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Präsidium des Exekutivkomitees
der Kommunistischen Internationale
(8.‑21. Januar 1924)

Die Lehren der deutschen Ereignisse

8.‑21. Januar 1924

 

 

Quelle:

Die Lehren der deutschen Ereignisse - Das Präsidium des EK der KI zur deutschen Frage - Januar 1924; Verlag der Kommunistischen Internationale, Verlag Carl Hoym Nachf., Hamburg, 1924 [1].

 

 

 

 

 

 

Erstellt: Februar 2018

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Dokumente der Kommunistischen Internationale ‑ Übersicht

 

 

 

 

 

 

Nur für die Mitglieder der Kommunistischen Internationale

Das Präsidium versammelte sich zur Besprechung der deutschen Frage zum erstenmal am 8. Januar, um ein Referat des Genossen Losowski über die Gewerkschaftsfrage anzuhören. Nach dem Referat fand eine kurze Diskussion statt.

Die zweite Sitzung tagte am 11. Januar. Anwesend waren außer dem Präsidium auch die in Moskau anwesenden Mitglieder der Exekutive, einige Vertreter der polnischen und der bulgarischen Partei und die Vertreter der drei Richtungen der K.P.D.

Der Behandlung der politischen Frage dienten zur Unterlage 5 Resolutionsentwürfe:

ein Entwurf des Gen. Sinowjew,

ein Entwurf der Genossen Radek und Trotzki,

ein Entwurf der Vertreter der Linken,

ein Entwurf des Zentrums und

ein Verständigungsentwurf, der zusammen mit dem Genossen Sinowjew und zwei Vertretern des Zentrums ‑ Remmele und Koenen ‑ und dem Genossen Pieck ausgearbeitet worden war.

Die Behandlung der Frage wurde durch ein Referat des Vertreters des E.K.K.I. eingeleitet, dem die Referate der Genossen Brandler, Remmele, R. Fischer folgten. Im folgenden werden diese Referate wiedergegeben.

I.
Das Referat des Vertreters des E.K. in Deutschland
[2]

Ich will zuerst ein paar Worte über formelle Dinge sagen. Die Delegation des E.K.K.I. bestand aus vier Genossen. Sie hat während der ganzen Zeit die Arbeit in absoluter Übereinstimmung geführt. Der Teil meines Referates also, der sich nicht auf die Beurteilung der Vergangenheit bezieht, sondern auf die Darstellung der Arbeit, der Differenzen in bezug auf die Berliner Organisation, basiert auf dem gemeinsamen Bericht, den wir alle eine Woche vor unserer Wegfahrt an das Z.K. sandten, der uns alle drei also bindet; meine persönliche Auffassung, über die ich mit einem Genossen nicht sprechen konnte, die ich mit den zwei anderen Genossen aber durchgesprochen habe, betrifft also nur die Beurteilung der Gründe des Zusammenbruches und so weiter.

Mein Bericht wird in zwei Teile zerfallen. Der erste Teil soll eine Darstellung der Arbeit der Delegation, der Tatsachen und wichtigsten Dokumente dieser Arbeit bilden. Der zweite Teil des Berichtes bezieht sich schon auf das Zurück und Vorwärts, soll der Versuch sein, die große Niederlage der Partei, ihren Sinn zu verstehen und diesen hier darzustellen, wie Arwid und ich ihn sehen.

Ich beginne mit dem ersten Teil. Die Delegation nahm nicht an der Fassung des entscheidenden Beschlusses der Partei teil, des Beschlusses, der auf der Chemnitzer Konferenz fiel, da sie abwesend war.

Was hat die Delegation vorgefunden? Die Zerschlagung des Kriegsplans, wie er von der Exekutive angenommen worden. Der Aufmarschplan der Partei, wie er hier in den September- und Oktoberberatungen festgestellt wurde, ging von folgendem Grundgedanken aus: das Proletariat marschiert auf in Sachsen, aus der Verteidigung der Arbeiterregierung heraus, in die wir eintreten; und es wird in Sachsen versuchen, die Staatsgewalt auszunutzen, um sich zu bewaffnen, um in diesem engmaschigen proletarischen Bezirk Mitteldeutschlands einen Wall zu bilden zwischen der Südkonterrevolution in Bayern und dem Nordfaschismus. Gleichzeitig wird die Partei im ganzen Reiche eingreifen, die Massen mobilisieren.

Dieser Plan mißlang aus folgendem Grunde. Erstens, als unsere Genossen in die Regierung eintraten, waren sie nicht in der Lage, die Bewaffnung des Proletariats durchzuführen. Die Partei hatte in Sachsen, wie wir informiert wurden, 800 Gewehre. In Chemnitz auf der Konferenz zeigte sich der zweite Teil des Plans zerschlagen, nämlich der gemeinsame Aufmarsch der sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeitermassen. Der Antrag auf Proklamierung des Generalstreiks und des bewaffneten Aufstandes in Chemnitz wurde angesichts des Widerstandes der linken S.D. gar nicht gestellt. Unsere Partei hat sich zurückgezogen, indem sie diesen Rückzug mit der Formel deckte: Einsetzung eines Aktionskomitees, das beschließen soll, was weiter zu tun ist. Die Zentrale entschied sich, jedem Kampfe auszuweichen, aus der Anschauung heraus, daß die Einheitsfront des Proletariats in diesem Kampfe nicht mehr aufzustellen sei, daß es unmöglich sei, sie aufzustellen, und daß in dieser Situation bei den geteilten Kräften des Proletariats und dem Zustand der technischen Vorbereitung der Aufstand unmöglich sei.

Zu dieser Situation hatte ich Stellung zu nehmen. In dem Gespräch mit den Genossen habe ich die Tatsache gutgeheißen, daß sie, nachdem sie nicht imstande waren, die Einheitsfront mit den sozial-demokratischen Arbeitern aufzustellen, von dem Plan des Aufstandes in Sachsen abgesehen haben. Ich forderte jedoch zur gleichen Zeit von den Genossen, den Streik zu proklamieren. Ich begründete das damit, daß wir, wenn wir auch noch nicht stark genug sind, um allein als Kommunistische Partei den Aufstand gegen die Faschisten durchzuführen, doch stark genug sind, um uns zu wehren und nicht kampflos die Position zu räumen. Alle dort anwesenden Genossen haben diesen Standpunkt abgelehnt. Sie haben erklärt: Es besteht keine Möglichkeit, in diesen Kampf einzutreten, denn wenn wir den Streik proklamieren, so haben wir den bewaffneten Aufstand. Will man nicht den Aufstand, so muß man auf den Streik verzichten. Am nächsten Tag, als die Zentrale sich in Berlin versammelte, kam die Nachricht über Hamburg. Es fand eine neue Sitzung der Zentrale statt, in der zwei Anträge vorlagen. Der eine ‑ von Genossin Ruth Fischer ‑ ging darauf hinaus, für Donnerstag den Massenstreik in Berlin zu proklamieren, mit dem Ziel, daß er in 2, 3 Tagen in den bewaffneten Aufstand übergehen sollte. Gleichzeitig sollten Kiel und andere Städte in Bewegung gesetzt werden. Der zweite Antrag lautete, darauf zu verzichten. Mein Antrag ging weiter auf dieselbe Sache: Streik ohne bewaffneten Kampf.

(Gen. Fischer: Nein, nein!)

Streik ohne bewaffneten Aufstand. Dieser Antrag wurde wieder von allen Teilen, von Gen. Fischer, von Hans Pfeiffer, von all den Genossen abgelehnt mit derselben Begründung: Streik ist Aufstand. Wollt ihr keinen Aufstand, dann ist der Streik unmöglich.

Nach dieser ersten praktischen Entscheidung begannen an jedem Tage neue Diskussionen. Bei jeder praktischen Frage wieder: Was machen wir weiter? Um einen momentanen Stillstand der Diskussion in der Zentrale herbeizuführen, schlug die Delegation am 26. der 7er‑Kommission[3] folgende Resolution vor:

Die 7er‑Kommission beschließt:

1. Die sozialen und politischen Gegensätze spitzen sich mit jedem Tage zusehends zu. Jeder Tag kann große entscheidende Kämpfe der Revolution und Konterrevolution bringen.

2. Die Vorhut der Arbeiterklasse (die Kommunisten und ein Teil der sozialdemokratischen Arbeiter) drängt zur Aufnahme des Kampfes; aber das Gros der Arbeiter ist trotz seiner großen Erbitterung und Not hoch nicht bereit zu kämpfen.

3. Darum müssen die Reserven des Proletariats durch eine entschlossene Agitation an die Vorhut herangezogen werden. Die Schichten des Proletariats, die besonders für den Kampf in Betracht kommen (Metallarbeiter, Bergarbeiter, Eisenbahner, landwirtschaftliche Arbeiter und Beamte) müssen durch besondere Arbeit der Partei ergriffen werden. Die technische Vorbereitungsarbeit muß mit aller Kraft betrieben werden. Zur Einigung des Proletariats für den Kampf ist sofort in Verhandlung mit der Sozialdemokratie zentral und lokal zu treten, um entweder die Sozialdemokraten zum Kampfe zu zwingen öder die sozialdemokratischen Arbeiter von den verräterischen Führern loszulösen.

4. Angesichts dieses Zustandes ist es notwendig, daß die Partei solange als möglich die Genossen von dem bewaffneten Kampfe zurückhält, um Zeit für die Vorbereitungen zu gewinnen. Sollten jedoch große spontane Kämpfe der Arbeiterklasse ausbrechen, so wird sie die Partei mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützen. Die Partei hat auch die Schläge der Konterrevolution zu parieren durch die Mittel des Massenkampfes (Demonstrationen, politische Streiks). Es ist bei diesen Kämpfen möglichst der Waffenkampf zu vermeiden.

5. Gegen das Ultimatum Stresemanns hat die Partei im ganzen Reiche zum Proteststreik aufzurufen, bei dem dem bewaffneten Kampfe aus dem Wege zu gehen ist. Falls die Sozialdemokratische Partei in Sachsen den Kampf gegen das Ultimatum Stresemanns nicht aufnimmt, haben unsere Genossen mit der sächsischen Regierung zu brechen und zum Kampf gegen sie überzugehen.

6. Alle Mitglieder der Zentrale haben die Beschlüsse der Partei durchzuführen. Die Zentrale wird eine neue Arbeitseinteilung unter ihren Mitgliedern vornehmen.

Dieser Beschluß wurde einstimmig angenommen. Genossin Ruth Fischer stimmte für diesen Beschluß. Das war also 5 Tage nach der sächsischen ersten Niederlage, nach der Chemnitzer Konferenz.

Dann kam die zweite sächsische Phase, nämlich das Ultimatum Stresemann usw. Die Delegation schlug der Zentrale den Beschluß auf Streik vor. Bevor noch dieser Beschluß gefaßt wurde, schrieb ich einen Brief an die Genossen Böttcher und Heckert, die von Sachsen gekommen waren und nicht auf die Beschlüsse warten konnten. In diesem Brief teilte ich ihnen als meinen Standpunkt mit (ich werde den Brief evtl. später vorlegen): Sie müssen alles tun, um nicht kampflos die Position zu räumen, Streik; weiter die Mitteilung daß ich diesen Vorschlag in der Zentrale mache und daß sie, Böttcher und Heckert, falls die Zentrale anders beschließe, eine Nachricht bekommen würden. Die Zentrale hat so beschlossen. Der Streik wurde nur teilweise durchgeführt.

Später kam die thüringische Geschichte. Obwohl dazwischen eine große Zeitspanne liegt, will ich hier schon zusammenfassen. Wir haben wieder den Streik beschlossen, die thüringischen Genossen haben ihn nicht durchführen können.

Genossen, wir sahen die Aufgabe der Delegation der Komintern und der Zentrale in folgendem. Daß wir eine große Niederlage ‑ eine vielleicht für längere Zeit entscheidende Niederlage ‑ davongetragen haben, war klar. Es drohte die große Gefahr der Panik, der größten Enttäuschung, in der Masse. Eine Niederlage an und für sich war nicht so gefährlich, wie diese Tatsache. Aus diesem Grunde stellten wir uns die Aufgabe: die zurückflutende Masse zum Stehen zu bringen, die K.P.D. wieder zum Konzentrationspunkt der kämpfenden Masse zu machen und den Kampf wieder aufzunehmen.

Als der Zentralausschuß zusammenkam, war es uns noch nicht klar, um welche Punkte wir die Masse sammeln, auf welchem Boden wir sie m der Aktion sammeln würden; den Hebel der Aktion hatten wir noch nicht in den Fingern. Darum ist der betreffende Passus in den von uns vorgeschlagenen Thesen des Zentralausschusses noch nicht konkret genug. Aber mehr als man weiß kann man nicht geben. Auf welchem Boden den Kampf führen, das wußten wir noch nicht, und kein anderer Vorschlag wurde gemacht. Nach ein paar Tagen war es uns klar, um was es sich handelt, daß die erste Aufgabe der Partei darin besteht, sich nicht von der Oberfläche wegblasen zu lassen: also, da wir weder Presse noch Versammlungsfreiheit hatten ‑ Straßendemonstrationen. Sie müssen wissen, daß die größte Schwierigkeit der Arbeit der Vertreter der Exekutive darin bestand, daß sie keinen direkten Kontakt mit der Arbeitermasse selbst hatten, daß sie aus dem Zeitungsmaterial und aus den Gesprächen mit irgend welchen 10 Genossen sich die Brocken der Wirklichkeit zu sammeln hatten, die praktische Linie herausbilden mußten ‑ ich werde Ihnen eine solche komische[4] Tatsache mitteilen ‑, daß für mich mit ausschlaggebend in der Beurteilung dessen, was zu machen war, das Bild der Stadt war, das ich auf Streifzügen durch die Stadt bekam, nämlich die Sammlung der Arbeitslosen vor den Läden, ein paar Gespräche über das, was sie dachten, die man aufschnappte. Das wird das Bild jeder Tätigkeit delegierter Genossen sein, die nicht imstande sind, in den Massen zu wirken. Es fehlen uns immer die von unten kommenden Impulse, wir kriegen sie erst durch das Sieb der Stimmungen und Auffassungen der einzelnen Genossen.

Nun, diese Linie, die wir vorschlugen: Demonstrationen, Arbeitslosendemonstrationen in die Hand nehmen, Unterstützung jedes Streiks. ‑ Der Streik der Buchdrucker zeigte sich sogleich als eine sehr große Angelegenheit, der erste Widerstand gegen die Seecktsche Diktatur. ‑ Die Organisation der Hundertschaften nicht als eine von der Partei abgesonderte Sache, sondern die Verteidigung der Demonstrationen durch sie. Diese Linie des aktiven Kampfes war es, auf der wir die Partei zu sammeln suchten. Wie wurde diese Linie akzeptiert? Im allgemeinen war die ganze Zentrale, was die Arbeitslosendemonstrationen usw. anbetrifft, einig. In der Auffassung der Frage der Verteidigung der Demonstrationen war die Mehrheit der Zentrale einig. Wo es sich um die Durchführung handelte, trafen wir auf den größten Widerstand der Vertreterin der Berliner in der Zentrale, die auf dem Standpunkt stand, die Erbitterung in der Parteimasse und die Enttäuschung sei so groß, daß die Genossen nicht imstande wären, die Massen für die Demonstrationen zu gewinnen. Der zweite Standpunkt war: wir werden es tun, aber das erfordert eine lange Vorbereitungsarbeit. Genossen, ich hielt diese Auffassung der Genossin Fischer für eine rein persönliche Auffassung. Ich habe mich davon überzeugt ‑ ich werde sagen, in welcher Weise ‑, daß diese Auffassung der Stimmung breiter Kreise kommunistischer Arbeiter in Berlin entsprach. Ich sage das, was ich feststellen konnte. Wie es in der Provinz war, konnte ich nicht sagen. Einige meiner Freunde stellten durch Gespräche mit kommunistischen Arbeitern fest, daß Genossen, gute kommunistische Arbeiter, die lange in der Partei waren und für den bewaffneten Widerstand sind, erklärten: wir wurden schon genug auf Demonstrationen geprügelt, es hat keinen Sinn, sie zu machen; entweder bewaffneter Aufstand, oder man muß einstweilen abwarten. Auf die Frage, warum nicht jetzt bewaffneten Aufstand?, sagten sie: Wir haben zu wenig Waffen, und auf die Frage: Wie wollt ihr sie kriegen?, kam die Antwort: Wir werden sie schon bekommen. Ich habe das von einer ganzen Anzahl unserer Genossen gehört, die solche Gespräche mit Berliner Arbeitern wiedergaben.

Nun, Genossen, der zweite Gegensatz kam in der Frage der bewaffneten Demonstrationen. Der Berliner Vertreter hat in den Kopfsitzungen ‑ im Gegensatz zu dem Hamburger ‑ den Standpunkt eingenommen, man könne sie nicht machen, man werde es nur zu unnützem Blutvergießen bringen, unsere Leute können nicht durch die Straßen mit der Knarre auf dem Buckel marschieren. Dieser Widerstand führte zu sehr großen Auseinandersetzungen in der Zentrale. Wir gaben nach und beschlossen, die erste Demonstration nicht zu verteidigen. Die ganze Zentrale stimmte dafür. Da es sich um die Berliner Organisation handelte, kamen wir zu der Überzeugung, daß man die bewaffnete Verteidigung nicht gegen den Widerstand der Berliner bei der ersten Demonstration in Berlin machen konnte. Und wie wir die Sache auffaßten, zeigt das Zirkular, das ich der Zentrale vorgeschlagen habe. Wir sagten uns, man wird die Partei nicht auf einmal in die Geschichte hineinbringen können: es handelt sich jetzt um die Aufstellung der Linie, es wird dagegen Widerstand geben. Ich sage mehr, es wird sich auch in der Praxis herausstellen müssen, wie weit wir in der Verteidigung der Demonstration gehen können.

Es ist klar, aus welchem Grunde diese Linie angenommen wurde. Für mich ist die Quelle der Schwäche der Partei und der Masse die Passivität dieser Masse und die Passivität unserer Partei. Solange die Masse nicht das Gefühl hat, daß wir Kommunisten uns wenigstens mit allen Kräften, mit allem Risiko einsetzen, ist die Masse nicht zum Kampfe zu bringen. Das, was jetzt im deutschen Proletariat existiert, ist eine Abspiegelung der allgemeinen Lage in Deutschland, des Zerfalls der politischen Aktivität, einer außerordentlichen politischen Passivität aller sozialen Klassen mit Ausnahme des Militärs. Ohne Militär zu sein und ohne konkret sagen zu können, wie wir diese Verteidigung führen werden ‑ das war Sache der militärischen Leitung ‑ sagte ich mir: Wir können nicht die Arbeiter ein- zweimal in die Demonstration führen, daß sie sich prügeln lassen wie die Hunde, und dann sagen: kommt zum drittenmal und laßt euch wieder prügeln. Entweder sind die Demonstrationen eine Geste, oder wir müssen zu ihrer Verteidigung schreiten.

Nun, Genossen, das war die Linie der Aktion, die wir vertraten bis zu unserer Abberufung, die Linie der Aktion, bestehend in folgenden Dingen: Halt machen im Rückzug; beginnt der Kampf, ihn nicht zu forcieren mit dem Gedanken an den Aufstand, der in dieser Situation unmöglich war, sondern den Kampf aufnehmen, wo der Feind ihn der Masse bietet: in der Brotfrage, der Arbeitslosenfrage, in der Frage des Zehnstundentages, des Verbots der Organisation, der Presse zu allen Mitteln des Massenkampfes greifen; und als neues Moment die höhere Stufe der Bewegung; wenn nötig, Verteidigung der Demonstrationen.

Ich gehe jetzt nach dieser Darstellung der Tätigkeit der Delegation der Exekutive zu der politischen Analyse über, wobei ich hier zwei Dinge feststellen muß. Über die Ursachen unserer Niederlage hatten wir natürlich vom ersten Tage an unsere Gedanken, wir schrieben sie in den Berichten an die Exekutive. Die Berichte liegen vor. Als der Parteiausschuß zusammentrat, stand die Frage so: Soll man in diesem Stadium in diese innere parteitaktische Auseinandersetzung über die Schwächen und Fehler der Partei eintreten oder nicht? Ich stand auf dem Standpunkt ‑ die ganze Delegation stand darauf, und ich stehe noch heute auf ihm: in dem Moment des ersten Versuches, die Partei zusammenzufassen, sie zum Stehen zu bringen, dem Gegner den Kampf zu geben, ist es nicht nur unzweckmäßig, sondern unzulässig, eine parteitaktische Debatte zu entwickeln. Ich formuliere den Standpunkt: wenn die Partei als Ganzes Kikeriki den Massen sagt, so daß diese die einfache Tätigkeit der Partei sehen, ist es schon gut. Ich hatte einen Kampf mit den Genossen, die die Notwendigkeit nicht verstanden; ich sagte damals, wenn wir imstande sind, in dieser Situation die Bendlerstraße mit Zetteln gegen Seeckt zu bekleben oder in den Kinos Zettel gegen die faschistische Diktatur hinunter zu schmeißen, so ist das wichtiger, als die beste Resolution, die wir in diesem Moment fassen können.

Das war meine Auffassung, und obwohl ich natürlich sehr gut wußte, daß eine solche Niederlage zur schwersten Parteikrise führen wird, in der die Auseinandersetzung kommen wird, hielt ich es für notwendig, diese hinauszuziehen, bis Klarheit über zwei Momente bestand: entweder, wird es sich zeigen, daß wir in eine längere Vorbereitungsperiode eintreten, in der es keine größere Möglichkeit der Aktion geben wird, dann muß die Partei die Dinge in der Diskussion erledigen; oder wir kommen durch die Teilkämpfe in große Kämpfe, dann wird die Partei in diesen großen Kämpfen ihre Schwäche überwinden.

Das war der Grund, warum ich mich in der energischsten Weise dem Versuch entgegensetzte, Mitte November die Diskussion zu beginnen, in der wir uns jetzt befinden. Ich will natürlich nicht behaupten, daß ich und die Delegierten damals schon bis zu Ende imstande waren, die Tiefe der Niederlage zu durchdenken. Vielleicht, ich habe unsere Korrespondenzen nicht nachgelesen, wird das, was ich heute als Abschluß der Auffassung aus der ganzen Diskussion sage, in manchem dem widersprechen, was wir unter dem ersten Eindruck der Ereignisse als Gründe der Ereignisse der Exekutive schrieben. Ich halte es nicht für die erste Pflicht des Politikers, wenn er A gesagt hat, immer A zu sagen. Manchmal muß man B, manchmal muß man auch Y sagen, aber manchmal kann man sagen, daß es überhaupt nicht A war.

Ich beginne jetzt, Genossen, mit dem zweiten Teil.

Welches waren die Gründe unserer großen Niederlage?

Erstens, ist die Niederlage groß: Ich glaube, schon ist festzustellen, daß die Niederlage uns zurückgeworfen hat, wo wir nahe am Ziel waren. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß wir eine große historische Situation verpaßt haben, wie sie selten so günstig vorliegt. Das ist die erste Sache.

Die zweite Sache ist: wir wissen noch nicht, ob die Zersetzung des Kapitals in Deutschland schnell vor sich gehen wird.

(Hesse: Nun, ein Vierteljahr.)

Wir wissen nicht, wie lange die Stabilisation dauern wird. Wir müssen aber auf Kampf visieren, solange es nicht vollkommen klar ist, daß sie nicht kommen. Eine politische Partei kann nicht sagen, entweder geht es so oder so. Der Theoretiker hat alle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. Der Parteipolitiker muß sich sagen: Was will ich in diesem Kräfteverhältnis? Gibt es Möglichkeiten der Verschärfung, dann müssen wir sagen, arbeiten wir für diese Verschärfung. Aber ich sage, hier, wo wir zuerst uns selbst über alle Möglichkeiten Rechnung ablegen, müssen wir sagen, es sind alle Möglichkeiten vorhanden, auch eine Möglichkeit der Verfaulung der Situation für eine lange Zeit, dann wird die Niederlage noch größer sein, als wir es jetzt sehen.

Drittens: wir wissen nicht, wie die Niederlage sich international in den Kommunistischen Parteien auswirken wird.

Also ich sage kein Wort zur Beschönigung dieser Niederlage.

Nun müssen wir uns in erster Linie fragen: welche Quellen hat diese Niederlage? Ich finde im Grunde zwei Erklärungen in dieser Sache. Die einen Genossen sagen so: Zwar ist die Masse der Partei eine gute proletarische Masse, aber die Führung besteht aus früheren sozialdemokratischen Funktionären, die wir noch nicht in Kommunisten umgewandelt haben. Diese Funktionäre haben verraten. Das ist eine Erklärung. Die zweite ist ‑ und auf diesem Boden stehe ich ‑ unsere Partei ist eine gute proletarische Partei, aber ohne genügende revolutionäre Erfahrung. Ihre Führung hat natürlich, wie alle kommunistischen Führungen, große Schwächen, die mit ihrer Abkunft aus der Sozialdemokratie zusammenhängen,, und bevor sie nicht durch eine Reihe der größten Massenkämpfe hindurch ist, hat sie keine genügende revolutionäre Erfahrung.

(Brandler: Manche waren sogar nicht in der Sozialdemokratie!) (Maslow: Es gibt auch solche, die wieder in der Sozialdemokratie sein werden.)

Obwohl eine gute Arbeiterpartei, sind wir nirgends noch eine gute kommunistische Partei. Und das ist das wichtigste, was ich in der ganzen Situation sehe. Es ist nicht wahr, Genossen, daß die Führung nicht kämpfen wollte, und daß die Massen überall stürmen. Es ist nicht so gewesen. Wenn wir die linken sozialdemokratischen Massen sehen, so sind vielleicht die Führer Verräter und diese Massen nicht Verräter, sondern ehrliche Arbeiter. Aber daß diese Massen ihre Führer nicht als Verräter angesehen haben und zum großen Teil jetzt nicht als Verräter ansehen, ist eine Tatsache. Das zeigt, daß die Reserven, die sich auf dem Wege zu uns befinden, erst in der Bildung begriffen sind. Und unsere Partei ist nach meiner Überzeugung, ‑ das zeigt eben das, worauf die Genossen von der Linken immer hinweisen: in den Gewerkschaften, in den Kommunalversammlungen, überall, wo nicht nur alte Funktionäre sitzen, sondern junge aus der Arbeiterschaft, stellen sie dem kapitalistischen Einfluß nicht den genügenden Widerstand entgegen, was sich daraus erklärt, daß wir als Kommunisten noch eine Minderheit in der Masse sind; die Masse sympathisiert mit uns, aber sie war nirgendwo bereit, mit uns bis zu Ende zu kämpfen; ‑ unsere deutsche Bruderpartei ist nicht eine von Sozialdemokraten geführte Partei, sie ist eine noch unfertige Kommunistische Partei.

Diese Tatsache hatte einen großen Einfluß auf die Entwicklung der Partei in der letzten Phase.

Genossen, es wurde die Frage aufgeworfen: Haben wir die Oktobersituation überschätzt? Ist das die Quelle des Irrtums, der Niederlage? Ich bin Gegner dieser Auffassung. Ich sage folgendes: Die Quelle unserer Niederlage liegt darin, daß die Ruhrgeschichte eine neue Phase in der Entwicklung des Klassenkampfes in Deutschland eröffnet hat. Wir haben auf dem Leipziger Parteitag in dem Aufruf an die Partei -gesagt: diese Phase endet mit dem Bürgerkrieg. Wir haben theoretisch richtig visiert, und wir haben die praktischen Schlüsse daraus nicht gezogen. Würden wir seit Mai, als der Durchfall der Ruhraktion schon klar war, als die Zersetzungselemente außerordentlich wuchsen, nicht die Besetzung der Fabriken in diesem Moment, sondern die wachsenden Massenkämpfe aufgerollt haben ‑

(Scholem: Wer hat denn das getan?)

(König: Götterdämmerung!)

Wenn Götter dämmern, sollen sie zehnmal dämmern; wir brauchen keine Götter, auch Berliner Götter sind nicht besser als andere Götter, ich werde es beweisen.

(R. Fischer: Im Mai in Deutschland.)

Im Mai halte ich es für ein großes Verdienst, daß wir es dem General Seeckt nicht erlaubt haben, die deutschen Arbeiter zwischen die Mitrailleusen der Deutschen und Franzosen zu jagen. Aber wir hatten die Pflicht, die Arbeiter im nichtbesetzten Gebiet heranzuziehen, die Kämpfe so zu erweitern, daß wenigstens die deutschen Kräfte der Bourgeoisie gebunden waren.

Wir haben es nicht getan. ‑ Ich behaupte, es bestand zwischen uns nicht die geringste Meinungsverschiedenheit. Genossin Fischer fuhr mit Brandler nach der Ruhr.

(R. Fischer: Wir mußten sogar eine eigene Resolution machen.)

Sehr richtig, und ihr habt in der Resolution nichts formuliert, ihr könnt sie hier vorlegen.

Ihr könnt später nach meinem Referat eure Rechnung vorlegen und auf Grund eures Referats später die Führung der Partei fordern. Ich suche, ohne Rücksicht darauf, wem das schadet oder dient, einstweilen das festzustellen, woran auch wir und alle andern Schuld sind. Und ich glaube, damit den Beweis zu liefern, daß es mir nicht um fraktionelle Dinge geht.

Genossen, diese Tatsache hier: wir in Moskau orientierten uns, daß es wirklich um ausschlaggebende Dinge in Deutschland geht, erst nach den Augusttagen. Der beste Beweis dessen ist folgendes. Wir hatten die Konferenz in Essen und die in Frankfurt. Diese beiden Konferenzen hatten agitatorische Bedeutung; es waren keine Konferenzen, die den Kampf organisierten. Wenn ein Beweis notwendig ist, so der, daß die Exekutive nicht darauf gedrängt hat, daß die französische Partei auch nur 20 Genossen zur illegalen Arbeit unter die Truppen gesandt hat. Auf der Sitzung der Erweiterten Exekutive befaßten wir uns mit der propagandistischen Auswirkung dieser Dinge. Würden wir die Dinge im Ernst als auf die Revolution zutreibende wirklich angesehen haben, so hätte auf der Tagesordnung der Erweiterten Exekutive nur eine Frage stehen dürfen, nämlich die Frage der Vorbereitung der Massenkämpfe in Deutschland und der Vorbereitung des bewaffneten Aufstandes.

(Klara Zetkin: Sehr richtig!)

Wir haben das nicht getan. Nach den Augustereignissen sahen wir, wohin es geht, und wir haben uns gesagt, entweder nehmen die Faschisten die Gewalt, oder wir müssen sie nehmen. Wenn wir den Kampf wollten, könnten wir uns nicht die Verteidigung der Novemberrepublik zum Zweck setzen. Der Unterschied zwischen der Kerenski- und der Novemberrepublik war der: unter Kerenski hatten die Arbeiter die Sowjets, hatten etwas zu verteidigen, in Deutschland aber war die Novemberrepublik in den Herzen der Arbeiter tot, kein Hund würde sich zu ihrer Verteidigung rühren. Also wir mußten uns, wenn wir durchdringen wollten, das Ziel stellen: Eroberung der Macht.

Und was hat sich herausgestellt? .Bevor wir noch hier im September und Anfang Oktober diese Linie, ‑ Kampf um die Eroberung der Macht ‑ sozusagen die Terminfrage, entschieden haben, schrieb Sinowjew einen Entwurf, den ich dann umgeändert habe, die 14 Punkte, die wir an die deutsche Partei nicht als Beschluß, sondern zur Rückäußerung sandten. Die deutsche Partei erklärte, sie akzeptiere sie. Es war ein Aktionsprogramm, es gab konkret an, was ihr auf allen Gebieten tun solltet. Die Partei hat aber ‑ von August bis Oktober ‑ nichts getan. Die ausschlaggebende Tatsache ist, daß wir nicht einmal Rückzugsgefechte führen konnten; als die kommunistische Presse unterdrückt wurde, haben wir mit keinem einzigen Gegenschlag geantwortet.

(Maslow: Wir haben für die Verfassung gekämpft.)

Wir haben sogar nicht für die Verfassung gekämpft. Das Ermächtigungsgesetz war die In-die-Luft-Sprengung der Weimarer Verfassung. Also, wir haben nicht einmal für die Verfassung gekämpft. Wären wir imstande gewesen, die Massen für die Verfassung zu mobilisieren, so wäre es noch besser gewesen, als daß wir nicht einmal dazu imstande waren.

Wir beschlossen hier: Die Situation ist so ernst, entweder nehmen die Faschisten die Macht oder wir. Wir beschlossen, wir nehmen sie. Wir haben uns einen Termin gesetzt. Jetzt ‑ das ist meine und Arvids Auffassung ‑ wird versucht, diese Termingeschichte sozusagen zum Hauptfehler zu stempeln. Nun, ich sage, man muß zwei Dinge auseinanderhalten:

1. Haben die Kommunisten, wenn sie reell an die Machteroberung denken, sich einen Termin für ihre Arbeit zu setzen? Jawohl.

Können sie ihn so setzen, daß sie der Masse sagen: Werte Genossen, wann wir die Macht nehmen, wissen wir nicht, aber setzen wir aus pädagogischen Gründen einen Termin für uns fest. Das können sie nicht tun.

Also, sie müssen sich einen Termin zum Kampfe setzen. Der Fehler bestand nicht in der Terminsetzung, sondern erstens darin, daß die Terminsetzung in Moskau erfolgte. Ich habe damals schon erklärt: nur im Fluß der Ereignisse kann die Instanz, die den Kampf führt, sich den Termin setzen. Denn wenn diese Instanz in Moskau den Termin festsetzt ‑ die Partei erfährt es, denn wenn sie es nicht erfährt, ist es ein Unsinn ihn festzusetzen, ‑ so beginnt die Panik, das Geschrei von Verrat, wenn man genötigt ist, den Kampf zu verschieben.

Aber ich glaube, die Terminsetzung, ob richtig oder nicht, spielte überhaupt keine Rolle. Die Hauptrolle in der ganzen Geschichte spielte die Tatsache, daß die Partei, die bisher die Kampffront nicht aufmarschieren ließ, ‑ als sie sich sagte: Kampf, erklärte, der bestehe darin, daß wir uns zum Losschlagen vorbereiten, und daß sie inzwischen nichts tat.

Diese Tatsache war die ausschlaggebende Tatsache für die Niederlage.

Ihr könnt sagen: ob im Oktober oder schon im Mai die Fehler gemacht wurden, nicht die Frage ist entscheidend. Die entscheidende Frage ist: Warum haben wir die Fehler gemacht?

Genossen, wir haben eine Periode unserer Geschichte, die bis zu den Märzkämpfen hinaufgeht. Worin besteht sie? Wir suchten uns damals die Ergreifung der Macht als aktive Aufgabe zu stellen. Seit wenigstens September 1920, seit unserer Niederlage in Polen, war es klar, daß die Welle der Revolution abflaute, daß wir uns als Hauptaufgäbe die Eroberung der Mehrheit des Proletariats stellen mußten. Wie kamen wir zu der Stellung dieser Aufgabe? Die Partei konnte nicht von der Taktik des Strebens nach der Machtergreifung ohne weiteres hinuntergehen zu der Taktik: erst organisieren wir die Mehrheit des Proletariats; sie mußte sich zuerst die Schädel einrennen. Es hat sich praktisch gezeigt, weder wir hier in Moskau haben schnell genug gesehen und visiert, noch die Genossen in der Arbeit haben die Änderung der Situation schnell genug verstanden. Und erst, als wir unvorbereitet geschlagen wurden, da ist es uns wie Schuppen von den Augen gefallen, und wir haben gesagt: die Situation hat sich geändert, man muß zuerst die Massen erobern. Diese Periode der Eroberung der Massen mit Agitation und Propaganda dauerte bis zum Ruhrkriege. Dann aber konnten wir sie nicht mehr auf propagandistischem Wege erobern, mußten, um sie zu erobern, zu Aktionen übergehen. Und wieder ist der Umstand, daß wir vor einer zweiten Welle der Revolution stehen, weder von uns hier, noch von euch dort als Ganzes schnell genug erfaßt worden.

Nun, bedeutet das: die Führung war sozialdemokratisch? Nein, die deutsche kommunistische Führung ist besser als in irgendeinem anderen Lande, wo wir Massenparteien haben, aus einem einfachen Grunde. In keinem einzigen Lande hatten wir die Kämpfe, die wir in Deutschland hatten. Es ist die Marxsche Schulung da, es fanden die Kämpfe mit Kautsky statt, die Erfahrung der Revolution ist groß. Die Führung hat natürlich sozialdemokratische Züge, wie es Genossen gibt, die Züge des vollkommenen Mangels am Verständnis einer Massenbewegung haben, die gar nicht in der Sozialdemokratie waren. Wir setzen uns die Führung der Partei zusammen aus den Elementen, die wir haben, nicht aus der Luft.

Aus diesem Grunde ist jetzt für mich die wichtigste Frage; nachdem ich zu dieser Auffassung über die Gründe unserer Niederlage usw. gekommen bin: Was weiter?

Für dieses "Was weiter?" müßte man zuerst folgende Dinge feststellen. Erstens müßte man suchen, wer in Deutschland herrscht. In jeder Situation hat der Politiker, der eine Massenaktion zu leiten hat, im voraus festzustellen, gegen welchen Gegner er den Kampf führt, wie die Struktur dieses Gegners, welches sein Wesen ist. Der Streit darüber, ob der Faschismus gesiegt hat oder nicht, dieser Streit ist entschieden, nicht durch Worte, er ist entschieden durch Tatsachen. Er ist entschieden durch die Tatsache, daß die Bourgeoisie mit militärischen Mitteln die Arbeitermasse zurückgeworfen und ihr das Stinnesprogramm aufgedrängt hat, und daß die Arbeiterklasse im Zurückfluten ist. Der Sinn eures Widerstandes ‑ ich verstand ihn sehr gut, solange ihr noch glauben konntet, daß wir in den nächsten Wochen vielleicht stürmen können, und daß wir uns den Weg durch eine Formel versperren, bei der Genosse Sinowjew das Gefühl hatte, sie bedeutet die Kapitulation. Damals hatte euer Widerstand doch einen Sinn. Aber wenn ihr, liebe Genossen, genötigt sein werdet, noch ein Jahr lang zu streiten, ob der Faschismus gesiegt hat, dann ist bewiesen, daß er gesiegt hat... Ich versteife mich so wenig auf Formeln, die für mich nur ein Mittel der Politik sind, daß ich, als mich Genosse Remmele und Genosse Koenen baten: Sagen wir, um den Streit nicht zu verschärfen, die Weißen haben gesiegt, antwortete, meinetwegen kann man auch sagen, die Blonden, die Brünetten haben gesiegt.

(Remmele: Zwischenruf...)

Genosse Remmele, in ihren Thesen ist gesagt, daß der Faschismus gesiegt hat, nur haben sie das Wort nicht gebraucht, und sie haben das damit erklärt: wir brauchen nicht den Streit nach dem Koltschakartikel auf diesem Gebiet.

Worüber hat der Faschismus gesiegt? Die vorhergegangene Periode in Deutschland war die Periode der bürgerlichen Demokratie wie sie im Buche steht. Es gibt kein Land in der Welt, wo das Proletariat trotz periodischer Rückkehr der Unterdrückungen eine solche Bewegungsfreiheit hatte. Und welchen großen Einfluß hatte die Arbeiteraristokratie in der Novemberrepublik. Wer das verkennt, der versteht nicht das A und O, warum die sozialdemokratischen Massen so an ihrer Republik hängen. Der Streit zwischen uns ging nicht darüber, ob die Sozialdemokratie vergewaltigt, oder eine Prostituierte ist; nicht darum ging der Streit. Die Ursache, warum ich für absolut nötig hielt, zu sagen, der Faschismus hat gesiegt, ist eine andere. Wenn der Faschismus gesiegt hat und die Sozialdemokratie sein Verbündeter ist, ‑ kein Bündnis mehr mit der Sozialdemokratie.

Zweiter Grund. Neben der Frage der Änderung der Einheitsfronttakik,. d. h, des Absagens an die Führer der Sozialdemokratie, wie es in der Reichsausschuß-Resolution enthalten ist, halte ich für die zweite ausschlaggebende Frage der deutschen Revolution das Heranziehen der kleinbürgerlichen Massen. Und hier komme ich zu einer Sache, die für mich, ich muß sagen, einerseits eine der wichtigsten, andererseits eine der komischsten[5] Fragen als Differenzfrage ist.

