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Brüsseler Parteikonferenz der Kommunistischen Partei Deutschlands Manifest 1. Dezember 1935 |
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Quelle: Rundschau über Politik, Wirtschaft und Arbeiterbewegung (Basel), Nr. 73 vom 12. Dezember 1935, S. 2823-2825. Abgedruckt in: Wilhelm Pieck: Der neue Weg zum gemeinsamen Kampf für den Sturz der Hitlerdiktatur - Referat und Schlußwort auf der Brüsseler Parteikonferenz der Kommunistischen Partei Deutschlands (Oktober 1935). Berlin, Verlag Neuer Weg, 1947. S. 188‑195. Erwin Lewin, Elke Reuter, Stefan Weber (Hg.): Protokoll der "Brüsseler Konferenz" der KPD 1935 - Reden, Diskussion und Beschlüsse, Moskau vom 3.‑15. Oktober 1935. München, K. G. Saur, 1997. S. 828‑832[1]. |
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Erstellt: Januar 2013 |
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An das werktätige deutsche Volk!Arbeiter, Angestellte, Beamte, Intellektuelle, Mittelständler, Bauern!In schwerer, ernster Zeit wendet sich die Kommunistische Partei Deutschlands an euch! Unsagbar leidet unser ganzes werktätiges Volk und seine Jugend unter den gegenwärtigen Zuständen in Deutschland, unter der faschistischen Entrechtung und Unterdrückung, unter der drohenden Kriegsgefahr, unter der Zerstörung der deutschen Kultur, unter der allgemeinen Not, die die Hitlerdiktatur über unser Land gebracht hat. Was hat Hitler euch nicht alles versprochen, als er noch mit seiner Partei um die Macht kämpfte? Höhere Löhne und niedrigere Preise den Arbeitern, gesicherte wirtschaftliche Existenz dem Mittelstand, Land und hohe Preise den Bauern, Freiheit allen Werktätigen. Und was ist jetzt das Resultat der fast dreijährigen Hitlerdiktatur? Immer klarer wird es: Das werktätige Volk wurde von Hitler betrogen! Jeder Tag offenbart es mehr, daß die Lage der werktätigen Massen immer schlechter wird. Die Löhne sinken, die Preise steigen. Mittelständler und Bauern geraten in immer tiefere Schuldknechtschaft. Kultur und Wissenschaft werden zerstört. Die wirkliche Intelligenz wurde mundtot gemacht oder aus dem Lande vertrieben. Die Gläubigen werden verfolgt. Mit unerhörtem Terror, mit Meuchelmorden, Folterungen wehrloser Gefangener, Bluturteilen schwerster Art und dem Henkerheil wird gegen die Opposition vorgegangen, um die Herrschaft des Faschismus zu sichern. Das alles hat Hitler über unser Volk und Land gebracht. Schwer muß das werktätige Volk dafür büßen, daß es den Versprechungen Hitlers Glauben schenkte, daß es ihm folgte und dem Finanzkapital die Aufrichtung der faschistischen Diktatur ermöglichte. Ernst und groß steht vor dem werktätigen Volk die Frage, ob das so weitergehen soll oder ob nicht eine Möglichkeit besteht, sich von dieser Pest der faschistischen Diktatur wieder zu befreien. Werktätiges deutsches Volk! Wir rufen dich zum Kampf!Wir, die zu einer Reichskonferenz der illegal kämpfenden Kommunistischen Partei Deutschlands in Brüssel versammelten Männer, Frauen und Jugendlichen aus dem Lande, die täglich im Kampf gegen die faschistische Diktatur stehen, wir Kommunisten erheben unsere Stimme zu euch! Tausende von Kämpfern aus unseren Reihen wurden wegen ihres Kampfes für die Freiheit des Volkes ermordet. Kein Tag seit der Errichtung der faschistischen Diktatur war ohne unseren Kampf. Wir wissen aus eigener Erfahrung, wie schwer der Kampf ist. Die faschistische Diktatur mit ihrem umfassenden Machtapparat lastet wie ein Bleigewicht auf dem deutschen Volke. Aber im werktätigen Volke ruht die Kraft, diese Last von sich abzuschütteln. Eines ist dafür erforderlich: Vereinigen wir uns zum gemeinsamen Kampfe! Wir Kommunisten unterbreiten euch unser Kampfprogramm gegen die faschistische Diktatur, für die Freiheit, den Frieden und die Sicherung der Existenz aller Werktätigen. Wir stellen an die Spitze des Programms den Kampf[2] für die Freiheit des werktätigen Volkes, für die Wiederherstellung demokratischer Freiheiten und Rechte, für volle Organisations-, Versammlungs- und Pressefreiheit, für Glaubens- und Gewissensfreiheit, für Gleichheit aller Staatsangehörigen, ohne Unterschied ihrer Religion und Rasse, für die Befreiung Thälmanns, Mierendorffs, Ossietzkys sowie aller anderen eingekerkerten