Wilhelm Pieck
Ist die Volksfront in Deutschland möglich?
September 1938
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Quelle: Illegale Broschüre, herausgegeben als: "Seht, das ist Deutschland!". Bibliographisches Institut AG, Leipzig, o. D. S. 3‑12. Abgedruckt in: Wilhelm Pieck: Gesammelte Reden und Schriften - Band 5 - Februar 1933 bis August 1939. Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED (Hg.), Berlin, Dietz, 1972. S. 526‑539. |
Der freche militärische Überfall auf das österreichische Volk und die Annexion seines Landes, wie die Bedrohung der Unabhängigkeit der Tschechoslowakei durch den Hitlerfaschismus, die militärische Verstärkung seiner Aggression gegen das spanische Volk und die gesteigerten Provokationen gegen die demokratischen Länder und gegen das Land des Sozialismus, die Sowjetunion, bedeuten die größte Gefahr für das deutsche Volk, das der Hitlerfaschismus in das größte Unglück eines neuen Weltkrieges hineintreiben will. Der Hitlerfaschismus handelt dabei im Auftrage des reaktionärsten Teiles der deutschen Großbourgeoisie, der Großgewinner aus der Schwerindustrie und des Finanzkapitals, die Deutschland beherrschen und nach der Eroberung und Ausbeutung anderer Länder und der Unterjochung ihrer Bevölkerung streben. Das deutsche Volk soll dafür mit seinem Blute und seinem Leben zahlen. Einen wirksamen Schutz bietet nur der einheitliche Kampf der deutschen Volksmassen gegen den Hitlerfaschismus und ihr Zusammenschluß in der Volksfront. Dem deutschen Volke in der Durchführung dieses Kampfes zu helfen und alles zu seinem Zusammenschluß in der deutschen Volksfront beizutragen, das ist die wichtigste Aufgabe aller Antifaschisten im Lande und in der Emigration.
Wenn in dem Titel dieses Artikels die Frage gestellt wird, ob die Volksfront in Deutschland möglich ist, so geschieht das deshalb, weil diese Frage vielfach von Menschen verneint wird, die von sich behaupten, Antifaschisten zu sein und dem deutschen Volke helfen zu wollen, sich von dem Hitlerfaschismus zu befreien. Aber die Verneinung der Volksfront geht hervor aus dem Unglauben an die Kraft und den Willen der deutschen Volksmassen, den gemeinsamen Kampf gegen den Hitlerfaschismus zu führen und ihn zu stürzen. Mit dieser Verneinung ist die Spekulation verbunden, daß der Hitlerfaschismus durch andere Kräfte, als durch die Kräfte der deutschen Volksmassen gestürzt werden wird. Aber der Sturz des Hitlerfaschismus, die Rettung von Frieden und Brot und Freiheit für das deutsche Volk wird nicht anders als mit seinem Zusammenschluß, mit seinem gemeinsamen Kampf in der deutschen Volksfront, mit der einigen Arbeiterklasse als der führenden Kraft, erreicht werden. Nur wer für das Zustandekommen der deutschen Volksfront arbeitet, wer dazu beiträgt, alle ihr noch entgegenstehenden Hindernisse aus dem Wege zu räumen, der allein hilft dem deutschen Volke, sich von dem barbarischen Hitlerfaschismus zu befreien.
Die kühne Initiative, die Georgi Dimitroff auf dem VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale im Jahre 1935 mit seiner Aufforderung an die werktätigen Massen ergriff, gegen Krieg und Faschismus die Volksfront der Arbeiter, Bauern, Handwerker und Intellektuellen zu schaffen, und die durch diese Initiative veranlaßten Beschlüsse des Kongresses haben bereits große Erfolge für die werktätigen Massen herbeigeführt. In Spanien und Frankreich wurde die Volksfront, wenn auch unter großen Schwierigkeiten und Widerständen, geschaffen. Nur die in der Volksfront zusammengeballte Kraft des spanischen Volkes ermöglichte es ihm, den fast zweijährigen legendären Widerstand gegen die unter Einsatz der stärksten Kriegsmittel unternommene Aggression der deutschen und italienischen faschistischen Staatsmächte zu leisten. Ohne diese Kraft der Volksfront wäre es auch dem französischen Volke nicht gelungen, den Ansturm des Faschismus zurückzuschlagen. Von größter Bedeutung dafür war die Schaffung der Einheitsfront in der Arbeiterklasse, die Verständigung der Kommunisten und Sozialisten, die zur Einheit in den Gewerkschaften führte und die den Weg zu einer einheitlichen Arbeiterpartei vorbereitet. Die Volksfront und die Einheitsfront hat also bereits ihre gewaltige Bedeutung für den Kampf der werktätigen Massen bewiesen.
