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Ernst Thälmann

11. Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale:
Bericht: Die Lage in Deutschland und die Aufgaben der KPD

Mars/April 1931

 

 

Quelle:

Kommunistische Internationale, Heft 16 u. 17/18, 1931.

Andere Quelle:

Ernst Thälmann: Reden und Aufsätze 1930‑1933 - Band 1 - September 1930‑Februar 1932. Köln, Verlag Rote Fahne, 1975. S. 157‑204[1].

 

 

 

 

 

 

Erstellt: Januar 2013

Druckversion
KPD 1918 1945 - Inhalt

 

 

 

 

 

 

Die Entwicklung in Deutschland ist sehr kompliziert, eigenartig und mit ihren neuen Erscheinungen äußerst interessant, weil neue Fragen auftauchen, die die Komintern und die deutsche Partei zwingen, dazu konkreter Stellung zu nehmen. Im Rahmen meines Berichtes ist es ja, wie jeder verstehen wird, nicht im entferntesten möglich, selbst alle taktischen Fragen und allgemeinen Probleme, die sich aus der eigenartigen Analyse der gegenwärtigen Situation ergeben, zu behandeln. Ich beschränke mich deshalb auf solche Probleme, die auch für die Entwicklung in anderen kapitalistischen Ländern von Interesse und für die Parteien von Vorteil sind, aus denen alle Sektionen der KI und KJI etwas lernen können.

In den Mittelpunkt meines Berichtes will ich die These setzen, daß Deutschland unter den gegenwärtigen Bedingungen eines der schwächsten Kettenglieder in der Kette des imperialistischen Weltsystems darstellt. Wir können diese Behauptung aufstellen, auch wenn man in völliger Übereinstimmung mit der Analyse des Genossen Manuilski davon ausgeht, daß durch die großen Ereignisse in China, die letzten neueren Klassenkämpfe in Indien, die für die verschiedenen kapitalistischen Länder Europas von eminenter revolutionärer Bedeutung sind, die Entwicklung in diesen Ländern weiter fortgeschritten ist als in Deutschland oder in Polen. Trotzdem kann man die Behauptung aufstellen, daß Deutschland gegenwärtig eines der schwächsten Kettenglieder im Weltsystem des Kapitalismus darstellt. An Hand der heutigen Verschärfung der Klassensituation, der Umgruppierung der Klassenkräfte, der Zersetzung der bürgerlichen Parteien und der SPD und SAJ, der schnellen Entwicklung der Kommunistischen Partei und zuletzt an Hand der neuen Ereignisse in Young-Deutschland will ich das beweisen.

Diese These, die wir aufstellen, hängt nicht nur zusammen mit den objektiven Bedingungen, sondern auch der subjektive Faktor, die Kommunistische Partei und ihre Erfolge und Fortschritte im Kampfe um die Eroberung der Mehrheit des Proletariats sind bei dieser allgemeinen Betrachtung von nicht untergeordneter Bedeutung. Ich will in meinem Bericht darauf verzichten, bezüglich der Analyse der Gesamtsituation und der Darstellung der Krise ausführlicheres Material zu bringen. Einerseits ist das überflüssig, nachdem Genosse Manuilski bereits über die gegenwärtige Entwicklung in Deutschland an verschiedenen Stellen gesprochen hat; andererseits hat die deutsche Partei schon im letzten Zentralkomitee den besonderen Charakter der jetzigen Krise ausführlich behandelt. Unser Bericht wird sich deswegen vornehmlich mit den Fragen der revolutionären Praxis beschäftigen, um auf diese Art eine zweckmäßige Ergänzung zum Referat des Genossen Manuilski zu bringen. Dabei werde ich im wesentlichen behandeln:

1. Wie weit die Tendenzen der revolutionären Krise in Deutschland bereits fortgeschritten sind.

2. Wie stark an dieser Entwicklung der subjektive Faktor, d. h. die richtige Klassenlinie unserer Partei unter Führung der Komintern beteiligt war.

3. Die Bedeutung unserer Politik für die weitere Entwicklung der revolutionären Krise; und

4. welche Grundzüge unsere Politik haben muß, welche Haupterfolge vorhanden sind und welche Schwächen und Mängel andererseits liquidiert werden müssen.

Zunächst einige Bemerkungen über die Entwicklung in Deutschland.

Ich setze dabei voraus, daß den Genossen die allgemeinen ökonomischen Tatsachen in Deutschland bekannt sind, und ich will deshalb nur noch einige neue Faktoren anführen. Wir haben im Monat Februar in Deutschland ein neues Anwachsen der Haldenbestände im Bergbau zu verzeichnen. Infolgedessen finden momentan neue Massenentlassungen im Bergbau statt. Im Ruhrgebiet sind jetzt wieder über 10 000 Bergarbeiter bis Ende März gekündigt worden. In der Stahlindustrie und Eisenproduktion sind bis zur zweiten Märzhälfte ebenfalls Betriebseinschränkungen, Stillegungen und Feierschichten angekündigt. In der Landmaschinenindustrie (deren Entwicklung ja im Vergleich zu der in der UdSSR besonders wichtig ist) kann die Produktionskapazität nur noch zu 33 Prozent ausgenützt werden. Die Erwartungen, die die Bourgeoisie im Herbst und Winter auf eine Wendung der ökonomischen Lage im Frühjahr hegte, haben nur ganz geringe Aussichten, erfüllt zu werden. Das Amtliche Institut für Konjunkturforschung schätzt z. B. für dieses Jahr das auf dem Baumarkt investierte Kapital auf höchstens 5,5 Milliarden Mark gegenüber 7 Milliarden im Jahre 1930 und sogar 9 Milliarden im Jahre 1929. Besonders katastrophal ist die Lage auf dem Kapitalmarkt. Tagesgeld kostete im Januar 5,10 Prozent und in der letzten Februarwoche bereits 6,04 Prozent Zinsen gegenüber London mit 1,6 Prozent, Amsterdam mit 1,3 Prozent, Paris 1,9 Prozent und New York 1,6 Prozent. Natürlich ist für die nächsten Monate mit einer leichten saisonmäßigen Belebung in Deutschland zu rechnen. Aber selbst das Amtliche Institut für Konjunkturforschung in Deutschland gibt schon jetzt zu, daß im Jahresdurchschnitt 1931 Produktion und Umsatz geringer und die Arbeitslosigkeit größer sein werden, als der Durchschnitt im Jahre 1930, das doch schon ein Jahr der Krise war. Selbst nach bürgerlichen Berechnungen kann die Saisonbelebung den Arbeitsmarkt höchstens um zirka l Million Erwerbslose entlasten. Also auch bei dieser rein schematischen Berechnung, die von der Besonderheit der gegenwärtigen Krise als einer zyklischen Krise im Rahmen der allgemeinen Krise des kapitalistischen Weltsystems völlig absieht, werden wir diesen Sommer damit rechnen müssen, daß ca. 4 Millionen Erwerbslose in Deutschland bleiben. Bei der Vertiefung der Krise in Deutschland und bei dem Fehlen jeglicher Faktoren in der ganzen Welt dafür, daß eine wesentliche Belebung der Wirtschaft in wichtigen kapitalistischen Ländern eintritt, vielleicht mit geringfügigen Ausnahmen einzelner kleiner Länder, bedeutet diese Tatsache allein eine weitere anhaltende Senkung der Konsumkraft der Massen und damit gleichzeitig eine weitere Verengung des inneren Marktes für die deutschen Kapitalisten.

Wie stark sich die Krise bereits im Rückgang des Umsatzes auswirkt, das ergibt sich aus den amtlichen Zahlen, wonach im vierten Quartal 1930 die Umsätze in Deutschland um 6 Milliarden, d. h. um 18 Prozent unter dem Umsatz des Vorjahres lagen. Selbst das bürgerliche Konjunkturinstitut stellt dazu fest, daß auch dieser verringerte Konsum "nur unter teilweiser Inangriffnahme von Sparreserven gehalten werden konnte". Inzwischen ist die Arbeitslosigkeit um l Million gewachsen. Die Lage der Bauernschaft und des gewerblichen Mittelstandes ist bedeutend schlechter geworden. Die Löhne sind erneut gesunken. Die Kurzarbeit hat sich ungeheuer vermehrt. Es ist demnach klar, daß auch die Konsumkraft der Massen weiter gesunken ist, so daß sich auch der innere Markt immer mehr verengert.

Und wie steht es mit dem Export? Bekanntlich ist der Rückgang des deutschen Exports im Verhältnis zu den übrigen kapitalistischen Ländern relativ geringer. Wie erklärt sich diese günstigere Entwicklung für Deutschland? Da ist einmal die Erleichterung des deutschen Exports durch die sogenannten Sachlieferungen im Rahmen der Reparationszahlungen. Durch die Annahme und die Durchführung der Bedingungen des Young-Planes wird diese Exportbegünstigung im Gegensatz zum Dawes-Plan immer mehr geschmälert und es werden immer weniger Waren auf Rechnung der Reparationszahlungen in den nächsten Jahren geliefert werden.

Ein zweiter Punkt ist, daß der deutsche Export zu einem großen Teil nach Frankreich und den französischen Kolonien ging, und daß Frankreich bis jetzt von allen kapitalistischen Ländern am längsten von der Krise bis vor kurzer Zeit verschont blieb.

Der dritte Punkt ist die Frage der kapitalistischen Rationalisierung. Abgesehen von den Vereinigten Staaten Amerikas hat der deutsche Kapitalismus die größten Fortschritte auf dem Gebiete der Rationalisierung gemacht. Er hat hier einen gewissen Vorsprung vor allen kapitalistischen Ländern.

Und schließlich ist die besondere Verelendung der deutschen Arbeiterklasse, die starke Herabdrückung des Lebensniveaus des deutschen Proletariats gewissermaßen ein weiterer Vorzug des deutschen Kapitalismus, der dadurch in der Lage war, billigere Produkte auf dem Weltmärkte liefern und seine Exportmöglichkeiten steigern zu können.

Wie steht es nun mit allen diesen Faktoren in der Zukunft? Alle diese Gründe fallen in steigendem Maße fort. Frankreich wird heute von der ökonomischen Krise ergriffen.

In Frankreich sehen wir bereits die ersten Tatsachen der Verschärfung der Wirtschaftskrise. Es ist ganz verständlich, daß durch diese Lage auch der deutsche Export nach Frankreich eingeschränkt wird.

Zweitens: Die deutschen Erfahrungen der kapitalistischen Rationalisierung werden von den übrigen kapitalistischen Ländern übernommen, wobei derjenige, der zuletzt rationalisiert, am besten rationalisiert, so daß selbst die Fortschritte der kapitalistischen Rationalisierung, die in den letzten Jahren in Deutschland gemacht wurden, durch die erhöhte Technik und verbesserte Rationalisierungsmethoden in den anderen kapitalistischen Ländern in den nächsten Jahren schon wieder überholt sein werden.

Die zur Senkung der Gestehungskosten vorgenommene Lohnabbau-Offensive der deutschen Bourgeoisie war ein Signal für den verstärkten internationalen Raubzug und eine neue Offensive des Kapitalismus gegen die Löhne des gesamten Proletariats, so daß selbst die Vorteile, die der deutsche Kapitalismus vorübergehend auf diesem Gebiete hatte, durch die überall einsetzende Kapitaloffensive in den anderen Ländern beseitigt worden. Es besteht also gar keinen Grund zur Annahme, daß die Lage in bezug auf den deutschen Export sich nicht verschlechtern wird. Man kann im Gegenteil sagen, daß eine solche Verschlechterung unvermeidlich in den nächsten Monaten eintreten wird. Das bedeutet naturgemäß eine weitere Vertiefung der industriellen Krise mit allen ihren verheerenden sozialen Auswirkungen auf Millionen von Werktätigen. Die Bourgeoisie stellt ja auch bereits mit vollem Zynismus die Aufgabe, den Lebensstandard der Industriearbeiter in Deutschland auf den der Landarbeiter in den Agrarländern, also der Landarbeiter auf dem Balkan, in den Kolonien und Halbkolonien, herabzudrücken. Z. B. sprach Duisburg auf einer industriellen Tagung davon, daß die Löhne der deutschen Arbeiter auf das Niveau der Löhne der chinesischen Kulis gesenkt werden müßten. Die ”Kölnische Zeitung” vom 1. März ds. Js. bringt einen ähnlichen Artikel. Diese Tatsachen beleuchten und kennzeichnen die neue verschärfte Offensive der deutschen Bourgeoisie.

Wie steht es nun in Deutschland mit der Agrarkrise? Ich will nur eine Ziffer anführen, die außerordentlich charakteristisch ist. Der Landwirtschaftsminister der Brüning-Regierung und großagrarische Führer Schiele erklärte vor einem Monat im deutschen Reichstag, daß der Verbrauch an Kunstdünger im Jahre 1930/31 gegenüber 1929/30 um 11‑35 Prozent bei den verschiedenen Sorten zurückgegangen ist. Das ist ebenso kennzeichnend, wie die andere Tatsache, daß der Absatz an Landmaschinen im Jahre 1930 gegenüber 1927/1928 um 45 Prozent zurückgegangen ist. Heute haben wir in der Landwirtschaft einen solchen Zustand zu verzeichnen, daß die Zinsbelastung dauernd steigt, daß überall Pfändungen und Zwangsversteigerungen an der Tagesordnung sind. Es gibt in Deutschland bekanntlich Millionen von Zwergbauern, die bisher neben ihrem landwirtschaftlichen Zwergbetrieb in der Fabrik arbeiten. Sie werden ebenfalls von der Erwerbslosigkeit erfaßt, verlieren den entscheidenden Teil ihres Einkommens und können andererseits heute von ihrem Zwergbetrieb nicht mehr leben. Damit steigt der Landhunger und die Schwierigkeit, die erhöhten Pachtzinsen zu bezahlen, was wiederum die Lage dieser Millionen verschlechtert. Als durchschnittlicher Stundenlohn des Klein- und Mittelbauern, wenn man sein Einkommen in dieser Form umrechnet, ergibt sich nach bürgerlicher Schätzung 16‑60 Pfennig je nach der Bodenbeschaffenheit und den Betriebsverhältnissen.

Naturgemäß ist die Agrarkrise aufs engste mit der Industriekrise verknüpft, vertieft sie und wird andererseits von ihr gesteigert. Mit der weiteren Einschränkung des Inlandmarktes steigen ebenfalls die Absatzschwierigkeiten für die Landwirtschaft.

Die besondere Rückständigkeit der deutschen Landwirtschaft ist auch ein krisenverschärfender Faktor. Die Preispolitik der deutschen Industrie auf dem Inlandsmarkt, das künstliche Hochhalten der Preise, verhindert, daß sich die Schere zwischen Agrar- und Industriepreisen schließt, und verteuert und erschwert so den landwirtschaftlichen Betrieb. Die Not und das Elend der Zwerg- und Mittelbauern in der Landwirtschaft werden somit weiterhin anwachsen. Deswegen haben wir auch solche Tatsachen, daß wir weit größere Möglichkeiten besitzen, in letzter Zeit in diese Teile der Bauernschaft mehr und mehr einzudringen. Und es ist bekannt, daß selbst der Kapitalismus sich bemüht, die Methode der Kollektivierung, die hier im Lande des Sozialismus angewandt und durchgeführt wird, im kapitalistischen Sinne zu übernehmen. Wir haben ein Beispiel in Bayern, in Ulm, wo ein Doktor versucht hat, in einer Dorfgemeinde die ganzen Bauern davon zu überzeugen, eine Genossenschaft, eine, natürlich kapitalistische Kollektive zu gründen, um dadurch eine gemeinsame Erzeugung der landwirtschaftlichen Produkte einzuleiten. Das sind verzweifelte Versuche der Bourgeoisie, zu der sie durch die Agrarkrise gepeitscht wird. Die Bauern aber glauben einen Ausweg zu finden, ohne daß es auch im entferntesten eine Hilfe und Rettung vor dem Untergang der kleinen Bauern bedeutet.

In unseren Versammlungen erscheinen manchmal, ohne daß wir als Partei irgend etwas dazu getan haben, Bauerndelegationen, die ihre große Sympathie zur Kommunistischen Partei und zu ihrem Programm der sozialen und nationalen Befreiung ausgesprochen haben. Dies war in letzter Zeit mehrfach der Fall. Genossen, viele Schichten des werktätigen Mittelstandes und der armen Bauernschaft, die heute von der Krise schärfer erfaßt werden, haben kein Vertrauen mehr zu ihren bürgerlichen Parteien und zum kapitalistischen System selbst.

Ich komme nun zu den wichtigsten Problemen, zu den Problemen der Krise im politischen Überbau und dem beschleunigten Heranreifen der revolutionären Krise in Deutschland. Seit dem vergangenen Sommer haben wir in Deutschland eine Reihe von Erscheinungen beobachtet, auf Grund deren wir mit Recht von einem beginnenden Umschlagen der ökonomischen Krise in die revolutionäre Krise sprechen können. Das letzte Zentralkomitee sprach richtig von neuen Elementen einer revolutionären Krise, was auch in der Analyse des Genossen Manuilskis besonders unterstrichen wurde. Eine Frage, die in der politischen Kommission besonders behandelt werden wird, ist der Begriff der "revolutionär-politischen" Krise, wie es an einigen Stellen in der vorliegenden Resolution heißt. Aber das ist keine Frage, von der man sagen könnte, sie sei eine Streitfrage. Unsere Terminologie, die Bezeichnungen der verschiedenen Entwicklungsformen der ökonomischen, der politischen, der revolutionären Krise und der revolutionären Situation müssen viel ernster und präziser in jeder Situation in den einzelnen Ländern auf das Genaueste analysiert und theoretisch vereinfacht werden. Die Kennzeichnung für politische Krise durch den Ausdruck revolutionär-politische Krise zu ersetzen, darüber werden wir ja noch Möglichkeiten genug haben, hier auf dem Plenum ausführlicher zu sprechen. Wir glauben, daß es an Stelle der Kennzeichnung revolutionär-politische Krise besser ist, von der revolutionären Krise zu sprechen.

Es ist die Frage zu erwägen, ob der dynamische Prozeß der jeweiligen Entwicklung dadurch genügend gekennzeichnet wird. Früher sagten wir g manchmal: Revolutionäre Krise und revolutionäre Situation. Die wichtigste Frage, die bei Betrachtung der revolutionär-politischen Krise steht, ist die Frage des bewaffneten Aufstandes. Natürlich kann man die Frage des bewaffneten Aufstandes nicht terminmäßig stellen, wie es z. B. Trotzki seinerzeit tat. In einer revolutionären Situation steht die Frage des bewaffneten Aufstandes in den meisten Fällen schärfer als in einer Situation der revolutionären Krise, wo die Frage des bewaffneten Aufstandes nicht unter allen Umständen steht. Ich glaube, daß wir in der politischen Kommission über diese Frage der Zweckmäßigkeit der Bezeichnung der ganzen dynamischen Entwicklung der Klassenkräfte in Verbindung mit der konkreten Analyse der Gesamtsituation kameradschaftlich diskutieren können.

Worin äußert sich nun dieses Übergreifen der Krise von der Erschütterung der kapitalistischen Wirtschaft in eine Krise des politischen Überbaus? Das Entscheidende bei der Darstellung dieser politischen Erscheinungen und das historisch Bleibende an den verschiedenen Kräften und Gegenkräften der geschichtlichen Entwicklung ist: der revolutionäre Aufschwung. Demgegenüber ist die faschistische Entwicklung der deutschen Bourgeoisie und ihrer Hilfskräfte gewissermaßen erst die zweite Tatsache, die sich bei der Betrachtung ergibt. Wir erblicken in der faschistischen Entwicklung der deutschen Bourgeoisie vor allem eben die geschichtliche Antithese des revolutionären Aufschwunges der proletarischen Bewegung. Das ist für uns auf dem Plenum sowie für die deutsche Partei von großer Bedeutung für die Einschätzung des Faschismus in Deutschland. Er ist kein Produkt einer besonderen Stärke der Bourgeoisie, er ist auch nicht das Produkt einer Niederlage des Proletariats. Im Weltmaßstabe hatten wir allerdings Fälle, in denen es anders war. Es ist bei uns eine völlig andere Lage, als die in Italien, wo Mussolini im Anschluß an eine Niederlage des Proletariats seinen Marsch nach Rom unternahm. Auch bezüglich einiger Vorgänge in Österreich (wenn man dort auch nicht ganz so scharf die Frage einer Niederlage stellen kann) kann man sagen, daß unsere Partei und damit das Proletariat gewisse Situationen versäumt hat und nicht genügend aktiv und offensiv aufgetreten ist. Wenn wir in Deutschland eine völlig andere und neue Lage haben, als es z. B. in Italien, in Österreich und in Finnland der Fall war, so wird doch die komplizierte Entwicklung in Deutschland uns solche neuen Tatsachen zeigen, daß selbst unsere Problemstellung der Entwicklung des Faschismus, wie wir sie bis jetzt kennen, als nicht genügend und noch nicht vollendet bezeichnet werden muß. Wenn wir in Deutschland im Laufe des letzten Jahres eine große Offensive des Faschismus hatten, wenn wir den Übergang der deutschen Bourgeoisie zu neuen, faschistischen Herrschaftsformen, die Durchführung der faschistischen Diktatur durch die Brüning-Regierung zu verzeichnen haben, wenn wir in Deutschland von einer ausreifenden, wenn auch nicht ausgereiften faschistischen Diktatur sprechen, so drückt sich darin jener geschichtliche Vorgang aus, daß eine höhere Entwicklung der proletarischen Revolution zugleich eine höhere Stufe der Entwicklung der Konterrevolution produziert. Erst wenn sie diese überwindet, kann die Revolution zur höchsten Kraftentfaltung heranreifen. Ich möchte in diesem Zusammenhang an eine ähnliche Schilderung von Karl Marx in seiner Betrachtung der "Klassenkämpfe in Frankreich" erinnern. Dort führt er aus, daß sich der revolutionäre Fortschritt

in der Erzeugung eines Gegners Bahn gebrochen habe, durch dessen Bekämpfung erst die Umsturzpartei zu einer wirklich revolutionären Partei heranreift.

