Berner Parteikonferenz der Kommunistischen Partei Deutschlands
Karl Mewis
Diskussionsbeitrag
31. Januar 1939
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Quelle: Klaus Mammach (Hg.): Die Berner Konferenz der KPD (30. Januar‑1. Februar 1939). Berlin, Dietz, 1974. S. 97‑101. |
Die positive Entwicklung der Partei und ihrer Kräfte wird besonders in der letzten Zeit sichtbar. Mit Hilfe der Mairesolution 1938[1] konnte eine Reihe von Versäumnissen und Schwächen in der allgemeinen Orientierung bereits teilweise überwunden werden (mehr Initiative im Lande, stärkere Betonung der Verantwortlichkeit unserer Partei und des deutschen Volkes für das Schicksal Europas, schnelleres Tempo in der Verwirklichung der Einheits- und Volksfront, entschlossene Bekämpfung der "großdeutschen", imperialistischen Politik des Naziregimes). Trotz großer Verluste ist die Partei stärker und reifer geworden. Dabei wuchs besonders das Vertrauen zur Parteiführung. Die Überwindung einiger Schwierigkeiten nach 1935 zeigte ein hohes Niveau der Klassenwachsamkeit selbst bei solchen Freunden, die lange Zeit ohne direkten Kontakt mit der Parteiführung tätig waren. Die Genossen Wilhelm [Pieck] und Franz [Dahlem] haben unsere wesentlichsten Schwächen richtig aufgezeigt. Gerade in den Septembertagen fehlte bei einem Teil der Freunde die Erkenntnis, daß im Kampf für den Frieden Volksbewegungen möglich sind, wenn kollektiv geleitete Parteigruppen - eng mit den Massen verbunden - größere Initiative entwickeln.
Die vorliegende Resolution stellt richtig den Widerspruch zwischen der Eroberungs- und Kriegspolitik des Trustkapitals und der Naziregierung und dem nationalen Interesse unseres Volkes an die Spitze. Es war und ist eine große Schwäche, daß ein Teil unserer Freunde den imperialistischen Charakter der Losung "Großdeutschland" oft unterschätzt hat, daß er deshalb die Bedeutung der Aufklärung oft nicht sah und darum auch nicht fähig war, gerade die SPD-Anhänger (die früher zu einer Duldung und Förderung der imperialistischen Politik erzogen wurden) in eine wahrhaft nationale Politik einzubeziehen, deren sich ein Marxist wahrlich nicht zu schämen braucht.
Über die Volksfront bestehen oft noch große Unklarheiten. Kurz vor dem September gab es hier und dort im Lande eine Identifizierung der reaktionären Regierungen Chamberlain und Daladier mit den Kräften der Volksfront dieser Länder. Bei manchen Sozialdemokraten und Demokraten tauchten sogar erneut alte Illusionen über die “Vorzüge” der kapitalistischen Demokratie auf, die folgerichtig nach dem September in eine Verzweiflungsstimmung umschlugen. Es ist deshalb notwendig, unsere Aufklärung über den Charakter und den Inhalt unserer Volksfrontpolitik zu verstärken und praktische Beispiele zu popularisieren. Die Initiative des Genossen Pieck wird uns dabei außerordentlich nützlich sein.
Gewiß stellt die Volksfront eine bestimmte Politik des Bündnisses mit den Mittelschichten dar. Es ist auch notwendig, nie zu vergessen, daß sie nur erfolgreich sein wird, wenn die Arbeiterschaft im Bündnis mit den Werktätigen als politische Einheit auftritt. Jedoch heißt Volksfrontpolitik betreiben nicht einfach eine Front der Werktätigen schaffen, wie wir das beispielsweise 1930 versuchten. Von einer solchen Politik unterscheidet sich die Volksfront sowohl durch die völlig neue Lage wie durch ihren Charakter. Volksfront betreiben bedeutet zwar, vor allem die Kräfte der Arbeiterklasse und der Mittelschichten politisch einheitlich gegen die faschistische Diktatur einzusetzen und mit allen fortschrittlichen und demokratischen Elementen für eine neue, demokratische Republik zu kämpfen. Jedoch handelt es sich gerade in Deutschland nicht nur um ein vorübergehendes Zusammengehen mit der breiten Schicht der Kleineigentümer in der Stadt und auf dem Lande, bis etwa nach dem Sturz Hitlers die Arbeiterschaft Kampfboden genug gewonnen hat, um ihre Diktatur zu errichten. Die Besonderheit der Politik der Volksfront besteht gerade darin, daß sie es uns durch die Gemeinsamkeit der heutigen Interessen erleichtert, auch nach dem Sturz Hitlers das Kampfbündnis mit den Mittelschichten zu erhalten, zu festigen und neben der Arbeiterklasse auch bisher von der Bourgeoisie abhängige Volksschichten an die proletarische Revolution heranzuführen.
In Deutschland Volksfrontpolitik betreiben bedeutet ferner, alle Reserven des Kampfes gegen Hitler in Bewegung zu bringen. So dient z. B. der entschlossene Kampf des österreichischen Volkes gegen die Fremdherrschaft und die Empörung der Sudetendeutschen gegen die Herabwürdigung zur Rolle von Kolonialsklaven des deutschen Imperialismus nicht nur dem Freiheitskampf der unterdrückten Völker, vielmehr wird der Kampf der abhängigen und unterdrückten Völker zu einem entscheidenden Faktor im Freiheitskampf des deutschen Volkes. Es ist demnach offensichtlich, daß die Unterstützung des Kampfes der vom Hitlerfaschismus unterjochten Völker ein Bestandteil der Volksfrontpolitik in Deutschland sein muß.
Neben den festen Bundesgenossen findet die deutsche Arbeiterschaft auf ihrem Wege zur Heranführung der Massen an den Sturz der Diktatur zeitweilige Verbündete, die im Moment, vorübergehend gegen den Faschismus kämpfen, wie beispielsweise einzelne Hamburger Reeder oder Kaufleute und Teile der Deutschnationalen. (Die Letzteren werden unter anderen Verhältnissen wahrscheinlich unsere erbittertsten Feinde sein.) Es ist klar, daß wir auch mit diesen Elementen zusammengehen; gewiß nur vorübergehend, zeitweilig, solange sich ihre Sonderinteressen mit dem großen Kampf der Volksmassen decken, aber doch zusammengehen. Das setzt allerdings neben Kühnheit auch größte Klassenwachsamkeit bei unseren Freunden und vor allem innigen Kontakt mit den SPD-Freunden voraus, damit weder Caballeros noch Prietos[2] oder irgendwelche deutschen Daladiers ihr schändliches Spiel treiben können.
Schließlich ist das Streben der Katholiken und Protestanten nach Glaubens- und Gewissensfreiheit, der Drang der Intelligenz nach kultureller, nach Lehr- und Lernfreiheit ein so beachtlicher Faktor, daß unsere Freunde schon seit Jahren - oft mehr oder weniger spontan - diese Forderungen übernommen haben und damit weitere Voraussetzungen zur Verbreiterung der Kampffront schufen.
Volksfront ist also nicht einfach der Abschluß eines Bündnisses oder mehrerer Bündnisse, sondern die besondere Politik des vorübergehenden bzw. dauernden Zusammengehens mit allen fortschrittlichen Kräften unseres Volkes zum Sturz der faschistischen Diktatur und zur Errichtung einer demokratischen Republik.
Unter den besonderen Bedingungen in Deutschland ist es schwer, an Parteitraditionen anzuknüpfen. Die deutschen Mittelschichten gehörten früher zum großen Teil offen bourgeoisen Parteien und gehören seit 1933 der NSDAP oder ihren Gliederungen an. In Frankreich und Spanien wurde das Volksfrontbündnis mit Hilfe großer Parteien des Kleinbürgertums geschaffen. In Deutschland muß die Volksfront auch in dieser Hinsicht andere Wege gehen. Die Septembertage gaben uns schon Beispiele für die nächsten praktischen Schritte.
Als unsere Freunde nach Wegen suchten, den Protest gegen die Kriegspolitik legal oder halblegal zum Ausdruck zu bringen, stießen sie in den faschistischen Organisationen (neben NSV und Luftschutz vor allem in den Vereinigungen für Handel, Gewerbe und Handwerker) auf Friedensfreunde. Sehr schnell wurden auf diese Weise kameradschaftliche Beziehungen zu ehemaligen Demokraten, zu Katholiken und Bekenntnischristen hergestellt, die u. a. in Berlin dazu führten, daß im Zusammenhang mit dem Widerstand gegen die Kriegspolitik eine lebhafte Tätigkeit gegen die Wucherer und Schieber, gegen die Steuerpolitik und die Kommunalpolitik der Nazis begann.
Vom Gesichtspunkt der Friedenspolitik muß unsere besondere Aufmerksamkeit den Vorgängen unter der Jugend geschenkt werden. Es gab in den Septembertagen in der Berliner HJ derart offen kriegsfeindliche Tendenzen, daß die Reichsführung der HJ dazu Stellung nehmen und ein Verbot für Diskussionen über Krieg und Frieden erlassen mußte. Eine Reihe von Symptomen zeigt an, daß Teile der vom Faschismus bisher weitestgehend beeinflußten Jugend für Freiheit, gegen die Kriegspolitik in Bewegung geraten. Vorerst äußert sich das noch nicht im einheitlichen Auftreten einer Opposition mit klaren Zielen. Gerade deshalb ist es aber notwendig, dem Suchen und Tasten der Jugendlichen nach einem Leben in Freiheit und Frieden Richtung und Ziel zu geben.
Die Zusammenarbeit mit Sozialdemokraten ist oft daran gescheitert, daß unsere Freunde bei ersten Aussprachen den Mut verloren, weil sich die Sozialdemokraten ‑ in Unkenntnis unserer Arbeitsmethoden ‑ reserviert verhielten. Daß es nicht auf das “Herüberholen” der SPD-Arbeiter zu uns ankommt, sondern auf Verständigung, Vereinbarungen und Zusammengehen, hat sich bereits weitestgehend durchgesetzt. Die Fragestellung des Genossen Pieck im Artikel zur Einheitsfront und zur Einheitspartei[3] bedeutet zweifellos einen notwendigen und richtigen Schritt vorwärts. Bei den Diskussionen im Lande wird nicht nur das gegenwärtige Kampfziel: demokratische Republik und das zukünftige Ziel: Sozialismus, sondern auch die Frage des revolutionären Weges im Mittelpunkt stehen. Es wird wohl keine Meinungsverschiedenheiten darüber geben, vor allem nicht mit den SPD-Freunden im Lande, daß die vereinigte Partei einen einwandfrei marxistischen Charakter trägt und Befürworter der fluchbeladenen Politik der Zusammenarbeit mit der Bourgeoisie nicht toleriert werden können. Das Beispiel der ersten Einheitspartei der Gegenwart ‑ der Vereinigten Sozialistischen Partei Kataloniens ‑ ist in vieler Hinsicht auch für unseren Weg lehrreich, obwohl die Voraussetzungen und Verhältnisse in Deutschland sich von denjenigen in Katalonien im Jahre 1936 wesentlich unterscheiden. Im Lande beginnt schon eine entfaltetere Zusammenarbeit, und es wird bald möglich sein, erste Schritte auf dem Wege zur Einheitspartei zu gehen. Die SPD-Führer der Emigration werden dann mitgehen - oder sie werden in der Versenkung verschwinden.
[1]. Siehe "Resolution des ZK der Kommunistischen Partei Deutschlands zur Lage (Beschlossen am 14. Mai 1938). In: Die Internationale, Prag-Antwerpen, 1938, Nr. 5/6, S. 28‑40. Cf. den Text ►.
[2]. L. Caballero und J. Prieto, rechtssozialistische Führer, waren 1936/1937 Ministerpräsident beziehungsweise Kriegsminister in der Volksfrontregierung in Spanien.
[3]. Siehe "20 Jahre Kampf der KPD für die Einheit der deutschen Arbeiterklasse, für Brot, Frieden, Demokratie und Sozialismus! Zum 20. Jahrestag der Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands. In: Die Internationale, Prag-Antwerpen, 1939, Nr. 1/2, S. 5‑43.