Genossen, wir haben während der Diskussionen mit den deutschen Genossen im Frühling hier in Moskau die Resolution über die nationale Frage gefaßt, in der wir sagten: die Partei steht vor einer neuen Aufgabe, der Eroberung des Kleinbürgertums, das proletarisiert wird, als des Bundesgenossen, den wir vor der Eroberung der Macht in Deutschland zum Teil für uns gewinnen. Darum die Teilnahme der Partei an Mittelstandsfragen und die Hervorkehrung der nationalen Frage. Wir haben in der Erweiterten Exekutive dazu Stellung genommen. Die Schlageterrede[6] wurde einstimmig gutgeheißen. Nach der Rede haben Genossin Fischer und Remmele Arm in Arm mit mir diese Agitation weiter geführt. Mehr noch. In den Thesen der Exekutive und des russischen Z.K. über die deutsche Frage und in den Artikeln, die Genosse Sinowjew zur deutschen Revolution veröffentlichte, wurde das als das Neue erklärt und mit Recht. In Rußland spielte der Bauer, weil er der Armee angehörte, die Rolle des Verbündeten. Wäre die Armee nicht dagewesen, so würde er eine große Rolle später, nach der Machteroberung, gespielt haben, aber nicht die zentrale Rolle bei der Machteroberung. In Deutschland haben wir ein proletarisiertes Kleinbürgertum, es geht unter faschistischen Fahnen, und der Sieg des Faschismus bedeutet seinen Ruin. Aus diesem Grunde spielen die Differenzen im Lager des Faschismus eine entscheidende politische Rolle für uns. Nur wenn wir durch Herausarbeitung dieser Gegensätze und durch ihre Schürung die kleinbürgerlichen Massen, wenigstens einen Teil von ihnen, von Stinnes und Westarp trennen und für uns gewinnen können, nicht als Mitglieder, aber als einen, wenn auch schwankenden Bundesgenossen, haben wir einen wichtigen Schritt vorwärts gemacht. Genosse Sinowjew schrieb in seiner Broschüre über die Probleme der deutschen Revolution[7]:

Die deutsche Revolution ist eine klassische proletarische Revolution. Das aber bedeutet nicht, daß die gesamte übrige Bevölkerung Deutschlands eine reaktionäre Masse darstellt. Umgekehrt, das Neue, das Spezifische in der proletarischen deutschen Revolution bildet die besondere Rolle, die in ihr die städtische kleinbürgerliche Masse spielen wird. Man kann sogar sagen, daß bis zu einem gewissen Grade dieselbe Rolle, die in der russischen Revolution das durch den Krieg ermüdete Bauerntum gespielt hat, in der deutschen die breiten Massen des städtischen Kleinbürgertums spielen werden, die durch die kapitalistische Entwicklung an den Rand des Elends gebracht worden sind.

Genossen, welche speziellen Aufgaben demgegenüber haben wir? Erlauben Sie mir, eine Stelle aus der Broschüre des Genossen Lenin "Der Radikalismus, die Kinderkrankheit des Kommunismus", zu zitieren:

Einen mächtigen Feind besiegen kann man nur bei größter Anspannung der Kräfte und bei unbedingter, sorgfältiger, sorgsamer, vorsichtiger, geschickter Ausnutzung eines jeden ‑ wenn auch des kleinsten ‑ "Risses" zwischen den Feinden, eines jeden Interessengegensatzes zwischen der Bourgeoisie innerhalb der einzelnen Länder ‑ so auch einer jeden ‑ wenn auch der kleinsten ‑ Möglichkeit, sich einen Verbündeten zu erwerben, wenn auch nur einen zeitweiligen, schwankenden, unbeständigen, unzuverlässigen, bedingten. Wer das nicht begriffen hat, der hat auch nicht ein Gramm von Marxismus und vom wissenschaftlichen heutigen "zivilisierten" Sozialismus überhaupt begriffen. Wer nicht praktisch während einer ziemlich bedeutenden Zeitspanne und in ziemlich verschiedenartigen politischen Lagen erwiesen hat, daß er es versteht, diese Wahrheit in der Praxis anzuwenden, der hat es noch nicht gelernt, der revolutionären Klasse in ihrem Kampfe um die Befreiung der ganzen werktätigen Menschheit von den Ausbeutern zu helfen. Das Gesagte bezieht sich in gleicher Weise auf die Periode vor und nach der Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat.

An einer andern Stelle der gleichen Broschüre behandelt er die Bedeutung dieser Unterschiede nicht nur zwischen dem Kleinbürgertum und der großen Masse, sondern er nimmt sogar die friedliche Übergangssituation, wie sie in England besteht, und schreibt:

Die Uneinigkeit zwischen den Churchill und Lloyd George (diese politischen Typen gibt es in allen Ländern mit geringen nationalen Unterschieden) einerseits, zwischen den Henderson und den Lloyd George andererseits, sind ganz unwichtig und geringfügig vom Standpunkt des reinen, d. h. des abstrakten, d. h. des für die praktische politische Massenaktion noch nicht reifen Kommunismus. Aber, vom Standpunkt dieser praktischen Aktion der Massen sind diese Uneinigkeiten äußerst wichtig. In ihrer Abwägung, in der Bestimmung des Augenblicks der vollen Reife der unter diesen "Freunden" unvermeidlichen Konflikte, die alle diese "Freunde" insgesamt schwächen und entkräften ‑ besteht die ganze Aufgabe des Kommunisten, der nicht nur ein bewußter, überzeugter, illegaler Kommunist, sondern auch ein praktischer Führer der Massen in der Revolution sein will. Man muß die strengste Hingebung für die Ideen des Kommunismus mit dem Vermögen vereinigen, auf alle notwendigen, praktischen Kompromisse, auf Lavieren und Paktieren, auf Zickzacklinien, Rückzüge und dergl. einzugehen, um die Verwirklichung und die Überwindung der politischen Macht der Henderson (der Helden der Zweiten Internationale, um nicht die Namen einzelner Personen, die Vertreter der kleinbürgerlichen Demokratie, die sich Sozialisten nennen, anzuführen), zu beschleunigen, die die Massen gerade in unserem Geiste, gerade in der Richtung zum Kommunismus aufklärt: um unvermeidlich Reibungen, Konflikte, Streitigkeiten, den vollen Zerfall zwischen den Henderson - Lloyd George - Churchill (den Menschewiki und den Sozialrevolutionären, Kadetten, Monarchisten, der Scheidemann-Bourgeoisie, Kapp usw.) zu beschleunigen und um richtig den Augenblick des größten Zerfalls zwischen allen diesen "Streitereien über den heiligen Privatbesitz" zu wählen, um durch einen entschlossenen Angriff des Proletariats alle zu schlagen und die politische Macht zu erobern.

Genossen, was bedeutet das für mich? Das bedeutet für mich folgendes: die Bauern werden in Deutschland nach dem Sieg der Revolution eine große Rolle spielen, weil es um die Frage gehen wird: wo kriegen wir Brot her? Bei der Eroberung der Macht aber werden sie keine so große Rolle spielen, die wird in den Städten erobert. Es gibt keine konzentrierte Bauernarmee in Deutschland, keine konzentrierte große Masse von Bauern. Darum wird die Zersetzung des städtischen Kleinbürgertums eine sehr große Rolle spielen.

Welche Rolle spielen dabei die Zersetzung, die Gruppierungen im Lager des Faschismus. Ich glaube, daß in dem Gegensatz, der sich in dem Artikel des Genossen Sinowjew ‑ "Der deutsche Koltschak" ‑ zu meiner Auffassung äußert, es eine gewisse Rolle spielt, daß Genosse Sinowjew nicht genug zwischen der Lage der kleinbürgerlichen Massen Deutschlands und Rußlands unterscheidet. Er sagt, die Menschewiki haben nach der Niederlage der Revolution von 1905 die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Kadetten und den Oktobristen herausgearbeitet. Wir, die Bolschewiki, wußten, daß diese Parteien verschiedene Teile der Schichten der Bourgeoisie darstellten, aber wir sagten uns, dieser Gegensatz wird nicht ausschlaggebend sein, und man soll gegen die Bourgeoisie visieren.

Genossen, wenn zwischen den kleinbürgerlichen Ärzten, Beamten, Handwerkern und Stinnes und Westarp derselbe Unterschied bestehen würde, wie zwischen Gutschkow und Miljukow, so hätte Sinowjew recht. Aber er vergißt das Ausschlaggebende. In Westeuropa gibt es den breiten neuen Mittelstand und Überreste des alten Mittelstandes, in die Millionen gehende Massen des Kleinbürgertums, das jetzt sozial von dem Kapitalismus vollkommen ruiniert wird, anders als in Rußland 1907. Rußland befand sich in einer aufsteigenden Epoche der wirtschaftlichen Entwicklung, wo der Kapitalismus, selbst wo er die Selbständigkeit der Mittelklassen ruinierte, ihre soziale Stellung nicht so verschlechterte. In Westeuropa haben wir den Prozeß einer solchen Expropriation der Mittelschichten, wie sie niemals bestand. ‑ Das sind also die Zersetzungselemente, die wir ausnutzen müssen.

Genossen, ich bin verhindert, auf die Frage einzugehen, in der ein wichtiger Gegensatz noch zwischen uns besteht, nämlich Weiterführung der Einheitsfronttaktik in internationalem Maßstabe. Ich will jetzt nur zwei Worte dazu sagen. Der 4. Kongreß hatte nicht die Auffassung, daß die Einheitsfronttaktik der Evolution dienen soll, daß eine lange Zeitspanne zwischen der kommenden Revolution und der Zeit liegen wird, wo wir uns auf dem Boden der Demokratie befinden werden. Trotzdem hat er in Westeuropa die Möglichkeit spezieller Situationen ins Auge gefaßt, wo die Ausnutzung sogar einer demokratisch uns in die Hände gefallenen Arbeiterregierung als Sprungbrett für die Kämpfe um die Diktatur sich bieten kann. Und mögen wir tausend Fehler in unserer Anwendung der Einheitsfronttaktik, gemacht haben, so sollen wir sie korrigieren. Wenn wir diese Möglichkeit aber aus dem Auge lassen, wenn wir sagen, Einheitsfronttaktik ist nur Agitation, dann sind wir erstens theoretisch im Unrecht, weil wir die Augen vor Möglichkeiten verschließen, die in Deutschland noch zurückkehren können.

(Scholem: Hört! Hört!)

Ich erkläre, daß ich kein Politikaster bin, sondern will, daß wir über die Gegensätze diskutieren, wenn die Zersetzung des Faschismus, der faschistischen Truppen vor sich geht, können wir in Situationen kommen, wo wir die sächsische Karte besser spielen können, als wir sie gespielt haben.

(Sehr richtig!) (Hört! Hört!)

Und wer diese Möglichkeit verriegeln will, ‑ auf diesem Boden gibt es keine Kompromisse.

(Sehr richtig!)

Aus dem einfachen Grunde; entweder werden wir in Westeuropa zu kommunistischen Diskussionsparteien oder zu kämpfenden Parteien, und die letzteren müssen alle praktischen Möglichkeiten sich offen lassen. 99 Prozent sprechen dafür, daß auf dem Kontinent Europa die Frage der Arbeiterregierung keine entscheidende Rolle spielen wird; daß sie in England eine entscheidende Rolle spielen kann, unterliegt für mich keinem Zweifel.

Aus diesem Grunde sage ich: Ich bin bereit, da für mich eine praktische Linie der Partei tausendmal wichtiger ist als alle theoretischen Spintisierereien darüber, wie es in 1, in 5, in 6 Jahren aussehen wird, 10 Formulierungen zu opfern, aber es ist keine Möglichkeit, sich praktisch den Weg zu verbauen. Denn dann werden wir die größte Krise des Kommunismus heraufbeschwören, die darin bestehen wird, daß unsere Theorie den wirklichen Notwendigkeiten der Bewegung nicht entsprechen wird.

Ich schließe.

Ich will noch einen Gedanken hineinwerfen. Die größte Quelle der Krise, die wir hatten, die wir noch haben werden, jahrelang, wenn die Revolution nicht kommen wird, besteht darin: wir sind die Partei der Diktatur, aber wenn keine revolutionären Wellen schlagen, so kann man für die Diktatur nur Propaganda, Agitation treiben. Und die Masse lebt nicht nur von der Propaganda, und Agitation. Vor den kommunistischen Parteien stehen praktische Aufgaben. In denen ist es so schwierig, den Standpunkt des Kommunismus durchzuführen, daß eine große Diskrepanz herrscht zwischen unserem Wollen und unserem Können. Und wenn wir das nicht sehen und auf Grund dieser Diskrepanz unsere Leitungen zu reformistischen stempeln, Genossen, dann werden wir zerfallen. Als ich gestern die herrliche Rede von Thälmann hörte, da sagte ich mir: ein solches agitatorisches Feuer, ein solcher Glaube an die Revolution, ‑ und trotzdem, in Hamburg haben wir 14.000 Mitglieder, und die Sozialdemokratie ist dort 78.000 Mann stark.

(Hat aber 30.000 jetzt verloren.)

Nach fünf Jahren des größten Verrats der Revolution.

Mit einer rein agitatorischen Linie des Kommunismus werden wir herrliche kleine kommunistische Parteien haben. Es wird wieder die Frage stehen: Sekte oder Masse. Sie stand schon so. Würden wir im März die Partei nicht zurückgehalten haben, hätte Levi Recht. Wir haben sie zurückgehalten, sagten: Heran an die Massen auf dem praktischen Boden. Und heute steht die Frage noch einmal.

Wir werden die Meinungsverschiedenheiten ausfechten. Da wir keine Levis sind, werden wir uns, wie er fallen wird ‑ wie er fallen wird ‑, jedem Beschluß der Exekutive alle, alle fügen. Aber verwischen werden wir die Gegensätze nicht, wie sie bestehen. Den Kampf werden wir kämpfen innerhalb der Kommunistischen Internationale.

Ich werde meine Auffassung; wenn die Kommission arbeiten wird, dieser in der Form von Thesen unterbreiten, die vom Genossen Trotzki, von P. und mir entworfen sind.

II.
Referat des Genossen Brandler

Genossen! Ich stimmte mit den Darlegungen des Vertreters der Exekutive in allen Dingen so überein, daß ich mir die Tatsachenschilderung und die Schlußfolgerungen für den Abschnitt, über den er gesprochen hat, ersparen kann. Ich will sozusagen dort fortfahren, wo er aufgehört hat. Die Resolution des Polit-Büros der K.P.D., die Gen. Sinowjew vorgelesen hat, geht von einer tatsächlich falschen Voraussetzung aus. Alle Beschlüsse der deutschen Partei sind nicht von einer schwachen Mehrheit der deutschen Zentrale gegen eine rechte Minderheit, sondern von einer erdrückenden Mehrheit gegen eine sehr schwache linke Minderheit gefaßt worden. Der Plan wurde mit Zustimmung und unter hervorragender Mitwirkung der Exekutive ausgearbeitet. Wir müssen die Kritik des Planes und die der Durchführung trennen. Diese Darstellung in dem Resolutionsentwurfe entspricht ganz einfach nicht den Tatsachen. Die Differenz in der Minderheit, von der die Rede ist, entstand nur hinterher, und zwar auch nicht in Bezug auf das, was jetzt praktisch zu geschehen hat, sondern in der Vergangenheit bei der Beantwortung des Briefes des E.K. Ich will, warten, bis mir dieser Resolutionsentwurf schriftlich vorliegt.

Wie sind wir in diese Oktoberniederlage hineingekommen? Der Vertreter der Exekutive schilderte, wie er nach der Chemnitzer Konferenz am 22. nach Deutschland kam und schon vor fertigen Tatsachen stand. Es wird notwendig sein, sich darüber klar zu werden, wie die Dinge lagen, die uns die Situation schuf, die der Vertreter der Exekutive geschildert hat.

Ich kam am 8. Oktober, nach Deutschland, am 12. wurde die sächsische Regierung gebildet. Ich kam in die fast erledigten Verhandlungen über die Regierungsbildung hinein. Die Ereignisse folgten in riesiger Schnelligkeit aufeinander. Ich hatte keine Zeit mehr, mir die Situation ‑ wie ich es mir vorgenommen hatte ‑ richtig, eingehend zu betrachten. Der Eintritt in die sächsische Regierung erfolgte auf Grund des Beschlusses der Exekutive. Die Exekutive hat telegraphisch von den Genossen gefordert, ohne genügende Vorbereitung in die Regierung einzutreten. Ich war gegen den Telegramm-Entwurf Sinowjews und für die Abänderung Radeks, weil ich mir sagte, wenn der Eintritt in die sächsische Regierung der Waffenbeschaffung dienen soll, so kann er nur auf Grund einer intensiven Vorbereitung in Sachsen und im übrigen Reich geschehen. Der Beschluß auf Eintritt in die Regierung ist überstürzt zustande gekommen. Der Zweck des Eintritts war nicht ein parlamentarisches Manöver, der Zweck war die Beschaffung von Waffen. Weil aber der Eintritt in die Regierung fast gar nicht vorbereitet war, konnten die Maßnahmen, die notwendig gewesen wären, nicht getroffen werden. Um Waffen beschaffen zu können, muß man den bürokratischen Apparat und die Waffenlager kennen. Dazu bedarf es einer ganzen Reihe von Vorbereitungen. Keine einzige war erfüllt. Man muß den bürgerlichen Apparat beherrschen und kennen, wenn man ihn ausnützen soll. Das sind anscheinend kleine, nebensächliche Geschichten, die aber für uns von großer Bedeutung waren. Die ganze Regierungsherrlichkeit der Kommunisten hat neun Tage gedauert. In diesen neun Tagen ist nichts anderes geschehen, als daß Versuche unternommen worden sind, Waffen herauszuholen. An den mangelnden Vorbereitungen scheiterte der Versuch.

Ich bin nach wie vor der Meinung, daß die Möglichkeit gegeben ist, das sächsische Experiment besser zu machen, wie es gemacht wurde. Es ist höchstwahrscheinlich, daß sich die Dinge ganz anders entwickeln, und wir nie mehr in eine ähnliche Lage kommen. Wir sollen aus den gemachten Fehlern lernen.

Thälmann sagte, wir hätten im Grunde genommen nicht an die Revolution geglaubt, deswegen hätten wir, als die Situation reif zum Kampfe war, nicht plötzlich einen Sprung machen können. Das hat, mit Thälmannscher Überzeugungskraft vorgetragen, sehr viel Plausibles für sich. Und doch ist die Frage falsch. Ich stelle die Frage so: Waren objektiv die Verhältnisse im Oktober reif? Hängt die Revolution davon ab ‑ obgleich keiner die subjektive Rolle der Kommunistischen Partei höher einschätzt als ich ‑, ob die Führer der Kommunistischen Partei keinen inneren Glauben an die Revolution haben? Macht deswegen die Revolution halt? Oder sind objektiv andere Kräfte am Werk, die ihren Ausbruch verhindert haben? Wenn Thälmann recht hat, haben wir die Revolution verraten. Dann sind die Dinge einfach. Die Verräter werden entfernt, die 100‑Prozent-Revolutionäre eingesetzt.

Genossen! Die Märzaktion 1921 zeigte uns, daß die ganze Klassenlage, die ganzen objektiven Verhältnisse nicht reif dazu waren, daß wir im Sturmangriff den Kapitalismus hätten niederschlagen können; die objektiven Verhältnisse führten dazu, daß wir nach einem abgeschlagenen Sturmangriff in der Märzaktion eine große Niederlage erleben mußten. Für diese Niederlage wurde ich persönlich genau so verantwortlich gemacht, wie für die Oktoberniederlage. Also die gegenteilige Lage. Das nur nebenbei. Ich habe politische Fehler gemacht und andere Genossen auch. Aber ich glaube, ich habe die Eigenschaft, denselben Fehler nicht zweimal zu machen. Ich übernehme die volle Verantwortung für den Rückzug im Oktober. Ich behaupte, wenn ich nicht in der kritischen Situation mit beiden Beinen hineingesprungen wäre und nach der Chemnitzer Konferenz die Dinge herumgerissen hätte, wir wären in einen Kampf hineingekommen, der uns eine entscheidende Niederlage gebracht hätte, der uns für Jahre jede Diskussion über eine Möglichkeit des Sieges des Proletariats unmöglich gemacht hätte. Ich übernehme für diesen Rückzug persönlich alle Verantwortung. Ich sage noch mehr. Ich würde in einer ähnlichen Situation wieder genau so handeln. ‑ Wir hatten uns mit der Exekutive beraten. Wir glaubten, daß wir Mitteldeutschland zum Aufmarschgebiet machen könnten, daß wir aus der Verteidigung zum Angriffe und dann zum Kampfe um die proletarische Diktatur übergehen könnten. Diesem Plan hat die Exekutive im September ihre volle Zustimmung- gegeben. Der Plan war richtig, aber in der Beurteilung der Kräfteverhältnisse haben wir ‑ sowohl das E.K. der K.I wie das Z.K. der K.P.D. ‑ uns geirrt. Wir haben den leichtesten Weg zum Siege der Revolution gewählt. Der Sieg ist aber schwerer. Auf Grund welcher Beurteilung der Kräfteverhältnisse hatten wir uns auf diesen relativ leichtesten Weg eingestellt? Um das klarzumachen, muß ich auf die Dinge zurückgreifen, die sich bei der Ruhrbesetzung abgespielt haben.

Als wir auf dem Leipziger Parteitag zusammen waren, fiel das gerade zusammen mit dem Beginn der Ruhrbesetzung. Wir waren uns darüber klar, daß die Ruhrbesetzung von einschneidender Bedeutung für die Entwicklung in Deutschland und die deutsche Revolution ist.

(Hesse und Maslow: Aber es wurde darüber nicht gesprochen.)

Wir haben im Aufrufe und Genossin Zetkin in ihrem Referat gerade diese Frage ganz klar visiert.

(R. Fischer: In der öffentlichen Versammlung.)

Wir haben auf dem Parteitag einstimmig dieses Manifest angenommen. Es war also nicht in öffentlicher Versammlung, sondern es war die Meinungsäußerung des Parteitags, und sogar noch in feierlicher Sitzung wurde diese Auffassung dokumentiert.

Wir haben dann auch im politischen Referat zu diesen Dingen Stellung genommen. Ich habe in diesem Referat auch ausgeführt, daß wir nicht übersehen können, ob wir länger in dem revolutionären Wellental bleiben, in dem wir damals waren, oder ob wir durch die Ruhrbesetzung in eine neue aufsteigende revolutionäre Welle hineinkommen. Es war kein einziger von Euch, der damals weiser gewesen wäre als ich und erklärt hätte, wir kommen bestimmt in solche revolutionäre Welle hinein. Und ich formulierte in den Thesen, die mit Mehrheit angenommen wurden, daß wir uns auf beide Möglichkeiten einstellen müssen. Auf Grund dieses Beschlusses des Leipziger Parteitages ist die Parteipolitik getrieben worden. Worin bestand diese Politik? Daß wir zuerst nur schwer die Massen gegen diese Ruhrbesetzung mobil machen konnten. Es war uns nicht möglich, sie gegen die Ruhrbesetzung auf die Beine zu bringen. Sie wurden nicht von einem großen breiten nationalen Taumel erfaßt, sondern nur das Kleinbürgertum war etwas national und nationalistisch erregt und bewegt. Wir mußten, um überhaupt zu versuchen, Bewegungen zustande zu bringen, tasten, was denn eigentlich die Massen aufgreifen, um dafür zu kämpfen. Wir haben damals die 10 Sammellosungen herausgegeben, die ein ziemliches Durcheinander waren. Wozu? Um uns selbst zu orientieren, für welche Dinge wir das Proletariat in den Kampf führen können, um über die Propaganda hinauszukommen. Es war jene Situation, wo das Proletariat im Ruhrgebiet von der französischen Besatzungsarmee und von den deutschen Unternehmern poussiert wurde. Deshalb konnten wir keinen Widerstand gegen die deutschen Unternehmer in den ersten Monaten organisieren. Als die Ruhrinvasion kam, sagten die Franzosen: Wir wollen gegen Deine Bourgeoisie kämpfen, nicht gegen den Arbeiter, und sie ließen den Arbeitern die allergrößte Bewegungsfreiheit: und der deutsche Unternehmer sagte: Du mußt jetzt gegen die Franzosen dadurch kämpfen, daß Du in die Betriebe gehst, nicht arbeitest, Dir die Hände nicht schmutzig machst. Das wurde noch verstärkt dadurch, daß mit dem Einzug der Franzosen eine 100‑prozentige Lohnerhöhung für die Bergarbeiter eintrat. Das gab uns nicht die Möglichkeit, die Ruhrarbeiter zu anderen Aktionen zu bringen als zu gewaltigen Versammlungsprotesten. Es war jene Periode, wo die Opposition krampfhaft um jeden Preis Aktionen wollte, indem sie die Losung der Betriebsbesetzung gab, die die Franzosen auch gaben und die von der Partei abgelehnt wurde. In Aktion brachten wir die Arbeiter damals mit der Losung der Kontrollausschüsse und der Bildung der proletarischen Hundertschaften. Wir haben diese Losung nicht erfunden, sondern sie bei dem Abtasten gefunden.

Das war die Situation zu Anfang des Ruhrkrieges. Sie endete sehr schnell, als im Mai der passive Widerstand der deutschen Bourgeoisie zusammengebrochen war und alle Kosten und Lasten nicht nur der ersten sogenannten Erfüllungspolitik, sondern auch der sogenannten Sabotagepolitik auf das Proletariat abgewälzt wurden. Es entstand zum erstenmal jener elementare Kampf der Ruhrbergleute, der unbestritten unter der Führung der Kommunistischen Partei zustande kam. Was der Sozialdemokratie in der Vorkriegszeit und während des Krieges nicht möglich war und was uns während und nach dem Kriege auch nicht gelang, die geschlossene Führung einer solchen breiten Massenbewegung, das gelang uns dort zum ersten Male unter den ersten Anzeichen des Zusammenbruchs des passiven Widerstandes der deutschen Bourgeoisie.

Nun bin ich der Meinung, hinterher kann man jetzt sehr gut sagen, es war das Kennzeichnende dieses Ruhrkrieges, daß die aufsteigende Welle des Proletariats da war.

(König: Haben wir nicht diese Geschichte für das ganze Reich gefordert?)

Gewiß, aber waren wir imstande, auch nur irgendwo im Reich Bewegungen zur Unterstützung des Ruhrkrieges zustande zu bringen?

Es kam nach dem Ruhrstreik der Streik in Oberschlesien, wo wir ebenso unbestritten das Proletariat in Kämpfe führen konnten. Das zeigt, daß der Einfluß der Einheitsfront, wie wir sie geführt haben, Erfolg hatte.

Genossen, jetzt komme ich zu dem Wichtigsten: daß dasselbe, das sich bei diesen Kämpfen im Ruhrgebiet wie in Oberschlesien zeigte, sich gleichzeitig mit dem Beginn der Ruhrbesetzung auch in Sachsen zeigt. Auch in Sachsen gelingt es uns, die Führung nicht nur der parteilosen Arbeitermassen, sondern sogar der sozialdemokratisch organisierten Arbeitermassen in die Hände zu bekommen durch die ganze sächsische Politik, wo wir die Koalition der Sozialdemokratie mit der Bourgeoisie verhinderten, wo unter dem Druck der sozialdemokratischen Arbeitermassen die rechten opportunistischen Führer, das Kompromiß, die Koalitionsregierung mit dem Bürgertum, ablehnten und sich unter dem Druck der sozialdemokratischen und der übrigen Arbeiterschaft zu einer Zusammenarbeit mit den Kommunisten bereit erklärten.

Also wir hatten an drei Stellen, im Ruhrgebiet, in Oberschlesien, in Sachsen und später in Mitteldeutschland die Führung der Arbeiterklasse ziemlich fest in der Hand.

Aber jetzt gilt es, zu untersuchen, worin sich die Arbeiter unserer Führung anvertrauten. In allen den Fragen ihrer täglichen Nöte; im Ruhrgebiet in der Hauptsache in Lohnfragen, in Oberschlesien dasselbe; nur in Sachsen waren wir eine Nuance weiter, dort vertrauten sie sich unserer Führung im politischen Kampfe an, in der Frage der Ausnützung der gegebenen parlamentarischen Zustände.

Nun, Genossen, ich will gewiß nicht die geringste Schuld von mir abwälzen, ich bin der Exponent der Politik der Partei seit Leipzig und der sächsischen Politik. Aber, Genossen, es wäre lächerlich, es hieße meine Fähigkeiten, meine Kräfte und meinen Einfluß wesentlich überschätzen, wenn man annehmen würde, daß ich der ganzen Partei eine falsche politische Linie aufzwingen konnte. Um was handelt es sich denn? Um ganz bestimmte Verhältnisse, unter denen wir den Kampf aufzunehmen hatten. Und was für Verhältnisse waren das? Daß wir in Sachsen die Landtagsauflösung erzwungen, eine proletarische Mehrheit im Landtag hatten. Hätten wir, wie die Opposition verschiedentlich das wollte, erklärt, diese ganze proletarische Mehrheit kümmert uns einen Pfifferling, wir versuchen nicht, sie auszunutzen, dann behaupte ich, daß wir nicht nur in Sachsen, sondern in ganz Deutschland zur Sekte geworden wären. Wir mußten auf dem gegebenen Kampfboden den Kampf aufnehmen, mit all seinen guten, mit all seinen schlechten Seiten. Dabei sind Fehler gemacht worden. Es hätte die Stoßkraft, die Bewegung der Partei größer sein, es hätte mehr herausgeholt werden sollen; aber in der Sache selbst sind nicht das Entscheidende die größeren oder kleineren Fehler, die gemacht worden sind, sondern der gegebene Kampfboden, den wir auszunutzen versuchten. Und worin bestand diese Ausnutzung? Darin, nach den, Losungen des 3. und 4. Kongresses: Heran an die Massen!, die Tagesfragen auszunutzen. Was kam dabei heraus? Gemessen an unserem Ziel, ein Dreck, aber gemessen an dem, was das Proletariat wünschte und hoffte und wie es sich den Sieg erhoffte, verhältnismäßig viel; Bewegungsfreiheit für die Bildung der Kontrollausschüsse, der Betriebsrätebewegung, für die Bildung der proletarischen Hundertschaften.

Was war das Ergebnis der Ausnutzung dieser gegebenen Situation? Gewiß, an den letzten Zielen des Kommunismus gemessen, ein kleinlicher, dreckiger Erfolg, aber gemessen an dem Lebensgefühl der Arbeiter, mehr: das unbedingte Vertrauen zur Führung durch die K.P.D.

Diese Politik hat zu gefährlichen Illusionen in der Arbeiterschaft geführt, die sich selbst den Weg zu leicht vorstellte. Bis in unsere eigenen Parteikreise hinein sind Illusionen entstanden, die vielleicht durch eine intensive, prinzipielle Agitation hätten verhindert werden können. Aber das Wichtigste der Gefahr bestand darin, daß sie sich sagten: Erst bürgerliche Koalition, dann sozialdemokratische Regierung mit Unterstützung der Kommunisten, dann Regierung zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten und dann Regierung der Kommunisten, ohne daß es zu schweren blutigen Kämpfen kommt. Solche Stimmungen waren eine Begleiterscheinung unserer Politik. Das läßt sich natürlich immer gar nicht vermeiden.

Wenn wir sagen würden: weil diese Gefahren und Schwierigkeiten entstehen, machen wir sie nicht mit, ‑ das wäre kindisch. Wir mußten versuchen, sie zu überwinden. Und wie haben wir sie überwunden? Indem wir die sozialdemokratischen Arbeiter an den Haaren hinterherzogen und durch die Tatsachen ihre Illusionen zerstörten. All ihre Hoffnungen auf einen leichten Weg wurden durch den Verlauf der Entwicklung, durch die Praxis zerstört. Wir haben aber nicht einmal durch die begleitenden Illusionen Schaden erlitten. Dann kam noch im ganzen Reich die Tatsache der völligen Finanzkatastrophe. Obgleich wir in Deutschland im letzten Jahre eine gute Ernte hatten, wollten die Agrarier die Waren nicht verkaufen, weil sie sich für das schlechte Geld nichts kaufen konnten.

Es kam eine aufsteigende revolutionäre Welle. Wir sahen nur die eine Seite, das Gute an ihr. Was war der Cuno-Streik? Der Cuno-Streik war für Berlin nichts anderes als die Fortsetzung der revolutionären Lohnkämpfe im Ruhrgebiet, in Oberschlesien und Sachsen. Aber ein solcher Kampf in Berlin hat eine ganz andere politische Bedeutung als die Kämpfe im Ruhrgebiet, in Sachsen und Oberschlesien hatten. Der Streik fiel in die Regierungskrise und beschleunigte den Sturz der Regierung Cuno. Aber, Genossen, er war nur in seiner Auswirkung und in dieser gegebenen Situation ein politischer Streik. Ein politischer Streik im Sinne einer bewußten revolutionären Zielsetzung war der Cuno-Streik nicht, eine elementare Kraft hatte er nicht. Als der Rücktritt Cunos erreicht war, war der Bewegung die Kraft gebrochen, weiter vorzustoßen. Kein Mensch wird zu behaupten wagen, daß wir diesen Kampf hätten weiterführen können gegen die Bildung der Koalitionsregierung. Wären die revolutionären Kräfte reifer gewiesen, dann hätte sich diese Bewegung weiter ausbreiten müssen. Was aber sahen wir? Nachdem das Ziel, der Sturz Cunos, erreicht war, brach die Bewegung zusammen. Obgleich wir in der Zentrale beschlossen hatten, nach drei Tagen nicht abzubrechen, sondern noch mindestens einen Tag zu streiken, konnten unsere radikalen Berliner Genossen den Beschluß nicht durchführen, sondern brachen, trotz des Beschlusses der Zentrale, den Streik ab, weil die innere Kraft nicht mehr vorhanden war. In Sachsen, in Mitteldeutschland stand die Lage so: ehe der Streik in Berlin noch richtig im Gange war, war Cuno schon gestürzt; traten die sächsischen Genossen nicht in einen wirtschaftlichen,  sondern in einen politischen Streik, so bedeutete das den Anfang des bewaffneten Aufstandes.

Erst in dieser Situation, als wir in diesem Sinne beschlossen hatten, war es uns möglich, uns auf die Vorbereitung zum Bürgerkrieg einzustellen. Diese Frage der Vorbereitung zum Bürgerkrieg wurde erst seit dem Cuno-Streik in der Partei ernst genommen. Zu erörtern, ob die Art richtig war, dazu reicht die Zeit nicht aus ‑ das wollen wir getrennt behandeln. Ich mache Sie aber auf folgendes aufmerksam: Als ich im August 1922, nach der Rathenau-Amnestie, nach Deutschland zurückging, hatte ich eine Besprechung über die Vorbereitungen zum Bürgerkrieg  und hatte mit einem anderen Genossen besprochen, Material über die Erfahrungen der Aktionen in Rußland zu sammeln. Ich entsinne mich an die erste Zentralsitzung nach meiner Rückkehr, die sich mit den Thesen über die Notwendigkeit der Vorbereitung zum Bürgerkrieg befaßte. Kein Mensch hatte über diese Geschichte diskutiert. Alle sagten, Brandler ist mit einer neuen Marotte herübergekommen. Ich brachte in die Betriebsräte die Frage der Hundertschaften als Abwehr gegen den Faschismus hinein. Es ist interessant, daß die Berliner Genossen, die auch glaubten, es sei eine Marotte von mir, sich dagegen wandten. Sie bezeichneten es als eine Spielerei, bei der nichts herauskomme.

Es kam dann die Frage des Ordnerdienstes. Ich will die Dinge im einzelnen jetzt nicht schildern. Auf der ganzen Linie der Partei offener und noch mehr passiver Widerstand, niemand unternahm das Geringste in der Bewaffnungsfrage, in der Bildung von Fünfer-Gruppen, nicht nur in Berlin, sondern auch in anderen Bezirken. Erst nach dem Cuno-Streik wurde etwas unternommen. Noch eins: Vor dem Antifaschistentag, wo auf Grund des Zusammenbruches an der Ruhr im Faschismus eine ziemliche Desorganisation eingetreten war, schrieb ich diesen berühmten oder berüchtigten Aufruf vom 11. Juli. Dieser Aufruf wirkte in der Partei sonderbar. In den Arbeitermassen wirkte er wie eine Hoffnung, und in den Schichten des Parteifunktionärkörpers dachte man, Brandler ist wieder einmal verrückt geworden und will einen Putsch machen. Das war vor allen Dingen in Berlin der Fall.

In vielen, fast allen Orten begann eine ernsthafte Vorbereitung zum Bürgerkrieg in der Partei erst seit dieser Zeit. Diese ungenügende Vorbereitung der Partei zeitigte objektive Schwächen, als der Antifaschistentag mit seinen ungeheuren Agitationsmöglichkeiten unter dem Kleinbürgertum und in den Arbeiterschichten eine Situation schuf, bei der es überall hieß: Am 29. schlagen die Kommunisten los. Es kam dann das Verbot. Da hat sich im Polit-Büro der Zentrale folgendes zugetragen: Man beschäftigte sich damit, was man nun tun sollte als Antwort auf das Demonstrationsverbot. Sollten wir den Kampf aufnehmen? Wir hatten diese Frage besprochen. Wir waren uns darüber klar, daß wir in Sachsen und Thüringen die Antifaschisten-Demonstrationen veranstalten würden, auch wenn ein Verbot gegen sie erginge. Und die Genossin Ruth Fischer trat dafür ein, daß wir die Demonstration auch in Berlin, trotz des Verbotes, unternehmen sollten. Ich trat dafür ein, in Berlin eine Demonstration nur dann zu machen, wenn wir sie bewaffnet schützen würden. Darauf nannte mich die Genossin Ruth Fischer einen Abenteurer, einen Faschisten. Wir hatten beschlossen, in Sachsen, Thüringen, Mitteldeutschland, auch für den Fall des Verbots des Antifaschistentages Demonstrationen abzuhalten, aber nur unter bewaffnetem Schutz. Ich erklärte dann, wir können keinen Beschluß in der Zentrale fassen, daß die Berliner Organisation bewaffnete Demonstrationen machen soll, wenn die B.L. dagegen ist. Ich schlug an Stelle der bewaffneten Demonstrationen einen Streik vor, und wieder erklärte Ruth Fischer es für unmöglich, den Rückzug mit einem Streik zu decken, und führte praktisch Demonstrationsversammlungen in geschlossenen Lokalen durch.

Es zeigten sich Merkmale einer aufsteigenden revolutionären Linie. Wir hatten vorübergehend die Mehrheit der Arbeiter hinter uns, und auf Grund dieser Situation glaubten wir, bei günstigen Verhältnissen unmittelbar zum Sturmangriff übergehen zu können. Wir haben uns meiner Meinung nach getäuscht. Der Mangel ist, daß wir die Kampfkraft dieser Mehrheit im Ruhrgebiet, in Sachsen, in Berlin überschätzt hatten, wir konnten sie nicht organisatorisch erfassen und befestigen. Auf unser Erstarken reagierte die Regierung. Sie reagierte mit einem Verbot der Betriebsräte.

Erst Wochen nach der Chemnitzer Konferenz sah ich, daß dieses Verbot nicht zur Folge hatte, daß wir die Betriebsrätebewegung steigern konnten, sondern daß dieser eine Schlag uns schon eine gewisse Schlappe beigebracht hatte. Als wir noch drüben waren, war es uns möglich, auf das Verbot der "Roten Fahne" und auf das Verbot von Zeitungen in der Provinz kräftig zu antworten, es entstand ein Sturm, ohne daß die Partei das besonders organisierte, ich erinnere an Württemberg, es kamen Deputationen aus den Betrieben, drohten mit Streik, und das Verbot wurde zurückgenommen.

Diese Situation, die alle Möglichkeiten in sich barg, konnten wir als Kommunistische Partei nicht vorwärts stoßen bis zum Sturmangriff, wie wir uns eingebildet hatten. Und ich glaube ‑ ich muß das jetzt allerdings sehr grob und mechanisch abschließen ‑, hätten wir diese Dinge damals erkannt, wie Radek das ausdrückt, und hätten wir rechtzeitig als Partei und als Exekutive die Maßnahmen ergriffen, die notwendig sind, wenn man sich auf diesen entscheidenden Kampf einstellt, dann wäre wahrscheinlich zwar nicht der entscheidende Sieg im Oktober gekommen, aber sicherlich nicht diese Niederlage, die wir durch den Rückzug erlitten haben. Dadurch, daß wir uns darauf einstellten, diese günstige mitteldeutsche und sächsische Plattform zum Sturmangriff auf die Bourgeoisie auszunutzen, übersahen wir, daß längst der Gegner die Initiative hatte, nicht wir, daß wir, als der Gegner früher losschlug als wir, als er seinerseits zur Offensive übergehen konnte, nicht imstande waren, den Widerstand ernsthaft zu organisieren.