Dieser dialektische Prozeß und dieses Verhältnis zwischen dem revolutionären Aufschwung und der Faschisierung ist die Ursache, weshalb wir es für nötig halten, in erster Linie den revolutionären Aufschwung und seine Erscheinungsformen zu betrachten. Die einzelnen Tatsachen des revolutionären Aufschwungs in Deutschland sind u. a. folgende: Zuerst unser Wahlsieg vom 14. September[2]. Was drückte sich darin aus? Die Umgruppierung der Klassenkräfte, der rapide Zerfall der alten bürgerlichen Parteien, der Niedergang der Sozialdemokratie, von dem man schon sagen kann, daß er historisch weiter verläuft; die Krise in der sozialdemokratischen Arbeiterjugend, der neue Vormarsch der Kommunistischen Partei gerade in den entscheidenden Schichten des deutschen Proletariats; die Rolle der Nationalsozialisten als des letzten Schutzwalls, der die davonlaufenden bürgerlichen Anhänger von dem Abmarsch ins Lager der proletarischen Revolution zurückhalten soll. Das waren die wichtigsten Tatsachen, die sich am 14. September bei den Reichstagswahlen bereits ergaben. Inzwischen ist die Entwicklung wesentlich weiter fortgeschritten.

Der Berliner Metallarbeiterstreik folgte, der bereits einen großen Erfolg für den revolutionären Klassenkampf bedeutete. Der Ruhrkampf[3] und der damit in Verbindung stehende oberschlesische Sympathiestreik der Bergarbeiter[4], der eine weitaus höhere Form des Kampfes darstellte, und den wir ohne jedes Zögern und in völliger Unzweideutigkeit als einen klaren Erfolg der revolutionären Bewegung bezeichnen müssen. Im Ruhrkampf die Frage so stellen, daß es der Bourgeoisie doch gelang, den Lohn um 6 Prozent abzubauen und dabei unseren Angriff nicht genügend einschätzen, wäre absolut falsch. Dann hätten wir ja in der ganzen Welt keinen revolutionären Aufschwung, weil es dem Kapitalismus leider fast überall gelingt, den Lohn abzubauen. Diese isolierte Fragestellung in diesem Kampfe wäre eine deprimierende und defätistische und keine leninistische Beurteilung dieses kühnen Kampfes. Gerade durch den verschärften Lohnabbau und die Generaloffensive der Bourgeoisie bilden sich die späteren Formen der höheren Reife der revolutionären Kräfte im Kampfe gegen die Bourgeoisie, entwickeln sie sich auf einer höheren Stufe.

Wir sehen weiter die neue Welle des antifaschistischen Massenkampfes, die es uns in letzter Zeit in Deutschland zu entfesseln gelang. Wir haben z. B. einen solchen Erfolg, daß wir 4 Tage nach den Reichstagswahlen den Kampfbund gegen Faschismus gründeten, der in dieser kurzen Zeit schon annähernd 100 000 Mitglieder in seinen Reihen zählt. In Verbindung mit diesem antifaschistischen Massenkampfe organisierten wir überall Kampfkongresse gegen den Faschismus. Sie sind ebenfalls ein Beispiel der neuen steigenden antifaschistischen Kampfwelle im Proletariat.

Wir haben weiter die Tatsache der stärksten Radikalisierung der proletarischen Anhänger der Sozialdemokratie und in noch viel stärkerem Maße die immer größere Zersetzung in der sozialdemokratischen Jugendorganisation. Und zuletzt die Risse in der faschistischen Front, die dort zutage tretende Rebellion und Zersetzung, besonders in den militärischen Teilen der Nationalsozialisten, in den SA-Abteilungen, in den letzten Wochen.

Auf der anderen Seite das außerordentliche organisatorische Wachstum der kommunistischen Bewegung, der KPD sowie auch des Kommunistischen Jugendverbandes besonders in der letzten Zeit. Das sind weitere wichtige Faktoren des revolutionären Aufschwunges in Deutschland.

Als Gegenwirkung dieses revolutionären Aufschwunges vollzieht sich die Krise und die Faschisierung der bürgerlichen Parteien einschließlich der Sozialdemokratie. Dieser geschichtliche Prozeß in Deutschland kann durch viele Beispiele beleuchtet werden. Ich will nur ein Ereignis, das für die ganze weitere Entwicklung der Politik der deutschen Bourgeoisie von prinzipieller Bedeutung war, dem Plenum in Erinnerung bringen: Der Fußtritt für die Hermann-Müller-Regierung im März vorigen Jahres, das Ende der Koalitionsära mit der Sozialdemokratie im Reichsmaßstabe.

Die damalige Feststellung der deutschen Partei stieß bekanntlich bei einzelnen Genossen, so bei dem Genossen Merker, auf heftigen Widerspruch. Diese Genossen verständen damals nicht, daß es sich bei dem Hinauswurf der Sozialdemokratie aus der Reichsregierung um einen wichtigen Vorgang von großer politischer Tragweite handelte. Hierin drückte sich aber schon damals eine Reihe von Tatsachen aus:

Einmal der Niedergang der Sozialdemokratie, deren Massenbasis durch den Vormarsch der Kommunistischen Partei allmählich untergraben wird, so daß die Bourgeoisie durch die Koalition mit der Sozialdemokratie nicht mehr wie früher reibungslos ihre Politik durchsetzen kann. Die Schwächung der Sozialdemokratischen Partei durch die Kommunisten bedeutet zugleich, daß sie als Koalitionspartnerin für die Bourgeoisie allmählich an Wert verliert.

Eine zweite Tatsache ist, daß sich darin der Wille der Bourgeoisie stärker ausdrückte, auf Grund der Zuspitzung der Klassensituation zur unmittelbaren Diktatur überzugehen. Man kann auch sagen, die Ausübung der Macht wird von der herrschenden Klasse nicht mehr den sozialfaschistischen Lakaien übertragen, sondern unmittelbar in die eigene Hand genommen.

Und die dritte Frage: Indem die Bourgeoisie der Sozialdemokratie diesen Fußtritt versetzte, schuf sie schon die Voraussetzungen dafür, sich wechselseitig sowohl der Sozialdemokratie wie der faschistischen Massenpartei, der Nationalsozialisten, zu bedienen.

Die richtige Analyse jener Ereignisse durch die Partei im Gegensatz zu den sozialdemokratischen Albernheiten und dem Geschwätz, wonach es sich um ein angebliches parlamentarisches Mißverständnis und nichts mehr handelte, war von größter Bedeutung für eine richtige Einstellung unserer weiteren Politik. Hätten wir damals vor den schwankenden Genossen, wie Merker und seinen Freunden, in dieser Frage kapituliert und unseren Standpunkt aufgegeben, wäre es uns nicht möglich gewesen, rechtzeitig in unserer gesamten Politik die Wendung zum Kampf gegen den Faschismus zu vollziehen, und wir hätten vielleicht im Anfang dieser Entwicklung ähnliche Fehler begangen wie die Partei in Finnland. Ich möchte bei dieser Gelegenheit die dringende Warnung aussprechen, daß die Komintern die schwachen und auch die mit Erfahrungen nicht genügend ausgerüsteten Parteien beobachten und ihnen helfen muß, weil in ähnlichen Situationen wie der damaligen, solche Fehler, wenn sie übersehen werden, leicht zu einer Kette von Fehlern ausarten können. Zumal beispielsweise bei Mitgliedern unserer Partei rein psychologisch Stimmungen vorhanden waren, auf Grund deren sie die politische Entscheidung unserer Partei gegen Merker damals im Anfang nicht verstanden.

Die an Stelle der Hermann-Müller-Regierung vom Finanzkapital eingesetzte Brüning-Regierung ist in Deutschland nunmehr seit einem Jahr am Ruder. Wir haben in dieser Zeit mehrfach bestimmte Wendungen in ihren politischen Methoden zu verzeichnen gehabt.

Die politische Rolle der Brüning-Regierung wurde durch die Verschärfung der gesamten Klassensituation und der politischen Tendenzen, die sich daraus ergaben, bestimmt. Im einzelnen kann man bezüglich der Brüning-Regierung drei verschiedene Etappen feststellen: Die erste vom März bis zum 14. September, bis zu den Reichstagswahlen. Hier ging die Brüning-Regierung allmählich zu dem System der offeneren Diktatur über; brachte ihre verschiedenen Notverordnungen heraus, während sich die Sozialdemokratie in einer gewissen Scheinopposition befand und ”linke” Manöver machte, um dadurch ihr ramponiertes Ansehen bei den Massen etwas wiederherzustellen.

Nach den Reichstagswahlen, ungefähr bis zum Januar dieses Jahres, gab es dann einige Monate, in denen die Bourgeoisie ziemlich heftig den Kurs auf die offene Einbeziehung der Nationalsozialisten in die Reichsregierung nahm. Das bedeutete gleichzeitig eine Bedrohung aller Positionen der Sozialdemokratie im Staatsapparat. Es hätte vor allem auch das Ende der preußischen Koalitionsregierung für die Sozialdemokratie bedeutet. Gegenwärtig haben wir die dritte Etappe dieser Brüning-Ära in Deutschland. Sie ist dadurch gekennzeichnet, daß die Nationalsozialisten nicht an die Regierungsspitze herangelassen werden, daß ein großer Teil der deutschen Kapitalisten, die sich bisher auf die Nationalsozialisten orientiert hatten, nunmehr stärker ihr Interesse und ihre Geldzuwendungen dem Stahlhelm zuschieben, als einer vom kapitalistischen Standpunkt aus solideren und ihrer sozialen Zusammensetzung nach zuverlässigeren faschistischen Wehrorganisation. Auf der anderen Seite duldet die Bourgeoisie die Sozialdemokratie bis auf weiteres noch in der Preußenregierung und zieht sie innerhalb und außerhalb des Parlaments in stärkerem Maße als Stütze ihrer eigenen Diktatur heran, ohne ihr jedoch etwa Konzessionen hinsichtlich einer Koalitionspolitik im Reichsmaßstabe auch nur im entferntesten zu machen. Heute haben wir in Deutschland den Zustand, daß bei der Durchführung der faschistischen Diktatur die sozialdemokratischen Führer die größte Aktivität entfalten. Auf allen Gebieten stellen sie die aktivsten Helfershelfer des Faschismus. Sie sind sozusagen zum Sturmbock der Faschisierung Deutschlands geworden. Wenn man die Frage aufwirft, wieso es den Nationalsozialisten nicht gelungen ist, ihren Wünschen entsprechend in die Regierung zu gelangen, obwohl doch nach dem 14. September die größten Aussichten dafür bestanden, so ist es klar, daß nicht etwa, wie es die Sozialdemokratie hinstellt, ihre sozialfaschistische Politik als das sogenannte ”kleinere Übel” es verhindert hat, daß Hitler und Goebbels Minister in der Reichsregierung werden, sondern das Gegenteil ist der Fall. Die hemmungslosen Liebesdienste der Sozialdemokratie für Brüning, besonders durch die Preußenregierung, haben gerade bewirkt, daß die Nationalsozialisten für ihre demagogische Agitation einen gewissen Spielraum gewannen, eine gewisse Unabhängigkeit, auf Grund deren sie es leichter hatten, ihre Anhängermassen weiter zu betrügen, bei der Stange zu halten oder sogar an einigen Stellen neue Anhänger zu gewinnen. Je stärker aber die Massenbasis der Nationalsozialisten nach dem 14. September noch anwuchs, was einige Wahlen im Reiche bestätigten, desto größer wurde der Anreiz für die Bourgeoisie, die Nationalsozialisten innerhalb der Regierung für ihre Zwecke auszunutzen. Die Antwort auf die Frage, warum das nicht geschehen ist, warum die Nationalsozialisten sozusagen den günstigen Zeitpunkt verpaßt haben und heute kaum Aussicht haben, in absehbarer Zeit vom Standpunkt der Bourgeoisie ”regierungsfähig” zu werden, ist neben anderen Gründen außenpolitischer Natur vor allem darin zu suchen, daß es den Nationalsozialisten nicht gelungen ist, in dem Maße in die Arbeiterklasse einzudringen, wie das die Kapitalisten in Deutschland und die Führer der Hitler-Partei selber ursprünglich nach dem sensationellen Erfolg der Nationalsozialisten am 14. September erwartet hatten. Daß diese Aufgabe der Nationalsozialistischen Partei, in die Arbeiterklasse einzudringen, von ihr nicht erfüllt wurde, das aber ist das Verdienst der Kommunistischen Partei. Es ist der wichtigste Erfolg unseres antifaschistischen Massenkampfes. Wir können heute feststellen, daß es uns trotz verschiedener Schwächen und Lücken gelungen ist, den Einbruch der Nationalsozialisten in die Front des deutschen Proletariats im wesentlichen zurückzuschlagen, den Vormarsch des Faschismus zum Stehen zu bringen und eine gewisse Stagnation, ja sogar die ersten ernsten Ansätze zu einem Rückgang der nationalsozialistischen Bewegung zustande zu bringen. Dieser Erfolg der KPD ist die entscheidende Ursache dafür, daß die Nationalsozialisten in Deutschland nicht ans Ruder gekommen sind. Sie haben trotz ihres Vormarsches, trotzdem sie ohne Zweifel eine ziemlich breite Bewegung darstellten, an der wir als Kommunistische Partei auch heute nicht eine Minute lang vorübergehen dürfen, doch nicht eine derartige Massenbasis, vor allem in der Arbeiterklasse, erzielen können, daß es für die Bourgeoisie möglich gewesen wäre, sich definitiv gegen die SPD und für die Nationalsozialisten als Hauptstütze der faschistischen Politik zu entscheiden. Hier drücken sich die großen Schwierigkeiten vom Standpunkt des Kapitalismus aus, die im industriellen Deutschland mit seinem gewaltigen Proletariat und seiner starken Kommunistischen Partei bei der Durchführung der faschistischen Diktatur vorhanden sind. Hier drückt sich bereits die Tatsache aus, in welchem Grade es von unserer Politik, von unserer Kraftentfaltung abhängt, wieweit der Klassenfeind, wieweit die Bourgeoisie bei der Ausschöpfung ihrer Möglichkeiten der faschistischen Entwicklung zu gehen vermag. Wir haben bekanntlich im vergangenen Dezember mit großer Schärfe das rapide Wachsen der faschistischen Gefahr in Deutschland den Massen signalisiert. Die Partei hat die gewisse Wendung in der Politik der Bourgeoisie zum Faschismus, die entscheidenden Schritte, die die Bourgeoisie in dieser Richtung tat, ins Bewußtsein der Massen eingehämmert. Schon damals und noch stärker auf unserem Januar-Plenum des ZK haben wir ausgesprochen, daß es Selbstmord wäre, wenn das deutsche Proletariat der Bourgeoisie gestatten würde, alle Möglichkeiten zur Erhaltung des kapitalistischen Systems durch die volle Entfaltung der faschistischen Diktatur auszuschöpfen. Schon damals stellten wir die Aufgabe des Massenkampfes gegen die Durchführung der faschistischen Diktatur, um sie in jeder einzelnen Maßnahme zu hindern, zu hemmen und durch die Organisierung der Volksrevolution die kapitalistische Klassenherrschaft und damit den Faschismus überhaupt zu beseitigen. Heute können wir bereits feststellen, daß diese Politik der Kommunistischen Partei gewisse Erfolge gab, was uns aber keineswegs dazu verleiten darf, etwa die Größe der faschistischen Bedrohung des deutschen Proletariats zu unterschätzen. Für Deutschland bleibt im gegenwärtigen Moment nach wie vor im Rahmen unseres Massenkampfes gegen den Kapitalismus als den Hauptfeind der Faschismus ein entscheidender Feind der Arbeiterklasse im Klassenkampf, so wie die Sozialdemokratie das Haupthemmnis für den Klassenkampf gegen den Kapitalismus und damit der Hauptfeind im Lager der Arbeiterklasse bleibt. Dabei müssen wir die wechselseitige Heranziehung und Ausnützung dieser beiden Kräfte, sowohl des Sozialfaschismus als auch des Faschismus durch die Bourgeoisie in jeder Situation ins Auge fassen. Heute die Behauptung allgemein aufzustellen, die Nationalsozialisten seien überhaupt nicht regierungsfähig, das kann man nicht. Morgen die Behauptung aufzustellen - obwohl das viel wahrscheinlicher ist -, daß die Sozialdemokratie nach den Preußenwahlen in die kommende Preußenregierung nicht wieder hineinkommt, das ist auch nicht mit hundertprozentiger Sicherheit möglich. Bei der Untersuchung einiger taktischer Probleme werde ich später unsere Frontstellung zu den einzelnen Kräften im Lager des Klassenfeindes noch präzisieren.

Was ist das Besondere an der heutigen Lage in Deutschland? Genossen, ich glaube, das, was neuartig und über die bisherigen Erfahrungen in anderen Ländern hinausgeht an der Entwicklung in Deutschland, müssen wir folgendermaßen formulieren:

Wir erleben in Deutschland die Durchführung des faschistischen Regimes seitens des Finanzkapitals, während gleichzeitig die faschistische Massenpartei formell von der Ausübung der Macht ausgeschaltet ist, ja, man kann sogar sagen, direkt in eine Scheinopposition hineingedrängt ist. Die Bourgeoisie versucht, mit der Sozialdemokratie als der momentan wichtigsten Stütze der Diktatur des Finanzkapitals ihre reaktionären Pläne durchzuführen. Das ist das Besondere und das Neue. Selbst auf dem VI. Weltkongreß im Programm konnten über diese Entwicklung des Faschismus noch nicht endgültige Formulierungen gebracht werden, z. B., daß wir in Deutschland die Durchführung der faschistischen Diktatur signalisieren und daß außerhalb der Regierung eine faschistische Massenpartei steht, die in der Reichsregierung nicht offiziell ihre Männer hat.

Genossen, gerade dadurch hat die faschistische Entwicklung in Deutschland, sowohl für die deutsche Partei wie für die Komintern, überhaupt den Anlaß gegeben, das Problem des Faschismus auch theoretisch schärfer zu fassen und gründlicher zu studieren, als das bisher der Fall gewesen ist.

Genosse Manuilski hat bereits mit aller Schärfe darauf hingewiesen, daß der Übergang von der bürgerlichen Demokratie zur faschistischen Diktatur einmal ein organischer Prozeß ist, und zum anderen keineswegs irgendeine Änderung des Klasseninhalts der bürgerlichen Klassenherrschaft darstellt. Demokratie und Faschismus, das sind beides Formen der Diktatur des Finanzkapitals. Nehmen wir z. B. die Tatsachen, wie sie in Europa vor uns stehen. Wir glauben, in England und Frankreich ‑ weil man dort noch heute eine solche Lage von Ländern der sogenannten bürgerlichen Demokratie hat ‑ kann man noch nicht von der Herrschaft des Faschismus sprechen, trotzdem dort eine Entwicklung in der Richtung zur Faschisierung schon zu verzeichnen ist. Wir sprechen dort noch von der bürgerlichen Demokratie. In anderen Ländern, wie z. B. Spanien, sehen wir den Sturz der faschistischen Diktatur durch die Volksbewegung der Massen. Der Klasseninhalt der Diktatur des Finanzkapitals ändert sich nicht, nur die Methoden, die Herrschaftsformen verschärfen sich in der Entwicklung zunächst noch unter dem Deckmantel der bürgerlichen Demokratie.

Mit der Entwicklung des Monopolkapitals einerseits, mit der Zuspitzung der Krise des kapitalistischen Systems und dem revolutionären Aufschwung andererseits, muß die Bourgeoisie vielfach in ihren Herrschaftsformen, in ihren Regierungsmethoden, ebenso eine Verschärfung auf innerpolitischem Gebiet durchführen, wie das in der Außenpolitik durch die wachsende imperialistische Aggressivität zum Ausdruck kommt. Dieser Wechsel der Herrschaftsmethoden ist eben der Übergang zum Faschismus, zur offenen Diktatur an Stelle der Diktatur mit der demokratisch-parlamentarischen Fassade. Genosse Manuilski sagte bereits, daß die Veränderungen in der Staatsform, wie der Abbau des Parlaments und ähnliches, nicht von entscheidender Bedeutung sind, sondern daß wir viel stärker die Methoden der politischen Reaktion gegenüber der Arbeiterklasse und den Werktätigen, den Raub der politischen Rechte für das Proletariat, die terroristischen Unterdrückungsmethoden und andere Formen ins Auge fassen müssen. Man kann noch weiter gehen und hinzufügen: auch der Bankrott des Parlamentarismus, der Abbau des Parlamentarismus durch die Bourgeoisie in Deutschland, die immer mehr fortschreitende Beseitigung der sogenannten kommunalen Demokratie, sind ein Teil dieser politischen Entrechtung und verschärften Knebelung der Arbeiterklasse. Wenn z. B. in Deutschland in nahezu allen wichtigen Industriestädten die Kommunalparlamente auch äußerlich ihrer bisherigen Funktionen beraubt wurden, wenn von oben eingesetzte Staatskommissare diktatorisch ohne Rücksicht auf die Beschlüsse der Kommunalparlamente die städtischen Finanzen, die Steuern und Ausgaben auf allen Gebieten, der Sozialpolitik verordnen, so ist das eben ein Teil der Offensive gegen die Arbeiterschaft und gegen alle unterdrückten Werktätigen.

Natürlich haben, auch früher, als die Kommunalparlamente noch arbeiteten, die Arbeiter nicht etwa ihre Interessen parlamentarisch verteidigen können. Aber da die anderen Parteien in den Kommunalparlamenten bis zu einem gewissen Grade auf die Stimmung ihrer werktätigen Anhänger Rücksicht nehmen mußten, vollzog sich die Ausplünderung der werktätigen Massen nicht so schrankenlos, wie das bei den jetzigen diktatorischen Methoden in Deutschland der Fall ist. Hier wirkt sich der eine Wesenszug des Faschismus aus, von dem das Programm der Komintern u. a. sagt, daß die faschistische Herrschaft "unabhängig von den Beziehungen zwischen Parteien" ist. Nehmen wir einige Beispiele der Entwicklung auf der Linie zur Durchführung der faschistischen Diktatur. Der faschistische Überbau der bürgerlichen Staatsgewalt tritt immer mehr in Erscheinung. Welche neuen faschistischen Formen zeigen sich auf den verschiedenen Gebieten? Die Frage der Reichs- und Verwaltungsreform, die in den kommenden Monaten in Deutschland durchgeführt werden soll, bedeutet neue reaktionäre Konzentration der Staatsgewalt, wobei die Ausschaltung Preußens als besonderer Länderstaat und als besonderes Parlament erwogen werden soll. Daß die Regierung einen solchen Entwurf plant, zeigt, daß bei der Bourgeoisie stärkere Tendenzen vorhanden sind, Preußen als besonderen Länderstaat auszuschalten. Von Interesse ist, daß Länder, wie z. B. das reaktionäre Bayern, keineswegs bei dieser Vereinheitlichung in der Reichsreform genannt werden. Die Maßnahmen zur wesentlichen Verschlechterung des Wahlrechtes liegen in derselben Linie der steigenden Faschisierung.

