifaschistischen Volksfront proklamiert, aber sie noch keineswegs entwickelt. Die Kraftausstrahlung der proletarischen Einheitsfront wird die Anziehungskraft sein auf die werktätigen Mittelschichten. Unsere französische Bruderpartei hat uns das Beispiel geliefert.

Einige sozialdemokratische Führer in Deutschland wendeten sich gegen die Einheitsfront mit dem Argument, daß dadurch die Mittelschichten abgestoßen würden. Die französische Einheitsfront hat gerade das Gegenteil erwiesen.

Hinter dieser Behauptung der sozialdemokratischen Führer versteckt sich der Wille der weiteren Klassenzusammenarbeit mit der Bourgeoisie, und das bedeutet die Ablehnung der Herstellung der antifaschistischen Volksfront.

Kühn und mutig sollen wir an alle dem Regime feindlichen oppositionellen Organisationen herantreten. Wir müssen den Millionen katholischer Werktätigen, die in dem Verbot der katholischen Jugendorganisationen, in der Unterdrückung der katholischen Presse, in der Verfolgung der katholischen Gesellenvereine und der katholischen Geistlichen einen entscheidenden Schlag gegen ihre Interessen und Rechte erblicken, zum Bewußtsein bringen, daß wir in ihrem Kampfe gegen die faschistischen Gewaltmaßnahmen auf ihrer Seite stehen.

Ohne ein richtiges Herangehen an die Fragen des Kirchenkampfes und der katholischen Opposition ist die Schaffung der antifaschistischen Volksfront in Deutschland unmöglich.

Wenn der Kampf der katholischen Männer, Frauen und Jugendlichen nicht über den Rahmen der weltanschaulichen Auseinandersetzungen hinaus auf das politische Ziel des Sturzes der faschistischen Diktatur geführt wird, kann er zersplitternd wirken, wodurch die Hitler, Rosenberg und Streicher gewinnen. Deshalb müssen die Kommunisten sich mit diesen Massen verbinden.

Unter Ausnutzung der Landhilfe, des Zusammentreffens mit Arbeitern im Arbeitsdienstlager, in der Armee usw., müssen wir wieder versuchen, auf dem Dorfe Vertrauensleute, Stützpunkte und lose Gruppen zu schaffen, bis zur Wiederaufrichtung der Dorforganisation, damit eine wirkliche Anleitung der oppositionellen Bauernelemente innerhalb der Bauernorganisationen gewährleistet wird.

Das genügt aber nicht. Mit der lebendigen Volksfrontsprache, mit Volksfrontlosungen, mit einer konkreten Volksfrontpolitik, vor allen Dingen durch Abkommen mit bürgerlichen Oppositionsgruppen können wir uns massenmäßig schneller mit den Millionen Bauern verbinden.

Von unten herauf, auch unter den schwersten illegalen Bedingungen, sollten wir den Intellektuellen, den Gelehrten, den Künstlern zeigen, daß wir die Kämpfer der revolutionären Befreiung des Proletariats, auch die besten Kämpfer für Kultur und Fortschritt sind.

Um den werktätigen Schichten, auf denen der Druck des faschistischen Regimes lastet, eine reale Perspektive zu geben, erklären wir Kommunisten:

1. Wir sind bereit, mit allen zusammenzugehen, die den Sturz der Naziregierung anstreben.

2. Wir suchen das Bündnis mit allen Schichten und Organisationen, die gewillt sind, sich in einer antifaschistischen Volksfront für den Sturz der faschistischen Diktatur zusammenzuschließen.

Das nächstliegende Ziel, um das wir alle jene sammeln und in Bewegung bringen können, die zu weiteren Schritten noch nicht gewillt sind, ist der Kampf um demokratische Volksrechte und Freiheiten.

Der Terror löst ein elementares Massenempfinden zur Solidarität aus. Dieses Massenempfinden, dieser Drang zur gegenseitigen Hilfe ist ein wichtiger Anknüpfungspunkt für die Einheits- und Volksfront.