Hätte ich die mir für mein Referat zur Verfügung stehende Zeit nicht mit der zu langen Einleitung vergeudet, so würde ich noch auf folgendes hinweisen, was alles den Aufmarsch des Gegners erleichterte und was uns düpierte, wo wir die Dinge falsch sahen. Es war dem Gegner möglich, durch den kleinbürgerlichen Faschismus in Bayern die Aufmerksamkeit abzulenken von all seinen stillen und offenen Vorbereitungen zur Machtübernahme des Faschismus in seiner schwerindustriellen und agrarkapitalistischen Gestalt durch Seeckt. Und da stehen die Dinge so, daß, wie 1914, wie 1918 und wie im Kapp-Putsch, so auch diesmal der kampflose Sieg des Faschismus nur dadurch möglich war, daß er von der Sozialdemokratie gedeckt wurde, daß der Faschismus sozusagen, wie im Jahre 1918 die Noske-Militärdiktatur und die Novemberrepublik, sich hinter dem Rücken der Sozialdemokratie versteckt realisieren konnte. Durch die Koalitionsregierung, durch das Ermächtigungsgesetz, durch dieses Zustimmen der Sozialdemokraten wurden die Vorbereitungen zum Sieg des Faschismus verschleiert, es entstand in breiten Schichten ‑ nicht in der Kommunistischen Partei, aber in den von der Sozialdemokratie beeinflußten Elementen, in den Gewerkschaften, in den unorganisierten Arbeitermassen ‑ die Vorstellung, daß der Feind in Bayern steht und daß alle diese Rüstungen zur Machtübernahme durch den Faschismus nicht zum Kampfe gegen das Proletariat bestimmt waren, wie es doch in Wirklichkeit war, sondern zum Kampf gegen diese kleinbürgerliche Clique des Faschismus um Hitler, Ludendorff usw.

Genossen, wenn es möglich war, daß nach einer vierjährigen Kriegspolitik der deutschen Sozialdemokratie, nach einer fünfjährigen Nachkriegspolitik der deutschen Sozialdemokratie auf solche plumpe Manöver breite Arbeitermassen noch reagieren und hereinfallen und die Einheitsfront auf Grund dieser Tatsachen, die ich nicht so zusammengefaßt schildern konnte, wie ich es eigentlich wollte, zerschlagen werden konnte, so standen wir vor der Situation, entweder als Kommunisten, trotz dieser zerschlagenen Einheitsfront den Kampf aufzunehmen oder ihm auszuweichen. So stand die Frage vor uns. Und ich behaupte, hätten wir, nachdem dieses Manöver der Bourgeoisie mit Hilfe der Sozialdemokratie geglückt war, im Oktober den Kampf aufgenommen, wären wir von der Verteidigung gegen die Reichsexekutive unmittelbar zum entscheidenden Kampf um die proletarische Diktatur vorgestoßen, dann wäre die Märzaktion ein Kinderspiel gewesen, wäre ein schlechter Witz geworden gegenüber der Niederlage, die wir in der dortigen Situation erlitten hätten. Wir haben als Zentrale der K.P.D., aber auch die Exekutive, bei der Aufstellung des Kampfplanes fast nur auf die Partei und das Proletariat geachtet. Die Möglichkeiten und Chancen, die Manövrierfähigkeit der Bourgeoisie haben wir vernachlässigt. Wenn wir nur einseitig auf Mitteldeutschland eingestellt waren, ‑ die Exekutive hat diesen unseren Standpunkt gekannt und nicht korrigiert. Ich behaupte, die Perspektive auf entscheidenden Machtkampf war nur aus der mitteldeutschen Lage heraus im Oktober/November möglich. Aber nur unter günstigen Umständen. Diese günstigen Umstände traten nicht ein. Zum Teil durch Fehler der Partei in den entscheidenden Wochen, während wir in Moskau waren. Es fehlte in dieser Zeit die aufrüttelnde politische Kampagne der Partei. Ermächtigungsgesetz, Zeitungsverbote wurden nicht genügend ausgenützt. Aber der Plan ist mit dem E.K. aufgestellt. Wir müssen den falschen Plan und die fehlerhafte Durchführung kritisieren, wenn wir lernen wollen. Der schwere Fehler, der eine Depression der Partei und breiter Arbeitermassen zur Folge hatte, bestand darin, daß durch die falsche Einschätzung der Situation nur diese eine Form des Kampfes für uns in Frage kam, nämlich der Kampf um die proletarische Macht, daß man nur die Diktatur des Proletariats im Auge hatte und keine andere Situation. Deshalb konnten wir auch den Rückzug nicht geschickt führen und keinen Widerstand leisten, wie das beim Cuno-Streik der Fall war. Hätten wir uns nicht auf alles oder nichts eingestellt, dann hätten wir eine Verteidigungsaktion zustande gebracht, von der ich zwar nicht glaube, daß sie uns den Sieg, die aber sicherlich nicht die entscheidende Niederlage gebracht hätte. Der Vertreter der Exekutive hat in seiner Darlegung auseinandergesetzt, wie Genossen beim Rückzug sagten, wir hätten diesen kampflos durchgeführt. Das haben wir nicht. Wir haben vom ersten Tage an Rückzugsgefechte geführt, Demonstrationen, Streiks ‑ von unserem ersten Rundschreiben und den ersten Anweisungen an. In der Partei war das nicht so rasch durchgesetzt worden. Durch den kampflosen Sieg hat der Faschismus den Einfluß der Kommunistischen Partei auf die Massen vorübergehend stark beeinträchtigt. Wir waren so nicht imstande, den Faschismus abzuwehren, die Partei auf die Illegalität umzustellen und erneut den Kampf zu führen. Dieser Tatsache und nicht einer falschen Taktik der Vergangenheit haben wir die Oktoberniederlage zu verdanken. Unter den gegebenen Verhältnissen, wie sie auch 1921 in der Märzaktion vorlagen, behaupte ich nach wie vor, daß ich, würde ich nochmals die Dinge zu entscheiden haben, genau dieselbe politische Linie und Taktik durchführen würde. Es war keine andere politische Linie möglich. Das, was die Genossen von der Opposition wollen, führt zur Schwächung der deutschen Revolution, trotz der glühenden Liebe zum revolutionären Kampfe, wie sie bei Thälmann zum Ausdruck kommt. Solch eine Rede, wie sie Thälmann hielt, kann man mehrere Male halten, wenn man aber nicht imstande ist, die Masse zu sammeln, so ist man nicht in der Lage, die gegebenen Aufgaben zu lösen. Bringen wir die Massen in den Kampf, dann überwinden wir im Kampfe die Schwäche. Dann kann, Ziel und Kampf gesteigert, der Sieg errungen werden. Dazu fehlten diesmal die Voraussetzungen. Wir hatten mit dem E.K. gemeinsam unsere Kräfte überschätzt, den Gegner unterschätzt. Das zwang uns zum Rückzug.

Nun zum Schluß noch die Perspektiven.

Es gibt darin keine großen Differenzen mit der Opposition. Durch den Sieg des Faschismus ist die Staatsgewalt vollkommen in dessen Hand. Wo sie die Novemberrepublik noch duldet, hat es der Faschismus in der Hand, sich beliebig mit ihr zu verbrämen oder sie zu beseitigen. Die faschistische Diktatur ist auf dem Bündnis der Schwerindustrie und der Agrarier aufgebaut. Sie können auf längere Zeit nur dann das Proletariat niederhalten und dem Faschismus eine Atempause geben, wenn es ihnen gelingt: 1. den Finanzbankerott zu sanieren, 2. den kleinbürgerlichen Faschismus durch Repressalien und Konzessionen zu gewinnen und sich einzuordnen, 3. die Arbeiterklasse zu zersplittern durch die Wahrung des Scheins der Demokratie, die Gewinnung der Sozialdemokratie als Hilfstruppe, durch Repressalien gegen die K.P. und durch Ausspielungen der Arbeitslosen gegen die Beschäftigten. Der Staatsapparat, das Militär, die Machtmittel, die dem Faschismus zur Verfügung stehen, haben es fertig gebracht, daß sie dem Proletariat den Zehnstundentag mit ziemlich geringem Widerstand aufzwingen konnten. Erst im Januar beginnen größere Abwehrkämpfe. Trotz aller Nachrichten über den Widerstand des Proletariats gegen die Verlängerung der Arbeitszeit ist doch zu sagen, daß das Proletariat sich in einer solchen Depression befindet, daß es den Zehnstundentag ziemlich kampflos hingenommen hat. Alle Versuche der Kommunisten, den Widerstand gegen den Zehnstundentag zu organisieren, haben kein großes praktisches Resultat ergeben.

Worauf ist das zurückzuführen? Das Proletariat ist jetzt in dieser Wirtschaftskrise gespalten. Die Arbeitslosen befinden sich in einer Situation, in der sie kämpfen müssen, wenn sie nicht zugrunde gehen wollen, und sie kämpfen einen Verzweiflungskampf, wenn sie von den Arbeitenden im Stiche gelassen werden. Es gibt über drei Millionen Arbeitslose in Deutschland, die sich in einer Lage befinden, daß sie den Kampf aufnehmen müssen. Sie können ihn aber nicht allein mit Aussichten auf den Sieg aufnehmen. Wie verhält es sich mit dem anderen Teil der Arbeiterschaft? Wir haben in Deutschland drei Millionen Kurzarbeiter. Unter den Vollarbeitern ist ebenfalls Depressionsstimmung, da sie fürchten, jetzt arbeitslos oder Kurzarbeiter zu werden. Es gibt unter den Vollarbeitern und Kurzarbeitern Teile, die, wenn es sich darum handelt, mit einem Male den entscheidenden Kampf mit der Waffe in der Hand zu führen, sofort dazu bereit sind, die sich aber weigern, die notwendigen Kleinkämpfe zu führen, Demonstrationen, Streiks usw. Das ist eine Tatsache, der wir sehr scharf ins Gesicht sehen müssen. Wenn es der Bourgeoisie gelingt, diese Spaltung zwischen Arbeitslosen, Vollarbeitern und Kurzarbeitern zu vergrößern, diese Kluft noch zu erweitern, dann wird die Atempause der Bourgeoisie noch eine längere sein. Gelingt dieser Versuch nicht, dann ist diese Frist kürzer. Das hängt natürlich von. der Möglichkeit einer zeitweiligen Wiederherstellung eines gewissen wirtschaftlichen Gleichgewichts ab. Das Tempo der neuen Inflation, der Rentenmark, ist sehr wichtig. Das hängt wieder davon ab, ob die Bourgeoisie durch auswärtige Kredite oder aus eigenen Mitteln solche Steuern aufbringt, die genügen, um die Finanzen in Ordnung zu bringen. Weder aus der Bourgeoisie noch aus dem Kleinbürgertum sind die erforderlichen Steuern herauszubringen. Die Bourgeoisie könnte nicht expropriierte Teile des Fertigkapitals oder vor allem Teile der Landwirtschaft, der Mittelbauern, expropriieren. Diese Summen reichen jedoch unter keinen Umständen aus, um das Staatsdefizit zu decken. Die Sparmaßnahmen, die sich in den Beamtenentlassungen usw. äußern, sind alles blauer Dunst. Also die Perspektive ist: Kein Katzenjammer für uns; alle Voraussetzungen sind so, daß wir in kürzester Frist, wenn wir imstande sein werden, die Massen um uns zu sammeln, wieder kämpfen können. Kommt jetzt die Partei durch die Oktoberniederlage bei dem Selbstverständigungsprozeß in eine Krise, wird sie gespalten, dann haben wir fünf verlorene Jahre der Arbeit. Die Oktoberniederlage ist eine schwere Niederlage. Sie hat zu einer Zersetzung der Sozialdemokratie wie nie zuvor geführt; die Sozialdemokratie steht vor der Spaltung. Das bedeutet: es entsteht eine neue zentristische Partei, wenn wir nicht die Fähigkeit haben werden, diesen Teil der Arbeiterschaft zu assimilieren. Wenn wir sie nicht assimilieren können, wenn diese neue Partei länger als ein halbes Jahr selbständig lebt, wenn wir eine Politik der Phrasen treiben, wie es die Opposition tut, dann werden wir zur Sekte werden. Dann werden wir eine neue zentristische Partei bekommen, die sich nicht nur entwickelt aus abgespaltenen Elementen der Sozialdemokratie, sondern auch Zuwachs aus Verlusten der K.P. bekommt. Das bedeutet die Niederlage der deutschen Revolution auf Jahre und auch die Niederlage der Weltrevolution, deshalb sind diese Dinge von ungeheurer Bedeutung. Trotz der Oktoberniederlage ist zu irgendwelchem Pessimismus keine Veranlassung. Noch niemals war die Tätigkeit der deutschen Partei von solch großer Bedeutung, wie sie es gegenwärtig ist.

III.
Referat des Genossen Remmele

Die Notwendigkeit der Überprüfung der Taktik, wie sie in Deutschland getrieben worden ist, die auf der Grundlage der K.I. basiert, zeigen, wie außerordentlich wichtig diese Fragen auch für die nächste Zukunft sind. Wir können keinen Schritt weitergehen, ‑ darin stimme ich mit dem Vertreter der Exekutive überein ‑ , wenn wir nicht völlige Klarheit haben über das, was in der allernächsten Zeit zu tun ist.

Wir sind aus der letzten revolutionären Epoche in Deutschland ‑ ich meine Ereignisse, die Jahre zurückliegen ‑ aus der Märzaktion 1921 mit einer Niederlage herausgegangen. Und diese gab uns Veranlassung zur Überprüfung der Kampfmethoden und Mittel, die für Deutschland maßgebend sein sollen. Dort wurde die Partei durch die Internationale auf einen ganz bestimmten Weg, auf ganz bestimmte Kampfmethoden und ‑Mittel festgelegt, die für Deutschland in der nächsten Zukunft in Frage kommen. Diese wurden zusammengefaßt unter dem Begriff der Einheitsfronttaktik, wie wir sie dann ganz speziell in Deutschland angewandt haben.

Diese Taktik geht davon aus: welches sind die Voraussetzungen der sozialen Revolution, was müssen die Vorbedingungen sein, um der sozialen Revolution zum Siege zu verhelfen?

Und da stand und steht heute noch als erstes Problem die Eroberung einer festen Mehrheit des Proletariats, die ideologische Eroberung des Proletariats für die soziale Revolution. Das war die Aufgabe, die der Partei gestellt worden ist. Und nun begann eine Periode der Auseinandersetzungen nicht zwischen den verschiedenen Klassen, die am Ausgangspunkt der Revolution stehen, sondern die zuvor gehen: die Zersetzung der Massen bzw. die Eroberung der Massen, eine propagandistische Periode. Und in der wurden selbstverständlich auch für diesen Weg oder wenigstens für den Zeitabschnitt dieses Weges Theorien aufgebaut, ‑ und das ist eines der wesentlichsten Momente der Streitpunkte mit der Linken ‑, Theorien, die auch nach meiner festen Überzeugung manche Illusion in den Köpfen unserer Parteigenossen erweckt haben und in vielen Fragen über das Ziel hinausgeschossen sind, die alsdann die Praxis, ganz speziell die Oktoberbewegung, als falsch erwiesen haben. Ich will nicht untersuchen, aus welchen Ursachen heraus die Theorien geschaffen wurden. Aber gerade die scharfe Trennung zwischen Linken und Mehrheit hat zu Übertreibungen auf beiden Seiten geführt, ‑ die wir in der gesamten Mehrheit der Zentrale durchaus nicht als richtig angesehen haben, ‑ genau wie auf der andern Seite Übertreibungen sind. Das sind Übertreibungen, die den Parteistreit und das Zusammenhalten innerhalb der Partei oft über das erträgliche Maß hinaus vergiftet haben. Von diesem theoretischen Streit können wir nachweisen, daß er absolut nicht das Fundament unserer praktischen Anwendung innerhalb der Parteitaktik war. Wir können nachweisen, daß wir durchaus uns immer auf einem wirklichen festen Boden in der Praxis bewegt haben, Diese war durchaus besser als oft die Theorien, die aufgestellt wurden.

(Radek: Ich glaube das Umgekehrte.) (R. Fischer: Nein.)

Was haben uns die Oktoberereignisse gezeigt? Daß man eine Arbeiterregierung zu bilden nur in der Lage ist, wenn bereits die revolutionären Kräfte so zugespitzt sind, daß im nächsten Moment bereits aus dieser Arbeiterregierung heraus der Kampf um die Diktatur entspringt.

(Von der "Linken": Leipziger Parteitag!)

Genossen, ich sage ausdrücklich, das trifft insbesondere für Deutschland zu. Wie es in andern Ländern liegt, kann ich hier nicht beurteilen, es kann dort unter Umständen ganz anders sein als in Deutschland. Aber für die deutschen Verhältnisse kann eine Arbeiterregierung nur in Frage kommen in dem Moment des unmittelbaren Übergangs zum Machtkampf.

Genossen, der Beschluß des 4. Kongresses sieht auch andere Möglichkeiten vor. Er ist ein internationaler Beschluß. Aber ich glaube, daß bei dem Problem, das hier aufgerollt ist, ganz klar zum Ausdruck gebracht werden muß: kommt eine solche Konstellation wieder in Sachsen, dann darf das Experiment nur gewagt werden, wenn zuerst die Voraussetzungen der Möglichkeiten des Kampfes geschaffen werden, dann erst kann es unternommen werden.

Das sind die Erfahrungen, die wir aus den Oktoberereignissen gelernt nahen.

Ich will nun auf die Probleme der Ereignisse, wie sie in Deutschland standen, eingehen. Da war eines der wichtigsten mit das Problem des Kräfteverhältnisses. Ich will ganz kurz schildern, wie die Lage in der umstrittenen Zeit war. Bereits im Januar, als der Ruhrkampf begann, hat die Internationale durchaus richtig vorausgesehen, daß dieser Ruhrkampf ähnliche Wirkungen, wenn auch nicht in diesem großen Ausmaß, aber ganz ähnliche politische Wirkungen in Deutschland auslösen wird, wie der Krieg sie ausgelöst hat. Ich erinnere hier an die Beschlüsse, die in Essen im Januar und in Frankfurt im März gefaßt wurden. Dort wurde schon ganz klar erkannt, daß dieser Ruhrkampf zu einer außerordentlich schweren wirtschaftlichen und politischen Krise in Deutschland führen muß und wird, und daß wir aus dieser Ruhrgeschichte heraus in große Kämpfe verwickelt werden. Diese Einsicht hat sich sehr bald auch in Deutschland bestätigt. Der Ruhrkampf hat durchaus ähnliche Situationen in Deutschland geschaffen, wie wir sie nach oder bei dem Ausgang des Krieges hatten, Verzweiflungsakte, große Aufstände; nicht nur die großen Streiks, auf die wiederholt hingewiesen worden ist; sondern wir haben in weiten Gebieten Deutschlands direkt chaotische Zustände gehabt, wo lokal und provinziell gewissermaßen die Organisationen der Arbeiter die Macht in den Händen gehabt haben. Ich will darauf verweisen, daß oft in den großen Streikgebieten die politische Macht in den Händen der Arbeiter lag, in derselben Zeit waren die einzelnen Landesregierungen nicht imstande, eine Politik gegen die Erhebungen der Arbeiter durchzuführen. Wir hatten in Württemberg, als uns die Zeitung verboten wurde, am zweiten Tag die Zeitung wieder frei, weil die Arbeiter aus den Betrieben heraus ins Ministerium zogen und dort die Freigabe der Zeitung forderten und androhten, die Freigabe zu erzwingen. In derselben Zeit hat in Württemberg die Regierung den Belagerungszustand verhängt. Mittwoch haben wir trotz des Belagerungszustandes eine Betriebsrätekonferenz einberufen, die stattfand, trotzdem die Reichswehr uns in der ganzen Stadt suchte und überall das Bürgertum verprügelte. Am Sonntag haben wir unseren Parteitag abgehalten, am Schluß des Parteitages fand im Hauptbahnhof von Stuttgart eine Riesendemonstration des Publikums statt, das zusammengelaufen ist, und am Montag mußte der Belagerungszustand aufgehoben werden. Also eine Höhe der Bewegung, wie wir sie nur zu gern gewünscht hätten in dem Augenblick, als der Reichsbelagerungszustand verhängt worden ist. Ich will darauf verweisen, daß zur Zeit der faschistischen Bewegung nicht etwa nur in Stuttgart, sondern auch in Mitteldeutschland, im Norden, Westen und Osten des Reiches überall die Demonstrationen durchgeführt wurden trotz der Verbote. Wir haben dann in Thüringen, in Mitteldeutschland im Juli, in den Augusttagen die Verhältnisse gehabt, daß die Arbeiter die Ernährung vollständig in die Hand genommen haben, Lastautomobile beschlagnahmten, auf das Land fuhren, um sich Lebensmittel direkt von den Bauern zu holen, so daß niemand mehr im Zweifel sein konnte, daß man unmittelbar vor großen Ereignissen stand. Zweifellos war der Cuno-Streik der Höhepunkt der Bewegung, aber nach meiner inneren Überzeugung war er auch der Wendepunkt in der Bewegung. Indem die Sozialdemokraten in die große Koalition eingetreten sind, sind die sozialdemokratischen Arbeiter wieder mit Illusionen erfüllt worden.

Mitte August ist gewissermaßen durch den Eintritt der Sozialdemokraten in die Regierung ein Abebben der revolutionären Hochflut eingetreten. Wenn wir uns mit den Sozialdemokraten auseinandersetzten, zeigte sich, daß sie neue Hoffnungen auf den Eintritt Hilferdings in die Regierung hatten. Sozialdemokraten, die spontan in all den Kämpfen bei uns standen, die den Cuno-Streik mitgemacht hatten, alle diese Massen waren von neuen Illusionen erfüllt worden. Das Kernproblem ist und bleibt die Eroberung dieser sozialdemokratischen Mehrheit.

Zu den Ereignissen innerhalb der Partei. Wie hat sich die Partei zu dieser Situation verhalten? Ich kann mich noch erinnern, daß wir im September eine Zentrale-Sitzung hatten, in der zur Behandlung stand, was wir in dieser Situation zu unternehmen hätten. Ein Genosse der Zentrale vertrat den Standpunkt, daß, wenn in Sachsen die Verhältnisse reif sind, man losschlagen müsse. Die Zentrale hat das damals abgelehnt, mit der Begründung, daß sie gegen diese putschistische Auffassung sei. Am nächsten Tag kam der Beschluß, der hier von der Exekutive gefaßt worden ist. Und so wurde die gesamte Politik der Partei auf das eingestellt, was am Tage zuvor abgelehnt worden war; es wurde der Aufmarschplan angenommen, daß das mitteldeutsche Gebiet zum Konzentrationspunkt gemacht werden sollte. Dann wurden die Partei und der ganze Parteiapparat auf den bewaffneten Aufstand eingestellt und mobilisiert. Alle anderen Parteiarbeiten, die Mobilisierung der Massen, Zusammenfassung der Betriebsräte, wurden vernachlässigt, weil unser ganzer Parteiapparat und der Funktionärkörper lediglich auf das Problem der Bewaffnung und Organisierung der Kampfaktion eingestellt war. Bei den mangelnden Kräften, die vorhanden waren, war es ganz natürlich, daß alle anderen Parteiarbeiten in den Hintergrund treten mußten. Die Funktionäre mußten aus ihrer bisherigen Tätigkeit herausgezogen werden, so daß sie diese vollständig vernachlässigt haben. Zum Beispiel: Sekretäre für die Betriebsräte arbeiteten nur für die technische Vorbereitung, der politische Sekretär wurde der politische Leiter des Komitees, das im Bezirk vorhanden war. So kam es, daß alle andern Brücken, die zum Proletariat führten, vernachlässigt wurden. Das war nach unserer Auffassung einer der bedeutsamsten Fehler, der auf die Schwäche der Partei zurückzuführen ist, daß die ganzen Probleme sehr rasch an uns herangetreten sind, so daß man auf die Bewaffnungsfrage die ganze Partei einstellen mußte.

Genossen! Die bestimmte Terminsetzung des Losschlagens konnte nicht eingehalten werden, nachdem man zur Regierungsbildung gezwungen wurde. Als der Auftrag der Exekutive kam, daß man in Sachsen in die Regierung eintreten solle, haben sich die Genossen zuerst geweigert, diesen Beschluß durchzuführen. Es war bereits von der Reichsregierung selbst gegen die sozialdemokratische sächsische Regierung die Reichsexekutive angedroht worden, als die Kommunisten noch nicht in der Regierung waren, um gegen die sozialdemokratische Regierung vorzugehen. Darum haben sich zuerst unsere Genossen dort gesträubt, diesen Beschluß durchzuführen. Es wurden dann noch eine Reihe von Verhandlungen mit ihnen geführt und sie mußten in die Regierung eintreten und sind dann auch eingetreten.

Zwangsläufig spielt die sächsische Frage, so wie sich die Dinge entwickelt haben, ganz selbstverständlich in der ganzen Internationale die Hauptrolle. Nach meiner Auffassung hat man das sächsische Problem durchaus nicht richtig gestellt. Es wird in unserer Kritik auch sehr scharf zum Ausdruck kommen, was die Minister in Sachsen alles versäumt haben. Der Glaube, daß die Minister überhaupt viel, sehr viel hätten machen können, ist sehr stark von Illusionen genährt. Der Beschluß, daß unsere Genossen in die sächsische Regierung: eintreten sollen, ist allerdings durch Berichte oder Darstellungen zustande gekommen, die der Grundlage entbehrt haben. Man hat diesen Beschluß auf Grund der Anschauung gefaßt, daß bereits eine Bewaffnung und Mobilisierung der Partei und der Massen in einem solchen Grad vorhanden ist, daß man eine solche Sache wagen könnte. Man hatte die Zersetzung des Gegners als viel weiter fortgeschritten angenommen, als sie es tatsächlich war.

Wir kamen dann in die Lage, daß der Gegner zur Offensive überging und uns dadurch den Termin diktierte. Der Gegner schlug los, so daß wir sagen mußten: Entweder weiße Diktatur, oder wir sind imstande, die proletarische Diktatur durchzusetzen. Im ersten Augenblick der Fragestellung entschied man, es solle losgeschlagen, der angenommene Plan zur Durchführung gebracht werden. Inzwischen kam die Chemnitzer Konferenz. Die Chemnitzer Konferenz, die von den Betriebsräten usw. einberufen war, hatte den Zweck, wirtschaftliche Probleme zu erörtern und über wirtschaftliche Maßnahmen für Sachsen zu entscheiden, über alles das, was wirtschaftlich in Sachsen durchgeführt werden sollte. Diese Konferenz war schon lange vorher vorbereitet und einberufen worden, ohne daß wir wußten, daß in dem Augenblick des Zusammentritts der Konferenz die Probleme der Auseinandersetzung entstehen würden. Es wurde in der Nacht vor ihrem Beginn beschlossen, daß diese Betriebsrätekonferenz nicht wirtschaftliche Fragen beraten und entscheiden, sondern die Frage des Losschlagens zur Entscheidung bringen sollte.

Unmittelbar vor der Zuspitzung auf den 20. Oktober wurden Bewegungen, die bereits im Flusse waren, abgebremst, abgebrochen, um die Kräfte aufzuspeichern, um sie erst im gegebenen Moment zur Anwendung zu bringen.

Also es wurde alles auf dieses eine bewaffnete Losschlagen gerichtet und zugespitzt, und es kam in der Perspektive und in der ganzen Anlage nur das entscheidende Losschlagen zum entscheiden» den Kampfe im gegebenen Augenblick in Frage.

Nach dem Hamburger Kampf, nach dem Scheitern des sächsischen Experiments hat die Partei sich zum erstenmal wieder sammeln können. Unmittelbar danach fand die Sitzung des Zentralausschusses statt, die versucht hat, eine Aufgabe zu lösen, ein Fundament oder eine Kristallisierung des Standpunktes zu geben, auf dem wir augenblicklich stehen. Der Zentralausschuß hat unterlassen, zurückblickend zu prüfen, was verkehrt, was richtig war. Das hat innerhalb der Zentrale und auch innerhalb der Bezirke selbstverständlich große Meinungsverschiedenheiten hervorgerufen; dadurch, daß die Frage durch den Zentralausschuß nicht geklärt worden war, entstanden Verwirrung und Differenzen. Diese kamen immer sehr lebhaft in den Zentralausschuß-Sitzungen zum Ausbruch; eben weil das alte noch nicht geklärt war, konnte keine klare Linie geschaffen werden.

Diese Differenzen haben dann zunächst, nachdem die Exekutive einen Brief geschrieben hatte, den Versuch ergeben, auf Grund dieses Briefes eine Klärung herbeizuführen. Die Klärung erbrachte, daß in der Zentrale in der Hauptsache drei Auffassungen vertreten sind: die der Linken ‑ Genossin Fischer und Thälmann ‑, die Auffassung, die Brandler und Thalheimer vertreten haben, und die Auffassung, die durch Koenen und mich vertreten wird.

Genossen, die Auffassung, die dann von uns vertreten wurde, gipfelte bei der Überprüfung des Geschehenen in der Hauptsache darin: War es richtig, daß wir für einen Entscheidungskampf in dem Stadium, in dem wir uns befanden, rüsten konnten, Termin und Entscheidungsschlacht schon vorbereiten konnten? Die Frage haben wir verneint. Aus der besonderen Struktur Deutschlands und den besonderen Klassenverhältnissen und Klassenkräften in Deutschland heraus sagten wir, wir standen noch nicht in dem Stadium, in dem wir den Termin für einen Entscheidungskampf setzen konnten. Wir sagten: ehe diese Entscheidungskämpfe kommen werden, werden wir durch eine Periode einer ganzen Reihe gewaltiger bewaffneter Einzelkämpfe hindurchgehen müssen. Wir werden ein Stadium durchlaufen, in dem die verschiedensten Machtverhältnisse in Deutschland vorhanden sein werden. Und deshalb sagten wir, daß man das, was wir bis zu den Oktobertagen nicht hatten, und zu dessen Erkenntnis man erst durch die Oktobertage gelangt ist, bereits voraussehen mußte, nämlich daß wir, wie Brandler schon dargelegt hat, mit bewaffneten Demonstrationen, bewaffneten Einzelaktionen eine Periode durchlaufen müssen, bis wir zu diesem Entscheidungskampfe gelangen.

Also Genossen, wir vertreten die Auffassung, daß die Methode bzw. die Theorie, die man im Oktober versucht hat, aus einer Periode der agitatorischen und propagandistischen Tätigkeit heraus sofort in den bewaffneten Aufstand hineinzuspringen, falsch ist für die praktischen Dinge, wie sie sich in Deutschland ereignen werden. Und das war einer der wesentlichsten Punkte, in dem wir gegen die Anlage zur Oktobersache standen.

Ich komme zu dem Problem der weiteren Entwicklung in Deutschland, und welches die Hauptaufgabe ist. Da steht immer wieder im Vordergrund die Zersetzung des konterrevolutionären. Blocks innerhalb der Arbeiterklasse. Ist der zersetzt, erst dann wird die Bahn frei zu der Möglichkeit des bewaffneten Entscheidungskampfes.

Ich will betonen, daß der Block selbst am besten überwunden wird im Kampfe; aber das darf uns nicht veranlassen, ganz klar zu sehen, was auf dem Gebiet zu geschehen hat, so lange Kämpfe nicht ausgelöst werden können und nicht vorhanden sind. Wir sind der Auffassung, daß die Zerschlagung des konterrevolutionären Blocks, des Anhangs der Sozialdemokratie innerhalb der Arbeiterklasse, das Wichtigste und Bedeutsamste ist, was wir jetzt in Deutschland immer noch zu lösen haben. Und diese Lösung muß geschehen auf dem Boden der realen Möglichkeiten, wie sie in Deutschland gegeben sind. Es ist hier immer wiederholt worden, daß eine der wichtigsten Aufgaben die Zusammenfassung, die Mobilisierung und die Ausnutzung der Betriebsräte für unsere revolutionäre Ideologie ist. Der Gedanke ist durchaus richtig, aber wir müssen uns die Frage so stellen: Was sind die Betriebsräte, und welche Möglichkeiten gibt es auf ihrem Boden?

Wir haben in Deutschland 370.000 Betriebe mit über 20 Arbeitern, für die das Gesetz die Wahl eines Betriebsrats vorschreibt. Trotz aller Maßnahmen auf diesem Gebiet, die wir ergriffen haben ‑ wir haben in die einzelnen Bezirke besondere Sekretäre geschickt, die diese Betriebsräte zusammenfassen sollen; haben eine ungeheure Propaganda für die Betriebsräte getrieben, eine besondere Zeitung für sie herausgegeben ‑ trotz aller dieser Arbeit ist es bis jetzt uns nur gelungen, 5000 Betriebsräte (=Betriebe) zu mobilisieren bei einem Vorhandensein von 370.000 Betrieben. Ja, Genossen, wenn man solche Zahlen hört, möchte man sagen: Ist es überhaupt möglich, so viele wie 370.000 zu erfassen? Wesentlich erscheint mir, daß man in der Hauptsache die Großbetriebe erfassen muß. Wir haben nur 2000 Großbetriebe mit über 1000 Arbeitern, trotzdem wir 370.000 Betriebe haben. Unter den 5000 erfaßten Betriebsräten sind solche, in denen die Mehrheit aus Sozialdemokraten besteht und nur einzelne Kommunisten sind. Wenn wir auch diese Kommunisten in den Betriebsräten in dem Organ der Reichsbetriebsräte haben, so haben wir aber noch nicht den gesamten Betriebsrat der betreffenden Unternehmung. Und deswegen muß das Hauptgewicht darauf gelegt werden, bei den jetzt im Januar und Februar stattfindenden Betriebsrätewahlen diese Betriebsräte zu erobern. Es ist sicher, daß hinter den Betriebsräten die gesamte Belegschaft steht, wenn sie ein revolutionäres Element sind, das vorwärts strebt. Heute stehen die Belegschaften nicht mehr durchweg hinter den Betriebsräten. Aber wenn wir es fertigbringen, wenigstens in den Großbetrieben bei den Wahlen die Betriebsräte ziemlich restlos zu erobern, dann werden wir auch die Belegschaften zu den revolutionären Kämpfen haben.

(Warski: Und wie viele haben wir von den 2000 Großbetrieben in der Hand?)

Das kann ich nicht genau sagen, aber ich glaube, daß wir mindestens in allen Betriebsräten einen oder zwei Genossen in der Hand haben, die mit uns arbeiten.

Nun, Genossen, die Frage steht auch nicht so, daß man durch die Betriebsräte allein alle die Aufgaben erfüllen kann, oder, wie es Genossin Fischer irrtümlicherweise neulich darstellte, der Streik in Ludwigshafen sei durch die Betriebsräte geführt worden. Nein, selbst die wilden Streiks werden von den gewerkschaftlichen Vertrauensleuten der betreffenden Betriebe geleitet. Nur große Streiks, die über große Gebiete greifen, werden von den Betriebsräten geführt, aber die einzelnen Streiks werden durch die gewerkschaftlichen Vertrauensleute der Arbeiter geleitet.

Nun ist es selbstverständlich notwendig, daß wir eine ganz klare Linie auch gegenüber den gewerkschaftlichen Arbeitern haben.

Genossen, für mich stand fest, daß die Dinge, wie sie jetzt bestehen, noch zu einer großen Katastrophe führen müssen. Im Oktober hatte die Bourgeoisie noch außerordentlich starke Kräfte auf ihrer Seite, die bisher die stärkste Stütze ihrer Macht waren, das Beamtentum. Inzwischen aber haben die, Versuche eingesetzt, die Konsolidierung der kapitalistischen Verhältnisse auf dem Rücken dieser Beamten zu unternehmen. Jetzt haben wir eine viel breitere Grundlage, als im August und Oktober.

Ich vertrete die Auffassung, daß wir im nächsten Vierteljahr noch mehrere Auseinandersetzungen zwischen dem Proletariat und der herrschenden Klasse haben werden. Es gilt, die Partei darauf einzustellen und zu rüsten. Das, was zu unserer bisherigen Arbeit noch hinzukommen muß, ist die bewaffnete Rüstung, sind die bewaffneten Teilaktionen als ein Mittel des Klassenkampfes. Erst aus diesen Kämpfen kann sich der Zeitpunkt des Termins, an dem wir den entscheidenden Schlag führen können, herauskristallisieren. Gewiß, niemand kann bestreiten, daß es Möglichkeiten gibt, daß die bürgerliche Gesellschaft sich aus den jetzt bestehenden Verhältnissen herausarbeiten kann. Es können im nächsten Vierteljahr wieder solche vorübergehende Dinge kommen, wie wir sie jetzt haben, durch die sich die Bourgeoisie aus der Schlinge herausziehen kann, die sie sich selbst um den Hals legte. Diese Möglichkeit besteht, aber man kann sich nicht auf zwei Möglichkeiten einstellen. Wir müssen die Partei so einstellen, daß es möglich ist, in dieser Periode das zu verwirklichen, was wir durchzuführen haben, damit nicht die Möglichkeit des Kampfes besteht, während wir eine Partei haben, die nicht aktionsfähig ist, und die eine Leitung hat, die selbst geleitet werden muß. Die subjektiven Kräfte der Bewegung werden dann aus sich heraus wachsen. Dazu ist eine starke Hand an der Spitze der Partei notwendig, die imstande ist, die gegebenen Verhältnisse auszunutzen, so daß es zum siegreichen Kampfe kommen kann. Dazu ist eine kurze Aussprache über die Differenzen und die Dinge, wie sie sind und sein müssen, notwendig. Dann aber auch muß die Einstellung auf die Kraft der Partei nach außenhin erfolgen. Solange wir unsere Kräfte zum gegenseitigen Kampf in der Partei benutzen, haben wir keine Kräfte zum Kampf und Wirken nach außen.

Es muß ein kooperatives Zusammenarbeiten der Genossen, die sich im Kampfe herausgebildet haben, geschaffen und die Leitung nicht der Arbeit eines Einzelnen überlassen werden. Es sind doch meistens Genossen in unserer Leitung, die schon Jahrzehnte in der Bewegung stehen, die sich eben im Kampf selbst zusammengefunden haben.

Wenn die russischen Genössen heute sagen, daß es die Tradition der alten Bolschewiki ist, die sie zusammenhält, so können wir zwar nicht von einer alten Tradition der Kommunistischen Partei in Deutschland reden. Wir können aber sprechen von einer alten Tradition linker Oppositionsgenossen in der Sozialdemokratie, die schon seit Jahrzehnten zusammenarbeiten. Daß zwischen diesen Genossen die Verbindung enger ist, als zu den Genossen, die erst ganz neu zu uns gekommen sind, das ist ganz selbstverständlich. Wir sind zu der Auffassung gekommen, daß Brandler in der Führung der Partei oft zu selbständig gehandelt hat, so daß manches anders geworden ist, als es die Genossen gewünscht haben. Wir haben zum Ausdruck gebracht, daß wir wünschen, daß, wenn Brandler die Partei führen soll, ein starkes kollektives Vorgehen der Leitung der Partei vorhanden sein muß. Zu der Lage innerhalb der Partei gegenüber der Linken sage ich, was ich gestern bereits schon gesagt habe. Diese Opposition muß in die Zentrale hinein, weil Thälmann eine Opposition vertritt, die aus dem proletarischen Gefühl herauskommt, eine gute proletarische Tradition, die auch bei Thälmann vorhanden ist. Aber die Opposition, die von der Genossin Ruth Fischer und Maslow kommt, ist eine Opposition, die sich nicht aus den realen Verhältnissen heraus gebildet hat, sondern durch Theorien nur aus den Köpfen geboren ist. Das ist es, was ich an dieser Opposition kritisieren muß, daß sie nicht die reale Wirklichkeit sprechen läßt, sondern daß sie glaubt, daß die Welt sich aus ihren Köpfen herausbildet.

Ich glaube, daß es notwendig ist, daß jetzt dieser Streitpunkt zum Abschluß kommt, daß wir die Pflicht haben, von Moskau mit einer stärken Hand und einer starken Leitung für die kommenden Kämpfe zurückzukehren. Das ist vor allen Dingen notwendig in der Periode der Illegalität. Wenn wir in einer solchen Periode nicht in absolutes Vertrauen von Person zu Person haben, dann kann überhaupt nicht gearbeitet werden.

IV.
Referat der Genossin Ruth Fischer

Die Oktoberniederlage ist keine Niederlage, denn sie war kein Kampf, sondern sie ist ein Zusammenbruch, ein völliges Versagen der Partei.

Wenn man die drei Referate hier aneinanderhängt, dann gehören die ersten Referate, die des Vertreters der Exekutive und Brandlers, zusammen; man kann urteilen über sie, wie man will, sie haben ihre konsequente Linie, und es besteht eine schlechte deutsche Praxis dieser konsequenten Theorie.