Viel entscheidender noch zur Kennzeichnung der faschistischen Entwicklung sind natürlich die unmittelbaren Unterdrückungs- und Raubmaßnahmen gegenüber dem Proletariat und. den Werktätigen. Was haben wir in der letzten Zeit auf diesem Gebiet für neue Tatsachen zu verzeichnen?

Wir haben im Reichstag den generellen Raub der Immunität der kommunistischen Abgeordneten. Mit einer einzigen Abstimmung im Reichstag wurde unter Zustimmung der Sozialdemokratie die Immunität der kommunistischen Abgeordneten für viele Hunderte von Prozessen mit einem Schlage aufgehoben. Wir haben Demonstrationsverbote gegen die Arbeiterschaft in fast ganz Deutschland. Wir haben eine systematische Welle von Zeitungsverboten gegen die kommunistische Presse. Wir haben ein neues Anwachsen der Justizverfolgungen, wobei es so brutale Urteile gibt, daß man von faschistischer Justiz sprechen muß. Die jüngeren Richter und die Staatsanwälte, die von den Universitäten nach der Revolution die verschiedenen Ämter besetzten, nutzen die Strafbestimmungen, die an sich schon reaktionär sind, viel schärfer aus; die Urteile, die sie heute fällen, kennzeichnen weiter die Verschärfung der gesamten Situation zum Faschismus. Der sozialfaschistische Polizeiminister von Preußen, Severing, gibt einen Erlaß heraus, wonach in Zukunft auch geschlossene Saalversammlungen schon vorher verboten werden sollen, wenn die Polizei glaubt, daß sie einen "unfriedlichen Charakter" haben werden.

Am stärksten aber drückt sich diese Politik der Durchführung der faschistischen Diktatur durch die Brüning-Regierung in den Ereignissen aus, die sich in Deutschland in den letzten Tagen abgespielt haben. Soeben wurde durch den Reichspräsidenten Hindenburg der Belagerungszustand verhängt und ein Erlaß unterzeichnet, der für die gesamte revolutionäre Arbeiterbewegung einen Zustand der Halblegalität schafft. Jede proletarische Versammlung kann in Zukunft verboten werden. Jedes Plakat, jedes agitatorische Transparent, jedes Flugblatt unterliegt der Vorzensur. Mit einem Schlage wird in Deutschland ein Zustand der politischen Reaktion herbeigeführt, der an die schlimmsten Zeiten des Krieges und der damaligen Unterdrückung der Arbeiterbewegung im kaiserlichen Deutschland erinnert, sich aber natürlich auf einer viel höheren Stufe der Zuspitzung der Klassengegensätze abspielt.

Das Karl-Liebknecht-Haus, das Haus der Kommunistischen Partei Deutschlands in Berlin, wurde gestern von einem Riesenaufgebot von Polizeimannschaften und Kriminalbeamten überfallen. Das ganze umliegende Straßenviertel in der Umgebung des Karl-Liebknecht-Hauses wurde zum Schutze vor proletarischen Demonstrationen durch starke Polizeitruppen abgesperrt und eine Haussuchung vom Keller bis zum Dach vorgenommen, um etwa Waffen oder belastendes Material gegen die Partei zu finden. Obwohl die Abgesandten des sozialfaschistischen Polizeipräsidenten von Berlin unverrichteter Dinge wieder abziehen mußten und nichts in ihre Hände fiel, gelangte zwei Stunden später der schon erwähnte Erlaß von Hindenburg mit der weiteren Unterschrift von Brüning und dem Innenminister Wirth zur Veröffentlichung. Es läßt sich vermuten, daß die sozialdemokratischen Polizeipräsidenten in Preußen und Berlin gemeinsam mit der Brüning-Regierung noch versuchten, belastendes Material zu finden und gegen uns in den Aufruf hineinzubringen. Das ist ihnen nicht geglückt. Die Tatsache, daß der Aufruf zwei Stunden nach der Durchsuchung herauskam, bestätigt nur unsere Vermutung. Diese neuesten Tatsachen sind eine vollständige und restlose Bestätigung für die Auffassung unserer Partei, ein vollgültiger Beweis, wie notwendig es war, rechtzeitig den Massen den faschistischen Charakter der Brüning-Regierung zu signalisieren, die Massen darauf einzustellen, daß es diese Bourgeoisieregierung selber ist, die gestützt auf die Sozialdemokratie und auf die Mordbanden des Faschismus, mit Hilfe ihrer sozialfaschistischen Agenten in der Preußenregierung und in den Polizeipräsidien die faschistische Diktatur in Deutschland durchzuführen versucht. Es gibt wohl keinen Zweifel darüber, daß es sich hierbei um faschistische Formen der Klassenherrschaft der Bourgeoisie handelt, die schon einen ziemlich krassen und ausgeprägten Charakter angenommen haben.

Von größter Bedeutung ist das Hand-in-Hand-Arbeiten zwischen dem individuellen Terror der Faschisten und der organisierten politischen Reaktion durch den Staatsapparat. Hier zeigt sich sehr deutlich die Wechselwirkung zwischen der Regierung der Durchführung der faschistischen Diktatur und ihren legalen faschistischen Methoden einerseits und den Funktionen der außerhalb der Regierung befindlichen faschistischen Massenpartei, den Nationalsozialisten, andererseits.

Der krasseste Fall in der letzten Zeit waren die Hamburger Ereignisse. Man stelle sich einmal vor: Die Faschisten organisieren planmäßig und systematisch den heimtückischen Meuchelmord an einem Abgeordneten der KPD, den Genossen Henning. Eine ungeheure Empörung herrscht darüber in der Arbeiterschaft und auch in den Mittelschichten. Selbst die bürgerliche Presse muß Entrüstung über die faschistischen Mörder markieren. Und was erfolgt seitens der Institutionen des kapitalistischen Staates? Es wird die kommunistische Zeitung verboten, es werden alle Protestversammlungen der Kommunisten nicht erlaubt, ja selbst geschlossene Mitgliederversammlungen der Partei werden gestört und viele Betriebsversammlungen würden in Hamburg auseinandergeschlagen. In dem Betriebe, aus dem der ermordete Genosse Henning hervorging, in dem er vorher lange gearbeitet hatte, wurde die Betriebsversammlung von der Polizei auseinandergeschlagen. Und schließlich beim Begräbnis des Genossen Henning, des Opfers der faschistischen Meuchelmörder, auf dem Rückmarsch der großen Demonstration vom Friedhof zum Barmbecker Bahnhof, schlug die Polizei die Demonstration mehrmals auseinander und gab mehrere Salven in die zurückflutende Masse ab, wobei ein Arbeiter erschossen und drei oder vier schwer verwundet wurden. Also nicht gegen die Mörder und ihre Partei, sondern gegen die Partei und gegen die Anhänger des Ermordeten wurden Repressalien ausgeübt, richtet sich das ganze Wüten des Staatsapparates und seiner bewaffneten Macht.

Die Verhaftung der Mordbanditen im Falle Hamburg, und daß man ihnen sogar den Prozeß machen will, darf uns nicht täuschen, als ob die jetzige Staatsgewalt und Justiz ernstlich gewillt sei, die Mörder zu bestrafen. Überall ist die Justiz auf ihrer Seite. Die Nationalsozialisten, mit ihrer terroristischen Betätigung, mit ihrem Mordfaschismus gegen die Arbeiterklasse, handeln doch im direkten Auftrag des regierenden Finanzkapitals, als direkte Bundesgenossen und Hilfsgarden der Brüning-Regierung.

Genossen, bei unserer Analyse der Situation, bei unserer Perspektive der Entwicklung, wenn wir das beschleunigte Heranreifen einer revolutionären Krise in Deutschland feststellen, müssen wir uns darüber im klaren sein, daß diese Rolle und Tätigkeit der Faschisten vom Standpunkt der Bourgeoisie aus auch in Zukunft nicht eingeschränkt, sondern gegen die revolutionäre Klassenfront verschärft wird.

Beim Heranreifen des Bürgerkrieges wird die faschistische Massenpartei, als die bewaffnete Konterrevolution, als Massenbewegung, in Deutschland ihre Funktion für die Bourgeoisie nicht abschwächen, sondern im Gegenteil wesentlich verstärken. Wir können verschiedene Länder nehmen, wo die Entwicklung des Faschismus zwar nicht solche eigenartigen Formen wie in Deutschland annahm, aber wo der Faschismus, bevor er zur Herrschaft kam, zu den schärfsten terroristischen Maßnahmen gegen die revolutionäre Front, gegen die kommunistischen Parteien griff. Nehmen wir die Frage der Kriegsgefahr. Die Faschisten sind neben der Sozialdemokratie die treibende Kraft des konterrevolutionären Krieges gegen die Sowjetunion. Wir dürfen uns da nicht leiten lassen von einigen diplomatischen Manövern, die z. B. Mussolini in letzter Zeit durchführte, sondern müssen klar erkennen die klassenmäßige Entwicklung des Faschismus in den verschiedenen kapitalistischen Ländern, wie die Frage der bewaffneten Intervention und der Kriegsvorbereitungen gegen die UdSSR, die von den Faschisten manchmal noch schärfer gestellt wird, als es selbst der Sozialdemokratie möglich ist.

Denken wir an die Jahre 1918-1920 in Deutschland. In den Bürgerkriegskämpfen war damals zwar die Sozialdemokratie die politische Kraft, die den bewaffneten konterrevolutionären Terror unter Führung Noskes gegen das revolutionäre Proletariat einsetzte, aber die sozialdemokratischen Parteiorganisationen stellten nicht die bewaffneten konterrevolutionären Garden. Hierfür wurden vielmehr die sogenannten Freikorps aus den Kreisen der Offiziere und reaktionären Soldaten geschaffen, die die Keimzellen der heutigen faschistischen Bewegung, der heutigen Nationalsozialistischen Partei darstellen.

Und hier kommen wir zu dem Problem des Verhältnisses von Faschismus und Sozialfaschismus in der jetzigen Entwicklung in Deutschland. Bei dieser Problemstellung gibt es, wie Genosse Manuilski richtig betonte, in der Vergangenheit große Fehler und werden sich auch in der Zukunft noch neue ergeben. Der Hauptfehler ist selbstverständlich die rechte Abweichung, wenn man einen prinzipiellen klassenmäßigen Gegensatz zwischen Faschismus und Sozialfaschismus konstruiert. Faschismus und Sozialfaschismus stehen in einer Klassenfront und arbeiten beide an der Durchführung der faschistischen Diktatur mit. Aber gefährlich ist auch der andere Fehler, Faschismus und Sozialfaschismus in einen Topf zu werfen, wie es bei dem Genossen Merker geschah. Wir dürfen die Verschiedenheit nicht übersehen, wenn wir zu einer richtigen Politik im Kampfe gegen Faschismus und Sozialfaschismus kommen wollen.

Die Faschisten in Deutschland, die Nationalsozialisten, stellen noch immer eine große Massenbewegung dar, deren gesamte Aktivität heute im bewaffneten Mordterror gegen die Arbeiterklasse zum Ausdruck kommt. Das ist momentan fast die einzige Funktion, die die Bourgeoisie dem Nationalsozialismus zuweist. Diese Tatsache muß auch im Lager der Nationalsozialisten Differenzen hervorrufen, über die ich später noch ausführlicher sprechen werde.

Natürlich macht die Sozialdemokratie den Versuch, die nationalsozialistische Konkurrenz auch auf dem Gebiete des bewaffneten Terrors zu schlagen, um der Bourgeoisie zu beweisen, daß auch sie das leisten können, was die Nationalsozialisten in Deutschland tun. Der Führer der sozialfaschistischen Wehrorganisation, des Reichsbanners, der Sozialfaschist Hörsing, schafft in der letzten Zeit in den Reihen dieser Wehrorganisationen die sogenannte Schufo, ein Ausdruck für "Schutzformationen". Natürlich sind diese Schufo ‑ unter dem Deckmantel "Schutzformationen" ‑ besondere ausgesuchte Kader der SPD für bewaffnete Aktionen, in der Art der nationalsozialistischen Sturmabteilungen. Es ist klar, daß trotz einiger antifaschistischer Phrasen der Zweck dieser Schufo sein soll, Formationen für den Bürgerkrieg gegen das revolutionäre Proletariat und gegen die Kommunisten zu schaffen. Wir hatten ähnliche Beispiele in Polen, als die PPS solche bewaffnete Garden schuf, die sie nicht gegen die Pilsudski-Faschisten, sondern gegen die revolutionäre Arbeiterschaft einsetzte, wie es sich am 1. Mai 1928 am krassesten gezeigt hat.

Ich glaube also, Genossen, diese Entwicklung in Deutschland vollzieht sich zwar in anderen Formen, als es in Polen der Fall ist, aber in der Tatsache, daß Hörsing solche Methoden einleitet, werden die ersten Symptome dieser Entwicklung sichtbar, es zeigen sich auch bereits zwischen Führung und Massen in den sozialdemokratischen Wehrorganisationen bestimmte Differenzen. Ich erinnere daran: als am 22. Februar in Deutschland der Aufmarsch der Schufo im Reichsmaßstabe durchgeführt wurde, organisierten wir in Berlin eine Einheitsfrontaktion, um zu gleicher Zeit den Arbeitern im Reichsbanner eine Möglichkeit zu schaffen, für den gemeinsamen Kampf gegen die bewaffneten Mordbanden der Nationalsozialisten. Die Nationalsozialisten hatten angekündigt, daß sie diesen Aufmarsch der Schufo sprengen würden. Wir riefen unserseits die Arbeiterschaft zum Aufmarsch im Lustgarten auf und mobilisierten trotz Verbots und der polizeilichen Drohungen die revolutionären Arbeiter. So gelang es uns, die Pläne der Führung des Reichsbanners und des sozialdemokratischen Polizeipräsidenten zu durchkreuzen, die eine Schlägerei und Zusammenstöße zwischen Kommunisten und Reichsbanner herbeiführen wollten. Es gelang uns durch unsere Methoden im antifaschistischen Massenkampf eine vorübergehende Einheitsfrontaktion an diesem Tage einzuleiten Selbstverständlich kann man einen solchen politischen Erfolg und die Schlappe von Hörsing in diesem Falle nicht verallgemeinern.

Es ist dies ein besonders günstiges Beispiel, das man nicht einfach verallgemeinern kann. Andererseits müssen wir sehen, daß es den Sozialdemokraten auch in Deutschland gelingen wird und auch schon gelungen ist aus ihren Anhängermassen bestimmte Terrorformationen für den Bürgerkrieg zu schaffen, die sicherlich Seite an Seite mit den Nationalsozialisten einmal auf der anderen Seite der Barrikaden gegen uns kämpfen werden. Aber um was handelt es sich bei diesem Beispiel? Ich wollte mit diesen Tatsachen aufzeigen, daß zwischen der Bürgerkriegsideologie der Anhänger der Nationalsozialistischen Partei und der Bürgerkriegsideologie der sozialdemokratischen Arbeiter zweifelsohne ein Unterschied besteht. Das dürfen wir bei unserer Arbeit keineswegs aus dem Auge lassen. Genosse Manuilski hob hervor, daß die Erfolge der KPD bei der Lösung der zentralen Aufgabe aller kommunistischen Parteien, der Eroberung der Mehrheit des Proletariats, internationale Bedeutung gewinnen. Er bekämpfte mit Recht mit aller Schärfe eine gewisse Spontaneitätstheorie, die manche Kommunisten gegenüber dem revolutionären Aufschwung anwenden, eine Einstellung z. B., die man manchmal bei Arbeitern und Genossen auch hört, als ob nun durch die Krise und den revolutionären Aufschwung uns die gebratenen Tauben sozusagen in den Mund fliegen, oder man kann auch grob sagen als ob uns die fertig garnierten Sowjetrepubliken vom Himmel in den Schoß fallen würden. Solche Tendenzen und Auffassungen müssen wir entschieden und aufs schärfste bekämpfen.

Unsere chinesische Bruderpartei hat auf diesem Gebiet heroische und große Erfahrungen machen können, und unsere kleine österreichische Bruderpartei kennt aus eigener Praxis ähnliche und vielleicht umgekehrte Erfahrungen. Der revolutionäre Aufschwung ist bis zu einem gewissen Grade abhängig von unserer richtigen revolutionären Massenpolitik. Im Zentralkomitee stellten wir mit allem Nachdruck fest daß die einzige Leninsche Antwort auf die Frage nach dem Entstehen der revolutionärer Situation in Deutschland nur folgendermaßen lauten kann Wir sagten uns: haben wir gewisse objektive Möglichkeiten für die Entstehung einer revolutionären Situation? Natürlich. Wir stellten fest daß die Krise für den Kapitalismus außerordentlich große innere Schwierigkeiten bringt. Aber es gibt keine absolut auswegslose Situation für den Kapitalismus, wenn wir sie nicht dazu machen. Das ist das wichtigste strategische Problem unserer ganzen Politik. Mit anderen Worten: Wir müssen die revolutionäre Situation an Hand der günstigen objektiven Bedingungen organisieren. Im revolutionären Klassenkampf des Proletariats, in der Entfaltung und selbständigen Führung der ökonomischen und politischen Kämpfe, in der Organisierung und der Führung der proletarischen Gegenoffensive liegt der Schlüssel zur revolutionären Situation. Wenn das für die allgemeinen großen Aufgaben des revolutionären Aufschwungs gilt, so hat es nicht weniger Berechtigung für jedes Teilgebiet der revolutionären Arbeit und insbesondere auch für den Kampf gegen die Sozialdemokratie und gegen, den Faschismus.

Welches ist der wesentliche Unterschied zwischen der Politik der Kommunistischen Internationale, die vor 4‑5 Jahren durchgeführt wurde und heute? Damals bestand unser Kampf gegen die Sozialdemokratie vornehmlich ‑ ich sage ausdrücklich "vornehmlich" ‑ in der Agitation und Propaganda. Wir versuchten, die Sozialdemokratie auf das schärfste zu entlarven. Mit dem Wachstum der kommunistischen Parteien und ihrer Bolschewisierung konnten wir den entscheidenden Schritt vorwärts gehen: von der Agitationspolitik zur Aktionspolitik. Natürlich bedeutet das nicht, daß wir damals keine Aktion durchführten, sondern die Betrachtung der meisten Sektionen in der ganzen Welt ergibt natürlich die Tatsache von verschiedenen großen revolutionären Kämpfen in den einzelnen Sektionen. Aber in der Zeit vom VI. Weltkongreß und IV. RGI-Kongreß an steht vor uns konkreter und klarer als vorher die Aufgabe, selbständig die Kämpfe zu führen, besonders auf dem Gebiete der politischen und ökonomischen Kämpfe des Proletariats gegen den Kapitalismus, um gleichzeitig in diesen Kämpfen die Sozialdemokratie zu schlagen.

Damit komme ich zu dem entscheidenden Punkt für unsere Taktik in Deutschland. Wir hatten uns sehr daran gewöhnt, nach außen in unserer Propaganda den Kampf ausschließlich gegen die Sozialdemokratie zu führen, als das Haupthemmnis der proletarischen Revolution und damit eine der stärksten Stützen der Bourgeoisie innerhalb der Arbeiterbewegung, wobei wir in unserem äußeren Auftreten ‑ ich betone ausdrücklich in unserem äußeren Auftreten ‑ manchmal den Kapitalismus und die Bourgeoisie schon beinahe vergessen hatten. Es soll vorgekommen sein, daß kommunistische Parteien auch vergessen haben, die Sozialdemokratie zu bekämpfen, welche Tatsache verschiedentlich festgestellt wurde, weil solche Auffassungen in einigen Sektionen vorhanden waren, wodurch der Kampf gegen die Sozialdemokratie abgeschwächt und sehr oft erschwert wurde.

Selbstverständlich kann man den Kapitalismus nicht schlagen, ohne die Sozialdemokratie zu vernichten, und unser welthistorischer Kampf gegen die Sozialdemokratie ist im Grunde ein verschärfter Kampf gegen die Bourgeoisie, offensivster Kampf gegen die Kapitalisten. Das wissen wir alle. Das ist ein allgemeines Gesetz, das sind für uns Selbstverständlichkeiten. Aber wissen es die Millionenmassen der vom Reformismus noch betörten Arbeiter in der ganzen Welt und besonders auch in Deutschland? Leider nicht! Niemand wird bestreiten, daß diese “Kleinigkeit” besteht, daß die sozialdemokratischen Arbeiterklassen ein solches Verständnis nicht haben können, sonst wären sie nicht mehr im Lager ihrer klassenverräterischen Führer. In dieser Frage haben wir in Deutschland eine ganz entschlossene und großzügige Wendung vorgenommen. Das war bei einer richtigen Generallinie bei ihrer jeweiligen Konkretisierung an Hand der bestimmten Verhältnisse der Schlüssel zu unseren politischen Erfolgen besonders in der letzten Zeit. Wir haben gelernt, daß wir den Massen in unserer gesamten Politik, durch unsere Führung, durch alle unsere Taten und durch unsere Agitation und Propaganda beweisen müssen, daß wir die einzige antikapitalistische Partei, die einzige antifaschistische Kraft sind, die den Kampf gegen die Bourgeoisie führt. Unser Kampf gegen den Klassenfeind ist unzertrennbar verbunden mit dem schärfsten prinzipiellen und methodischen Kampf gegen die Sozialdemokratie. Dies ist ein Bestandteil des historischen Kampfes in der Geschichte der Gegenwart und das bleibt ein Bestandteil des historischen Kampfes in der Zukunft. Diese Frage ist keine Frage von untergeordneter Bedeutung. Wir hatten bei den Reichstagswahlen in unserer Partei einige schwankende Genossen, die mehrmals in der politischen Kampagne uns Vorwürfe machten und erklärten, die Partei kämpfe zuviel gegen Faschismus und zu wenig gegen die Sozialdemokratie. Wir haben uns um solche Stimmungen nicht gekümmert, weil diese Fragestellung unberechtigt und unrichtig war. Ich will nicht sagen, daß wir vorübergehend Zeiten hatten, wo manchmal das Schwergewicht unseres Kampfes sowohl gegen den Faschismus als auch gegen die Sozialdemokratie sich verschiedenartig verschob, je nach den Verhältnissen, je nachdem die Führung in der Lage war, ihre eigenen Schwächen zu überwinden. Aber, Genossen, man kann den Sozialfaschismus nicht schlagen oder wenigstens wird dieser Kampf ungeheuer erschwert, wenn man nicht die sozialdemokratischen Arbeiter und ihren Anhang zum Kampf unter Führung der kommunistischen Parteioffensive und systematisch gegen den Faschismus mobilisiert. Diese Frage steht sehr scharf in Deutschland, wo die Bourgeoisie sich die Aufgabe gestellt hat, die faschistische Diktatur durchzuführen. Im Kampf gegen den Kapitalismus, den Faschismus und Sozialfaschismus müssen wir eine klare offensive Frontstellung beziehen, wobei selbstverständlich international gesehen die besonderen Bedingungen eines jeden Landes berücksichtigt werden müssen.

Nehmen wir die Frage des Faschismus in Deutschland. Wir hatten hier ganz große Schwächen. Einen riesigen Tempoverlust in verschiedenen Abschnitten in der Entwicklung. Zum Beispiel, im Winter und Frühjahr 1930, wo die faschistische Welle begann, damals war unsere einzige Losung: "Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft!", die solange Geltung hatte, wie sich der Faschismus noch nicht zu einer Massenbewegung entfaltet hatte.

Aber als mit dem Fortschreiten der Krise, mit dem Zerfall der alten bürgerlichen Parteien, der Faschismus zu einer Massenbewegung heranwuchs, war diese Losung, die sehr starr und teilweise abstrakt durchgeführt wurde, nicht mehr ausreichend. Das Polbüro nahm zur Frage des antifaschistischen Massenkampfes Stellung und beschloß eine Resolution, die heute noch die Grundlage des Kampfes gegen den Faschismus ergibt. In dieser Resolution stand, daß wir viel stärker den ideologischen und wehrhaften Kampf gegen den Faschismus miteinander verbinden und durchführen müssen. Das war die Kernfrage, daß wir nicht nur wehrhaft, sondern gleichzeitig ideologisch den Kampf gegen den Faschismus führen müssen. Die Voraussetzung des wehrhaften Massenkampfes gegen den Faschismus ist, daß man auch ideologisch stärker den Kampf gegen den Faschismus aufnimmt und durchführt. Dadurch bekamen wir einen gewissen Umschwung. Bei dieser Problemstellung entstand in der Arbeiterbewegung und in unserer Partei eine gewaltige Wendung. Es war uns früher sehr schwer, an die Anhänger der Nationalsozialistischen Partei heranzukommen. Eine entscheidende Quelle des faschistischen Aufschwungs bildete die nationale Demagogie der Hitler-Partei, die die Erbitterung der Massen über die doppelte Sklaverei, der deutschen Kapitalisten und des ausländischen Finanzkapitals mit Hilfe des Versailler Friedensvertrages und des Young-Planes, ausnutzte und sich dadurch vorübergehend als Retter und als Vorkämpfer für die nationale Befreiung aufspielte. Wie stand es mit uns in dieser Frage? Tatsächlich war ja unsere revolutionäre Politik im Kampfe gegen den schamlosen Versailler Frieden von jeher in Deutschland die einzige Politik, die einzige Kraft, die wirklich gegen den Imperialismus und für die nationale Befreiung eingestellt war. Wie überhaupt der zwölf Jahre lange Kampf in der Reparationsfrage in Deutschland aufs engste und tiefste mit der Geschichte der Kommunistischen Partei Deutschlands verknüpft ist. Nehmen wir z. B. das Jahr 1919. Damals dachte kein Mensch an die Nationalsozialisten. Der Spartakusbund stellte bereits der imperialistischen Reparationspolitik die Losung der proletarischen Revolution entgegen. Die ganze Tradition der Kommunistischen Internationale und der Kommunistischen Partei Deutschlands, ihr Kampf gegen Versailles, ihre Haltung und der Kampf während der Ruhrbesetzung 1923, alle diese Tatsachen geben der Kommunistischen Partei Deutschlands das Recht, an der Spitze des nationalen Befreiungskampfes zu marschieren. Wir haben viel zu wenig die historische Tatsache ausgenutzt, daß die Sowjetregierung die einzige Regierung in der Welt ist, die damals und besonders heute gegen Versailles die schärfste Stellung einnahm und einnimmt. Aber in unserer Praxis, in unserer Agitation und Propaganda, konnten wir allerdings nicht sehr viel davon spüren. Es war manchmal fast so, als wenn wir uns unserer richtigen nationalen Befreiungspolitik vor den Massen etwas schämten, trotzdem doch unsere revolutionäre Stellungnahme absolut mit der Leninschen Fragestellung zu Versailles übereinstimmte.

So kam es auch, daß wir in unserem Kampfe gegen Versailles und gegen den räuberischen Young-Plan einen Tempoverlust zu verzeichnen hatten, so daß wir in zwei besonderen Sitzungen des Zentralkomitees eine Wendung in der Partei vornehmen mußten, um diesen Tempoverlust in der Frage des Kampfes gegen den Young-Plan zu beseitigen.

Jener merkliche Tempoverlust in Sachen des Young-Plans gab den Nationalsozialisten Zeit und erst Spielraum zur Entfaltung ihrer nationalsozialistischen Demagogie und führte auch dazu, daß vorübergehend einige ideologische und wehrhafte Schwächen eingetreten waren. Und als wir während des Reichstagswahlkampfes unser Freiheitsprogramm veröffentlichten, das wir in vielen Millionen Exemplaren in Deutschland verbreitet haben, da erkannte unsere Partei erst die große Bedeutung dieser Tatsache, die wie eine Bombe unter Millionen von Werktätigen wirkte. Dieses Programm der nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes, das nicht nur für den Augenblick der Vorbereitung der Reichstagswahlen aufgestellt war, bildet nach wie vor die Achse unserer gesamten Politik. Im Kampfe gegen den Faschismus kamen wir durch das Freiheitsprogramm, wie gesagt, ideologisch völlig in die Offensive. Dagegen gab es in den letzten Monaten einige Schwächen in der Frage der wehrhaften Bekämpfung des Faschismus. Der .unaufhörliche Mordterror der Nationalsozialisten brachte vorübergehend an einzelnen Stellen in Deutschland eine gewisse Zermürbung und Einschüchterung der revolutionären Arbeiter zustande. Wir hatten große Schwächen auf dem Gebiet des wehrhaften Kampfes gegen den Faschismus, z. B. sehr stark in Berlin, wo sich mehrere nationalsozialistische Mordtaten ereigneten, ohne daß die Arbeiter in genügendem Maße und mit genügender Entschlossenheit mit den notwendigen Wehrmaßnahmen gegen die Faschisten antworteten. Das letzte Plenum des ZK hat in dieser Beziehung bahnbrechende Wendung geschaffen. Eine wesentliche Frage im Kampfe mit den Nationalsozialisten, wie auch bei der Gewinnung der sozialdemokratischen Arbeiter für die antifaschistische Massenkampffront, ist die Frage der entschiedenen Verteidigung, der offensiven Wehrhaftigkeit des Proletariats im Kampfe gegen den Mordterror der Faschisten. Eine weitere sehr wesentliche Frage im Kampfe gegen den Nationalsozialismus wie auch bei der Gewinnung der sozialdemokratischen Arbeiter für die antifaschistische Kampffront ist die Aufrollung unserer sozialistischen und antiimperialistischen Friedenspolitik. Das ist um so notwendiger heute, wo die Brüning-Regierung und die deutsche Außenpolitik eine immer stärkere imperialistische Aggressivität aufzuweisen beginnt. Der Abschluß der Zollunion zwischen Deutschland und Österreich liegt in derselben Linie. Die angekündigte Reise von Curtius nach England signalisiert weiter diese außenpolitischen Maßnahmen. Dabei ist von größter Bedeutung unser Kampf gegen die imperialistische Bedrohung der Sowjetunion. Diese klare Aufrollung unserer Politik als der Partei des Friedens muß aufs engste mit unserer führenden Rolle im Kampfe für die nationale Befreiung vom Joche der imperialistischen Raubverträge verbunden sein. Das Januarplenum unseres Zentralkomitees beschloß eine Resolution, in der es zu dieser Frage heißt:

Wir müssen die zügellose Kriegsrüstungs- und Abenteurerpolitik des deutschen Faschismus, seine mörderische Hetze für den Interventionskrieg gegen die Sowjetunion, wie auch für den Revanchekrieg, vor den Massen entlarven und demgegenüber klar das Banner des Internationalismus unserer Partei entrollen. Unter allen Werktätigen gilt es, die Ideologie der Solidarität mit den polnischen und französischen Arbeitern tatkräftig zu propagieren. Gegen die chauvinistische Hetze der Faschisten stellen wir unsere Losungen des Kampfes gegen den Weltimperialismus, unsere Forderung, daß keine Nation unterdrückt werden soll. Wir sind die einzige Friedenspartei, die einzige Partei, die alle Grundfragen der deutschen und der internationalen Politik ohne Eroberungskrieg, ohne Knechtung und Bedrohung fremder Völker lösen kann.

Diese klare Abgrenzung und Frontstellung gegenüber der faschistischen Revanchehetze ist zweifelsohne eine notwendige und erfolgreiche Weiterführung und Ergänzung unseres Freiheitsprogrammes.

Ich komme jetzt zum letzten Punkte in der Frage des antifaschistischen Kampfes, zur Problemstellung der Durchführung der faschistischen Diktatur. Als im Dezember des vorigen Jahres in den Maßnahmen der Brüning-Regierung die Methoden der Faschisierung auf kaltem Wege einen bestimmten Grad der Entwicklung überschritten hatten, vollzogen wir eine entscheidende strategische Wendung, indem wir den Massen den faschistischen Charakter der Brüning-Herrschaft mit aller Schärfe zu erklären begannen. Wir mußten das um so mehr tun, weil die sozialdemokratischen Führer den sozialdemokratischen Arbeitern und der Anhängerschaft der Sozialdemokratie schon damals auf betrügerische Art und Weise die Brüning-Regierung als das “kleinere Übel” in der Entwicklung darzustellen versuchte. Wir als Kommunisten waren verpflichtet, in der Frage der Entwicklung zum Faschismus die faschistische Rolle der Brüning-Herrschaft mit aller Konsequenz aufzuzeigen, zu zeigen, welchen Weg diese Regierung marschieren will. Dabei gab es anfangs einige nicht völlig zutreffende Formulierungen, eine nicht vollkommene Analyse der Situation. Trotzdem war die Tatsache, daß wir auf bestimmte neue Erscheinungen ohne jedes Zögern reagierten, und überhaupt die Probleme stellen, die in jenen Arbeiterkreisen, die noch nicht in unserer Partei organisiert waren, neue lebhafte Diskussionen auslösten, ‑ schon diese Tatsache war bedeutungsvoll und bewies die Notwendigkeit unserer Politik. Wir haben durch unser rasches Eingreifen, wobei wir dann auf unserem Januarplenum des Zentralkomitees unsere Analyse genauer konkretisierten und einige Schwächen beseitigten, die bei einigen Problemen, bei denen wir schnell reagieren mußten, vorhanden waren, das eine erreicht: In den Millionenmassen des deutschen Proletariats weit über den Rahmen der Partei und ihrer Anhänger hinaus eine solche Initiative und einen solchen Kampfeswillen gegen den Faschismus auszulösen, daß wir dadurch sowohl im Kampf gegen die Nationalsozialisten wie gegen den Sozialfaschismus inzwischen stärkste Erfolge errungen haben. Hätten wir damals gezögert, hätten wir uns noch eine Zeitlang in der Frage der Schärfe dieser Problemstellung in der damaligen Situation besonnen, hätten wir verabsäumt, die Brüning-Regierung als die Regierung der Durchführung der faschistischen Diktatur und den faschistischen Charakter ihrer Politik mit genügender Klarheit und Schärfe zu kennzeichnen, dann wären vielleicht ähnliche Fehler entstanden, wie sie seinerzeit in Italien, in Polen, in Litauen und zuletzt in Finnland vorhanden waren. Ich will das nur an einem Beispiel beweisen. Die ungeheuer ernste Tatsache der fehlerhaften Stellung der Partei oder wenigstens der großen Mehrheit der Partei in Polen zum Pilsudski-Putsch, wo die Frage der Entwicklung des Faschismus mit einer offensiven Wendung im Lande eingetreten war. Wir kennen alle die Tatsachen in Italien und besonders in Finnland. Wir mußten dafür sorgen, daß wir uns vom Faschismus nicht überrumpeln lassen. Unsere Partei, als die einzige antifaschistische Kraft in den Massen, als die einzige antifaschistische Partei, mußte die Entwicklung der Klassenkräfte der Reaktion nicht nur in den Herrschaftsmethoden der Regierung, sondern in allen Formen in dieser Situation sofort aufzeigen. Unser rechtzeitiges Eingreifen ermöglichte uns eine solche Massenmobilisierung, daß wir heute, ohne unsere Kräfte zu überschätzen und ohne die Kräfte des Klassenfeindes zu unterschätzen, doch von Teilerfolgen beim Kampf gegen die Durchführung der faschistischen Diktatur bereits sprechen können.

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Ich wies schon auf die Notwendigkeit hin, die Brüning-Regierung richtig und scharf zu charakterisieren als die Regierung der Durchführung der faschistischen Diktatur. Es gab auch in dieser Frage bei einzelnen Genossen Bauchschmerzen und Schwankungen. Würden wir dem nachgegeben haben, so hätten wir der Sozialdemokratie und ihrer Agitation geradezu die Tore geöffnet. Die Bourgeoisie versucht durch ihre bürgerliche Presse heuchlerisch zu bestreiten, daß sich in Deutschland eine Entwicklung zum Faschismus vollzieht. Was sagt die Sozialdemokratie in Deutschland heute, um vor ihren Anhängern die Politik einer Unterstützung der Brüning-Regierung bei allen ihren reaktionären Schandtaten seitens der SPD zu rechtfertigen? Die sozialdemokratischen Führer erzählen, die Brüning-Regierung sei das “kleinere Übel”, man müsse ihr jede Hilfe angedeihen lassen, um zu verhindern, daß an ihrer Stelle eine Regierung der Nationalsozialisten, der Faschisten trete. Die Sozialdemokratie mußte, weil sie in ihrer Politik gezwungen ist, die reaktionären Schandtaten der Politik der Brüning-Regierung zu unterstützen, mit allen Mitteln und schwindelhaften Manövern den Arbeitermassen den Charakter der Brüning-Regierung anders darstellen, als er in Wirklichkeit ist. Die Brüning-Regierung als das “kleinere Übel” gegenüber einer “wirklichen” Faschistenregierung von Hitler und Hugenberg, das ist das A und O der sozialdemokratischen Demagogie. Je stärker wir den Charakter der faschistischen Politik der Brüning-Regierung feststellen und zerpflücken, je überzeugender wir vor den Massen nachweisen, daß diese Bourgeoisie-Regierung selbst eine Trägerin der faschistischen Herrschaftsformen in Deutschland ist, selbst die Durchführung der faschistischen Diktatur betreibt, und dazu erst gar nicht von Hitler und Hugenberg abgelöst zu werden braucht, desto gründlicher widerlegen und zerschlagen wir die sozialdemokratische Agitation, desto erfolgreicher können wir gerade die SPD-Politik als -Hilfeleistung für den Faschismus, als Mitwirkung und Unterstützung bei der Durchführung der faschistischen Diktatur entlarven und bekämpfen. Gerade wenn man den sozialdemokratischen Schwindel zerschlagen will, als ob es einen prinzipiellen Unterschied zwischen der Demokratie und dem Faschismus gäbe, gerade dann ist eine solche klare und präzise Anprangerung des Charakters der Brüning-Regierung, wie wir sie vorgenommen haben, eine unerläßliche politische Notwendigkeit.

Die II. Internationale behauptet fälschlich, die bürgerliche Demokratie vor dem Faschismus überall verteidigen zu müssen, und das ist auch die heuchlerische Politik der SPD. Ich sagte bereits (für die englischen und französischen Genossen ist das von großer Bedeutung), daß unter der sogenannten Herrschaft der bürgerlichen Demokratie, unter deren Maske momentan noch die französische Regierung und die Macdonald-Regierung in England marschieren, sich dort bereits Keime des Faschismus zeigen. Tendenzen zu einer faschistischen Entwicklung in Erscheinung treten. Einige Genossen unserer Partei hatten gegenüber der Charakterisierung der Brüning-Regierung, wie sie endgültig auf unserem ZK-Plenum angenommen wurde, Bedenken, weil sie davon ausgingen, daß man von einer Durchführung des Faschismus erst dann sprechen könne, wenn die revolutionäre Bewegung unterdrückt, in die Illegalität gezwungen, die legalen Organisationen des Proletariats zerschlagen wären.

Genossen, dem widerspricht völlig die gesamte geschichtliche Erfahrung ‑ z. B. die Tatsachen in Italien. In Italien gab es noch lange nach dem Marsch Mussolinis auf Rom eine legale Kommunistische Partei, die im Parlament auftreten konnte. Wir haben ähnliche Tatsachen in anderen faschistischen Ländern, die man ebenfalls zum Beweis dafür heranziehen könnte. Mit Recht sagt deshalb das Programm der Kommunistischen Internationale an einer Stelle über diesen Punkt folgendes: "Die Hauptaufgabe des Faschismus ist die Vernichtung der revolutionären Vorhut der Arbeiterklasse, d. h. der kommunistischen Schichten des Proletariats und ihrer führenden Kader." Hier ist also mit aller Klarheit ausgesprochen, daß die Zerschlagung der revolutionären Organisationen nicht die Vorbedingung für den Beginn einer faschistischen Herrschaft darstelle, daß der Faschismus nicht auf der Grundlage der Zerschlagung der Kommunistischen Partei und der Arbeiterorganisationen ans Ruder gelangen muß, sondern daß dies vielmehr die "Hauptaufgabe", also das Ziel der faschistischen Herrschaft darstellt. Ist das nicht in Deutschland ebenso? Steht in Deutschland nicht vor der Bourgeoisie die Hauptaufgabe und das Ziel der Zerschlagung der kommunistischen revolutionären Organisationen? Hier bemerken wir bei uns einen schleichenden, aber schnellen Prozeß der Entwicklung. So haben wir auch in Deutschland gegenwärtig eine Periode, wo bei Stärkung und Vertiefung der kommunistischen Bewegung sich der Klassenterror gegen die Arbeiterbewegung immer mehr verschärft, wo die Bourgeoisie gegenüber dem Proletariat und der Kommunistischen Partei immer schärfere Herrschaftsmethoden anwendet, die Legalität der Partei aber formell bis auf weiteres bestehen bleibt. Einen Einwand gegen unsere Charakterisierung der Brüning-Regierung kann man daraus jedoch nicht herleiten. Diese Charakterisierung und unsere gesamte alarmierende Mobilisierung zum Massenkampf gegen die Durchführung der faschistischen Diktatur mit dem Ziel ihres Sturzes und der Volksrevolution für ein Sowjetdeutschland war jedoch eine unbedingte Notwendigkeit und eine Voraussetzung für die Erfolge der Kommunistischen Partei bei ihren jetzigen Auseinandersetzungen mit den Faschisten und der Sozialdemokratie.

Ich sagte schon bei Beginn meines Berichtes, daß wir jetzt in den letzten Wochen in Deutschland eine solche Entwicklung haben, daß die Kommunistische Partei immer mehr in eine klare eindeutige Angriffsstellung sowohl gegenüber den Faschisten wie gegenüber der Sozialdemokratie gelangt, während andererseits diese Parteien sich in mehr oder weniger schweren inneren Auseinandersetzungen befinden. Ich behaupte, wenn wir verstehen, bei Steigerung unserer Politik und wesentlicher Verbesserung unserer Massenarbeit, diese Auseinandersetzungen in den Reihen unserer Gegner, der Nationalsozialisten und der Sozialdemokratie, zu beschleunigen, dann müssen diese Auseinandersetzungen zu einer direkten inneren Krise im Lager dieser Parteien führen. Durch eine verbesserte Massenpolitik, besonders unter den Angestellten und kleinbürgerlichen Schichten kann erreicht werden, daß eine wesentliche Verschärfung der inneren Lage bei den Nationalsozialisten eintreten kann. Stellen wir jetzt die Frage der vorhandenen Gärung und Rebellion innerhalb der Sozialdemokratie, der Möglichkeit der Entwicklung zu einer Krise in der SPD, und weiter die Frage der Entwicklung zu einer Krise in der nationalsozialistischen Partei. Eine wirkliche Krise bei den Nationalsozialisten würde eine viel stürmischere Entwicklung bedeuten als selbst eine Krise in der Sozialdemokratischen Partei. Die Nationalsozialisten verfügen nicht über einen solchen stabilen Parteiapparat wie die Sozialdemokratie, ihnen fehlen die jahrzehntelangen organisatorischen Erfahrungen der Sozialdemokratie. Der ganze sozialdemokratische Apparat ist schon eingespielt auf innere Auseinandersetzungen in der Partei, und wenn allgemein politische Angriffe verbunden mit kühner Massenpolitik von unserer Partei gegen beide Parteien eingeleitet, durchgesetzt und verschärft werden, so wird zweifellos dieser bürokratische Apparat der SPD auch bei einer vollen Entfaltung der Krise in der SPD doch ein beträchtliches Hemmnis sein, um den ganzen Einfluß der Sozialdemokratie zu brechen. Die SPD wird auch aus dieser heranreifenden Krise zunächst noch immer als ein wichtiger Machtfaktor für die Bourgeoisie hervorgehen. Dagegen ist es denkbar, daß die bevorstehende, heranreifende Krise im Lager des Faschismus ‑ oder besser gesagt im Lager der Nationalsozialisten ‑ eine völlig verheerende Wirkung für die nationalsozialistische Partei zeitigen kann. Dafür sprechen alle Tatsachen der Vergangenheit und der Gegenwart. Nach dem 14. September, nach dem sensationellen Erfolg der Nationalsozialisten, erwarteten ihre Anhänger in ganz Deutschland Großes von ihnen. Wir ließen uns damals von den Panikstimmungen, die zum Teil im werktätigen Volk und jedenfalls unter den Anhängern der Sozialdemokratischen Partei vorhanden waren, nicht beirren. Daß sogar in unseren eigenen Reihen einige Genossen die große Gefahr dieser Entwicklung des Faschismus nicht nur signalisierten, sondern diese Gefahr sogar überschätzten, wissen die meisten Genossen. Wir aber stellten nüchtern und ernst fest, daß der 14. September gewissermaßen Hitlers bester Tag gewesen sei, dem keine besseren, aber schlechtere folgen werden. Unsere Charakteristik, die wir über die Entwicklung dieser Partei gegeben haben, ist bereits eingetreten und bestätigt worden. Es gab dann noch einige Wahlen nach dem 14. September, bei denen die Nationalsozialisten an verschiedenen Stellen noch weiter gewannen. Deshalb schien es in den ersten Monaten nach dem 14. September so, als ob unser revolutionärer Optimismus durch die Tatsachen der Entwicklung der Nationalsozialisten, durch ihre Erfolge widerlegt würde. Die Nationalsozialisten begannen bereits auch uns gegenüber zu frohlocken. Erst die Braunschweiger Wahlen (abgesehen von kleineren Wahlen wie im ländlichen Gebiet von Hamburg, wie in Danzig und in einigen anderen Gemeinden in Deutschland) brachten einen gewissen Umschwung: Eine deutliche Stagnation der Nationalsozialisten, obwohl sie gerade dort unter außerordentlich günstigen Bedingungen operierten. Heute haben die Faschisten nichts mehr zu lachen.

In ihren Reihen herrschen bereits heftige Auseinandersetzungen zwischen der offiziellen Führung, die an einer unbedingten legalen Politik einer Annäherung an die regierende Bourgeoisie, an die Volkspartei und das Zentrum, festhält, und dem putschistischen Flügel, der für eine stärkere radikale Note eintritt und besonders durch Hauptmann Stennes in Berlin und auch teilweise durch Goebbels repräsentiert wird. Die Geldgeber der Nationalsozialisten haben, wie wir erfahren, 75 Prozent der Subventionen, die sie den Nationalsozialisten gegeben haben, eingestellt, so daß es bereits große Geldschwierigkeiten innerhalb dieser Partei gibt. Der Führerkrach in der nationalsozialistischen Partei ist in vollem Gange. Dieser Führerkrach ist mehr oder weniger eine besondere Auswirkung der immer stärkeren Rebellion der nationalsozialistischen Anhängerschaft.

Eine weitere Frage: Wir gingen damals davon aus, daß die große Aufwärtsentwicklung der Nationalsozialisten sich zu einem gewissen Teil auf jene antikapitalistischen Werktätigen stützt, die sich von Anhängern der alten bürgerlichen Parteien durch ihre Feindschaft gegen das kapitalistische System und seine Mißwirtschaft zum Nationalsozialismus entwickelten, die der Hitlerpartei deshalb ihre Stimme gegeben haben. Diese Massen, besonders Kleinbürger, Angestellte, Studenten, Bauern, und zu einem geringen Teil auch Arbeiter, sind gefühlsmäßig antikapitalistisch eingestellt und sind gegen das Young-System. Sie glaubten, in dieser Partei durch ihre Losung für das sogenannte “Dritte Reich” eine Besserung und eine Lösung im kapitalistischen System zu erreichen. Die Radikalisierung, die sich am 14. September bei den Reichstagswahlen gezeigt hat, bewirkte, daß solche Anhänger der bürgerlichen Parteien zu den Nazis gingen. Das waren hauptsächlich die radikalisierten Elemente der bürgerlichen Parteien. Ihre Radikalisierung auf Grund der Krise ist noch keineswegs so weit gediehen, daß sie unmittelbar den Schritt ins revolutionäre Klassenlager des Proletariats zum Kommunismus tun konnten. Zwar ist allgemein bekannt, daß bei jeder verschärften Klassensituation die sogenannte dritte Kraft, die Kleinbourgeoisie, zwischen Proletariat und Bourgeoisie immer schon eine pendelnde Rolle spielte und stets mit der Macht ging. Wir brauchen nur die Entwicklung in Deutschland vom Jahre 1918 bis 1931 zu überprüfen. Solange die Sozialdemokratie in der Regierung war, ging der größte Teil der Mittelschichten mit der Sozialdemokratie und ihren bürgerlichen Koalitionsparteien in der Regierung. Als sich jedoch im Prozeß der Entwicklung die Klassenkräfte umgruppierten, die Herrschaftsmethoden andere wurden (auch im Staatssystem), suchte das Kleinbürgertum zunächst seine Zuflucht bei irgendeiner neuen Partei, in diesem Falle bei der Nazi-Partei. Die Kleinbürger fielen auf die Demagogie der Nationalsozialisten herein, die gemeinsam mit der Bourgeoisie gegen den “Marxismus” als die Ursache jener Entwicklung zu hetzen versuchten, die in Deutschland seit 12 Jahren zu einem solchen Niedergang geführt hat. Es ist ganz klar, daß die verräterische Politik der Sozialdemokratie kleinbürgerliche Millionenmassen daran hinderte, sich direkt ins Lager des wirklichen Marxismus, zur KPD, zu entwickeln, weil der Marxismus durch die unmarxistische und klassenverräterische Politik der Sozialdemokratie in den Augen von Millionen der Werktätigen diskreditiert wurde. Deswegen wurden viele Millionen Werktätiger die Opfer der skrupellosen, sozialen und nationalen Demagogie des Faschismus. Diese Massen kamen mit großem Enthusiasmus und mit riesigen Erwartungen zur Hitler-Partei, sie glaubten infolge der demagogischen Agitation, mit der die Hitler-Partei ihnen das Blaue vom Himmel versprach, daß durch die Politik und das Auftreten dieser Partei die Verhältnisse in Deutschland tatsächlich geändert werden. Der Widerspruch zwischen den Versprechungen der Hitler-Partei und ihrer jetzigen wirklichen Tätigkeit, der Widerspruch zwischen ihrer Politik in der Agitation und ihrer Politik in der Wirklichkeit mußte natürlich auch in ihren eigenen Reihen eine verheerende Wirkung ausüben.

Nehmen wir die Entwicklung der politischen Tätigkeit der faschistischen Partei seit dem 14. September. Ihre Wahlversprechungen, alle ihre Agitationsphrasen wurden schon unmittelbar nach dem 14. September über Bord geworfen. Sie kennt nur noch eine Sehnsucht: Ministersessel in der Republik des heutigen Young-Deutschland. Im Parlament stimmt sie gegen alle kommunistischen Anträge, deren Annahme zwar in der Linie ihrer eigenen Agitationsversprechungen, aber im Widerspruch zur wirklichen Politik des Finanzkapitals liegen würde. Wir beantragten die Einstellung der Young-Zahlungen. Die Nationalsozialisten, diese angeblichen “Kämpfer” gegen den Young-Plan, stimmten gegen unseren Antrag. Ja, einer ihrer Führer in der Reichstagsfraktion wagte es sogar, in ihrem Zentralorgan die Behauptung aufzustellen, daß unser Antrag ein irrsinniger Antrag sei. Wir beantragten den Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund. Die Nationalsozialisten wagen es nicht, für diesen Antrag zu stimmen. Als die Kommunisten eine Millionärsteuer beantragten, der die Nationalsozialistische Arbeiterpartei, nach ihrem äußeren Firmenschild gesehen, unbedingt hätte zustimmen müssen, war es diese Nationalsozialistische “Arbeiterpartei”, die mit Schimpf und Schande diesen Antrag der Millionärsteuer niederstimmte.

Diese Beispiele ließen sich beliebig vermehren. Es ist selbstverständlich, daß eine solche politische Prostitution einer Partei unter ihren Anhängermassen nicht ohne tiefste, schwerste Auswirkungen bleiben kann.

Wir kennen zwar das innere Leben dieser Partei nicht vollständig. Aber nach den Materialien und Zuschriften, die wir kennen, besonders nach dem Übertritt Scheringers zu unserer Partei[5] und den Vorfällen in Hamburg, dem heimtückischen Mord an unserem, Genossen Henning, sieht es in den SA-Abteilungen, den militärischen Wehrformationen dieser Partei, grauenhaft aus. Genossen, es kommt aber noch etwas anderes hinzu, das ist das Fehlen jeder positiven Note in der Politik der Nationalsozialisten. Sie haben nicht einmal erreicht, daß sie Ministersessel in der Reichsregierung bekamen. Es ist ihnen vorübergehend am 14. September gelungen, in Braunschweig und Thüringen einzudringen, wo ihre Tätigkeit in der Regierung aber bereits wieder bedroht ist. Ihre ganze “Bravheit”, ihr ganzes lammfrommes Auftreten vom Standpunkt der Kapitalisten, bei gleichzeitigem Mordterror gegenüber den Kommunisten, hat ihnen nichts genützt, hat nicht bewirkt, daß der Kapitalismus dazu überging, sie in die Reichsregierung hineinzunehmen. Ihre ganzen knechtseligen Manöver gegenüber dem Ausland, Hitlers verschiedene Presseäußerungen, in England, Frankreich und Amerika, die eine schamlose Anbiederung an die dortigen Imperialisten darstellen - alles hat nichts genützt, um die erwünschten Regierungspositionen zu bringen.

Die zweite Frage, die wir stellen müssen, ist die: Ein großer Teil der Mittelständler unter den Anhängern der Nationalsozialistischen Partei sieht sich heute in seinen Hoffnungen betrogen. Es versteht jeder von uns, daß besonders diese unruhigen, radikalisierten Kleinbürger von dieser Partei etwas verlangen. Weil die Nationalsozialistische Partei glaubte, es übe eine psychologische Wirkung auf ihre Anhängerschaft aus, versuchte sie als letzte Ausflucht das Manöver mit dem Auszug aus dem Reichstag. Eine solche Aktion, aus dem Reichstag hinauszugehen, könnte nur dann Sinn haben, wenn eine Partei das Herausgehen aus dem Reichstag mit einem aufrüttelnden Auftakt für eine große außenparlamentarische Massenaktion verbindet. Aber was tut die Nazi-Partei? Bei den Nationalsozialisten war es ein klägliches, verzweifeltes, theatralisches Rückzugsmanöver. Nicht einmal in ihren eigenen Reihen und in ihrer Propaganda war nach ihrem feigen Auszuge aus dem Reichstage eine Mobilisierung sichtbar. Wir haben von Anfang an mit Recht gesagt, daß diese Flucht der Nationalsozialisten aus dem Reichstage, weil ihre Politik sie in eine völlige Sackgasse gebracht hat, ein Sichdrücken war vor den Anträgen, die von uns in der Linie des Kampfes gegen das Young-System und Young-Deutschland gestellt wurden. Das bedeutet, daß sie weiter fürchteten, sich vor ihren eigenen Anhängern entlarven zu müssen, die ihnen am 14. September die Stimme gegeben haben. Es ist deshalb auch heute schon offenes Geheimnis, daß die Nationalsozialisten demnächst wieder sang- und klanglos im Reichstag auftauchen werden. Lediglich die Vertagung bis zum Herbst erspart ihnen schon jetzt die politische Blamage.

Auf der Grundlage dieser politischen Diskreditierung ergab sich die innere Rebellion und Zersetzung unter der nationalsozialistischen Anhängerschaft, die heute schon zu einer Stagnation, zum Beginn eines Abflauens der faschistischen Welle geführt hat.

Wenn gerade jetzt die Faschisten auf dem Gebiet des individuellen Terrors eine verstärkte Aktivität entfalten, so bedeutet das zwar einerseits, daß sie ihre Funktion als außerparlamentarische Schutzgarde und Stoßtrupp des Finanzkapitals gegen die revolutionäre Arbeiterbewegung erfüllen, andererseits entspricht auch diese forcierte Aktivität ihrer schwierigen Lage. Durch diesen Mordterror wurden manchmal auch in unsere Reihen gewisse Stimmungen der Depression gebracht. Aber andererseits bringt ihnen diese forcierte Aktivität auch in ihren eigenen Reihen Schwierigkeiten, die Schüsse der faschistischen Meuchelmörder auf Kommunisten und revolutionäre Arbeiter, auch auf sozialdemokratische Anhänger, das sind gegenwärtig nicht Vorpostengefechte einer zum Angriff schreitenden Armee, sondern die sinnlosen und zum Teil verzweifelten Knallereien eines zurückflutenden, in den Rückzug gedrängten Heerhaufens.

Und die weitere wichtige Tatsache ist, daß der Fall Scheringer, der Übertritt dieses ehemaligen nationalsozialistischen Reichswehroffiziers zur KPD, in den militärischen Formationen der SA-Abteilungen große Verwirrung angerichtet hat, was ja naheliegt. Ein Mensch, den sie wochen- und monatelang gefeiert haben, ist jetzt mit einer ernsten politischen Erklärung zur Kommunistischen Partei übergetreten. So werden sie durch diesen besonderen Fall aufmerksam und denken über die Fragen der kommunistischen Befreiungspolitik und die heuchlerische Phrase des sogenannten “Dritten Reiches” nach, beschäftigen sich mehr als bisher mit unserer revolutionären Politik und diskutieren über diese entscheidenden Fragen.

Es ist klar, daß wir unseren erfolgreichen Kampf gegen den Nationalsozialismus und um die Eroberung seiner werktätigen Anhänger für die revolutionäre Klassenfront mit aller Entschiedenheit fortsetzen müssen, weil das die Voraussetzung dafür ist, daß sich die Krise im faschistischen Lager verschärft und voll entfaltet.

Und nun zur Sozialdemokratie. Ich habe bereits vorhin einige Bemerkungen über den Zusammenhang zwischen unserem antifaschistischen Massenkampf und der proletarischen Einheitsfrontpolitik gegenüber den sozialdemokratischen Arbeitern mit der prinzipiellen Verschärfung unserer erfolgreichen Bekämpfung des Sozialfaschismus gemacht. Selbstverständlich muß bei unserer methodischen Arbeit in der Linie unserer großen Hauptaufgabe der Eroberung der Mehrheit des Proletariats unsere Hauptstoßkraft auf die Gewinnung der sozialdemokratischen Arbeiter gerichtet werden. Natürlich wäre es eine falsche Fragestellung, wenn wir dabei das Schwergewicht unserer strategischen Massenarbeit auf die Eroberung und Gewinnung der Unorganisierten irgendwie abschwächen würden. Das Hauptreservoir in den proletarischen Massen bilden heute schon rein zahlenmäßig gesehen zweifelsohne die Unorganisierten. Aber in Anbetracht der ungeheuren ideologischen und organisierenden Macht, die die Sozialdemokratische Partei, die unter ihrem Einfluß stehenden Massenorganisationen und die reformistischen Gewerkschaften mit ihren ungefähr 5 Millionen gewerkschaftlich organisierten Arbeitern noch haben, müssen wir alles versuchen, die antifaschistische Massenfront und’ besonders auch durch diese Arbeit weit mehr zu erweitern. Das ist heute um so entscheidender, als sich gerade im Lager der Sozialdemokratie auch ein innerer sozialer Vorgang widerspiegelt. Wir brauchen nur an England zu denken. Der englische Imperialismus, der der englischen Arbeiterklasse früher noch von den aus den Kolonien herausgeschundenen Kolonialprofiten Vergünstigungen geben konnte, ist heute durch die Verschärfung der Lage in England und durch die Vertiefung der ökonomischen Krise nicht mehr in dem Maße dazu in der Lage. Die arbeiteraristokratische Basis wird dadurch auch in der Labour Party sich verengern. In Deutschland vollzieht sich dieser Prozeß noch viel schneller. Bei uns steht bei den letzten Lohnkämpfen nicht mehr die besondere Bevorzugung qualifizierter Arbeiter vor den unqualifizierten und ungelernten Arbeitern, wie es früher des öfteren der Fall war.

Die Rolle des Zentrums in Deutschland und der christlichen Gewerkschaften unter der Führung Stegerwalds bei den Lohnstreitfragen lag schon auf diesem Gebiet. Daß das Zentrum die führende Rolle der Bourgeoisie in der Regierung übernommen hatte, war nicht nur eine Frage seiner Machtpositionen innerhalb des Finanzkapitals, sondern war auch eine Frage soziologischer Zusammenhänge. Es ist eine alte Tatsache, daß der größte Teil der Zentrumsarbeiter besonders in den industriellen Gebieten des Westens unqualifizierte Arbeiter sind, die besonders in den christlichen Gewerkschaften organisiert sind. Die letzten Schiedssprüche, gefordert von der Brüning-Regierung und den Industriellen, zeigten diesen schärferen Lohnraub, besonders an den qualifizierten Arbeitern. Die arbeiteraristokratische Basis des Reformismus im Lager der Sozialdemokratie verengert sich dadurch natürlich auch immer mehr und mehr. Wenn wir unsere Hauptstoßkraft auf die Gewinnung der sozialdemokratischen Arbeiter und ihrer Anhänger richten, so deswegen, weil dort große Mengen von Arbeitern vorhanden sind, die ein bestimmtes, wenn auch unklares Klassenbewußtsein repräsentieren und die deshalb ein besonders wichtiges Reservoir für die revolutionäre Klassenfront darstellen. Selbstverständlich bedeutet das keine Vernachlässigung der politischen Arbeit unter den Unorganisierten, besonders nicht bei der RGO-Arbeit, für die die Gewinnung aller Arbeiter, der organisierten und unorganisierten, der christlichen und auch nationalsozialistischen Arbeiter von tiefster Bedeutung ist.

Stellen wir die Frage einfach, primitiv und doch klar. Was haben wir für große Möglichkeiten? Nicht nur die Vertiefung der Krise des Kapitalismus, nicht nur der grandiose Aufstieg des Sozialismus in der Sowjetunion als die entscheidende ideologische Säule hilft uns, sondern die hilflose Politik verbunden mit der theoretischen Krise in der Sozialdemokratie und in der II. Internationale stärkt unser Auftreten und unsere Autorität. Bei der methodischen Verstärkung unserer Massenarbeit in der Sozialdemokratie und bei Verschärfung unseres prinzipiellen Kampfes gegen die Politik der Sozialdemokratischen Partei muß sich der Zersetzungsprozeß in den inneren Reihen der Sozialdemokratischen Partei wesentlich verschärfen.

Ich denke, es ist heute leicht und kein Kunststück mehr, den theoretischen Bankrott der II. Internationale und der deutschen Sozialdemokratie klarzustellen. Wir brauchen uns nur an die Tatsachen zu erinnern, welche neuen “Theorien” die Sozialdemokratie im Laufe der letzten Jahre an Stelle des Marxismus erfunden hatte und was davon übrig geblieben ist. Nehmen wir z. B. eine Tatsache. Wie sah die sozialdemokratische “Theorie” aus? In Deutschland war der Grundgedanke der sozialdemokratischen Theorie der letzten Jahre die theoretische Orientierung von Hilferding auf dem Kieler Parteitag der SPD 1927. Damals erklärte Hilferding: "Wir befinden uns in einer Transformationsperiode, in einer Zeit des friedlichen Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus." Er begründet bekanntlich diese These mit den Feststellungen über den "organisierten Kapitalismus". Er formulierte die Aufgaben der Arbeiterklasse in der ganzen Transformationsperiode mit dem Satz:

Unserer Generation ist die Aufgabe gestellt, mit Hilfe des Staates die Regelung der kapitalistischen Wirtschaft zu organisieren und die kapitalistisch organisierte und geleitete Wirtschaft umzuwandeln in die von dem sozialistischen Staat geleitete Wirtschaft. Das bedeutet nichts anderes, als daß unserer Generation das Problem des Sozialismus gestellt wird.

Genossen, diese ökonomische Fragestellung zwang natürlich die Sozialdemokratie dazu, auch die Aufgaben in der Partei und besonders in den Gewerkschaften in dieser Linie zu präzisieren. Es hieß dann weiter, der "organisierte Kapitalismus" beseitige allmählich die Anarchie des Kapitalismus der freien Wirtschaft. Den Beweis dafür lieferten die Vereinigten Staaten Amerikas mit ihrer konjunkturellen Prosperität.

In der sozialen Fragestellung dieser Theorie behauptete Hilferding, die Lage der Arbeiterklasse verbessert sich allmählich schon in der Transformationsperiode, im Zusammenhang mit der riesenhaften Konzentration des Kapitals und der Hebung der Arbeitsleistung. Als Vorbild für die Arbeiterklasse der ganzen Welt diene die gute materielle Lage des amerikanischen Proletariats, nicht aber die Lage der russischen Arbeiter. Das Marxsche allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation, wonach die "Akkumulation des Kapitals der Akkumulation des Elends entspricht", sei nicht mehr stichhaltig und von der Geschichte des Kapitalismus längst widerlegt.

Die kapitalistische Rationalisierung müsse von der Arbeiterklasse unterstützt werden, da sie letzten Endes auch der Arbeiterschaft Nutzen bringe. Ja noch mehr, als zentrale Aufgabe der Gewerkschaftsorganisationen und des ADGB in der Transformationsperiode wurde die rasche und planmäßige Durchführung der Rationalisierung gestellt. Die Lohntheorie von Marx wurde durch die Theorie der Nützlichkeit der hohen Löhne für die Kapitalisten, durch die sogenannte Tarnowsche Lohntheorie in Deutschland ersetzt. Die Kapitalisten hätten gemeinsam mit den Arbeitern ein Interesse; die Löhne zu erhöhen, um den Absatzmarkt für ihre Waren zu erweitern. Die hohen Löhne sind zugleich ein krisenmildernder Faktor. Und zuletzt die Frage der Wirtschaftsdemokratie, die Mitverwaltung der “Vertreter der Arbeiter” an der kapitalistischen Wirtschaft, von der die Sozialdemokraten behaupten, das sei der Weg zum Sozialismus.

Genossen, die ökonomische und die sozialpolitische Fragestellung mußte zugleich einen politischen Untergrund haben. Deshalb versucht die Sozialdemokratie, an Stelle der Auffassung von Marx und Engels über den kapitalistischen Staat als ein "Ausführungsorgan der Ausbeuterklasse zur Unterdrückung der Ausgebeuteten" (Engels) der Arbeiterklasse einzureden, daß der demokratische Staatsapparat nicht zerschlagen werden dürfe, sondern ausgestaltet und auf dem Wege des Parlamentarismus für die Arbeiterklasse erobert werden müsse, wodurch die Losung: “Heran an den Staat” Geltung bekam.

Hilferding sagte dann auf dem Magdeburger Parteitag der Sozialdemokratie 1929 noch folgendes: "Der Parlamentarismus sei der einzige Weg, der die Arbeiterklasse zur Eroberung der Staatsmacht und zur Verwirklichung des Sozialismus führt" (wodurch auch die Koalitionspolitik im allgemeinen verteidigt und unterstützt wurde). "Die Arbeiterklasse hat deshalb das höchste Interesse an der Erhaltung des Parlamentarismus, auch durch zeitweilige Opfer, wie groß sie auch sein mögen." Das ist nur das weitere Ergebnis jener Theorie, wie sie durch Hilferding in Kiel verteidigt und vertreten würde.

Ich brauche hier nicht viel davon zu sagen, was von dieser Theorie übrig geblieben. Die theoretischen Grundsätze der SPD sind durch das gegenwärtige Bild der Weltkrise, insbesondere durch die Lage der amerikanischen Wirtschaft und der Arbeiterschaft völlig zusammengebrochen. Einen größeren theoretischen Bankrott wie durch diese Tatsachen konnten sie nicht erleben. Die Ergebnisse der kapitalistischen Rationalisierung in Deutschland sind der Arbeiterklasse zur Genüge bekannt: Wohlstand für Millionen wurde versprochen, in der Tat Massennot und Millionenerwerbslosigkeit! Das Tempo der Ausbeutung sollte verringert werden, es wurde gesteigert! Anstatt Milderung der Krise durch die kapitalistische Rationalisierung ‑ Verschärfung der Krise! Die Tarnowsche Lohntheorie ist vergessen, in ihren theoretischen Organen erwähnen sie mit keiner Silbe mehr, daß hohe Löhne die Wirtschaft ankurbeln. Durch die tiefe Krise des Parlamentarismus erkennen heute große Teile der Arbeiter in den Reihen der SPD, daß die Koalitionsregierungen, die der Arbeiterklasse Vorteile bringen sollten, in Wirklichkeit Schrittmacher des Faschismus waren und sind.

Auch durch alle diese Tatsachen ist es für uns sehr leicht möglich, an Kreise der SPD-Arbeiter heranzukommen. Genossen, Ende Mai findet in Leipzig der Parteitag der Sozialdemokratie statt. In Kiel stellte Hilferding die Theorie des "organisierten Kapitalismus" auf, in Leipzig wird als erster Punkt der Tagesordnung der Theoretiker des ADGB, Tarnow, über das Thema "Die kapitalistische Wirtschaftsanarchie und die Arbeiterklasse" sprechen. Also in Kiel noch "Organisierter Kapitalismus" und hier schon "Kapitalistische Wirtschaftsanarchie". Innerhalb von vier Jahren ist das theoretische Gebäude der Sozialdemokratie zusammengebrochen und zertrümmert. Diese ganze theoretische Krise der deutschen Sozialdemokratie spiegelt sich natürlich noch viel schärfer in der II. Internationale wider.

Die ganze theoretische Krise der II. Internationale, ihre ideologische Fäulnis und ihr konterrevolutionärer Sumpf äußern sich am deutlichsten in ihrer Stellung zur Sowjetunion. Nehmen wir z. B. Herrn Kautsky. Dieser Greis, der selbst von seinen eigenen Freunden in der Sozialdemokratie nicht mehr ernst genommen wird, wagte es, vor einigen Monaten ein Buch herauszugeben "Der Bolschewismus in der Sackgasse". Das Buch Kautskys ist ein einziges Dokument der antibolschewistischen Kriegshetze im Dienste der Imperialisten. Kautsky ist so schamlos, daß selbst solche geschworenen Feinde des Proletariats und Konterrevolutionäre, die nicht ein Stück besser sind als Kautsky, wie die Menschewistenführer Dan und Abramowitsch, aus demagogischen Gründen gezwungen sind, von Kautsky abzurücken. Diese Tatsache ist nur zurückzuführen auf die überzeugende gewaltige Wirkung, die die Entwicklung des grandiosen sozialistischen Aufbaus in der Sowjetunion auf die Stimmung der sozialdemokratischen Arbeiterkreise hat. Ich will zur Erheiterung des Plenums einige Sätze aus einem Artikel von Kautsky zitieren, mit dem er auf die Kritik dieser Menschewiki in der Januarnummer der "Gesellschaft" eine Antwort gegeben hat. Kautsky schreibt:

Ist es möglich, daß an Stelle der Hölle, die das jetzige Sowjetrußland darstellt, noch etwas Schlimmeres kommt? Kann ein Sturz der Diktatur etwas anderes bringen als eine Milderung der Hölle, zumindest vermehrte Bewegungsfreiheit? Für meine Phantasie ist es nicht möglich, etwas Furchtbareres zu ersinnen als den heutigen Zustand Sowjetrußlands.

Aber, Genossen, diese schwachsinnigen Albernheiten sind noch nicht der Höhepunkt. In dem neueren Märzheft der "Gesellschaft", das wir jetzt aus Deutschland mitbrachten, versuchte der Kriegshetzer Kautsky in einer Vorrede zur englischen und französischen Ausgabe seines antibolschewistischen Buches, seine Formen des Kampfes gegen die Sowjetunion noch demagogisch um zwei bis drei Grade zu steigern. Diese Vorrede ist noch kindischer als das ganze Buch. Er knöpft sich nämlich hier den Fünfjahrplan vor. Es ist mehr als grotesk, wie sich Kautsky nunmehr als “Lehrmeister” der Sowjetmacht aufspielt und sich erfrecht und erdreistet, unseren russischen Freunden und unserm Genossen Stalin gute Ratschläge zu geben, wie sie den Fünfjahrplan besser hätten einrichten können. Nach seiner Meinung haben die Bolschewiki nämlich den zweiten Band des “Kapital” vergessen (Heiterkeit). Deshalb, weil die Bolschewiki nicht rechtzeitig mit Kautsky Rücksprache genommen und seinen Rat eingeholt haben, kann auch der Fünfjahrplan nicht gelingen. Daß er vom Ende der Sowjetunion spricht und daß seine tiefen pessimistischen Bedenken auch hier zum Ausdruck kommen, ist allgemein verständlich. Und er fährt fort:

Nicht mit Triumph und Schadenfreude mache ich diese Feststellung, sondern mit tiefer Betrübnis. [...] Es ist nicht das erstemal, daß es mich mit Bedauern erfüllt, konstatieren zu müssen, die Methoden des russischen Kommunismus müßten das Gegenteil dessen erreichen, was sie versprachen. Wie gern hätte ich geglaubt, es sei möglich! Wie gern mich davon überzeugen lassen. [...] Wenn auch zweifelnd, betrachtete ich doch die ersten Schritte der Bolschewiki mit wohlwollender Erwartung. [...] Immer deutlicher sah ich zu meinem Schmerz, daß die Bolschewiki die Situation völlig verkannten.

Kautsky fängt an zu weinen, weil es hier in der Sowjetunion klappt. Er kann sich bestimmt nicht freuen, wenn die Entwicklung zum Sozialismus vorwärts geht. Er wendet sich sodann gegen die sozialdemokratischen Arbeiter, weil sie mit seiner Kriegshetze nicht einverstanden sind. Er macht ihnen Vorwürfe:

Sie konnten sich nicht - und können es vielfach bis heute nicht - dazu entschließen, meiner Auffassung beizupflichten, daß die tatsächlichen Funktionen, wenn auch nicht die Absichten der Bolschewiki, gegenrevolutionär geworden sind.

Genossen, ich könnte aus dieser Vorrede noch eine ganze Reihe von Zitaten anführen, aber ich will euch nur mitteilen, daß nach Kautsky die Bolschewiki schlimmer sind als die Kapitalisten, daß der Zusammenbruch Sowjetrußlands naht und daß Lenin zwar bis 1917 ein ganz vernünftiger Mensch gewesen ist, aber dann, als er an die Macht kam, diese, wie Kautsky sagt, "schwindelerregende Schicksalswendung" ihm den Kopf verdrehte. Das einzige, was ich noch zitieren will, ist ein Satz des Herrn Kautsky, den wir alle voll unterstützen können: "Wohl sagte ich mir: Wenn Lenin recht hat, dann ist meine ganze Lebensarbeit umsonst gewesen." (Heiterkeit.) Genossen, wir wissen es ja, die Geschichte hat längst entschieden, daß Lenin nicht nur recht hatte, sondern daß sein Erbe, der sozialistische Aufbau in der Sowjetunion, sich mit solchen Riesenschritten vollzieht, daß sogar die Weltbourgeoisie vor dieser Entwicklung zu zittern beginnt. An der Verwirklichung des Fünfjahrplanes zweifelt heute niemand mehr, nicht einmal mehr die Weltbourgeoisie und ebenfalls auch nicht mehr die Sozialdemokratie. Es ist eine Tatsache, daß sich Kautsky mit seiner Vorrede selbst das Todesurteil geschrieben hat. (Sehr richtig.)

Ich komme nun zur Frage der Gärung innerhalb der Sozialdemokratie, die gerade in den letzten Wochen besondere Fortschritte gemacht hat. Der konterrevolutionären Versumpfung der sozialdemokratischen Führer steht eine wachsende Radikalisierung der sozialdemokratischen Arbeitermassen gegenüber. In Deutschland sind auf diesem Gebiet verschiedene interessante Tatsachen zu verzeichnen. Da ist die Teilnahme der sozialdemokratischen Arbeiter und Anhänger, auch schon der Funktionäre, an verschiedenen Wirtschaftskämpfen in der letzten Zeit, Seite an Seite mit den Kommunisten und der, RGO gegen den Streikbruch und den Verrat ihrer eigenen Führer. Die zweite Tatsache ist die ansteigende Welle und der Kampfeswille der sozialdemokratischen Arbeitermassen zum Kampf gegen den Mordfaschismus. In kleineren Orten ist es nichts Neues mehr, daß Abteilungen von Sozialdemokraten mit unseren Genossen und den Mitgliedern des Kampfbundes gegen die Mordtaten der Faschisten kämpfen. In Großstädten haben wir solche Vorgänge, daß Abteilungen der Sozialdemokratie und auch kleinere Formationen des Reichsbanners mit uns gemeinsam an Demonstrationen teilnehmen, und sogar bei Aktionen gegen den Nationalsozialismus mit unseren Genossen gemeinsam kämpften. So können wir die Tatsache feststellen, daß unsere strategisch-politische Wendung gegen den Faschismus eine große politische Belebung und Aktivität in die Millionenmassen gebracht hat, von der die sozialdemokratischen Arbeiter nicht unberührt blieben.

Eine dritte Tatsache sind die ersten organisatorischen Formen von Gruppenbildungen in der Sozialdemokratischen Partei, wobei weniger die Frage der früheren “linken” Sozialdemokraten steht. Es bilden sich vielmehr in allen Teilen Deutschlands Arbeitergruppierungen gegen alle führenden Leute in der SPD und im ADGB. Ich verweise besonders auf die Vorgänge in der SAJ, die viel kritischer und tiefer sind, als die Gärung und Rebellion in der Sozialdemokratie selbst. Bei diesen Vorgängen können wir von einer tiefen Krise und von einer gebietsweisen Liquidierung der SAJ in Deutschland sprechen. Interessant für das gesamte Plenum ist die Tatsache, daß die proletarische Jugend sich viel schneller und rebellischer gegen die konterrevolutionäre Führung entwickelt, als es in den jahrzehntelang organisierten Kreisen der Sozialdemokratischen Partei und der Gewerkschaften der Fall ist. Ich glaube dabei, Genossen, daß die tiefe Krise in der SAJ auch ihre Wirkung auf die älteren sozialdemokratischen Arbeiter hat, die doch, ob sie Respekt vor der Jugend haben oder nicht, immerhin gezwungen sind, sich diese Denkart und die Handlungen der Jugendlichen erklären zu müssen.

Die Vorgänge im Reichstag, wo durch den Auszug der Nationalsozialisten eine kommunistisch-sozialdemokratische Mehrheit im Parlament entstand, gaben uns den Anlaß, durch unsere verschiedenen Maßnahmen die Sozialdemokratie als konterrevolutionäre Partei, die heute die Entwicklung zur Durchführung der faschistischen Diktatur bedingungslos unterstützt, aufzuzeigen. Wir haben sie dort Farbe bekennen lassen und weiter entlarvt und öffentlich bekämpft. Ich erinnere nur an unsere Anträge in verschiedenen ernsten Fragen, wie zum Beispiel unsere Anträge zur Millionärsteuer, wo vorher die Sozialdemokratie propagandistisch in ganz Deutschland Gelegenheit nahm, gegen die Nazis zu agitieren, nach dem 14. September zunächst dafür, jetzt aber dagegen gestimmt hat. Wir stellten den Antrag auf Einstellung der Polizeizuschüsse für die faschistischen Regierungen in Thüringen und Braunschweig. Und zuletzt noch den Antrag, den 1. Mai als gesetzlichen Feiertag im Reichsmaßstabe zu verkünden und durchzusetzen. Die Sozialdemokratie stimmte hier ganz offen gegen eine jahrzehntelange Tradition, den 1. Mai als gesetzlichen Feiertag durchzusetzen. Wir stellten viele andere, die Arbeiterklasse und die Werktätigen interessierenden Anträge zur Abstimmung im Parlament. Ihre Ablehnung mit Hilfe der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion brachte die größte Verwirrung in die Reihen der SPD.

Die größte Verwirrung aber trat in den Reihen der sozialdemokratischen Arbeiter ein durch die Stellung der SPD zum Panzerkreuzerbau. Es ist allgemein bekannt, daß die pazifistische Ideologie auch in den Kreisen der Sozialdemokratie eine scharfe Frontstellung in der Frage der Stellung zum Wehretat und Bewilligung von Panzerkreuzern usw. im Laufe von Jahren entwickelte. Die Tatsache, daß z. B. im Reichstag neun sogenannte “linke” Sozialdemokraten beim Panzerkreuzer B für unseren Antrag und gegen die große Mehrheit der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion stimmten, hat immerhin eine symptomatische Bedeutung.

Der Konflikt, der entstanden ist zwischen Parteivorstand und den sogenannten Disziplinbrechern in der Fraktion, hat vorerst keine organisatorischen Konsequenzen gezeitigt, weil jedenfalls die Schwierigkeiten in den Reihen der sozialdemokratischen Mitglieder zu groß sind, daß der Parteivorstand selbst vor organisatorischen Maßnahmen in diesem Moment zurückschreckte. So beschloß der Parteivorstand, diese Angelegenheit bis zum Leipziger Parteitag zu vertagen, der Ende Mai stattfindet. Die Hauptgefahr vom Standpunkt der proletarischen Revolution wäre jetzt die Bildung einer zentristischen Organisation, auf die die Brandlerleute spekulieren. Diese Gefahr besteht in Deutschland keineswegs in diesem Umfange. Unsere Aufgabe ist es, die schärfste Entlarvung und entschiedenste Bekämpfung aller zentristischen Strömungen in der SPD und in den reformistischen Gewerkschaften, besonders aber die “linken” SPD-Führer, als die gefährlichsten Feinde innerhalb der SPD zu entlarven und zu kennzeichnen. Selbst, wenn es diese Neun wagen sollten und es ihnen gelingen würde, eine eigene Fraktion im Reichstage zu bilden, werden sie große Schwierigkeiten haben, eine zentristische Organisation auf die Beine zu bringen. Eine zentristische Organisation mit Massenanhang wäre bei der Verschärfung der Krise und der Klassengegensätze in Deutschland jetzt nicht denkbar. Schon die kleinen Organisationchen und Gruppen, wie die Brandleristen und die Urbahns- und Ruth-Fischer-Leute sie planten, wurden zwischen beiden Parteien der Sozialdemokratie und der Kommunistischen Partei zermalmt und aufgerieben. Heute, wo die Klassengegensätze in der allgemeinen Zuspitzung der Klassensituation viel schärfer sind, ist für die Bildung einer zentristischen Organisation kein Raum und kein Boden in der Entwicklung. Natürlich schließt das nicht aus, daß kleine Absplitterungen und Abspaltungen an einigen Stellen vorkommen können und sogar wahrscheinlich sind. Wir glauben, daß die Träume der Brandleristen, die hoffen, daß eine solche Organisation entsteht, durch die revolutionären Tatsachen der Entwicklung zerschlagen werden.

Genossen, wir können heute schon sagen, was den ideologischen Prozeß innerhalb der Sozialdemokratie betrifft, daß der größte Teil der sozialdemokratischen Arbeiter den Glauben an die sozialdemokratische Parteiführung verloren hat. Wenn sie den Glauben an ihre Parteiführung ideologisch verloren haben, bedeutet das noch keineswegs, daß sie bereit sind, zur Kommunistischen Partei zu kommen. Eine zweite wichtige Tatsache, die wir sehen müssen, ist der Umstand, daß sie auch keinen Ausweg mehr darin sehen, daß die “Linken” ans Ruder kommen, weil sie in allzu vielen Fällen schon ihre eigenen Anhänger im Laufe der Entwicklung betrogen haben.

Diese Einstellung schließt auch nicht aus, daß wir die Manöver der “linken” Sozialdemokratie und der führenden Funktionäre der “Linken” weiterhin beachten und auf das schärfste bekämpfen müssen. Daß nach wie vor die “Linken” der gefährlichste Feind innerhalb der Sozialdemokratie bleiben, das besteht auch für Deutschland weiter. Für uns ist das wichtigste, daß wir versuchen müssen, viel stärker an die oppositionellen Arbeiter in der Sozialdemokratie heranzukommen. Es besteht bei ihnen eine solche Ideologie, daß sie noch immer für die Einheit ihrer Partei sind, und wenn die Frage der Spaltung steht, davor zurückschrecken, wie vor einem Gespenst. Andererseits ist ihre Radikalisierung häufig bereits so stark, daß sie innerlich schon mit der sozialfaschistischen Politik gebrochen haben.

Und nun komme ich zum entscheidenden Problem: nämlich der offensiven Stellung der Frage des Marxismus. Es ist bekannt, daß die Bourgeoisie in Deutschland im Kampfe gegen den Marxismus eine angebliche “marxistische Front” aus Kommunisten und Sozialdemokraten konstruiert, die in Wirklichkeit gar nicht besteht. Die sozialdemokratischen Führer, sind selbstverständlich die geschworenen Feinde des Marxismus. Wenn die Bourgeoisie eine solche “marxistische Front” konstruiert, so will sie den kleinbürgerlichen und auch sozialdemokratischen Anhängern damit sagen, daß die Entwicklung der letzten zwölf Jahre auf das Schuldkonto des “Marxismus” zu setzen sei. Wie gesagt: die sozialdemokratischen Führer sind geschworene Feinde des Marxismus. Anders ist es bei den sozialdemokratischen Arbeitern, die kein marxistisches Bewußtsein, keine marxistische Klarheit haben, aber gefühlsmäßig zum Marxismus stehen. Wir müssen ihnen zeigen, daß unsere Partei die einzige Partei des Marxismus, der marxistischen Front in Deutschland ist, die das Banner des Marxismus im Kampfe gegen die Bourgeoisie, gegen den Faschismus und gegen den Sozialfaschismus erhebt und auf dem marxistischen Wege die Massen zum Sozialismus führt. Unsere Aufgabe ist es, diesen Kampf überall zu verstärken. Wir haben schon große Fortschritte in letzter Zeit auf diesem Gebiete zu verzeichnen. Übertritte ganzer Ortsgruppen sind an einzelnen Stellen durchgeführt. Langjährig organisierte Funktionäre der SPD treten über in die KPD. Unsere Literatur und unser Material wird bei den SPD-Arbeitern schon viel mehr umgesetzt und gelesen. Der im Mai stattfindende Parteitag der Sozialdemokratie gibt uns neue Möglichkeiten, in den Vorbereitungswochen unsere politische Kampagne zu verstärken. Vom 15. April bis 1. Mai ist eine große Kampagne der RGO gegen die Politik des ADGB im Zusammenhang mit der reformistischen Losung des Siebenstundentages ohne Lohnausgleich. Dazu kommt die Kampagne für den 1. Mai. Diese Tatsache gibt uns wieder die Möglichkeit, auch die anderen Fragen zu überprüfen und konkrete Vorschläge in der Kampagne zu machen. All dieses beschleunigt die innere Gärung und stärkt die Voraussetzungen einer revolutionären Krise, hilft mit im antifaschistischen und revolutionären Kampf, an der strategischen Lösung der Frage der Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse für die Durchführung revolutionärer Massenaktionen zum Sturze der Bourgeoisie.

*

Genossen, ich komme jetzt zur Frage eines der wichtigsten Transmissionsriemens unserer Massenarbeit, zur Frage der RGO. Wir haben in der letzten Sitzung des Zentralkomitees der KPD die Frage so gestellt, daß die zentrale Tagesaufgabe der Partei die Organisierung und Politisierung der Revolutionären Gewerkschaftsopposition ist. Der Aufgabe, die wir der RGO stellen, stehen große Widerstände und Schranken entgegen. Wir haben reformistische Gewerkschaften in Deutschland seit ungefähr 60 Jahren. Es ist klar, daß sich solche Traditionen nicht so leicht beseitigen lassen. Der ADGB hat heute noch annähernd 5 Millionen Mitglieder in seinen Reihen. Dazu kommen die christlichen Gewerkschaften und die Angestelltenverbände. Die Arbeit unter diesen etwa 7 Millionen ist ungeheuer wichtig für uns, weil sie, wenn sie die Handlungen ihrer konterrevolutionärer Führer weiter dulden, einen gefährlichen Damm für die Arbeit der RGO bei der Vorbereitung und selbständigen Führung der Lohnkämpfe gegen die weitere Kapitalsoffensive bilden.

Die Frage der Wirtschaftskämpfe, der Streiks, steht im Mittelpunkt unserer Arbeit. Geht man von dieser Tatsache aus, so bedeutete der Ruhrkampf im Januar ein neues Bild. Würde man den Ruhrkampf abstrakt und oberflächlich betrachten, so könnte man vielleicht zu der naiven und falschen Auffassung kommen, daß er eine Niederlage des Proletariats bedeutete. Aber wenn man die objektiven und subjektiven Faktoren richtig analysiert, so muß man feststellen, daß er einen kühnen Fortschritt in der Frage der revolutionären Organisierung und selbständigen Führung von Wirtschaftskämpfen darstellt.

Was ist das Neue am Ruhrkampf? Es besteht darin, daß wir selbständig den Kampf ausgelöst und die Massen herausgeführt haben, obwohl die reformistische und christliche Gewerkschaftsbürokratie von vornherein mit allen Mitteln gegen den Streik war. Weiter sehen wir eine offensive Taktik, die darin zum Ausdruck kommt, daß in diesem Kampf das Gesetz des Handelns nicht vom Gegner vorgeschrieben wurde, wie in den allermeisten vorhergehenden Kämpfen, sondern daß wir es dem Unternehmer und den Reformisten vorschrieben. Hier ist ein völlig neues Verhältnis, eine neue Tatsache, daß wir schon vor Ablauf der Verhandlungen zwischen Unternehmern und Reformisten die Bergarbeiter unter Führung der RGO in den Kampf hineinführten. Diese Überrumpelungsstrategie war überraschend für den Gegner und für die Reformisten.

Haben wir mit diesem Kampf einen Erfolg erzielt? Selbstverständlich. Infolge des großen Verrats mußte man den Streik abbrechen, um die Arbeiter, die mit uns sympathisierten, wieder in die Betriebe hineinzubringen. Aber das ist für uns nicht maßgebend. Für uns ist ausschlaggebend: Wie schätzt die Arbeiterklasse den Kampf ein, war es ein Achtungserfolg für sie und für die Revolutionäre Gewerkschaftsopposition oder nicht? Es war ein gewaltiger Achtungserfolg! Die RGO wurde durch diesen Kampf populär.

Es gab natürlich in diesem Kampf große Schwächen und Fehler: Mängel in der politischen Vorbereitung, keine genügende Mobilisierung der Massen gegen den Polizeiterror, Mängel in der organisatorischen Vorbereitung des selbständigen Bergarbeiterverbandes, große Schwächen in der Oppositionsarbeit im reformistischen Verband, ungenügende Organisierung der Streikkaders, Mängel in der Herausbildung aktiver Streikführer zur Leitung des Kampfes in den verschiedenen Schächten, fast keine Solidaritätsbewegungen in den verschiedenen anderen Gebieten Deutschlands usw.

Trotz dieser kritischen Bemerkungen über die Schwächen des Kampfes darf die positive Seite nicht unterschätzt werden. Dieser Kampf eröffnet eine neue Periode in der Gewerkschaftsbewegung Deutschlands, die der höheren Aufgabenstellung der Beschlüsse des V. RGI-Kongresses gegenüber denen des IV. RGI-Kongresses entspricht.

Nun zur Frage der Parallelverbände Ich will dem heutigen Plenum eine Äußerung des Genossen Stalin in Erinnerung rufen. Genosse Stalin sagte im Präsidium des EKKI am 19. Dezember 1928 in klarer Voraussicht der Perspektive des Entstehens von roten Gewerkschaften in Amerika und Deutschland folgendes:

Aus der Tatsache, daß wir in den reformistischen Gewerkschaften arbeiten müssen, vorausgesetzt, daß diese Gewerkschaften tatsächlich Massenorganisationen sind, folgt noch keineswegs, daß wir unsere Massenarbeit auf die Tätigkeit in den reformistischen Gewerkschaften beschränken, daß wir zu Sklaven der Normen und Forderungen dieser Verbände werden sollen. Wenn die reformistische Führung mit dem Kapitalismus verwächst (siehe die Resolutionen des VI. KI-Kongresses und IV. Kongresses der RGI) und die Arbeiterklasse einen Kampf gegen den Kapitalismus führt, kann man da behaupten, daß der Kampf der von der Kommunistischen Partei geführten Arbeiterklasse ohne ein gewisses Sprengen des bestehenden reformistischen Gewerkschaftsrahmens geschehen kann? Es ist klar, daß man derartiges nicht behaupten kann, ohne einem Opportunismus zu verfallen Vollkommen denkbar wäre daher eine solche Situation, in der es notwendig werden kann, parallel Massenorganisationen der Arbeiterorganisationen zu schaffen entgegen dem Willen der sich an die Kapitalisten verkaufenden Bonzen. Eine solche Situation haben wir bereits in Amerika. Es ist durchaus möglich, daß auch in Deutschland die Entwicklung in dieser Richtung verlaufen wird.

Genossen, was Stalin damals sagte, ist schon in sehr kurzer Zeit in Deutschland eingetreten. Manche Genossen in unserer Partei versuchten, die damaligen Ausführungen des Genossen Stalin wissentlich zu diskreditieren. Wir hatten im Zentralkomitee der KPD damals Auseinandersetzungen, wobei die Versöhnler fragten: Wie steht ihr zu Stalins Äußerungen? Wir gaben damals eine bolschewistische Antwort, und das heutige Resultat unserer Arbeit ist ebenfalls eine Antwort.

Die Entwicklung der RGO, unser Kurs auf die Bildung neuer Verbände und vor allem unser energischer Kurs auf die Durchführung von Streiks ist aufs engste verbunden mit der dauernden systematischen Vertiefung unserer Arbeit in den reformistischen Gewerkschaften. Hier sind in der Oppositionsarbeit unverzeihliche Schwächen eingetreten. Im März waren 34 Prozent aller Mitglieder der reformistischen Gewerkschaften arbeitslos, 18,6 Prozent standen außerdem in Kurzarbeit. Hier haben wir die stärksten Voraussetzungen, auch innerhalb der reformistischen Gewerkschaften trotz der wütenden Ausschlußpolitik der Bürokratie unsere oppositionelle und revolutionäre Arbeit ernst und zielbewußt in Angriff zu nehmen. Wir haben hier im letzten halben Jahr einen großen Tempoverlust. Die 5‑Millionen-Armee darf unter keinen Umständen von uns isoliert und unsere Arbeit dort aufgegeben werden.

Um zu vermeiden, daß unsere roten Verbände Sektenorganisationen werden, daß wir uns in den Betrieben nicht genügend organisatorisch verankern, sind wir gezwungen, diese großen Schwächen in unserer Massenarbeit schnellstens zu beseitigen. In einer der letzten Sitzungen des Polbüros wurde die Aufgabe der Verdreifachung der Mitgliederzahl der RGO bis zum 15. Juni gestellt. Dazu wurde von der RGO ein besonderer Sturmplan ausgearbeitet.

Es gibt noch einige andere kleinere Fragen, die bei uns vernachlässigt werden, weil sie nicht zur hohen Politik gehören, weil unsere Genossen, oft auch die leitenden Genossen in den Bezirken nicht rechtzeitig verstehen, daß es sich um Fragen handelt, die im Volksleben, im Leben der Massen eine bedeutende Rolle spielen. Ich denke an solche Fragen, wie eine Hochwasserkatastrophe, wie reaktionäre Filmverbote, die großen Massenverhaftungen von Frauen wegen des Abtreibungsparagraphen 218 oder ähnliche Anlässe, aus denen sich bisweilen wirkliche Volksbewegungen in Deutschland entwickeln lassen. Hier sind unsere Genossen manchmal zu “fein”, um sich mit solchen nicht offensichtlich politischen Fragen gründlich zu befassen. Das ist ein Mangel an Masseninstinkt und auch eine Form von Sektierertum in der Partei.

Wir sind die Partei, die in jedem Moment einer Volksgärung und Erbitterung einzutreten hat, wobei wir immer alle kleinen Fragen mit den großen revolutionären Fragen in dauernder Verbindung bringen müssen.

Die entscheidenden Fehler in unserer Partei, im inneren Parteileben, sind die des rechten Opportunismus, besonders des Opportunismus in der Praxis. Hier haben wir in allererster Linie solche Erscheinungen bei Wirtschaftskämpfen und in der Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, die ein Kapitulieren vor dem Druck und der Offensive des Unternehmertums und der reformistischen Bürokratie, ein Einschwenken auf die Linie des Gewerkschaftslegalismus oder ähnliche opportunistische Schwankungen zur Folge haben. Daneben spielt eine Rolle jener rechte Opportunismus, der in einem Zurückweichen gegenüber der bürgerlichen Staatsgewalt oder gegenüber dem Mordfaschismus seinen Ausdruck findet, was bei einer weiteren Verschärfung der Klassensituation von nicht geringer Bedeutung ist. Wir haben auch gelegentliche Erscheinungen eines ideologischen Opportunismus, Zweifel an der richtigen, sieghaften, revolutionären Perspektive der Komintern, ein Nachgeben gegenüber bürgerlichen und sozialfaschistischen Einflüssen in ideologischer Hinsicht. Alle solche Erscheinungen des Opportunismus und des Sektierertums müssen selbstverständlich jederzeit schonungslos durch unseren bolschewistischen Zweifrontenkampf liquidiert werden. Es handelt sich hierbei nicht um ein System von Abweichungen, sondern nur um Einzelerscheinungen, die in der konkreten Situation bei konkreten Anlässen bald hier, bald dort auftreten. Wir können die erfreuliche Tatsache verzeichnen, daß die Konsolidierung unserer Partei soweit vorgeschritten ist, daß jeder Versuch einer Gruppenbildung innerhalb der Partei von vornherein zum Scheitern verurteilt wäre, wie es das Beispiel des Genossen Merker gezeigt hat. Aber ich möchte noch etwas mehr sagen: die große und vollständige Einheitlichkeit unserer Partei, wie wir sie in diesem Maße noch nie vorher verzeichnen konnten, ist auch ein Produkt des revolutionären Aufschwungs in Deutschland und spiegelt im Innern der Partei jenen Konsolidierungsprozeß der Klasse des Proletariats im revolutionären Lager wider, wie er sich draußen vollzieht. Alle Gruppen, die innerhalb der Partei in den vergangenen Jahren gegen die Generallinie Einwendungen erhoben oder Sturm liefen, haben sich heute vollständig vor der richtigen Politik der Partei beugen müssen und leisten dort, wo wir die einzelnen Genossen hinstellen, ihre Arbeit auf der Linie der Partei. Auch das drückt zweifelsohne den politischen Vormarsch der Partei aus.

Nun zur Frage des politischen Massenstreiks. Auf dem Weddinger Parteitag hat die deutsche Partei die Bedeutung dieser Waffe in der gegenwärtigen Periode des revolutionären Kampfes für Deutschland bereits klar umrissen. Das 10. Plenum hat es allen wichtigen kommunistischen Parteien zur Pflicht gemacht, eine großzügige Propaganda für den politischen Massenstreik zu entfalten. Wir haben einige, wenn auch ungenügende politische Massenstreiks in Deutschland zu verzeichnen gehabt. Wenn wir jedoch das Sturmjahr der ersten russischen Revolution von 1905 betrachten, in welcher grandiosen Form die verschiedenartigen Kämpfe, Demonstrationen, politische Streiks, Massenstreiks usw., sich entwickelten, und einen Vergleich mit der jetzigen Entwicklung in Deutschland ziehen, so ist gerade auf diesem Hauptgebiet ein gewaltiger Mangel vorhanden. Hier haben wir schlechte Erfahrungen.

Nun ist es klar, daß ein politischer Massenstreik nicht einfach durch eine Losung der Partei verordnet werden kann. Andererseits wäre es verhängnisvoll, wenn wir uns nur auf eine rein spontane Entstehung eines politischen Massenstreiks von großem Ausmaß verlassen wollten. Schließlich ist auch die Theorie, wie sie gelegentlich vertreten wurde, unzutreffend, wonach ein politischer Massenstreik nur aus ökonomischen Streiks hervorgehen müsse. Alle großen politischen Massenstreiks in Deutschland in der Vergangenheit entstanden aus verschiedenartigen und ganz besonders aus politischen Anlässen.

Unsere Aufgabe muß nach alldem sein, diejenigen Maßnahmen zu treffen, die die Bahn für die Entstehung und Führung großer politischer Massenstreiks freimachen. Wir müssen aus der Zeit der Propaganda in dieser Frage zur Aktion des Massenstreiks kommen überall, wo es die konkrete politische Situation erfordert.

Nach einer Überprüfung dieser Frage handelt es sich dabei vor allem um folgende Maßnahmen:

Erstens: Eine umfassende Massenpropaganda, um unter der ganzen Arbeiterklasse und den werktätigen Schichten das Verständnis für die Bedeutung dieser Waffe des revolutionären Klassenkampfes zu wecken.

Zweitens: Die Schaffung von organisatorischen Voraussetzungen, um bei geeigneten politischen oder sonstigen Anlässen die organisierende Rolle der Partei für die Auslösung, Verbreiterung und Führung des Massenstreiks wirklich erfüllen zu können. Hierzu gehört vor allem der Ausbau des revolutionären Vertrauensleutesystems in den Großbetrieben, durch das wir über den Rahmen der Betriebszelle hinaus eine genügend schlagkräftige Organisation in den Betrieben in die Hand bekommen.

Drittens: Bei der Führung der ökonomischen Kämpfe, die naturgemäß die Streikerfahrungen der Arbeiterklasse stets bereichern und insofern eine Auflockerung des Bodens für den Massenstreik darstellen, jeweils klare Herausarbeitung des politischen Charakters.

Viertens: Großzügige Popularisierung aller Streikbewegungen, insbesondere jeder politischen Streikbewegung, unter den Massen, um dadurch die Stimmung für den politischen Massenstreik zu stärken.

Und fünftens: Die klare und wachsame politische Einstellung aller Parteiorganisationen und Parteileitungen und die Notwendigkeit, das Mittel des politischen Massenstreiks zur Anwendung zu bringen, sobald sich ein geeigneter Hebel zur Auslösung eines solchen Streiks ergibt.

Genossen, diese fünf Punkte müssen von allen Parteien, besonders von der deutschen Partei, stärker beachtet werden. Sie gehören zu den Voraussetzungen für die kühne Anwendung dieser entscheidenden Waffe im Stadium der sich zuspitzenden Klassenentwicklung.

Genossen, auf dem Januarplenum unseres ZK rollten wir die Frage der Volksrevolution im Sinne von Marx und Lenin in ihrem ganzen Umfange auf. Vor der deutschen Partei steht nicht nur die Aufgabe der Eroberung der proletarischen Mehrheit, eine Aufgabe, deren Lösung wir in Deutschland immer näher kommen, sondern, was uns fehlt, ist die wirklich selbständige Führung aller Kämpfe, es fehlt jene aktive Volkspolitik, die die werktätigen Millionen gegen die Offensive der Bourgeoisie und ihre Pläne der faschistischen Orientierung anstürmen läßt. Wir müssen deswegen in unserer Politik noch einen weiteren gewaltigen Schritt tun, nämlich die werktätigen Volksschichten, die halbproletarischen Mittelschichten in Stadt und Land, an die Arbeiterklasse heranführen, die proletarische Hegemonie über diese Schichten verwirklichen. Wir haben in dieser Richtung bereits einige Schritte unternommen. Aber unsere Arbeit unter den städtischen Mittelschichten und vor allem unsere Arbeit auf dem Lande steckt leider immer noch in den Kinderschuhen. Die Frage des stärkeren Bündnisses von Stadt und Land ist heute von nicht untergeordneter Bedeutung. Ganze Gebiete von Dörfern in Deutschland stehen unter dem Einfluß des Faschismus. Unsere Agrarpolitik, unsere revolutionäre Politik unter den bäuerlichen Schichten und unter der Dorfarmut erfordert neue spezifisch bestimmte Methoden der Arbeit auf diesem Gebiet. Wir hatten in letzter Zeit mit einigen Bauernkonferenzen in Deutschland schon Erfolge. Eine langjährige, sektiererisch falsche Auffassung hat uns leider auch auf diesem Arbeitsgebiet geschwächt und zurückgeworfen. Die negative Seite, daß wir im Reichslandbund nicht arbeiten wollten, wie es leider eine ganze Zeitlang bei allen unseren Fachleuten mit einzelnen Ausnahmen propagiert wurde, das war der größte und entscheidende Fehler. Gerade in diesen reaktionären Organisationen, in der auch arme Bauern sind, dort mußten wir arbeiten, dort mußten wir hineingehen, wie wir doch auch in den reformistischen Gewerkschaften arbeiten, wo wir für unsere Politik kämpfen und ringen müssen. In welcher Richtung muß sich unsere Agrarpolitik bewegen?

Das wichtigste ist auf dem Lande eine völlige Spezialisierung unserer Arbeit. Erstens, wir müssen den Kurs der Partei viel mehr aufs Dorf ausrichten und nehmen, weil durch die Verschärfung der Agrarkrise auch auf diesem Gebiet unsere revolutionäre Politik entscheidende Stützpunkte bekommen wird, wir müssen als entscheidenden Stützpunkt die Landarbeiter gewinnen und zu Kämpfen mobilisieren. Hier entfalten wir eine Kampagne für rote Gutsräte und um die Streiks zur Verbesserung der Lohn- und Arbeitsbedingungen in den verschiedenen Gebieten. Der Sturmplan der RGO umfaßt die Schaffung von roten Landarbeiterverbänden in Ostpreußen, Schlesien, Brandenburg und Sachsen. Der zweite Punkt, auf den wir uns konzentrieren müssen, sind die Millionen Zwergbauern und Dorfarmen. Hier gibt es Landarbeiter mit Deputatland. Hier gibt es Halbproletarier, die Zwergbesitzer sind, die zeitweilig und saisonmäßig für die Industrie und in der Fabrik arbeiteten und in den Abendstunden, Sonnabend nachmittags und Sonntags der Familie helfen, ihr Land zu bearbeiten. Wir haben auch solche Zwergbesitzer, die Land haben, die durch bestimmte Pachtzinsen und Abgaben an die Gutsbesitzer immer tiefer in Not geraten, und auch einige Mittelbauern, die unter dem Druck der Agrarkrise ein Drittel bis ein Viertel aller Einkünfte und noch mehr abzugeben gezwungen sind. Es gibt ferner die Kleinbauern mit 1‑2 ha Land und schließlich auch die Siedler und Kleinpächter, die in Deutschland zu Hunderttausenden vorhanden sind, die wir auch zu dieser Gruppe der dem Proletariat nahestehenden kleinbäuerlichen Elemente rechnen können.

Die nächste Gruppe, die wir mit unserer Propaganda gleichfalls erfassen müssen, sind die Mittelbauern, die je nach der Bodenbeschaffenheit und dem Standort über 2‑20 ha Land verfügen. Heute ist in der Agrarkrise eine solche verschärfte Zuspitzung, besonders bei den verhältnismäßig noch starken individuellen Bauernwirtschaften, die wir in Deutschland haben, zu verzeichnen, daß wir ungeahnte Möglichkeiten haben, wenn unsere Partei kühner, aggressiver und reifer an diese Frage herangehen würde, um so tiefer in die Millionenmassen der Klein- und Mittelbauern einzudringen.

Und schließlich gibt es noch die Handwerker und Kleingewerbetreibenden im Dorfe, die wir gleichfalls nicht unbeachtet lassen dürfen. Es ist also um riesiges Aufgabengebiet, was sich im Kampf um die proletarische Hegemonie über alle Schichten des werktätigen Volkes vor uns auftut.

Die Kanäle, die von der Partei über die Massenorganisationen und die verschiedenartigsten Formen der Massenpolitik in alle diese Schichten des Volkes führen, werden immer vielfältiger, immer komplizierter und mannigfaltiger. Um so notwendiger ist es, daß bei diesem Wachstum der Partei und ihrer Arbeit auf den verschiedensten Gebieten, einem Wachstum in die Breite, gleichfalls niemals die klare zentrale Orientierung der Partei, der strategische Leitfaden für die Arbeit der Partei auf allen Gebieten verloren geht. Indem wir auf dem Januarplenum des ZK aussprachen, daß die Losung der Volksrevolution zur strategischen Hauptlosung für die gesamte Politik der Partei in der vor uns liegenden Periode wird, haben wir nichts anderes getan, als die Schlußfolgerung aus unserer politischen Analyse der Lage und der vor uns liegenden Entwicklung gezogen. In den Millionenmassen gärt und brodelt es. Aber diese Millionen, die den entscheidenden Schritt zum Kommunismus noch nicht mitmachen, sehen eine Lösung nur im kapitalistischen System. Deswegen ist es auch erklärlich, daß Millionen von Menschen zur Nationalsozialistischen Partei laufen konnten, weil die Nationalsozialisten ihnen vorgaukelten und versprachen, für ein sogenanntes “Drittes Reich” zu kämpfen. Was das “Dritte Reich” bedeutet, das ist heute schon viel klarer; viele der eigenen Anhänger der Nazis wurden durch die wirkliche Politik der Nazis enttäuscht und haben heute schon die Nase voll. Wenn Millionen von Menschen, die noch nicht bei uns sind, gegen das kapitalistische System schon eingestellt sind, wenn der Widerstand in den Massen ‑ zwar noch dumpf, unklar und verschwommen ‑ von Tag zu Tag stürmischer und immer elementarer gegen das kapitalistische System sich bereits Bahn bricht ‑ so steht hier für uns die entscheidende Frage, daß wir leider nicht genügend aktiv und durchdacht in der Lage waren, diesen Millionen von Werktätigen unseren revolutionären Ausweg aus der jetzigen kapitalistischen Krise ins Bewußtsein zu bringen. Aber die Massen lernen allmählich, daß es das kapitalistische System ist, das ihre Not und ihr Elend verschuldet.

Wir Kommunisten müssen unter diesen Millionenmassen das Sturmbanner der Volksrevolution gegen Faschismus, gegen kapitalistische Profitwirtschaft, gegen Young-Sklaverei und gegen die sozialfaschistische Hilfspolizei, die sich völlig in den Dienst des Faschismus gestellt hat, überall im Lande entrollen. Das Sturmbanner der Volksrevolution für ein freies sozialistisches Sowjetdeutschland! Genossen, deswegen begrüßt die deutsche Delegation es besonders, daß sowohl in der Resolution als auch im Referat des Genossen Manuilski auf der jetzigen Tagung des Plenums in glänzender Weise der große welthistorische Gegensatz der aufsteigenden Welt des Sozialismus in der Sowjetunion und der verfaulenden niedergehenden bankrotten Welt des Kapitalismus aufgerollt wird. Besonders für uns in Deutschland ist das Beispiel des heroischen sozialistischen Aufbaus in der Sowjetunion eine sprudelnde Quelle revolutionärer Kräfte für die kommunistische Bewegung. Auf der einen Seite haben wir in Deutschland mit einer wirklich schamlosen Kriegshetze der Sozialdemokratie zu rechnen. Unsere deutschen Sozialfaschisten sind ja nicht nur erprobt zu Wasser und zu Lande, im Panzerkreuzerbauen und darin, die deutschen Proleten in die Schützengräben während des imperialistischen Krieges zu jagen, sondern unsere deutschen Sozialfaschisten sind auch erprobt in der Produktion von Giftgas gegen die UdSSR und gegen den Kommunismus; wobei sie einstweilen ihre Giftgasbomben in allererster Linie gegen die Sowjetunion gewissermaßen ideologisch fabrizieren, durch die stinkenden Lügen ihrer antibolschewistischen Hetze. Auf diesem Gebiet können nicht einmal die Nationalsozialisten in Deutschland die Sozialdemokratie übertrumpfen. Ich denke hier an die Hetze wegen der angeblichen sowjetrussischen Sklavenarbeit. Genossen, wo gibt es eine wirkliche Sklavenarbeit? Richten wir diese Frage an alle Sektionen. Und beantworten wir diese Frage im Lande selbst. Im heutigen Young-Deutschland z. B. können wir nicht nur sprechen von Sklavenarbeit, sondern sogar von einem wirklichen Sklavenexport. Die Zeiten der Fremdenlegionen, wo verschiedene Staaten Soldaten liefern mußten für den französischen Imperialismus, sie kehren in veränderter und anderer Form in der jetzigen Situation in Deutschland wieder. Die Behauptung, die von amerikanischen und anderen Imperialisten der Welt aufgestellt wird, daß das Fällen von Holz und die Produktion von einigen Exportartikeln durch Sklavenarbeit in der UdSSR geleistet wird, ist die infamste Verleumdung dieser Weltbanditen. Im kapitalistischen Deutschland, im Deutschland der Brüning und Braun, der Groener und Severing, haben wir dagegen solche Tatsachen der Sklavenarbeit und des Sklavenexports zu verzeichnen. Nicht umsonst hat erst vor ganz kurzer Zeit ein Führer der deutschen Chemieindustrie, Herr Bosch, den Vorschlag gemacht, Deutschland möge doch seine überschüssigen Arbeitskräfte “exportieren”: nach Frankreich und vor allem nach den französischen Kolonien in Afrika, um dort den industriellen Aufbau zu ermöglichen. Ist das etwa nur ein Projekt? Ist das nur die profitlüsterne Phantasie eines kapitalistischen Ausbeuters, der auf diese Art neben der internationalen Schande der französischen Fremdenlegion eine neue industrielle Fremdenlegion aus deutschen Proletariern schaffen will, wobei sich der französische Imperialismus und die deutschen Kapitalisten das Geschäft teilen sollen? Nein, Genossen, dieser Sklavenexport, diese weiße Schmach, diese weiße Schmach am Rhein existiert bereits. Im Rheinland, auf dem Arbeitsamt in Kehl, befindet sich die Zentralbörse des Sklavenhandels. Dort werden die Erwerbslosen gezwungen, Arbeit für Frankreich anzunehmen, wo sie unter Leitung der französischen Machthaber bei Kanalisationsarbeiten, beim Straßenbau, in den Steinbrüchen und Gruben beschäftigt werden. Es gibt Dutzende von Fällen, wo man deutsche Arbeitslose gezwungen hat, unter den ungeheuerlichsten Arbeitsbedingungen nach Frankreich, nach Holland und nach Belgien zu gehen, dortige Angebote anzunehmen, ob sie wollten oder nicht. Falls sie die dort abgeschlossenen Verträge nicht innehielten oder wenn sich die Erwerbslosen weigerten, sich ins Ausland verschicken zu lassen, dann bedeutete das für sie das Todesurteil: denn sie wurden einfach wegen Arbeitsverweigerung von den Bettelpfennigen der Erwerbslosenunterstützung ausgeschlossen. Angesichts dieser wirklichen Sklavenschmach des Kapitalismus wagte die deutsche Sozialdemokratie, in die Hetze der Weltbourgeoisie gegen die Sowjetunion mit einzustimmen. Ja, als jetzt vor einigen Tagen die deutschen Industriellen in der Sowjetunion weilten, um hier Aufträge für die deutsche Industrie zu erbitten und als Millionen deutscher Arbeiter in diesem Bittgang der deutschen Kapitalisten nach Moskau einen Triumph der siegreichen sozialistischen Wirtschaft erblickten, da hetzte die SPD-Presse wieder gegen Moskau, gegen die Sowjetunion. In der Wels-Versammlung in Berlin, wo Dan und Abramowitsch vom Parteivorstand der SPD eingeladen waren, um dort die Giftgasbomben der Sozialdemokratie gegen die UdSSR zu unterstützen und zu stärken, sagte Wels u. a. folgendes:

Unsere sozialdemokratischen Berichterstatter und Korrespondenten dürfen nicht hinein in die Sowjetunion, aber solche Leute, die den deutschen Kommunisten den schärfsten Kampf androhen, wie Borsig und Poensgen, bekommen ein Einreisevisum in die Sowjetunion.

Genossen, man muß den Sinn dieser schamlosen Demagogie verstehen. Wels versuchte, den dort anwesenden sozialdemokratischen Arbeitern einen Unterschied zu zeigen zwischen den sozialdemokratischen Berichterstattern einerseits und den Borsig und Poensgen andererseits im Kampfe gegen die Sowjetunion, wobei er in konterrevolutionären Angriffen die schärfste Waffe gegen die Sowjetunion richtete. Aber ich kann euch verraten, daß auf allen Stempelstellen in Deutschland, wo die Erwerbslosen diskutierten, die Stimmung eine umgekehrte war. Wie reagierten die Erwerbslosen auf verschiedenen Stempelstellen auf die Reise der Industriellen nach der Sowjetunion? Sie erklärten: Sowjetrußland gibt den deutschen Arbeitern durch seine Aufträge Brot und Arbeit. Das ist ein Beweis mehr für die Kraft des Sozialismus, der vorwärts schreitet, während der Kapitalismus in Deutschland sich immer mehr im Niedergang befindet.

Die Millionen Erwerbslosen und unzählige Arbeiter in den Betrieben erklären heute schon: Auch uns kann allein der Sozialismus aus der Krise helfen! ‑ Die erbärmlichste Rolle der II. Internationale und der deutschen Sozialdemokratie kam durch die Tatsache des kürzlich hier durchgeführten Menschewikiprozesses zum Ausdruck. Dieser Prozeß hat eine große ungeheure moralische und politische Wirkung in Deutschland und in der ganzen Welt ausgeübt. Dieser Prozeß hat weiter den tiefen Klassenhaß der II. Internationale gegen die Sowjetunion vor den Massen aufgezeigt. Ich will über den Vorgang, über die Tatsachen, über das Ergebnis, über das Urteil, über die Auswirkungen dieses ganzen Prozesses nicht im einzelnen sprechen. Nur eine Tatsache will ich beleuchten. Wir stellen die Frage und werden sie für die nächste Zeit stellen, weil unsere politische Kampagne zur Auswertung des Menschewikiprozesses keineswegs abgetan ist mit Abschluß des Prozesses, sondern im Zusammenhang mit dem offensiven Kampf gegen die II. Internationale und die Sozialdemokratie in Deutschland bei anderen politischen Anlässen immer wieder vor uns steht. Wir stellen die Frage, daß diese Leute, die in Deutschland z. B. wie der Pudel vor seinem Herrn vor Brüning und seiner Politik kuschen, die in Deutschland vor dem Kapitalismus nicht einen Moment mucken, sondern bedingungslos den Kapitalismus unterstützen, ‑ daß diese Leute ihre Agenten in die Sowjetunion schicken, um durch illegale konterrevolutionäre Arbeit den stürmischen Aufbau des Sozialismus zu stören versuchen. Diese Fragestellung ist in Deutschland von eminenter Bedeutung. Diese Tatsache bestärkt uns weiter in unserer Auffassung, daß wir behaupten und mit Recht sagen können, es gibt keine sowjetfeindlichere Partei und Organisation als die deutsche Sozialdemokratie und die II. Internationale. Nur im Zusammenhang mit dem unversöhnlichen Haß der Sozialdemokratie gegen die proletarische Revolution sind diese konterrevolutionären Handlungen, die im Menschewikiprozeß am deutlichsten und krassesten entlarvt und festgestellt worden sind, zu verstehen. Dies stellt die deutsche Partei im schärfsten Kampfe gegen die aktiven Unterstützer des konterrevolutionären Krieges gegen die Sowjetunion zugleich auch vor die Frage und die wichtige Aufgabe, die sozialdemokratischen Arbeiter auf diesem Gebiete durch neue überzeugende Methoden und Tatsachenmaterial an die Front der Freunde der UdSSR heranzubringen. Ich will noch eine Frage stellen. Warum orientiert sich die Bourgeoisie in Deutschland momentan so stark auf die Sozialdemokratie? Ich schicke voraus die Tatsache, daß es dem Faschismus und den Nationalsozialisten schwer war, in die Arbeiterklasse erfolgreich einzudringen. Wie kann die Bourgeoisie die faschistische Diktatur durchführen ohne die Unterstützung von Arbeitermassen? Sie unternimmt heute den geradezu kühnen, offensiven Versuch, mit der Sozialdemokratie und ihren Anhängern ihre Massen, sowohl im Innern wie an der Peripherie der Partei, ins faschistische Brüning-Lager hineinzudringen. Das ist der strategische Plan der entscheidenden Teile der deutschen Bourgeoisie. Bei diesem strategischen Plan der Bourgeoisie, wo sich zwei entscheidende Faktoren gegenüberstehen, auf der einen Seite die Massenfront der Konterrevolution und andererseits die Massenfront des Kommunismus, der Millionenarmee der proletarischen Revolution, müssen wir alles tun, um den Prozeß der Gewinnung der Millionen, die heute leider noch im Lager der Konterrevolution stehen, im Kampfe für ein sozialistisches Sowjetdeutschland zu beschleunigen.

Genossen! Im Zusammenhang mit dem Industrie- und Menschewikiprozeß, im Zusammenhang mit der Verschärfung der Kriegsgefahr gegen die UdSSR, im Zusammenhang damit, daß die deutsche Bourgeoisie trotz der Industrieaufträge der Sowjetunion sich in ihrer Außenpolitik mehr und mehr auf den französischen Imperialismus orientiert, d. h. auf jene Politik, die gemeinsam mit Polen die imperialistische Intervention gegen die Sowjetunion einleitet, müssen wir den antiimperialistischen Charakter unserer Partei schärfer betonen und intensiver als einzige Partei der Politik des Friedens in Erscheinung treten, gegenüber der heuchlerischen pazifistischen Kriegsideologie der II. Internationale und der deutschen Sozialdemokratie. Genossen, wie zündend das Beispiel der Sowjetunion in Deutschland wirkt, dafür nur ein charakteristisches Beispiel: in einer reaktionären Zeitung, den "Hamburger Nachrichten", die völlig gegen die Sowjetunion eingestellt ist, erschien vor kurzer Zeit (am 4. Januar), in einem Artikel unter der Überschrift: "Im Schatten des Bolschewismus" folgende Bemerkung:

Bolschewismus in Deutschland bedeutet auf die Dauer Bolschewismus in ganz Europa. [...] Wenn überhaupt das Experiment des Bolschewismus, des marxistischen Staates, in Reinkultur ausführbar ist, dann in Deutschland. [...] Wenn in Moskau das politische und in Berlin das Arbeiterzentrum eines bolschewistischen Staates wäre, dann wäre die Erfüllung des Fünfjahrplans ein Kinderspiel. [...] Dann dürfte die Welt in ihren Grundfesten erzittern, und .das wäre des deutschen Volkes Rache für Versailles.

Genossen, das schreibt ein deutschnationales reaktionäres Blatt, nicht etwa ein Scheringer, der als Leutnant zum Kommunismus gekommen ist, sondern ein volksfeindlicher reaktionärer Politiker, ein Klassenfeind der Sowjetunion und des Bolschewismus. Er muß das schreiben. Die Tatsachen zwingen ihn dazu. Wir sehen, daß heute Kreise der Weltbourgeoisie und sogar Kreise der Sozialdemokratie manchmal gezwungen sind, eine solche Sprache zu sprechen, daß sie nicht an der aufsteigenden Entwicklung in der Sowjetunion vorbeigehen können. Hier ist es unsere Aufgabe, mehr denn je diesen welthistorischen Gegensatz, die Entwicklung in der Sowjetunion und den Niedergang des Kapitalismus an konkreten Tatsachen und Beispielen zu analysieren. In der Frage des Internationalismus versuchen wir in Deutschland schon, die Frage der internationalen Solidarität aller Arbeiter und aller unterdrückten Völker im gemeinsamen revolutionären Befreiungskampfe viel schärfer zu stellen als früher. Ich erinnere an die feste Zusammenarbeit der deutschen Partei mit der polnischen, besonders in Oberschlesien, Danzig usw. Wir stellten viele Fragen gemeinsam im Lande von Pilsudski und im Lande von Hindenburg. Ich erinnere an die verschiedenen Zusammenkünfte mit den Vertretern unserer Bruderparteien und die gemeinsamen Demonstrationen am internationalen Antikriegstag in verschiedenen Grenzgebieten in Deutschland. Ich verweise ferner auf solche Methoden, daß wir z. B. die interessante Rede des Genossen Cachin, die er kürzlich im französischen Parlament hielt, in Hunderttausenden von Exemplaren in Deutschland unter den Massen verbreitet haben, um damit die internationale Solidarität des deutschen und französischen Volkes, verkörpert unter der Führung der Kommunistischen Partei, stärker zum Ausdruck zu bringen. (Starker Beifall.) Ich führe diese Tatsache deswegen an, weil, wenn es wahr ist, daß der französische Imperialismus seine Vorbereitung zu einem konterrevolutionären Krieg gegen die Sowjetunion trifft (und es ist wahr), wir die stärkste Solidarität in der festesten revolutionären Form zwischen diesen werktätigen Massen, die in der großen entscheidenden Mühle dieses Kampfes stehen, herstellen müssen zum Kampfe gegen die Bourgeoisie im eigenen Lande.

Genossen! Vergleichen wir lediglich das, was wir hier in der UdSSR sehen, mit dem Bild bei uns zu Hause in den kapitalistischen Ländern. Den Städten der kapitalistischen Länder drückt die Krise und die Erwerbslosigkeit überall ihren Stempel auf. Die Straßen des kapitalistischen Westens sind erfüllt von der Not, dem Hunger und der Verzweiflung von Millionen Menschen, die der Kapitalismus ins nackte Elend stößt. Die Städte hier im roten Osten sind voller Leben. Wer die Entwicklung und die Tatsachen hier vor Jahren sah und die heutigen grandiosen Erfolge der Entwicklung in der Sowjetunion mit eigenen Augen ansieht, der erkennt diesen gewaltigen Unterschied. Es gibt in diesem Lande keine Müßiggängerei. Alles spiegelt die Arbeit, den sozialistischen Aufbau, den Fünfjahrplan und das Tempo seiner Durchführung wider. Natürlich gibt es noch große Opfer in diesem Lande. Millionen bringen diese Opfer mit größter Zuversicht. Aber die entscheidende Frage ist: für wen und für was? Sie bringen diese Opfer für die große geschlossene Allgemeinheit und bringen die Opfer freudigst für ihr eigenes sozialistisches Vaterland. Die proletarischen Massen im kapitalistischen Lande: für wen sollen sie und können sie Opfer bringen, besonders die Millionen Erwerbslosen, die Almosen und Bettelpfennige und vielmals nichts erhalten? Für den ausbeutenden Kapitalismus, die konterrevolutionäre sozialdemokratische Führung und den mörderischen Faschismus? Diese Frage steht auch im engsten Zusammenhang mit der Entwicklung des welthistorischen Gegensatzes dieser beiden Systeme. Hier in der Sowjetunion Verdoppelung und Vervierfachung der Produktion, eine vielfache Verbesserung der Lebenshaltung der Massen, die in den nächsten Jahren der Entwicklung weiter wachsenden sozialen und kulturellen Fortschritte. Diese Losungen des Fünfjahrplanes flammen uns von allen Transparenten, Plakaten und Anschlägen in den Straßen der Sowjetstädte entgegen.

Alle Regierungen der ganzen Welt müssen das Anschwellen der Arbeitslosenheere von Millionen in ihren eigenen Ländern eingestehen.

Die Regierung der proletarischen Diktatur erklärt vor aller Öffentlichkeit demgegenüber: Bei uns ist die Erwerbslosigkeit liquidiert, uns fehlen noch 1,6 Millionen Arbeitskräfte!

Jede kapitalistische Regierung in der ganzen Welt unternimmt einen Raubzug auf die Löhne der Arbeiterschaft.

Die Sowjetregierung verfügt: Generelle Lohnerhöhung um 6 Prozent in diesem Jahre.

Das Geheimnis dieses gewaltigen Unterschiedes zwischen dem roten Osten und dem kapitalistischen Westen läßt sich in wenigen Worten ausdrücken: Hier herrscht die siegreiche Arbeiterklasse. Dort regieren die Kapitalisten und ihre Lakaien, die Faschisten und die Sozialdemokraten: Ost und West - zwei verschiedene Welten! Die Entscheidung zwischen ihnen kann den Werktätigen, den hungernden und notleidenden Millionen in den kapitalistischen Ländern nicht schwer fallen. Der Weg, den die Arbeiterklasse und die Werktätigen der Sowjetunion unter der Führung der Bolschewiki gegangen sind, ist ein Weg, der herausführt aus dem Elend der kapitalistischen Sklaverei zu den leuchtenden Höhen der sozialistischen. Zukunft. Der Tag nähert sich, an dem die deutsche Arbeiterklasse unter Führung der Kommunisten den Weg des russischen Proletariats beschreiten wird. Wenn ich am Anfang meines Referats sagte, daß Deutschland das schwächste Kettenglied in der Kette des kapitalistischen Weltsystems ist, so können wir ebenfalls revolutionär behaupten und sagen, daß das deutsche Proletariat und seine Kommunistische Partei, die ihm treu zur Seite steht, eines der stärksten Glieder in der Kette der Entwicklung zum Siege der proletarischen Weltrevolution ist. Unsere revolutionären Aufgaben sind klar. Unsere Arbeit ist eine gewaltige. Höhere Taten und Handlungen stehen vor uns. In diesem Sinne gilt unser Bericht, in diesem Sinne gilt unsere Initiative. In diesem Sinne gilt unsere Arbeit. Vorwärts zu neuen Siegen, zur großen Entscheidungsschlacht!

 

 

 

 

 



[1]. Cf. http://www.deutsche-kommunisten.de/Ernst_Thaelmann/Band3/thaelmann-band3-016.shtml.

[2]. Am 14. September 1930 fanden Reichstagswahlen statt, bei denen die NSDAP einen beträchtlichen Zuwachs an Abgeordneten verzeichnete. Von insgesamt 577 Abgeordneten stellt die SPD 143, die NSDAP 107, die KPD 77, die großen Rechtsparteien (Zentrum, DNVP, DVP) 139.

[3]. Am 2. Januar 1930 begann im Ruhrgebiet der Arbeitskampf, der sich gegen die von den Unternehmern angedrohte Kündigung der Belegschaften aller Schachtanlagen zur Durchsetzung einer generellen Lohnkürzung richtete. Am ersten Streiktag nahmen 33 Schachtanlagen mit 45 000 Bergarbeitern den Kampf auf, am nächsten Tag kamen noch 10 Zechen mit 15 000 Mann Belegschaft hinzu. Von 300 000 Bergarbeitern des Ruhrgebiets nahm also nur ein Fünftel am Streik teil. Er wurde von der Revolutionären Gewerkschafts-Organisation (RGO) geführt, während die reformistischen und christlichen Gewerkschaftsführer den Streik ablehnten und sich mit der Lohnkürzung abzufinden bereit waren. Am 9. Januar erließ die Brüning-Regierung eine Notverordnung zur Änderung der Schlichtungsordnung. Zur gleichen Zeit fällte das diktatorisch eingesetzte Schiedsgericht einen Spruch, der den Bergarbeitern des Ruhrgebiets einen Lohnraub von über 6 Prozent brachte. Die zentrale Streikleitung im Ruhrgebiet empfahl daher den Belegschaften, die noch im Streik standen, den Kampf abzubrechen und die Arbeit wieder aufzunehmen unter der Bedingung, daß keine Maßregelung erfolgte.

[4]Als am 2. Januar 1930 der Arbeitskampf im Ruhrgebiet begann, lag im oberschlesischen Bergbau ein unmittelbarer Angriff der Unternehmer nicht vor, da hier bereits ein tarifloser Zustand herrschte. Es wurden deshalb zwar auf allen oberschlesischen Schachtanlagen Streikvorbereitungen getroffen, der Beginn des Kampfes sollte aber vom Verlauf des Streiks im Ruhrgebiet abhängig gemacht werden. Die oberschlesischen Bergarbeiter sollten nur in den Kampf eingreifen, wenn es die Situation im Ruhrgebiet erforderlich machte, d. h., wenn sich davon starke Impulse für die Intensivierung des Kampfes der Ruhrbergarbeiter erwarten ließen. Diese Situation schien am 5. Januar gegeben. An diesem Tag wurde auf einer Schachtdelegiertenkonferenz die Frage des Streikbeginns gestellt. Am gleichen Abend gab ich den versammelten Delegierten nach einem Telefongespräch mit dem Zentralkomitee der Partei die Losung für den Streikbeginn. Daraufhin traten am anderen Morgen 4 Zechenbelegschaften in den Streik, denen sich mittags die Arbeiter von 6 Schachtanlagen anschlossen. Nach dem den Ruhrbergarbeitern aufgezwungenen Schiedsspruch begannen auch die oberschlesischen Bergarbeiter am 9. Januar wieder zu arbeiten. (Quelle: Fritz Selbmann: Alternative, Bilanz, Credo - Versuch einer Selbstdarstellung. Halle an der Saale, Mitteldeutscher Verlag, 1969. S. 193‑194.)

[5]. Im Oktober 1930 wurden Reichswehroffiziere eines Ulmer Artillerie-Regiments wegen Bildung nationalsozialistischer Zellen in der Reichswehr ‑ was als Hochverrat gewertet wurde ‑ vom Reichsgericht zu Festungshaft verurteilt. Es handelte sich um die Leutnante Richard Scheringer, Hans Ludin und den zu dieser Zeit bereits aus der Reichswehr ausgeschiedenen Oberleutnant Hans Friedrich Wendt.

Scheringer brach noch in der Haft auf der Festung Gollnow mit der NSDAP und erklärte in einem an die KPD gerichteten Brief vom 18. März 1931: "Ich sage mich daher endgültig von Hitler und dem Faschismus los und reihe mich als Soldat ein in die Front des wehrhaften Proletariats." (Abgedruckt in: Herbert Michaelis, Ernst Schraepler (Hg.): Ursachen und Folgen ‑ Vom deutschen Zusammenbruch 1918 und 1945 bis zur staatlichen Neuordnung Deutschlands in der Gegenwart ‑ Band 7 ‑ Die Weimarer Republik/Vom Kellogg-Pakt zur Weltwirtschaftskrise 1928‑1930/Die innerpolitische Entwicklung, Berlin, Dokumenten‑Verlag Dr. Herbert Wendler, 1962. S. 549‑551.). Der Abgeordnete der KPD Hans Kippenberger verlas den Brief vor dem Reichstag am 19. März 1931. In der Roten Fahne wurde ein offener Brief Scheringers vom 3. April 1931 aus der Festung Gollnow an die "Berliner SA-Proleten" abgedruckt, in dem er seine ehemaligen SA-Kameraden aufforderte, sich im gleichen Sinne zu entscheiden wie er. (Ordentliches Mitglied der KPD wurde Scheringer erst im Herbst 1945.)