Antifaschisten und aller wegen Verletzung der volksfeindlichen Nazigesetze in den Kerkern sitzenden Volksgenossen, für eine allgemeine Weihnachtsamnestie! Wir Kommunisten kämpfen für die nationale Freiheit des deutschen Volkes. Wir sind für die restlose Beseitigung des Versailler Diktats und für die freiwillige Wiedervereinigung aller durch dieses Diktat auseinandergerissenen Teile des deutschen Volkes in einem freiheitlichen Deutschland. Das soll nicht durch den Krieg, sondern auf dem Weg einer friedlichen Verständigung mit den Nachbarvölkern erfolgen. Werktätiges deutsches Volk!Die Hitlerregierung treibt mit ihrer provokatorischen Außenpolitik, die besonders gegen die Sowjetunion gerichtet ist, das deutsche Volk in einen neuen Krieg, der zu einer schweren Niederlage führen muß. Alle friedensliebenden Menschen in der ganzen Welt sehen in dieser Regierung den Brandstifter eines neuen Weltkrieges! Hitler will den Krieg gegen die Sowjetunion. Seine Friedensphrasen sollen nur das werktätige Volk täuschen. Die ungeheuren Kriegsrüstungen sprechen eine andere Sprache. Hitler will den italienisch-abessinischen Krieg für die Verwirklichung der Kriegspläne des deutschen Imperialismus ausnützen. Seine Drohungen gegen Litauen und andere benachbarte Länder im Osten sind auf die Schaffung eines Aufmarschgebietes gegen die Sowjetunion gerichtet. Das deutsche Volk braucht aber dringend die Verständigung mit dem großen Sowjetlande. Wir Kommunisten rufen auf zum Kampfe für die Erhaltung des Friedens, gegen die Kriegspolitik der Hitlerregierung! Die Kriegspolitik nützt nur den Kanonenkönigen, den Kriegsgewinnlern, den Krupp und Thyssen, den Finanzräubern, den ostelbischen Junkern und Bauernschindern und der ganzen Schicht der braunen Bonzen, die sich auf Kosten des Volkes mästen wie die Maden im Speck. Hitler hat im Interesse dieser Kriegspolitik das deutsche Südtirol, den polnischen Korridor und Oberschlesien preisgegeben, um sich Verbündete für den Krieg gegen die Sowjetunion zu schaffen. Nur der Sturz der Hitlerregierung vermag das deutsche Volk vor diesem Kriegsverbrechen zu retten. Zu diesem Kampfe muß sich das ganze werktätige Volk zusammenfinden, muß es sich um das Freiheits- und Friedensprogramm der Kommunisten scharen, muß dafür alle seine Kräfte einsetzen. Werktätige in Stadt und Land!Die Not im Lande wächst zusehends. Seht euch um! Ein harter Winter hat begonnen. Die Teuerung wächst. Vor den Lebensmittelläden stehen wieder Schlangen von Menschen. Es mangelt an Butter, Schweinefleisch, Margarine, Eiern und vielem anderen. Die Reichen haben alles im Überfluß! Nur euch, den Werktätigen, fehlt es. Goebbels und Hitler sagen euch, der Himmel sei daran schuld. Die Lebensmittel fehlen, weil Hitler Kanonen baut! Die für die Einfuhr von Lebensmitteln erforderlichen Devisen werden für die Einfuhr von Rohstoffen für die Kriegsrüstungen verbraucht. Je mehr Kanonen und Flugzeuge Hitler bauen läßt, desto mehr muß das werktätige Volk in den Städten hungern, desto mehr wird der Bauer ruiniert. Die Kapitalsgewinne, die Direktorengehälter, die Tantiemen und Dividenden steigen, aber dem werktätigen Volke werden die Einkünfte geschmälert, werden die Lebensmittel vorenthalten. Wir Kommunisten kämpfen gegen den Wirtschaftskurs der Hitlerregierung, der den Massen Not und Elend bringt. Wir rufen alle Werktätigen auf, sich mit uns zu vereinigen zum Kampfe[3] für Teuerungsausgleich und ausreichende Löhne und Gehälter, für gesteigerte Zufuhr von Lebensmitteln, für ernste Winterhilfe an alle Hungernden und Frierenden, für Wiederherstellung der Arbeitslosen- und Sozialversicherung und der Sozialrenten, für Steuererleichterungen und Brechung der Zinsknechtschaft des Mittelstandes und der Bauern, für den· freien Verkauf der Arbeitsprodukte der Bauern zu lohnenden Preisen, für Beseitigung der Zwangswirtschaft, für Rückzahlung aller Subventionen, die an Großagrarier und Großindustrielle gezahlt wurden! Werktätiges deutsches Volk!Das ist unser Kampfprogramm gegen die faschistische Diktatur. Wir sind überzeugt, jeder von euch ist damit einverstanden. Aber es kommt darauf an, dieses Programm in die Tat umzusetzen, die Forderungen zu verwirklichen. Wir Kommunisten stellen uns das nicht leicht vor. Wir wissen, daß das ein