Wie steht es mit der Volksfrontbewegung in Deutschland? Es ist verständlich, daß das Werden der Volksfront in Deutschland unter dem fürchterlichen faschistischen Terror sehr viel schwieriger ist als unter den legalen Bedingungen, unter denen die Volksfront in Frankreich und Spanien zustande kam. Aber der Weg zur Volksfront ist auch in Deutschland bereits gefunden. Die Massen beginnen die Bedeutung zu verstehen, die das Zustandekommen der Volksfront für ihren Kampf bedeutet. Die Erkenntnis von der Notwendigkeit des gemeinsamen Kampfes und der Schaffung der Volksfront dringt immer tiefer in die Massen ein, kleine Anfänge dazu sind in verschiedenen Orten vorhanden.
Die Schwierigkeiten bestehen in den illegalen Bedingungen, unter denen im Lande die Propaganda für die Volksfront und die Verständigung zwischen den Arbeitern, Bauern, Handwerkern und Intellektuellen, besonders aber auch unter den Jugendlichen, über Formen und Inhalt des Widerstandes gegen das faschistische Regime und über die konkreten Kampfforderungen erfolgen muß. Daraus ergibt sich auch, daß unter diesen Bedingungen die organisatorische Gestaltung und Entwicklung der Volksfront in Deutschland sich anders vollzieht, als das in Frankreich und Spanien der Fall war. Die Form muß viel elastischer sein und wird ihren Ausdruck zunächst nicht in dem Abschluß eines Paktes zwischen den zentralen Organisationen der Volksfrontpartner finden, sondern sich in dem sehr vielgestaltigen Kampf jeder einzelnen sozialen Kategorie um ihre Forderungen entwickeln. Dabei ist es schon zu gruppenmäßigen, lokalen oder bezirklichen Abmachungen gekommen. Wie sich diese Forderungen immer mehr zu zentralen politischen Losungen erweitern, so gestaltet sich auch der Kampf immer mehr zu einem gemeinsamen Kampf gegen das faschistische Regime. Diese Entwicklung geht noch sehr langsam und unter großen Schwierigkeiten vor sich.
Über den konkreten Inhalt des Kampfes und der Ziele der Volksfront besteht noch wenig Klarheit. Es wird oft übersehen, daß sich die Volksfront im Kampfe um Forderungen und Ziele bilden muß, die denen der Arbeiter, Bauern, Handwerker und Intellektuellen gemeinsam sind und als solche auch von ihnen verstanden werden, daß die Forderungen und Ziele also nicht nur denen des fortgeschrittenen Teiles der Arbeiterklasse entsprechen dürfen. Gerade diese Notwendigkeit wird von den Trotzkisten zur Verwirrung der Arbeiterklasse benutzt, indem sie die Volksfront fälschlich der berüchtigten Weimarer Koalitionspolitik der Sozialdemokratie gleichstellen, um dadurch die Arbeiter von der Volksfront zurückzuhalten. Schließlich wird auch die Möglichkeit eines organisierten Kampfes der Volksfront unter dem Terror des Faschismus als aussichtslos verneint und den Arbeitern an Stelle des Kampfes Abwarten auf das vermeintliche unausbleibliche Abwirtschaften des Faschismus empfohlen.