Was Remmele angeführt hat, ist der Versuch sehr guter Elemente, mit Dingen fertig zu werden, die sie sich nicht anders erklären können, als auf Grund von Fehlern, als Folgen einer bestimmten, von ihnen auch für gefährlich empfundenen Politik. Und aus diesem Grunde ist die Tatsache, daß Remmele seit anderthalb Jahrein sich zurückgehalten hat, daß er bei der Friesland- und Levi-Krise reagierte und jetzt wieder reagiert, charakteristisch dafür, daß sich in der Partei eine Reaktion bildet gegen ein ganz typisches Liquidatorentum und einen Revisionismus. Genossen, wenn wir mit solcher Heftigkeit gegen diesen Revisionismus auftreten, so, weil in den Fragen der Parteientwicklung unsere ersten stark durchlebten liquidatorischen Krisen die Levi- und die Friesland-Krise waren. An denen haben wir gelernt, unter den Masken und Formulierungen die Ursprünge und theoretischen Grundlagen zu suchen, die zu praktischen Konsequenzen führen müssen.

Das was hier von dem Vertreter der Exekutive und Brandler ausgeführt wurde, bedeutet den Beginn einer Liquidatorenkrise, nicht nur in der Kommunistischen Partei Deutschlands, sondern in der Internationale. Wir hatten eine solche Krise nach dem 3. Weltkongreß. Sie war zu erklären aus dem Zurückfluten der Revolution in Europa, in Deutschland vor allen Dingen aus der Niederlage der Märzaktion.

Das Zurückfluten der revolutionären Welle wurde vom 3. Kongreß beantwortet mit der Losung der Gewinnung und Sammlung der Massen für die Ergreifung der Macht. Und aus dieser richtigen Umstellung haben die Liquidatoren der deutschen Partei die Revision des Kommunismus gemacht, das Aufgeben des Auftretens einer eigenen Kommunistischen Partei, sie haben Lehren gezogen wie: man muß zurückkehren nicht nur zu den Methoden der Sozialdemokratischen Partei, und Genossen, sie sind zurückgekehrt, und jeder Berliner Arbeiter, der den "Vorwärts" liest, liest darunter "Redakteur Ernst Reuter" und denkt dabei an diese bittere Erfahrung, die wir gemacht haben.

Genossen, diese Krise ist in der K.I. nie ganz geheilt und bis zu Ende liquidiert worden. Man hat zwar in Einzelfällen Abschneidungen gemacht, Frossard hinausgeschmissen oder er ist gegangen, hat auch in Deutschland ein paar hinausgeworfen, aber die theoretische Auseinandersetzung, die die notwendige Voraussetzung dafür ist, daß auch unsere Arbeiter begreifen, daß das Disziplinbrecher nicht im organisatorischen, sondern im politischen Sinne des Wortes sind, hat man nicht gemacht. Man hat versucht, die Dinge etwas vorsichtiger zu formulieren, um die Arbeiterelemente zurückzuerhalten, und das Resultat war, daß das Gift aus der K.P.D. und wie ich glaube, der Komintern nicht ausgetrieben wurde.

Die Taktik der Einheitsfront war die konsequente Fortführung des "Heran an die Massen". Diese Taktik hat bei uns eine sehr merkwürdige Entwicklungsgeschichte, die ich alle ausländischen Genossen aufmerksam zu studieren bitte, weil sie eine Fundgrube dafür ist, wie Schritt für Schritt aus dem richtigen Gedanken der Einheitsfront als eines Agitationsmittels der Versuch wird, den Revisionismus aus diesem Gedanken zu entwickeln. Vom Offenen Brief über die Rathenau-Kampagne, über die Zusammenkunft der Exekutiven der drei Internationalen, aus tausend Einzelheiten entwickelt sich der Versuch der organisatorischen Verschmelzung der K.P.D. mit der S.P.D. Wenn z. B. von unseren deutschen Genossen in den letzten Jahren entdeckt wurde, daß das Schönste an der russischen Revolution die Neue Ökonomische Politik ist, daß das der eigentliche Sinn des Sozialismus ist, wenn man das noch überschreibt: die Neue Ökonomische Politik muß eigentlich vor der Eroberung der Macht gemacht werden, das ist das wahre Notwendige ‑ so sind solche Dinge ein Symptom des Versuchs, die Linie bis zu Ende zu entwickeln.

Dieser Revisionismus innerhalb der K.P.D. ist mehrmals von der Exekutive zur Ordnung gerufen worden. Die Rathenau-Aktion hat eine ganz bestimmte Rolle auf dem 4. Kongreß gespielt, aber die deutsche Partei hat diese Kritik bis heute noch nicht angenommen, bis heute noch nicht zu Ende gedacht und ist noch immer in ihren ausschlaggebenden Führerkreisen der Überzeugung, daß die Rathenau-Aktion eine Glanzleistung war, trotzdem sie alle typischen Fehler, die wir im Oktober gehabt haben, enthält. Sie enthält alle Fehler der sächsischen Politik im theoretischen und praktischen Sinne des Wortes.

Auf dem 4. Kongreß ist eine Episode vorgekommen, die bereits der Beginn der sächsischen Politik war. Dort erhielt die deutsche Delegation eine irrtümliche Nachricht, daß Brandler und noch jemand in die sächsische Regierung eingetreten sind, ohne daß irgendwelche Bedingungen für Sachsen gestellt worden wären. Die deutsche Delegation trat darauf zusammen. Thalheimer erklärte, das ist das Eigentliche, was wir schon immer gebraucht haben. Und nur ein Genosse aus Hamburg, ein Berliner, einer aus Westsachsen und ein Ruhrarbeiter, diese Dummköpfe, erklärten, das kann es nicht gebend. In diese Delegationssitzung wurde dann zwei Tage später die Nachricht eingebracht, daß der Eintritt erst bevorstehe. Und darauf entspann sich folgende außerordentlich wichtige Debatte. Wir hatten 10 Bedingungen gestellt für den Eintritt in die Regierung. Darunter Punkt 7: daß die Arbeiter bewaffnet werden müssen und Punkt 9: Betriebsrätekongreß in Sachsen. Die Sozialdemokraten wollten alles schlucken, z. B. Kohlenbeschaffung für arme Leute und Brotverteilung, nur diese beiden Punkte nicht. Daraufhin erklärte der Theoretiker unserer Partei, Thalheimer, und die gesamte Delegation, Meyer an der Spitze, mit ihm: Ja, wir brauchen doch diese Punkte nicht zuzuspitzen; das Wichtigste ist, daß wir auf ökonomischem Gebiet mit den Sozialdemokraten zusammengehen, diese Punkte können fallen gelassen werden. Und eine Resolution wurde gegen die 4 Dummköpfe angenommen, die Punkte 7 und 9 fallen zu lassen, wenn man nur in die Regierung eintreten kann. Dann hat die Exekutive der Komintern davon erfahren, hat es umgedreht und die Delegation hat das geschluckt. Ulbricht sagte, es hat keinen Zweck, in Thüringen noch Bewaffnung zu verlangen, weil jeder Arbeiter sein Gewehr habe. Es war für mich unvergeßlich, wie in dieser Sitzung alle russischen Genossen erklärten, man darf diese Bedingungen nicht schlucken. Diese Delegationssitzung des 4. Kongresses hat wieder im Keime die Fehler des Oktoberzusammenbruches und der Politik gezeigt, die später betrieben wurde.

Genossen, die Oktober-Situation begann sich mit dem Beginn der Ruhrbesetzung zu zeigen. Darüber scheint Übereinstimmung nun schon zu bestehen, daß die Abflauung der deutschen Revolution durch, die Ruhrbesetzung durchbrochen wurde, daß die deutsche Bourgeoisie in dem Bestreben der Konsolidierung und Unterordnung unter das Auslandskapital gestört wurde und eine innerpolitische Krise eintrat. Aber es ist kein Zufall, daß der Leipziger Parteitag sich mit fraktioneller Abstimmung geweigert hat, ein Referat und eine Aussprache über die Ruhrbesetzung anzuhören. Wir schätzen alle Genossin Zetkin außerordentlich, aber nur ein Referat von Genossin Zetkin, die Annahme eines Manifestes, das ist doch keine Behandlung der Ruhrfrage.

Es ist wichtig festzustellen, daß zu den Thesen des Leipziger Parteitages, die von der Exekutive in einer bestimmten Form desavouiert wurden, der Vertreter der Exekutive mehrmals erklärte, ich habe diese Thesen der Mehrheit mit dem Bleistift in der Hand durchgelesen und keine Spur irgendwelcher falschen Formulierungen gesehen. Das gehört in die Linie der gemeinsamen Plattform, die er heute mit Brandler bezogen hat.

Genossen, dieser Leipziger Parteitag ist hart an der Grenze der Spaltung gewesen, und es hat keinen Zweck, darüber den Schleier zu breiten. Der Fraktionskampf, der Haß zwischen beiden Gruppen war so schlimm, daß es eigentlich nur dem Eingreifen des Vertreters des E.K. in der letzten Minute gelungen ist, diese Spaltung zu verhindern. Der Leipziger Parteitag war von uns fast nicht vorbereitet und traf uns in der Lage derjenigen, die eigentlich gar nicht das Anrecht haben, gegenüber den alten Parteiführern aufzutreten. Trotzdem haben wir eine ganz erträgliche Anzahl von Stimmen der Arbeiter aus den wichtigsten Industriebezirken gesammelt, obgleich die Situation bei weitem nicht klar und kraß gewesen ist.

Jede einzelne Aktion, die die Partei vom Leipziger Parteitag bis zum Oktober geführt hat, zeigt das doppelte Gesicht. Das Aufsteigen der revolutionären Welle, den Vorstoß der Arbeiter, die Stimmung der Arbeiter einerseits und die Zentrale der K.P.D. andererseits, der die Wirklichkeit nicht in ihre Theorie des Abflauens paßte. Jede einzelne Aktion hat das gezeigt. Wir haben versucht, in jeder einzelnen unseren anderen Standpunkt zu entwickeln, ganz klar vom Februar bis zum Oktober die Frage zu stellen: der Ruhrkämpf leitet eine neue Periode ein, die Frage der Macht steht auf der Tagesordnung. Auf dem Bezirkstag Wasserkante hat Brandler uns wieder Idioten, genannt, weil wir nicht begriffen, daß die nächste Etappe in Deutschland eine linkssozialdemokratisch-gewerkschaftliche Arbeiterregierung sei und es noch nicht Zeit wäre, die Machtfrage zu stellen: er meinte, man müßte dies vermeiden.

Die Exekutive der Komintern erkannte, daß historisch die Möglichkeit der Machtergreifung auf der Tagesordnung steht, daß es sich von seiten der Bourgeoisie um einen entscheidenden Vorstoß gegen die Arbeiterklasse und nicht gegen die "Novemberrepublik" handelt.

Der Widerspruch in bezug darauf, daß die Exekutive der Komintern die Einheitsfronttaktik als etwas anderes aufgefaßt habe wie die K.P.D., als eine Methode der Erfassung der Massen für den Kommunismus, zu dem, was wir in Deutschland erlebt haben, das führte dazu, daß wir uns nachher die Vorwürfe über den Zusammenbruch machen mußten.

Als die Vertreter der Partei von Moskau zurückkehrten, sprach einer von ihnen in Berlin und erzählte: in drei Tagen haben wir die Macht in Sachsen, und dann marschieren wir nach Berlin.

Genossen, diese charakteristische Umsetzung von Beschlüssen der Komintern in die Praxis zeigte sofort, daß die Partei nicht die Kraft hatte, als revolutionäre Partei zu kämpfen, geschweige denn um die Macht zu kämpfen. Die charakteristischen Merkmale der Politik der K.P.D. sollen nach Brandler darin bestehen, daß man die Kräfteverhältnisse im Oktober überschätzt hatte. Je mehr das Reich zerfiel, die Inflationskrise sich zu einer Wirtschaftszerrüttung auswuchs, desto mehr wurde erklärt, die Kräfteverhältnisse sind gegen uns, nachdem im August ein Gequatsch vom Bürgerkrieg gemacht worden war. Als man jedoch kämpfen mußte, da fand die Zentrale plötzlich, daß alles, was an Kräften vorhanden war, nicht zum Kämpfen ausreichte.

Das ist typisch opportunistisch: Immer, wenn es zum Losschlagen kommen soll, dann reichen die Kräfte nicht dazu aus. Wenn dann die Gelegenheit vorbei ist, dann wird in drei Monaten die Revolution versprochen. Das ist typisch deutsche Gewerkschaftstaktik.

Genossen! Die letzte Oktoberniederlage hat in zwei Punkten kulminiert ‑ in Hamburg und in Sachsen. Der Gegensatz zwischen der Chemnitzer Konferenz und dem Kampfe der Hamburger Arbeiter ist so groß, daß man in der Partei nicht so ohne weiteres über ihn hinweggehen kann. Über Sachsen hat man systematisch und mit Absicht der Partei und der Internationale die Sachlage falsch dargestellt. Genossen, ich sage, wer Brandler so einschätzt, daß er nicht wußte, daß in Sachsen keine Waffen zu holen sind, der kennt ihn nicht. Er hat seine dortige Tätigkeit mit Bewußtsein so getan, damit die wahre Einheitsfronttaktik, wie er sie erträumt, vom ersten bis zum letzten durchgeführt wird.

Ich möchte das Beispiel der Chemnitzer Konferenz erläutern. Wenn ein verantwortlicher Politiker sieht, daß die Partei unmittelbar vor einem bewaffneten Kampfe steht, dann muß er versuchen, die Masse ideologisch darauf einzustellen. Man kann die Partei nicht in einen bewaffneten Kampf führen, wenn man die Massen nicht ideologisch darauf einstellt.

In Chemnitz beabsichtigte man aber wirtschaftliche Betriebsfragen zu erörtern und nicht die Massen zum Kampfe zu mobilisieren und aufzurufen. Wenn dann Graupe im Moment des Bürgerkrieges erklärte, jetzt kann man die Massen nicht zum Kampfe aufrufen, erst später, dann ist das dieselbe Methode, die Brandler anwendete. Im entscheidenden Moment haben sie versagt, weil sie die Theorie von dem verfassungsmäßigen Übergang aus der Arbeiterregierung in das Himmelreich des Sozialismus haben.

Der Hamburger Kampf ist ein Beweis dafür, daß die Partei auch als Minderheit die Massen zum Kampfe hinreißen kann, daß es nicht darauf ankommt, daß man sich auf den Boden der Sozialdemokratie stellt, um ein genügendes Kräfteverhältnis zu schaffen. Wie der Hamburger Kampf sich in Berlin auf die Arbeiterschaft auswirkte, kann ich euch kaum beschreiben. Als in Berlin die Nachricht eintraf, daß die Hamburger Arbeiter mit der Waffe in der Hand kämpfen, das wirkte auf die Berliner Arbeiter, aber auf die sächsische Frage haben die Berliner Arbeiter nicht reagiert. Das zeigt uns, daß wir die Arbeiterschaft zum Kampfe bekommen und mobilisieren werden können, wenn wir als Kommunistische Partei den Mut haben werden, in die Kämpfe hineinzugehen, auch ohne die Sozialdemokratie. Diese Lehre des Hamburger Kampfes führt auf das eigentliche Problem der deutschen Revolution zurück, nämlich, daß wir die Massen für uns gewinnen müssen.

Hier gibt es zwei Antworten darauf:

Gewinnen wir die Massen dadurch, daß wir uns möglichst in einen sozialdemokratischen Mantel hüllen, möglichst verfassungsmäßig erscheinen wollen? Oder, daß wir als Kommunistische Partei unser klares kommunistisches Gesicht zeigen und eine klare kommunistische Praxis und Theorie haben?

Genossen, ich sage: nur, wenn wir uns überlegen, daß wir den sozialdemokratischen Arbeitern erleichtert haben, daß sie bei der Sozialdemokratie bleiben konnten, kann man die noch vorhandene Stärke der V.S.P.D. begreifen. Die linken sozialdemokratischen Arbeiter, die anfingen zu begreifen, daß die Sozialdemokratie eine schlechte Partei ist, haben wir durch unsere Einheitsfronttaktik wieder an ihre Partei gebunden.

Ich bin der Meinung, daß die Arbeiter allmählich zum Kommunismus getrieben werden durch das zielbewußte, klare Auftreten unserer Partei und die Stärke der Internationale. Wenn man aber den sozialdemokratischen linken Arbeitern den Ausweg der Einheitsfront gibt, dann werden auch die unzufriedenen sozialdemokratischen Arbeiter bei der V.S.P.D. bleiben. Wenn hier die Rede von der Spaltung der sozialdemokratischen Partei war, so ist das nicht richtig. Die S.P.D. wird sich nicht spalten. Sie ist in ihrem Zersetzungsprozeß unterbrochen worden durch die Taktik der Partei und durch den Oktoberzusammenbruch. Ich kann zahlenmäßig anführen, daß die sozialdemokratischen Linken nicht die Mehrheit haben. Wenn sie sich eben abspalten, dann auf Vereinbarung mit den rechten Kommunisten, und dann werden sie versuchen, eine neue, zentristische Partei zu bilden. Genossen, ich habe an euch Briefe verteilen lassen, in denen dieselben Auffassungen aus Arbeiterkreisen vertreten werden.

Ich möchte den Genossen von der Rechten sagen: Seht auch einmal ernsthaft die Stimmung der Leipziger Genossen an, seht euch einmal an, wieviel Vertrauen sie noch zu Böttcher, zu Brandler haben. Ihr spielt mit den Stimmungen dieser Arbeiter. Und es hat sicherlich nur die Existenz der Kommunistischen Internationale verhindert, daß nicht schon sehr große Teile zur K.A.P. gegangen sind infolge des Verhaltens der Partei im Oktober. Und wenn ihr so weiter macht, dann werdet ihr gute Arbeiter anekeln und hinauswerfen. Nicht Ruth Fischer, die ist zu klug, um an Disziplinbruch gehangen zu werden.

Genossen, daß der Zusammenbruch kam, ist also für uns unerklärbar aus technischen Dingen, aus irgendwelchen kleinen Fehlern. Und wir werden von dieser Plattform nicht abgehen und sie durchkämpfen, weil das das einzige Mittel ist, um die Partei, die aus guten Arbeitern besteht, zu retten von dieser opportunistischen Auffassung. Der Vertreter des E.K.K.I. hat in Deutschland eine Taktik verfolgt, die ja für seine Zwecke sehr gut war, aber auch eine politische Maskerade war. Denn wenn er sich jetzt hinstellt und erklärt, er hat seine Auffassungen seit Oktober völlig geändert, man muß nicht immer A sagen, man kann auch B sagen ‑, wir haben von ihm einen Artikel gelesen, vor dem Oktober, da erzählte er, daß der Faschismus erst siegen muß in Deutschland, bevor die Arbeiter kämpfen werden. Er hat genau wie Brandler die feurige Perspektive, die mitten in der Niederlage erklärt: Wir brauchen jetzt nicht zu kämpfen, es ist leichtfertig und unverantwortlich, jetzt die Frage des Kampfes zu stellen, denn jeden Tag wird die Situation für uns besser. Diese Perspektive haben die Genossen den Mut gehabt, nach Chemnitz und Hamburg auszusprechen. Daß die Zeit jeden Tag besser wird, wurde von Brandler als verantwortlichen Menschen ausgesprochen; er fügte hinzu, daß wir vielleicht noch vier Wochen brauchen, um den Machtkampf durchzuführen, worauf Empörung in der Zentrale ausbrach: das muß in 10 Tagen, geschehen, woraufhin Brandler dann vier Wochen als Mindestmaß hinstellte. Ich möchte als Merkmal für alle diese Anschuldigungen folgendes zusammenfassen: Wenn eine Aktion möglich war ‑ als z. B. am Antifaschistentag von uns die Forderung gestellt wurde, wir wollen demonstrieren ‑, dann hat man sie nicht gemacht, dann hat Brandler, um die Demonstration unmöglich zu machen, die Frage so gestellt: Wenn man demonstriert, dann bricht die Welt vor lauter bewaffneten Zusammenstößen zusammen. Und um das und den Bürgerkrieg und das Verbot der Partei zu vermeiden, hat er die Demonstration verboten. Es ist auch eine typische Methode, sich zu überbrüllen, um die Sache selbst unmöglich zu machen.

Also am Antifaschistentag dürften wir nicht demonstrieren, trotzdem ganz Berlin darauf gespannt war und wir es vorbereitet hatten. Wir haben in den Versammlungen nach niedriger Schätzung 250.000 Arbeiter gesammelt. So war die Stimmung der Massen. Und damals durften wir nicht demonstrieren, weil Brandler von mir die Garantie verlangte, daß es zu keinen bewaffneten Zusammenstößen kommt. Und als ich das nicht garantieren konnte und wollte, wurde die Demonstration verboten. Aber im Oktober, als die Partei in ihrer schwersten Krise war, als unsere Arbeiter mit Mühe davon abgehalten wurden, aus der Partei auszutreten, da verlangte der Vertreter des E.K. von uns eine bewaffnete Demonstration, nur sozusagen aus rein politischen Gründen. Diese Demonstration haben wir durchgeführt und bewaffnet geschützt und haben das durchgeführt, was uns die Exekutive angegeben hat, weil wir immer das durchführen werden. Ich komme jetzt zu dem Zustand unserer Partei und zu dem, was geschehen muß. Viele Genossen meinen, es sei eine Beleidigung der Kommunistischen Partei, wenn man sagt, daß die Partei nicht gut ist. Genossen, es ist doch eine Tatsache, daß man unter der Partei nicht die Führung versteht. Diese Illusion ist in Deutschland zusammengebrochen.

Innerhalb der Mitgliedschaft unserer Partei selbst ist ein großer tiefgehender Prozeß im Gange. Es sind in der Partei Neigungen vorhanden, zur Sozialdemokratie überzugehen. Es ist leichtfertig, wenn man diese Stimmung nicht sehen will.

Diese Krise, die in der Partei herrscht, ist nicht mehr durch eine Kompromißlösung zu heilen, nicht mehr dadurch, daß man bedingungslos alle Dummheiten schluckt. Diese Krise ist nur zu lösen, indem man ganz kraß erklärt: In der Partei ist ein Revisionismus vorhanden. Wenn man dies ausspricht, dann kann man die Partei gesund machen. Wenn wir das nicht tun, dann wird die Zentrale der Partei sich mit den Sozialdemokraten koalieren, dann wird der nächste Parteitag ein Spaltungsparteitag sein.

Unsere nächsten Aufgaben sind deshalb die Durcharbeitung und Umgruppierung der Partei. Ohne eine solche Umgruppierung ist die Partei nicht kampffähig.

Ich möchte noch zu dem etwas sagen, was der Vertreter der Exekutive über den Faschismus sägte: Die Faschisten haben die Novemberrepublik besiegt. Genossen, was soll das heißen, der Sieg des Faschismus über die Novemberrepublik? Es war ein demagogischer Ausdruck, um die Arbeiter über ihre Niederlage hinwegzutäuschen. Das war der erste Zweck. Diese Thesen haben natürlich unseren Leuten die Arbeit erschwert.

Ich muß feststellen: 1. die Täuschung der Partei über die Niederlage, 2. Begründung auf Grund demokratischer Illusionen. Man kann diese Politik nur begründen, wenn man Unterschiede zwischen faschistischer, industrieller und sozialdemokratischer Regierung macht, wenn man der Theorie anhängt, daß die demokratische Republik ein klassenloses Gebilde ist.

Ich möchte den Genossen aus der Internationale empfehlen, das letzte Heft der deutschen Internationale[8] zu lesen. Ich habe mir zehn Zitate aus dem Artikel Brandlers angestrichen. Da ist der revisionistische Sinn der Thesen über den Sieg der Faschisten über die Novemberrepublik ausgedrückt. Genossen, der dort entwickelte Standpunkt gilt als die theoretische Erklärung der Politik unserer Partei im Oktober; das sind die Folgerungen aus der Analyse Radeks.

Was die Perspektive der künftigen Kämpfe in Deutschland betrifft, will ich sagen: wenn ich mich dagegen gewandt habe, daß man eine Drei-Monats-Perspektive macht, so deswegen, weil die Partei heute gar nicht in der Lage ist, große entscheidende Kämpfe zu führen, bevor sie innerlich konsolidiert ist. Wir werden Kämpfe haben, aber die werden einen anderen Charakter haben als die vor dem Oktober. Das Entscheidende an diesen letzteren war, daß sie von Kämpfen um Wirtschaftsfragen begannen, aber sofort politischen Charakter, Machtcharakter annahmen. Im Cuno-Streik sagten wir zu Schlecht (einem unserer Betriebsführer): du mußt jetzt den Leuten noch sagen: wir sind für Wirtschaftsbeihilfe. Er sagte, aber die Leute brüllen: Wir wollen keine Wirtschaftsbeihilfe, wir wollen die Regierung stürzen. Dieser Ruf der Massen ist symbolisch für den Umschwung der Massenbewegung gewesen. Jetzt werden wir auch Kämpfe haben, Genossen, aber sie werden Verteidigungskämpfe der wirtschaftlichen Interessen, der wirtschaftlichen Forderungen sein. Wir werden jetzt in den Mittelpunkt den Achtstundentag stellen müssen, der jetzt kaputt ist, jeden Pfennig Lohn. Wir werden darauf achten müssen, daß die Kluft zwischen den Erwerbslosen und den in den Betrieben Arbeitenden nicht zu groß wird. Wir werden kämpfen müssen, daß die Betriebsräte ‑ nicht, daß sie Sowjets werden ‑, sondern daß sie nicht aus den Betrieben hinausfliegen, weil der Unternehmer beginnt, sie zu liquidieren.

Das ist der andere Charakter der kommenden Kämpfe. Diese Kämpfe können und werden zu einer größeren Verbindung der Partei mit den Massen führen, obgleich wir hier wieder auf alte Punkte zurückführen müssen. Wir haben Terrain gewonnen und dank der Formlosigkeit unserer Politik wieder verloren. Jetzt wird es sich darum handeln, wieder Terrain unter den Massen zu gewinnen, aber nicht durch eine Politik unter den Sozialdemokraten, die uns zerreißt, sondern die festbleibt und die Massen vom sozialdemokratischen Boden zu uns herüberzieht. Dann werden die Kämpfe vielleicht früher als wir denken in Machtkämpfe umschlagen. Aber ohne andere politische Linien werden wir auch diese Kämpfe nur mit Scheinerfolg führen und, ohne die Möglichkeit, eine wirklich revolutionäre Partei zu werden. Wir verlangen von der Kommunistischen Internationale eine klare Entscheidung, einen Parteitag, auf dem die Frage gestellt wird, wie die Partei geführt werden soll, welche Politik sie haben soll, und wir werden uns wehren gegen die Redensarten mancher Genossen: Laßt das Vergangene ruhen, die Zukunft liegt froh und glorreich vor uns. Das Vergangene ist nicht vergangen.

V.
Rede des Genossen Sinowjew

In der Sitzung des Präsidiums des E.K.K.I., am 12. 1., fand eine Diskussion statt, in der nach ein paar kürzeren Äußerungen anderer Genossen Sinowjew folgende Rede hielt:

Genossen, zunächst müssen wir uns vergegenwärtigen, in welcher Lage wir überhaupt diese Diskussion angefangen haben.

Wir sind darin einig, daß wir eine schwere Niederlage erlitten haben, eine schwere Schlappe; ich glaube, es ist übertrieben, zu sagen, einen Zusammenbruch, aber doch eine ernste Niederlage. Und das ist nach unserer Erfahrung der wichtigste Prüfstein für jede revolutionäre Partei und für jede Richtung in der Partei. Gerade während der Niederlage haben wir dieses Examen zu bestehen. Wenn wir in Stimmungen verfallen, die alles schwarz färben, so können diese die Partei am Ende wirklich zugrunde bringen. Jetzt während der Niederlage muß jeder der deutschen Genossen beweisen, was er leistet. Ja, wenn man gesiegt hat, ist es leicht. Es handelt sich aber darum, jetzt, wo wir in einer schwierigen Lage sind, der Partei Treue zu bezeugen.

Bevor ich materiell auf die Dinge eingehe, einige Worte. Es ist hier gesagt worden, eine Spaltung der deutschen Kommunistischen Partei bedeutet den Untergang der deutschen Revolution oder wenigstens, bedeutet, daß wir für 5 Jahre die Revolution verschieben. Das ist absolut richtig. Darum, glaube ich, müssen wir in die materielle Diskussion mit einer Stimmung eintreten, daß, mag es sein, wer es will, wer aus Fraktionsgeist, ‑ aus Überzeugung selbstverständlich ‑ die Einigkeit gerade in diesem Stadium beeinträchtigt, ein Verbrecher an der deutschen Arbeiterklasse ist. Es gibt Lagen, in denen man eine Spaltung vornehmen muß. Und das haben wir gemacht. Aber es gibt auch solche Lagen, wo man alles schlucken muß und keine Spaltung zulassen darf. Nun, ich behaupte, jetzt haben wir in Deutschland eben diese zweite Lage. Mag sein, wer das will, wer jetzt in diesem Momente zu einer Spaltung, hintreiben will, ‑ wenn auch aus Überzeugung ‑ er ist dennoch objektiv derjenige, der den Sozialdemokraten und der Bourgeoisie und nicht der deutschen Arbeiterklasse hilft.

Nun materiell zur Diskussion.

Zunächst einige Dokumente. Man versucht, hier zu sagen: ja, nicht im Oktober ist der Fehler gemacht worden, wir haben nicht im Oktober unterschätzt, sondern schon früher, im Anfang der Ruhrkrise, daher diese ganze Lage.

Selbstverständlich, wenn wir beim Eintritt der Ruhrkrise angefangen hätten, uns vorzubereiten, so wären wir eben besser vorbereitet gewesen, wenn noch früher, so noch besser. Das ist doch eine Kette, die man weiter ziehen kann. Das ist Sophismus, um den richtigen Fehler dort zu verdecken, wo man ihn gemacht hat. Und wir müssen ehrlich sein gegen uns, dann werden wir den Fehler finden.

Das Bild, das Genosse König hier von dem Vorfall zwischen den deutschen Frauen und den französischen Soldaten malte, war interessant. Wirklich war die Ruhrlage der Ausgangspunkt für die ganze Sache.

Ich habe hier die Instruktionen der Exekutive für die kommunistischen Delegierten auf der Frankfurter Konferenz vom 17. März 1923. Lesen Sie diese Instruktionen. Was sagten wir?

Die Konferenz von Essen war in erster Linie eine Demonstrationskonferenz. Die Konferenz vom 17. März muß eine Arbeitskonferenz werden.

Bei den Verhältnissen, unter denen die Essener Konferenz stattgefunden hat, war schon eine bloße Demonstration ein großes politisches Ereignis. Die mehr oder weniger gelungene Koordination der Tätigkeit der französischen und der deutschen Kommunistischen Partei im Zusammenhang mit der Ruhrokkupation soll nicht unterschätzt werden. Jetzt aber Essen einfach zu wiederholen, wäre ein großer Schritt nach rückwärts. Die Konferenz vom 17. März und die Vorkonferenz (besonders die Vorkonferenz) haben zweierlei Aufgaben zu erfüllen:

a) Ein wirkliches, gemeinsames, klares, festes, konzentriertes Agitationsprogramm für die wichtigsten in Frage kommenden Sektionen auszuarbeiten.

b) Eine Anzahl von Maßnahmen organisatorischer und teilweise konspirativer Natur auszuarbeiten und sie auch wirklich durchzuführen.

Weiter ein ganzes Kapitel über die Aufgaben der französischen Partei.

Also die Exekutive hat die Aufgaben gesehen, hat sie der Konferenz gezeigt. Daß das sehr schwach ausgeführt worden ist, obwohl die Jugend in Frankreich jetzt sehr gut gearbeitet hat, ‑ wenn sie wollen, kann man das feststellen. Wir haben das schon genügend getan. Aber man soll das nicht zu einer Sophistik machen: weil wir damals nicht die Frage des bewaffneten Aufstandes gestellt haben, so seien wir damals im Unrecht gewesen.

Nein, der Fehler im Oktober lag bei der deutschen Partei und teilweise bei der Exekutive.

In der Frage der Terminsetzung schrieb Trotzki einen Artikel, in dem er die Frage eines Kalendariums aufstellte.

Das war ein Fehler. Radek, ich muß gestehen, war dagegen.

(Brandler: Ich auch.)

Brandler auch. Wir haben beschlossen, daß der Termin nur zur Orientierung sein und in Deutschland selbst bestimmt werden soll. Also in der Frage des Termins war kein Fehler auf Seiten der Exekutive, kein Fehler bei der russischen Partei. Wir haben so bestimmt, wie es richtig war.

Ein weiteres Dokument: unser Telegramm vom 1. Oktober 1923 über Sachsen:

Da wir die Lage so einschätzen, daß der entscheidende Moment nicht später als in vier - fünf - sechs Wochen kommt, so halten wir es für notwendige jede Position, die unmittelbar nutzen kann, sofort zu besetzen. Auf Grund der Lage muß man die Frage unseres Eintretens in die sächsische Regierung praktisch stellen. Unter der Bedingung, daß die Zeigner-Leute bereit sind, Sachsen wirklich gegen Bayern und die Faschisten zu verteidigen, müssen wir eintreten. Sofort Bewaffnung von 50‑60.000 wirklich durchführen, den General Müller ignorieren. Dasselbe in Thüringen.

Das ist ein Telegramm, das wir in Anwesenheit Brandlers beschlossen haben. War das richtig oder unrichtig? Das war absolut richtig. Wenn wirklich die Zeigner-Leute gegen die Faschisten kämpfen und 50‑60.000 Arbeiter bewaffnen wollten.

(Warski: ein großer Fehler, nicht im Bilde.)

Der Vertreter der deutschen Partei hat uns diese Ziffer angegeben: 50‑60000.

(Pieck: Diese Bedingung hat die Partei nie kennengelernt.)

Dieses Telegramm ist beschlossen worden in Anwesenheit dreier deutscher und dreier russischer Genossen.

Also wie haben wir uns die Sache vorgestellt? Als eine Episode im Bürgerkrieg. Und wir haben ihnen das im Text mitgeteilt.

Drittens will ich noch zitieren zur Frage unseres Verhaltens zur linken Sozialdemokratie, zur Sozialdemokratie überhaupt. Wir haben hier in Anwesenheit der deutschen Vertreter beschlossen: Der Hauptfeind ist die linke Sozialdemokratie; wir müssen verstehen, daß wir den Kampf führen müssen nicht nur ohne, sondern gegen die linken Sozialdemokraten.

Diese Dokumente genügen, um sich ein bißchen ins Gedächtnis zurückzurufen, was die Exekutive hier beschlossen hat.

Diese Dokumente sollt ihr euch in die Erinnerung zurückrufen, dann werdet ihr schon ein bißchen verstehen, wie die Exekutive eingestellt war, und daß die Genossen dem zugestimmt haben.

(Brandler: Dem Telegramm habe ich nicht zugestimmt.)

Genossen, ich muß zugeben, für den Eintritt in die sächsische Regierung trage ich und die anderen Genossen am meisten die Verantwortung. Brandler war hierin schwankender. Er sagte: ich weiß nicht, ob das vorbereitet ist, aber er hat nachgegeben. Ich will die Verantwortung nicht von mir abwälzen, ich trage sie, so wie wir die allgemeine Auffassung gesehen haben, die wir doch mit euch nach Verhandlungen auch mit der französischen, der polnischen, der tschechoslowakischen Partei beschlossen haben. Wir sagten, wenn es sich wirklich um eine Frage von Wochen handelt, müssen wir das im Fall des Bürgerkrieges ausnutzen. Also so war die allgemeine Einstellung.

Jetzt, Genossen, wie war die Ausführung? Das ist doch die wichtigste Sache. Zunächst in Sachsen. Genosse Remmele sagte gestern: ja, was die Minister versäumt haben, ist das wirklich so wichtig, jetzt ihnen das entgegenzuhalten? Ist das nicht ein gewisser Opportunismus? Was kann man von den Ministern erwarten?

Was ist in diesen Worten Richtiges? Gewiß, ist das Wichtigste, was die Massen machen. Aber für uns ist das ein Symptom der faulen Einstellung der Partei. Die Hauptfrage ist selbstverständlich, warum der Bürgerkrieg nicht gekommen ist, die Masse nicht mobilisiert werden konnte. Aber sie müssen verstehen, warum wir soviel Gewicht auf das Auftreten der kommunistischen Minister legen; weil das ein Symptom der unrichtigen Einstellung unserer Partei ist. Wer waren die Minister? Die besten Genossen, die führenden, Brandler, Heckert, Böttcher. Für uns ist ihr Auftreten eine Erscheinung der Fäulnis.

(Thälmann: Sehr richtig.)

Vergleichen sie die Gedanken unseres Telegramms mit dem Stil des Auftretens dieser Minister. Das sind die Erscheinungen zweier Einstellungen. Gewiß, das Wichtigste ist, warum die Masse nicht auftrat, aber das Verhalten der Minister signalisiert etwas, signalisiert eine unrichtige Einstellung.

Genossin Fischer hat gestern sicher sehr übertrieben, als sie sagte, bei Brandler war das ein bewußtes unrichtiges Spiel. Das ist eben der große Mangel der sonst sehr guten Rede der Genossin Fischer, die Übertreibungen. Dadurch wird vieles zur Karikatur. Das ist überhaupt der Hauptfehler unserer Linken, was wir schon manchmal unserer bolschewistischen Linken gesagt haben. Es ist unmöglich, daß Brandler die Sache so bewußt gemacht hat.

(Walcher: Das war das einzige Argument.)

Aber sie gab sonst viele gute Argumente, denen man zustimmen muß. Warum wir das Auftreten der kommunistischen Minister so beachten, entspringt daraus weil es eine Erscheinung der unrichtigen Politik war; das durch ist die Sache zu einem banalen Kuddelmuddel mit der Sozialdemokratie geworden.

Schön, man hat unrichtig eingeschätzt, man konnte nicht 60.000 bewaffnen, sogar nicht 60; es hat sich herausgestellt, daß man die Lage überschätzt hat. Aber warum mußten wir dort als Sozialdemokraten auftreten? Warum mußten wir mit dem Gerede über den verfassungsmäßigen Boden kommen, auf dem wir stehen? Warum damit kommen, daß wir nur dem Landtag gegenüber verantwortlich sind? Das ist eine altmodische, im besten Falle eine Bebelsche Stellungnahme aus den neunziger Jahren. In seinen besten Zeiten hat Bebel das gesagt. Damals war das richtig. Jetzt mußte man appellieren an die direkten revolutionären Kräfte der Arbeiterschaft, mußte sagen, die linke Sozialdemokratie, das ist der Hauptfeind, die Linke geht mit den Rechten, die Rechten mit Seeckt, Seeckt mit Ludendorff, ‑ aber nicht sagen: wir stehen auf dem Boden der Verfassung.

Darum war die Ausführung unerhört schlecht und signalisiert größere Gefahren in unserer Partei, als jemand von uns das vermutet hat. Darum haben wir den Brief an die deutsche Zentrale mit der Kritik einstimmig beschlossen. Das soll man auch nicht vergessen. Ich liebe nicht, die Verantwortung auf andere Genossen abzuschieben; ich habe den Brief geschrieben, aber es war keineswegs ein persönlicher Brief von mir, wie man das in Deutschland dargestellt hat: ja, das ist einer der berühmten Briefe. Es war eine Kommission eingesetzt worden, an der Genosse Kolarow und auch Genossin Zetkin teilgenommen hat, die manche Änderungen beantragt hat, die ich fast alle angenommen habe.

(Zetkin: Bitte, ich bemerke, der Brief wurde geschrieben, ehe wir ausführliche Berichte hatten, ‑ als wir nichts hatten.)

Gewiß waren wir noch nicht so informiert wie jetzt. Ich bin bereit, zu sagen, ich sehe jetzt in Details auch anders als früher, aber in der Hauptsache hatten wir recht. Dann sollen wir zur 2. Internationale gehen, wenn wir die Sache in Deutschland, in Sachsen verteidigen. Man braucht nicht eine kautschukartige Formel, sondern man muß aussprechen, was ist. Und nebenbei hat man schon viel ausgesprochen in den Thesen der gegenwärtigen Mehrheit der Zentrale.

Das Verhalten zur Sozialdemokratie überhaupt. Es wurde hier beschlossen, daß der Hauptfeind die linke Sozialdemokratie ist, daß wir kämpfen müssen trotz und ohne und gegen die Sozialdemokratie. Ich muß gestehen, ich habe das in einem Artikel geschrieben, als in Berlin Mitte Oktober ein Teil unserer Genossen eine Woche mit diesen Schuften zusammengesessen und ein Programm ausgearbeitet hat und man am anderen Tage sagte: verschieben auf zwei Tage, wir werden mit einem neuen Programm kommen.

