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Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Deutschlands Vorschlag zur Einigung der deutschen Opposition 16. September 1938 |
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Quelle: Rundschau über Politik, Wirtschaft und Arbeiterbewegung, Basel, Jahrgang 1938, Nr. 48/22.9.1938. S. 1607/08. Abgedruckt in: Dokumente des ZK der KPD 1933-1945. Offenbach, Verlag Olga Benario und Herbert Baum, 2002. S. 340. |
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Erstellt: Januar 2013 |
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Der furchtbare Ernst der deutschen Kriegsgefahr hat in allen Kreisen der deutschen Opposition den Ruf nach Einigung verstärkt. Die Hitlergegner werden sich ihrer geschichtlichen Verantwortung vor Deutschland und der Welt bewußt. Trotz Differenzen und Schwierigkeiten in der Vergangenheit setzt sich der Gedanke der Einigung immer mehr durch, denn die Schwere der gegenwärtigen Situation erheischt gebieterisch die Zurückstellung jeglicher Sonderinteressen und alles Trennenden, soll die deutsche Opposition zu einem gewichtigen politischen Faktor werden. Nur wenn die deutsche Opposition einig ist, kann sie die Arbeit der Hitlergegner in Deutschland planmäßig und erfolgreicher unterstützen. Nur wenn sie einig ist, kann sie als selbständiger Verbündeter der demokratischen Kräfte in der Welt auftreten und Anerkennung finden. Es ist daher allerhöchste Zeit, daß alle Gruppen der deutschen Opposition ein einheitliches Zentrum schaffen. Ein solches mit den freiheits- und friedensliebenden Massen des deutschen Volkes und seinen heroischen illegalen Kämpfern aufs engste verbundene Zentrum würde das autoritative Sprachrohr der deutschen Opposition im Auslande sein und vor aller Welt die wahren Interessen Deutschlands vertreten. Die Aktivierung des "Ausschusses zur Vorbereitung der deutschen Volksfront"[1] und seine Erweiterung zu einem Zentrum der gesamten deutschen Opposition ist daher zu einer unaufschiebbaren Aufgabe geworden. Aus allen Äußerungen, Diskussionen, programmatischen Erklärungen der verschiedenen Gruppen der deutschen Hitlergegner geht klar hervor, daß in den Hauptfragen eine Einigkeit der Auffassungen besteht oder in einer gemeinsamen Beratung herbeigeführt werden kann. Sozialdemokraten und Kommunisten, Katholiken, Anhänger der Bekenntniskirche, Vertreter jüdischer Kreise und Männer des deutschen Geisteslebens und des fortschrittlichen Bürgertums sind sich in folgenden Hauptpunkten einig: 1. Die deutsche Opposition kämpft mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln gegen die Kriegspolitik Hitlers. Die Sicherung des Friedens ist die einzige wahre deutsche Volkspolitik. Der Sturz des Hitlerregimes ist die Garantie des Friedens. 2. Sollte Hitler den Krieg beginnen, so kämpft die deutsche Opposition innerhalb und außerhalb des Landes für die möglichst schnelle Beendigung des Krieges durch den Sturz der kriegsverbrecherischen Tyrannei. Sie handelt damit im Lebensinteresse der deutschen Nation und zugleich als Verbündeter der demokratischen fortschrittlichen Kräfte in der Welt. 3. Das gemeinsame Ziel der deutschen Opposition ist die Beseitigung der volksfeindlichen Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus, die Erkämpfung einer neuen deutschen demokratischen Republik. 4. Die neue deutsche demokratische Republik wird folgende elementare Grundforderungen verwirklichen: a) persönliche und politische Freiheit für alle Bürger ohne Unterschied der Herkunft, des Standes, der Rasse und der Religion; volle Glaubens- und Gewissensfreiheit, Freiheit der Organisationen, der Presse und Versammlung; Freiheit der Lehrtätigkeit, der wissenschaftlichen Forschung und künstlerischen Gestaltung; Wiederherstellung des freien und gleichen Wahlrechtes; Selbstbestimmungsrecht für das österreichische Volk. b) Durchführung einer Wirtschaftspolitik, die der Hebung des Volkswohlstandes und dem Frieden dient, an Stelle der heutigen wirtschaftszerstörenden Rüstungs- und Autarkiepolitik der nationalsozialistischen Diktatur. c) Sicherung einer Außenpolitik, die die Einheit und Unabhängigkeit Deutschlands in jeder Hinsicht gewährleistet und für die Erhaltung des Friedens im Geiste der Völkerverständigung wirkt. d) Die neue demokratische Republik wird die Schwächen der Weimarer Zeit gegenüber der Reaktion nicht wiederholen und solche Maßnahmen zur Verteidigung der neu errungenen Freiheit treffen, die eine Wiederkehr der faschistischen Tyrannei ein für allemal unmöglich machen. Was könnte die deutsche Opposition gegenwärtig schon tun, um den Kampf für die ihr gemeinsamen Ziele zu fördern und zu unterstützen? Allein die Tatsache des Zusammenschlusses der deutschen Oppositionsgruppen in einem aktiv arbeitenden Volksfront-Zentrum würde schon als moralischer Faktor eine starke, belebende Wirkung auf die innerdeutsche Opposition ausüben und die Verwirklichung der Idee der Einigung aller Schichten des Volkes gegen Hitler erleichtern. Im Kampfe um den Frieden könnte sich die deutsche Opposition unmittelbar über folgende gemeinsam zu treffenden Maßnahmen einigen: 1. Gemeinsame Aufklärung des deutschen Volkes durch Radio, Flugschriften, und andere, den deutschen Bedingungen angepaßte Methoden, über die Kriegsgefahr und die Kriegsschuld Hitlers, über die drohenden Kriegsleiden für das deutsche Volk, über die nationalsozialistischen Kriegslügen, über die Rassenhetze, über die Religionsverfolgungen, über die Möglichkeiten des Volkswiderstandes usw. 2. Festlegung gemeinsamer volkstümlicher Losungen bei wichtigen Ereignissen, die durch alle verfügbaren Verbindungen und Kanäle zu gleicher Zeit im Lande verbreitet werden. 3. Ständige gemeinsame Information der demokratischen freiheitlichen Welt über den Kampf des anderen Deutschland gegen Hitler. Dies liegt besonders im nationalen Interesse Deutschlands, damit die anderen Völker nicht ihre berechtigte Abscheu über das Hitlerregime auf das unterdrückte deutsche Volk übertragen. Aufbringung von Geldmitteln zur Unterstützung des innerdeutschen Kampfes. 4. Gemeinsame hitlergegnerische Arbeit unter den Auslandsdeutschen und innerhalb der deutschsprachigen Minderheiten anderer Länder. 5. Schaffung einer gemeinsamen Tageszeitung der deutschen Opposition. 6. Gemeinsame Anstrengungen zur Hilfe für die gefangenen Hitlergegner und ihre Familien in Deutschland. 7. Gemeinsame Förderung der Interessen der deutschen Emigration. Angesichts der außerordentlich ernsten Lage müßten die Vertreter der deutschen Opposition sofort zusammentreten, um die gemeinsame Haltung aller Gruppen im Falle des Krieges festzulegen. In der gemeinsamen Tätigkeit der deutschen Opposition wird das Vertrauen zueinander wachsen. Das schädliche Gegeneinander, von dem nur Hitler profitiert, wird durch ein Miteinander in fruchtbarer Arbeit ersetzt werden. Die Volksfront läßt die religiösen Überzeugungen und politischen Grundsätze der in ihr vereinigten Parteien, Gruppen und Persönlichkeiten unangetastet, sie verlangt von ihren Partnern nur, daß sie mit an ihren Kräften sich für die freiwillig anerkannten gemeinsamen Ziele einsetzen und dieser großen Schicksalsaufgabe der deutschen Opposition alles unterordnen. Die Volksfrontbewegung erstrebt eine zeitweilige oder dauernde Verständigung mit allen hitlergegnerischen Kräften, die noch nicht bereit sind, sich der Volksfront anzuschließen. In dieser Zeit, in der infolge von Hitlers Angriff auf die Tschechoslowakei täglich der Krieg ausbrechen kann, in der jeder Hitlergegner in der Emigration auch persönlich vor die schwierigsten Entscheidungen gestellt sein kann, ist die rasche Einigung der deutschen Opposition - und sei es zunächst nur zur Erfüllung minimalster Aufgaben - das Gebot der Stunde. Dringend erinnern wir an die Mahnung, wie sie der Ausschuß zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront auf seiner Tagung vom 11. April 1937 durch den Mund seines Präsidenten Heinrich Mann in einer Botschaft an das deutsche Volk erließ: "Reichen wir einander die Hand! Verbünden wir uns gegen den gemeinsamen Feind Hitler! Sozialisten, Kommunisten, Demokraten, Angehörige aller Konfessionen, handeln wir gemeinsam, helfen wir uns gegenseitig, beenden wir jegliche Zersplitterung, die nur Hitler nützt! Schließen wir uns zusammen zur großen deutschen Volksfront, die allein unser deutsches Volk zum Sturze Hitlers führen kann und führen wird." |
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[1]. Am 26. September 1935 fand im Hotel Lutetia in Paris ein Treffen von Gegnern des nationalsozialistischen Regimes statt. Es folgte ein zweites Treffen am 22. November. Auf einem dritten Treffen am 2. Februar 1936 wurde ein engeres Komitee gebildet. Schließlich fand am 8. und 9. Juni in Paris eine Zusammenkunft statt, an der Vertreter dieses Komitees sowie der Arbeiterparteien teilnahmen. Es wurde offiziell der "Ausschuß zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront" gegründet.