Der Widerstand gegen die Volksfront geht in der Hauptsache von einem Teil der Führer der Sozialdemokratischen Partei aus, die sowohl die Volksfront als auch die Einheitsfront ablehnen. Diese Führer haben aus der Vergangenheit nichts gelernt und wollen scheinbar auch nichts aus ihr lernen. Daß der Faschismus nur infolge der Spaltung der Arbeiterklasse siegen konnte, müssen sie zugeben, wenn sie auch nicht wahr haben wollen, daß die Spaltung durch die reformistische Politik der Sozialdemokratie hervorgerufen wurde. Sie können auch nicht bestreiten, daß die Kommunistische Partei in den Jahren vor der Hitlerdiktatur viele Angebote an die Sozialdemokratie gemacht hat, um eine Verständigung über einen gemeinsamen Kampf gegen den Faschismus herbeizuführen. Aber von den Führern der Sozialdemokratie wurden alle diese Angebote abgelehnt. Auch der Sieg des Faschismus und die durch seine Provokationen herbeigeführte akute Gefahr eines neuen Weltkrieges, die ungeheure Versklavung und Ausbeutung des deutschen Volkes durch den Faschismus haben diese Führer noch keiner besseren Einsicht belehrt. Sie lehnen auch weiterhin alle Angebote der KPD zur Einheitsfront ab. Immer noch hoffen sie auf andere Kräfte als auf die der Volksmassen, die den Hitlerfaschismus stürzen sollen. Sie wollen keinen Kampf der Massen, sie sind nur für Beobachten und Abwarten. Aktiv sind sie nur in ihrer Hetze gegen die Kommunisten und gegen die Sowjetunion.
Wenn auch diese Führer der Sozialdemokratischen Partei keinen größeren ideologischen Einfluß auf die sozialdemokratischen Arbeitermassen im Lande ausüben, so wirkt sich doch ihr Widerstand gegen die Einheitsfront und die Volksfront sehr hinderlich für deren Zustandekommen aus. Das trifft besonders auf ihre Ablehnung der Einheitsfront zwischen den Kommunisten und Sozialdemokraten und auch der katholischen Arbeiter zu, die den Kern der Volksfront bilden muß. Die Einheitsfront würde nicht nur die Aktivität der Arbeiterklasse bedeutend steigern, sondern dadurch auch eine viel stärkere Anziehungskraft auf die Bauern, Handwerker und Intellektuellen ausüben und das Zustandekommen des Bündnisses mit der Arbeiterklasse beschleunigen. Der Widerstand dieser Führer in der Sozialdemokratie, besonders der im Vorstande der deutschen Sozialdemokratie, gegen die Volksfront übt noch insofern seine schädliche Wirkung aus, als sich dadurch die fortschrittlichen Führer der Sozialdemokratie, die für das Zustandekommen der Einheitsfront und der Volksfront eintreten, sehr beeinflussen lassen und in ihrer Stellungnahme zu den wichtigsten Aufgaben des gemeinsamen Kampfes hin und her schwanken und vor jedem entschlossenen Schritt zurückschrecken. Bei einem Teil dieser Führer ist das zweifellos auch auf trotzkistischen Einfluß zurückzuführen. Aber langsam setzt sich bei ihnen unter dem Einfluß der Entwicklung im Lande eine klarere und entschlossenere Stellungnahme durch.
Im Lande haben sich die kommunistischen und sozialdemokratischen Arbeiter in dem Widerstande gegen das faschistische Regime schon sehr weitgehend zusammengefunden, wenn auch noch manches Mißtrauen aus früherer Zeit vorhanden ist. In einer Reihe von Orten besteht bereits ein organisiertes Zusammenarbeiten in der Hilfe für die Opfer des faschistischen Terrors, in der illegalen Agitation und dem Widerstande gegen den Faschismus. Dieses Zusammenarbeiten trägt auch seine Früchte in bezug auf die Verbindung mit den Bauern, Handwerkern und Intellektuellen und hilft die Volksfront vorzubereiten. Diese Entwicklung würde sehr viel schneller vor sich gehen, wenn die fortschrittlichen sozialdemokratischen Führer, die in der Emigration leben, sich zu größerer Entschlossenheit in der Zusammenarbeit mit den Kommunisten, zur aktiven Gestaltung der Einheitsfront und der Volksfront aufraffen würden.
Die deutsche Emigration trägt einen besonderen Charakter und ist für das Zustandekommen der Einheitsfront und der Volksfront im Lande deshalb von Bedeutung, weil die führenden Kräfte der für die Volksfront in Frage kommenden Parteien durch den Terror des Hitlerfaschismus in die Emigration getrieben wurden und sie durch ihre positive Stellungnahme für die Volksfront sehr günstig die Entwicklung der Lage im Lande beeinflussen können. Aber infolge der noch immer vorhandenen Uneinigkeit und Unentschlossenheit der führenden Kräfte der Sozialdemokratien, Demokraten und Katholiken in der Emigration werden selbst solche schwachen Anfänge der Hilfe für das Zustandekommen der Volksfront im Lande, mit der der in Paris gebildete Ausschuß zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront[1] seine Arbeit begann, sehr beeinträchtigt.