(Pieck: Walcher hat der Berliner Bezirksleitung geholfen, daß sie aus dem Dreck herauskam.)

Schön, die Berliner tragen auch dafür die Verantwortung.

(Walcher: Nein, ausschließlich.) (Hesse: Übernehmen wir.)

Aber so kann man die Sozialdemokratie bei der gegebenen Lage nicht behandeln.

Nun, Genossen, die Frage der Einheitsfront. Generell gesprochen: hatten wir in diesem Moment in der Kommunistischen Internationale Meinungsverschiedenheiten in dieser Frage? Ja, Schattierungen hatten wir, Nuancen: Wir haben sie nicht durchgekämpft. Jetzt müssen sie durchgekämpft werden bis zum Ende.

Worin bestand mein Fehler, als ich in der Erweiterten Exekutive auftrat und sagte, die Arbeiterregierung ist ein Pseudonym der Diktatur des Proletariats? Man hat mich angegriffen, ein Vertreter der Mehrheit hat es getan. Man sagte: Ihr schadet uns in der Agitation, man kann nicht mit dieser Bezeichnung kommen. Ich habe nachgegeben, weil ich mir sagte, in der praktischen Agitation soll man wirklich nicht alles ausplaudern. Aber es ist jetzt klar, es waren nicht Rücksichten der praktischen Agitation, sondern prinzipielle Fehler. Aber absolut ist die Arbeiterregierung nichts anderes als ein Pseudonym der proletarischen Diktatur, oder sie ist sozialdemokratische Opposition.

Radek wird bestätigen, daß ich sofort nach Leipzig sagte: hier liegt entweder eine große stilistische Entgleisung oder eine große politische Entgleisung vor. Bald, ich glaube, eine Woche danach, fand der tschechoslowakische Parteitag statt: Dieselben Formulierungen der Demokratie; es war schon klar, daß Brandler sich mit denen vereinigt hat.

Mein Fehler besteht darin, daß ich die Sache nicht ausgekämpft habe. Man sagte sich: abwarten, ist noch neu, kann vielleicht auf friedlichem Wege ausgekämpft werden.

Also der Schrei über das "Pseudonym", die Leipziger Beschlüsse, dann die Beschlüsse in der Tschechoslowakei, das waren opportunistische Entgleisungen. Das muß man offen sehen und gutmachen. Anders werden wir die Partei verderben.

Was ist die Einheitsfront? In den Thesen, die das Politbüro unserer russischen Partei beantragt, sagen wir: Die Einheitsfront ist eine Methode der Revolution, nicht der Evolution, eine Methode der Agitation, und Mobilisierung der Massen in der gegebenen Epoche gegen die Sozialdemokratie, nicht mehr. Wer da glaubt, sie ist etwas mehr, der gibt sofort schon einen Finger dem Teufel. Sie ist nichts mehr und hat nicht mehr zu sein. Wer aber anders glaubt, der macht sofort der Konterrevolutionären Sozialdemokratie eine Konzession. Das muß jetzt bis zu Ende ausgekämpft werden.

Nun, Genossen, jetzt müssen wir die Frage auskämpfen, nicht national, sondern international. Ich stehe vollkommen auf dem Boden des 4. Kongresses, vollkommen. Was sagte er? Nicht jede Arbeiterregierung ist eine proletarische Regierung[9]. Sehen Sie die Lage, wie sie jetzt ist. In ein paar Tagen werden wir in England eine Regierung Macdonald haben. Das ist eine Arbeiterregierung.

(Zwischenrufe: Nein!)

Doch, oder Sie sind gegen die Beschlüsse des 4. Kongresses. Wir haben auf dem 4. Kongreß sogar den Fall Australien zitiert. Vergleichen Sie Sachsen und Macdonald. Sachsen ist eine Kleinigkeit dagegen, aber am Vorabend der proletarischen Revolution in Deutschland ist das eine große Episode. Vergleichen Sie beides. Was zeigt sich? Entweder ist die Arbeiterregierung ein Pseudonym der proletarischen Diktatur, oder sie ist das, was die Macdonald-Regierung sein wird, die eine Scheidemann-Regierung in englischer Übersetzung sein wird. Es ist trotzdem ein großes historisches Ereignis. Der englische Arbeiter fühlt sich so, als ob er an die Macht geht, und dennoch wird das eine Scheidemann-Regierung in englischer Übersetzung sein. In Sachsen, was war da? Es war, objektiv gesprochen, ein Versuch der Kommunisten, zusammen mit den Sozialdemokraten zu marschieren, und objektiv ist das zu einem banalen Kuddelmuddel geworden.

Gestern hat Genossin Fischer vollkommen mit Recht daran erinnert, wie während des 4. Kongresses die Mitteilung vom Eintritt von Kommunisten in die sächsische Regierung kam.

(Zwischenruf: Wurde abgelehnt.)

Schön, in Deutschland abgelehnt. Die autoritative Vertretung der Partei war in Moskau, etwa 20 Genossen, darunter Thalheimer, Meier usw. Sie waren für den Eintritt, das ist Tatsache. Wir haben einen Abend mit ihnen kämpfen müssen und haben in der russischen Parteileitung damals, Lenin und Trotzki und alle anderen, einstimmig beschlossen, wir können das nicht, das wird Opportunismus sein. Warum? Ich war und bin der Meinung; in dem Moment, wo wir in diese Regierung eintreten, verlieren wir nicht nur die praktische Möglichkeit, die Losung agitatorisch auszunutzen; wir nehmen das als Pseudonym der proletarischen Diktatur, aber in dem Moment, wo es zustande kommt, ist es ein Schlag sogar gegen die agitatorische Ausnutzung der Losung.

Das war auch bei der Einheitsfront so. Sie werden sich erinnern, als wir die Einheitsfront beschlossen haben, ‑ es kam die Idee der Exekutiven der drei Internationalen. Ich war der Meinung, daß wir das möglichst verschieben sollten, weil in dem Moment, wo wir zusammenkommen, das schon ein Schlag gegen die Einheitsfront ist. Nichts kommt heraus; entweder werden wir Konzessionen an die Sozialdemokratie machen, oder nichts wird herauskommen. Dann ist der Anziehungspunkt der Einheitsfront schon verloren. Denn sie ist nichts mehr als eine Agitationsmethode. Man muß verstehen, sie in den verschiedenen Stadien verschieden anzuwenden. Wer da etwas mehr erwartet, steht auf dem Boden der Sozialdemokratie. Genosse Brandler sagte gestern etwas für mich sehr Interessantes: Man muß zugeben, daß sich im Resultat der Anwendung der Einheitsfronttaktik bei der großen Masse die Psychologie herausgebildet hat, die sozusagen eine evolutionistische Theorie ist: Erst kommt die bürgerliche Koalition, dann die sozialdemokratische Regierung mit Unterstützung der Kommunisten, allmählich geht das dann weiter. Ist das wahr, daß sich eine solche Stimmung bei den Massen wirklich herausgebildet hat, dann ist das ein großes Argument gegen die Anwendung der Einheitsfronttaktik bei euch, Genossen.

(Hesse: Brandlers Artikel.)

Es handelt sich hier um etwas Wichtigeres als um den Artikel; nicht nur um die Schuld Brandlers oder der Zentrale; sondern um eine wichtige Tatsache, die wir zu prüfen verstehen müssen.

(Koenen: Solche Stimmung ist nicht da.) (Thälmann: Sie ist doch da, besonders in Sachsen.)

Brandler hat das als erster festgestellt. An seiner Äußerung ist darum besonders gelegen, weil er doch der Vater der Einheitsfronttaktik in Deutschland war, was nicht ein Vorwurf gegen ihn ist. Wir haben das alle zusammen gedacht. Wenn er jetzt sagt, objektiv, ist das so gekommen, daß die Masse das so verstanden hat, daß sich allmählich eine Regierung aus der anderen entwickelt, wenn das Tatsache ist, so müssen wir zwanzigmal überlegen, wo der Grundfehler war. Ich glaube, nicht bei der Einheitsfronttaktik als solcher, sondern wieder einmal bei der Durchführung. Und das soll man nicht übersehen. Also, man kann hier die Sache nicht so leicht nehmen. Das ist eine Tatsache, die mehr wiegt als alles andere:

So steht, Genossen, die Frage mit der Einheitsfront. Ich glaube, es besteht kein Anlaß, sie im Grund zu revidieren. Sie war richtig im Grund und wird richtig bleiben. Es ist dieselbe Sache wie mit dem revolutionären Parlamentarismus. Wir stehen mit beiden Füßen auf seinem Boden. Wie hat man ihn bekämpft! Man kommt und sagt, Bombacci ist ein Narr; in Deutschland ist die Parlamentsfraktion so schwach, in Frankreich auch. Das ist aber keine prinzipielle Stellungnahme. Man muß verstehen, für eine gute Ausführung der Idee zu kämpfen. Sie ist bestimmt dadurch, daß wir eine Minderheit in der Arbeiterklasse sind und die Sozialdemokratie noch in der Mehrheit ist, daß wir noch im allgemeinen in der Defensive und nicht in der Offensive sind. Der Kapitalismus ist in der Offensive. Sie ist also zeitlich bestimmt für einige Jahre durch die ganze Lage der kommunistischen Arbeiterbewegung. Aber um diese Idee zu schützen, muß man die schlechte Durchführung dieser Idee schonungslos bekämpfen. Denn, Genossen, der einfache Arbeiter wird sich wirklich die Sache so vorstellen: was ist das für eine Sache, in Frankreich ist sie schlecht gemacht worden, in der Tschechoslowakei, in Deutschland, wo die beste Partei ist, auch. Mancher Arbeiter wird sagen: was ist das für ein schönes Ding, die Einheitsfront, wenn sie in der Wirklichkeit gar nicht schön ist? Darum sagen wir, die Einheitsfront kann nicht eine schöne Idee ohne Fleisch und Blut sein.

Bei diesen Formulierungen, die sich jetzt gegenüberstehen, ist das wichtigste, die Sache jetzt ehrlich bis zu Ende durchzudenken. Ich für meine. Partei, die einstimmig im Politbüro beschlossen hat, stelle den Antrag: Die Einheitsfront ist nichts anderes als die Methode der Agitation und der Mobilisation der proletarischen Kräfte in dem Zeitabschnitt, in dem wir uns jetzt befinden. Alles andere ist sozialdemokratisch. Und, Genossen, da muß man Farbe bekennen. Es wäre ja nicht so schwer, so eine gummiartige Formel zu finden, da sind wir ja alle Meister drin; einerseits, nicht nur, sondern. Wir machen das nicht mit. Wenn wir eine Minderheit in der Exekutive sind, schön, wir werden allmählich kämpfen, um eine Mehrheit zu werden. Hoffentlich werden wir nicht eine Minderheit sein. Wir müssen die Sache kraß aussprechen. Eine Etappe der sogenannten Demokratie in Koalition mit den Sozialdemokraten, ‑ ausgeschlossen, wer das mitmachen will, der ist schon mit einem Fuß im Lager der Sozialdemokratie oder vielleicht schon mit beiden Füßen. Um so besser. Wer glaubt, es sei ein politisches Bündnis der Kommunisten mit den Sozialdemokraten möglich, der steht auf dem Standpunkt der Sozialdemokratie, der ist ein wirklicher Zentrist.

Also, Genossen, wir hatten ziemlich schlimme Erfahrungen, in Deutschland. Die einzige gute Sache wird sein, daß wir in dieser Sache jetzt Klarheit schaffen werden.

Nun, Genossen, komme ich ein bißchen zur Frage der Sozialdemokratie in Deutschland und im Zusammenhang damit zur Frage des Faschismus, wer gesiegt hat usw.

Gestern sagte Radek, und mit Recht sagte er das, die erste Frage, die sich ein Politiker stellt, ist: Wer herrscht in dem und dem Lande, wer herrscht in Deutschland? Aber man soll die Frage auch nicht zu einfach stellen. Er antwortet: Die Faschisten. Ich frage: Wer ist der Mitherrscher in Deutschland? Ich antworte: Die Sozialdemokratie.

(Brandler: Sehr richtig!)

Ach, das ist sehr richtig? Wir werden sofort die Konsequenzen ziehen.

Seit 1918 herrscht in Deutschland ein Block. Es ist nicht so einfach: es herrscht der Faschismus. Es herrscht ein Block. Die bürgerliche Revolution ist gegen den Willen der Sozialdemokratie gekommen. Die letztere war bis zum letzten Moment für die Monarchie. Die bürgerliehe Revolution in Deutschland hat stattgefunden trotz der Sozialdemokratie und gegen sie. Das kenne ich z. B. aus dem Buch von Scheidemann, in dem er sagt: "Als ich von der Revolution gehört habe, war ich naß, und mein Kragen war weich." Ich habe ihn für klüger gehalten, als daß er das ausplauderte. Die Sozialdemokratie war gegen die bürgerliche Revolution. Es kam die bürgerliche Revolution. Deutschland hat sich eine sozialistische Republik genannt. Jetzt wollen Sie das Wort Novemberrepublik einbürgern. Ich fragte schon die deutschen Genössen: Ist das Wort wirklich so verbreitet? Ich glaube, wir sind daran interessiert, die alte Terminologie des Marxismus hier anzuwenden. Wo wir sprechen über wissenschaftliche Definitionen, sollen wir die Terminologie des Marxismus nehmen.

Was hatten wir in Deutschland? Eine bürgerliche Demokratie. Sie unterscheidet sich sehr von der französischen, der amerikanischen, der schweizerischen, aber der Typus ist derselbe. Während fünf Jahren dieser bürgerlichen Demokratie hat die Sozialdemokratie alles getan, um allmählich die ganze Macht oder den größten Teil der Macht der Bourgeoisie zu übergeben. Es regierte in Deutschland ein Block. In diesem hat sich jetzt ein bißchen das Kräfteverhältnis geändert. Das ist eine Tatsache. Ein bißchen, Genossen. Ach, wie Sie so leicht vergessen. Sie sagen, jetzt ist es etwas ganz anderes, man verbietet die Kommunistische Partei, und Noske hat die Kommunistische Partei nicht verboten.

(Walcher: Das ist ja jetzt viel besser.)

Schön. Man muß unter die Lupe nehmen, wer der Mitherrscher in Deutschland ist. Die Sozialdemokratie. Ist Severing nicht Minister? Severing ist Mithelfer.

Was bedeutet das? Auch jetzt haben wir dort einen Block, Ebert ist Präsident, aber das ist nicht so wichtig. Wir wissen, daß Tausende und Zehntausende Sozialdemokraten ein Amt haben. Sie sitzen im Apparat, sie haben etwas zu verteidigen. Um ganz genau zu sprechen: es ist nicht so einfach, daß der Faschismus herrscht, sondern die Sozialdemokratie ist Mitherrscher. Es ist ein Block. Und darum fällt diese ganze Formel, daß der Faschismus die Novemberrepublik besiegt habe. Nichts ist daran richtig. Wenn man sie unter die Lupe nimmt, dann zerfließt sie. Erstens, ist Novemberrepublik richtig. Wenn Sie Marxist sind, müssen Sie sagen: bürgerliche Demokratie. Haben wir jetzt ein prinzipiell anderes System? Nein, die bürgerliche Demokratie herrscht, es ist ungefähr dasselbe wie in Frankreich. Glauben Sie, daß in Frankreich nicht die Generale herrschen? Zweitens, man kann nicht die Republik besiegen, ohne die Arbeiterklasse zu besiegen. Das ist eine literarische Floskel oder ein Opportunismus, wieder mal wie in Leipzig; besser schon, wenn das eine literarische Floskel wäre.

Warum ist das politisch schädlich? Daraus entfließt eine unrichtige Einschätzung der Sozialdemokratie, die doch die wichtigste Frage bei uns ist, wird eine neue Entgleisung bei uns jetzt kommen. Wenn es richtig ist, daß die Sozialdemokratie jetzt besiegt ist, so folgt daraus eine Annäherung an die Sozialdemokratie. Genosse Arvid schrieb in einem Briefe mit der Geste der Naivität: Warum benutzen wir diese Formel? Darum, weil man nur aus dieser Formel herausziehen kann, warum wir jetzt auf Teillosungen und Teilkämpfe verzichten. Aber, Genossen, hier ist doch alles auf den Kopf gestellt. Um es sich bequem zu machen, auf die Teilforderungen zu verzichten, konstruiert man eine unrichtige Terminologie. Niemand kann das widerlegen: wenn es richtig ist, daß die Sozialdemokratie besiegt ist, dann folgt daraus eine Annäherung an die Sozialdemokratie. Das hat uns Marx gelehrt noch im Kommunistischen Manifest: wenn hier Reaktion, hier Kleinbürgertum, das schwankt, so müssen wir mit dem letzteren gehen. Aber in Deutschland ist tatsächlich die Lage anders. Es herrscht die Reaktion und es herrscht mit die Sozialdemokratie. .Beide müssen wir bekämpfen. Aus Ihrer Terminologie fließt aber eine ganz andere.

Man fordert von dem berühmten Sieg des Faschismus alles, ohne wirklich marxistisch die Frage zu stellen: wer ist an der Macht, welchen Block von Kräften haben wir, und wie ist die Rolle der Sozialdemokratie? Man stellte die Sache so dar, als ob jetzt wirklich eine ganze Änderung der Sozialdemokratie eingetreten ist, der Sozialdemokratie, die seit 1920 immer wieder denselben Eiertanz durchgemacht hat. Die Leute sind zu elastisch, nicht im persönlichen Sinne des Wortes, sondern vom Klassenkampfstandpunkt aus. Sie sind eben das Kleinbürgertum, und das Wesen dessen besteht eben darin, daß es schwankt, bald so, bald so. Zwanzigmal noch wird eine Umstellung kommen, und objektiv ist das doch ein Block der Sozialdemokratie und des Faschismus.

So ist die Lage. Wir müssen die Nuancierung der Taktik in Deutschland fordern, weil die Sozialdemokratie, das ist jetzt schon vollkommen klar, ein faschistischer Flügel geworden ist. Es ist eine faschistische Sozialdemokratie. Daraus folgt die Modifizierung unserer Taktik.

(Walcher: Das haben wir gesagt.)

Nein, das habt Ihr nicht gesagt. Ihr schimpft auf sie, aber sie der Arbeiterschaft marxistisch zu erklären, das versteht Ihr noch nicht. Beschimpfen ist doch sehr leicht: "Handlanger der Bourgeoisie", "von dieser in den Sattel gesetzt" usw. Die Sozialdemokratie war gar nicht besiegt, sie ist ein Bestandteil dieser Sache, und die ganze internationale Sozialdemokratie entwickelt sich so auf diesem Wege. Wir sehen das. Was sind Pilsudski und die anderen? Faschistische Sozialdemokraten. Waren sie das vor zehn Jahren? Nein. Selbstverständlich in nuce waren sie schon damals faschistisch. Aber eben, weil wir in der Epoche der Revolution leben, werden sie jetzt zu Faschisten. Was ist die italienische Sozialdemokratie? Es ist ein Flügel der Faschisten: Turati ist ein faschistischer Sozialdemokrat. Konnte man das vor 5 Jahren. behaupten. Nein. Erinnern Sie sich der Gruppe der Akademiker, die sich allmählich zu einer bürgerlichen Kraft entwickelt haben. Die italienische Sozialdemokratie ist jetzt eine faschistische Sozialdemokratie. Nehmen Sie Turati, d'Aragona oder die jetzigen bulgarischen Regierungssozialisten. Es waren Opportunisten, aber konnte man vor zehn Jahren sagen, daß sie faschistische Sozialdemokraten seien? Nein, das wäre damals dumm gewesen. Jetzt sind sie es. Sie sagen aber noch immer: wir sind von der 2. Internationale, wir sind Sozialdemokraten. Man muß doch verstehen, zu begreifen, was vor sich geht, nicht nur, die Sozialdemokratie beschimpfen. Einerseits Macdonald, Vorsitzender der 2. Internationale, geht an die Macht; die englische Bourgeoisie bittet ihn: bitte schön, du sollst regieren. Gewiß, es ist ein Beweis der Schwäche der Bourgeoisie, die Arbeiterschaft wächst, ist ein Faktor geworden; aber es ist auch ein Beweis, was die Sozialdemokratie geworden ist. Die englische Bourgeoisie setzt jetzt den Präsidenten der 2. Internationale in den Sattel.

Man kann Macdonald beschimpfen: Du bist ein Verräter, ein Handlanger der Bourgeoisie. Aber man soll doch verstehen, in welchem Zeitabschnitt wir leben. Die internationale Sozialdemokratie ist jetzt zu einem Flügel des Faschismus geworden. Das soll man den deutschen Arbeitern erklären. Das ist doch eine ganz andere Auffassung. In der Politik und Agitation wird das ein ganz anderer Ausgangspunkt sein, durch solche Lichtstrahlen wird das ganz anders beleuchtet. Wenn Sie kommen und sagen, das ist ein Sieg des Faschismus über die Novemberrepublik, ohne ein Sieg über die Arbeiterklasse zu sein, so ist das entweder Unsinn oder Opportunismus, weiter nichts. Das ist ein Opportunismus, und man hilft sich nicht damit, daß man auf drei Seiten die Leute beschimpft. Nein, nicht das braucht die Arbeiterklasse. Das, was sie braucht, habt Ihr nicht getan, das habt Ihr versäumt. Darum ist die Resolution des Reichsausschusses absolut unrichtig. Es war der erste Weg, den Weg zu tasten. Wir wären Formalisten, wenn wir jetzt sagen würden: einen Strick um den Hals der Zentrale, sie hat eine unrichtige Resolution angenommen. Es war der erste Versuch, zu tasten, was geschehen war.

Da müssen wir schon klar eine andere Auffassung geben. Diese erste Auffassung war unrichtig. Ihr werdet sie niemals vor der Internationale verteidigen können. Die Internationale, wenn sie objektiv sich an die Arbeit setzt, und objektiv diese Resolution unter die Lupe nimmt, wird sagen: unrichtig. Es ist ein Artikel von Radek und nicht eine Resolution der Partei.

Ich schrieb einen Artikel über Koltschak, der, wie ich glaube, viel richtiger ist als der Artikel Radeks, den Sie zum Beschluß erhoben haben.

(Scholem: Wir haben ihn verbreitet.)

Ich danke Ihnen, Walcher sagt, das charakterisiert den Artikel. Ich fürchte das absolut nicht. Die Genossen sind ein Teil der Internationale.

(Maslow: Und kein schlechter!)

und nicht der schlechteste; sie machen Fehler und übertreiben, aber sie haben im Kerne recht. Also ich schäme mich gar nicht, daß die Berliner Arbeiter und Genossen den Artikel verbreitet haben.

Aber was hat die Redaktion Eures Zentralorgans gemacht? Sie hat eine Anmerkung der Redaktion veröffentlicht, die in der Tat ein neuer Artikel von Radek ist. Ihr habt das Recht dazu, aber dann habt Ihr nicht das Recht, zu sagen: Wo ist die Rechte, wo sind die Nuancen? Die Rechte ist diejenige, die diese Anmerkung geschrieben hat, verbreitet hat.

Sie ist aber eine Minderheit. Nachdem die Internationale beschließen wird, wird sie wahrscheinlich noch eine kleinere Minderheit werden. Wir sind fest überzeugt, daß wir doch zusammen gehören. Aber die rechte Tendenz gibt es bei Euch. Wenn Sie die Leipziger Beschlüsse, das Geschrei über das Pseudonym, diese Resolution des Reichsausschusses, die Ausführung in Sachsen, den Radekschen Artikel, der bei Euch als Anmerkung der Redaktion abgedruckt ist, nehmen, so ist das für jeden Politiker genug, um zu sagen, es ist ein unrichtiges System.

(Radek: System jedenfalls, aber ob unrichtig?...)

Dieses System ist menschewistisch.

Was ist Menschewismus. Oft sagt man, Radek ist ein Menschewik. Nein, keinesfalls. Er ist selbstverständlich ein Bolschewik. Aber er macht manchmal Fehler menschewistischer Natur. Wäre er ein Menschewik und ich ein Bolschewik, so hätten wir uns sicher ganz anders bekämpft. So, Genossen, ist die Sache. Radek sagt, Sinowjew hätte Recht, wenn es wirklich in Deutschland auch so wäre, wie damals in Rußland. Nun, Genossen, Ihr als Ausländer seid nicht verpflichtet, alle diese Politiker zu kennen. Aber Radek sollte doch dazu verpflichtet sein. Nicht nur um die Menschewiki handelt es sich; außer diesen gab es noch Puriskewitsch. Es war der russische Hitler. Es war eine große Bewegung, stockreaktionär, Schwarze Hunderte, wie wir sie damals nannten, es war eigentlich der russische Faschismus, mit großer sozialer Demagogie. Die Schwarzen Hunderte sind von dieser Partei gebildet worden. Sie war eine Stütze der Monarchie. Und sie hatte Abteilungen fast in jedem Dorf, ‑ wissen Sie das, Genosse Radek? ‑ in jeder Stadt.

(Piatnizki: Und auch Arbeiter.)

Die kleinen Leute, z. B. die Hauswächter, Frauen aus der Arbeitermasse, das war alles bei diesen Leuten. Teilweise nutzten sie die Religion aus. Es war gewissermaßen eine revolutionäre Volksbewegung mit großer Demagogie gegen die Juden. Es war eine große Bewegung, die nicht nur Grundbesitzer hatte, nicht nur den Adel, sondern Zehntausende von den Massen. Sie hatte die kleinen Leute, hatte im Dorfe, in der Stadt überall ihre Leute. Also wenn Sie schon diesen Vergleich ziehen wollen, so dürfen Sie nicht diese dritte Richturig übersehen. Und das haben Sie übersehen.

(Radek: In bezug auf das Kleinbürgertum stehe ich vollkommen auf dem Boden dessen, was Sinowjew zitiert hat.)

Radek hat Recht, daß er die Bedeutung des Kleinbürgertums unterstrichen hat. Wir müssen dem Kleinbürgertum helfen. Wir sind Radek dann gefolgt. Das ist gewiß eine der wichtigsten Aufgaben. Eure Versammlungen mit diesen Kleinhändlern, das war gut, das beweist, daß Ihr wirklich Verbindung mit dem Volke habt. Gewiß diese Aufgabe besteht weiter, und wir müssen verstehen, die kleinbürgerlichen Teile zu gewinnen. Ich habe nicht gehört, daß die Linke dagegen ist, niemals.

(Niemals.)

Aber wenn man in der Resolution des Reichsausschusses einen großen Unterschied zwischen Wittelsbachern und Hohenzollern konstruieren will, so sagen wir, das ist ein Opportunismus. Wenn man auf diese Sache die Politik der Arbeiterklasse aufbauen will, wenn man das mitzählen will als einen der großen Faktoren in der Revolution, so ist das ein Irrtum.

Worüber stritt sich Lenin mit Martow? Nicht darüber, daß man nicht die Nuancen ausnutzen soll, sondern eben darum, daß Martow geblendet durch diese feine Untersuchung jeder dieser kleinen Nuancen die Hauptsache vergessen hat: die Dreiteilung jedes Volkes: Bourgeoisie, Kleinbürgertum, Proletariat. Er war eben Menschewik und sein Beispiel soll abschreckend sein. Man soll das nicht übersehen.

Und dann die Stellungnahme Radeks: Entweder kommunistische Agitationspartei oder kämpfende Partei, rein agitatorische Linie, Sekte oder Massenpartei. Das ist eine sehr schlechte Stellungnahme Ich sage nicht, daß Radek jetzt auf demselben Boden steht wie Levi. Aber es ist im allgemeinen derselbe Fehler, derselbe Ausgangspunkt. Der Streit geht eben darum, ob wir eine gute Agitationspartei sein sollen, ob eine kommunistische Agitation oder eine zentristische. Mit diesem Sektengespenst soll man uns nicht kommen. Wir kennen das schon übergenug. Wir sind in Rußland eine Massenpartei. Was unseren Parteien fehlt, ist, daß sie nicht eine kommunistische Agitation zu führen verstehen. Nehmen Sie die englische Partei, die französische, die tschechische und die deutsche. Sie verstehen noch nicht, kommunistische, aufrüttelnde Volksagitation zu treiben. Sie fühlen sich noch nicht als Volkstribun. Warum hat uns so das Auftreten unserer besten Leute, wie Heckert, gekränkt? Wir lieben ihn als aufrichtigen Kerl, wir wissen, daß er zur Kommunistischen Internationale aufrichtig steht, mit ihr stirbt. Um so mehr hat es uns gekrankt, daß er sich nicht als Volkstribun gefühlt hat.

(Haben Sie eine seiner Reden gelesen?)

Alles, was möglich war, habe ich gelesen, ich glaube, nicht weniger als Walcher. Wir haben uns nicht kleinsinnig dieses Urteil zusammengestellt. Als wir den Brief abgefaßt haben, waren wir alle einstimmig. Und wir haben Dutzende Berichte gelesen.

(Walcher: Alle haben gesagt: Eine gute kommunistische Rede.)

Vielleicht in normalen Zeiten wäre das eine gute Rede. Aber er hat sich nicht gefühlt als derjenige, den die revolutionäre Welle auf die Schultern der arbeitenden Massen gehoben hat. Nein, das kann man nicht mit dieser Stellungnahme: ich bin dem Landtag verantwortlich, ich stehe auf dem Boden der Verfassung.

(Die Welle fehlte.)

Nein, die Welle war in Leipzig in dem Moment nicht da, aber in Deutschland war sie da im Oktober. Remmele hat erzählt, wie die Massen die ganze Nacht auf der Straße blieben, Lastautomobile beschlagnahmten, wie die Stimmung bei den Frauen war. Genossen, das ist für uns das Wichtigste, wichtiger als Bände von Thesen, die man zusammenschreibt. Dieses Gefühl für die Masse muß man haben. Das Bild, das Remmele nebenbei gibt, das König gibt, das Thälmann oft widerspiegelt, das ist das Wichtigste, das in Deutschland war. Das war am 25. Oktober in Leipzig nicht, aber in Deutschland war es. Wart Ihr das Sprachrohr dieser Stimmung?

Die Massen handeln spontan, aber die Mitglieder des Z.K., wie Heckert, handeln nicht spontan. Wenn er Führer ist, muß er fühlen, was jetzt in der Masse ist. Was Thälmann, Remmele, König widerspiegeln, hat man in diesen Ministerreden nicht gefühlt, und das ist für uns das Erschreckende, das Symptom. Wir wollen hier nicht auftreten als Shylocks: Warum habt ihr in 9 Tagen nicht die Waffen gehabt? Das konnte man nicht, das sollte man schnell einsehen. Also die Beschuldigung ist nicht richtig: warum habt ihr in 9 Tagen die Revolution nicht gemacht, die Waffen nicht gehabt. Ihr konntet das nicht. Aber warum sich nicht zum leidenschaftlichen Sprachrohr des Volkes machen? Das verstehen wir nicht, das ist ein schlechtes Symptom;

Wir halten dafür, daß der Rückzug während der Chemnitzer Konferenz unvermeidlich war. Es lohnt sich nicht, darüber jetzt zu streiten. Das war wahrscheinlich unvermeidlich, so wie die Lage war. Aber daß man während der sächsischen Sache so gehandelt hat, ist ein Beweis, daß halb bewußte rechte Tendenzen in der Partei bestehen, und daß sie bisher keine genügend organisierte Opposition in der Partei gefunden haben. Wir haben dem nicht genügend opponiert und wir werden dem jetzt mehr opponieren.

Ich komme jetzt zur Parteilage. Offen gesprochen, brauchten wir zehn solcher Leute wie Remmele und Thälmann. Das wäre eine Zentrale, die sollte andere politische und organisatorische Kräfte heranziehen, die ihnen helfen sollen. Das wäre eine Zentrale. Das ist das Beste und Kostbarste, was man in der deutschen Partei hat. Gewiß, ich werde hier nicht die Theorie der schwieligen Faust vortragen. Aber, Genossen, das ist das wichtigste Material, das wir haben. Und der größte Vorwurf gegen die Zentrale besteht darin daß sie nicht versteht, dieses ‑ sozusagen ‑ Gold der Arbeiterklasse zu verwenden, sondern man streitet sich über Thesen, und jeden Artikel Radeks wird man sofort zum Beschluß erheben. Ein bißchen zu horchen auf diese Gruppen der Arbeiterschaft, die hier gekennzeichnet werden, das versteht Ihr nicht. Das soll keinesfalls besagen, daß wir ohne Intellektuelle auskommen können. Das wäre Demagogie. Wir brauchen auch alle Genossen aus der Intelligenz. Sie müssen da arbeiten usw. Aber man muß einmal auf eine feste Grundlage kommen.

Was soll jetzt kommen? Es soll eine Umstellung in der Führung kommen. Welche? Daß die gegenwärtige Mehrheit der Zentrale mit der Linken der Partei die Partei regieren soll, mit der Unterstützung und Revision der Kommunistischen Internationale, das ist der Rat, den wir Ihnen geben. Die Polen sagen, wir haben in der deutschen Frage immer eine Mitte gesucht. Die polnische Partei hat niemals einen anderen Vorschlag gemacht... Ihr könnt doch zu jeder Zeit Anträge stellen. Ich glaube nicht, daß es einer solchen Partei wie der polnischen zukommt, wo eine Niederlage eingetreten ist, einfach mit Tränen zu kommen.

(Warski: Nicht mit Tränen.)

Ihr habt den Brief an die K.P.R. beschlossen, ohne uns zu hören. Also Sie nennen das salomonische Politik, ohne etwas vorzuschlagen. Hoffentlich werdet Ihr hier etwas vorschlagen. Der Vorschlag in Ihrem Briefe besteht darin, daß niemand sich streiten soll.

Wir glauben, Genossen, daß wir im allgemeinen bisher richtig gehandelt haben. Ihr sagt oft, Maslow und Fischer sind schlecht, Thälmann ist gut. Genossen, ich kenne schon auch die Sachen in unserer Partei. Es gelingt sehr selten auf solche Weise. Ich kenne auch die Arbeiter nicht schlechter als Ihr, sie reagieren am heftigsten gegen solche Trennungsversuche. Es gibt Nuancen zwischen Thälmann und Maslow, politische und auch persönliche. Das ist klar. Thälmann kommt heraus aus dem Herzen der Arbeiterklasse, Maslow kommt von der Intelligenz.

(Walcher: Thälmann hat versucht, in der Zentrale sein Bestes zu geben.) (Pieck: Er hat versucht, mitzuarbeiten.)

Aber, Genossen, wenn Sie glauben, daß man hier so einfach trennen kann, das wird niemandem gelingen. Sie haben Fehler, Maslow und Fischer, wir haben gesagt, man muß hier ein bißchen Geduld haben.

(Pieck: Bis die Partei zersetzt ist.)

Die Partei ist nicht zersetzt und wird nicht zersetzt werden. Radek läuft herum hier in den Studentenversammlungen, die in Moskau diskutieren, ‑

(Radek: Rote Professoren.)

ja, schöne rote Professoren ‑

(Radek: Bessere, haben wir nicht.)

Genossen, erinnern Sie sich ein bißchen an die Jungen in Deutschland in den neunziger Jahren. Es waren auch Professoren, aber keine roten. ‑ Also in den Studentenversammlungen sagt Radek, die Exekutive und ich speziell haben die deutsche Partei verdorben, zerrissen usw. Ich fürchte diese Beschuldigungen nicht. Eine schöne deutsche Partei wäre das, wenn ich sie von Moskau aus verderben könnte.

(Radek: Ich habe das auch gar nicht behauptet, ich habe gesagt, Sie haben die Zentrale zerschlagen.)

Eine gute Zentrale, die sich zerschlagen läßt.

(Radek: Ja, wenn sie die russische wäre.)

Ich habe niemals die Zentrale zerschlagen.

Es ist eine Tatsache, daß einige Tage nach der Abreise des Vertreters der K.I. aus Deutschland die Mehrheit der Zentrale eine ziemlich richtige selbständige Linie gefunden hat. Wie habe ich sie zerschlagen? Ich kann konstatieren, ich habe weder ein einziges Wort an Remmele noch an jemand sonst geschrieben, was mein Recht gewesen wäre. Aber es ist eine Tatsache, daß die Zentrale, die man von Moskau aus zerschlagen hat, ungefähr die richtige Linie schon gefunden hat, ohne unser Zutun. Was fehlt dieser Mehrheit der Zentrale noch? Unter uns als Freunden gesagt: Es fehlt ihr die Entschiedenheit, der Wille zur Macht in der Partei. Das muß man haben, um eine Partei zu regieren. Man muß die Auffassung haben: ich habe recht, ich werde meine Partei führen, ich werde sie überzeugen. Die Mehrheit ist noch ein bißchen blutleer. Sie sucht noch in Worten nach solchen Formeln, daß sie Jakob Walcher passen. Er ist uns lieb, selbstverständlich. Wir werden mit ihm zusammen marschieren, aber die revolutionäre Politik der Partei ist uns noch lieber als der Jakob; und für ihn wird es noch gut sein, zu verstehen, daß man nicht so verklausulierte Formeln gebrauchen darf "einerseits, andererseits". Die Zeit ist vorbei.

Ich glaube, Genossen, wir haben diese Mehrheit der Zentrale. Im allgemeinen marschieren wir mit ihr. Es muß ein anderes Verhältnis zur Linken geschaffen werden, als Radek und Brandler geschaffen haben. Im allgemeinen war Radeks Einstellung gegenüber der Linken in der letzten Zeit unrichtig. Er hat sich hier ein bißchen durch sein Temperament leiten lassen und am meisten durch eine falsche Einstellung.

Ihr sagt, die Linke ist nur ein Viertel. Aber man kann ohne dieses Viertel nicht die Partei führen. Ihr sagt: die schlechten Leute in Berlin, die Funktionäre usw. ‑ Genossen, ich stehe an der Spitze der Petersburger Organisation, ich weiß schon, was das heißt, 25—35.000 Arbeiter zu leiten. Das macht man nicht mechanisch, man kann ihnen das nicht aufzwingen.

(Pieck: Maslow.)

Mag Maslow noch so fehlerhaft sein, aber es gibt noch Zehntausende Arbeiter. Ich bin 20 Jahre mit den Petersburger Arbeitern verbunden, aber wenn ich sie zwingen wollte ‑ was glauben Sie, wegen unserer schönen Augen machen sie die große Sache? Das ist nicht ein Zufall, da muß man verstehen, sich abzufinden. Ihr seid im Besitz der Zeitungen und des gesamten Apparats, warum habt Ihr Berlin und Hamburg nicht gewonnen?

Zweitens überschätzen Sie die Rolle der Personen in der Geschichte.

(Radek: Sehr richtig,) (Pieck: Sie setzen doch immer auf Personen in Deutschland.)

Keinesfalls. Gewiß, wegen der Politik im Oktober; wir glaubten, Brandler verkörpert das am richtigsten; wir waren allgemein der Ansicht: wer wird das machen? Brandler wird das machen. Jetzt glauben wir nicht, daß Brandler nichts mehr machen wird; wir glauben, er wird viel Gutes machen. Wir wissen schon ganz gut, daß man 20 Niederlagen erleidet, bevor man einen Sieg erringt. So schlecht ist die Weltgeschichte eingerichtet. Wir sagen: du hast große Fehler gemacht, zusammen mit uns, auch wir haben Fehler gemacht.

(Brandler: Ich habe Fehler gemacht, aber andere, als Sie meinen.)

Das, was Sie gestern gesagt haben, daß die Masse die Einheitsfronttaktik als evolutionistische Taktik auffaßt, weist auf Ihre Entgleisungen hin.

(Brandler: Gibt es eine Taktik ohne Gefahren und Entgleisungen?)

Wissen Sie, was Lenin einmal geschrieben hat? Der Führer ist verantwortlich nicht nur dafür, was er tut, sondern auch dafür, was die Massen tun, die unter seiner Führung stehen. Wenn man nach zwei Jahren jetzt kommt und sagt, die Masse hat diese Stimmung, so ist das für mich ein Beweis dafür, daß da etwas Faules in der Durchführung war.

Der Schluß ist der: Wir müssen eine Umstellung in der Führung haben. Keinesfalls wollen wir einen Kreuzzug gegen die sogenannten Rechten anfangen. Wenn man sagt: K.A.G.-Geist, so ist das übertrieben. Übertreibung ist der größte Feind der Genossin Ruth Fischer. Man steht dicht an der Wahrheit, aber die Übertreibung ist schon unwahr.