opfervoller und schwerer Kampf ist. Aber ohne den Kampf der Mehrheit des werktätigen Volkes wird es keine Freiheit, sondern Knechtschaft, Krieg und Massenelend geben. Der Zusammenschluß aller werktätigen Hitlergegner zum Kampfe für ein neues, freies Deutschland ist möglich und notwendig. Der beste Teil des werktätigen Volkes hat bereits mit dem Kampf gegen die Hitlerdiktatur begonnen. In den Fabriken und Kontoren, in den Schächten und Häfen vereinigen sich Arbeiter und Angestellte, in den Städten vereinigen sich Handwerker und Kaufleute, in den Dörfern die Bauern zu diesem Kampfe. Das aus dem Lande vertriebene geistige Deutschland erhebt seine Stimme. Die Schaffung der Einheitsfront ist das Gebot der Stunde! Wir Kommunisten bieten dem Partei vorstand und allen Organisationen der Sozialdemokratie die Hand zum Abschluß von Einheitsfrontabkommen. In den Betrieben, in allen Orten muß die Einheitsfront zwischen der Kommunistischen Partei und der Sozialdemokratischen Partei hergestellt werden. Gemeinsam muß der einheitliche Wiederaufbau der freien Gewerkschaften gefördert werden. Wir Kommunisten sind für die breiteste Volksfront! Gemeinsam mit der Sozialdemokratischen Partei, mit der Zentrumspartei, den Demokraten und mit allen Organisationen des werktätigen Volkes muß die Volksfront gegen Hitler, gegen die faschistische Diktatur, für deren Sturz geschaffen werden. Alle Menschen und Gruppen, die diesen Kampf wollen, müssen in dieser Front vereinigt werden. Werktätige in Stadt und Land!Schreiten wir deshalb zum Zusammenschluß, zur Tat! Vereinigen wir uns zum gemeinsamen Kampf für Freiheit, Frieden und Brot! Wenn wir überall gemeinsam unsere Forderungen aufstellen, wenn wir nirgends und niemals die braunen Bonzen in Ruhe lassen, ihnen immer wieder unsere Forderungen entgegenstellen, dann wird bald im ganzen Lande die Volksfrontbewegung entflammen, dann wird kein Hitler und kein Göring diese Bewegung mehr aufhalten können, dann wird sie über das faschistische Regime hinweggehen und seine Vertreter zum Teufel jagen. Wir Kommunisten wollen den Sieg der Sowjetmacht[4]! Der endgültige Sieg des Sozialismus in der Sowjetunion, begleitet vom wachsenden Wohlstand aller Werktätigen in diesem Lande, vom Aufstieg der Kultur und des Lebensniveaus, zeigt allen Werktätigen den Weg aus der kapitalistischen Knechtschaft, den Weg zur Freiheit und zum Wohlstand. Wir Kommunisten wissen, daß es über dieses Kampfziel noch Meinungsverschiedenheiten im werktätigen Volke gibt, daß die Mehrheit noch nicht zum Kampf für dieses Ziel bereit ist. Aber das darf uns jetzt im Kampfe gegen die faschistische Reaktion nicht trennen! Wir schließen keineswegs aus, daß sich auch eine Regierung der Einheitsfront oder Volksfront als möglich und notwendig erweisen kann. Jedenfalls soll und wird das werktätige Volk Deutschlands beim Sturz der Hitlerdiktatur selbst über die Regierung entscheiden. Wir Kommunisten werden unter jeder Regierungsform für die Interessen der werktätigen Massen kämpfen. Werktätiges deutsches Volk!Wir rufen dich auf! Nimm in allen deinen Schichten Stellung zu diesem Programm gegen die Hitlerdiktatur! Verständigen wir uns im Betrieb, in der Deutschen Arbeitsfront[5], in der NS-Hago, in den Handwerkerinnungen, in den Organisationen des Reichsnährstandes, in der NS- Volkswohlfahrt, im Deutschen Schriftstellerverband, in allen übrigen Massenorganisationen über gemeinsame Kampfaktionen! Zögern wir nicht länger! Tragen wir gemeinsam die großen Losungen des antifaschistischen Kampfes durch das Land! Gegen die Kriegspolitik Hitlers, die das deutsche Volk in die Katastrophe führt! Für die Erhaltung des Friedens! Für die Wiederherstellung der demokratischen Volksfreiheiten! Für ausreichenden Lebensunterhalt und Sicherung der Existenz aller Werktätigen! Es lebe die Einheitsfront und Volksfront gegen die Hitlerdiktatur! Es lebe der Freiheitskampf des werktätigen deutschen Volkes! |
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[1]. Dieser Dokumentenband enthält ebenfalls den während der Parteikonferenz vorgelegten Entwurf des Manifests (S. 824‑828), dessen endgültige Fassung erst später ausgearbeitet und dann im Dezember veröffentlicht wurde. In den hier folgenden Fußnoten sind einige Abweichungen angezeigt.