Bei aller chauvinistischen Verhetzung will auch heute noch die Mehrheit des Volkes die Erhaltung des Friedens. Das ist ein weiterer großer Anknüpfungspunkt für die Herstellung der Einheits- und Volksfront.

Wir sagen zum Beispiel, an die Danziger Bevölkerung gerichtet: Wir Kommunisten sind für das Zusammengehen und den gemeinsamen Kampf aller Gegner des nationalsozialistischen Senats. Wir werden, wenn durch eine solche Kampffront auf dem Wege eines Volksentscheides die Regierung gestürzt wird, alle Maßnahmen einer neuen, gegen die Nationalsozialisten gerichteten Regierung unterstützen, die im Interesse des Volkes liegen.

Wir sagen den Sozialdemokraten und Zentrumsanhängern und allen Oppositionellen in Danzig, daß wir nichts unversucht lassen, um mit ihren Organisationen in Danzig zu einer antifaschistischen Volksfront zu kommen. Wir sind bereit, Vorschläge für ein gemeinsames Kampfprogramm zu machen. Falls eine Verständigung erzielt wird, und eine breite antifaschistische Volksfront entwickelt ist, sind wir nach der Lage der Dinge für die Aufstellung der Losung: Her mit einer Regierung der antifaschistischen Volksfront.

Wir haben manchmal zwei abstrakte Auffassungen über den Sturz der Hitlerdiktatur gehört. Nach der einen wird mit dem Sturz der Hitlerregierung gleich das kapitalistische System stürzen. Es ist unser revolutionärer Wille, das herbeizuführen. Aber dies von vorneherein als einzige Möglichkeit zu erklären, schließt die Gefahr in sich, die Volksfrontpolitik zum Sturze der Hitlerregierung von vornherein einzuengen.

Die andere Auffassung besagt, daß unvermeidlich mit dem Sturz der Hitlerdiktatur noch eine Art Kerenskiperiode kommen würde. Das ist ebenso falsch. Diese Auffassung schließt die Gefahr in sich, keine wirklich revolutionäre Orientierung auf die Zwischenschichten zu nehmen und die Klassenlinie zu verwischen ‑ nicht zu sehen, daß die Zwischenschichten auch Verbündete sein müssen beim Sturz des Kapitalismus.

Wir müssen das eine wollen, und nicht unterlassen, auf das andere zugleich Kurs zu nehmen.

Das erfordert gerade die größte Beweglichkeit in unserer Taktik, aber auch die prinzipielle Festigkeit in unseren Bestrebungen.

In der Einheit der politischen Linie, in kollektiver Überwindung von Fehlern und Schwächen, in einem der Situation angepaßten Stalinschen Arbeitsstil, die Auslese und Verteilung der Funktionäre dem Wesen der Aufgaben unterzuordnen, in einer liebevollen Pflege der Kader, ihnen zu helfen, Fehler zu überwinden und sich zu entwickeln, sehe ich diese Garantien.

Der Faschismus richtet gerade gegen diesen Eckpfeiler unseres Internationalismus das ganze Feuer seines Hasses.

So stark wie damals Dimitroff vor dem Leipziger Blutgericht die Ehre unserer Partei verteidigte, so ehrenvoll es für uns als deutsche Partei ist, daß die Internationale unseren gefangenen Ernst Thälmann zum Ehrenpräsidenten des 7. Weltkongresses erhebt, so stolz sind wir auf die Verbundenheit mit der Kommunistischen Internationale und dem großen Führer des Weltproletariats, Genossen Stalin!

 

 

 

 

 

Fußnoten



[1].       Deutschland, Preußen 20. Juli 1932.

Preußen ist im Rahmen der Weimarer Republik ein Freistaat, der zwölf Provinzen umfasst. Er wird durch ein Staatsministerium mit Sitz in Berlin geleitet.