Die K.A.G.isten-Krise, das gibt zu denken; das muß ich sagen. Als wir alle Euern Brief gelesen haben, wie Ihr tagelang die Sache disputiert habt, die Leute kommen zu Euch mit Petitionen: wie kann man in der Zentrale sozusagen darüber diskutieren, ob man die Partei preisgeben soll oder nicht? Das war auch das Gefühl von Radek.

(Radek: Bis heute.)

Aber die Zentrale hat wochenlang diskutiert, ob man die Partei preisgeben soll. Bis heute hat auch Radek den Eindruck, daß da rechte Tendenzen in der Partei waren. Und jetzt, wenn ich Ihnen den Resolutionsentwurf der russischen Partei vorlese, fragen Sie: Wo sind die rechten Tendenzen? Ist das Brandler, Pieck? Wozu brauchen wir die Namen? Die Tendenzen sind da. Das ist eine Tatsache.

(Pieck: Die liegt an der Entwicklung der Partei; eine Massenpartei, zusammengeheiratet.)

Aber ich spreche nicht von der gesamten Partei, sondern von der Zentrale. In der K.A.G.isten-Krise hat sich die Partei viel besser gehalten als die Zentrale. Die letztere hat beraten, ob sie die Partei preisgeben soll: Das ist für uns ein Beweis, daß nicht alles gesund ist. Wir glauben, daß große sozialdemokratische Überlieferungen da sind, nicht nur in der deutschen Partei, sondern auch in der ganzen Kommunistischen Internationale, weil sie aus der Mitte der 2. Internationale gekommen ist. Genossen, unter uns gesprochen, ich sagte einmal zu Lenin vor Jahren: Wenn ich manchmal die Kommunistische Internationale ansehe, so wie sie ist, kann ich noch nicht ganz gewiß sagen, ob wir einmal ohne Krise eine wirkliche Kommunistische Internationale zusammenstellen können. Man hat manchmal das Gefühl, daß es in unseren Reihen noch große Überreste der Sozialdemokratie gibt. Sind wir die Leitung der K.I., um diese Schwäche nicht zu sehen? Auch in unserer Partei hat diese Diskussion gezeigt, daß Überreste der Sozialdemokratie vorhanden sind.

(Radek: Sehr richtig.)

Nicht auf unserer Seite, sondern auf Eurer. Das geht nicht anders. Wir lieben alle die Kommunistische Partei. Ich verstehe schon, das Pieck und Walcher sich aufbäumen und sagen: Unsere Partei soll eine sozialdemokratische sein! Niemals hatten wir, die Russen, das Gefühl, Ihr seid eine sozialdemokratische Partei. Ihr seid eine der besten Sektionen der K.I. trotz alledem.

(Radek: Nicht eine der besten, die beste.)

Aber Überlieferungen sind da.

Noch ein Geheimnis werde ich verraten. Manche der jüngeren Elemente bei Euch, z. B. wie Maslow, haben den Vorteil, daß sie nicht gehemmt sind, durch sozialdemokratische Tradition. Das ist andererseits eine Schwäche, sie sind nicht verwachsen mit den Arbeitern. Maslow persönlich kennt sie gut. Das ist ein Minus, daß sie nicht so gut verwachsen sind, aber gleichzeitig haben sie ein Plus, weil sie nicht mit dem sozialdemokratischen Nachlaß kommen.

Ich glaube,  wir müssen jetzt im Auge haben: die Partei ist in schwieriger Lage, der Fraktionsgeist muß aufhören; den Sieg zu erreichen, muß man eine einheitliche Führung haben, denn sonst ist der Sieg wirklich unmöglich. Man muß die Lage sehen, wie sie ist. Also, wenn man für die Revolution kämpfen, die Partei retten will, so muß man mit dem Geiste der Passivität, dem Fraktionsgeist usw. aufhören. Wir müssen hier eine Reihe von Fragen prüfen, wie die Gewerkschaftsfrage, die Organisationsfrage, und objektiv entscheiden, und wir müssen wahrscheinlich auch die Abhaltung eines Parteitages beschließen. Ich sage Ihnen ganz offen: wir, die Exekutive und die russische Partei, können jetzt nicht die Verantwortung übernehmen, eine neue Kombination der Parteileitung der K.P.D, zu schaffen. Manchmal kann man das, aber jetzt ist die Lage zu verwickelt. Die Partei muß ihr Gesicht zeigen, so, wie sie ist, welche Führung sie will. Die Kommunistische Internationale kann später intervenieren, aber die Partei muß sprechen. Wenn das zustande kommen soll, darüber müssen wir verhandeln vom Standpunkt der Interessen der Partei aus. Wir sind dafür, daß es ohne fraktionelle Kämpfe geschieht. Wir glauben, die politische Vorbereitung des Parteitags fängt jetzt in Moskau schon an.

Ich glaube, wenn jetzt ein gewisses Zusammenarbeiten der gegenwärtigen Mehrheit der Zentrale mit der Linken auf einer gewissen politischen Marschroute ausgearbeitet wird, so wird das 99 Prozent der Partei hinter sich haben.

(Pieck: Sie haben die Mehrheitsmassen der Partei noch nicht gehört.)

Ihr vertretet sie ja. In dieser Frage des Kräfteverhältnisses der Partei kann man sich am leichtesten irren, das gebe ich zu.

Es gibt jetzt in der Zentrale drei Richtungen: die Mehrheit, die Thesen hier mitgebracht hat, die von Remmele und Koenen vertreten werden, etwas schwach vertreten werden; es gibt hier eine Linke, die Sie kennen, es gibt hier eine Minderheit, die Sie gehört haben.

(Brandler: Wo bleiben Pieck und Walcher?) (Zetkin: Und wo reihen Sie mich ein?)

Seien Sie mir nicht böse. Zu schwierig ist mir der Fall der Genossin Zetkin. Ich brauche kein Wort darüber zu verlieren, daß wir persönlich an ihr hängen. Sie wissen, sie hat den Brief der Exekutive unterzeichnet. Wenn sie auf diesem Boden steht, so ‑ ich liebe und achte sie, aber was kann ich tun, wenn sie für eine andere Linie ist? Ich hoffe, daß Genossin Zetkin mit dieser Mehrheit sein wird.

Genossen, die Zentrale hat einen Entwurf angenommen, der Ihnen bekannt ist. Dann haben wir uns mit der Mehrheit der Delegation zusammengesetzt und haben versucht, einen Entwurf auszuarbeiten. Die Genossen haben mein Projekt umgearbeitet, verbessert, im allgemeinen ist es derselbe Geist. Die Arbeit in dieser kleinen Kommission ‑ es waren dabei Pieck, Koenen, Remmele ‑ hat gezeigt, daß wir auch mit Pieck zu 99 Prozent zusammenmarschieren können. Er war nicht bei der Abstimmung in der Zentrale. Es hat sich dort etwas Neues ereignet, während ganz kurzer Zeit neue Ereignisse. Pieck war währenddessen hier, und die Arbeit, die wir in den letzten Tagen hier mit ihm zusammen ausgeführt haben, zeigt, daß wir uns mit ihm verständigen können. Wenn trotzdem Schwierigkeiten zwischen ihm und der Linken entstehen, ‑ es ist möglich, Pieck ist leidenschaftlich, wie wir alle, im Kampfe mit den Berlinern läßt er sich manchmal zu Fehlern hinreißen, die ich nicht gutheißen kann.

Ich glaube, unsere Aufgabe besteht darin, hier nicht Strategie zu treiben, nicht mit einem Manöver innerhalb unserer eigenen Partei zu kommen, sondern zu sagen: das ist der Fehler. Wenn Sie sagen: also ist die russische Partei mit den Berliner ‑ nein. Sie ist der Meinung, daß die Einstellung der neuen Mehrheit im allgemeinen richtig ist. Sie muß eine ehrliche Kooperation mit der Linken schaffen. Der "Bürgerkrieg" muß aufhören, das Ausschleudern dieser Drohungen muß aufhören, die Genossen müssen mit dem Fraktionsgeist aufhören, wenn sie wirklich die Partei retten wollen. Gut (zu der Linken), Ihr habt auch gewaltige Fehler gemacht, das wißt Ihr ja auch. Manchmal sagt man, die Mehrheit vertritt den rückständigen Teil der Arbeiter, und die Mehrheit sagt, die Linke vertritt den ungeduldigen Teil der Arbeiter. Kann man die Revolution ganz ohne diesen rückständigen Teil machen? Und die Rechte sagt: Ungeduld. Es kommt aber der Moment, wo diese Ungeduld das wichtigste ist, was man braucht. Nehmen Sie Thälmann. Nun, offen gesprochen, alle unsere Genossen, die ihn sprechen hören, sagen, wenn man ihn sieht, so hat man das Gefühl, die deutsche Revolution wird einmal kommen. Genossen, also das müssen wir doch haben. Das gehört zueinander, das müssen wir also vereinigen auf der Marschroute, die wir Ihnen vorschlagen.

Was wird die Minderheit machen? Manche, sagen, eine neue Fraktion. Brandler wird wahrscheinlich nicht eine neue Fraktion machen, sondern wird ein bißchen abwarten. Und das wird das beste sein, was er tun kann, abwarten. Jeder von uns weiß den Genossen Brandler persönlich zu schätzen. Er wird noch große Arbeit in der Partei leisten. Wenn man jetzt kommt und sagt: absägen, abschlachten, und wie alle diese Worte heißen ‑ es ist leichtfertig, es ist nicht das Rechte. Abschlachten brauchen wir nicht.

Ich möchte noch auf die zwei Perspektiven hinweisen. Ich glaube aber, da sind wir jetzt schon fast einig. Wir wissen nicht, wie die Sache weiter gehen wird. Im ersten Entwurf haben wir gesagt, man muß jetzt beide Aussichten haben. In der Frage des Tempos haben wir uns geirrt. Es ist ein Trost, daß Lenin und Marx sich darin auch manchmal geirrt haben. Aber die Einschätzung bleibt richtig. Wenn man sagt: in drei Monaten wird alles kommen ‑ nun, abwarten, ich bin jetzt noch skeptisch. Aber alles hängt doch ab von der Stoßkraft unserer Partei. Wir sagen: wir sind bereit als Kommunistische Internationale, alles Gut und Blut, das wir haben, mit Euch einzusetzen, um die Entwicklung der Dinge möglichst zu beschleunigen. Weitere Ausrüstung, weitere illegale Organisation, weitere Orientierung aller unserer Brudersektionen, der französischen usw. Wir haben einen Brief an die französische Partei abgefaßt. Genossin Zetkin, die Mitglied der Kommission war, wird bezeugen, daß die Perspektive in der deutschen Frage die alte ist, d. h. die einer neuen Revolution. Dasselbe werden wir in anderen Sektionen jetzt sagen, auch hier in Rußland alles einsetzen für eine schnelle Entscheidung. Aber als Führer der Partei müssen wir schon jetzt sehen, daß die Gefahr vorhanden ist; daß es langsamer gehen wird. Das müssen wir nach den gemachten Erfahrungen sehen. Wir haben 1905 erst nach anderthalb Jahren klar sagen können, wohin die Reise geht. Lenin hat 1906 dreimal den Aufstand bestimmt, zunächst im Frühling, dann im Spätsommer, nachdem die Bauern die Ernte eingebracht haben usw. Die Menschewisten haben ihn ausgelacht. Aber das war nicht zum Lachen. Man hat sich geirrt im Tempo; nach anderthalb Jahren sah man, es wird länger dauern. Jetzt hat man die Pflicht, zu visieren, wie die Dinge jetzt liegen, für den Frühling, dann für den Sommer ‑ wir werden sehen, für kurze Zeit.

Wenn wir wirklich einverstanden sind in dieser Sache, wird der heiße Kampf nicht umsonst gewesen sein. Wir haben viele Illusionen verloren und viel realistischen Verstand gewonnen.

VI.
Kommission und Beschlußfassung

Nach der Rede des Gen. Sinowjew wurde in der Sitzung vom 12. Januar vorgeschlagen, von einer weiteren Diskussion im Plenum des Präsidiums abzusehen und eine Kommission zu bilden. Genosse Sinowjew schlug vor, diese Kommission aus Vertretern der Mehrheit (Zentrum) mit der Linken der K.P.D. und einem Vertreter der K.I. zusammenzusetzen. Diese Kommission sollte danach streben, zu einem gemeinsamen Resolutionsentwurf zu gelangen und auf diese Weise den ersten Versuch einer Zusammenarbeit der Mehrheit und der Linken darstellen.

Um diesen Antrag entspann sich eine Debatte, in der die Genossen Radek, Pieck und Klara Zetkin verlangten, daß auch Vertreter der Rechten und Genosse Radek an der Kommission teil» nehmen sollten.

Bei der Abstimmung wurde der Antrag des Genossen Sinowjew mit allen Stimmen gegen die Stimmen der Genossen Radek und Zetkin angenommen. Zu Mitgliedern der Kommission wurden gewählt: Kuusinen, Pieck, Remmele, Koenen, Maslow, Thälmann.

Das Präsidium bestimmte ferner eine Organisations- und eine Gewerkschaftskommission. Der Gewerkschaftskommission gehörten folgende Genossen an: Kolarow, Remmele, Koenen, Fischer, König, Walcher, Tomski, Anzelowitsch.

Der Organisationskommission gehörten als Mitglieder der Organisations-Abteilung des E.K.K.I. die Genossen Mitzkewitsch-Kapsukas, Piatnitzki und Kuusinen und von den deutschen Genossen Remmele, Koenen, Fischer und Thälmann an.

Die erste Kommission gelangte am 17. Januar zu einem gemeinsamen Entwurf, der der Sitzung des Präsidiums vom 19. Januar vorgelegt wurde. (Siehe die Resolution in der Beilage.).

Bei der Abstimmung über die Resolution als Grundlage stimmten nur die Genossen Radek und Zetkin gegen die Resolution, von den deutschen Genössen noch Brandler und Walcher, der Stimme enthielt sich Pieck.

In der Detail-Behandlung machte Genosse Pieck zwei Ergänzungsvorschläge zum Resolutionsentwurf der Kommission. ‑ Erstens sollte folgender Satz hinzugefügt werden:

Die aufgezählten Fehler und Mängel der Partei erklären zur Genüge, warum die K.P.D. im Oktober die Mehrheit der Arbeiterklasse noch nicht fest in der Hand hatte. Unter diesen Umständen war es richtig, daß die K.P.D. dem bewaffneten, entscheidenden Machtkampfe auswich.

Der Antrag wurde vom Präsidium mit Stimmenmehrheit abgelehnt. Für die Abänderung des Genossen Pieck stimmten vom Präsidium Radek und Klara Zetkin, von der Gesamtzahl der Anwesenden stimmten 11 dafür und 18 dagegen.

Der zweite Ergänzungsvorschlag des Genossen Pieck lautete folgendermaßen:

Die in der K.P.D. vorhandene Opposition hat durch ihre Tätigkeit zweifellos die Aufmerksamkeit für die opportunistischen Gefahren geschärft, sie war jedoch nicht imstande, der Partei eine Politik vorzuschlagen, durch die besser als bisher breite Arbeitermassen für den Kommunismus gewonnen und in revolutionäre Massenkämpfe geführt werden könnten.

Auch dieser Antrag wurde abgelehnt gegen die Stimmen der Genossen Radek und Zetkin (von der Gesamtzahl der Anwesenden wären 10 dafür, die übrigen dagegen).

Ein Zusatzantrag des Genossen Warski über die Einheitsfront wurde abgelehnt.

Bei der Abstimmung über die gesamte Resolution wurde diese vom Präsidium gegen die Stimmen der Genossen Radek und Zetkin angenommen. Der Vertreter der Kommunistischen Jugend-Internationale stimmte dafür. Von den deutschen Genossen stimmten dafür: Remmele, Koenen, Fischer, Maslow, Hesse, Thälmann, König; dagegen: Brandler, Pieck, Walcher, Jannack, Hammer, Eisenberger.

Zu seiner Schlußsitzung versammelte sich das Präsidium am 21. Januar. Die vorgelegte Organisationsresolution und die Thesen zur Gewerkschaftsfrage wurden einstimmig angenommen. Nur Genosse Hesse enthielt sich der Stimme zu den Gewerkschaftsthesen.

Bei der Abstimmung über die Instruktion für die Organisation der Betriebszellen in Deutschland stimmten die Genossen Maslow, Fischer, Hesse, König und Thälmann zuerst gegen den 4. Punkt, aber in der Gesamtabstimmung wurden auch diese Instruktionen einstimmig angenommen.

Hierauf nahm Genosse Sinowjew das Wort zu einer Schlußerklärung. Ihm folgten Erklärungen einer Reihe anderer Genossen.

Genosse Sinowjew: Genossen, wir sind am Ende der ganzen Sache. Vielleicht wäre es zweckmäßig, jetzt, wo wir die Gesamtarbeit vor uns haben ‑ also nicht nur die politische Resolution, sondern auch die Gewerkschafts-, die organisatorische Resolution ‑, noch eine summarische Abstimmung vorzunehmen, das ganze Ergebnis der Beratungen zur Abstimmung zu stellen. Ich bin der Meinung, daß das zweckmäßig wäre. Ich möchte nur noch vorher ganz kurz einige Worte sagen.

Ich glaube, Genossen, die wichtigste Frage ist, ob wir vor einer absteigenden Welle stehen oder vor einer aufsteigenden. Gewiß, es ist noch unklar, niemand wird Prophet sein wollen in dieser Lage. Man kann sich dabei leicht irren. Vorbereiten müssen wir uns auf die schlechte Perspektive. Und ich glaube, all unsere Beschlüsse sind eben darum richtig, weil wir auch diese Perspektive im Auge gehabt haben.

Die Resolution hat in manchen Fragen schon volle Klarheit geschaffen, in manchen noch nicht ganz. Z. B. in der Frage der Einheitsfront glaube ich, daß wir schon genügend Klarheit durch sie geschaffen haben. In anderen Fragen, speziell in der Frage der Oktoberkrise, konnten wir noch keine volle Klarheit schaffen. Man sieht jetzt klarer als vor einem Monat, in drei Monaten wird man noch klarer sehen. Die Geister sind aufeinandergeplatzt in der Frage, ob der Rückzug absolut notwendig war oder nicht, ob er sich ergab aus der wirklichen Lage, oder ob er eine Schuld war. Ich verstehe schon, daß in der gegebenen Lage hier die Geister aufeinanderprallen müssen. Aber ich glaube, in unserer Resolution ist auch schon klar gesagt, was zu sagen war. Nicht nur infolge von Fehlern und Schwächen der Partei, sondern auch infolge der Schwäche der Arbeiterklasse war der Rückzug absolut notwendig. Selbstverständlich wird es eine Anzahl von Arbeitern geben, die immer sagen werden: man hat den Moment verpaßt. Was den Fraktionskampf anbetrifft, ‑  ganz ehrlich gesprochen, weiß ich nicht, ob wir ihn beigelegt haben, oder ob jetzt ein neuer Brand auflodern wird. Ich habe in unserer Parteileitung oft gesehen: man beschließt einstimmig eine Resolution, und dann fängt es an, erst wirklich zu kriseln, und es beginnen Fraktionskämpfe. Ich wünsche aufrichtig, daß das in diesem Falle nicht geschehen möge. Alle Richtungen haben zugelernt, auch die Linke hat manches zuzulernen und manches zugelernt. Was ihre starke Seite war, hat man hier erkannt. Ich glaube nicht, daß die Linke sich so einstellen wird. Wenn jetzt ein Fraktionskampf wirklich kommt, glaube ich, wird in der Lage, die wir jetzt in Deutschland haben, keine Fraktion davon Nutzen haben. Die Arbeitermassen ‑ und wir sind doch eine Massenpartei ‑ wollen jetzt keinen Fraktionskampf haben, Sie sind zu deprimiert durch diesen Rückschlag, die Lage ist zu schwer. Was man jetzt wünscht, ist, nach Anerkennung der Fehler aller Richtungen das, was wir hier als Internationale herausgefunden haben, möglichst schnell im praktischen Leben zu. verwerten.

Also will ich nicht prophezeien, ob der Kampf wirklich beigelegt ist. Nur eins ist klar. Die Fraktion, die ihn jetzt anfängt, wird auch vom fraktionellen Standpunkt aus keinen Vorteil haben.

(Sehr richtig!)

Wir haben hier eine Umstellung gegen rechts vorgenommen, gegen Überreste der Sozialdemokratie in der deutschen Partei. Wir suchen auf diese Weise die Partei zusammenzureißen, wie Ihr es nennt. Nun von den Worten zu den Taten. Wir werden die Sache aufmerksam verfolgen, werden glücklich sein, wenn wir keine Notwendigkeit haben, vor dem Parteitag einzugreifen. Besonders in der Zusammensetzung der Zentrale möchten wir wirklich sehen, was die Partei selbst beschließt. Sie soll sich einmal selbst eine Zentrale geben. Das Material, für eine ganz gute Zentrale habt Ihr. Aber selbstverständlich, wenn es nicht geht, so zwar ungern, aber eingreifen werden wir schon. Die ganze Verantwortung werden wir übernehmen, um der Arbeiterklasse Deutschlands einen Richtungskampf zu ersparen. Die Sozialdemokratie ist historisch verloren, ich glaube, das ist ganz klar, in ganz kurzer Zeit. Aber wenn es bei uns wirklich noch einmal anfängt zu kriseln, so würden wir ihr frisches Blut zuführen.

Also, Genossen, wenn Sie es für nützlich halten, so werde ich eine summarische Abstimmung vornehmen.

Bei der Publizierung der politischen Resolution werde ich mir erlauben, eine ganz kurze Einleitung zu schreiben.

Genossin Zetkin: Ich habe im Namen aller Mitglieder der Mehrheitsdelegation eine Erklärung abzugeben.

Wenn eine Abstimmung über die Gesamtarbeit der Kommission hier erfolgt, so sind wir bereit, den drei Thesen zusammen als Ganzes unsere Zustimmung zu geben. Bestimmend für uns ist die Tatsache, daß in den beiden Resolutionen zur Gewerkschaftsfrage und zur Organisationsfrage unsere Auffassung, der Standpunkt der Mehrheit der Partei durchaus zum Ausdruck gekommen ist. Ferner die Erklärung, die Genosse Sinowjew hier abgegeben hat, eine Einleitung zu den Thesen schreiben zu wollen, in der zum Ausdruck kommen soll, wie seiner Meinung nach die Situation ist. Nach seiner Erklärung würde diese Einleitung unserer Auffassung in zwei wichtigen Punkten entgegenkommen. Nämlich durch die Feststellung, daß nach Gen. Sinowjews wiederholt geäußerter Meinung der Rückzug notwendig war, zweitens, daß auch auf der Seite der sog. linken Opposition Fehler begangen worden und große Mängel vorhanden sind. Aus den angeführten Gründen sind wir, wie gesagt, bereit, bei der Gesamtabstimmung dem Gesamtwerk der Kommission zuzustimmen. Selbstverständlich aber, indem wir betreffs der politischen Thesen alle unsere Bedenken aufrechterhalten.

Weshalb haben wir gegen die politische Resolution gestimmt und lehnen sie heute noch ab? Wir sind von der Auffassung geleitet, daß die scharfen Kämpfe, denen die Kommunistische Partei entgegengeht, nicht nur die vollste geschlossene Einheit der Partei verlangen, sondern auch ihre größte Einheitlichkeit und Festigkeit in der Durchführung einer einheitlichen politischen Linie. Wir sind der Ansicht, daß die politischen Thesen nicht die Voraussetzung solcher Festigkeit und Einheitlichkeit schaffen. Und das aus diesem Grunde. In sehr wichtigen Streitfragen, die durch die Oktoberereignisse aufgerollt worden sind, werden die Meinungen durch die Thesen nicht geklärt, sondern nur durch allgemeine Redewendungen und Phrasen verschleiert. Daher haben wir Bedenken, diesen Thesen zuzustimmen.

Einige Punkte, auf die sich unsere Wertung der Thesen im einzelnen stützt, will ich hier kurz hervorheben.

Unserer Auffassung nach sind die Ursachen, die den Rückzug herbeigeführt haben, nicht vollständig genug und zum Teil auch nicht richtig und klar angegeben. Das "sächsische Experiment" ist nicht genügend klar herausgestellt worden, nicht nur nach all den Ursachen, die es von vornherein zu einem Fehlschlag machen mußten, sondern auch betreffs der wirklichen Fehler, die dabei vorgekommen sind, und betreffs der Auswirkungen des Experiments als Ganzes nach allen Seiten hin. Wir bemängeln an den Thesen weiter, wie schon durch die von uns gestellten Verbesserungsanträge hervorgehoben worden ist, daß die Thesen von dem Rückzug nur nach dem Muster alter Chronisten sagen: "Es ergab sich". Genau so, wie in Chroniken erzählt wird: "Es ergab sich einmal, daß ein Mann zwischen Mittag und Morgen und so weiter".

Aber die Thesen schweigen sich aus über das Wichtigste, die große Streitfrage: war der Rückzug im Interesse der Partei nötig, oder hätte unter allen Umständen der Kampf aufgenommen werden müssen? Diese Frage berühren sie nicht einmal. Wir beanstanden ferner, daß die Thesen sich nicht über die Art der Massenaktionen aussprechen, die meiner persönlichen Meinung nach nicht nur möglich, sondern notwendig gewesen wären. Weiter bemängeln wir an den Thesen, daß in der Frage der Einheitsfront zwar jene scharfe Orientierung gegeben worden ist, die schon der Zentralausschuß in seiner Resolution sehr klar formuliert hat. Nämlich Einheitsfront von unten auf, ohne jedes Vorhandeln [Verhandeln] mit den rechten wie linken Führern der Sozialdemokratie. Jedoch in der vorliegenden Formulierung finden wir eine gewisse Enge und Starrheit, die bewirken kann, daß wir nicht allen konkreten Umständen gerecht werden. Wir wenden uns ebenfalls dagegen, daß in den Thesen nicht ein einziges kritisches Wort über die Fehler, die falschen Einstellungen der sogenannten linken Opposition geäußert wird.

Warum bemängeln wir das alles?

Weil unserer Auffassung nach in der Folge die politischen Thesen zwei schwere Gefahrenquellen bilden. Einmal, daß die Parteidiskussion über die umstrittenen Fragen durch die Annahme der Thesen nicht beendet wird, sondern weitergeht; zweitens weil die verschiedenen Sektionen der Kommunistischen Internationale durch diese Thesen kein vollständiges und kein ganz richtiges Bild über die Oktoberereignisse erhalten, über ihre Auswirkungen nach allen Seiten hin und ihre Lehren. Wir erwarten deshalb, Genossen und Genossinnen, ich spreche das offen aus, daß die Sitzung der Erweiterten Exekutive sich mit diesem wichtigen Problem befassen wird, das ja kein anderes ist als die Vorbereitung, Organisation und Durchführung des bewaffneten Aufstandes und wichtiger einzelner Maßnahmen dafür. Wir nehmen als sicher an, daß die Sitzung der Erweiterten Exekutive sich mit dieser bedeutsamen Frage beschäftigen wird, die eine Frage aller kommunistischen Sektionen unserer Internationale ist. Wir hoffen, daß sie die politischen Thesen in manchen Punkten revidieren wird, was ihr nach der weiteren Klärung der Situation und der Streitfragen viel leichter fallen wird als unserer gegenwärtigen Tagung.

Genossen und Genossinnen, obgleich wir unsere Bedenken gegen die politischen Thesen voll aufrecht halten und in einer schriftlichen Erklärung, wie wir schon mitgeteilt haben, begründen werden, weshalb wir die politischen Thesen abgelehnt haben, werden wir doch bei der Gesamtabstimmung alle Thesen als Ganzes annehmen. Das aus der Überzeugung heraus, wie außerordentlich notwendig es ist, daß die Partei ideologisch und organisatorisch ein fest gefügter starker Block sei, ein Block von Granit, an dem sich unsere Gegner die Zähne ausbeißen. Wir brauchen Einheit, Einheitlichkeit und Geschlossenheit. Ich kann versichern, trotz unserer abweichenden Meinungen in einzelnen Fragen sind wir unsererseits bereit, die strengste Disziplin zu halten und die Zentrale bei allen Bemühungen zu unterstützen, die Partei einheitlich und geschlossen auf eine klare politische Linie zu stellen. Wir halten es für unerläßlich, daß die Kommunistische Partei in der Agitation, der Propaganda und bei ihren Aktionen das schärfste, klarste Gesicht als Kommunistische Partei zeigt. Gewiß, es ist notwendig, daß wir jede Spaltung, jede Differenz innerhalb des bürgerlichen Lagers ausnützen, nicht nur, um uns Bundesgenossen zu schaffen, sondern auch um Gärung, Zersplitterung in die Reihen der Feinde zu tragen und den staatlichen Machtapparat um so schneller zu zerrütten und zu schwächen. Wir sind daher von der Überzeugung erfüllt, daß die Kommunistische Partei als Volkstribun unter den Massen, aller Bevölkerungsschichten stehen muß, deren Interessen in steigenden Gegensatz zu der Bourgeoisie und ihren Staat geraten, aber daß sie nun und nimmer zur Volkspartei im üblen und üblichen Sinne des Wortes werden darf. Je mehr sie unter den Massen steht, um so mehr muß sie organisatorisch und ideologisch eine festgefügte, streng Kommunistische Partei sein. Wenn sie sich verleiten lassen würde, ihr kommunistisches herbes und vielleicht für bürgerliche Schichten abstoßendes Angesicht zu verschleiern, zu schminken, es mit reformistischem Puder zu übertünchen, so würde sie immer mehr von ihrer Kraft verlieren, die Massen zu wecken, zu sammeln und vertrauensvoll unter ihrer Führung zum Kampfe zu bringen.

Weil wir der Ansicht sind, daß mehr wie je im Kampfe die Losung gelten muß: die Massen werden es schaffen, nicht Parteiaktionen allein ‑ so wertvoll, so unentbehrlich sie auch sind ‑, sie können niemals Massenaktionen ersetzen, weil wir durchdrungen sind vom Bewußtsein der gewaltigen, welterschütternden und welterneuernden Macht der Massenaktionen, Massenaktionen, befeuert durch die höchste Aktivität der Partei als der Führer der Massen ‑ aus diesem Grunde, zu diesem Ziel geben wir bei der Gesamtabstimmung unsere Stimme für die Gesamtarbeit der Sitzung ab.

Gen. Lauer (Polen): Wir werden für die ganzen Resolutionen stimmen. Wir werden später eine schriftliche Erklärung zu Protokoll geben.

Gen. Mastow: Aus der Rede der Genossin Zetkin ist mir manches klar und manches unklar geworden. Es ergab sich, daß einmal ein Mann zwischen Mittag und Morgen gegen die Resolution stimmte und aus bestimmten Gründen jetzt für die Resolution stimmt. Das kommt vor. Als Gründe gibt Genossin Zetkin an: neue Tatbestände. Sind gar keine vorhanden, die Resolution ist genau die wie sie war. Zweiter Grund: es wurde gesagt, Genosse Sinowjew würde eine Vorrede zu dem Material schreiben, und dieserhalb würde man für die Resolution stimmen. Ich nehme das zur Kenntnis, möchte aber den Genossen Sinowjew fragen, ob es den Genossen gestattet ist, prinzipiell für eine Resolution zu stimmen, die sie abgelehnt haben.

Gen. Remmele: Die Genossen in Deutschland, die mich und Koenen entsandt haben, sind der Meinung, daß der Entwurf des Genossen Sinowjew in der Frage der Einheitsfront eine so klare und eindeutige Linie gezogen hat, daß er unter allen Umständen in dieser Frage aufrechterhalten werden muß. Sie wenden sich dagegen, daß in den späteren Thesen, die unter unserer Mitarbeit zustande gekommen sind, diese klare Linie nicht mehr so bestand.

Diese Genossen in Deutschland haben sich mit zwei Problemen beschäftigt, mit dem russischen und mit dem deutschen, und sie sind zu der Auffassung gekommen, daß sowohl in dem russischen wie in dem deutschen die Einstellung des russischen Z.K. richtig war, und sie unterstützen diese. Aus diesem Grunde wurde Genosse G. herübergeschickt, diese Linie ganz wesentlich zu unterstützen und zu unterstreichen.

Das, was hier als Grundlage angenommen worden ist, als Linie sowohl vom russischen Z.K. wie von der Exekutive, diese Wendung nach links, werden wir mit aller .Kraft nunmehr durch die Betätigung, die wir bereits eingeleitet haben, durch die Parteidiskussion, durch vollständige Klärung mit allen Kräften in Deutschland durchführen.

Gen. Radek: Wir sind als Exekutive nach außen immer einig aufgetreten. Darum stimme ich bei der Gesamtabstimmung en bloc für die Beschlüsse der Exekutive. Genosse Sinowjew hat gesagt, in drei Monaten sehen wir vielleicht die Dinge anders. Das nehme ich für mich in Anspruch. Nach außen halte ich es für eine Pflicht, in den deutschen Dingen die Arbeit der Partei nicht zu erschweren. Und darum stimme ich en bloc dafür.

Gen. G.: Ich muß offen sagen, daß in der Partei jetzt sehr ernst zu allen diesen Fragen Stellung genommen wird. Und zwar, nicht nur unter den Funktionären, man nimmt Stellung in den Mitgliederkreisen. Und als wir gestern in der Kommission über die Frage des Parteitags gesprochen haben, haben wir uns das nicht so vorgestellt, daß man etwa die Diskussion abwürgen soll. Es ist zweifellos, daß die deutsche Partei nur dann in der Revolution siegen kann, wenn sie rücksichtslos alle Fragen klärt. Aber es ist auch eine Tatsache, daß heute noch eine Gefahr besteht, daß trotz aller Beschlüsse und trotz der sehr nützlichen Auseinandersetzungen wir in Deutschland doch solche Auseinandersetzungen bekommen, welche uns nicht vorwärts, sondern zurück führen. Die Differenzen in der Partei sind geblieben. Die große Mehrheit der Partei steht auf dem Standpunkt dessen, was man hier Zentrum nennt. Das Zentrum ist unlängst entstanden. Die Genossen hier sind oft und manchmal von ihrem Standpunkt abgewichen. Sie haben sich kristallisiert im Laufe der letzten Wochen. Und es ist kein Zufall, daß in Deutschland alle Genossen der Zentrale, alle Oberleiter, welche auf diesem Standpunkt stehen,  viel konsequenter Stellung zu den Thesen genommen haben, als es der Fall in Moskau war. Es ist eine Tatsache, daß keine Schwankung in dieser Frage war. Die Thesen Radeks und Brandlers wurden abgelehnt. Wir haben die Resolutionen Sinowjews geprüft. Wir hatten Bedenken in drei Punkten; sie sind sachlicher, aber nicht grundsätzlicher Natur.

Die erste Frage war die Frage der Oktoberereignisse. Sie steht in Deutschland viel schärfer als hier. Das ist dort die unmittelbare Frage, die man erklären muß. Wir können nicht jedem Funktionär erklären, wie Genosse Sinowjew es heute hier getan hat: wir können in drei Monaten mehr und in sechs Monaten noch mehr wissen und sagen. Der Funktionär will das heute hören. Der zweite Punkt: wir wollten, in der sächsischen Frage soll gesagt werden, was als parlamentarische Geschichte sich aus der bisherigen Einstellung ergeben hat.

Drittens: die Gewerkschaftsfrage in Verbindung mit der Einheitsfront. Hier ist angenommen, was wir im wesentlichen wollten. Das sind die Fragen, die zur Diskussion standen. In allen anderen Fragen waren wir einverstanden. Den Teil über die S.P.D. fanden wir sehr gut. Es ist doch ganz klar, daß die Mehrheit der Partei diese Stellung zur S.P:D. teilte ohne jede Schwenkung, und daß nicht von diesem Standpunkt aus Gefahren bestehen.

Wenn alle drei Gruppen nach Deutschland gehen mit dem guten Willen und Verstand, daß die deutsche Partei wie Brot und Luft eine Linksschwenkung haben muß.

(Radek: Sehr richtig!) (Brandler: Sehr richtig!) (Radek; Brandler sagt, sehr richtig!)

Daß die Thesen bei Sinowjew korrekt formuliert und eine Grundlage zum Kampf sind, wenn sie nicht als Fraktion, Schattierungen und Gruppierungen handeln, wenn alle Gruppierungen bereit sind, auf Grund neuer Tatsachen neue Einstellungen anzunehmen, und wenn wir wirklich verstehen, die Partei politisch zur Höhe zu heben, dann, glaube ich, werden die Ergebnisse der Moskauer Beratungen uns vorwärts bringen.

Die nun durchgeführte Gesamtabstimmung über alle Resolutionen ergab Einstimmigkeit dafür, ohne Gegenstimme und Enthaltungen.

VII.
Dokumente.

Erklärung der Minderheit

Im Hinblick auf die bei Arbeit und Kampf zu sichernde Einheit, Einheitlichkeit und Festigkeit der K.P.D. haben die Unterzeichneten sich verpflichtet gefühlt, gegen die politische Thesen des E.K. über die Lehren der Oktober-Ereignisse in Deutschland zu stimmen.

Die Grundlage zur Einheit, Einheitlichkeit und Festigkeit der Partei muß vollständige Klarheit der Einstellung zu den umstrittenen Fragen sein, die durch die Oktober-Ereignisse aufgerollt worden sind. Die klare, scharfe Erkenntnis der von der Partei begangenen Fehler und gezeigten Mängel, ihrer Gründe und ihrer Auswirkung ist unerläßliche Voraussetzung dafür, daß die Partei Fehler und Mängel überwindet und bestmöglich gerüstet, als Führerin des revolutionären Proletariats den künftigen entscheidenden Kämpfen entgegengeht. Die politischen Thesen lassen eine nicht auslegbare Klarheit und Bestimmtheit vermissen. Sie haben die gegensätzlichen Meinungen darüber nicht geklärt und damit nicht überwunden, sondern nur durch dehnbare Redewendungen verschleiert, so daß sie Ausdeutungen Tür und Tor öffnen. Wir erblicken schwere Mängel der politischen Thesen vor allem in diesem:

Sie geben eine unvollkommene und zum Teil unrichtige Darstellung der Ursachen, die zur Oktober-Niederlage geführt haben.

Sie stellen weder genügend fest, weshalb das "sächsische Experiment" ein Fehlschlag werden mußte, noch welches die dabei begangenen wirklichen Fehler waren, und welches die Wirkung des Experiments als Ganzes sind.

Sie enthalten keine unzweideutige Entscheidung darüber, ob es unter den vorliegenden Umständen richtig war, daß die Partei den bewaffneten Machtkampf nicht aufnahm. Sie äußern sich nicht zu der Frage, durch welche Massenaktionen die Partei ihren Rückzug decken konnte.

Sie enthalten nicht die nötige Kritik der Fehler und Mängel der Politik, die von der sogenannten "linken Parteiopposition" betrieben wird, und erschweren dadurch außerordentlich die Abkehr der Opposition von ihren Fehlern, wie die Zusammenarbeit der Parteimehrheit mit der Opposition.

Die politischen Thesen sind in der Folge nicht geeignet, die Auseinandersetzungen in der K.P.D. zu beenden, und sie vermitteln den Sektionen der K.I. kein zutreffendes Bild von den Oktober-Ereignissen, ihren Auswirkungen und ihren Lehren.

Die Unterzeichneten erwarten deshalb, daß die Erweiterte Exekutivesitzung sich mit den Oktober-Ereignissen und ihren Lehren beschäftigen und die angenommenen Thesen revidieren wird.

Die angenommenen Thesen zur Gewerkschafts- und Organisationsfrage entsprechen dagegen der Auffassung der Mehrheit in der Partei und der Zentrale. Die Unterzeichneten konnten ihnen ihre Zustimmung geben.

Obgleich die Unterzeichneten ihre oben dargelegten ernsten Bedenken den politischen Thesen gegenüber aufrecht halten, haben sie doch in der Gesamtabstimmung über die drei Thesen zur deutschen Frage den Beschlüssen der Exekutive als Ganzes zugestimmt, weil die angenommenen Thesen zur Gewerkschafts- und Organisationsfrage für die praktische Arbeit der Partei von entscheidender Bedeutung sind. Die Unterzeichneten werden dabei von der Überzeugung geleitet, daß die K.P.D. angesichts der bevorstehenden schweren Kämpfe des Proletariats gegen den Faschismus der Einheit in der Leitung und in der Mitgliedschaft auf das dringendste bedarf. Sie kann in diesen Kämpfen nur bestehen als revolutionäre Führerin der Arbeiterklasse und aller Bevölkerungsschichten, deren Interessen in schroffstem Widerspruch zu denen der Bourgeoisie geraten, wenn sie in Agitation, Propaganda und Aktion einheitlich und geschlossen in klarster schärfster Weise als einige Kommunistische Partei auftritt, die höchste revolutionäre Aktivität entfaltet, um höchste Aktivität der Massen für den Kampf um die Macht und die Aufrichtung der proletarischen Diktatur wirksam [zu] machen.