[2]. Im Entwurf sind die entsprechenden Forderungen wie folgt formuliert (cf. Lewin u. al., S. 827):
"Für die Wiederherstellung sämtlicher demokratischer Freiheiten aller politischen Parteien, Arbeiter- und Bauernorganisationen!
Für die Reinigung der Armee und des Staatsapparates von faschistischen Volksfeinden!
Für Glaubens- und Gewissensfreiheit!
Für Gleichheit aller Staatsangehörigen, ohne Unterschied ihrer Religion und Rasse!
Für die Befreiung von Thälmann, Mierendorff, Ossietzky ! Für die Befreiung aller eingekerkerten Antifaschisten und aller wegen Verletzung der volksfeindlichen Nazigesetze in den Gefängnissen sitzenden Volksgenossen!"
[3]. Im Entwurf sind die entsprechenden Forderungen wie folgt formuliert (cf. Lewin u. al., S. 827):
"Für Teuerungsausgleich und ausreichende Löhne für die Arbeiter,
Angestellten und unteren Beamten!
Für Steuererleichterungen und Brechung der Zinsknechtschaft für den Mittelstand und die Bauern!
Für den freien Verkauf der Arbeitsprodukte der Bauern zu lohnenden Preisen!
Schluß mit der Zwangswirtschaft!
Für vollständige Wiederherstellung der Arbeitslosenversicherung, der Sozialversicherung und der Sozialrenten!
Für Rückzahlung sämtlicher an die Großagrarier und Großindustrie gewährten Subventionen!"
[4]. Im Entwurf entsprechen diesem und den beiden nächsten Absätzen folgende Formulierungen (cf. Lewin u. al., S. 827):
"Das deutsche Volk soll frei entscheiden, welche Regierung es an die Stelle der Hitlerdiktatur setzen will! Wir Kommunisten kämpfen für die Sowjetmacht, aber wir werden den Willen des Volkes respektieren, wenn es noch nicht für die Aufrichtung der Sowjetmacht ist, wenn es eine Regierung der Einheits- und Volksfront an die Stelle der Hitlerdiktatur setzen will. Wir werden dafür kämpfen, daß die Volksmassen in einer freien Wahl eine Nationalversammlung bilden, daß wirksame Maßnahmen gegen den Faschismus, gegen die Kriegstreiber ergriffen werden."
[5]. Die Deutsche Arbeitsfront (DAF) wurde am 10. Mai 1933 gegründet. Sie sollte als neue einheitliche Organisation "durch Bildung einer wirklichen Volks- und Leistungsgemeinschaft, die dem Klassenkampfgedanken abgeschworen hat" die Interessen "aller schaffenden Deutschen" wahrnehmen. Die Vertreter der Großindustrie setzten sich gegen die Perspektive ein, daß die DAF sich zu einer Institution der Vertretung der Arbeiterinteressen entwickle. Das am 19. Mai 1933 angenommene Gesetz über Treuhänder der Arbeit schuf dann zur Regelung der Arbeitsverträge und zur "Aufrechterhaltung des Arbeitsfriedens" öffentliche Verwalter, was dem Wunsch der Unternehmer entgegenkam. Letzten Endes wurde der DAF ein Tätigkeitsbereich zugewiesen, der die Betriebe ausschloß. Die DAF zählte zwar 1942 25 Millionen Mitgliedern, aber mit 44 000 hauptamtlichen und 1,3 Millionen ehrenamtlichen Mitarbeitern war sie zu einer rein bürokratisch-zentralisierten Organisation geworden.