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Berner Parteikonferenz der Kommunistischen Partei Deutschlands

Otto Niebergall

Diskussionsbeitrag

31. Januar 1939

 

 

Quelle:

Klaus Mammach (Hg.): Die Berner Konferenz der KPD (30. Januar‑1. Februar 1939). Berlin, Dietz, 1974. S. 102‑108.

 

 

 

 

 

 

Erstellt: Januar 2013

Druckversion
KPD 1918 1945 - Inhalt

 

 

 

 

 

 

Ausgehend von der Rede des Genossen Koplenig[1] möchte ich darauf hinweisen, daß wir durch die zwangsweise Anwesenheit von 10 000 Österreichern im Festungsbaugebiet im Westen gute Möglichkeiten haben, den Befreiungskampf des österreichischen Volkes zu unterstützen und uns so scharf von den Schandtaten des Hitlerregimes gegen das Selbstbestimmungsrecht des österreichischen Volkes abzugrenzen. Durch die Herstellung eines kameradschaftlichen Verhältnisses mit den österreichischen Arbeitern, durch gemeinsames Beraten, wie man die Lage im Festungsbaugebiet verbessern kann, und durch das vereinte Vorgehen gegen die Maßnahmen des Regimes tragen wir viel dazu bei, das Regime zu schwächen und den Befreiungskampf des deutschen und österreichischen Volkes zu fördern.

Von Tag zu Tag gewinnt das Radio für unseren Kampf eine größere Bedeutung. Insbesondere in den Septembertagen und im weiteren Verlauf haben sich Hunderttausende von der Goebbelsschen Nachrichtenübermittlung abgewandt und sich über [die Sender] 29,8, Moskau, Strasbourg, Luxemburg usw. informiert. Infolge der Tatsache, daß der Strasbourger Sender, der im Rheinland viel gehört wird, nur “lauwarm” ist, verlegen sich viele Hörer auf unsere Sendungen. Dies verpflichtet uns, noch viel mehr als bisher an unseren Sendungen mitzuarbeiten. Wir müssen in diesen Sendungen hinsichtlich aller Ereignisse eine überzeugende und aufklärende Sprache sprechen. Jede A[bschnitts-] L[eitung] hat auf diesem Gebiet die größten Möglichkeiten. Obwohl wir hinsichtlich der Sendungen schon viel getan haben und hinsichtlich der Behandlung unserer Materialien durch den Freiheitssender [29,8] zufrieden sind, werden wir in den nächsten Wochen und Monaten noch mehr als bisher praktisch mitarbeiten, um so die Sendungen noch zu verbessern.

In den Septembertagen und im November gab es eine breite Volksstimmung gegen die Kriegspolitik Hitlers, die selbst Teile der NSDAP erfaßt hatte. Die Tatsache, daß der Gauleiter Grohé vor den Amtswaltern des Rheinlands scharf mit den Stimmungen gegen die Hitlersche Politik in den eigenen Reihen abrechnen mußte, eine ganze Reihe Amtswalter wegen Unzuverlässigkeit abgesetzt wurde und Grohé erklärte, daß die Septemberkrise eine große Lehre für die weltanschauliche Schulung der NSDAP sein müßte, zeigt klar, wie tief die Stimmungen waren, aber auch welche großen Möglichkeiten uns in unserer Volksfrontpolitik gegeben sind.