Trotz der Schwierigkeiten und Widerstände gegen das Zustandekommen einer deutschen Volksfront geht die Entwicklung des Kampfes der werktätigen Massen in Deutschland gegen das Hitlerregime vorwärts. Wenn der Widerstand meistens noch in der Form des individuellen passiven Widerstandes, der Flüsterpropaganda, des Ausschreibens von Losungen und anderen ähnlichen Formen geleistet wird, so geht der Widerstand aber auch bereits zu aktiven Kämpfen kleinerer und größerer Gruppen, sogar ganzer Industriegruppen über. Außerdem gehen die Massen dazu über, neben den noch vorwiegend wirtschaftlichen Forderungen, die sich aus der für sie katastrophalen Kriegswirtschaft des Faschismus ergeben, auch solche Forderungen zu erheben, die gegen die Politik des Hitlerregimes, besonders gegen seine Außenpolitik und seine Kriegsprovokationen gerichtet sind. Dazu kommt der starke Drang nach Freiheit gegenüber der unerhörten Knechtung durch das faschistische Regime. Gerade diese Entwicklung des Widerstandes ist es, die die Hitlerregierung so nervös macht und zu einem immer stärkeren Terror gegen die Massen treibt, weil sie in dieser Entwicklung eine ernste Gefahr für ihre abenteuerliche Politik und für die Aufrechterhaltung ihrer Macht sieht. In dieser Entwicklung liegt aber auch die Gewißheit, daß trotz allen Widerstandes und aller Schwierigkeiten und trotz des schlimmen Terrors die Volksfront in Deutschland zustande kommen und durch sie dem Hitlerfaschismus der vernichtende Schlag versetzt werden wird.
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Es gibt in der Entwicklung des Widerstandes der Massen gegen das faschistische Regime Symptome, die bestätigen, daß bereits ernste Ansätze für das Werden der Volksfront vorhanden sind und die die Möglichkeit ihrer weiteren Entwicklung aufzeigen. Die Erkenntnis, daß auch trotz des Terrors der Widerstand möglich [ist] und mit wachsendem Erfolg durchgeführt werden kann, je mehr der Widerstand organisiert und kollektiv geleistet wird, verbreitet sich auf Grund der gemachten Erfahrungen immer mehr. Dazu kommt die Erkenntnis bei den Arbeitern, Bauern, Handwerkern und Intellektuellen, daß viele ihrer Forderungen gemeinsam sind und nur im gemeinsamen Kampfe durchgesetzt werden können.
Je weniger die Hitlerregierung durch ihre verlogenen Friedensbeteuerungen ihre aggressive, auf die Provokation des Krieges gerichtete Politik zu verbergen mag, und je offener ihre Kriegspläne hervortreten ‑ die Annexion Österreichs und die Bedrohung der Tschechoslowakei hat das sehr deutlich gemacht ‑, desto mehr wächst im Lande unter den Massen die Furcht vor dem Kriege und die Ablehnung der Kriegspolitik Hitlers. Der Hitlerfaschismus versucht zwar durch gesteigerte chauvinistische Hetze dieser Stimmung im Volke zu begegnen. Aber der Widerstand gegen die Kriegspolitik wird in den Massen immer stärker, wenn er sich vorläufig auch nur erst in Diskussionen und in der Agitation äußert. Dabei tritt auch die sehr gefährliche Auffassung hervor, daß Hitler nur durch Krieg gestürzt werden könne. Die Auffassung ist deshalb gefährlich, weil sie dem aktiven Kampfe gegen Hitlers Kriegspolitik und für die Erhaltung des Friedens ausweicht, zur Schwächung dieses Kampfes beiträgt und dadurch im Grunde genommen die Kriegspolitik Hitlers begünstigt. Hitler wird im Kriege nur gestürzt werden, wenn schon vor dem Kriege der dazu erforderliche Massenwiderstand gegen die faschistische Kriegspolitik im deutschen Volke entwickelt wurde. Wozu soll das deutsche Volk erst die unerhörten Opfer eines Krieges auf sich nehmen, um Hitler zu stürzen, wenn die Möglichkeit dazu schon vor dem Kriege durch die Organisierung des einheitlichen Kampfes der Massen gegen die Kriegspolitik Hitlers geschaffen werden kann.
Sehr viel stärker noch als gegen diese Kriegspolitik äußert sich der Widerstand der Massen gegen die wirtschaftlichen Maßnahmen des Hitlerregimes, die mit ihrer Kriegswirtschaft, vor allem mit der Durchführung des Göringschen "Vierjahresplanes"[2] verbunden sind. Dieser Plan beruht auf der stärksten Ausbeutung und Ausplünderung der Arbeiter, Bauern und Handwerker. Was von den Arbeitern durch den sogenannten Leistungskampf, durch Verlängerung der Arbeitszeit und durch Verweigerung von Lohnerhöhungen zur Unterstützung der Kriegswirtschaft herausgeholt werden soll, das soll bei den Bauern durch die Zwangsablieferung ihrer Produkte zu den niedrigsten Preisen und durch den Anbauzwang für kriegswichtige, aber für die Bauernwirtschaft weniger ertragreiche Produkte, und bei den Handwerkern durch Vorenthaltung der wichtigsten Rohstoffe und Halbfabrikate erreicht werden.
Der Widerstand gegen diese Maßnahmen geht in den vielgestaltetsten Formen vor sich und hat bis jetzt seinen stärksten Ausdruck in dem kollektiven Widerstande gefunden, der von den Bergarbeitern im Saargebiet geleistet wurde. Dort war den Werktätigen vor der Anschlußabstimmung von den Faschisten sehr viel versprochen worden, jedoch wurde nur wenig davon gehalten. Besonders sind aber die Bergarbeiter von den Faschisten betrogen worden, nicht nur im Saargebiet, sondern auch in anderen Teilen des Reiches, im Ruhrgebiet und in Oberschlesien.
Im Saarbergbau wurde von den Bergarbeitern, die einer fürchterlichen, mit den schlimmsten Unglücksfällen verbundenen Arbeitsantreiberei unterworfen sind, auch noch die Leistung von Überstunden und Sonntagsarbeit verlangt, ohne daß ihnen dafür ein entsprechender Lohnzuschlag bezahlt wurde. Die Bergarbeiter erhoben dagegen Protest und forderten die Einberufung von Versammlungen, in denen über ihre Forderung des Wegfalls der Sonntagsarbeit abgestimmt werden sollte. Obwohl die Abstimmungsforderung im schärfsten Gegensatz zu dem faschistischen Autoritätsprinzip steht, mußten die Faschisten dem Druck der Bergarbeiter nachgeben und die Abstimmung zulassen. Von den 43 000 im Saargebiet tätigen Bergarbeiter stimmten 40 000 gegen die Sonntagsschicht. So setzten die Bergarbeiter nicht nur einige ihrer Forderungen durch, sondern verbanden damit auch eine politische Demonstration gegen den Faschismus.
Auch im Ruhrgebiet und in Oberschlesien erreichten die Bergarbeiter mit ihrem kollektiven Widerstande gegen die niedrigen Löhne, gegen die Arbeitsantreiberei und gegen die hohen Strafen erhebliche Erfolge, was zur Steigerung ihres weiteren Widerstandes beiträgt. Immer kühner treten die Bergarbeiter in den Versammlungen der "Deutschen Arbeitsfront"[3] gegen das Naziregime auf. In vielen Orten des Reiches gelang es auch den qualifizierten Metallarbeitern in der Rüstungsindustrie, entgegen der ausdrücklichen Parole Hitlers, Lohnerhöhungen durchzusetzen. Aber bei den Metallarbeitern ist der kollektive Widerstand noch nicht so weit entwickelt, wie bei den Bergarbeitern. Die Ursache liegt zum größten Teil in der starken Differenzierung der Löhne zwischen den qualifizierten und den weniger qualifizierten Arbeitern.
Das Neue an dieser Entwicklung ist der kollektive Widerstand der Arbeiter und daß der Widerstand sich nicht mehr nur gegen den Unternehmer richtet, sondern in wachsendem Masse gegen den Göringschen "Vierjahresplan", dem mit Recht die Hauptursache der Verschlechterung der Lage der Massen zugeschrieben wird.
Wie bei den Arbeitern, so nimmt auch der Widerstand bei den Bauern und Handwerkern immer aktivere Formen an, der sich ebenfalls vorwiegend gegen den faschistischen Staat richtet. Die Bauern wenden sich gegen die sogenannte "Ernährungsschlacht", die nicht der besseren Ernährung des Volkes dient, sondern nur der Durchführung der auf den Krieg eingestellten Autarkiepolitik der Hitlerregierung. Die Bauern treten offen gegen die faschistischen Kontrolleure der Bauernwirtschaft auf und weigern sich, sich ihren Anordnungen zu fügen.
In ähnlicher Weise treten die Handwerksmeister in den Städten gegen das faschistische Regime auf, deren Existenz durch die hohen Abgaben und vor allem durch die Vorenthaltung der für ihren Betrieb wichtigen Rohstoffe und Halbfabrikate, die nur der Rüstungsindustrie überwiesen werden, gefährdet ist. In den von den Nazikommissaren geleiteten Industrieversammlungen, sofern solche unter den Druck der Handwerker überhaupt einberufen werden, kommt es immer häufiger zu stürmischen Auftritten, was meistens zum sofortigen Abbruch der Versammlung durch den Nazikommissar und zur Verhaftung der Wortführer der Handwerker führt.
Der wachsende Widerstand gegen das Naziregime findet auch seinen Ausdruck in der zunehmenden Schärfe des Klassenkampfes. Es liegen Beispiele vor, daß die Massen in gewaltigen kirchlichen Prozessionen gegen das Naziregime protestieren, ohne daß die Faschisten diese Demonstrationen zu verhindern oder zu unterdrücken vermochten. Die Faschisten vermögen immer weniger die Massen mit ihrer Demagogie zu betrügen und greifen zu immer brutaleren Gewaltmitteln gegen die Massen, um deren Kampf gegen das Naziregime zu verhindern. Aber gerade das muß zu immer größeren Konflikten zwischen den Massen und dem Faschismus führen.
In dieser Entwicklung des Widerstandes der Massen gegen den Hitlerfaschismus liegt die Gewißheit, daß die Arbeiter, Bauern, Handwerker und Intellektuellen, die Jugendlichen und Frauen, sich immer mehr im Kampfe nähern und daß sie über alle politischen und weltanschaulichen Meinungsverschiedenheiten und sozialen Unterschiede hinweg, sich zur Volksfront gegen den Faschismus zusammenschließen werden.
Das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Deutschlands hat in sehr gründlichen Beratungen zu der Lage in Deutschland und zu der durch die faschistische Aggression geschaffenen internationalen Lage Stellung genommen und alle Möglichkeiten der Hilfe für die werktätigen Massen im Lande zum Kampfe gegen den Hitlerfaschismus und die sich daraus ergebenden Aufgaben für die Partei und für alle Antifaschisten erörtert. Das Ergebnis dieser Beratungen ist in der nachfolgend abgedruckten Resolution enthalten[4]. Die Partei wird sofort mit allen Kräften an die Popularisierung und Durchführung der Aufgaben herangehen. Sie ist bereit, mit allen aufrichtigen Freunden des Friedens und der Freiheit über ihre Einschätzung der Lage und über die von ihr gestellten Aufgaben zu diskutieren, um sich mit ihnen über die Zusammenarbeit in der Organisierung des Kampfes gegen den Hitlerfaschismus zu verständigen.
Die Kommunistische Partei Deutschlands sieht es als ihre wichtigste Aufgabe an, durch eine intensive Massenarbeit, durch die Einbeziehung der Jugend und der Frauen, durch ein besonderes Herantreten an alle Teile des werktätigen Volkes mit Vorschlägen für die Zusammenarbeit und den Widerstand, durch ihre Forderungen und Losungen und durch die Organisierung des Widerstandes und des Kampfes den Zusammenschluß der werktätigen Massen in der deutschen Volksfront herbeizuführen. Der Antikriegsarbeit kommt dabei in Anbetracht der akuten Kriegsgefahr durch die Provokationen Hitlers die größte Bedeutung zu. Diese Arbeit ist aber sehr schwierig, weil der Faschismus in raffinierter Weise seine Kriegspolitik mit einer nationalen Großmachtideologie, mit den Fragen der Rohstoffbeschaffung, der internationalen Gleichberechtigung und des Rechtes auf Kolonien begründet und damit versucht, große Teile des Volkes, vor allem die Jugend, irre zu führen. Das muß durch eine sehr gründliche Aufklärungsarbeit und die Widerlegung der faschistischen Argumente verhindert werden.