Die Unterzeichneten erachten es für ihre selbstverständliche Pflicht wie für die Pflicht aller Genossen, die ihre Auffassung teilen, eiserne Disziplin zu halten und der Leitung zu helfen, die Partei und die Arbeitermassen für die kommenden Kämpfe in tatkräftiger Entschlossenheit zu mobilisieren. Die noch vorhandenen Gegensätze in der Partei müssen auf dem Boden der Parteiorganisationen und ohne Fraktionsbildung ausgetragen werden, und es ist Gebot der Stunde, die geschlossene Zusammenarbeit aller Parteigenossen schnellstens herbeizuführen. Diesem Ziel soll unsere Zustimmung zu dem Gesamtergebnis der Beratungen dienen.

Zetkin. Pieck. Jannack. Walcher. Brandler. Hammer. Eisenberger.

Erklärung der Polnischen Delegation

Wir haben für die politischen Thesen gestimmt, hauptsächlich deshalb, weil sie grundsätzlich an der bisherigen Taktik der Komintern festhalten, mit der die sogenannte Linke in Deutschland radikal brechen wollte. Wir konnten ihnen um so eher zustimmen, da sie durch richtige Thesen in der Organisations- und Gewerkschaftsfrage ergänzt wurden, die für die wichtigsten praktischen Fragen ausschlaggebend sind. Dennoch sind wir uns dessen bewußt, daß die politischen Thesen nicht frei sind von Unklarheiten und besonders von ganz falscher Verteilung der Verantwortlichkeit für die begangenen Fehler. Ein Teil der Verantwortlichkeit für die Oktober-Ereignisse muß nämlich auf das E.K. fallen, das die Situation zu optimistisch beurteilte und den deutschen Genossen einseitige Direktiven gab, ohne eine Rückzugslinie vorzusehen.

Es unterliegt für uns keinen Zweifel, daß die sog. Rechte (Klara Zetkin, Brandler, Thalheimer, Walcher, Pieck usw.), deren Fehler und Unterlassungen so ausgiebig und teilweise mit Recht in den Thesen kritisiert werden, den ältesten, am meisten erprobten und am meisten erfahrenen Kerntrupp der Partei bilden. Gegen diese alte Garde der Partei wird seitens der Linken seit je eine permanente Führerhetze getrieben, die kraß dem Geist des Bolschewismus widerspricht und immer demagogisch-anarchistischer Art war. Wir glauben, daß die Diskreditierung dieser Gruppe in den Augen des deutschen Proletariats einen schweren Schlag für die K.P.D. bedeuten würde. Es muß in der K.P.D. im Gegenteil der Grundsatz Lenins zur Geltung kommen:

Keine revolutionäre Bewegung kann dauernd sein, ohne eine stabile und den Zusammenhang in der Zeit wahrende Organisation der Führer. Je breiter die Masse, die elementar in den Kampf eingezogen wird und die die Basis der Bewegung bildet, desto dringlicher ist die Notwendigkeit einer solchen Organisation und desto fester muß sie sein.

Darum war es die Pflicht der Exekutive, indem sie die begangenen Fehler kritisierte, sich gleichzeitig gegen die Führerhetze zu wenden, die jetzt nach den Oktoberereignissen mit verdoppelter Kraft eingesetzt hat und die Führer, die den Rückzug angeordnet haben, als Verräter stempelt. Die Unvermeidlichkeit des Rückzugs in der gegebenen Situation ist vom Präsidenten des E.K in seinem Schlußwort im Präsidium zugegeben worden. Wir vermissen dieselbe Erklärung in den für die Öffentlichkeit bestimmten Thesen, eine Erklärung, die der unverantwortlichen Hetze Einhalt tun könnte.

Wir begrüßen jeden Schritt, der zur tatsächlichen Beseitigung der bisherigen Spaltung zwischen den Organisationen von Berlin-Wasserkante usw. einerseits, Merseburg-HalIe, Sachsen, Thüringen usw. andererseits führt. Aber wir müssen offen erklären, daß dieser Schritt nicht in äußerlichen Abmachungen zwischen Führern bestehen kann, und daß dieses erwünschte Ziel nur durch Aufstellung einer klaren taktischen Linie der Komintern erreicht werden kann, die nicht nur bestrebt ist, mit den Mängeln und Fehlern der sog. Rechten, sondern auch mit den Kinderkrankheiten der sogenannten Linken gründlich aufzuräumen.

Der zweite Punkt, der mehr international, aber mit den Schicksalen der deutschen Partei direkt verbunden ist, ist die Gefahr, die aus der Krisis der Autorität sowohl der K.I. als der K.P.D. entsteht.

Seitdem Lenin, der größte und autoritative Führer des revolutionären Weltproletariats, an der Leitung der K.I. keinen Anteil nimmt, seitdem die Autorität Trotzkis, eines vom revolutionären Weltproletariat anerkannten Führers, vom russischen Z.K. in Frage gestellt wurde, entsteht die Gefahr, daß die Autorität der Leitung der K.I. erschüttert werden kann.

Es ist darum unsere gemeinsame Pflicht, uns nicht nur für die Autorität des E.K. und seines Präsidiums mit ganzer Kraft einzusetzen, sondern Schritte zu vermeiden, die diese Aufgabe erschweren.

In dieser Lage betrachten wir die Anklage des Opportunismus, die gegen Radek, einen der verdienstvollsten Führer der K.I. erhoben wurde, nicht nur als unrichtig, sondern auch als in höchstem Grade schädlich für die Autorität aller Führer der K.I. Wir sehen keinen Grund für eine solche Anklage, denn mag auch die Frage, wer in Deutschland im Oktober gesiegt hat, von sehr weitgehender Bedeutung sein, es steht fest, daß von keiner Seite opportunistische taktische Schlüsse gezogen worden sind. Die Meinungsverschiedenheiten, die zwischen den bekanntesten Führern der K.I. in der Beurteilung der deutschen Frage entstanden sind, sind solcher Art, wie sie in einer lebendigen revolutionären Partei, besonders in einer solchen schweren Lage, unvermeidlich sind, und wie sie auch in der Vergangenheit in der Leitung des E.K. vorgekommen sind, ohne gegenseitige Anschuldigungen des Opportunismus hervorzurufen.

Wir weigern uns, darin Keime von dem Kommunismus fremden Störungen zu erblicken.

Angesichts dessen, daß in den letzten Präsidiums-Sitzungen Genosse Sinowjew uns wiederholt angegriffen hat, ohne daß wir die Möglichkeit gehabt hätten, darauf zu antworten, sind wir gezwungen, dies jetzt schriftlich zu tun.

Was den Brief des polnischen Z.K. anbetrifft, erklären wir: dieser Brief, soweit er sich mit deutschen Dingen beschäftigt, nimmt in merito die gleiche Stellung ein, wie unsere Erklärung. Soweit die Fragen der russischen Partei in Fragen kommen, erklären wir: daß dieser angeblich weinerliche Brief (wie ihn Genosse Sinowjew genannt hat) vom russischen Z.K. dasjenige forderte, was das Z.K. selbst gezwungen war zu tun, nämlich, öffentlich zu erklären (am 18. Dezember), daß niemand den Gedanken zuläßt, Genosse Trotzki könnte aus den führenden Partei- und Staatsposten ausscheiden. Als das politische Z.K. eine solche öffentliche Erklärung vom russischen ZjK. forderte, wußte es nicht, daß dies bereits geschehen war.

Was die Vorwürfe des Genossen Sinowjew wegen unserer angeblichen fraktionellen Einstellung betrifft, erklären wir: Genosse Sinowjew sollte es wissen, daß wir selber in der polnischen Partei eifrig bemüht waren, bolschewistische Organisationsprinzipien einzuführen. Für die polnischen Genossen war es eine Selbstverständlichkeit, daß der Angriff des Genossen Trotzki auf den Parteiapparat einen schweren Fehler bedeutete.

Was die mehrmaligen Behauptungen des Genossen Sinowjew anbetrifft, wonach polnische Genossen an verschiedenen deutschen Kommissionen teilgenommen haben und dort ihren Auffassungen Ausdruck hätten geben können, erklären wir: ohne einen Teil der Verantwortung für die Oktoberbeschlüsse von uns abwälzen zu wollen, stellen wir fest, daß kein polnischer Genosse an einer deutschen Kommission teilgenommen hat. Ein einziges Mal ist der Genosse Warski in die Kommission gewählt worden, die den Novemberbrief an die deutsche Zentrale redigieren sollte, wurde aber nie zu ihren Sitzungen eingeladen und konnte an ihren Arbeiten keinen Anteil nehmen.

Moskau, den 21. Januar 1924.

i.A.: E. Prochniak.

Die polnische Delegation.

Resolution der Exekutive vom 19. Januar 1924

Das gegenwärtige Dokument, das von großer Bedeutung für die gesamte Komintern ist, wurde auf einer dieser Tage zu Ende gelangten Beratung des E.K.K.I. mit den Vertretern der Zentrale der K.P.D. ausgearbeitet.

In der Zentrale der K.P.D. hat eine ernste politische Umgruppierung der Kräfte auf Grund der durchgemachten politischen Krise stattgefunden. Es hat sich eine Rechte herauskristallisiert (Gen. Brandler), die aber in der Zentrale nur eine verschwindende Minderheit erhalten hat (2 Stimmen von 27). Ferner hat sich eine kompakte Richtung gebildet, die gegenwärtig der Kern der Partei ist (17 Stimmen in der Zentrale). Und schließlich gibt es die alte Linke, Berlin-Hamburg.

Das E.K.K.I. stellte sich auf den Standpunkt, daß im gegenwärtigen Augenblick eine volle Zusammenfassung des Grundkernes mit der Linken gegen die opportunistischen Fehler der Rechten notwendig sei. Der Anfang dieses Zusammenschlusses ist im vorliegenden Dokument erreicht, auf das sich unter Mitwirkung des E.K.K.I. diese beiden Strömungen, die 99 Proz. der gesamten K.P.D. darstellen, geeinigt haben.

Für diese Resolution stimmten alle in Moskau anwesenden Vertreter der K.I. (darunter auch die polnischen Kommunisten).

Im letzten Augenblick sind auch die Gesinnungsgenossen des Genossen Brandler mit Unterbreitung einer besonderen Deklaration im wesentlichen der Resolution beigetreten.

Das E.K.K.I. ist überzeugt, daß der Zusammenschluß des Grundkernes mit der Linken gegen die opportunistischen Fehler der Rechten der K.P.D. helfen wird, die großen Aufgaben, vor denen sie steht, richtig zu lösen. Jegliche Offenbarungen eines Fraktionsgeistes, von woher sie auch kommen mögen, wird das E.K.K.I. auf das Schonungsloseste verfolgen.

G. S.

Lehren der deutschen Ereignisse
(Resolution des E.K.K.I. vom 19. Januar 1924)

Die Ereignisse in Deutschland, Polen, Bulgarien, die sich vom Mai bis November 1923 abgespielt haben, bilden den Anfang eines neuen Kapitels in der Geschichte -der internationalen Bewegung.

In Deutschland trat der proletarische Klassenkampf im Zusammenhang mit der Entwicklung der Ruhrkrise aus der Phase der allmählichen Sammlung der revolutionären Kräfte in eine neue Phase, in der es sich um den Kampf um die Macht handelt.

Die geschichtliche Wendung, welche sich im August/September vollzog, und die im Laufe des Herbstes eingetretenen Ereignisse sind angesichts der weittragenden Bedeutung der deutschen revolutionären Bewegung von höchster Wichtigkeit für die Kommunistische Internationale. Die Lehren und Folgerungen aus den dabei gemachten Erfahrungen müssen deshalb von der gesamten Kommunistischen Internationale aufs gründlichste ausgewertet werden.

Da die taktische Bewertung dieser Ereignisse sich fest auf dem grundsätzlichen Boden der K.I. halten soll, will die Exekutive hier wieder einmal die in der gegenwärtigen Epoche sowohl grundsätzlich wie praktisch wichtigste taktische Methode der K.I., die Taktik der Einheitsfront, ganz konkret charakterisieren.

I. Taktik der Einheitsfront.

Auf dem 3. Weltkongreß der K.I. wurden die Aufgaben der K.P.D. im Zusammenhange mit der Niederlage im März 1921 besonders eingehend diskutiert und die Losung zusammengefaßt: "Heran die Massen!" Im Dezember desselben Jahres wurde die Methode der Eroberung der Massen konkretisiert durch die Beschlüsse der Exekutive über die Einheitsfronttaktik.

In Deutschland ging die K.P.D. sofort an eine ernsthafte Durchführurig der Einheitsfronttaktik. Die ganze objektive Lage in Deutschland begünstigte diese Taktik. Durch ihre Arbeit hat die Partei große Erfolge davongetragen, immer mehr Sympathien bei den Massen erworben und in die Reihen der Sozialdemokratie Zersetzung hineingebracht.

Eine Reihe unserer Sektionen hat nur langsam unter Überwindung vieler Widerstände und unter großen Fehlern die Einheitsfronttaktik anzuwenden begonnen. In Frankreich verstand im Jahre 1922 ein erheblicher Teil der Partei nicht den Sinn der Taktik der Einheitsfront und befürchtete aufrichtig, diese Taktik könne ein ideologisches Zugeständnis an die Sozialdemokratie bedeuten. In England verstand ein Teil der Genossen die Taktik der Einheitsfront so, daß er den falschen Schluß zog, als dürften die Kommunisten die opportunistische Arbeiterpartei im Parlament nicht kritisieren. In Finnland zog man Fehlschlüsse von ähnlichem Charakter. In Rumänien glaubte ein Teil der Genossen aufrichtig, die Taktik der Einheitsfront laufe auf die parlamentarische Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten hinaus. Die Kommunistische Partei Italiens beging lange Zeit einen Fehler entgegengesetzter Art und hielt sich von einer breiten Anwendung der Einheitsfronttaktik ab, aus Furcht, daß die programmatische und theoretische Einheit der kommunistischen Bewegung dadurch kompromittiert werden könnte.

Eine Reihe anderer Parteien faßten gleichzeitig diese Taktik zu mechanisch auf und dachten, es genüge, einmal im Monat den Sozialdemokraten einen schablonenhaften offenen Brief zu schreiben und ihn dann zu vergessen. Sie verstanden nicht, einen aktuellen politischen Kampf im Zusammenhang mit der Auswirkung der Taktik der Einheitsfront zu führen.

Die fehlerhafte Durchführung der Taktik der Einheitsfront, insbesondere im Anfang, in einer Reihe von Ländern, bedeutet aber nicht, daß die Taktik selbst falsch ist. Dieser Schluß wäre ebenso verkehrt wie die Ablehnung der revolutionären Ausnützung des Parlamentarismus, deshalb, weil einzelne Parlamentsfraktionen sie nur unter großen Fehlern zu lernen vermögen. Die Taktik der Einheitsfront an sich war und bleibt richtig, ungeachtet der gelegentlichen Fehler.

Die Taktik der Einheitsfront hat ihre starken Seiten und ihre Gefahren. Mögen wir auch im Oktober 1923 noch keine sichere Mehrheit im deutschen Proletariat gehabt haben, allein die Tatsache, daß die junge Kommunistische Partei sich im Herbst 1923 ernstlich die Frage stellen konnte, ob sie nicht schon eine sichere Mehrheit zur Machtergreifung hatte, beweist, daß die Taktik der Einheitsfront imstande ist, die wichtigste Voraussetzung der Machteroberung, die Gewinnung der Mehrheit des Proletariats für die proletarische Revolution zu schaffen. Wenn dabei auch die kommunistischen Parteien auch die Psychologie und die Stimmungen zurückgebliebener unter dem Einfluß der Sozialdemokratie stehender Massen zu berücksichtigen haben, so ist das nicht ein Beweis für die Unrichtigkeit der Taktik selbst, sondern lediglich eine Gefahrenquelle bei ihrer Anwendung.

Schon in den ersten Leitsätzen der Exekutive vom Dezember 1921[10] wurde nachdrücklichst auf die Gefahren hingewiesen, mit denen die Taktik der Einheitsfront verbunden ist:

Nicht alle kommunistischen Parteien sind genügend gefestigt und gekräftigt, nicht alle haben endgültig mit der zentristischen und halbzentristischen Ideologie gebrochen: Fälle von Überspannung nach der anderen Seite sind möglich, Tendenzen, die in Wirklichkeit die Auflösung der kommunistischen Parteien und Gruppen in einem formlosen Einheitsblock bedeuten würden. Soll die geplante Taktik mit Erfolg für die Sache des Kommunismus durchgeführt werden, so müssen die kommunistischen Parteien selbst, die diese Taktik anwenden, stark und gut zusammengefaßt sein, und ihre Führung muß sich durch Klarheit des Denkens auszeichnen.

Der 4. Weltkongreß wies gleichfalls auf die Gefahren hin, die sowohl die ganze Taktik der Einheitsfront, wie die besondere Losung der Arbeiterregierung in sich birgt. Der Kongreß erklärte[11]:

Um diese Gefahren zu vermeiden und jetzt schon den Kampf aufnehmen zu können mit den Illusionen von einer angeblich unvermeidlichen Etappe der "demokratischen Koalition", dürfen die kommunistischen Parteien folgendes nicht vergessen: "Jede bürgerliche Regierung ist zugleich auch eine kapitalistische Regierung, aber nicht jede Arbeiterregierung ist wirklich eine proletarisch-sozialistische Regierung!

Diese Warnungen der Komintern müssen gerade jetzt nach den deutschen Ereignissen in Erinnerung gebracht werden, da sogar die K.P.D., die nach der russischen Sektion reifste Partei der Internationale, große Fehler bei der Durchführung der Einheitsfronttaktik zugelassen hat.

Es ist notwendig, daß sich die Kommunisten in allen Ländern jetzt klar darüber Rechenschaft ablegen, was die Taktik der Einheitsfront ist, und was sie nicht ist. Sie ist eine Taktik der Revolution, nicht der Evolution. Wie die Arbeiter(und Bauern-)Regierung für uns kein festes, demokratisches Übergangsstadium sein kann, so ist auch die Taktik der Einheitsfront keine demokratische Koalition, kein Bündnis mit der Sozialdemokratie. Sie ist nur eine Methode der revolutionären Agitation und Mobilisierung. Alle anderen Auslegungen lehnen wir als opportunistisch ab.

Dies müssen wir klar im Auge behalten, nur dann hat für die K.I. die Taktik der Einheitsfront einen Sinn und kann dem Ziele dienen, das Gros des Proletariats für den revolutionären Machtkampf zu gewinnen.

Die Einheitsfronttaktik als Agitationsmethode unter breiten Arbeiterschichten paßt sich selbstverständlich einer bestimmten Epoche an, eben der Epoche, in der die Kommunisten fast aller für die Arbeiterbewegung entscheidenden Länder sich noch in der Minderheit befinden. Nach Maßgabe der Veränderung des konkreten Milieus wird man auch die Anwendung der Einheitsfronttaktik modifizieren müssen. Auch jetzt muß die Durchführung dieser Taktik in den verschiedenen Ländern verschieden sein. In dem Maße, in dem der Kampf stürmischer wird und mehr und mehr den Charakter des Entscheidungskampfes annimmt, werden wir noch mehr als einmal die Art der Anwendung der Einheitsfronttaktik in den einzelnen Ländern ändern müssen. Es wird die Zeit kommen, wo ganze, jetzt noch stark sozialdemokratische Parteien zusammenbrechen, oder, beim Beharren auf ihrem Verrat, wie Seifenblasen zerplatzen werden; wo ganze Schichten der sozialdemokratischen Arbeiter den Frontwechsel zu uns vollziehen. Die Taktik der Einheitsfront fördert und beschleunigt diesen Prozeß.

II. Die revolutionäre Krise in Deutschland.

Bald nach der Besetzung des Ruhrgebietes durch die französischen Heere hat die Exekutive der K.I. die Aufmerksamkeit aller Sektionen auf die kommende revolutionäre Krise gelenkt. Die internationalen Konferenzen in Essen und Frankfurt waren auch diesen Fragen gewidmet.

Daß in Deutschland eine neue revolutionäre Welle anzusteigen begann, signalisierten die großen Ruhrstreiks und Kämpfe im Mai/Juni, der oberschlesische Streik, der Metallarbeiterstreik in Berlin, die Kämpfe im Erzgebirge, im Vogtland und der politische Massenstreik im August 1923, der den Sturz der Cuno-Regierung brachte. Die rapide Zuspitzung der Lage äußerte sich in Teuerung, Geldentwertung, Inflation, unmäßigem Steuerdruck, Abbau des Parlamentarismus, verstärkter Offensive des Kapitals nach einer noch schwachen Offensive des Proletariats, in Lebensmittelknappheit, Lohnabbau, Abbau sozialer Errungenschaften der Arbeiterklasse, ferner im Wachsen der separatistischen und partikularistischen Bewegungen, im Wachsen der Verelendung des alten und des neuen Mittelstandes, im Schwinden des Einflusses der demokratischen Mittelparteien. Alle Lasten des Ruhrkrieges wurden auf das Proletariat und die immer mehr proletarisierten Mittelschichten abgewälzt. Die Zuspitzung der Klassengegensätze schritt mit dem Zerfall der von ihren Kraftzentren abgetrennten deutschen kapitalistischen Wirtschaft schnell vorwärts.

In vielen Provinzen zogen hungernde Massen bewaffnet aufs Land, um sich die notwendigen Lebensmittel zu holen. Breite Mittelschichten gerieten in Verzweiflungsstimmung und schwankten zwischen den beiden Polen, die einen Ausweg zeigten, den Kommunisten und den faschistischen Gruppen. In den Großstädten kam es immer wieder zu Plünderungen, zu Hungerdemonstrationen, zu Krawallen.

Die Klassenkräfte haben sich in Deutschland in den Monaten bis zum Winter 1923 fortwährend zugunsten der proletarischen Revolution verschoben. Die 18 bis 20 Millionen Proletarier standen vom Beginn der Ruhrbewegung an jeglicher nationalistischen Stimmung fern. Unter den 6 bis 7 Millionen städtischen Kleinbürgern und 4 bis 5 Millionen Kleinbauern, Siedlern und Pächtern ging eine tiefe Gärung vor sich.

Die demokratische Koalitionspolitik war offensichtlich bankrott. Die Sozialdemokratie, welche mit den demokratischen bürgerlichen Parteien die Regierungsgewalt geteilt hatte, mußte sich entscheiden, ob sie in einen festen Block mit den Vertretern der Schwerindustrie und des reaktionären Militärs gehen werde, was sie auch dann tatsächlich durchführte.

Die K.P.D. hatte und hat noch die Aufgabe, die Zeit der internationalen Verwicklung, die durch die Ruhrkrise entstanden ist, der inneren unerhört schweren Krise des deutschen Kapitalismus und der sich vollziehenden Liquidation der Ruhrkrise auszunützen zum Sturze der Bourgeoisie und zur Errichtung der proletarischen Diktatur.

Zu diesem Zweck sollte die Partei das Industrieproletariat zum Kampf gegen die deutsche Schwerindustrie und gegen den französischen Imperialismus mobilisieren, gleichzeitig aber die städtische und ländlichen Mittelschichten mindestens neutralisieren, nach Möglichkeit aber unter ihre Führung ziehen.

Die erste Aufgabe konnte nur gelöst werden, wenn es gelang, die Massen des Proletariats in ihrer Mehrheit aus der Einflußsphäre der Sozialdemokratie jeglicher Schattierung zu befreien und so zu organisieren, daß sie zum Kampf auf die Stellungen des Kapitalismus bereit waren.

Diese Aufgabe wurde nur ungenügend gelöst. Die Ursachen werden unten besonders erörtert.

Die zweite Aufgabe bedeutete im wesentlichen die Zerstörung des faschistischen Einflusses, Umbiegung der nationalistischen Stimmungen in den Willen, den Kampf gegen die deutschen Großkapitalisten und gegen den französischen Imperialismus im Bunde mit dem Proletariat zu führen. Diese Aufgabe wurde von der K.P.D. mit Erfolg in Angriff genommen, wie am besten der Antifaschistentag am 29. Juli 1923 zeigte. Breite Schichten der kleinbürgerlichen Bevölkerung sympathisierten damals bereits mit der K.P.D., der es gelungen war, die Heuchelei der "sozialen" Propaganda der Faschisten, ihre objektive Rolle als Helfer der die Nation verratenden Großbourgeoisie und die Gemeinsamkeit der Interessen von Proletariat und Kleinbürgertum in ziemlich hohem Grade diesen Schichten klarzumachen.

Die Zersetzung im Lager der Bourgeoisie wuchs während jeder Woche. Das Vertrauen zur K.P.D. wuchs ebenfalls. Es galt, dieses Vertrauen zu organisieren und alle Kräfte zum entscheidenden Schlag vorzubereiten.

Die K.P.D. wie die Exekutive der Komintern kamen in Beratungen mit den Vertretern der fünf größten Parteien im September zu dem Ergebnis, daß die revolutionäre Situation in Deutschland derart herangereift sei, daß der Entscheidungskampf nur eine Frage von wenigen Wochen sei.

Von diesem Zeitpunkte ab mobilisierte die Partei alle ihr zu Gebote stehenden .Kräfte und rüstete mit allen Mitteln zum Entscheidungskampf. Die Partei hat fieberhaft gearbeitet, um ihr letztes Mitglied zu anvisieren und für die Anforderungen des Kampfes zu wappnen. Um das gesamte Proletariat in die revolutionäre Kampffront einzureihen, hat die Partei überall die Bildung lokaler Aktionsausschüsse angeregt und unterstützt. Eine intensive Arbeit wurde unter den Eisenbahnern, Elektrizität-, Staats- und Gemeindearbeitern geleistet.

Die Exekutive der K.I. hat die gesamte Internationale, besonders aber die Sektionen der deutschen Nachbarländer und Sowjetrußland auf die nahende deutsche Revolution eingestellt und mit den einzelnen Sektionen ihre Aufgaben festgelegt.

III. Der Oktoberrückzug und seine Ursachen

Die K.P.D. war im Oktober trotz aller Schwächen bewußt auf den revolutionären Machtkampf eingestellt. Wenn es trotz der revolutionären Situation und trotz der Anstrengungen der K.I. und der K.P.D. weder zum revolutionären Entscheidungskampfe, noch zu politischen Massenkämpfen kam, so infolge einer Summe von Fehlern und Mängeln, die teilweise opportunistische Abweichungen enthielten.

Mängel in der Einschätzung der revolutionären Entwicklung

Die Reife der revolutionären Situation in Deutschland wurde von der Partei zu spät erkannt. Auch die Exekutive der K.I. hat nicht energisch genug auf die herannahende Entscheidung aufmerksam gemacht, so daß die wichtigsten Kampfmaßnahmen verspätet in Angriff genommen wurden. Schon mit Ablauf der vorigen Periode (Cuno-Regierung, Ruhreinmarsch) hätte die Machtfrage aufgerollt und die technische Vorbereitungsarbeit begonnen werden müssen. Die Partei hat nicht rechtzeitig die Bedeutung der Massenkämpfe im Ruhrgebiet und in Oberschlesien als Zeichen des gestärkten Kraftbewußtseins und der wachsenden politischen Aktivität der Arbeitermassen erkannt und erst nach dem Cuno-Streik die notwendige Umstellung begonnen.

Taktische Fehler

Die Aufgabe, die zahlreichen Einzelaktionen von Juni bis September zu steigern, zu verbreitern und auf politische Losungen zuzuspitzen, wurde nicht erfüllt.

Nach dem Cuno-Streik wurde der Fehler gemacht, elementare Bewegungen bis zum Entscheidungskampfe verschieben zu wollen.

Einer der schwersten Fehler war es, daß die instinktive Rebellion der Massen nicht durch Einstellung auf politische Ziele systematisch in bewußt revolutionären Kampfeswillen verwandelt wurde.

Die Partei versäumte es, energische, lebendige Agitation für die Aufgaben der politischen Arbeiterräte durchzuführen, Übergangsforderungen und Teilkämpfe aufs engste mit dem Endziel, der Diktatur des Proletariats, zu verbinden. Die Vernachlässigung der Betriebsrätebewegung machte es auch unmöglich, die Betriebsräte zeitweilig die Rolle der Arbeiterräte übernehmen zu lassen, so daß es in den entscheidenden Tagen an einem autoritativen Zentrum fehlte, um das sich die schwankenden Arbeitermassen hätten sammeln können, die dem Einfluß der S.P.D. entzogen worden waren.

Da auch andere Einheitsfrontorgane (Aktionsausschüsse, Kontrollausschusse, Kampfkomitees) nicht planmäßig ausgenutzt wurden, um den Kampf politisch vorzubereiten, so wurde der Kampf fast nur als Parteisache und nicht als einheitlicher Kampf des Proletariats aufgefaßt.

Politisch-organisatorische Schwächen und Mängel

Die Partei hat nur sehr wenig die Fähigkeit entwickelt, ihren wachsenden Einfluß in den Massenorganisationen des Proletariats organisatorisch zu festigen. Sie verstand es noch weniger, ihre Kräfte konzentriert für eine längere Periode auf eine Kampfaufgabe zu richten. Die technischen Vorbereitungen, die Einstellung des Organisationsapparates auf den Machtkampf, die Bewaffnung und die innere Festigkeit der Hundertschaften waren minimal. Die viel zu kurzfristige und überhitzte technische Vorbereitung brachte praktisch fast nichts, sie stellte zwar im technischen Sinne die Parteimitgliedschaft auf die Aktion ein, aber die großen proletarischen Massen noch nicht.

Fehler in der Einschätzung der Kräfteverhältnisse

Die Überhitzung in den technischen Vorbereitungen während der entscheidenden Wochen, die Einstellung auf die Aktion als Parteikampf und nur auf den "entscheidenden" Schlag ohne vorherige anwachsende Teilkämpfe und Massenbewegungen verhinderten die Prüfung des wirklichen Kräfteverhältnisses und machten eine zweckmäßige Terminsetzung unmöglich. Damit wurde auch die Feststellung, ob die Mehrheit der Arbeiterklasse an den entscheidenden Punkten der Führung der K.P.D. folgte, zu einer ganz unrealen und unsicheren Berechnung. Tatsächlich ließ sich nur feststellen, daß die Partei auf dem Wege war, die Mehrheit für sich zu erobern, ohne schon die Führung über sie zu besitzen.

Die Unterschätzung der Kräfte der Konterrevolution bestand besonders darin, daß die Partei die Stärke der Sozialdemokratie als hemmender Kraft im Proletariat unterschätzte.

Die Partei hat auch den Charakter und die Rolle der linken S.P.D.-Führer verkannt und selbst in ihren Reihen die Illusion aufkommen lassen, als ob wir durch entsprechenden Massendruck diese Führer zwingen könnten, gemeinsam mit uns zum Kampfe aufzurufen.

Die falsche politisch-strategische Orientierung auf Sachsen

Die starre Einstellung: Nur aus der Verteidigung der mitteldeutschen Positionen zum entscheidenden Kampfe überzugehen, war falsch. Sie führte zur Vernachlässigung anderer wichtiger Industries und Kampfgebiete und brachte nach dem kampflosen Aufgeben der sächsischen Position eine starke Desorientierung. Es war ein verhängnisvoller Fehler, daß die Partei alles so restlos auf die sächsische Karte setzte, daß sie für den Fall des Mißlingens weder eine Rückzugslinie vorgesehen und sich zu sichern versucht hätte, noch über irgendeinen anderen Aufmarschplan verfügte.

Infolge all dieser Fehler und Mängel der Partei und der Schwäche der Arbeiterklasse ergab sich im letzten Augenblick das Ausweichen vor dem entscheidenden Machtkampf. Während in Bulgarien, wo die Partei noch keine bewaffneten Kämpfe durchgemacht hatte, die Niederlage noch zur Grundlage künftiger Siege werden kann, befinden wir uns in Deutschland nach den Niederlagen 1919 und der Märzniederläge 1921 bereits in der Situation, wo die Kommunisten es im Kampfe verstehen müssen, die Masse zum Siege zu führen.

Ein großer Fehler war es auf jeden Fall, daß die Partei, es nicht verstand, sich sofort auf Teilkämpfe umzustellen, daß sie trotz teilweiser Vorbereitungen völlig kampflos vor dem Einmarsch der Reichswehr, der Verhängung des Reichsbelagerungszustandes und der Unterdrückung der Partei zurückgewichen ist.

IV. Das sächsische Experiment und die Hamburger Kämpfe

Die Zuspitzung der Klassengegensätze in Deutschland, die Verschärfung der Wirtschaftskrise, die Einstellung der Partei auf entscheidende Kämpfe veranlaßten im Oktober die Exekutive der K.I. und die K.P.D., das Experiment des Eintritts von Kommunisten in die sächsische Regierung zu unternehmen.

Der Sinn des Regierungseintritts in Sachsen war nach der Auffassung der Exekutive eine spezielle militärische und politische Aufgabe, welche in einer Instruktion wie folgt präzisiert wurde:

Da wir die Lage so einschätzen, daß der entscheidende Moment nicht später als in vier, fünf, sechs Wochen kommt, so halten wir es für notwendig, jede Position, die unmittelbar nützen kann, sofort zu besetzen. Auf Grund der Lage glauben wir, bei gegebener Lage muß man die Frage unseres Eintretens in die sächsische Regierung praktisch stellen. Unter der Bedingung, daß die Zeigner-Leute bereit sind, Sachsen wirklich gegen Bayern und die Faschisten zu verteidigen, müssen wir eintreten. Sofort Bewaffnung von 50.000 bis 60.000 wirklich durchführen, den General Müller ignorieren. Dasselbe in Thüringen.

Unter den ursprünglich angenommenen Voraussetzungen hätte dieser Regierungseintritt den Beschlüssen des 4. Kongresses entsprochen. Die Entfesselung revolutionärer Kämpfe, das Zusammenschweißen der Arbeitermassen, hätte die Voraussetzung des Eintritts in die sächsische Regierung sein müssen: Der Regierungseintritt hätte sich auf Massenbewegungen stützen müssen. Wenn auch die direkte militärische Aufgabe verschoben werden mußte, weil das Tempo des revolutionären Prozesses sich verlangsamte, so konnten und mußten auch in diesem Falle die Kommunisten eine wirkliche revolutionäre Aktivität entfalten, wobei sich jedoch ein bedenkliches Versagen zeigte.

Sie waren vor allem verpflichtet, die Frage der Bewaffnung der Arbeiter brutal zu stellen; schon in den ersten Stunden ihrer Beteiligung an der Arbeiterregierung durften die Kommunisten kein anderes Grundthema kennen, als die Frage der Bewaffnung des Proletariats.

Sie waren außerdem verpflichtet, ihr proletarisches Rettungsprogramm vor den Massen, wie auch die Propaganda für die politischen Arbeiterräte mit aller Kraft zu entwickeln, um dieses Mittel der Sabotage der linkssozialistischen Minister entgegenzustellen. Sie waren auch verpflichtet, im Parlament und vor den Betriebsräten auf die sofortige Ergreifung revolutionärer Maßnahmen hinzuwirken, wie auf die Konfiskation der Betriebe von Fabrikanten, welche zur Sabotage der Produktion griffen, auf die Requisition der Wohnungen reicher Familien für wohnungslose Arbeiter und ihre Kinder.

Gleichfalls waren die Kommunisten verpflichtet, schon von der ersten Stunde ihrer Regierungsbeteiligung an das doppelzüngige Verhalten Zeigners, seine hinterhältigen Verhandlungen mit den Militärdiktatoren, wie die ganze konterrevolutionäre Rolle der linken S.P.D.-Führer vor den breitesten Massen zu brandmarken.

Infolge dieser Unterlassungen, und da die Partei es nicht verstand, die Massen zu mobilisieren, wurde das sächsische Experiment zu keiner Kampfetappe: anstelle revolutionärer Strategie ergab sich eine unrevolutionäre, parlamentarische Kooperation mit den "linken" Sozialdemokraten. Die besondere Berufung der kommunistischen Minister auf ihre Verantwortlichkeit nur dem Landtag und der Verfassung gegenüber konnte nicht geeignet sein, demokratische Illusionen zu zerstören.

Nur durch angespannte revolutionäre Arbeit der gesamten Parteiorgane hätte die Chemnitzer Konferenz zu einem Erfolg für die Partei werden können. Die Partei ließ sich durch den Stoß des Gegners, die vorausgesehene Reichsexekutive, faktisch überraschen. Ein umso größerer Fehler war es, daß, obgleich der Generalstreik vorgeschlagen werden sollte, gar nicht versucht wurde, die Konferenz von ihrer Eröffnung an ausschließlich auf die Abwehr gegen die Reichsexekutive umzustellen. Das waren Fehler, die das verräterische Spiel der linken S.P.D.-Führer zweifellos erleichtert haben.

Einen Gegenpol zu Sachsen bildet der Hamburger Aufstand. Hier zeigte es sich, daß bei überraschendem, kühnem Einsetzen entschlossener Kampfgruppen der Gegner militärisch im Angriff überrumpelt wurde. Aber es zeigte sich gleichzeitig, daß ein solcher bewaffneter Kampf, selbst wenn er, wie in Hamburg von der Bevölkerung nicht ohne Sympathie aufgenommen wird und von einer Massenbewegung gestützt wird, zum Scheitern verurteilt ist, wenn er isoliert bleibt und am Orte selbst nicht von einer Rätebewegung, deren Fehlen in Hamburg besonders empfunden wurde, getragen ist.

Der Kampf selbst wurde durch einander widersprechende Befehle aus dem Zentrum im Reich gestört, und selbst die vorhandenen Streikbewegungen erlitten unter dem Ausbleiben von Kampfnachrichten aus dem Reich und durch das Eintreffen der Nachrichten vom Ausgang der Chemnitzer Konferenz Abbruch.

Trotzdem konnte der Hamburger Kampf mit musterhafter Disziplin abgebrochen werden. Seine Lehren sind wertvoll für Partei und Komintern. Besonders anzumerken ist das schuftige verhalten der Hamburger S.P.D.-Führer, die die Militäraktion gegen die Aufständischen unterstützten. Ihr Verhalten ist die Kehrseite der Medaille, deren Vorderseite das Verhalten Zeigners und seiner "Linken" in Sachsen ziert.

Das sächsische Experiment hat erheblich die "linken" Sozialdemokraten diskreditiert; es hat gezeigt, daß sie in Wirklichkeit Knechte der Konterrevolution sind. Der Hamburger Aufstand hat das Kraftbewußtsein des deutschen Proletariats sehr gestärkt und der Sozialdemokratie selbst einen schweren Schlag versetzt.

Die K.P.D. muß diejenigen Fehler, welche während des sächsischen Experiments und in Verbindung mit dem Hamburger Kampf gemacht wurden, klar erkennen. Ohne das ist eine richtige Taktik der Parteien Zukunft unmöglich.

V. Die Rolle der Sozialdemokratie und die Wendung der Taktik der Einheitsfront in Deutschland

Die leitenden Schichten der deutschen Sozialdemokratie sind im gegenwärtigen Moment nichts anderes als eine Fraktion des deutschen Faschismus unter sozialistischer Maske. Sie haben die Staatsgewalt an die Vertreter der kapitalistischen Diktatur übergeben, um den Kapitalismus vor der proletarischen Revolution zu  retten. Der Innenminister Sollmann führte den Belagerungszustand ein, der Justizminister Radbruch stellte die "demokratische" Justiz auf Sonderjustiz gegen das revolutionäre Proletariat um. Der Reichspräsident Ebert übergab auch formell die Regierungsgewalt an Seeckt, die sozialdemokratische Reichstagsfraktion deckte all diese Handlungen, sie stimmte den Ermächtigungsgesetzen zu, welche die Verfassung aufhoben und die Gewalt den weißen Generälen übergaben.

Die ganze internationale Sozialdemokratie wächst sich allmählich zu einem offiziellen Waffengange der kapitalistischen Diktatur aus. Die Turati und Modigliani in Italien, die Sakusow in Bulgarien, die Pilsudski in Polen und die S.P.D.-Führer vom Schlage Severings in Deutschland sind direkte Teilnehmer an der Regierungsgewalt der kapitalistischen Diktatur.

Fünf Jahre lang haben die deutschen Sozialdemokraten aller Schattierungen den allmählichen Abstieg ins Lager der Konterrevolution betrieben. Jetzt ist dieser Prozeß seiner Vollendung nahe. Der gesetzmäßige Nachfolger der "revolutionären" Regierung Scheidemann-Haase ist der Faschistengeneral Seeckt.