Aber was im breiten [Umfang] in den Septembertagen fehlte, das war eine genügend stark in den [faschistischen] Massenorganisationen und Betrieben verankerte Organisation, eine breite Einheitsfrontbewegung und die Klarheit unter den Hitlergegnern, wie man praktisch die Kriegspolitik Hitlers erfolgreich bekämpfen kann und was am Ende dieses Kampfes stehen wird. Unsere Mission muß darin bestehen, schnell eine solche Organisation aufzubauen, an jedes Ereignis anzuknüpfen und konkret zu zeigen, wie man in der Tat und erfolgreich gegen die Kriegspolitik Hitlers ankämpfen kann und muß. Im Kampf gegen die Spekulation auf Hilfe von außen, die Ratlosigkeit, wie man gegen das Regime ankämpfen kann, wer es tun muß, was am Ende dieses Kampfes sein wird, und gegen den von den Nazis ständig geschürten “Bolschewistenschreck” ist die von dem Genossen Wilhelm Pieck entwickelte Plattform zur Erkämpfung der neuen, demokratischen Republik[2] von allergrößter Bedeutung. Sie ermöglicht uns, allen ‑ den Sozialdemokraten, Katholiken, bürgerlichen Oppositionellen, selbst den bereits ins Wanken gekommenen Nazianhängern ‑ zu zeigen: Seht, das ist das, was wir wollen. Deshalb müssen wir heute gemeinsam kämpfen für bessere Löhne, gegen den Mangel, gegen die Kirchenverfolgungen, gegen das Wohnungselend, Luxusbauten, Korruption, für das Selbstbestimmungsrecht in den Organisationen und Gemeinden, gegen die Vernichtung des Handwerks und des Mittelstandes usw. Und am Ende dieses Kampfes wird ein neues Deutschland, eine starke demokratische Republik stehen, die restlos die Fehler der Vergangenheit ausmerzt.

Unsere Aufgabe muß es sein, diese Plattform auf unser Gebiet zu konkretisieren. Wir müssen den Arbeitern, Bauern, Mittelständlern, Katholiken zeigen: Das haben die Nazis versprochen, das haben sie gehalten, das könnte noch kommen. Deshalb muß man heute kämpfen, und unser Ziel ist für die Arbeiter das - für die Bauern das usw.

Besonders wichtig ist in der Plattform die Formel, daß wir das kirchliche Eigentum sichern. Das hat gerade heute, wo sich der Hitlerfaschismus anschickt, schrittweise die Kirche zu enteignen und das Eigentum der Kirche für Rüstungszwecke zu rauben, eine große Bedeutung. Wir müssen die katholische Bevölkerung in ihrem Kampf gegen das Regime auf allen Gebieten unterstützen. Der Kampf der katholischen Bevölkerung gegen die Unterdrückung des Glaubens und der Gewissensfreiheit, gegen die Auflösung der katholischen Organisationen und gegen die Verunglimpfung ihrer Sitten und Gebräuche ist ein wichtiger Kampf gegen die gesamten Positionen des Faschismus, ein unmittelbarer Kampf für die Freiheit und den Frieden des deutschen Volkes. Durch verwandtschaftliche und bekanntschaftliche Beziehungen ins Lager der Katholiken müssen wir die Notwendigkeit des gemeinsamen Kampfes und wie er geführt werden kann propagieren. Dabei sollten wir ganz kameradschaftlich zeigen, daß der von einem Teil der Katholiken gegen uns geführte Kampf nur Hitler nützt und die Positionen des Katholizismus aufs äußerste gefährdet.

Gerade wir im Rheinland haben hinsichtlich der Vereinigung aller Kräfte gegen den Faschismus eine hohe Verantwortung. Das Rheinland ist überwiegend katholisch. Der Faschismus hat gerade in der jüngsten Zeit im Rheinland eine ganze Reihe von Schlägen gegen die Katholiken geführt und hat neue in Vorbereitung. Da der Faschismus im Kampf gegen die Freiheit und den Frieden zwischen Katholiken, Sozialdemokraten und Kommunisten keinerlei Unterschied macht, muß es uns gelingen, insbesondere gegen Kriegspolitik, Verfolgung und Unterdrückung mit den Katholiken zu einem gemeinsamen Kampf zu kommen. Dabei gedenken wir uns in erster Linie auf die ehemaligen christlichen Gewerkschaftler zu orientieren, die gemeinsam mit unseren Genossen in den Betrieben und in der DAF[3] verankert sind und alle unter der Antreibung und Ausbeutung leiden.

Gerade die von den Nazis im Interesse der Rüstungsgewinnler eingeleitete Rationalisierung unter der demagogischen Losung "Jeder hilft bei der Betriebsgestaltung" gibt uns die Möglichkeit, in den Betrieben zu einer breiten gemeinsamen Bewegung zu kommen. Dabei müssen wir stärkstens an die Nazilosungen anknüpfen: Jawohl, wir helfen bei der Betriebsgestaltung, deshalb Einhaltung der Unfallvorschriften; zur Steigerung der Volksgesundheit besseres Licht und bessere Lüftung; übersichtliche Arbeitsplätze; genügend und billige Lebensmittel; 8 Stunden ‑ genug geschunden; wie die Leistung, so der Lohn; wenn nicht mehr Lohn, auch nicht mehr Leistung. Jedes Beispiel des Widerstandes muß breit popularisiert werden. Wir müssen, indem wir uns eine genaue Übersicht über die Lage in den Betrieben verschaffen, in jedem Betrieb versuchen, die entsprechenden Forderungen zu stellen und den Kampf dafür auszulösen, um so zu einem Kampf auf verbreiterter Grundlage gegen das Regime, für den Frieden und den Sturz Hitlers zu kommen.

Eine richtige Politik allein genügt noch nicht. Was notwendig dazu ist, ist eine gute Organisation, die diese Politik auch durchführt. Die Lehre der Septemberkrise erfordert, wie das richtig in dem Artikel des Genossen Glasbrenner[4] gesagt wird, eine Organisation, die allen Anforderungen, die die einzelnen Vorkommnisse und Ereignisse stellen, [gerecht wird], [die] versteht, sie in unserem Kampf zu bewerten und die notwendigen Folgerungen zu ziehen. Wir müssen uns mehr als bisher um die einzelnen Verbindungen kümmern, sie ständig beraten und zum Reagieren anregen und so Freunde erziehen, die in der Lage sind, handeln zu können.

Die Partei muß sich mehr denn je, ohne die direkte Landarbeit[5] abzuschwächen, um die Arbeit der Emigration kümmern. Dies ist um so notwendiger, weil die Emigration für die Landarbeit nicht nur eine große Hilfe ist, sondern weil in einzelnen Ländern Bestrebungen im Gange sind, die Emigration mit Aufgaben zu betrauen, die nicht ausschließlich ihre Arbeit sein können.

Meine Auffassung ist die: Die deutsche Emigration ist ein Bestandteil des deutschen Volkes. Sie ist nur vorübergehend in die Emigration gezwungen, nicht um darin zu verharren, sondern mitzuhelfen, die Voraussetzungen für ihre Wiederheimkehr zu schaffen. Es kann deshalb nicht die Hauptaufgabe der Emigration sein, sich mit Fragen des Gastlandes zu beschäftigen, sondern mit den Problemen des [eigenen] Landes, denen die Fragen des Gastlandes eingeordnet werden müssen.

Die Hauptaufgabe ist auch für die Emigration der Kampf um den Frieden, der Sturz des Hitlerregimes, die Errichtung der neuen, demokratischen Republik. In diesem Sinne muß die Emigration mit an den Landproblemen arbeiten und ihre Vorschläge und Mitarbeit gestalten. Sie muß genau wie die Opposition drinnen alle Vorkommnisse und Ereignisse aufmerksam verfolgen und an Losungen und Materialien mitarbeiten, sich schulen, so daß jeder Freund in der Lage ist, die heute und morgen an ihn gestellten Aufgaben und Anforderungen restlos zu erfüllen. Nur wenn jeder Freund sich täglich mit all den Fragen, die das deutsche Volk, die einzelnen Schichten bedrücken, beschäftigt und zu jeder Frage im kleinen und großen den Weg aufzeigen kann, der gegangen werden muß, wird er entscheidend mit dazu beitragen, die Mängel und Schwächen der Vergangenheit mit allen sich daraus ergebenden Folgen in der Zukunft zu verhüten. Gerade unsere Emigration hat die hohe Aufgabe, in der übrigen Emigration hinsichtlich der Vorgänge im Land aufklärend zu wirken und alle für ein gemeinsames Handeln zu gewinnen, die Einheits- und Volksfrontbewegung draußen als eine wesentliche Hilfe für drinnen zu fördern.

Ein weiteres wichtiges Aufgabengebiet ist die Arbeit unter den Auslandsdeutschen und Besuchern in den Gastländern. Der Faschismus versucht mit Zuckerbrot und Peitsche, Millionen dieser Auslandsdeutschen als seine Bazillenträger zu benutzen. Die große Aufgabe der deutschen Emigration muß es sein, diese Auslandsdeutschen als Träger unserer Ideengänge, zum Mitstreiter im Kampf um den Frieden, den Sturz Hitlers, die Schaffung der demokratischen Republik zu gewinnen.

In engster Verbindung mit all diesem steht die Aufgabe, unter dem Gastvolk Aufklärung zu schaffen über das, was Faschismus ist, wie die deutsche Opposition gegen das Regime kämpft, und die Solidarität für den Kampf des deutschen Volkes und die Opfer des Faschismus zu entfalten und zu verstärken. Diese Arbeit wird um so erfolgreicher sein, je mehr die Emigration im Gastvolk, in seinen Organisationen und seinem Kulturleben verankert ist, je besser man die Sprache des Landes beherrscht.

Durch die Nichtdurchführung des erlassenen Jugendschutzgesetzes[6], durch den Berufswahlzwang, das brutale Einzwängen der Jugend in die Rationalisierungswelle macht sich eine Wandlung bei der Jugend bemerkbar, der wir die allergrößte Aufmerksamkeit widmen müssen. Wir müssen der Jugend kameradschaftlich helfen, gegen die Maßnahmen des Regimes anzukämpfen. Bei unserer Arbeit in der Rüstungsindustrie müssen wir den erfolgten Umschichtungsprozeß sehen. Ein großer Teil dieser Belegschaft setzt sich aus Jugendlichen zusammen, Jugendlichen, die nie einer freien Gewerkschaftsbewegung angehörten, keinerlei gewerkschaftliche Erfahrungen haben. Wir müssen dies in unserer Arbeit, in unserer Sprache, in den Materialien stark berücksichtigen.

 

 

 

 

 



[1]. Johann Koplenig. Vorsitzender der Kommunistischen Partei Österreichs. Nach der Annexion Österreichs durch Deutschland wurde er im Mai 1938 ins ZK der KPD kooptiert.

[2]. Siehe "Wie kann und muß der Hitlerfaschismus gestürzt und die demokratische Republik verwirklicht werden? Ein Beitrag zur Diskussion und Verständigung". In Wilhelm Pieck, Gesammelte Reden und Schriften, Band 5, Berlin, Dietz, 1972. S. 606‑618.

[3]. Die Deutsche Arbeitsfront (DAF) wurde am 10. Mai 1933 gegründet. Sie sollte als neue einheitliche Organisation "durch Bildung einer wirklichen Volks- und Leistungsgemeinschaft, die dem Klassenkampfgedanken abgeschworen hat" die Interessen "aller schaffenden Deutschen" wahrnehmen. Die Vertreter der Großindustrie setzten sich gegen die Perspektive ein, daß die DAF sich zu einer Institution der Vertretung der Arbeiterinteressen entwickle. Das am 19. Mai 1933 angenommene Gesetz über Treuhänder der Arbeit schuf dann zur Regelung der Arbeitsverträge und zur "Aufrechterhaltung des Arbeitsfriedens" öffentliche Verwalter, was dem Wunsch der Unternehmer entgegenkam. Letzten Endes wurde der DAF ein Tätigkeitsbereich zugewiesen, der die Betriebe ausschloß. Die DAF zählte zwar 1942 25 Millionen Mitgliedern, aber mit 44 000 hauptamtlichen und 1,3 Millionen ehrenamtlichen Mitarbeitern war sie zu einer rein bürokratisch-zentralisierten Organisation geworden.

[4]. Siehe W. Glasbrenner: "Die Parteiorganisation". In: Die Internationale, Prag-Antwerpen, 1939, Nr. 1/2, S. 45‑55.

[5]. Gemeint ist die Arbeit in Deutschland.

[6]. Das Jugendschutzgesetz, das am 1. Januar 1939 in Kraft trat und die 48‑Stunden-Woche festlegte, die Nacht- sowie die Kinderarbeit verbot und den Urlaub regelte, galt nicht für Jugendliche, die in der Land- und Forstwirtschaft, in der Schiffahrt und als Hausangestellte beschäftigt waren. Durch besondere Verordnungen wurden diese Bestimmungen auch für Jugendliche in der eisenschaffenden Industrie und zum Teil im Bergbau außer Kraft gesetzt.