Die Kommunistische Partei entlarvt in ihren illegal im Lande verbreiteten gedruckten Materialien und durch ihren Radiosender die im Auftrage des reaktionärsten Teiles der Finanzkapitalisten und Rüstungsgewinnler durchgeführte provokatorische Kriegspolitik Hitlers, den wahren Kriegszweck seiner Bündnispolitik mit Mussolini und der japanischen Militärclique, seine Waffen- und Soldatenlieferungen an Franco, seine über das österreichische Volk aufgerichtete Fremdherrschaft, seine Bedrohung des tschechoslowakischen Volkes und seine auf den Krieg gerichteten Provokationen gegen die demokratischen Länder und gegen das Land des Sozialismus, die Sowjetunion. Die Partei beweist den Massen, daß Hitler nicht den Frieden, nicht den nationalen Aufstieg des deutschen Volkes durch friedlichen Wettbewerb mit anderen Völkern will, daß er nicht die Einheit des deutschen Volkes, sondern dessen tiefste Zerklüftung herbeiführt, daß er es mit seiner Kriegspolitik in das größte Unglück stürzt. Durch die Popularisierung des grandiosen sozialistischen Aufstiegs und der mächtigen Entfaltung der sozialistischen Demokratie in der Sowjetunion und ihrer konsequenten Friedenspolitik unter der Führung des Genossen Stalin, verstärkt die Partei die Sympathie der werktätigen Massen Deutschlands für die Sowjetunion und macht dadurch die dummfreche Lügenhetze der Hitler, Goebbels, Göring, Rosenberg und Kumpanei gegen die Sowjetunion zunichte.
Eine weitere große Arbeit leistet die Partei in der Mobilisierung der Massen gegen die kriegswirtschaftlichen Maßnahmen der Hitlerregierung und gegen ihren Terror. In den von den Faschisten geleiteten Massenorganisationen und in den Betrieben betreibt die Partei unter geschickter Ausnutzung der legalen Möglichkeiten ihre Aufklärungsarbeit und Sammlung der Kräfte für den Kampf. Dabei muß die strengste Konspiration zum Schutze ihrer Funktionäre beobachtet werden, damit diese nicht den Gestapospitzeln in den Betrieben und Organisationen zum Opfer fallen. Diese Arbeit hängt aber auch eng zusammen mit dem Kampfe gegen die trotzkistischen Elemente, die durch ihre infame Zersetzungsarbeit in der Arbeiterschaft das Zustandekommen der einheitlichen Kampffront aufzuhalten versuchen und damit dem Faschismus Hilfsdienste leisten.
Wenn auch die Arbeit der Partei noch große Schwächen aufweist und sie noch nicht so mit den Massen verbunden ist, wie das auch unter den schweren illegalen Bedingungen möglich ist, so ist doch die Autorität der Kommunistischen Partei unter den Massen sehr gewachsen. Sie wird von ihnen als die einzige organisierte und kampfentschlossene Kraft im Lande respektiert. Aber um so grösser ist die Verantwortung der Partei vor den Massen, alle Möglichkeiten zu ergreifen, um den Massen die Verständigung zum gemeinsamen Kampfe zu erleichtern und die Kräfte zusammenzuführen, die fähig und willens sind, das Kriegsverbrechen des Hitlerfaschismus zu verhindern und seinen Sturz herbeizuführen.
In diesem Kampfe benötigt das deutsche Volk der stärksten internationalen Solidarität der werktätigen Massen in allen Ländern. Wie die besten Kader der Kommunistischen Partei Deutschlands ihre Solidarität mit dem spanischen Volke durch den Einsatz ihres Lebens im Kampfe gegen die faschistischen Aggressoren bekundeten, wie sie an der Seite des österreichischen Volkes in seinem Kampfe gegen die Fremdherrschaft des Hitlerfaschismus stehen, wie sie bereit sind, Schulter an Schulter mit den Völkern der Tschechoslowakei deren Unabhängigkeit gegen die Bedrohung durch den Hitlerfaschismus zu verteidigen, so müssen in der ganzen Welt alle friedliebenden Menschen gegen den Hauptbrandstifter des Weltkrieges, gegen den Hitlerfaschismus mobilisiert und die Regierungen der demokratischen Länder zu einem energischen Widerstand gegen die fortgesetzten Kriegsprovokationen veranlaßt werden. Es gilt, den Opfern des Faschismus beizustehen und den Kampf um die Befreiung der politischen Gefangenen, besonders des Genossen Ernst Thälmann, zu unterstützen. Das Bewußtsein der werktätigen Massen Deutschlands, in ihrem Kampfe auf das engste mit den Massen in den anderen Ländern verbunden zu sein und von ihnen unterstützt zu werden, trägt zur Steigerung ihres Widerstandswillens und ihrer Kampffähigkeit bei.
Die Einheitsfront der Arbeiterklasse und die Volksfront, das große Kampfbündnis der Arbeiter, Bauern, Handwerker und Intellektuellen, sind in Deutschland im Werden. Weder der Hitlerfaschismus noch der Widerstand aus den Reihen der Führer der Sozialdemokratischen Partei noch die trotzkistischen Feinde der Arbeiterklasse werden ihre Verwirklichung verhindern. In welchem Tempo sie voranmarschiert, das hängt von dem Willen der Kräfte ab, die ihre Notwendigkeit erkannt haben, die den Frieden erhalten und dem deutschen Volke helfen wollen, sich von der braunen Pest des Hitlerfaschismus zu befreien. Die Kommunistische Partei Deutschlands reicht allen diesen Kräften die Hand zum gemeinsamen Kampfe gegen den Hitlerfaschismus, zu seiner Vernichtung und zur Erkämpfung einer wirklichen demokratischen Republik.
[1]. Am 26. September 1935 fand im Hotel Lutetia in Paris ein Treffen von Gegnern des nationalsozialistischen Regimes statt. Es folgte ein zweites Treffen am 22. November. Auf einem dritten Treffen am 2. Februar 1936 wurde ein engeres Komitee gebildet. Schließlich fand am 8. und 9. Juni in Paris eine Zusammenkunft statt, an der Vertreter dieses Komitees sowie der Arbeiterparteien teilnahmen. Es wurde offiziell der "Ausschuß zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront" gegründet.
[2]. Vom 8. bis 14. September 1936 fand in Nürnberg der Parteitag der NSDAP statt (genannt "Parteitag der Ehre"), auf dem insbesondere ein Vierjahresplan angekündigt wurde. Am 26. August 1936 hatte Adolf Hitler eine von ihm verfaßte geheime Denkschrift im engsten Kreise vorgestellt, die dann am 4. September der Regierung unterbreitet wurde. Darin heißt es: "Ich stelle damit folgende Aufgaben: 1. Die deutsche Armee muß in vier Jahren einsatzfähig sein, 2. Die deutsche Wirtschaft muß in vier Jahren kriegsfähig sein."
[3]. Die Deutsche Arbeitsfront (DAF) wurde am 10. Mai 1933 gegründet. Sie sollte als neue einheitliche Organisation "durch Bildung einer wirklichen Volks- und Leistungsgemeinschaft, die dem Klassenkampfgedanken abgeschworen hat" die Interessen "aller schaffenden Deutschen" wahrnehmen. Die Vertreter der Großindustrie setzten sich gegen die Perspektive ein, daß die DAF sich zu einer Institution der Vertretung der Arbeiterinteressen entwickle. Das am 19. Mai 1933 angenommene Gesetz über Treuhänder der Arbeit schuf dann zur Regelung der Arbeitsverträge und zur "Aufrechterhaltung des Arbeitsfriedens" öffentliche Verwalter, was dem Wunsch der Unternehmer entgegenkam. Letzten Endes wurde der DAF ein Tätigkeitsbereich zugewiesen, der die Betriebe ausschloß. Die DAF zählte zwar 1942 25 Millionen Mitgliedern, aber mit 44 000 hauptamtlichen und 1,3 Millionen ehrenamtlichen Mitarbeitern war sie zu einer rein bürokratisch-zentralisierten Organisation geworden.