In Deutschland wird am 28. Juni 1928 eine von Heinrich Müller (SPD) geführte Koalitionsregierung gebildet, die Mitglieder der SPD, des Zentrums, der DVP und der DDP umfasst. Am 27. März 1930 tritt Müller zurück, am 30. März wird eine von Heinrich Brüning (Zentrum) geführte Minderheitsregierung gebildet, die Mitglieder des Zentrums, der DVP, der DDP, der BVP, der WP, der DNVP umfasst, insbesondere den Innenminister Joseph Wirth (Zentrum), den Verteidigungsminister Wilhelm Groener, den Arbeitsminister Adam Stegerwald (Zentrum). Am 14. September finden Reichstagswahlen statt. Von insgesamt 577 Mandaten erzielt die SPD 143, die NSDAP 107, die KPD 77, das Zentrum 68. Die Regierung Brüning bleibt im Amt. Im Oktober 1931 wird diese Regierung von einer anderen, wieder von Brüning geführten Regierung mit geänderter Zusammensetzung abgelöst, welche bis zum 30. Mai 1932 im Amt bleibt.

Die Analyse der neuen Aufteilung im Parlament, nach den Wahlen von September 1930, führt Brüning sowie Wirth zur Ansicht, dass in der Praxis die Regierung nicht Gefahr läuft, gestürzt zu werden. Die NSDAP lässt klar wissen, dass sie es nicht eilig hat, in die Regierung einzutreten und dass, falls das Zentrum sie in diesem Sinne anspräche, sie die Ministerien des Inneren und der Verteidigung verlangen würde. Diese abwartende Haltung bringt eine passive Billigung mit sich, zumindest solange es nicht zu einer Ausweitung der Regierung zur SPD kommt. Letzterer gegenüber ist das Zentrum in günstiger Stärkeposition, da in Preußen eine am 5. April 1925 gebildete Koalitionsregierung im Amt ist, die von Otto Braun (SPD) geführt wird und Mitglieder der SPD, des Zentrums, der DDP, der DStP umfasst; jederzeit kann das Zentrum diese Regierung stürzen und Einberufung von Wahlen erzwingen.

Am 3. Oktober 1930 versammelt sich die Reichstagsfraktion der SPD. Aus der Diskussion geht die Annahme einer Tolerierungspolitik der Brüning-Regierung gegenüber hervor. Diese Haltung konkretisiert sich bei den Abstimmungen über verschiedene von den anderen Parteien dem Reichstag vorgelegte Misstrauensanträge.

Am 20. Juli 1932, empfangen der Reichskanzler Franz von Papen und der Innenminister Wilhelm von Gayl die Minister Preußens Heinrich Hirtsiefer (Volkswohlfahrt), Carl Severing (Inneres) und Otto Klepper (Finanzen). Papen kündigt an, dass auf sein Verlangen der Reichspräsident eine "Verordnung betreffend die Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Gebiete des Landes Preußens" unterzeichnet hat. Die Verordnung ernennt den Reichskanzler zum Reichskommissar für das Land Preußen. Papen teilt mit, dass er den preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun (SPD)und den preußischen Innenminister Carl Severing (SPD) absetzt und Franz Bracht mit der Leitung des Innenministeriums beauftragt. Die anderen Minister werden ebenfalls entlassen.

Severing erklärt, dass er energisch gegen diese Maßnahmen protestiert und nur der Gewalt weichen wird, oder aber dass er seinen Posten verlassen würde im Falle einer ausdrückliche Anweisung des Reichspräsidenten oder eines Beschlusses des Landtages.

Durch diese Verordnung wird im betroffenen Bereich der Ausnahmezustand angeordnet und die Polizei wird dem Kommandanten des Wehrkreises 3, Generalleutnant Gerd von Rundstedt, unterstellt, welcher den Direktiven des Verteidigungsministeriums gehorcht. Der Polizeipräsident Albert Grzesinski (SPD), der Polizeivizepräsident Bernhard Weiß und der Kommandant der Schutzpolizei von Berlin, Magnus Heimannsberg, erhalten ihren Entlassungsbescheid. Sie erklären, dass diese Bescheide juristisch nicht fundiert sind, sie werden verhaftet, dann freigelassen, nachdem sie eine Erklärung unterzeichnet haben, dass sie darauf verzichten, ihre Funktionen auszuüben. An die Stelle Grzesinskis als Polizeipräsident tritt Kurt Melcher.

Nach dem Treffen im Kanzleramt begeben sich Hirtsiefer, Severing und Klepper ins Innenministerium Preußens zu einem Treffen mit den anderen Ministern. Auf Vorschlag Severings wird beschlossen, beim Staatsgerichtshof Einspruch zu erheben.

Im Verlaufe des Abends ist Severing unter Androhung von Verhaftung gezwungen, das Büro des Innenministeriums zu verlassen.

[2].       Deutschland, Sturmabteilung, Ernst Röhm.

In Deutschland wird am 12. November 1920 durch die Deutsche Arbeiterpartei (DAP, Vorgänger der NSDAP) eine mit Ordnungsdienst beauftragte “Turn- und Sportabteilung” gebildet. In der Folge schließt diese Struktur ehemalige Mitglieder der im Juni 1921 aufgelösten bayerischen Einwohnerwehren und des vormaligen Freikorps Oberland ein. Dabei spielt Ernst Röhm (aktiver Hauptmann und Generalstabsoffizier beim Infanterieführer der VII. bayerischen Reichswehrdivision, Mitglied der NSDAP) und Hermann Ehrhardt (Kapitän, ehemaliger Kommandeur der II. Marine-Brigade) eine wichtige Rolle. Am 5. Oktober 1921 nimmt die Vereinigung den Namen “Sturmabteilung” (SA) an.

Am 8. November 1923 bilden in Bayern der Generalstaatskommissar Gustav von Kahr, der Generalleutnant Otto von Lossow und der Oberst Hans von Seisser, Oberhaupt des Landespolizeiamtes, eine Gruppe, die auf einen Staatsstreich gegen die Reichsregierung hinarbeitet. Sie unterhalten mit der NSDAP durch Zusammenarbeit und Rivalität gekennzeichnete Verbindungen. Am 8. November findet in Anwesenheit von Kahr, Lossow, Seisser und mehreren Ministern Bayerns ein Treffen in einer Brasserie in München statt. Adolf Hitler versucht, die Ereignisse zu überstürzen, indem er mit einer bewaffneten Gruppe des Kampfbundes erscheint und seine Teilnahme aufzwingt. (Der Kampfbund ist ein im September 1923 gegründete Verband dreier paramilitärischer Organisationen: Sturmabteilung, Reichsflagge, Bund Oberland.) Das Unternehmen misslingt.

1924 wird Ernst Röhm, Mitglied der NSDAP, als Stabschef mit der Führung der SA beauftragt. Er hegt die Absicht, diese Organisation zu einer Volksmiliz umzugestalten, in der die Reichswehr einbezogen würde. Er strebt auch eine sogenannte "zweite Revolution" an, die eine radikale soziale Umgestaltung bringen sollte. Er kommt dabei mit dem von Hitler verfolgten Kurs in Widerspruch, er tritt von seinem Posten zurück, übernimmt aber 1931 erneut die Führung der SA. Hitler, in Übereinstimmung mit innerparteilichen Rivalen Röhms (Heinrich Himmler, Hermann Göring) entscheidet sich gegen Röhm. Anlässlich einer Führertagung der SA lässt er am 30. Juni 1934 die gesamte SA‑Führung durch SS‑Einheiten liquidieren. Gleichzeitig werden andere störende Personen aus dem Wege geräumt, sowohl Mitglieder der NSDAP wie auch, unter anderen, Kurt von Schleicher. Letzterer war Verteidigungsminister in der am 1. Juni 1932 von Franz von Papen gebildeten Regierung gewesen, und war am 3. Dezember Kanzler geworden. In der Absicht, ein Nationalsozialisten, Gewerkschaften und Sozialdemokraten einbeziehendes Bündnis herbeizuführen, hatte er ausgedehnte Unterredungen unternommen, die aber fruchtlos blieben.