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4. Kongress der Kommunistischen Internationale
(5. November - 5. Dezember 1922)

August Thalheimer :
Das Programm der Internationale und der kommunistischen Parteien
(18. November 1922)

 

 

Quelle:

4. Kongreß der Kommunistischen Internationale (5. November - 5. Dezember 1922) - Protokoll, Verlag der Kommunistischen Internationale, Hamburg, Verlagsbuchhandlung Carl Hoym Nachf. L. Cahnbley, 1923, S. 424‑440.

Das Dokument in Französisch 

 

 

 

 

 

 

Erstellt: März 2021

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Dokumente der Kommunistischen Internationale ‑ Übersicht

 

 

 

 

 

 

Genossen und Genossinnen, Sie haben 4 verschiedene Programmentwürfe vorliegen: den des Gen. Bucharin, ein bulgarisches Programm, ein deutsches Programm und schließlich ein Aktionsprogramm der italienischen Partei. Ich betrachte es nicht als meine Aufgabe, unter diesen verschiedenen Programmentwürfen etwa den deutschen Entwurf in seinen konkreten Einzelheiten als denjenigen anzupreisen, der unbedingt die Konkurrenz schlagen muß. Es ist ein erster Entwurf, der formell und inhaltlich der Verbesserung und Ergänzung bedarf. Ich behaupte aber, das gilt von allen Entwürfen, die vorliegen, und der deutsche Entwurf macht dabei keine Ausnahme. Die Entwürfe sind so, wie sie vorliegen, Grundlagen für eine endgültige Fassung und für eine internationale Diskussion.

Die endgültige Fassung kann meiner Meinung nach nur Ergebnis der Kollektivarbeit sein. Ich stimme vollkommen mit dem Gen. Bucharin darin überein, daß über das endgültige Programm erst der nächste Kongreß beschließen soll. Heute können wir die definitive Ausarbeitung nur einleiten und vorbereiten. Zu diesem Zweck ist es nötig, die Differenzpunkte, soweit sie bestehen, in aller Kürze, aber auch mit aller Schärfe herauszuarbeiten, und das wird den Hauptteil meiner Ausführungen ausfüllen. Ich werde die ausgezeichneten Ausführungen des Gen. Bucharin nicht wiederholen, um den theoretischen und programmatischen Bankrott der 2. und 2 1/2 Internationale nachzuweisen, ich will nur, um dieses Kapitel wenigstens zu streifen, einige kleine typische Ergänzungen bringen.

Zunächst möchte ich darauf hinweisen, daß Kautsky in seiner Programmschrift so weit geht, daß er sogar das Fundament der marxistischen Auffassung der kapitalistischen Ökonomie aufgibt. Charakteristisch dafür ist die Vorstellung, daß der Endzweck und das regelnde Gesetz des Kapitalismus die Mehrwertproduktion ist, und nun entwickelt plötzlich Kautsky jetzt, daß der Kapitalismus vom Konsumbedürfnis geleitet wird. Ich glaube, es kann keine vollständigere, gründlichere und fundamentalere Kapitulation vor der bürgerlichen Ökonomie geben, als hierin liegt.

Dann will ich noch mit ein paar Worten auf die reformsozialistischen Vorschläge eingehen, die Kautsky für die Wege zur sozialistischen Ökonomie macht. Gen. Bucharin hat ganz richtig erwähnt, daß uns von Kautsky nicht die Vorstellung vom Tempo des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus unterscheidet, sondern der wesentliche Punkt ist der, daß wir überzeugt sind, daß dieser Übergang nach der Eroberung der politischen Macht beginnt, während er meint, dies vor Eroberung der politischen Macht und ohne sie zustande zu bringen.

Nun, Kautsky hat sich in allen diesen Punkten heute vollkommen zurückrevidiert auf Bernstein. Alle diese Reformvorschläge, die Wege, die Bernstein einschlug, die betritt jetzt Kautsky mit dem Anspruch, das sei jetzt, der wahre Marxismus. Ich will diese Dinge nicht weiter theoretisch beleuchten, sondern praktisch. Worauf beziehen sich diese Vorschläge? Es sind erstens die bekannten Wege des Munizipalsozialismus und zweitens die Wege des Gildensozialismus, eine neue Importware. Um hier seine neuesten alten Bernsteinschen Thesen zu beweisen, begeht Kautsky, der in allen seinen Schriften, als ein besonders nüchterner Theoretiker auftritt, den phantastischsten Unsinn. Nehmen wir den Gildensozialismus. Der Gildensozialismus stellt sich vor, daß ohne Eroberung der politischen Macht die Gewerkschaften Schritt für Schritt den Sozialismus durchführen können, sozusagen hinter dem Rücken der kapitalistischen Gesellschaft. Nun, man braucht sich nur die Lage der Gewerkschaften anzusehen, ihre Finanzlage in der verfallenden kapitalistischen Wirtschaft, um zu erkennen, daß das eine reine Phantasie ist. Wo die Gewerkschaften heute die größten Schwierigkeiten haben, ihre Kampffonds aufrechtzuerhalten, kann man nicht erwarten, daß sie hinter dem Rücken des Kapitalismus den Sozialismus durchführen sollen.

Ein zweites beliebtes reformistisches Steckenpferd ist der Kommunalsozialismus, die Kommunalisierung. Jeder, der einigermaßen die Dinge im Westen kennt, weiß, daß ein hervorstechender Zug nicht nur der allgemeine Bankrott der Länder, sondern auch der Gemeindefinanzen ist und daß das Problem für die Gemeinden heute so steht: nicht Übergang zum Sozialismus aus eigener Kraft, sondern Verteidigung gegen die Angriffe der Kapitalisten, die die munizipalen Einrichtungen privatisieren wollen.

Nun noch ein Drittes. Um den Übergang besonders milde zu machen, hat man die Übernahme des kapitalistischen Eigentums gegen Entschädigung vorgeschlagen. Sie wissen alle, daß Marx an dieser Stelle davon spricht, daß man eventuell die englischen Grundbesitzer gegen Entschädigung auskaufen könne. Er hat aber nicht in dem Sinne davon gesprochen, daß man das vor der Eroberung der politischen Macht könne, sondern daß erst nach der Eroberung der politischen Macht ein solcher Weg gangbar sein könne. Wie stehen die Dinge in den größten Teilen Europas? Nehmen wir an, die Macht sei erobert und es handele sich darum, die Kapitalisten auszukaufen, so weiß jeder, daß eine der ersten Voraussetzungen für den sozialistischen Aufbau die Liquidierung der ungeheuren toten Lasten von Schulden ist, die auf der Wirtschaft lasten. Diese milde Methode des Auskaufens der Kapitalisten ist heute genau so eine Utopisterei, wie es die Vorstellung vom Gildensozialismus oder Munizipalsozialismus Kautskys ist.

Dann mache ich Sie noch auf eine besondere Schönheit Kautskys aufmerksam, die gerade hier und jetzt besonderes Interesse hat, nämlich die Frage einerseits der Staatsbürokratie, andererseits des Staatskapitalismus oder Staatssozialismus, wie Kautsky sie behandelt. Nach der Kautskyschen Auffassung gibt es eigentlich nur noch zwei Staaten, wo die Bürokratie eine große Rolle spielt. Der eine Staat ist Frankreich, die "Republik ohne Republikaner" in dem alten Sinne. Der zweite Staat nach Kautsky ist - Sowjetrußland. Offenbar ist in Deutschland insoweit die Demokratie durchgeführt, daß die staatliche Bürokratie verschwunden ist. Nun, die praktische Konsequenz davon ist, daß in Deutschland und in den anderen Staaten der bürgerlichen Demokratie von den Sozialdemokraten die Bürokratie nicht berührt wird, unangetastet gelassen wird. Die ganze praktische Politik der Sozialdemokratie beschränkt sich ja darauf, sozialdemokratische Beamte den bürgerlichen hinzuzufügen.

Nun aber das Gegenstück. Bei der Behandlung des Staatssozialismus und des Staatskapitalismus entdeckt Kautsky plötzlich: diese staatliche Bürokratie ist ja noch da und die ist ganz unfähig, die kapitalistischen Betriebe zu übernehmen. Sie ist starr konservativ, nicht beweglich, - das kann nur die kapitalistische Bürokratie, nur sie kann diese Betriebe übernehmen.

Nun, was bedeutet das heute, in Deutschland und allgemein angewandt, praktisch? Nun, es bedeutet direkt die Kombination, das Hand-in-Hand-Arbeiten mit Stinnes und seinen Leuten, die Empfehlung der Stinnes-Bürokraten als die Berufsschicht, die die Sozialisierung durchführen soll. Kautsky hat bereits, ehe praktisch die Verschmelzung der 2, und 2 1/2 Internationale, der USP und SP in Deutschland erfolgte, den theoretischen Segen und die theoretische Begründung dafür gegeben. Wenn jetzt in Deutschland eine Stinnesregierung mit Einschluß der Sozialdemokraten gebildet wird, wenn diese Stinnesregierung die noch staatlichen Betriebe für das Privatkapital zu ergattern sucht, so hat Kautsky bereits auch dafür seinen theoretischen Segen gegeben.

Ich wollte nur diese Punkte berühren, weil sie besonders aktuell scheinen, weil sie besonders grell die Kapitulation der 2. und 2 1/2 Internationale in theoretischer Hinsicht beleuchten.

Und dann noch einige kleine Ergänzungen zu dem, was Gen. Bucharin sagte, zu dem Marx-Epigonentum und seiner Auflösung.

Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam machen: Historisch liegen die Dinge so, daß die Auseinandersetzungen mit diesem Marx-Epigonentum in Deutschland und den übrigen Kreisen der 2. Internationale bereits nach der ersten russischen Revolution begannen. Der Anknüpfungspunkt damals war die Debatte über den Massenstreik und das Kampffeld erweiterte sich dann. Das Hauptkampffeld war die theoretische Debatte über die Wurzeln des Imperialismus und im Zusammenhang damit die politischen Fragen der Abrüstung. Hier wurden die ersteh theoretischen Turniere in Deutschland ausgefochten, und hier wurde die Grundlage gelegt von der einen Seite wie von der anderen zu dem, was dann das marxistische Zentrum, schließlich die USP und jetzt die Vereinigte SPD auf der einen Seite wurde und die KPD auf der anderen. Seite.

Dann noch eine Bemerkung, eine Unterstreichung dessen, was Bucharin über die theoretische Kapitulation sagte, wie sie in dem Programm der 2. und 2 1/2 Internationale zum Ausdruck kam, vor allen Dingen im Görlitzer Programm.

Alles das, was hier Bucharin unterstrichen und angeführt hat, die Beseitigung der Verelendungstheorie, der Krisentheorie usw., alles das ist mit aller Klarheit und Schärfe in den Programmkommentaren des Görlitzer Programms ausgesprochen worden. Kampffmeier, Bernstein, Stampfer, sie alle bestätigen mit aller Schärfe diese Liquidation.

Nun die Streitfragen: Ich werde in der Hauptsache folgende Fragen berühren:

1. Den grundlegenden Teil, die theoretische Begründung des Imperialismus im Zusammenhang mit der Theorie der Akkumulation.

2. Die Frage, die ich als die Hauptfrage für die wirkliche Ausarbeitung sowohl des allgemeinen Programms wie des Programms der einzelnen Parteien betrachte, nämlich die Frage der Übergangsmaßnahmen, Etappenforderungen, oder wie man es sonst bezeichnen will, vor Eroberung der Macht.

3. Kurze Bemerkungen über die wirtschaftlichen Übergangsmaßregeln nach Eroberung der Macht, Kriegskommunismus und Nep.

4. Den Aufbau und die Form des Programms.

Ich gehe gleich zu dem ersten Punkte der theoretischen Begründung des Imperialismus über. Es kann natürlich nicht die Rede davon sein, daß sich hier eine eingehende theoretische Debatte entfalte. Worauf es mir ankommt, ist nur das, daß die Frage klargestellt wird, daß die theoretische Diskussion, die mir unbedingt notwendig zu sein scheint, eingeleitet wird. Es ist klar, daß in solchen Fragen eine Entscheidung nur fallen kann, wenn zuvor in der Literatur und in sonstigen Auseinandersetzungen eine ausgiebige theoretische Aussprache erfolgt ist. Was ich will, das ist die genaue Präzisierung der Frage und dann die Hervorhebung ihrer praktisch-theoretischen und programmatischen Bedeutung. Ich erwähnte vorhin schon, daß die programmatisch theoretischen und taktischen Differenzen in der alten Sozialdemokratie in Deutschland gerade an die theoretische Frage des Imperialismus anknüpften, und zwar sind es zwei Fragen, die hier eine Rolle spielen: die Hauptfrage: ist der Imperialismus eine notwendige Phase der kapitalistischen Entwicklung, notwendig im Sinne des Kapitalismus? Die zweite Frage ist die theoretische Begründung dieser Notwendigkeit. In Deutschland war diese Frage das Scheidewasser, das die marxistische Linke und das marxistische Zentrum trennte. Der Kardinalpunkt, um den es sich in dieser Frage dreht, ist offenbar folgender: Der Imperialismus ist ökonomisch ein Problem der Akkumulation, des Kapitalwachstums oder der erweiterten Reproduktion. Diese erweiterte Reproduktion, dieses Kapitalwachstum, das Hinübergreifen des Kapitals in nichtkapitalistische Gebiete ist eine geschichtliche Tatsache, und zwar eine Tatsache, die nicht erst seit der imperialistischen Epoche, sondern bekanntlich schon seit der Entstehung des Kapitalismus überhaupt datiert. Von der Entstehung des Kapitalismus ab ist die Welt ausgefüllt mit Kolonialkriegen, mit kolonialen Eroberungen, mit Handelskriegen usw.

Und wenn wir den Imperialismus erklären, handelt es sich nicht allein um diese Tatsache der kolonialen Ausbreitung der kapitalistischen Expansion, es handelt sich um die besondere Form der Expansion, heute, unter imperialistischen Verhältnissen. Diese besondere Form der Expansion, diese besonderen Bedingungen, unter die die kapitalistische Expansion im Zeitalter des Imperialismus tritt, formuliert die Gen. Luxemburg folgendermaßen:

Es handelt sich im imperialistischen Zeitalter um den Kampf um die Reste des nichtkapitalistischen Gebietes, um seine Neuaufteilung und schließlich im Zusammenhang damit um die Erweiterung der kapitalistischen und der politischen Machtbasis.

Diese Tatsachen waren längst bekannt und sind nicht fraglich. Es handelt sich um die Erklärung dieser Tatsachen, und zwar um die Entscheidung: Ist diese imperialistische Epoche mit ihren Katastrophen und Krisen ein historischer Zufall oder ist sie eine Notwendigkeit? Und daran knüpft sich die politische Entscheidung: Ist es möglich, von dieser imperialistischen Epoche zurückzukehren, das Rad in die Manchesterepoche zurückzudrehen, in die Epoche des liberalen Kapitalismus, zum Freihandel, zum Völkerfrieden, zum Pazifismus, oder gibt es nur einen Weg vorwärts, nämlich die revolutionäre Überwindung dieser imperialistischen Epoche, gibt es nur den Ausweg zum Sozialismus? Und von der Entscheidung dieser Frage wird auch die politische Taktik bestimmt.

Wenn ich annehme, der Imperialismus verkörpert nur die Interessen eines Teils der Bourgeoisie, das Gesamtinteresse der Bourgeoisie aber läßt sich mit Manchestermethoden vereinigen, was folgt taktisch daraus? Es folgt, daß taktisch die Möglichkeit besteht, sich mit einem Teil der Bourgeoisie gegen den anderen Teil zu koalieren. Es ist das theoretisch-programmatische Fundament der Koalitionspolitik hier bereits gelegt. Umgekehrt natürlich mit der umgekehrten Auffassung.

Rein theoretisch stellt sich die Frage so: Ist Kapitalerweiterung, ist Akkumulation möglich innerhalb der Grenzen des Kapitalismus und in unbeschränkter Weise, oder findet diese Akkumulation andere Schranken als den Kapitalismus selbst? Das heißt auf die einfachste Formel gebracht: besteht für den Kapitalismus die Möglichkeit unbegrenzt zu wachsen und sich unbegrenzt auszubreiten, oder bestehen unbedingte theoretische Schranken für diese Ausbreitung und für dieses Wachstum? Man hat der Vorstellung, die die Theorie der Akkumulation entwickelt, den Vorwurf gemacht, sie sei eine Art Fatalismus, sie starre auf den Punkt, wo der Kapitalismus mechanisch zusammenbricht. Dieser Punkt, wo der Kapitalismus kein Ausbreitungsgebiet mehr findet, wo er rein mechanisch zusammenbrechen müßte, ist nur eine gedankliche Grenze, ein Grenzwert, wie es die Mathematiker nennen würden. Worauf es ankommt, ist etwas anderes. Nämlich, daß der Kapitalismus in seiner imperialistischen Phase gezwungen ist, die Klassengegensätze zu verschärfen, daß er gezwungen ist, durch die schwersten politischen und sozialpolitischen Katastrophen durchzugehen. Woraus folgt, daß nicht dieses Gedankenende für das Ende des Kapitalismus entscheidend ist, sondern die schwere Krisenperiode, in die der Imperialismus hineinführt.

Um das zu belegen, bin ich genötigt, die entsprechenden Ausführungen der Gen. Luxemburg anzuführen. Es heißt hier in ihrer Schrift, die sich mit den Kritikern der Akkumulation auseinandersetzt:

Die Akkumulation ist in einem ausschließlich kapitalistischen Milieu unmöglich. Daher vom ersten Moment der Kapitalsentwicklung der Drang zur Expansion auf nichtkapitalistische Schichten und Länder, der Ruin des Handwerks und des Bauerntums, die Proletarisierung der Mittelschichten, die Kolonialpolitik, "Erschließungspolitik", Kapitalausfuhr. Nur durch ständige Expansion auf neue Produktionsdomänen und neue Länder ist die Existenz und Entwicklung des Kapitalismus seit jeher möglich gewesen. Aber die Expansion führt in ihrem Weltgang zum Zusammenstoß zwischen dem Kapital und den vorkapitalistischen Gesellschaftsformen. Daher Gewalt, Krieg, Revolution, kurz: Katastrophe, das Lebenselement des Kapitalismus von Anfang bis Ende.

Nun fragt die Gen. Luxemburg: Muß diese objektive Schranke des Kapitalismus erreicht werden? Sie fragt: Kann dieser Moment wirklich eintreffen? Und sie antwortet folgendermaßen:

Allerdings ist das nur eine theoretische Fiktion, gerade weil die Akkumulation des Kapitals nicht bloß ökonomischer, sondern politischer Prozeß ist.

Der Imperialismus ist ebensosehr eine geschichtliche Methode der Existenzverlängerung des Kapitals, wie das sicherste Mittel, dessen Existenz auf kürzestem Wege objektiv ein Ziel zu setzen. Damit ist nicht gesagt, daß dieser Endpunkt pedantisch erreicht werden muß. Schon die Tendenz zu diesem Endziel der kapitalistischen Entwicklung äußert sich in Formen, die die Schlußphase des Kapitalismus zu einer Periode der Katastrophen gestalten.

("Akkumulation des Kapitals" Seite 425.)

Das wird dann näher erläutert:

Je gewalttätiger das Kapital vermittels des Militarismus draußen in der Welt und bei sich daheim mit der Existenz nichtkapitalistischer Schichten aufräumt und die Existenzbedingungen aller arbeitenden Schichten herabdrückt, um so mehr verwandelt sich die Tagesgeschichte der Kapitalsakkumulation auf der Weltbühne in eine fortlaufende Kette politischer und sozialer Katastrophen und Konvulsionen, die zusammen mit den periodischen wirtschaftlichen Katastrophen in Gestalt der Krisen die Fortsetzung der Akkumulation zur Unmöglichkeit, die Rebellion der internationalen Arbeiterklasse gegen die Kapitalherrschaft zur Notwendigkeit machen werden, selbst ehe sie noch ökonomisch auf ihre natürliche selbstgeschaffene Schranke gestoßen ist.

(l. c. S. 445.)

Das ist diese Seite.

Und nun, Genossen, mit einigen Worten die Kehrseite der Medaille, die von Anfang an diese Theorie mit aller Schärfe bekämpft hat. Hilferding, der in seinem "Finanzkapital" kurz und knapp dieses Marxsche Schema wiederholt, sagt, der Kapitalismus kann sich unbeschränkt ausbreiten. Dann Bauer, damit das österreichische Haupt der Schule nicht fehle, der eine ganz merkwürdige Theorie entwickelt hat, nämlich daß das kapitalistische Wachstum bedingt geregelt sei durch das Wachstum der Bevölkerung, und zwar speziell der Arbeiterbevölkerung. Das heißt die Marxsche Bevölkerungstheorie auf den Kopf stellen, die gerade das Gegenteil sagt.

Und nun will ich Ihnen an einigen Beispielen die politischen Konsequenzen dieser Auffassung zeigen. Und dabei will ich betonen, es gibt eine Reihe derer, die die Akkumulationstheorie abgelehnt und die diese .politischen Konsequenzen nicht gezogen haben; das beweist nichts für ihre Argumente, nur etwas für ihren Mangel an Konsequenz.

Ich führe also hier diejenigen an, die aus diesem theoretischen Ausgangspunkt konsequent weiter gefolgert haben.

Zunächst Kautsky. Es ist eine fortlaufende Reihe, von 1912 bis 1922. Kautsky schreibt am 26. April 1912 in der "Neuen Zeit":

Das Wettrüsten beruht auf ökonomischen Ursachen, aber nicht auf einer ökonomischen Notwendigkeit.

Das ist eine besonders feine scholastische Finesse.

Seine Einstellung ist nicht im geringsten eine ökonomische Unmöglichkeit.

Damit haben Sie den theoretischen Schlüssel zu der Haltung, die die USP, die Kautsky während des Krieges eingenommen hat.

Dann im selben Ton Bernstein auf dem Chemnitzer Parteitag 1912. Es ist sehr interessant, daß diese beiden Antipoden sich in diesem Punkt schon 1912 gefunden haben. Bernstein führte auf dem Chemnitzer Parteitag aus:

Ich könnte viel darauf antworten, daß das, was wir heute verlangen, nämlich die Abrüstung, Utopie und reaktionär sei. Das ist es nicht. . . . Die Weltgeschichte ist oft auf falschem Wege gewesen.

Das erinnert mich sehr an die kleine Anekdote von dem Offizier, der eine Taube fliegen sieht und behauptet: Sieh mal, die Taube fliegt falsch.

Wir wollen das bewußte Eingreifen in den Prozeß, die Losung; Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.

In diesem Wohlgefallen fanden sich Kautsky und Bernstein bereits 1912 zusammen.

Dann während des Krieges Hilferding. Ich habe hier einen kleinen Auszug aus einem Artikel, den Hilferding in dieser Zeit - November- Dezember 1916 - unter dem Titel veröffentlichte; "Die Zusammenbruchstheorie", "Gegenseitigkeit und Gewalt als Mittel der Handelspolitik". Einige kleine Zitate daraus:

Während Kapitalismus möglich bliebe, auch wenn die ganze Welt annähernd gleich kapitalistisch entwickelt wäre - setzt Imperialismus das Bestehen großer ökonomischer Verschiedenheit voraus.

Weiter:

Die Arbeiterschaft kann nur eine Handelspolitik der Gegenseitigkeit vertreten.

Und schließlich:

Der Freihandel wird so in seinem Gegensatz zur imperialistischen Handelspolitik und damit zum Imperialismus überhaupt eine unvermeidbare Kampfforderung des Proletariats.

Weiter:

Von diesem Standpunkt aus verliert die Kolonialpolitik ihre Bedeutung. Es wird dann gleichgültig, wem die Kolonien politisch gehören. Die Entwicklung des englischen Kolonialreiches ist rein wirtschaftlich allen anderen Volkswirtschaften zugute gekommen, die dabei die Lasten der Erwerbung und Entwicklung erspart haben.

Was steckt dahinter?

Eben der Gedanke, den wir vorhin erwähnt haben, der Gedanke der Möglichkeit der Überwindung des Imperialismus nach rückwärts zum Freihandel und die theoretischen Folgerungen daraus. Die Arbeiterklasse müsse nicht nach vorwärts für den Sozialismus kämpfen, sondern nach rückwärts. Sie müsse sich mit den entsprechenden Schichten der Bourgeoisie verbünden.

Und dann, Genossen, die höchste Blüte in dieser Sache ist ein Artikel Hilferdings von Neujahr 1922, in dem er bewies, daß die Zeit der imperialistischen Gegensätze zu Ende sei, daß jetzt die Zeit der großen imperialistischen Harmonie beginne, eine konsequente Linie vom Ausgangspunkt von 1912 an. Hilferding sagte damals:

Zwei Mittel kennt die kapitalistische Wirtschaft, um den Profit zu steigern: Konkurrenz und Vereinbarung. Je fortgeschrittener der Kapitalismus, desto mehr tritt an Stelle der Konkurrenz die Vereinigung. Dasselbe gilt für die internationale Politik kapitalistischer Staaten. . . . Der letzte Krieg hat zwei überwiegende Machtzentren zurückgelassen. Er hat zugleich demonstriert, wie verderblich der Krieg war. Sollen Erfolge erreicht werden, ist ein Wechsel der Methoden nötig, Vereinbarung an Stelle des Kampfes.

Vereinbarung, ein Rat, den Hilferding auf Grund einer Analyse den Kapitalisten im Jahre 1922 gegeben hat.

Genossen, diese Frage der theoretischen Erklärung des Imperialismus spielt aber nicht nur in Deutschland, sondern auch auf russischem Boden eine Rolle. Das bitte ich gerade die russischen Genossen zu beachten. Es war der legale Marxismus, Tugan-Baranowsky, Struve, Bulgakow, die die Theorie der schrankenlosen Akkumulationsmöglichkeit des Kapitalismus vertraten. Ich will mit einigen Worten auf die Wurzeln dieser Theorie eingehen. Es handelte sich für den einsetzenden Marxismus in Rußland darum, gegen die Narodniki zu beweisen, daß die kapitalistische Entwicklung in Rußland möglich und notwendig sei. Nun, das haben diese Marxisten bewiesen, aber sie haben etwas zuviel bewiesen, (Zuruf: Lenin auch?) Auch Lenin. Ja. Sie haben bewiesen, daß der Kapitalismus unbeschränkt und ewig sei. Und sie haben damit den theoretischen Beweis der Unmöglichkeit des Sozialismus erbracht. Und Genossen, hier nun die Analogie zu dem Fall in Deutschland. Tugan-Baranowsky, Struve und Bulgakow sind alle im Lager der Bourgeoisie gelandet. Es gibt auch andere Fälle, aber ich sage, sie beruhen auf theoretischen Inkonsequenzen.

Ich stelle diese Frage deshalb so ausführlich, präzisiere sie deshalb, weil ich sage, es handelt sich hier um keinen Nebenpunkt, sondern um einen Hauptpunkt der Theorie. Die Kritik, die in Deutschland, in Österreich von den Austromarxisten an dieser Theorie geübt worden ist, ist meiner Meinung nach widerlegt worden, und die Genossen, die diese Theorie ablehnen - es gibt eine Reihe russischer Genossen, bei denen das der Fall ist -, haben die Pflicht - nicht hier und jetzt, aber überhaupt - sich theoretisch damit auseinanderzusetzen.

Ich komme nun zu der Frage, die für die Abfassung des allgemeinen Programms und des Programms der einzelnen Parteien die entscheidende ist, diejenige, worin ich in scharfem Gegensatz zu dem Gen. Bucharin stehe. Das ist die Frage der Übergangsforderungen, der Etappenforderungen oder des Minimalprogramms. Gen. Bucharin vertritt die Stellung, man müsse diese konkreten Übergangsforderungen, diese Etappenforderungen von dem eigentlichen Programm trennen. Er macht dafür ein chambre séparée, das sich Aktionsprogramm nennt. Hier darf man allerlei Sünden begehen. (Zuruf Bucharin: Aber öffentlicher Eintritt ist erlaubt.) Öffentlicher Eintritt ist erlaubt. Gut, dann wollen wir diese Türe aufmachen und sehen, was für programmatisch zulässige Dinge sich dort abspielen. (Zuruf: Was halten Sie für zulässige Dinge?) Darum handelt es sich eben. Wir haben in Deutschland auch die Widersprüche gehabt gegen die Aufnahme der Übergangsforderungen vor der Eroberung der Macht in das Programm. Man hat darin, wie Gen. Bucharin, eine besondere Gefahr des Opportunismus gewittert und wir müssen deshalb sehr genau die Frage prüfen: inwieweit ist es möglich, die taktischen Grundsätze - ich meine nicht die konkreten Grundsätze, ich meine nicht die konkreten Tageslosungen, hier müssen wir unterscheiden, sondern die taktischen Grundsätze - von den übrigen Grundsätzen und Zielen zu trennen? Und ich behaupte, wenn man in dieser Trennung von Taktik, Prinzip und Zielen eine Sicherung sieht, so begeht man einen schweren Irrtum und läßt gerade die Gefahren offen, die man beseitigen will. (Sehr richtig! bei den Deutschen.)

Man braucht sich nur die Geschichte der 2. Internationale, ihre Auflösung anzusehen, um zu erkennen, daß gerade diese Abtrennung der taktischen Grundsätze von den Zielen den Übergangspunkt ihres Abgleitens in den Opportunismus bildet. Womit fängt es in Deutschland an? Mit den Debatten Bernstein-Kautsky über die Taktik. Das Endziel ist geblieben. Und weiter, fassen wir heute den Unterschied zwischen uns Kommunisten und den Reformsozialisten zusammen, so sagen wir: Wir unterscheiden uns im Endziel, wir wollen den Sozialismus und Kommunismus, sie wollen ihn nicht. Womit beweisen wir diese Behauptung? Wir beweisen sie damit, daß wir sagen: die Taktik, der Weg, den diese Leute einschlagen, ist ein anderer Weg. Das ist doch der Hauptbeweis. Ich sage also, die spezifische Differenz zwischen uns und den Reformsozialisten liegt nicht darin, daß wir Reform-, Etappenforderungen oder wie man sie sonst nennen mag, in ein chambre séparée abtrennen und aus unserem Programm herausbringen, sondern sie besteht darin, daß wir diese Übergangsforderungen und Übergangslosungen in den strengsten Zusammenhang mit unseren Grundsätzen und Zielen bringen. Mit diesem Zusammenhang ist natürlich die Sicherung an und für sich nicht gegeben, so wenig eine Sicherung dafür gegeben ist, daß ich den richtigen Weg finde, wenn ich eine richtige Karte habe. Ich brauche ja die Karte nicht lesen zu können. Und mir scheint, daß das, was Gen. Lenin kürzlich bezüglich Rußlands sagte, Rußland habe sich hauptsächlich mit den Elementen des Lesens und Schreibens zu befassen, auch in etwas anderem Sinne für die kommunistischen Parteien des Westens gilt: die Wirklichkeit lesen lernen, (Zuruf Radek: Auch kämpfen lernen!) darum handelt es sich. Ich sage also, die Gefahr des Opportunismus liegt gerade auf der umgekehrten Seite, als wo Gen. Bucharin sie wittert, sie liegt in den Wegen, die von den gegebenen Ausgangspunkten zum Sozialismus, zur Diktatur des Proletariats führen.

Dadurch, daß man diesen Weg auf großen Strecken unbeleuchtet läßt, sind in diesem Dunkel sehr viele Irrtümer möglich. Besonders interessant war mir, was Bucharin über das Schreiben der italienischen kommunistischen Partei gesagt hat. Sie schreibt, sie sei gegen die Übergangsforderungen, weil daraus kein Credo gemacht werden dürfe.

Es gibt eine ganze Reihe solcher Übergangsforderungen und Übergangsmaßregeln, die ein Credo werden müssen, was wir verlangen müssen von den einzelnen Parteien,

Genossen! Die Frage dieser Übergangsforderungen und des Minimalprogramms ist nicht neu. Sie ist sogar auf russischem Gebiet bereits einmal durchgefochten worden, und ich glaube, es ist von Interesse, gerade die Dokumente, die sich darauf beziehen, zu verlesen. Es war im Herbst 1917, als hier in Rußland die Frage des russischen Parteiprogramms behandelt wurde. Da tauchte die Frage auf: Behält die russische Partei in einer Situation, wo sie kurz vor der Eroberung der Macht steht - und diese Situation war damals ziemlich klar -, nur das Maximalprogramm und stößt sie das Minimalprogramm aus? Ich glaube, es ist wichtig, die Äußerung des Gen. Lenin zu zitieren. Der Gen. Lenin sagte damals - Sie werden entschuldigen, wenn das Zitat etwas länger ist -:

Tatsächlich wäre unser ganzes Programm ein elender Wisch Papier, wenn es uns nicht für alle Eventualitäten und in allen Momenten des Kampfes zu dienen, und zwar durch seine Ausübung und nicht durch seine Nichtausübung zu dienen imstande wäre. Ist unser Programm einmal die Formulierung der geschichtlichen Entwicklung der Gesellschaft vom Kapitalismus zum Sozialismus, dann muß es offenbar auch alle Übergangsphasen dieser Entwicklung formulieren, in den Grundzügen enthalten, also auch das entsprechende Verhalten im Sinne der Annäherung zum Sozialismus in jedem Moment dem Proletariat anweisen können. Daraus folgt, daß es überhaupt für das Proletariat keinen Augenblick geben kann, in dem es gezwungen wäre, sein Programm im Stiche zu lassen, oder wo es von diesem Programm könnte im Stiche gelassen werden.

Praktisch äußert sich das in der Tatsache, daß es keinen Moment geben kann, in dem das Proletariat, durch den Gang der Dinge ans Ruder gebracht, nicht in der Lage und auch nicht verpflichtet wäre, gewisse Maßregeln zur Verwirklichung seines Programms, gewisse Übergangsmaßregeln im Sinne des Sozialismus zu treffen. Hinter der Behauptung, das sozialistische Programm könnte in irgendeinem Augenblick der politischen Herrschaft des Proletariats völlig versagen und gar keine Anweisungen zu seiner Verwirklichung geben, steckte unbewußt die andere Behauptung: das sozialistische Programm sei überhaupt und jederzeit unrealisierbar.

. . . Von dem allgemeinen oder grundsätzlichen Teil des Programms gehen wir zum Minimalprogramm über.

Hier finden wir gleich den äußerlich "sehr radikalen" und ganz unzulänglichen Vorschlag der Gen. Bucharin und W. Smirnow vor, das Minimalprogramm gänzlich zu beseitigen. Die Teilung in ein Maximal- und in ein Minimalprogramm sei "veraltet", es sei unnütz; denn es handle sich um den Übergang zum Sozialismus. Keinerlei Minimalprogramm, sondern einfach ein Programm der Übergangsmaßnahmen zum Sozialismus.

Das ist der Vorschlag der beiden genannten Genossen, die sich dennoch aus irgendwelchem Grunde nicht entschlossen haben, ein entsprechendes Programm vorzulegen (obgleich die Aufgaben und die Tagesordnung des nächsten Parteitags, die die Revision des Parteiprogramms vorsehen, diese Genossen einfach verpflichteten, ein solches Projekt zu verfassen). Es ist möglich, daß die Urheber dieses scheinbar "radikalen" Vorschlages selbst unschlüssig geworden sind.... Wie dem auch sei, ihre Meinung muß geprüft werden.

Infolge des Krieges und der Zerrüttung der Wirtschaft sind alle Länder gezwungen, vom monopolistischen Kapitalismus zum monopolistischen Staatskapitalismus überzugehen. Das ist die objektive Lage. Aber in einer revolutionären Situation geht der monopolistische Staatskapitalismus unmittelbar in den Sozialismus über. Man kann nicht in einer Revolution vorwärts gehen, ohne zum Sozialismus zu gehen. Das ist die objektive Lage, die durch Krieg und Revolution geschaffen worden ist. Das hat unsere Aprilkonferenz festgestellt, indem sie die Losungen der "Räterepublik" (politische Form der Diktatur des Proletariats) und der Nationalisierung der Banken und Trusts (die grundlegende Maßnahme des Übergangs zum Sozialismus) ausgab. Bis hierher sind alle Bolschewik! miteinander einverstanden und einmütig. Aber die Gen. W. Smirnow und N. Bucharin wollen weitergehen und das Minimalprogramm ganz verwerfen. Das würde heißen: ganz Zuwiderhandeln dem weisen Rat des weisen Sprichworts, das da lautet: "Prahle nicht, wenn Du in den Kampf ziehst, sondern prahle, wenn Du vom Kampfe kommst". (Zurufe: Hört, hört - Heiterkeit.)

Wir ziehen in den Kampf, d. h. wir kämpfen für die Eroberung der politischen Macht durch unsere Partei. Diese Macht würde eine Diktatur des Proletariats und der armen Bauern sein. Wenn wir diese Macht übernehmen, so fürchten wir uns nicht, über den Rahmen der bürgerlichen Ordnung hinwegzuschreiten, sondern erklären im Gegenteil, geradeaus, präzise und überall, daß wir über diesen Rahmen hinausgehen werden, daß wir furchtlos zum Sozialismus gehen werden, und daß eben dahin unser Weg führt - über die Räterepublik, die Nationalisierung der Banken und Trusts, die Arbeiterkontrolle, die allgemeine Arbeitspflicht, die Nationalisierung des Grund und Bodens, die Konfiskation des Inventars, der Großgrundbesitzer usw. In diesem Sinne haben wir ein Programm der Übergangsmaßnahmen zum Sozialismus gegeben.

Aber wir sollen nicht prahlen, wenn wir in den Kampf ziehen; wir sollen das Minimalprogramm nicht hinauswerfen, denn das würde einer leeren Prahlerei gleich sein. (Hört, hört!) Wir wollen nichts "von der Bourgeoisie fordern", sondern es selbst verwirklichen, keine Kleinarbeit im Rahmen der bürgerlichen Ordnung scheuen.

Das würde eine leere Prahlerei sein; denn erst muß man die Macht erobern, und wir haben sie noch nicht erobert. Erst muß man durch die Tat die Übergangsmaßnahmen zum Sozialismus verwirklichen, unsere Revolution bis zum Siege der internationalen sozialistischen Revolution führen und dann, "wenn man vom Kampf kommt", kann und soll man das Minimalprogramm als unnötig hinauswerfen.

Können wir jetzt dafür bürgen, daß es nicht sehr nötig ist? Gewiß ist es unmöglich, aus dem einfachen Grunde, weil wir die Macht noch nicht erobert, den Sozialismus nicht durchgeführt und sogar den Anfang der sozialistischen Weltrevolution noch nicht erlebt haben.

Man muß fest, kühn und ohne Schwanken zu diesem Ziel gehen, aber es ist lächerlich, es als erreicht zu erklären, wenn es bekannterweise noch nicht erreicht ist. Das Hinauswerfen des Minimalprogramms ist der Erklärung, der Verkündung (der Prahlerei, einfacher gesagt) gleich, "daß wir schon gesiegt haben". Nein, werte Genossen, wir haben noch nicht gesiegt.

Und dann einige weitere Ausführungen, die das noch erläutern, und ich glaube, auch Anhaltspunkte für unsere weitere Programmdebatte geben werden. Gen. Lenin fährt fort:

Wir wissen nicht, ob wir morgen siegen werden oder etwas später, ich persönlich neige der Meinung zu, daß es morgen der Fall sein wird - ich schreibe das am 6. Oktober 1917 -, und daß wir uns mit der Übernahme der Macht verspäten können; aber morgen ist immerhin morgen und nicht heute. - Wir wissen nicht, wie schnell nach unserem Siege die Revolution im Westen kommen wird. Wir wissen nicht, ob es nach unserem Siege nicht noch zeitweise Perioden der Reaktion und Siege der Gegenrevolution geben wird. Darin liegt nichts Unmögliches; darum werden wir, wenn wir gesiegt haben, eine "dreifache Linie von Schützengräben" gegen eine solche Wirklichkeit bauen.

Wir wissen das alles nicht und können es nicht wissen. Niemand kann das wissen und darum ist es lächerlich, das Minimalprogramm hinauszuwerfen, das notwendig ist, solange wir noch im Rahmen der bürgerlichen Ordnung leben, solange wir diesen Rahmen nicht zerstört, die Grundlagen für den Übergang zum Sozialismus nicht geschaffen, den Feind, die Bourgeoisie, nicht geschlagen, und wenn er geschlagen ist, nicht vernichtet haben. Das alles wird kommen und wird vielleicht schneller kommen, als es manchem scheint. Ich persönlich glaube, daß es morgen beginnen wird; aber es ist noch nicht da.

Nehmen wir das Minimalprogramm auf politischem Gebiet. Es ist auf die bürgerliche Republik berechnet. Wir fügen hinzu, daß wir uns nicht auf ihren Rahmen beschränken, sondern sofort für den höheren Typus der Räterepublik kämpfen. Das müssen wir tun. Zur neuen Republik müssen wir mit grenzenloser Kühnheit und Entschlossenheit gehen und ich bin sicher, daß wir so zu ihr gehen werden. Aber das Minimalprogramm darf man auf keinen Fall hinauswerfen; denn erstens haben wir noch keine Räterepublik, zweitens ist die Möglichkeit von "Restaurationsversuchen" nicht ausgeschlossen, man muß sie erst erleben und besiegen, drittens sind beim Übergang vom Alten zum Neuen zeitweilig "kombinierte Typen" möglich (worauf der "Rab. Putj" vor einigen Tagen richtig hingewiesen hat), z. B. sowohl die Räterepublik als auch die Konstituante. Das alles muß sich überleben, und dann werden wir noch Zeit haben, das Minimalprogramm hinauszuwerfen.

Und zum Schluß heißt es:

Dasselbe ist auf wirtschaftlichem Gebiet der Fall. Wir sind alle darin einer Meinung, daß die Furcht, zum Sozialismus vorwärtszugehen, die größte Gemeinheit und der Verrat an der Sache des Proletariats ist. Wir sind alle darin einer Meinung, daß die grundlegenden ersten Schritte auf diesem Wege solche Maßnahmen wie die Nationalisierung der Banken und Trusts sein müssen. Verwirklichen wir erst diese und ähnliche Maßnahmen und dann werden wir sehen. Dann werden wir besser sehen; denn die praktische Erfahrung wird unseren Gesichtskreis unermeßlich erweitern, die praktische Erfahrung, die millionenmal mehr wert ist als die besten Programme. Es ist möglich und sogar wahrscheinlich und sogar unzweifelhaft, daß es auch hier ohne "kombinierte Typen" für den Übergang nicht gehen wird; z. B. können wir die kleinen Betriebe mit ein oder zwei Lohnarbeitern weder sofort nationalisieren, noch unter eine wirkliche Arbeiterkontrolle stellen. Nach ihrer Rolle mögen sie verschwindend klein und durch die Nationalisierung der Banken und Trusts an Händen und Füßen gebunden sein, das ist alles wahr; aber wozu das Minimalprogramm hinauswerfen, solange noch, wenn auch kleine Reste bürgerlicher Verhältnisse bleiben? Als Marxisten, die kühn in die größte Revolution der Welt gehen und zugleich die Tatsachen nüchtern beurteilen, haben wir kein Recht, das Minimalprogramm hinauszuwerfen.

Wenn wir es jetzt hinauswerfen würden, so hätten wir dadurch bewiesen, daß wir den Kopf schon verloren haben, bevor wir noch siegen konnten. Aber wir dürfen ihn nicht verlieren, weder vor dem Siege, noch während des Sieges, noch nach dem Siege; denn wenn wir den Kopf verlieren, verlieren wir alles.

Genossen, das Schrieb Lenin am 6. Oktober 1917 in einer Situation, wo er sagte: "die proletarische Diktatur, unser Sieg, ist eine Sache von morgen, aber wir sind noch nicht da, wir sind bei heute". Und im Weltmaßstabe gesehen, Genossen, kann man mit Recht sagen: der Sieg der Weltrevolution ist sicher noch nicht heute. Er ist vielleicht nicht morgen, nicht morgen in dem Sinne, wie das 1917 gesagt wurde.

Im Weltmaßstabe gesehen, muß man sagen: diese Strecke von dem heutigen Zustande bis zur Verwirklichung der proletarischen Diktatur im Weltmaßstabe bemißt sich nach Jahren, vielleicht nach Jahrzehnten, nach Jahrzehnten sicher, wenn wir nicht nur die großkapitalistischen Gebiete einschließen, sondern auch die koloniale, halb agrarische usw. Umwelt. Für eine solche große Strecke, die vor uns liegt, muß man genaue Weglinien aufrichten und ich frage mich nun: welcher Art können diese taktischen Wegzeichen, diese Grundregeln sein? Der Haupteinwand des Gen. Buchann bestand darin, daß er sagte, wir können keine konkreten Tagesförderungen in das allgemeine Programm aufnehmen, denn diese konkreten Tagesförderungen sind nur kurzfristig; sie können sich von Woche zu Woche, von Monat zu Monat ändern. Und zweitens: diese konkreten Tagesförderungen sind von Land zu Land sehr verschieden. Wir können sie also nicht unter einen Hut bringen. Darauf antworte ich folgendes: Wir haben nicht, weder in das allgemeine Programm, noch in die nationalen Programme die konkreten Tagesförderungen bis in alle ihre Einzelheiten hineinzubringen, aber wir haben die taktischen Grundregeln zu geben, die taktischen Grundsätze, die Methoden, um mich so auszudrücken, aus denen alle diese konkreten einzelnen Forderungen eindeutig und sicher abgeleitet werden können.

Und, Genossen, es gibt nicht nur solche Probleme des Überganges, die je nach den einzelnen Ländern verschieden sind und die von Woche zu Woche und von Monat zu Monat verschieden sind, es gibt eine ganze Reihe solcher Fragen des Überganges, solcher großen Fragen allgemeiner Natur, die unbedingt in einem kommunistischen Programm festgelegt werden müssen. Und ich sage, ein allgemeines Programm der Kommunistischen Internationale, das hier auf dieser großen Strecke einen weißen Fleck aufweist, ein solches allgemeines Programm hat für die Parteien des Westens nur sehr wenig praktischen Wert. (Sehr richtig! bei den Deutschen.) Für die nächste Zeit liegt das Hauptgewicht gerade auf dieser Übergangsstrecke und ihrer Absteckung. Ich will einige solcher Fragen des Überganges erwähnen, die meiner Ansicht nach unbedingt in ein solches kommunistisches Programm hineingehören. Ich rechne dazu die Frage der Produktionskontrolle, die Frage des Staatskapitalismus, Richtlinien für eine Steuerpolitik und Finanzpolitik der einzelnen Parteien. (Sehr richtig!) Diese Fragen treten ja jeden Tag an die Parteien heran, die konkrete Form wechselt (Bucharin: Aha!). Ja, aber Richtlinien muß man haben, aus denen dann das praktische Verhalten abzuleiten ist. Nehmen Sie zum Vergleich das Erfurter Programm: Dieses enthielt Grundsätze für die Steuerpolitik, die heute natürlich überholt sind. Sie werden nicht leugnen wollen, Gen. Bucharin, daß die steuerlichen und finanziellen Verhältnisse der-einzelnen Länder und auch Deutschlands, in den einzelnen Jahren verschieden waren, und doch ist eine solche Richtschnur wichtig, nützlich und notwendig.

Dann, Genossen, ein zweiter wichtiger Punkt des Übergangs ist das Verhältnis zur bürgerlichen Demokratie. Ich finde in dem Programmentwurf des Gen. Bucharin eine ausgezeichnete kritische Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Demokratie, aber betrachten Sie die Kommunistische Internationale als Ganzes, die Reihenfolge ihrer Parteien, sagen wir von Indien an bis Sowjetrußland, genügt das für eine Kommunistische Internationale? (Bucharin: Nein.) Bei weitem nicht! Sie müssen eine Richtschnur haben, erstens für das Verhalten der Kommunisten zur Demokratie in den Verhältnissen, wo die bürgerliche Demokratie noch nicht existiert, d. h. wir haben Verhältnisse, wo noch gegen absolutistische und feudale Staatsformen zu kämpfen ist. Zweitens müssen Sie eine Richtschnur haben für das Verhalten der Kommunisten in einer Situation, wie in Deutschland zur Frage der Verteidigung der Republik gegen monarchistische Anschläge. Und drittens müssen wir eine Richtschnur haben für .das Verhalten der Kommunisten in einer Situation, wie wir sie etwa im November 1918 in Deutschland hatten, wo es sich darum handelte, die Demokratie zu zerbrechen und zur Diktatur überzugehen. Ich sage, all diese Übergangsphasen müssen in ihren Grundlinien angegeben werden, nicht in ihren Einzelheiten. Und daß das möglich ist, beweist das Kommunistische Manifest von 1848. Sehen Sie hier den letzten Abschnitt durch, der sich mit den Verhältnissen der Kommunisten zu den anderen Parteien beschäftigt, zur bürgerlichen Demokratie, zum Kleinbürgertum usw. In wenigen knappen Sätzen ist hier das wesentliche Verhalten angegeben, und so muß es auch in unserem Programm sein. Ein Programm - ich beziehe mich hier auf einen Ausspruch der Gen. Luxemburg, der mir sehr zeitgemäß zu sein scheint - muß eine Handhabe für alle wesentlichen Übergangsphasen geben. Ein Programm, das uns in diesen Phasen im Stiche läßt oder das wir in bestimmten Situationen gebrauchen und in bestimmten Situationen nicht gebrauchen können, hat wenig politischen Wert.

Und ich finde auch, daß Gen. Bucharin nicht konsequent gewesen ist. Wenn er die Folgerungen zieht aus seiner Ablehnung der Übergangsforderungen, dann mußte er mit aller Vehemenz gegen das bulgarische Programm und auch gegen unser, das deutsche, Programm vorgehen. Er muß das noch nachholen, ganz entschieden.

Damit verlasse ich diese Frage und komme ganz kurz zu der Frage der Übergangsforderungen, des Kriegskommunismus und der neuen ökonomischen Politik in ihrer Anwendung auf die Westländer. Ich stimme hier im ganzen dem zu, was der Gen. Bucharin gesagt hat. Ich möchte nur einige Erläuterungen hinzufügen.

Es ist hier ganz richtig gesagt worden, sowohl der Kriegskommunismus, als auch die Nep sind durch Notwendigkeiten, durch zwingende Umstände entstanden, sie sind nicht Produkte eines fertigen Planes, der vorausging, sondern Schritte der Notwendigkeit. Diese Notwendigkeiten, sowohl der Kriegskommunismus, als auch die Nep sind bedingt durch Ursachen nicht nur spezifisch russischer Art, sondern auch allgemeiner Art: Und nun frage ich: Wie stellen sich diese Dinge für Westeuropa dar?

Trotzki hat richtig entwickelt und auch der Gen. Bucharin hat das in ausgezeichneter Weise getan, daß ein Widerspruch besteht zwischen den Erfordernissen des Bürgerkrieges und den ökonomischen Notwendigkeiten. Was den Kriegskommunismus betrifft, so ist er ein Produkt des Bürgerkrieges in erster Linie. Und wir sagen, wenn wir voraussehen - und wir sehen es voraus -, daß wir im Westen auch eine Periode des Bürgerkrieges durchzumachen haben werden nach der Eroberung der Macht, wir andererseits auch voraussehen, daß diese Periode wahrscheinlich kürzer sein wird, und so wird man annehmen, dieser Kriegskommunismus wird im Westen vielleicht eine unbedeutendere Rolle spielen als hier in Rußland. Gewiß können wir nichts im einzelnen voraussehen, aber wir sollen feststellen, daß wir in der Periode des Bürgerkrieges sämtliche wirtschaftlichen Notwendigkeiten den Kriegsnotwendigkeiten unterzuordnen haben.

Dann zur Nep im Westen. Die Bedürfnisse des Kleinbauern existieren auch im Westen, wenn auch nicht in diesem Umfange. Aber ich mache darauf aufmerksam, daß man gewohnt ist zu betrachten: hier ist Rußland, das macht eine bestimmte ökonomische Politik, und hier ist Deutschland, das wird auch eine bestimmte ökonomische Politik machen. Man vergißt eins, daß in der Periode, in der etwa Deutschland vor dieser Frage stehen wird, es sich nicht um ein isoliertes Deutschland handeln wird, sondern wahrscheinlich um einen ökonomischen Block Deutschland - Rußland. Was bedeutet das? Das bedeutet, daß für das deutsche Wirtschaftsgebiet diese großen kleinbürgerlichen Massen Rußlands hinzukommen, und für Rußland eine Verstärkung des industriellen Faktors.

Soweit wir sehen, bedeutet diese Politik für Rußland eine Politik nach vorwärts, für den Westen aber wird sie wahrscheinlich ein Zurückgehen von dem sein, was im Westen eigentlich an sich möglich wäre.

Genossen, die große Bedeutung der ökonomischen Politik für die Parteien des Westens beruht auf der programmatischen Festlegung unseres Verhältnisses zu den Mittelschichten, den Kleinbauern, Kleingewerbetreibenden, Kleinhandwerkern. Ich meine, man soll hier nicht programmatisch fixieren, was keine ökonomische Notwendigkeit ist. Man soll aber in das Programm hineinsetzen, daß die Rücksichten auf die Schonung dieser Schichten unter Umständen den Notwendigkeiten des Bürgerkrieges weichen müssen.

Dann noch eine Bemerkung in Anknüpfung an das bulgarische Programm.

In unserem Programm und dem bulgarischen Programm haben wir die Forderung aufgestellt: genossenschaftliche Vereinigung der Kleinhandwerker, Kleingewerbetreibenden nach Eroberung der Macht, Ich möchte hier nur eins hinzufügen: daß in der Industrie, beim Kleingewerbe diese Genossenschaften eine ziemlich andere Rolle spielen werden als in der Landwirtschaft. Denken wir uns einen Staat wie Deutschland mit einigermaßen entfalteter Industrie. Dann wird, geschichtlich gesprochen, bald der Moment kommen, wo wir diese kleinindustriellen Schichten in die Großindustrie aufnehmen werden. Anders ist es mit den Kleinbauern und Mittelbauern. Hier muß sich die Idee der Genossenschaft auf viel längere Sicht erstrecken und diese Genossenschaften werden einen ziemlich anderen Charakter haben als die industriellen Genossenschaften.

Ich komme dann schließlich ganz kurz noch zum Aufbau des Programms. Ich möchte hier nur die Bemerkung machen: im großen und ganzen kann man dem Vorschlag, den Gen. Bucharin gemacht hat, zustimmen. Wir haben in unserem Programm abgesehen von der Analyse der kapitalistischen Periode. Wir haben begonnen mit der Analyse der imperialistischen Epoche. Wir sind zu der Meinung gekommen, daß diese Analyse der kapitalistischen Epoche notwendig ist, und daß sie hinzugesetzt werden muß.

Ich möchte noch hinzufügen, daß mir auch die Berücksichtigung des Vorschlags des Gen. Varga notwendig erscheint, auch die Analyse der vorkapitalistischen Methode der Ausbeutung vorherzuschicken. Wenn wir wirklich ein Weltprogramm des Kommunismus haben wollen, müssen wir auch darauf noch eingehen.

Dann zum Schluß die Form. Gen. Bucharin hat die Länge der Programme gerügt. Genossen, wir sind mit dieser Länge auch nicht einverstanden, aber es ist uns damit gegangen, wie jenem französischen Bischof, der seinem Freunde schrieb: "Ich schreibe Dir einen langen Brief, weil ich keine Zeit habe, einen kurzen zu schreiben." Wir haben keine Zeit gehabt, ein kurzes Programm abzufassen. Es ist absolut notwendig, daß die Programme kurz gehalten werden, vielleicht noch kürzer als das von Bucharin. Ich beziehe mich hier auf Äußerungen, die Engels in der Programmfrage tat, wo er sagt: ein Programm soll so kurz wie möglich sein, es muß vieles der mündlichen Erläuterung überlassen. Daneben soll es natürlich einfach sein, möglichst verständlich. Auch hier geben wir zu, daß das deutsche Programm der Verbesserung bedarf.

Genossen, ich komme nun zum Schluß und sage: wir sollen unser kommunistisches Programm hieb- und stichfest machen, was die Prinzipien und die Ziele anbelangt, absolut hieb- und stichfest. Aber wir sollen nicht glauben, daß wir das erreichen, indem wir eine große Strecke des Weges, die wir zurückzulegen haben, unbeleuchtet lassen, oder - anders ausgedrückt - indem wir eine große Strecke des Weges nicht in unsere Landkarte aufnehmen.

Gen. Bucharin und manche anderen Genossen fürchten, daß sie, wenn dieser Weg aufgezeichnet würde, vielleicht den Sprung darüber nicht machen könnten. Nun, Genössen, ich sage, z. B. unsere russischen Genossen, die am 6. Oktober 1917 das Minimalprogramm beibehielten, haben sehr rasch diesen Sprung machen können, und ich bin überzeugt, es hängt wirklich nicht von diesem Auslassen der Wegbezeichnung ab, ob wir ein Programm haben werden, das uns zum Siege führt. (Lebhafter Beifall).