Es gibt zwar auch Unterschiede im Lager der kapitalistischen Diktatur, es können sogar Differenzen von solcher Bedeutung vorkommen, daß wir sie in unserem Klassenkampf ausnützen können. Zwischen Ebert, Seeckt und Ludendorff gibt es Schattierungen. Aber über den Schattierungen im Lager der Feinde dürfen die deutschen Kommunisten nie vergessen, daß die Hauptsache ist, der Arbeiterklasse zum klaren Bewußtsein zu bringen, was das Wesen der Sache ist: daß im Kampf zwischen Kapital und Arbeit die Führer der S.P.D. mit dem weißen General auf Leben und Tod vereinigt sind.

Diese Führer der deutschen Sozialdemokratie sind nicht erst heute auf die Seite des Kapitals übergegangen. Im Grunde genommen standen sie immer bei den Klassenfeinden des Proletariats. Erst jetzt ist das vor den Massen kraß zutage getreten, nachdem sie den Übergang von der kapitalistischen Demokratie zur kapitalistischen Diktatur vollzogen haben.

Dieser Umstand veranlaßt uns jetzt, die Taktik der Einheitsfront in Deutschland einer Modifikation zu unterziehen.

Mit den Soldknechten der weißen Diktatur gibt es kein Verhandeln! Das ist es, was jetzt alle Kommunisten in Deutschland klar erkennen und mit wuchtiger Sprache laut vor dem gesamten deutschen Proletariat verkünden müssen.

Aber noch gefährlicher als die rechten sind die linken S.P.D.-Führer, diese letzte Illusion der betrogenen Arbeiter, diese letzten Feigenblätter für die schmutzige konterrevolutionäre Politik der Severing, Noske und Ebert.

Die K.P.D. lehnt nicht nur jede Verhandlung mit der Zentrale der S.P.D. ab, sondern auch mit den "linken" Führern, bis diese Helden nicht wenigstens so viel Mannhaftigkeit finden werden, um offen mit der konterrevolutionären Bande, welche in dem Parteivorstand der S.P.D. sitzt, zu brechen.

Die Wendung in der Einheitsfronttaktik in Deutschland heißt jetzt:

Einheit von unten! Schon in den ersten Thesen der Exekutive der K.I. vom Dezember 1921 hieß es[12]:

Als Gegengewicht zum diplomatischen Spiel der menschewistischen Führer stellten die russischen Bolschewisten die Losung der Einheit von unten in den Vordergrund, d. h. der Einheit der Arbeitermassen selbst im praktischen Kampf für die revolutionären Forderungen der Arbeiter gegen die Kapitalisten. Die Praxis hat gezeigt, daß das die einzig richtige Antwort war, und als Ergebnis dieser Taktik, welche von den Umständen abhängigen, von Ort und Zeit abhängigen Änderungen unterworfen war, wurde auch ein ungeheurer Teil der besten menschewistischen Arbeiter allmählich für die Kommunisten erobert.

Die K.P.D. muß es verstehen, die Losung der Einheitsfront von unten durchzusetzen. Unter den Arbeitern, die noch der S.P.D. angehören, gärt es wie noch nie. Sie sehen den Bankrott ihrer Führer und suchen neue Wege. Wir haben deshalb keinen Anlaß, lokale Unterhandlungen und Vereinbarungen mit den S.P.D.-Arbeitern abzulehnen, wo vor uns ehrliche Proletarier stehen, welche bereit sind, ihre Hingebung an die Revolution zu beweisen.

Die Einheitsfrontorgane, die Betriebsräte, Kontroll- und Aktionsausschüsse müssen so ineinander greifen und zu einem dichten Netze verwoben werden, daß sie schließlich zum zentral geleiteten Träger des Apparates des Machtkampfes des Proletariats werden.

VI. Unmittelbare Aufgaben der Partei

Die Grundeinschätzung der Lage in Deutschland, welche im September von der Exekutive der Komintern gegeben ist, bleibt im wesentlichen bestehen. Der Charakter der eingeleiteten Kampfphase, sowie die Hauptaufgabe der Partei bleiben dieselben. Die K.P.D. darf die Frage des Aufstandes und der Machteroberung nicht von der Tagesordnung streichen. Diese Frage muß vor uns in ihrer ganzen Leibhaftigkeit und Dringlichkeit stehen. Wie groß auch die Teilsiege der deutschen Gegenrevolution sein mögen, sie lösen keines der Krisenprobleme des kapitalistischen Deutschlands.

Darum ergibt sich in Verbindung mit den in den letzten Monaten gesammelten Erfahrungen für die K.P.D. eine Anzahl unmittelbarer Aufgaben.

Die Partei muß die Kämpfe des Proletariats gegen den Abbau des Achtstundentags und der Arbeiterrechte organisieren. Die Partei muß die Erwerbslosenbewegung organisatorisch und politisch mit der Bewegung der Arbeitenden verbinden und die große Gefahr abwenden, daß die Arbeiterklasse gespalten wird in hungernde Erwerbslose und Arbeitende, die noch ein Stückchen Brot haben. Die Partei wird diese Arbeit am besten leisten können, wenn sie die kommenden Wirtschaftskämpfe von vornherein so vorbereitet, daß sie nicht nur gegen den Lohnabbau geführt werden, sondern politische Ziele erhalten. Unter der Losung: "Arbeit für die Arbeitslosen!"

Die Agitation der Partei muß den breitesten Massen zum Bewußtsein bringen, daß nur die Diktatur des Proletariats den breiten Massen Rettung schaffen kann. Diese Aufgabe muß verbunden werden mit dem Ziel der politischen Vernichtung der Sozialdemokratischen Partei, und das erfordert die Organisation der Einheitsfrontorgane und eine klare Zielsetzung in allen Teilkämpfen.

Die Partei muß über das Industrieproletariat hinaus das Landproletariat, die Angestellten und Beamten, die Kleinbauern, den proletarischen städtischen Mittelstand zu erfassen und zu Verbündeten der Arbeiterklasse unter der Hegemonie der revolutionären Arbeiter zu machen suchen. Das wird geschehen durch klare eindeutige Agitation, durch die Propagierung des wirtschaftlichen Programms der K.P.D., durch die Bekämpfung etwa noch vorhandener Reste einer pazifistischen westlichen Orientierung, durch Hinweis auf die nationale Rolle der deutschen Revolution und die Bedeutung eines Bündnisses der deutschen Räterepublik mit Sowjetrußland, so wie durch zähe Organisationsarbeit und Kontrollausschusse und ähnliche Organe der revolutionären Bewegung.

Mit der Agitation und Propaganda muß die innerparteiliche, wie die nach außen greifende Organisationsarbeit Hand in Hand gehen. Die K.P.D. muß nicht nur eine gute Agitationspartei, sondern auch eine ebensolche Kampfpartei sein. Mit aller Hartnäckigkeit muß die Bewaffnung der Arbeiter und die technische Vorbereitung der entscheidenden Kämpfe vor sich gehen. Die proletarischen Hundertschaften müssen in der Wirklichkeit, nicht bloß auf dem Papier, geschaffen und von den Sympathien breiter Arbeitermassen getragen werden, die wiederum nur erworben werden durch die aktive Führung der K.P.D. in allen Tageskämpfen und Aktionen des Proletariats. Nur dann, wenn die Arbeitermassen in den Hundertschaften ihren Schutz bei den Demonstrationen und Streiks, bei allen Zusammenstößen finden, werden die Hundertschaften von den Massen bei der Bewaffnung, Ausbildung und bei der Erkundung des Gegners mit vollem Herzen unterstützt werden.

Voraussetzung für alle diese Aufgaben ist eine gründliche Verwertung aller bisherigen Erfahrungen durch die Partei. Hierher gehört das Ausrotten jeglicher Reste der demokratischen Illusionen in der Partei, wie auch der Vorstellung, als ob die S.P.D. oder ideologisch und organisatorisch festumrissene Gruppen dieser Partei als solche revolutionäre Kämpfe führen könnten. Es muß in die Köpfe der Mitglieder gehämmert werden, daß die K.P.D. vor dem Sieg der proletarischen Revolution die Partei des Aufstandes, die Partei der Zerstörung des kapitalistischen Systems ist, und daß in allen Teilkämpfen ihre Arbeit nur dann revolutionär ist, wenn sie sich auf die Zerschlagung des Staatsapparates der Bourgeoisie richtet und das Ziel der Errichtung der proletarischen Diktatur jederzeit im Auge hat.

Die Kommunistische Partei ist die einzige revolutionäre Partei; sie ist stark genug, den Sieg der Massen des Proletariats gegen alle übrigen Parteien vorzubereiten und zu erringen, das muß die feste Überzeugung jedes Parteigenossen werden.

Um diese Einstellung der Partei zu erreichen, muß die K.P.D. die gemachten Erfahrungen in der ganzen Mitgliedschaft offen diskutieren. Die Partei muß es lernen, Diskussionen zu führen, ohne ihre Aktionskraft zu schwächen. Um ihre volle Aktionskraft zusammenzuschließen, soll sie es nicht versäumen, trotz aller Schwierigkeiten, trotz der Illegalität alle Differenzfragen zu klären und die Diskussion auf einem Parteitag abzuschließen.

Die Aufrechterhaltung der Parteieinheit ist eine absolute Forderung der Kommunistischen Internationale. Die Exekutive der K.I. fordert auch die gesamte Mitgliedschaft der K.P.D. auf, alles aufzubieten, damit auf dem Parteitag die ganze Partei einheitlich und geschlossen die Fraktionskämpfe liquidiert und volle Aktionsfähigkeit erlangt.

Die Exekutive der Komintern macht alle Mitglieder der K.P.D. und aller übrigen Sektionen der Komintern auf die Riesenaufgaben der jetzigen revolutionären Krise aufmerksam. Die Exekutive ist der festen Überzeugung, daß die Erfahrungen der letzten Monate nicht vergeblich sind, und wenn sie ernsthaft beachtet und verwertet werden, den Sieg des Proletariats näherrücken.

Das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale.

VIII.
Zur Arbeit der Partei in der Gewerkschaftsbewegung

Die Einheit der Gewerkschaftsbewegung

Die Kommunistische Partei Deutschlands, die sich die Befreiung der proletarischen Massen vom Einfluß des Reformismus zur unmittelbaren Aufgabe stellt, kämpft wie bisher mit aller Entschlossenheit gegen die Losung des Austritts aus den Gewerkschaften.

Die Kommunisten, die überall bleiben und arbeiten, wo proletarische Massen sich befinden, errichten und festigen jetzt mit noch größerer Energie und im Zusammenhang mit der Zersetzung in den Reihen der Sozialdemokratie wahrscheinlich mit noch größerem Erfolg in den Gewerkschaften ihre kommunistischen Fraktionen, die den Mittelpunkt der breiten Bewegung der revolutionären Gewerkschaftsorganisation bilden.

Im gegenwärtigen Moment, in dem die Partei sich in illegalen Verhältnissen befindet und genötigt ist, nach der Ausnützung jeder legalen Möglichkeit zu streben, ist das besonders wichtig.

Die Kommunisten sind wie bisher gegen die Spaltung und führen den Kampf gegen die Spaltungspolitik der Sozialdemokraten auch dann, wenn sie von letzteren aus den Gewerkschaften ausgeschlossen werden. In der Periode der Kapitals-Offensive und des Anwachsens der Reaktion ist die Wahrung der Einheit der Gewerkschaftsbewegung besonders wichtig.

Zur Organisation der Ausgeschlossenen und anderer

Die aus den Gewerkschaften Ausgeschlossenen sowie die nicht organisierten Schichten der Arbeiterklasse, die den Gewerkschaften nicht angehören, müssen von den Kommunisten je nach den konkreten Verhältnissen jeder einzelnen Gewerkschaft zusammengefaßt werden. Dabei ist es erforderlich, verschiedenartige und mannigfache Methoden (Betriebsräte, Kontrollausschüsse, Parallel-Gewerkschaften der Ausgeschlossenen, Union, allgemeine Arbeiterausschüsse, Arbeitslosenausschüsse usw.) anzuwenden zu verstehen, ohne sich durch irgendeine der Methoden und Oppositionsformen endgültig die Hände zu binden. Der gemeinsame Arbeitsausschuß der Verbände der Ausgeschlossenen und der Union wird mit dem Reichsausschuß der Betriebsräte zu gemeinsamer Arbeit verbunden. Die Partei muß bei der gegebenen Lage besonders sorgfältig, energisch und planmäßig die Arbeit unter den unorganisierten und parteilosen Massen betreiben, um die von den Unternehmern, der Gewerkschaftsbürokratie gewollte Zerschlagung der Arbeiterklasse zu verhindern.

Die Einheitsfront von unten

Unter Ablehnung der Verhandlungen mit den führenden Spitzen der reformistischen Gewerkschaftsbewegung sowohl wie mit den Führern der Sozialdemokratie, die faktisch Verbündete der Bourgeoisie und des Faschismus sind, müssen es die Kommunisten verstehen, in den Gewerkschaften die Einheitsfront von unten durchzuführen durch den Zusammenschluß der breiten Massen des in den Gewerkschaften organisierten und noch nicht organisierten Proletariats auf dem Boden des Alltagskampfes und auch durch Hineinziehung derjenigen Schichten der Arbeiterklasse in diesen Kampf, die mit der Sozialdemokratie noch nicht gebrochen haben. Im Zusammenhang damit widersprechen die Verhandlungen und Vereinbarungen im Interesse des Kampfes seitens der Kommunisten mit den lokalen Massenorganisationen der Gewerkschaften (Ortsgruppen, Kartellen usw.) nicht nur nicht der Taktik der Einheitsfront von unten, sondern bildeten im Gegenteil eine wichtige Waffe gegen die Gewerkschaftsbürokratie und die Reformisten.

In jenen Fällen, in denen die Kommunisten in den Mitgliedschaften und Betrieben gemeinschaftlich mit sozialdemokratischen Arbeitern auftreten, muß die Aufgabe der Kommunisten neben einer Koordinierung ihrer praktischen Tätigkeit die Hervorkehrung ihrer prinzipiellen Haltung, eine schonungslose Kritik der Fehler, der Unentschlossenheit, der Halbheit und der Inkonsequenz in den Forderungen der Sozialdemokraten sein.

Die Kommunistische Partei muß dabei den Arbeitern offen und klar auseinandersetzen:

1. Daß die Krisis, die die Gewerkschaften durchmachen, der ganzen Geschichte der reformistischen Gewerkschaftsverbände, ihrer Taktik und Politik des Burgfriedens entspringt;

2. daß aus der gegebenen ökonomischen Lage die Arbeiterklasse nicht durch die gewöhnlichen Maßnahmen gewerkschaftlichen Kampfes, sondern lediglich durch den Sturz der Macht der Kapitalisten durch die Diktatur des Proletariats, herauszukommen vermag.

Die Kommunistische Partei darf eine Ausnutzung irgendwelcher Arbeitermassenorganisationen, besonders antireformistischer im Kampfe gegen die Reformisten nicht ablehnen. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Bedeutung der Weimarer Konferenz zu betrachten, wo es auf dem Boden eines bestimmten Aktionsprogramms gegen die Gewerkschaftsbürokratie gelungen ist, nicht unbedeutende Schichten antireformistischer Elemente zusammenzuschließen, wie das auch in den Verbänden der Ausgeschlossenen, der Union u. a. der Fall war.

Zur Losung "Rettet die Gewerkschaften"

Die Losung "Rettet die Gewerkschaften", wie sie bis jetzt oft ausgelegt wurde, ist unrichtig. Die Gewerkschaften können auf dem alten Weg nicht gerettet werden. Um dieses Ziel zu erreichen, ist eine gründliche Umwandlung der Gewerkschäften durch die Betriebsräte mit dem Ziele der Industrie-Organisation und der Ablösung des Reformismus durch einen revolutionären Inhalt ihrer Tätigkeit notwendig.

Die Rolle der Betriebsräte

Die Hauptaufgabe ist infolgedessen die Konzentration aller Kräfte der Kommunisten auf die Arbeit in den Betrieben und den Betriebsräten zu dem Zwecke, die Betriebsräte zu Ausgangs- und Stützpunkten der ganzen Arbeit der Partei in den Massen insbesondere gegen die reformistischen Gewerkschaftsführer zu machen.

Den Betriebsräten fällt weiter die wichtige Aufgabe zu, in den sich häufenden elementaren Kämpfen die organisierten Gewerkschaftsmassen mit den nichtorganisierten zu verbinden.

Im Zusammenhang damit müssen die Betriebsräte Industriegruppenweise in lokalem, bezirksweisem und allgemeinem Maßstabe als die Voraussetzung und Basis der künftigen Produktionsorganisation organisatorisch untereinander verbunden sein.

Dabei ist im gegebenen Moment die Unterstellung der Betriebsräte unter die reformistischen Gewerkschaften in der einen oder anderen Form als schädlich zu bekämpfen.

Zum ökonomischen Kampf

Die aus der bestehenden Lage (der ungünstigen ökonomischen Konjunktur, dem Produktionsabbau, dem Bankrott der reformistischen Gewerkschaften usw.) mit Naturnotwendigkeit entstehende Dezentralisation, die elementare Entstehung von Streiks der Arbeiter (gegen die Gewerkschaftsverbände und ohne die finanzielle Unterstützung von ihrer Seite) stellt die Kommunisten vor die Aufgabe der Führung dieser Streiks.

Jede konkrete Frage des ökonomischen Kampfes und der Gewerkschaftstaktik müssen die Kommunisten mit den allgemeinen historischen Aufgaben der Arbeiterklasse, mit der Notwendigkeit des Kampfes um die Diktatur des Proletariats verbinden.

Die Kommunisten müssen den lebhaftesten Anteil an der Organisation der Streikleitungen und der Aktionsausschüsse nehmen und sie mit den Betriebsräten verbinden.

Dabei darf aber die gesamte Schwere des ökonomischen Kampfes nicht ausschließlich auf die Schultern der Betriebsräte abgewälzt und gelegt werden, in Anbetracht dessen, daß die Betriebsräte die Grundlage der allgemeinen Umgruppierung der Kräfte der Arbeiterklasse in ihrem Kampfe darstellen.

Die Betriebsräte müssen die Gewerkschaften für die fortschreitende Verelendung der Arbeiterschaft anklagen und verantwortlich machen.

Zur allgemeinen Taktik in den Gewerkschaften

Die Gewerkschaftstaktik und die Losungen in den Gewerkschaften werden von den Kommunisten lediglich auf der Grundlage der allgemeinen und konkreten Einschätzung der vor der Arbeiterklasse und der Partei stehenden Aufgaben sowie der am Kampfe beteiligten Kräfte festgelegt.

gez. W. Kolarow.

IX.
Resolution der Exekutive der K.I. über die Organisation der Betriebszellen

Die Organisation der Partei muß den Bedingungen und dem Zwecke ihrer Tätigkeit angepaßt sein. Bei der reformistischen Politik der Sozialdemokratischen Partei, welche mit dem Stimmzettel Einfluß auf den bürgerlichen Staat auszuüben strebte, wurde völlig naturgemäß das Hauptaugenmerk auf die Organisation der Wähler gerichtet. Deshalb wurde die Organisation nach Wahlbezirken und nach Wohnbezirken aufgebaut.

Eine solche Organisationsstruktur ging von der Sozialdemokratie auch auf die K.P.D. hinüber. Aber das widerspricht nicht nur dem Endziele der K.P.D., sondern auch unmittelbar ihren Aufgaben. Das Endziel unserer Partei ist der Sturz der Herrschaft der Bourgeoisie, die Eroberung der Macht durch die Arbeiterklasse, die Verwirklichung des Kommunismus. Die unmittelbaren Aufgaben sind die Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse durch aktive Beteiligung am täglichen Kampfe der Arbeitermassen und die Leitung des Kampfes. Es kann nur bei engster Verbindung unserer Parteiorganisation mit den Arbeitermassen in den Betrieben erreicht werden.

Hiervon ausgehend, hat schon der 3. Weltkongreß der K.I. beschlossen, daß die Grundlage der K.P.D. die Betriebszellen sein sollen. Aber in der Mehrheit der Sektionen der K.I. ist das bisher noch nicht durchgeführt; in vielen Sektionen wurde nicht einmal die Frage der Organisation der Zellen nach den Betrieben konkret gestellt. Die Erfahrung der deutschen Revolution (Ende 1923) hat jedoch einmal auf die anschaulichste Weise gezeigt, daß beim Fehlen der Zellen, aufgebaut nach den Betrieben und im engsten Zusammenhang mit den Arbeitermassen, diese nicht in den Kampf hineingezogen und geleitet werden können, ihre Stimmungen nicht richtig eingeschätzt werden können und der günstigste Moment für uns nicht ausgenutzt werden kann, so daß auch der Sieg über die Bourgeoisie nicht errungen werden kann.

Grundformen der örtlichen Parteiorganisation

1. Die Grundlage der Parteiorganisation bilden die nach Betrieben aufgebauten Parteizellen.

Alle Kommunisten, die in einem bestimmten Betrieb arbeiten, müssen zur Betriebszelle dieses Betriebes gehören.

Anmerkung: In Betrieben, wo ein bis zwei Parteimitglieder arbeiten, werden diese Mitglieder der nächsten Betriebszelle angeschlossen, welche ihre Arbeit auf allen in der Nähe liegenden Betrieben, in denen Zellen fehlen, führen muß.

2. Die Kommunisten, welche nicht in Fabriken, Betrieben, Werkstätten, Ladengeschäften usw. arbeiten (Hausfrauen, Dienstboten, Hausknechte, Portiers usw.), bilden Zellen, welche nach Straßen aufgebaut sind (nach den Wohnorten).

Anmerkung: Alle Mitglieder von Betriebszellen, welche in anderen Stadtbezirken wohnen, müssen in dem Distriktsbüro desjenigen Distriktes sich registrieren lassen, in dem sie wohnen.

Das Distriktsbüro schickt sie zur Verwendung der Straßenzellen. Die Mitglieder von Zellen anderer Bezirke, welche vom Distriktsbüro in eine Straßenzelle geschickt sind, haben in dieser keine beschließende Stimme in den Fragen, über welche sie in den Betriebszellen abgestimmt haben (Prinzipielle Parteifragen, Wahlen von Parteidelegierten usw.).

3. Die Arbeitslosen bleiben Mitglieder der Zelle desjenigen Betriebes, in dem sie früher gearbeitet haben. Bei dauernder Arbeitslosigkeit können sie mit Erlaubnis der Bezirksleitung von dieser Zelle befreit und in einen Distrikt ihres Wohnbezirkes zur Anheftung an irgendwelche Zelle umgeleitet werden.

4. In den kleinen Industriezentren, Städten, Dörfern, wo die Arbeiter bei ihren Betrieben oder Gütern wohnen, werden homogene Zellen nach Möglichkeit um den Betrieb, oder das Gut herum geschaffen.

5. Eine Betriebszelle wie auch eine Straßenzelle wählt für sich ein Büro oder ein Präsidium aus 3, höchstens 5 Mitgliedern. Die Wahl wird in der allgemeinen Zellenversammlung durchgeführt. Das Büro oder Präsidium der Zelle verteilt die Arbeit unter sich. Abhängig von der Größe der Zelle bestimmt das Büro oder Präsidium Genossen für die Verwaltung und Verbreitung der Literatur der Partei, für die Leitung der Propaganda, einen Genossen für die Gewerkschaft, einen Genossen für die Leitung der Arbeit der Fraktion im Betriebsrat, einen Genossen für die Zusammenarbeit mit der Jugendzelle, einen zur Leitung der Arbeit unter den Frauen usw.

6. Die Parteimitglieder, welche Mitglieder von Betriebszellen sind, zahlen dort ihre Mitgliedsbeiträge; die Parteimitglieder, welche an Straßenzellen organisiert sind, zahlen dortselbst.

7. In großen Städten, wo es viele Betriebszellen und Straßenzellen gibt, werden diese Distrikte vereinigt. Die Distrikte werden in Bezirke vereinigt. Alle Bezirke einer Großstadt bilden die Stadtorganisation. Die Bezirksleitung teilt die Distrikte ein, indem sie die letzteren nach Möglichkeit um die Großbetriebe herum bildet.

In Mittelstädten werden auch Distrikte gebildet, welche die Betriebszellen und die Straßenzellen vereinigen. Diese Distrikte werden zur Stadtorganisation vereinigt. In kleinen Städten und Dörfern werden die Zellen zur Ortsgruppe vereinigt. Die Organisation der Mittelstädte und die Ortsgruppen der Kleinstädte und Dörfer werden zu Kreisen oder Unterbezirken vereinigt.

Anmerkung: Die Distrikte und Ortsgruppen halten gemäß den örtlichen Möglichkeiten und Notwendigkeiten regelmäßig Versammlungen aller Mitglieder der Betriebszellen und Straßenzellen ihres Gebietes ab.

8. An der Spitze eines Distrikts und einer Ortsgruppe steht ein Büro aus drei bis fünf Mitgliedern, das von der allgemeinen Zellenmitgliederversammlung des gegebenen Distriktes oder der Ortsgruppe oder auf Delegiertenversammlungen, abhängig von den örtlichen Bedingungen (z. B. von Illegalität) gewählt wird. Der Sekretär des Distriktsbüros und der Ortsgruppe wird von der Bezirksleitung (der Kreisleitung) bestätigt. An der Spitze des Bezirkes und des Unterbezirkes (Kreises) stehen die Bezirksleitungen und Unterbezirksleitungen, welche in den Bezirks- und Kreiskonferenzen gewählt werden.

9. In den Distrikts- und Ortsgruppendelegierten Versammlungen und auf den Bezirks- und Kreiskonferenzen müssen die Zellen proportional ihrer Mitgliederstärke vertreten sein, aber so, daß die Mehrheit den Vertretern der Betriebszelle zukommt. Die Vertretungsform für jede Zelle muß die Bezirksleitung oder Kreisleitung festsetzen.

In den Organisationen, wo eine große Vertretung zu den Bezirks- oder Kreiskonferenzen infolge von Illegalität unmöglich ist, ist die Delegiertenwahl nicht unmittelbar in den Zellen, sondern in Distrikts- oder Ortsgruppendelegierten-Versammlungen zulässig.

10. Die Leitungen der Stadtparteiorganisationen (in großen Städten) werden auf den städtischen Konferenzen gewählt, welche aus Delegierten aller Bezirke stammen, die auf den Konferenzen der Bezirke proportional der Anzahl der Mitglieder des gegebenen Bezirkes gewählt werden.

11. Zur Verstärkung des Einflusses der Betriebszellen müssen sowohl im Distriktsbüro wie in der Bezirksleitung mehr als die Hälfte der Mitglieder Betriebszellenangehörige sein. Den städtischen Leitungen muß ein Teil von Arbeitern aus den Betrieben zugeführt werden.

12. Unter illegalen Bedingungen haben die höheren Parteiorgane in Ausnahmefällen (bei Verhaftungen der Bezirksleitung usw.) das Recht der Einsetzung neuer Mitglieder der Bezirksleitung mit der Maßgabe, daß bei erster Möglichkeit eine Delegiertenversammlung oder Konferenz einberufen wird, welche die eingesetzte Leitung bestätigt oder eine neue wählt. Mitglieder der Leitung, welche der Verhaftung entgehen, haben das Recht der Kooptierung neuer Mitglieder in die Leitung bis zur Einberufung der Konferenz, falls die höheren Parteiorgane damit einverstanden sind und das bestätigen. Die Anzahl der Mitglieder der Bezirksleitung muß in der Illegalität möglichst klein sein.

Aufgaben der Betriebszellen

Der Schwerpunkt der politischen Organisationsarbeit der Partei muß in die Betriebszellen verlegt werden.

Die Betriebszelle soll mit Hilfe der Leitung des Kampfes der Arbeitermassen für ihre Tagesnöte sie zum Kampfe um die Verwirklichung der proletarischen Diktatur führen. Deshalb muß die Zelle rechtzeitig jede politische oder wirtschaftliche Frage, die die Arbeitermassen bewegt, besprechen und ihren Standpunkt feststellen und jeden im Betrieb entstehenden Konflikt durchberaten. Die Zelle muß den Arbeitern den Weg zur revolutionären Lösung der Fragen weisen und als der bewußteste und aktivste Teil der Arbeiterklasse die Kampfleiturig in ihre Hände nehmen.

Die Aufgaben der Betriebszellen sind außer den allgemeinen Parteifragen folgende:

1. Die kommunistische Agitation und Propaganda unter den parteilosen Arbeitermassen, systematische, individuelle Bearbeitung einzelner Arbeiter zu ihrer Heranziehung in die K.P., Verbreitung von politischer Literatur im Betrieb, Beleuchtung verschiedener im Betrieb wichtiger Fragen, sowie die Herausgabe einer besonderen Betriebszeitung, Kultur- und Aufklärungsarbeit unter den Arbeitern des Betriebes.

2. Zähe und dauernde Arbeit zur Eroberung aller Funktionärposten in den Betrieben (Gewerkschaften), Genossenschaften, Betriebsräten, Kontrollkommissionen usw.

3. Die Einmischung der Zellen in alle ökonomischen Konflikte und Forderungen der Arbeitermassen. Aufgabe der Zelle ist, die Bewegung zu erweitern und zu vertiefen, den Arbeitern die politischen Folgen des Kampfes aufzuweisen und sie auf den Pfad eines breiteren Kampfes (nicht nur des wirtschaftlichen, sondern auch des politischen) und zur Schaffung einer Arbeitereinheitsfront gegen Bourgeoisie und Faschismus zu bringen.

4. Die Zelle muß in Fabriken und Betrieben gegen die Anhänger und Mitglieder der anderen Partei zähe kämpfen, sowohl der sozialistischen wie der übrigen "Arbeiterparteien" und hierbei das Material über die Tätigkeit dieser Parteien ausnützen, welches auch den rückständigen Schichten der Arbeiterklasse zugänglich ist.

5. Schaffung der Verbindung zwischen den Arbeitenden und den Arbeitslosen, um den Kampf zwischen ihnen zu verhindern.

6. Wo die Bedingungen hierfür reif sind, Kampf für die Arbeiterkontrolle der Produktion, der Banken, der Güter, der Transportmittel, Kampf für die Versorgung der Arbeiter mit Gegenständen des Lebensbedarfes.

7. Einwirkung auf die Jugend und die Frauen im Betrieb und Hinzuziehung dieser in den Kampf; Hilfeleistungen bei der Schaffung von kommunistischen Jugendzellen im Betrieb und Unterstützung solcher, wo sie existieren.

8. Aktive Beteiligung jedes Zellenmitgliedes an jeder Parteiarbeit im Betriebe, die ihm vom Büro oder Präsidium der Zelle zugeteilt wird.

Außer diesen speziellen Aufgaben in ihren Betrieben haben die Betriebszellen auch noch territoriale Aufgaben, denn die Arbeiter, welche in den Betrieben arbeiten, haben auch in ihren Wohnbezirken verschiedene Nöte zu beseitigen und allerlei soziale Funktionen (Wohnungsfragen, Verpflegung, Gesundheitswesen, Schulfrage, Bildungs- und Aufklärungsfragen, Wahlen usw.) zu erfüllen. Die wichtigsten territorialen Aufgaben sind folgende:

1. Politische und organisatorische Parteiarbeit im Wohnbezirk, Durchführung verschiedener Kampagnen (Wahlkampagnen, Kampf gegen Wohnungsnot und Teuerung). Kampf für die Sicherstellung der Familien der Arbeiter, der unteren Angestellten und mittleren Schichten hinsichtlich der lebensnotwendigen Produkte.

2. Verbreitung von Parteiliteratur, Anwerben neuer Leser und neuer Parteimitglieder, Agitation, Propaganda und Individualbearbeitung von Parteilosen, Kultur- und Bildungsarbeit im Distrikt (Klub usw.). Hinzuziehung von Sympathisierenden bei Demonstrationen und überhaupt zum Kampf der Arbeiterklasse.

3. Haus- und Wohnungsagitation im Distrikt. Nachrichtendienst über Parteizugehörigkeit der Einwohner des Distrikts, über die politische Arbeit, über die Tätigkeit der Faschisten, Beobachtung von Warenlagern usw...

4. Arbeit unter Frauen und Kindern.

Diese territorialen Aufgaben beziehen sich auch auf die Straßenzellen. Ihre Arbeit muß unter unmittelbarer Leitung des Distriktsbüros stehen und mit der Arbeit der Betriebszellen in Einklang stehen.

Durchführung der Organisation der Betriebszellen

Infolge der Neuheit der Frage für viele Sektionen der K.I. und der Verschiedenheit der Bedingungen in den verschiedenen Ländern schlägt die Exekutive der K.I. vor, zunächst allseitig diese Frage in der Presse und in den Parteiversammlungen zu beraten und erst dann zur Reorganisation der Partei auf der Grundlage der Betriebszellen zu schreiten. Zuerst muß man die Zellen in den größten Betrieben organisieren.

Die Zellen darf man auf keinen Fall mit den kommunistischen Fraktionen in den Gewerkschaften, Genossenschaften usw. verwechseln. Die Zelle kann deren Funktionen nicht ersetzen. Die Funktionen der Fraktionen sind enger als die Funktionen der Zellen. Die Zelle, genauer das Büro oder das Präsidium der Zelle, muß auch die Arbeit der Betriebsfunktionen im Betriebe leiten.

Das E.K.K.I. wendet sich an alle Sektionen der K.I. mit der eindringlichen Bitte, uns genau über den Gang der Diskussionen über die hier von uns berührten Fragen und über die Resultate der Organisation nach Betrieben zu informieren.

Instruktion für die Organisation der Betriebszellen in Deutschland

Betreffend die Instruktion für die Organisation der Betriebszellen in der Kommunistischen Partei Deutschlands wurde von dem Präsidium des E.K.K.I. folgende spezielle Instruktion angenommen:

1. Die Partei hat nach der von der Exekutive angenommenen Resolution über die Organisation der Betriebszellen (siehe oben) die Reorganisierung so durchzuführen, daß die Betriebszellen die Grundlage der Parteiorganisationen werden.

2. Die Mehrheit der Mitglieder in den Bezirks- und Distriktsleitungen muß aus Mitgliedern von Betriebszellen bestehen. Die Großstädte werden in Bezirke geteilt. Die Parteileitungen der Städte (Komitees) müssen einen Teil ihrer Mitglieder den Arbeitern aus den Betrieben entnehmen.

3. Die Betriebszellen und die Straßenzellen werden zu Distrikten vereinigt, die den Bezirkskomitees untergeordnet sind. Die Bezirkskomitees bilden die Distrikte nach Möglichkeit um die Großbetriebe herum.

4. Die Stadtkomitees bzw. Bezirkskomitees sind verpflichtet, unverzüglich ein kalendarisches Programm für die Durchführung dieser Reorganisation an jedem einzelnen Orte auszuarbeiten und der Parteizentrale zur Bestätigung zu unterbreiten. Die Durchführung soll (unter der Leitung der Parteizentrale) im ganzen Reiche im Laufe von zwei Monaten beendet sein. Die Zentrale soll der Exekutive regelmäßig über die Durchführung Bericht erstatten.

Demzufolge entfällt für die Kommunistische Partei Deutschlands der letzte Absatz der Resolution "Durchführung der Organisation der Betriebszellen".

 

 

 

 

 

Fußnoten



[1].     [321ignition] Die Fußnoten sind von uns, unter Verwendung von eventuellen in der Quelle enthaltenen Fußnoten, formuliert.

[2].     Die Delegation des E.K.K.I. in Deutschland bestand während der Ereignisse aus Jurij Pjatakov ("Arvid"), Karl Radek, Vasilij Smidt, Nikolaj Krestinskij. Das Referat hält Radek.

Das Dokument vom 15. November, welches die die Aktion von Oktober 1923 betreffenden Thesen der Delegation darlegt, ist widergegeben in:

Bernhard Bayerlein, Deutscher Oktober 1923: ein Revolutionsplan und sein Scheitern; Berlin, Aufbau-Verlag, 2003; S. 364.

[3].     Das politische Büro der KPD beschließt am 28. August 1923 die Schaffung eines zentralen Revolutionskomitees (REVKOM), auch Siebenerkommission genannt.

Dieses zentrale Revolutionskomitee besteht aus einem Revolutionären Kriegsrat sowie sechs weiteren Mitglieder der KPD-Zentrale. Der Revolutionären Kriegsrat (auch Dreierkommission genannt) besteht aus Brandler und Kleine sowie dem militärischen Leiter (M-Leiter) bei der Zentrale der KPD.

Harald Jentsch, Die KPD und der "Deutsche Oktober" 1923, Koch, 2005

[4].     So im Original.

[5].     So im Original.

[6].     Albert Leo Schlageter.

Mit dem Ende des 1. Weltkrieges, der Niederlage Deutschlands und den Ansätzen von antikapitalistischen Bewegungen bilden sich konterrevolutionäre Freikorps. Schlageter schließt sich dem Freikorps Medem an und nimmt an den Kämpfen im Baltikum teil. 1920 nimmt er als Angehöriger der 3. Marinebrigade an der Repression der Aufstandsbewegungen, die sich in Reaktion auf den Lüttwitz-Kapp-Putsch entwickeln, teil. 1921 schließt er sich dem Freikorps Hauenstein in Oberschlesien an und nimmt an Kämpfen gegen polnische Kämpfer teil. Der Einzug in das Ruhrgebiet, am 11. Januar, von französische und belgische Truppen löst aktiven und passiven Widerstand aus. Schlageter nimmt am 1. Parteitag der NSDAP, der vom 27 zum 29 Januar in München stattfindet, teil. Er organisiert eine Sabotagegruppe gegen die Besatzungstruppen. Er wird am 7. April verhaftet, am 7. Mai von einem französischen Militärgericht zum Tode verurteilt und am 26. hingerichtet.

Vom 12. bis zum 23. Juni 1923 tagt in Moskau das 3. erweiterte Plenum des EK der KI. Am 21. hält Karl Radek eine Rede, die am 26. in der Roten Fahne abgedruckt wird. Hier Auszüge:

[...] des deutschen Faschisten [Schlageter] [...], unseres Klassengegners, der zu Tode verurteilt und erschossen wurde von den Schergen des französischen Imperialismus, dieser starken Organisation eines anderen Teils unserer Klassenfeinde. [...] Die Geschicke dieses Märtyrers des deutschen Nationalismus [...] haben uns, sie haben dem deutschen Volke vieles zu sagen. [...] Schlageter, der mutige Soldat der Konterrevolution, verdient es, von uns Soldaten der Revolution männlich-ehrlich gewürdigt zu werden. [...]

Die Kommunistische Partei Deutschlands muß offen den nationalistischen kleinbürgerlichen Massen sagen: Wer im Dienste der Schieber, der Spekulanten, der Herren von Eisen und Kohle versuchen will, das deutsche Volk zu versklaven, es in Abenteuer zu stürzen, der wird auf den Widerstand der deutschen kommunistischen Arbeiter stoßen. Sie werden auf Gewalt mit Gewalt antworten. Wer aus Unverständnis sich mit den Söldlingen des Kapitals verbinden wird, den werden wir mit allen Mitteln bekämpfen. Aber wir glauben, daß die große Mehrheit der national empfindenden Massen nicht in das Lager des Kapitals, sondern in das Lager der Arbeit gehört. Wir wollen und wir werden zu diesen Massen den Weg suchen und den Weg finden. Wir werden alles tun, daß Männer wie Schlageter, die bereit waren, für eine allgemeine Sache in den Tod zu gehen, [...] ihr heißes, uneigennütziges Blut nicht verspritzen um die Profite der Kohlen- und Eisenbarone, sondern um die Sache des großen arbeitenden deutschen Volkes, das ein Glied ist in der Familie der um ihre Befreiung kämpfenden Völker. Die Kommunistische Partei wird diese Wahrheit den breitesten Massen des deutschen Volkes sagen, denn sie ist nicht die Partei des Kampfes um ein Stückchen Brot allein der industriellen Arbeiter, sie ist die Partei der kämpfenden Proletarier, die um ihre Befreiung kämpfen, um die Befreiung, die identisch ist mit der Freiheit ihres gesamten Volkes, mit der Freiheit all dessen, was arbeitet und leidet in Deutschland. Schlageter kann nicht mehr Wahrheit vernehmen. Wir sind sicher, daß Hunderte Schlageters sie vernehmen und sie verstehen werden.

[7].     G. Sinowjew, Probleme der deutschen Revolution; Hamburg, Verlag Carl Hoym Nachf. Louis Cahnbley, 1923.

[8].     "Die Internationale - Zeitschrift für Praxis und Theorie des Marxismus", herausgegeben von der KPD-Zentrale.

[9].     Cf. das Dokument: .

[10].    Cf. das Dokument: .

[11].    Cf. das Dokument: .

[12].    Cf. das Dokument: