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Ernst Thälmann

Plenum des Zentralkomitees der KPD:
Volksrevolution über Deutschland

15.‑16. Januar 1931

 

 

Quelle:

Broschüre, herausgegeben vom ZK der KPD, Berlin 1931.

Andere Quelle:

Ernst Thälmann: Reden und Aufsätze 1930‑1933 - Band 1 - September 1930‑Februar 1932. Köln, Verlag Rote Fahne, 1975. S. 57‑119[1].

 

 

 

 

 

 

Erstellt: Januar 2013

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KPD 1918-1945 - Inhalt

 

 

 

 

 

 

A. Die Analyse der Situation und die Perspektiven der Entwicklung

Genossen! Am Anfang meines Referates möchte ich die große Bedeutung unserer heutigen ZK-Sitzung feststellen. Wenn wir einen kurzen historischen Rückblick nehmen auf die Zeit vom 6. Weltkongreß bis heute, so sehen wir, daß die Komintern auf den wichtigen Tagungen in der Zwischenzeit, z. B. auf dem 10. Plenum des EKKI im Herbst[2] 1929, oder auf der Sitzung des erweiterten Präsidiums im Februar v. J., auf Grund der Analyse der Situation die Kampfformen und taktischen Methoden stets auf einer höheren Stufe neu zu stellen vermochte. Nehmen wir z. B. die letzte Tagung des erweiterten Präsidiums und den Bericht über diese Tagung, den wir im März v. J. im Zentralkomitee hatten. Damals stellten wir fest, daß das Tempo des revolutionären Aufschwungs in Deutschland einen beschleunigten Charakter annimmt. In Übereinstimmung der Beschlüsse des erweiterten Präsidiums versuchten wir an Hand verschiedener Tatsachen an der Geschichte der Revolution aufzuzeigen, daß keine starre Grenze zwischen dem Entwicklungsstadium des revolutionären Aufschwungs und dem Hinausreifen in eine revolutionäre Situation bestehen kann.

In der heutigen ZK-Sitzung steht vor uns die wichtige Fragestellung, welche Erscheinungen sich bis jetzt gezeigt haben, daß die ökonomisch-politische Krise in Deutschland bereits Tendenzen der revolutionären Krise ausgelöst hat. Diese wichtige Problemstellung und die sich daraus ergebenden Aufgaben sind die Hauptlinie des heutigen Referats.

Wenn wir in dieser Zentralkomiteesitzung die Veränderungen vom Juniplenum[3] vorigen Jahres bis heute überprüfen, so ergibt sich, daß es zweckmäßig war, nicht schon eher eine ZK-Sitzung einzuberufen. Das heutige ZK hat viel größere Möglichkeiten, eine neue Analyse der gegenwärtigen Situation und eine politisch klare Perspektive anzugeben, was vor zwei oder drei Monaten keineswegs in diesem Maße schon möglich war. Nehmen wir einige besondere Merkmale der Entwicklung vom Juniplenum bis heute. In der Weltwirtschaftskrise, die sich auf der Grundlage der Verschärfung der Krise des ganzen kapitalistischen Systems entwickelt hat, sehen wir, daß die Hoffnungen der Bourgeoisie auf eine Erholung Amerikas aus der Krise und zugleich eine Ankurbelung der Konjunktur im Weltmaßstabe oder auch nur auf einen Umschwung in die Depression durch die ganze Entwicklung völlig widerlegt wurden. In Deutschland erleben wir z. Zt. eine Krise, über die das amtliche Konjunkturinstitut mit vollem Recht erklären mußte, daß sie von kaum jemals erlebter Schwere ist. Wenn wir die Faktoren des Umschlagens der ökonomischen Krise in Deutschland in eine Erschütterung des politischen Überbaues und die Entstehung von Tendenzen der revolutionären Krise betrachten, so haben wir als deutlichsten Ausbruch[4] des revolutionären Aufschwungs die Reichstagswahlen vom 14. September[5], den Metallarbeiterstreik in Berlin[6] und jetzt, mit einem ganz neuen, politischen, offensiven Charakter, den Ruhrkampf[7] mit dem oberschlesischen Streik[8]; dazu der politische Massenstreik gegen die von den Nazis gestützte Regierung in Danzig[9]. Schließlich auch die ansteigende Massenwelle des antifaschistischen Kampfes und die Gärungserscheinungen und Zersetzungsfaktoren in der Sozialdemokratie und besonders in der sozialistischen Arbeiterjugend. Das alles sind neue Faktoren des revolutionären Aufschwungs. Auf der anderen Seite bemerken wir, wie die Anstrengungen der Bourgeoisie wachsen, einen Ausweg aus der kapitalistischen Krise durch neue Methoden der Faschisierung zu finden. Eine weitere weltbedeutende Tatsache ist der Umstand, daß die Sowjetunion im Verlauf der Durchführung des Fünfjahrplans in die Periode des Sozialismus eingetreten ist. Im Weltmaßstabe beginnt ein gewaltiges Ringen zwischen dem Aufbau des sozialistischen Systems und dem Niedergang des kapitalistischen Systems. Dieses Ringen wird auch für Deutschland und alle anderen kapitalistischen Länder in Gegenwart und Zukunft die allergrößte Bedeutung haben.

Das Wichtigste in diesem ZK-Plenum scheint mir zu sein:

1. eine genaue Analyse der gegenwärtigen Situation und der Perspektive der Entwicklung.

2. Anhand dieser Analyse die Problem- und Aufgabenstellung für die Politik der Partei.

Im ersten Teil des Referats werde ich versuchen, die Entwicklung der Weltwirtschaftskrise zu umreißen und demgegenüber die Entwicklung der Sowjetunion aufzuzeigen. Es wird sich sodann darum handeln, die besonderen Merkmale der gegenwärtigen Krise und die Versuche der Bourgeoisie zu ihrer Überwindung zu erläutern. Schließlich steht das Problem des kapitalistischen Auswegs und andererseits die Perspektive für die Herbeiführung einer revolutionären Krise. In diesem Zusammenhang werden wir uns ausführlicher mit der Frage der faschistischen Diktatur zu beschäftigen haben.

Im zweiten Hauptteil des Referats werden folgende Punkte stehen:

1. Das Problem der Volksrevolution und der Massenkampf gegen die faschistische Diktatur, bzw. gegen die Durchführung der faschistischen Diktatur.

2. Die Frage der Einheitsfrontpolitik und der Gewinnung der entscheidenden Schichten des Proletariats und der Werktätigen.

3. Die RGO als das zentrale Problem in der gegenwärtigen Phase der Entwicklung für den Tageskampf der Partei und des Proletariats.

4. Die Fortschritte und Mängel in unserer Parteiarbeit und

5. die Aufgaben der Wehrhaftmachung des Proletariats.

Das sind die wichtigsten Fragen, die wir heute zu behandeln haben.

I. Die Weltwirtschaftskrise

Und nun, Genossen, zu den Fragen der heutigen Situation. Ich wies bereits darauf hin, daß die bürgerlichen und sozialdemokratischen Ökonomen noch im vorigen Sommer eine Überwindung der Krise ankündigten. Die ökonomischen Tatsachen haben die Hoffnungen der Bourgeoisie zerschlagen. Heute finden wir, daß selbst die bürgerlichen “Wissenschaftler” die Schärfe der Krise nicht mehr zu leugnen wagen. Solche Eingeständnisse der Bourgeoisie sind natürlich für uns wertvoll. Andererseits dürfen wir nicht in den Fehler verfallen, uns mit diesen bürgerlichen Eingeständnissen zu begnügen, und selbst auf eine theoretische, wissenschaftliche, marxistische Analyse zu verzichten. Die bürgerlichen Ökonomen begnügen sich bestenfalls mit der Wiedergabe der äußeren Erscheinungen. Unsere Aufgabe ist es demgegenüber, die tieferen Zusammenhänge und Hintergründe bei der marxistischen Analyse aufzuzeigen. Ich möchte in diesem Zusammenhang an ein Wort des Genossen Stalin erinnern, wo er u. a. auf die Notwendigkeit hinweist, mit den Methoden der marxistischen Wissenschaft die neuen Probleme zu erforschen. Genosse Stalin sagt dort[10]:

Die Bedeutung dieser Fragen besteht vor allem darin, daß ihre marxistische Bearbeitung die Möglichkeit gibt, alle und jede Art bürgerlicher Theorie, die zuweilen ‑ zu unserer Schande ‑ von unseren kommunistischen Genossen verbreitet wird, und die die Köpfe unserer Praktiker verwirrt, mit Stumpf und Stiel auszurotten.

Auch wir müssen die Frage der theoretischen Vertiefung in der Partei und in den Massen scharf stellen. Denn wir brauchen eine wirklich klare und gründliche Orientierung der Massen, einen Zustand, wo man sagen kann, daß fast jeder Genosse von uns, wenn er im Betrieb, auf der Straße, überall, unseren politischen Gegnern entgegentritt, das Bewußtsein hat, diese klare marxistische Orientierung zu besitzen. Allein aus der Analyse der wirklichen ökonomischen Zusammenhänge und Hintergründe können wir eine richtige Perspektive ableiten.

Deshalb zunächst einige entscheidende Tatsachen über den Verlauf der Weltwirtschaftskrise und ihren Stand. Welches sind die Hauptmerkmale?

1. Der ungeheure Rückgang der Produktion in allen industriellen Ländern, die Nichtausnutzung der Produktionsmittel und die damit verbundene Schwierigkeit für den Kapitalismus, eine neue Basis zu finden, auf der das Kapital verwertbar wird. Hierzu nur einige der wichtigsten Ziffern und Tatsachen. Die Produktion ist in den Vereinigten Staaten von Amerika gegenüber dem letzten Höchststand bereits im 3. Vierteljahr von 1930 um 28,3 % zurückgegangen. In Deutschland beträgt dieser Rückgang 26 %, in England 17,1 %. Der Durchschnitt dürfte bereits für das 3. Quartal 1930 etwa 25 % betragen.

2. Mit diesem außerordentlichen Produktionsrückgang gegenüber der letzten Hochkonjunktur ist jedoch die Nichtausnutzung der Produktionskapazität noch keineswegs völlig wiedergegeben. So ist die deutsche Industrie nur zu 53,4 % ihrer Stundenkapazität und nur zu 59 % ihrer Raumkapazität beschäftigt gewesen. Diese Ziffern entsprechen dabei einem Stand von 3½ Millionen Erwerbslosen, während inzwischen die Zahl für Deutschland schon auf über 4½ Millionen gestiegen ist. Die Zahl der Arbeitslosen in der ganzen Welt betrug schon auf Grund der viel zu geringen amtlichen Ziffern des Konjunkturforschungsinstituts 15 bis 18 Millionen.

3. Die dritte wichtige Tatsache, die sich bei der Betrachtung der Weltwirtschaftskrise ergibt, ist die Masse der angestauten Waren. Gegenüber dem tiefsten Stand der Vorratsstauung auf den Weltrohstoffmärkten ergibt sich schon für September 1930 eine ungeheure Steigerung. Sie beträgt für Weizen ein Anwachsen von ca. 3½ Millionen auf fast 15 Millionen Tonnen. Bei Steinkohle von knapp 3 Millionen auf über 16 Millionen Tonnen, bei Baumwolle von einer halben Million auf 1½ Millionen, bei Zucker von 1,6 Millionen auf 3,6 Millionen, bei Kaffee von 0,3 auf 1,6 Millionen Tonnen. Dabei hält das Wachsen der Vorräte auch im Dezember 1930 trotz des weiteren Sinkens der Produktion noch immer an.

4. Eine vierte Haupttatsache ist die Verflechtung der Industriekrise mit der Agrarkrise, wobei sich Industriekrise und Agrarkrise gegenseitig steigern und verschärfen. Eine wichtige Erscheinung der Agrarkrise ist die sich ausweitende Schere zwischen den Weltmarktpreisen der landwirtschaftlichen Erzeugnisse, die z. B. für pflanzliche Nahrungsmittel einen Rückgang von 70 bis 80 %, für tierische Nahrungsmittel 20 bis 30 %, für Textilrohstoffe 50 bis 70 %, für Häute 50 %, für Zucker 80 % aufweisen, und den Preisen der industriellen Produktion, die bei Produktionsmitteln nur um 5 bis 16 % und bei industriellen Konsumgütern um 8 bis 16 % auf dem Weltmarkt gesunken sind. Es ist klar, daß gerade gegenwärtig bei der Anwendung von Technik, Elektrizität und Chemie im Dienste der Landwirtschaft, der Ruin der minderbemittelten Wirtschaften, der Klein- und Mittelbauern und der Farmerwirtschaften in Amerika, Australien, Kanada durch diese Schere zwischen Agrar- und Industriepreisen beschleunigt wird. Darüber hinaus bleibt die Landwirtschaft überhaupt immer stärker hinter der Industrie zurück, was die Krise verstärkt.

5. Eine fünfte Haupttatsache liegt im Bereich der sogenannten “Geographie der Krise”. Es ist die noch nie dagewesene Tatsache, daß die Krise sich wirklich über die ganze kapitalistische Welt ausbreitet. Nicht nur keine Erholung der amerikanischen Krise, die doch entscheidend bei der Auslösung der Weltwirtschaftskrise mitwirkte, sondern auch Frankreich, das letzte Land einer gewissen Prosperität, einer günstigen Konjunktur, wird von den Anfängen der Krise erfaßt.

6. Die sechste, besonders bedeutungsvolle Tatsache, die sich bei der Betrachtung der Weltwirtschaftskrise ergibt, ist das Problem der Preisgestaltung. Wir sahen schon die Differenz zwischen den Agrar- und Industriepreisen, die naturgemäß eine Erhöhung der Schwierigkeiten mit sich bringt. Nicht[11] viel stärker ist das bei der Preisentwicklung bezüglich der Differenz zwischen den monopolistischen Inlandspreisen und denen des freien Weltmarktes der Fall. So beträgt der Rückgang für Roheisen von Oktober 1929 bis Oktober 1930 beim Weltmarktpreis 25 %, auf dem deutschen Markt dagegen nur 2 %, in den Vereinigten Staaten 14 %, in England 12 %, in Polen 0 %, während in Frankreich sogar eine Preissteigerung um 3 % vorlag. Ein ganz ähnliches Mißverhältnis ist bei allen Preisen vorhanden. Für Deutschland ist die Differenz zwischen den inlandsbestimmten Preisen und den auslandsbestimmten Preisen für industrielle Rohstoffe und Halbwaren vom September 1929 bis Oktober 1930 um fast 300 % gestiegen. In allen diesen Tatsachen drückt sich der monopolistische Charakter der kapitalistischen Wirtschaft in ihrer gegenwärtigen Entwicklungsstufe aus: mit Hochschutzzöllen und Kartellbindungen werden die Preise auf dem Inlandsmarkt in nahezu allen Ländern künstlich hochgehalten. Auf diese Weise versucht die Bourgeoisie in allen Ländern die Monopolprofite auf dem Binnenmarkt herauszuholen, um gleichzeitig auf dem Weltmarkt ein um so schärferes Dumping bei der imperialistischen Konkurrenz betreiben zu können.

7. Eine siebente Haupttatsache sind die Gold- und Währungsprobleme. Hier können wir z. B. schon heute auf den Goldabfluß von England nach Frankreich hinweisen, der ein solches Ausmaß angenommen hat, daß die englische Währung bedroht ist. So kann Frankreich es sich bereits bei den englisch-französischen Verhandlungen über die Einschränkung des Goldabflusses erlauben, England die Rückführung des Goldes in Form von Industrieanleihen anzubieten, worin sich wiederum nur die Ungleichmäßigkeit der imperialistischen Entwicklung, einer der wichtigsten Krisenfaktoren nach Lenin, widerspiegelt.

8. Nachdem die Welt aufgeteilt ist, wesentlich neue Exportmöglichkeiten nicht mehr ohne kriegerische Lösung erschlossen werden können, die Absatzfrage aber im Mittelpunkt der Krise steht, setzt im Zusammenhang mit der Weltwirtschaftskrise auch eine Art von Youngkrise[12], eine Krise der imperialistischen Friedensverträge usw. ein. Die deutschen Reparationsverpflichtungen sind nach wie vor ein Hebel zur künstlichen Forcierung des deutschen Exports. Nur durch einen Überschuß in der Handelsbilanz vermag Deutschland seine drückenden Reparationsverpflichtungen zu erfüllen. So ist die Ausfuhr Deutschlands im Verhältnis zu den anderen von der Krise betroffenen Ländern am wenigsten zurückgegangen. Damit haben sich im Gefolge der Krise die Bedingungen, unter denen der Youngplan vom Standpunkt der einzelnen imperialistischen Mächte seinerzeit zustande kam, erheblich verändert. Schließlich ergibt sich mit den Schwierigkeiten, überhaupt eine Basis für die Verwertbarkeit des Kapitals zu finden, auch das neue Problem, wieweit die Reparationsgläubiger überhaupt ein Interesse an der Zahlung von Reparationen haben. Naturgemäß gibt es hierbei sehr verschiedenartige Interessen, die z. T. gegensätzlich sind. Der letztgenannte Gesichtspunkt schied für Frankreich, das bis zuletzt von der Krise verschont blieb, naturgemäß aus.

9. Mit der allgemeinen Verschärfung des Kampfes um die Absatzmärkte, mit der Dumping-Politik der imperialistischen Staaten, mit dem Zwang, trotz der Aufteilung der Welt neue Absatzmärkte für die Produkte und neue Anlagemöglichkeiten für das überschüssige Kapital zu suchen, verschärft sich ungeheuer die Kriegsgefahr. Dabei schlagen die imperialistischen Konflikte untereinander besonders auch in eine Steigerung des Hauptgegensatzes zwischen den imperialistischen Mächten und der Sowjetunion um.

So ergibt die Betrachtung des Standes der Weltwirtschaftskrise bei der Jahreswende 1931 ein katastrophales Bild für den Weltkapitalismus. Der bekannte englische Liberale Norman Angell muß selbst in seiner Monatsschrift über auswärtige Angelegenheiten[13] vom Januar 1931 unter dem Titel "Ökonomisches Chaos und internationale Zukunft" folgendes trübe Bild malen:

Der ökonomische Orkan, der die Welt verwüstet hat, ist mit seiner Universalität und Intensität die Tatsache des verflossenen Jahres, hinter der alle anderen zurückstehen. Die Geschichte kennt keine Tatsache von dieser Art. In den drei großen Industrieländern der Welt sind nicht weniger als 10 Millionen ‑ vermutlich eine noch größere Zahl ‑ Arbeiter erwerbslos. In dem goldenen Amerika, das vor 10 Jahren in den Augen der Europäer einen höheren Typus ökonomischer Schöpfung zu verkörpern schien, in diesem Eldorado liegen die Arbeiter zu Hunderttausenden auf der Straße, Banken stellen ihre Zahlungen ein, Bankiers erschießen sich, Vermögen, die so fest gegründet zu sein schienen wie Gibraltar verflüchten sich in nichts. Und noch dauert die Depression an. Die ökonomische Krise wird begleitet von gewissen politischen Erscheinungen. [...] Ein Beobachter bemerkte vor kurzem, die Demokratie in Europa befindet sich im Niedergang. Ein anderer Beobachter meint: laß das Preisniveau um weitere 20 Punkte sinken und Europa wird zerrissen sein zwischen faschistischer und kommunistischer Diktatur.“

Genossen, ich glaube, dieses Zitat zeigt schon, wie selbst bürgerliche Ökonomen die jetzige Situation einschätzen. Vor einem Jahr sah die Bourgeoisie der ganzen Welt die gesamte Entwicklung hoffnungsvoller an. Z. B. beim Ausbruch der Krise in Amerika war es Hoover, der sagte, daß es ihnen gelingen würde, die Krise in kürzester Zeit zu überwinden. Noch vor kurzem erklärten englische Kapitalisten und “Ökonomen” der Sozialdemokratischen Partei, daß sie von der Verbilligung des Leihkapitals in Europa, als Folge des amerikanischen Börsenkrachs, eine Besserung der wirtschaftlichen Lage in Europa erhoffen. Heute stehen Ökonomen der Bourgeoisie und Theoretiker der Sozialdemokratie der Krise verständnislos gegenüber und wir haben nicht nur die Tatsache des verständnislosen Gegenüberstehens zu verzeichnen, sondern einige von ihnen sind gezwungen, wenn auch unbewußt, die völlige Unfähigkeit des Kapitalismus zuzugeben. Eine “Leuchte der Nationalökonomie” in England, Herr Keynes, schrieb im "Wirtschaftsdienst" vom 19. November[14] 1930 u. a.[15]:

Wir haben uns heute in einen heillosen Wirrwarr hineinmanövriert, denn wir haben uns bei der Handhabung einer empfindlichen Maschine (die kapitalistische Wirtschaftsmaschine), deren Gesetze wir nicht verstehen, gröblich versehen.

Und einer der größten Führer des amerikanischen Finanzkapitals, T. W. Lamont, der Kompagnon von Morgan, erklärt in der "New York Times" vom 15. November 1930 folgendes:

Alle unsere wirtschaftlichen Untersuchungen haben bisher in den Bestrebungen, der Welt zu zeigen, wie sie die übertriebenen Stimmungen des industriellen Zyklus verhindern könnten, fehlgeschlagen.

Ich glaube, diese beiden Zitate zeigen, daß selbst die Kapitalisten ‑ ich sage unbewußt ‑ gezwungen sind, die Unfähigkeit des ganzen Systems zu irgendeiner wirklichen Lösung zuzugeben.

II. Die Lage der Sowjetunion

Die höhere Stufe in der gesamten historischen Entwicklung bei der gegenwärtigen Tagung des Zentralkomitees gegenüber dem letzten Plenum im vergangenen Juli spiegelt sich vor allem in dem kühnen Vormarsch des Sozialismus in der Sowjetunion. Die letzte Plenarsitzung des Zentralkomitees unserer bolschewistischen Bruderpartei[16], an der die Delegation unseres Polbüros teilnehmen konnte, hat die Kontrollziffern für die Wirtschaft im Jahre 1931 beschlossen. Wir wollen in aller Kürze die wichtigsten gigantischen Tatsachen feststellen, die sich bei der Durchführung und Überholung des Fünfjahrplanes ergeben[17]. Ich verweise dabei auf den letzten Artikel des Genossen Heinz Neumann in der Parteipresse. Was brachten die ersten zwei Jahre des Fünfjahrplanes?

1. In der Produktion von Produktionsmitteln allein im letzten Jahre eine Steigerung um 40 % gegenüber 24 %, die der Fünfjahrplan vorgesehen hatte. Also um 16 % übersteigert. In der Stahlproduktion in beiden Jahren 10,2 Millionen Tonnen statt 9,9 Millionen Tonnen auf Grund des Fünfjahrplanes. In der Elektroindustrie 781 Millionen Rubel in Produkten statt 588 Millionen Rubel. In der Erdölproduktion 30,6 Millionen Tonnen statt 28 Millionen Tonnen.

In der gesamten Industrie Verdoppelung des Vorkriegsniveaus während der letzten beiden Jahre.

2. In der Landwirtschaft Steigerung der Anbaufläche im Jahre 1930 von 113 Millionen Hektar auf 127,7 Millionen Hektar. Die Getreideernte stieg von 71,7 Millionen Tonnen 1929 auf 86,5 Millionen Tonnen 1930, also um 20,6 %. 21,5 % aller Bauernwirtschaften waren bereits am 1. Oktober kollektivisiert. 36 Millionen Hektar wurden bereits kollektiv bewirtschaftet, während der Fünfjahrplan für das letzte Jahr (1933) nur 20,6 Millionen vorgesehen hatte.

3. Die bisherigen Erfolge ermöglichen eine ungeheure Steigerung in der Aufgabenstellung. Die Gesamtproduktion der sozialistischen Staatsindustrie wird in einem Jahr (1931) um 45 % gesteigert. Das ist ein Weltrekord. In den letzten vier Jahren betrug die Steigerung durchschnittlich 23,6 %, während sie in Deutschland im Durchschnitt der letzten 16 Jahre 5‑7 % betrug. Für die Landwirtschaft wird in den entscheidenden Getreidebezirken die Kollektivisierung von 80 % aller Bauernwirtschaften, in der zweiten Gruppe der Getreidegebiete die Kollektivisierung von 50 % durchgeführt. In der Traktorenfabrikation werden statt der im Fünfjahrplan vorgesehenen 6500 Traktoren im Jahre 1931 fast das Zwanzigfache, mehr als 120 000 Traktoren produziert.

4. Den Millionen Erwerbslosen in allen kapitalistischen Ländern stehen in der Sowjetunion Null Erwerbslose gegenüber. Im Jahre 1931 wird sich die Zahl des Proletariats[18] in der Sowjetunion durch die Einbeziehung von neuen 2 Millionen Personen in den Produktionsprozeß weiter erhöhen.

5. Mit dem sozialistischen Aufbau Hand in Hand vollzieht sich die Hebung des sozialen Niveaus der Massen. Das gilt für die Arbeiterschaft, von der am 1. Oktober 1930 bereits 43,5 % gegenüber 19,1 % im Jahre 1929 den Siebenstundentag besaßen und Ende 1931 92 % besitzen werden. Der Reallohn stieg während der ersten 2 Jahre des Fünfjahrplanes um 12,1 % pro Kopf. Die Sozialpolitik steht im Zeichen der Ausgabensteigerung des proletarischen Staates für diese Zwecke auf allen Gebieten.

Die Hebung des sozialen Niveaus betrifft aber ebensosehr die werktätigen Bauernmassen, die durch die Kollektivisierung von den primitiven und menschenunwürdigen Arbeitsmethoden erlöst und in ihrem gesamten Lebensniveau gehoben werden.

Was ergibt sich aus allen Tatsachen? Der völlige Sieg der Generallinie. Früher sagten wir gegen Trotzki: Nep[19] bedeutet keine Erneuerung des Kapitalismus, sondern den erfolgreichen Wettlauf der sozialistischen Elemente in der Industrie und Gesamtwirtschaft mit den privatwirtschaftlichen Elementen. Heute ist dieser Wettlauf in der Industrie längst entschieden.

Früher stellte Bucharin die These auf, die Kulaken in den Sozialismus wachsen zu lassen. Heute ist die Liquidierung des Kulakentums als Klasse weit fortgeschritten.

Früher warnte Bucharin vor einem raschen Tempo und vor der Generallinie der Partei. Heute nähern wir uns dem Zeitpunkt, wo auch in der Landwirtschaft die sozialistischen Elemente die privatwirtschaftlichen verdrängen.

Beim Beginn der bolschewistischen Revolution sagte Lenin: Als wir zur Macht schritten, kannten wir nur die allgemeine Linie des Sozialismus in ihren großen Zügen. Das wußten wir. Aber ‑ so fuhr er fort[20]:

Weder die Formen der Umgestaltung, noch das Tempo, die Schnelligkeit der Entwicklung, der konkreten Organisation, haben wir gekannt.

Und heute?

Mit vollem Recht konnte Stalin in seinem Schlußwort auf dem 16. Parteitag feststellen[21]:

Wir sind bereits in die Periode des Sozialismus eingetreten!

Zwei Systeme stehen sich gegenüber in der Welt: Das bankrotte System des Kapitalismus in seiner Profitwirtschaft auf der einen Seite. Der kühn vorwärtsmarschierende, siegreiche Sozialismus auf der anderen Seite. Die Dumpinghetze der Bourgeoisie gegen die Sowjetunion und ihren Export zeigt nur die Angst der Imperialisten vor dem Vormarsch des Sozialismus. Dabei geht die Kriegshetze gegen die Sowjetunion Hand in Hand mit der Verschärfung der Krise in den kapitalistischen Ländern, mit der Angst vor dem eigenen Proletariat. So schreibt das führende englische Organ, die "Times", vom 2. Januar, unter dem Titel: "Europa am Scheidewege":

In diesem Augenblick, wo das Jahr 1930 in das Jahr 1931 übergeht, herrscht auf dem Kontinent ohne Zweifel ein allgemeines Gefühl der Unruhe und Erwartung, eine nervöse Hoffnung auf eine Wendung und die Überzeugung von ihrer Unvermeidlichkeit. [...] Im deutschen Parlament verfügt die Kommunistische Partei über 77 Sitze und bei den kürzlichen Wahlen zum Danziger Parlament verdoppelten die Kommunisten ihre Stimmenzahl. Es ist eine Tatsache, daß der Kommunismus selbst in so entfernten Ländern wie Bulgarien und Spanien wächst. [...] Die Anhänger von Marx und Lenin sind ‑ es wäre albern, das zu verkennen ‑ von einem großen Eifer für die Propaganda ihrer Ideen beseelt und sie streben nach einer außerparlamentarischen Regierungsform auf der Grundlage der Sowjets. Zwischen ihnen und den Faschisten geraten die Mittelparteien Europas in größte Bedrängnis.“

Noch deutlicher äußert sich das führende Blatt der französischen Bourgeoisie, "Temps"[22]:

Das Jahr 1930 war eine Enttäuschung in jeder Hinsicht. [...] Obwohl noch keine unmittelbare Gefahr besteht, so gebietet die Wendung in der internationalen Lage doch um so größere Wachsamkeit, als ohne Zweifel die Sowjetunion entschlossen ist, alle Mißverständnisse und alle Mißstände und internationalen Komplikationen auszunützen. Die russische Wunde im Leibe Europas bleibt das größte Unglück unserer Epoche und, so lange diese Wunde nicht ausgebrannt ist, wird die Welt fortfahren, in Wirrsalen und Unruhe zu leben.

III. Die ökonomische Lage Deutschlands

In den gesamten Darlegungen der Weltpresse, aus Anlaß der Jahreswende, aus denen die angeführten Zitate der "Times" und des "Temps" nur eine Probe darstellen, spielt die Lage in Deutschland die Hauptrolle. Die Entfaltung der Krise in Deutschland hat auch nach den bürgerlichen Darlegungen einen besonders hohen Grad angenommen. Bevor man von der allgemeinen Darstellung des gegenwärtigen Standes der Krise zur Untersuchung ihres besonderen Charakters und damit zu einer Prognose über ihre weitere Entwicklung übergeht, ist es noch notwendig, einige der wichtigsten Tatsachen der ökonomischen Lage Deutschlands anzuführen:

1. Es wurde schon bei der internationalen Betrachtung auf die Tatsache hingewiesen, daß die Nichtausnutzung der Produktionskapazität in Deutschland bereits einen solchen Grad angenommen hat, daß die gesamte Industrie nur zu 53,4 Prozent nach dem Bericht des "Instituts für Konjunkturforschung", der mit dem Oktober 1930 abschließt, beschäftigt ist. Im einzelnen ergeben sich dabei folgende Tatsachen: Der Beschäftigungsgrad, gemessen in der Zahl der geleisteten Arbeitsstunden in Prozenten der Arbeitsstundenkapazität, beträgt in der Produktionsgüterindustrie 56,2 %, in der Verbrauchsgüterindustrie 62 %. Bei Nahrungs- und Genußmitteln 69,9 %, bei Textilien 59,4 %, bei Wohnungs-, Luxus- und Kulturproduktion 56,1 %, bei Grundstoffen 52,8 %, bei Konstruktionen sogar nur 42 %. Das Tempo des Rückganges der Beschäftigung in den einzelnen Monaten des Jahres 1930 ergibt ein Fallen vom Januar bis September von 62,2 % auf 56 %. Vom September zum Oktober beträgt der Rückgang dann allein in einem Monat 2,6 %. Wenn man in Betracht zieht, daß die Ziffer des Oktober hinsichtlich der Erwerbslosigkeit 3½ Millionen war und inzwischen selbst nach der amtlichen Statistik über 5 Millionen Erwerbslose angewachsen ist, so ergibt sich daraus, wie weit die Nicht-Ausnutzung der Produktionsmittel in Deutschland in immer rascherem Tempo gestiegen ist.

Die Massenerwerbslosigkeit mit ihrer Herabsetzung der Konsumkraft der Arbeiterklasse bewirkt ebenso wie der direkte Lohnraub eine dauernde Verengerung des inneren Absatzmarktes.

2. Wie im Weltmaßstabe zeigt sich auch in Deutschland der gleiche dauerhafte Charakter der Agrarkrise. Die Hochschutzzölle, die einen Versuch darstellen, die Schere zwischen Industrie- und Agrarpreisen zu schließen, werden für die Bauern, für den Kleinbesitz, völlig wirkungslos gemacht. Zwar steigen die Preise der Waren der Landwirtschaft, aber zugleich werden die Herstellungskosten, besonders Futtermittel, Düngemittel, Maschinen, Geräte, Werkzeuge außerordentlich verteuert. Andererseits drückt der Rückgang der Nachfrage infolge der Konsumdrosselung durch Erwerbslosigkeit usw. gerade das Preisniveau der bäuerlichen "Veredlungswirtschaft" (Fleisch, Molkereiprodukte, Eier, Obst, Wein, Gemüse). Hinzu kommt noch der Widerspruch zwischen dieser bäuerlichen "Veredlungswirtschaft" und der großagrarischen Verwertungswirtschaft. (Futter- und Brotgetreide, Hochfrucht.)

Ein weiteres Problem ist die große Masse von Zwerg- und Kleinbauern, rund 4 Millionen Betriebe, die zum größten Teil auf einen Nebenverdienst durch Lohnarbeit angewiesen sind. Die Massenerwerbslosigkeit trifft auch in Deutschland diese halbproletarischen Elemente und verschärft die Agrarkrise. Der Bodenhunger dieser zwerg- und kleinbäuerlichen Elemente wächst und steigert damit auch die Pachtzinsen für Parzellen. Auf der einen Seite also sinkende Einnahmen, auf der anderen Seite höhere Pachtbelastung. Die Verschuldung und Zinsbelastung wächst dauernd. Sie stieg nach bürgerlichen Angaben von 8 Milliarden Ende 1925 auf 11,7 Milliarden Ende 1930. Bei den staatlichen Krediten erhalten die Großagrarier fast alles, der bäuerliche Kleinbesitz fast nichts oder nur minimale Beträge.

3. Zur Industrie- und Agrarkrise tritt die permanente Krise der Staatsfinanzen. Alle Versuche, die immer neuen Löcher zuzustopfen, die sich im Budget des kapitalistischen Staatsapparates ergeben, werden durch die verschiedenen Faktoren der Krise stets von neuem durchkreuzt. Einmal drückt die Massenerwerbslosigkeit mit ihrer Belastung auf die Staatsfinanzen und wirft alle Berechnungen über den Haufen, wie es sich im vergangenen Jahr mehrfach zeigte. Hinzu kommt die ungeheure Belastung durch Reparationszahlungen und sonstige ausländische Kapitalverschuldung. Auf Grund der Goldklausel des Youngplanes[23] erhöhen sich die deutschen Reparationsleistungen im Zusammenhang mit der Goldwertsteigerung um zirka 15 %. Der Kreditbedarf für Reich, Länder und Gemeinden im zweiten Rechnungshalbjahr 1930 wurde selbst nach vorsichtigen, bürgerlichen Schätzungen mit 700 Millionen Mark angesetzt.

4. Die Krise im Geld- und Kreditwesen, die insbesondere im September-Oktober, im Anschluß an die Reichstagswahlen, eine ungeheure Verschärfung erfuhr und zu einer Kapitalausfuhr von rund 1,6 Milliarden Mark führte, bleibt auf Grund des Youngplanes dauernd bestehen. Allein für Reparationszahlungen besteht ein monatlicher Devisenbedarf von rund 240 Millionen Mark, der ausschließlich entweder durch Kapitaleinfuhr und neue Verschuldung oder durch Überschüsse der Handelsbilanz gedeckt werden kann. Die Überschüsse der Handelsbilanz im vergangenen Jahr, die in den ersten zehn Monaten 1,325 Millionen betrugen, sind zum großen Teil nicht nur auf eine Einschränkung der Einfuhr mengenmäßig zurückzuführen, sondern auch auf die verschiedene Entwicklung der Preise. Die Preise sind in der Einfuhr erheblich stärker als in der Ausfuhr gesunken. Die verhältnismäßig günstige Lage des deutschen Exports, im Vergleich zu anderen Ländern im vergangenen Jahre, hängt einmal mit dem besonders niedrigen Lohnniveau der deutschen Arbeiter, zweitens mit einem gewissen Vorsprung der deutschen Industrie gegenüber den konkurrierenden imperialistischen Mächten, mit Ausnahme der Vereinigten Staaten, in der Frage der technischen Rationalisierung, und drittens mit der Tatsache zusammen, daß der deutsche Export zu einem entscheidenden Teil nach Frankreich ging, das von der Krise am längsten verschont blieb. Die Auswirkungen der ökonomischen Krise auf den politischen Überbau, die sogenannte Vertrauenskrise, hat wiederum ökonomische Rückwirkungen. Wenn z. B. deutsches Kapital ins Ausland geht und von dort wieder nach Deutschland als Auslandskapital ausgeliehen wird, wie es z. B. auf Grund der Kapitalflucht im September-Oktober in besonders heftigen Formen, aber auch sonst während des ganzen Jahres 1930, vor sich ging, so bedeutet das eine außerordentliche Belastung des deutschen Kapitalmarktes. Nach bürgerlicher Schätzung handelt es sich dabei um 1,2 Milliarden Reichsmark jährlich an Zinsverlust, die der deutsche Kapitalmarkt erleidet. Das ins Ausland gebrachte Kapital wird dort zu etwa 4 % verzinst und von den ausländischen Vermittlern wiederum zu Zinssätzen von 7½ bis 11 % in Deutschland investiert. Auch alle bürgerlichen Finanzsachverständigen sind sich darüber klar, daß jede neue Erschütterung in der Art der Krise im deutschen Geld- und Kreditwesen im September-Oktober vorigen Jahres nicht nur eine vollkommene Transfer-Krise, d. h. die Unmöglichkeit der Abführung der Reparationszahlungen in ausländischer Valuta, sondern einen Zusammenbruch des gesamten Kreditwesens und damit eine vollkommene Stockung des ganzen Wirtschaftslebens weit über den Stand der gegenwärtigen Krise hinaus mit sich bringen würde.

IV. Die Lage der deutschen Arbeiterklasse und der Werktätigen

Welche sozialen Auswirkungen die Wirtschaftskrise für die arbeitende Bevölkerung zeitigt, ist auf Grund der geschilderten Tatsachen klar. Es ist nicht von ungefähr, daß Silverberg, der bekannte Großkapitalist, vor einigen Wochen die Frage stellte, die Bestimmungen des Youngplans seien nur durchzuführen, wenn es der deutschen Industrie gelingt, die Löhne der deutschen Arbeiter auf das Niveau der chinesischen Kulis und Bauern herabzudrücken. Wenn man in Betracht zieht, daß die deutsche Bourgeoisie zirka 1,6 Milliarden Mark an Zinsen an das Auslandskapital, dazu durchschnittlich ungefähr 2 Milliarden Mark auf Grund des Youngplanes zu zahlen hat, so ergibt sich die außerordentliche Gefährdung der gesamten Wirtschaft, die Einschnürung der Kapitalsakkumulation und damit der Antrieb für die Kapitalisten zu immer neuen Angriffen auf das Lebensniveau der Massen. Heute hat Deutschland im Ausland kurz- und langfristige Anleihen von 8,8-10,8 Milliarden Mark, während reine Schulden ans Ausland 26,1‑27,1 Milliarden Mark betragen. Für heute ergibt die Aufrechterhaltung der beiden Gegenposten eine Verschuldung Deutschlands von 16‑17 Milliarden Mark. Der Großindustrielle Duisberg spricht z. B. von 6 Milliarden Mark jährlicher Akkumulation des deutschen Kapitals. Das ist bestimmt zu wenig gerechnet, aber selbst wenn man rechnet, daß über 8 Milliarden akkumuliert werden, so ginge doch ein Drittel des angesammelten Kapitals auf Reparationsleistungen und Kapitalszinsen drauf. Selbstverständlich tritt somit eine außerordentliche Verschärfung der Klassengegensätze ein. Wir wollen nur ganz kurz die Hauptmerkmale der sozialen Auswirkungen der Krise in Deutschland aufzählen. Worum handelt es sich?

1. Die riesige Massenerwerbslosigkeit stellt einen dauernden indirekten Lohnraub an der Gesamtheit der Arbeiterklasse dar, zu dem die Kurzarbeit noch erheblich beiträgt.

2. Die ungeheure Lohnabbauoffensive der Unternehmer, unterstützt von den Reformisten und Christen[24] und dem Staatsapparat, bringt darüber hinaus einen direkten Lohnraub, der von Mitte 1930 bis April 1931 durchschnittlich 15 % beträgt.

3. Dazu tritt die Herabsetzung der Reallöhne durch die künstliche Teuerung mit Hilfe der Zoll- und Monopolpolitik. Der verhältnismäßig geringfügige Preisrückgang auf dem Inlandsmarkt, besonders bei allen Verbrauchsgütern der Massen, im Vergleich zu den Weltmarktpreisen auf Grund des Zollwuchers oder mit Hilfe der kartellgebundenen Preise, stellt naturgemäß eine dauernde Entwertung der Nominallöhne, einen indirekten Lohnraub, eine indirekte Senkung der Reallöhne dar. Ein bürgerlicher Journalist schrieb z. B. in der "Neuen Leipziger Zeitung" Nr. 142 einen Artikel unter der Überschrift "Deutschlands Kartelltribut, Gesamtbelastung wahrscheinlich höher als die Reparationen", in dem es u. a. heißt[25]:

Deutschland, das die ungeheure Last der Reparationen aufzubringen hat, muß überdies an die Monopolisten seinen Tribut leisten, den diese auf Grund ihrer organisierten Macht diktieren können. Ziffernmäßig läßt sich diese Tributleistung nur mit einer minimalen Summe veranschlagen. [...] Der Tribut, den Deutschland an seine Kartelle zahlt, wird jährlich auf 1,7 Milliarden zu beziffern sein. Man wird die These aufstellen können, daß Deutschland an seine Kartelle jährlich mindestens [...] ebenso viel, wahrscheinlich aber viel mehr Tribut zahlt als den ehemaligen feindlichen Mächten.

4. Der Abbau der Sozialpolitik auf allen Gebieten, in der Frage der Erwerbslosen, der Kranken, der Rentner und Invaliden, bei gleichzeitiger Steigerung der Soziallasten der Betriebsarbeiter, bei dauernder Verschärfung des Steuerwuchers, bedeutet eine weitere Tatsache, die zur Senkung des Lebensniveaus der Massen beiträgt. Man kann heute signalisieren, was für die RGO von größter Bedeutung ist, daß in dem Maße, wie die Periode der Lohnabbauoffensive zum Abschluß gelangt - was natürlich heute noch nicht der Fall ist -, eine neue Offensive auf die sozialen Leistungen sich vollzieht. Man kann heute schon sagen, daß die Bourgeoisie versuchen wird, 30‑40 Prozent der ganzen sozialen Leistungen, die der kapitalistische Staat für diese Schichten aufbringt, in nächster Zeit abzubauen. Es sei denn, daß der Widerstand und die Rebellion der Massen so stark sein werden, daß die Bourgeoisie vielleicht nicht in der Lage ist, diesen Abbau durchzuführen.

5. Die Lage der Mittelschichten in Stadt und Land ist von der des Proletariats nicht zu trennen. Der Lohnraub an den Arbeitern, Angestellten, Beamten drückt durch die Herabsetzung der Konsumkraft der Massen unmittelbar auf die Existenz der Kleingewerbetreibenden und Handwerker in der Stadt sowie der bäuerlichen Kleinproduzenten. Nehmen wir z. B. die Auswirkung des Ruhrkampfes auf den städtischen Mittelstand. Hier hatten die Streikenden an vielen Orten die volle Sympathie des Mittelstandes. Oder nehmen wir den Streik von 40 Betrieben am Niederrhein. Auch hier drückt sich die Sympathie des Mittelstandes, den Streikenden gegenüber, überall sehr stark aus. Worauf ist das zurückzuführen? Der Mittelstand sieht durch die Offensive der Unternehmer seine eigene Existenz bedroht. Man kann von einem beginnenden Klassenbewußtsein sprechen, von einer gewissen Annäherung an das Proletariat. Hier müssen wir unsere Arbeit ungeheuer verstärken und verbessern. Bei der jetzigen Preisabbaukampagne, diesem Schwindel, der zur Täuschung für[26] den Massenlohnraub getrieben wird, richtet das Finanzkapital selbstverständlich den Angriff niemals auf die Monopolpreise, sondern allein auf die des Kleinhandels und des Handwerks. Im Kampf um die Preise spielt sich lediglich der Kampf um die Anteile an der Profitrate ab, wobei naturgemäß die Kleinproduzenten erdrückt werden.

Die gesamte Verelendung der arbeitenden Bevölkerung Deutschlands, die sich in dem allgemeinen Konsumrückgang ausdrückt, ist auch eine der Ursachen für früher geschilderten Rückgang der Einfuhr, der im vergangenen Jahr allein einen Exportüberschuß und damit die Erfüllung des Youngplanes möglich machte. Hier zeigt sich die unlösliche Verknüpfung zwischen der Youngpolitik der deutschen Bourgeoisie und dem steigenden Massenelend, das eine Voraussetzung der Youngpolitik darstellt.

V. Die besonderen Merkmale der gegenwärtigen Krise

Die Gesamtheit der aufgezeigten Haupttatsachen und Faktoren der Krisen ermöglicht uns, die entscheidende Frage nach dem Charakter der jetzigen Krise zu beantworten.

Die erste Frage ist die: Handelt es sich bei der jetzigen Krise um eine “normale“ sogenannte zyklische Krise der kapitalistischen Wirtschaft, wie sie in der Vorkriegszeit periodisch alle 5 bis 15 Jahre aufzutreten pflegte? Oder handelt es sich lediglich um die allgemeine Krise des Kapitalismus in der Nachkriegszeit, ohne besondere Erscheinungen der konjunkturellen, zyklischen Krise? Oder drittens, welchen Charakter hat die Krise, falls wir die beiden ersten Fragen verneinen müssen? Die Bourgeoisie und Sozialdemokratie sind sich in dem Bestreben einig, die heutige Krise als eine ganz gewöhnliche “normale“, wenn auch besonders schwere darzustellen. Das deutsche "Institut für Konjunkturforschung", das in seinem letzten Bericht dieser Frage einen besonders breiten Raum einräumt, geht bis auf die 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts zurück, um einen Vergleich für die heutige Krise zu finden. Natürlich ist die Sozialdemokratie völlig mit dieser Einstellung der Bourgeoisie einverstanden. Ihr Haupttheoretiker, der Hilferding immer mehr verdrängt, der ehemalige bürgerliche Börsenredakteur Naphtali, schreibt z.B. in seiner Broschüre über "Wirtschaftskrise und Erwerbslosigkeit" wörtlich[27]:

Weder Youngkrise noch Rationalisierungskrise, noch gänzlicher Zusammenbruch des kapitalistischen Systems als Vorbote der Weltrevolution, sondern typische Krise des kapitalistischen Systems, mit historischen Besonderheiten, wie sie jede Krise aufzuweisen hat.

Ein Teil der Bourgeoisie macht, worauf Naphtali anspielt, speziell den Youngplan für die Krise verantwortlich.

Um den sozialdemokratisch-bürgerlichen Schwindel zu widerlegen, daß die jetzige Krise eine einfache “normale“ zyklische Krise wie in der Vorkriegszeit sei, ist es notwendig, zunächst ganz kurz die Besonderheiten der jetzigen Krise aufzuzählen.

1. Der allgemeine weltumfassende Charakter der Krise, der keinen Teil der kapitalistischen Welt ausläßt, nachdem die Krise jetzt auch Frankreich, Niederlande, Schweiz und die skandinavischen Länder einbezieht. Das ist eine völlig neue Tatsache.

2. Der Bestand der Sowjetunion und ihr sozialistischer Vormarsch. Die Tatsache, daß die proletarische Diktatur auf Grund der Beherrschung der Kommandohöhen den planmäßigen Aufbau der sozialistischen Wirtschaft, unabhängig von der kapitalistischen Weltwirtschaftskrise, durchzuführen vermag.

Genossen, ich will, um die Bedeutung zu illustrieren, die auch von Seiten der Bourgeoisie der Tatsache des sozialistischen Aufbaues der Sowjetunion beigemessen wird, einige Zitate aus dem bekannten Artikel des englischen liberalen Führers Lloyd George über den Fünfjahrplan anführen. Lloyd George schreibt u. a.[28]:

Die kommunistischen Führer haben sich an die Durchführung eines Planes gemacht, der an Umfang und Bedeutung alles in den Schatten stellt, was die Geschichte an großen und kühnen Unternehmungen bietet. Die Aufgaben Peters des Großen sinken im Vergleich zu Stalins Vorhaben zur Bedeutungslosigkeit herab. Stalin unternimmt es, Rußland, welches größer ist, als das gesamte Europa und zugleich von allen europäischen Ländern am schlechtesten organisiert ist, mit den modernsten Fabriken, Maschinen und Werkzeugen auszurüsten. Der gesamte Ackerbau eines ungeheuren Landes, in dem noch die primitivste Form der Bewirtschaftung herrscht, soll mechanisiert und die Bodenbestellung soll in einem Lande vergesellschaftet werden, in dem das übliche Mißtrauen des Bauern noch durch krassere Umbildung verschärft wird.

Am Schluß des Artikels von Lloyd George heißt es:

Auf jeden Fall macht Stalin Geschichte in großem Maßstabe. Hat er Mißerfolg, so ist der Kommunismus auf Generationen hinaus abgewirtschaftet und tot. Ist ihm aber Erfolg beschieden, so tritt damit der Kommunismus in den Kreis der Gedanken, deren Durchführbarkeit erwiesen ist und die deshalb von Volkswirtschaft und Sozialforschung ernst genommen werden müssen. Vielleicht die wichtigste Folge würde sein, daß in diesem Falle Rußland mit seiner ungeheuren Bevölkerung ‑ alles ausgezeichnetes Kampfmaterial ‑ eines der reichsten und damit mächtigsten Länder der Erde werden würde.

Ich glaube, daß diese Zitate aus dem Artikel eines so exponierten bürgerlichen Politikers,- wie es Lloyd George ist, deutlich erkennen lassen, welche Bedeutung die bloße Existenz der Sowjetunion und die Durchführung des Fünfjahrplans für die revolutionäre Entwicklung und zum Schaden des Kapitalismus darstellt.

3. Die Tatsache, daß im Zeichen des Monopolkapitalismus die Krise nicht zu einem allgemeinen Preissturz der industriellen Produkte führt, der in der Vorkriegszeit stets der regulierende Faktor war, der den Umschwung von der Krise zur Depression mit sich brachte.

Der jetzige Preissturz auf dem Weltmarkt ist z. T. nur ein fiktiver, da die imperialistische Zollpolitik und Kartellpolitik mit ihren Monopolpreisen auf den Märkten der einzelnen Länder die Auswirkungen des Rückganges der Weltmarktpreise stärker oder schwächer illusorisch macht.

4. Auch in den Zeiten der Hochkonjunktur wurde die Produktionskapazität nicht voll ausgenutzt und bestand ebenfalls eine Dauererwerbslosigkeit.

5. Der Preis der Ware Arbeitskraft ist bereits seit längerer Zeit unter den Wert herabgedrückt. Selbst in der Hochkonjunktur steigen die Löhne nicht annähernd wie der Wert der Arbeitskraft. Die absolute Verelendung greift also über die Erwerbslosen und Kurzarbeiter auch auf die Vollbeschäftigten über.

6. Damit entsteht eine dauernde Herabsetzung der Konsumkraft der Massen, eine dauernde Verengung der Absatzmärkte.

7. Mit der allgemeinen Verelendung entfällt in der Mehrzahl der Länder das Sparpolster, das während der Krise aufgezehrt werden könnte.

8. Die Industriekrise tritt in engster Verflechtung mit der Agrarkrise auf, wobei sich beide Erscheinungen gegenseitig verschärfen.

9. Mit der raschen technischen Entwicklung wird der Verschleiß des konstanten Kapitals in der Produktion beschleunigt, die Frist zur Erneuerung des konstanten Kapitals verkürzt. Damit wird der technische Umschwung unter dem Monopolkapitalismus zu einem Hebel, der die Fristen des Industriezyklus verkürzte, die Perioden des Aufstieges zeitlich einengte. Diesen verkürzten Fristen der vorhergehenden Konjunktur steht die verlängerte Zeitdauer der Krise, wie auch die längere Zeitdauer der vorhergehenden Depressionsperioden gegenüber. Allein die lange Dauer der Krise bewirkt eine verstärkte Aufzehrung aller Sparmittel selbst in den Ländern mit einem stärkeren Sparpolster.

Alle diese Tatsachen beweisen, wie lächerlich die Darstellung der Reformisten ist, die die heutige Weltwirtschaftskrise mit den “normalen” typischen Krisen der Vorkriegszeit einfach auf eine Stufe stellen wollen.

Andererseits muß auch die Theorie einzelner roter Professoren zurückgewiesen werden, als hätten wir es heute lediglich mit der allgemeinen strukturellen Krise des kapitalistischen Systems der Nachkriegszeit zu tun. Ein bestimmter konjunktureller Charakter der jetzigen Krise liegt unbestreitbar vor. Das gilt für Amerika, das nach einer langen Periode der Prosperität 1929/30 über die Finanzkrise in die allgemeine Wirtschaftskrise geriet und zugleich zur Verschärfung .der Weltwirtschaftskrise ausschlaggebend beitrug. Das gilt für Frankreich, das bis zuletzt einen Aufstieg erlebte und erst jetzt aus der Konjunktur in die Krise übergeht. Das gilt für England, wo es im Jahre 1929 einen gewissen Aufstieg im Verlaufe der allgemeinen Depression des englischen Kapitalismus gab. Das gilt für Deutschland, wo kurze Aufstiegsperioden und dauernde Krisen in der ganzen Nachkriegszeit abwechselten. Nach 1920 Konjunktur, dann Inflationskrise 1922/23, darauf Belebung im Jahre 1924, dann wieder Depression 1925/26. Darauf rascher Aufstieg 1927/28, dann 1929 Depression, Krisenerscheinungen und 1930 die schwerste und tiefste Krise.

Es sind also gewisse zyklische Erscheinungen vorhanden. Andererseits eine Reihe von Faktoren, die sich prinzipiell von den Erscheinungen der periodischen Vorkriegskrisen des Kapitalismus unterscheiden. Was ergibt sich daraus?

Der Charakter der heutigen Krise ist der einer zyklischen Krise auf dem Boden der allgemeinen Krise des kapitalistischen Systems im Zeitalter des Monopolkapitalismus. Hier müssen wir die dialektische Wechselwirkung zwischen der allgemeinen Krise und der periodischen Krise verstehen. Einerseits nimmt die periodische Krise heftige und noch nie dagewesene Formen an, weil sie sich auf dem Boden der allgemeinen Krise des Kapitalismus vollzieht, weil sie von den Bedingungen des Monopolkapitalismus beherrscht wird. Andererseits wirken wiederum die Zerstörungen durch die periodische Krise vertiefend und beschleunigend auf die allgemeine Krise des kapitalistischen Systems und rufen Erscheinungen hervor, die zweifelsohne auch durch keinen etwaigen Umschwung in die Depression oder irgendeine Erholung wieder ausgeglichen werden könnten. Dabei muß betont werden, daß für einen solchen Umschwung gegenwärtig selbst nach allen bürgerlichen Feststellungen keinerlei Anzeichen vorhanden sind.

VI. Die Perspektive der Entwicklung der Krise

Wir kommen nunmehr zur Prognose der künftigen Entwicklung. Welche Perspektiven ergeben sich? Das ist ja das Wesen unserer marxistischen Untersuchung, daß wir über die Beschreibung der Situation hinaus eine wirkliche Analyse der Triebkräfte der Wirtschaft und Gesellschaft geben können und aus dieser Analyse imstande sind, die richtigen Perspektiven abzuleiten, was wiederum eine Voraussetzung für eine richtige Politik bildet. Mit Stolz können wir feststellen, daß gegenüber dem Bankrott aller bürgerlichen und reformistischen Theorien die Kommunistische Internationale mit ihren Prognosen völlig recht behalten hat, weil sie eben allein die einzige wissenschaftliche Methode des Marxismus-Leninismus anwandte. Auf dem VI. Weltkongreß gab es noch große Schwankungen von seiten der Rechten und Versöhnler unter der Führung Bucharins, so daß die Analyse nicht in allen Punkten ausreichend war. Das X. Plenum des EKKI holte das nach, was auf dem VI. Weltkongreß ungenügend hinsichtlich der Analyse war. Das Erweiterte Präsidium des EKKI im Februar stellte vollkommen richtig die Perspektive der herannahenden Weltwirtschaftskrise in ihrem ganzen Ausmaß, wie wir es inzwischen erlebt haben. Die Perspektiven, wie sie damals Genosse Manuilski darlegte, sind völlig durch die geschichtliche Entwicklung bestätigt worden. Wenn wir z. B. die Resolution des X. Plenums in bezug auf die Lage Deutschlands und die Auswirkungen des Reparationsproblems betrachten, so finden wir dort folgende Stelle[29]:

Die Reparationslasten führen innerhalb Deutschlands zur raschen Verschärfung des Klassenkampfes, der einerseits in der rücksichtslosen Offensive des Unternehmertums, andererseits in großen Massenaktionen des Proletariats zum Ausdruck kommt. Die doppelte Belastung des deutschen Proletariats durch die Reparationszahlungen und durch den Druck der eigenen Bourgeoisie, beschleunigt das Heranreifen einer revolutionären Krise in Deutschland.

Heute sehen wir als eine bereits erwiesene Tatsache, daß diese Prognose des X. Plenums absolut richtig ist. Das X. Plenum hat mit diesen wenigen Worten den ganzen Charakter der jetzigen Entwicklung signalisiert. In unserer heutigen Resolution können wir auf Grund der jetzigen konkreten Analyse einen Schritt weitergehen. Wir sagen an einer Stelle unserer Resolution folgendes[30]:

Mit der weiteren Verschärfung der ökonomischen und politischen Krise in Deutschland entstehen bereits Tendenzen einer revolutionären Krise im Lande. Wie weit diese Tendenzen wachsen und sich entfalten, hängt in erster Linie vom Gang des Klassenkampfes, von der Kraftentfaltung und Massenaktivität des revolutionären Proletariats unter Führung der Kommunistischen Partei ab.

Wir sagen, es entstehen Tendenzen der revolutionären Krise. Man könnte vielleicht sogar schon von einigen Elementen der revolutionären Krise in Deutschland sprechen. Es ist auch klar, daß in einigen Monaten wir in dieser Frage wiederum eine noch präzisere Formulierung werden wählen können, weil das Tempo der Entwicklung ein sehr rasches ist.

Was haben wir jetzt für eine Prognose zu stellen?

l. Zum großen Teil ergibt sich schon aus den angeführten besonderen Merkmalen der jetzigen Krise eine solche Perspektive, daß der Tiefstand auf Grund dieser Merkmale noch keineswegs erreicht ist, sondern eine weitere Verschärfung eintreten muß. Aber diese Prognose läßt sich noch durch eine Fülle weiterer Tatsachen beweisen. Die Gründe, die für Deutschland bisher eine verhältnismäßig günstigere Lage in der Frage des Exports ergaben, als für die meisten anderen kapitalistischen Staaten (einen geringen Exportrückgang), fallen in steigendem Maße fort. Viele Faktoren, die bisher dem deutschen Hungerexport zugute kamen, schalten in Zukunft aus. Einmal wird durch die deutsche Lohnrauboffensive eine internationale Lohnabbauwelle angekurbelt, so daß hierdurch ein bestimmter Vorteil der deutschen Bourgeoisie fortfällt. Zweitens wird der Vorsprung in der technischen Rationalisierung, den die deutsche Bourgeoisie hat, in nächster Zeit in den Industrien der anderen kapitalistischen Konkurrenzen aufgeholt werden, wobei der zuletzt Rationalisierende den Vorteil hat, auf den besten Erfahrungen fußen zu können. Drittens fällt die Tatsache erschwerend ins Gewicht, daß der deutsche Export sehr stark nach Frankreich, in ein bisher von der Krise verschontes Land, ging, während mit Frankreichs Eintritt in die Krise auch speziell Deutschlands Export nach Frankreich stark zurückgehen wird. Viertens wird der Kampf Deutschlands auf dem Weltmarkt erschwert durch die Schwierigkeit des Kapitalexports, der zur gleichen Zeit ein Motor des Warenexportes ist. Diese Schwierigkeit besteht einmal in der Belastung des deutschen Kapitalismus mit den Reparationen, die einen Zuschuß für die Konkurrenz und eine Verminderung der jährlichen Akkumulationssummen des deutschen Kapitalismus darstellen, zum anderen auch in der Zinsbelastung, weil der kapitalistische Aufbau in Deutschland mit geliehenem Kapital erfolgte. Fünftens fehlen der deutschen Bourgeoisie auf Grund des verlorenen Weltkrieges jene imperialistischen Machtmittel, wie Flotte usw., die in der kapitalistischen Weltwirtschaft beim Kampf um die Absatzmärkte einen offenen kaufmännischen Faktor darstellen. Allen diesen negativen Umständen steht allein die Senkung der Rohstoffpreise als positiver Faktor der Erleichterung des Exports gegenüber. Die zunehmenden Schwierigkeiten des Exports bringen aber nicht nur gleichfalls eine Verschärfung der Erwerbslosigkeit, sondern vor allem auch eine Verschlechterung der Handelsbilanz, damit eine Verstärkung der Young-Krise und neue Faktoren einer Krise auf dem Geldmarkt und im Kreditwesen, wie im September-Oktober vorigen Jahres. Eine Steigerung der Arbeitslosigkeit auf 5 Millionen bis zum Februar ist wahrscheinlich. Dieses weitere Wachstum der Erwerbslosigkeit bringt zugleich mit dem Zusammenwirken der Dauer der Erwerbslosigkeit eine Verstärkung der Finanzschwierigkeiten für Reich, Länder und Gemeinden mit sich.

Der Januar mit der Fälligkeit von Steuer, Hypothekenzinsen, Mieten, Pachten usw. muß zusammen mit der dauernden Senkung des Massenkonsums ein Fortwirken und eine Verschärfung der Agrarkrise sowie erhöhte Schwierigkeiten für die werktätig Mittelschichten mit sich bringen. Ein Ansteigen der Konkurswelle ist mit Sicherheit zu erwarten.

2. Die Mehrzahl dieser für Deutschland vorliegenden Faktoren, die eine weitere außerordentliche Verschärfung der Wirtschaftskrise in Deutschland mit sich bringen, haben auch international Geltung.

Ganz besonders der Eintritt Frankreichs in die Krise zeigt erneut, wie das von Lenin festgestellte Gesetz der ungleichförmigen[31] Entwicklung im Zeitalter des Imperialismus sich zu Ungunsten des Kapitalismus auswirkt. Das ungleichförmige Tempo, in dem die einzelnen kapitalistischen Länder von der Weltwirtschaftskrise erfaßt werden, führt gerade zu einer Erhöhung der Schwierigkeiten im internationalen Maßstabe, sobald dieses “verspätete” Einmünden in die allgemeine Entwicklung der Krise erfolgt. Das traf seinerzeit für Amerika zu und heute für Frankreich.

Die zunehmenden Auswirkungen der ökonomischen Krise auf den politischen Überbau erzeugen wiederum eine verschärfende Krisenwirkung ökonomischer Natur. Das gilt z. B. für die Schwierigkeiten auf dem Gebiet des Kreditwesens infolge der politischen Vertrauenskrise. Das gilt auch für die Young-Krise allgemein.

Mit dem internationalen Charakter der vor uns liegenden Verschärfung der Weltwirtschaftskrise tritt zugleich eine gewisse Bindung der Bourgeoisie der einzelnen Länder im Klassenkampf ein. Die Voraussetzungen für einen gleichzeitigen Aufschwung der Arbeiterbewegung in allen entscheidenden kapitalistischen Ländern, wenn auch in verschiedenem Tempo, sind gegeben. Damit wird die Lage für das Proletariat in dem Lande, wo die Krise und der revolutionäre Aufschwung am weitesten fortgeschritten sind, objektiv günstiger. Andererseits steht die Frage des kapitalistischen Auswegs aus der Krise durch den Faschismus gegen das eigene Proletariat und durch den imperialistischen Krieg im internationalen Maßstabe.

3. Wie steht also die Aussicht für ein Umschlagen der Weltwirtschaftskrise beziehungsweise der Krise in Deutschland in eine revolutionäre Situation?

Wir müssen hier die Frage untersuchen, was Lenin in verschiedenen Dokumenten bezüglich der Vorbedingungen für die Entstehung einer revolutionären Situation gesagt hat Wenn wir z. B. die im Jahre 1920 geschriebene Broschüre "Der linke Radikalismus, die Kinderkrankheit im Kommunismus", nehmen, so heißt es dort u. a.[32]:

Erst wenn die “unteren Schichten” nicht mehr wollen und die “oberen Schichten” nicht mehr in der alten Weise leben können, erst dann kann die Revolution siegen. Mit anderen Worten ausgedrückt, lautet diese Wahrheit: die Revolution ist unmöglich, ohne eine allgemeine nationale (sowohl die Ausgebeuteten als auch die Ausbeuter berührende) Krise.

Und in einem Artikel über den Zusammenbruch der II. Internationale, der bereits aus dem Jahre 1915 stammt, sagte Lenin folgendes über die revolutionäre Situation[33]:

Welches sind überhaupt die Merkmale der revolutionären Situation? Wir werden sicherlich nicht fehlgehen, wenn wir folgende drei Merkmale nennen:

1. Die Unmöglichkeit für die herrschenden Klassen, ihre Herrschaft in unverändertem Zustand zu erhalten; die eine oder andere Krise der “oberen Schichten”, eine Krise der Politik der herrschenden Klasse, die einen Riß entstehen läßt, durch den die Unzufriedenheit und Empörung der unterdrückten Klassen durchbricht. Damit die Revolution ausbricht, genügt es in der Regel nicht, daß die “unteren Schichten” nicht in der alten Weise leben können.

2. Die Verschärfung der Not und des Elends der unterdrückten Klassen über das übliche Maß hinaus.

3. Bedeutende Steigerung der Aktivität der Massen infolge der erwähnten Ursache, der Massen, die sich in der “friedlichen” Epoche ruhig ausplündern lassen, in stürmischen Zeiten dagegen durch die ganze Situation der Krisen, wie auch durch die ‘oberen Schichten' selbst zu selbständigem historischen Handeln gedrängt werden.

Und, Genossen, als letztes Zitat über die objektiven und subjektiven Merkmale der revolutionären Situation, wie sie Lenin schildert, folgendes[34]:

Nicht aus jeder revolutionären Situation entsteht eine Revolution, sondern nur aus einer solchen Situation, in der zu den oben aufgezählten objektiven Veränderungen noch subjektive hinzukommen, nämlich: wenn hinzukommt die Fähigkeit der revolutionären Klasse zu revolutionären Massenaktionen, die genügend stark sind, um die alte Regierung zu stürzen (oder zu erschüttern), die niemals, sogar in der Epoche der Krise nicht, “fallen” wird, wenn man sie nicht “stürzt”.

Diese drei Zitate zeigen zur Genüge, welches die entscheidenden Fragen bei der Bestimmung einer revolutionären Krise sind. Wie steht es nun mit dieser Möglichkeit in Deutschland?

Hier muß man an die Fragestellung auf dem letzten Plenum des Zentralkomitees im Juli vorigen Jahres erinnern.

Schon damals wiesen wir auf die These Lenins hin, wonach es auf Grund der objektiven Faktoren allein keine absolut ausweglose Situation für den Kapitalismus geben kann. Der Zusammenbruch des Kapitalismus, wie ihn Marx und Lenin aufzeigen, ist ein historischer Zusammenbruch, kein mechanischer, kein automatischer. Wir müssen die Situation ausweglos für den Kapitalismus machen!

Heute ist es noch viel klarer, wie notwendig diese leninistische Fragestellung für uns ist. Wir haben auf der einen Seite den verzweifelten Versuch der Bourgeoisie, auf Kosten der Massen, durch eine ungeheuerliche Verelendung einen kapitalistischen Ausweg aus der Krise mit Hilfe faschistischer Methoden zu erzwingen. Wir haben andererseits den wachsenden revolutionären Aufschwung. Noch sind nicht alle objektiven Bedingungen der revolutionären Situation, wie sie Lenin formulierte, völlig gegeben. Aber die Rolle des subjektiven Faktors wird immer klarer. Und so lautet unsere Antwort auf die Frage nach dem Entstehen einer revolutionären Situation:

Wir müssen die revolutionäre Situation organisieren!

Schon der Ruhrkampf hat gezeigt, ein wie gewaltiger krisenverschärfender Faktor jeder Lohnkampf auf Grund seiner heutigen politischen Bedeutung werden kann, wenn ihn das Proletariat unter richtiger Führung durch die RGO entfacht. In Offensivgefechten, in der Gegenoffensive, im revolutionären Massenkampf des Proletariats liegt der Schlüssel zur revolutionären Situation.

VII. Die politischen Auswirkungen der Krise in Deutschland

Wir kommen nunmehr zum Problem der politischen Auswirkungen der Krise. Im politischen Überbau der kapitalistischen Wirtschaft zeigt sich besonders deutlich der dialektische Prozeß, in dem die zyklische Krise durch die allgemeine Krise des Kapitalismus beeinflußt wird und wiederum diese allgemeine Krise verschärft und auf eine höhere Stufe treibt.

l. In den Mittelpunkt unserer Betrachtungen müssen wir den revolutionären Aufschwung stellen. Welches sind die wichtigsten Tatsachen der letzten Zeit, in denen er sich widerspiegelt? Da sind zunächst die Reichstagswahlen vom 14. September. Eine Analyse des Wahlergebnisses, die wir z. Zt. vorgenommen haben, zeigt außerordentlich demonstrativ die Zuspitzung der Klassensituation, Auf der einen Seite der Einbruch der Kommunistischen Partei ins Lager des Reformismus. Die Eroberung der Mehrheit der Arbeiterschaft in wichtigen proletarischen Bezirken. Ein Prozeß der Zusammenballung der proletarischen Klassenkräfte unter Führung der KPD. Auf der anderen Seite der Faschismus, der das Erbe der alten bürgerlichen Parteien antritt, denen die Massen in Scharen weglaufen. Die soziale und nationale Demagogie der Hitlerpartei erweist sich als ein letzter Schutzwall, um den Prozeß der Abwanderung dieser Massen ins Lager der Revolution aufzuhalten. Aber der Vormarsch der Kommunistischen Partei gerade an den wichtigsten Knotenpunkten des Klassenkampfes, die soziale und klassenmäßige Einheitlichkeit in der Anhängerschaft des Kommunismus, das Nachlassen des Masseneinflusses des Reformismus, das sind wichtige Tatsachen, die den 14. September zu einem gewaltigen Erfolg der revolutionären Klassenfront machten.

Auf den 14. September folgte der Berliner Metallarbeiterstreik. Er brachte den Beweis, daß der Erfolg der Kommunisten bei den Reichstagswahlen kein parlamentarischer, sondern ein außerparlamentarischer Erfolg in der Massenmobilisierung für den revolutionären Klassenkampf gewesen ist.

Wenn man von Einzelheiten absieht, muß als drittes wichtigstes Faktum der Ruhrkampf und der oberschlesische Bergarbeiterkampf genannt werden, der schon in viel höherer, reiferer Form als der Berliner Metallarbeiterstreik die Zuspitzung des revolutionären Klassenkampfes zeigt. Wir werden auf die Rolle dieser Kämpfe und ihre Lehren noch zurückkommen.

Ein vierter Faktor des revolutionären Aufschwungs ist überhaupt die heutige, viel bedeutsamere Rolle der RGO, die auch äußerlich in der Schaffung von roten Gewerkschaften, wie der Einheitsverband der Metallarbeiter Berlins oder jetzt der Einheitsverband der Bergarbeiter des Ruhrgebiets in Erscheinung tritt.

Ein fünfter, besonders wichtiger Faktor, ist die gewaltige Welle des antifaschistischen Massenkampfes, die sich in Deutschland entfesselt.

Im Zusammenhang damit steht die Radikalisierung der SPD-Arbeiter und der proletarischen Mitglieder der SAJ und auch von Teilen der proletarischen Elemente des Reichsbanners.

Die organisatorischen Fortschritte der Partei, ihr rasches Wachstum und ebenso die Erfolge des Kommunistischen Jugendverbandes spiegeln gleichfalls den revolutionären Aufschwung wider.

2. Als Gegenwirkung des revolutionären Aufschwungs im Verlauf der Krise vollzieht sich die Krise und Faschisierung der bürgerlichen Parteien, einschließlich der Sozialdemokratie. Diese Faschisierung ist die Antithese des dialektischen Prozesses, der sich in den Klassenbeziehungen vollzieht. Der Prozeß der Faschisierung, der gerade in den letzten Wochen in ein neues, höheres Stadium getreten ist, hat seit mehr als einem Jahr in heftigeren Formen eingesetzt. Wenn wir die Vorgeschichte der jetzigen faschistischen Entwicklung Deutschlands etwas zurück verfolgen, so ergibt sich, daß schon die Spaltung der Deutschnationalen Partei, die Abwanderung des sogenannten gemäßigten Flügels, die ja bekanntlich ratenweise erfolgte, einen wichtigen Ausgangspunkt darstellte. Einerseits bildeten die abgespaltenen, gemäßigten Deutschnationalen unter Westarp und Treviranus die Brücke, auf der die bürgerlichen Mittelparteien, Zentrum und Volkspartei von der großen Koalition mit der SPD weg zu der neuen Bürgerblockfront sich umformieren, aus der der heutige Brüning-Block entstand. Andererseits war die Entwicklung der deutschnationalen Rumpfpartei, unter Führung Hugenbergs, von einer reaktionären zur faschistischen Partei ein entscheidender politischer Prozeß. Man muß einmal die Rolle Hugenbergs in ihrer ganzen klassenmäßigen Bedeutung feststellen. Die Hugenbergpolitik bedeutet nichts anderes, als den Versuch des klassenbewußten extremsten Teils des deutschen Finanzkapitals, selbst auf Kosten der Zerschlagung des Organismus der alten deutschnationalen Partei, die bis dahin die stärkste bürgerliche Partei gewesen war, die Hitlerpartei im Sinne des Finanzkapitals zu erziehen. Sie muß, wie sich neuerdings auch die Deutsche Volkspartei ausdrückt, “kanalisiert” werden, um im Sinne des Finanzkapitals regierungsfähig zu werden. Klassenmäßig bedeutet dieser Vorgang, daß die Großbourgeoisie, respektiv Teile der Großbourgeoisie in die Hitlerpartei direkt oder indirekt “hineingehen”, um sich hier ein geeignetes politisches Organ zur Ausübung der faschistischen Diktatur heranzubilden. Gleichzeitig mit diesem Prozeß in einer dauernden Wechselwirkung vollzog sich die faschistische Entwicklung des anderen Teils der Bourgeoisie, der durch Brüning repräsentiert wird und an dessen Spitze das Zentrum steht. Wir haben schon auf den vorangehenden Tagungen des Zentralkomitees aufgezeigt, wieso gerade das Zentrum in dieser Periode zur Führung der Politik der deutschen Bourgeoisie besonders befähigt war und die führende Rolle innerhalb der Bourgeoisie, die eine Zeitlang der Volkspartei gehörte, übernommen hat. Ein gewisser Wendepunkt in dieser ganzen Entwicklung war der Fußtritt der Bourgeoisie für die SPD im März vorigen Jahres, der die Hermann-Müller-Regierung erledigte. Gegenwärtig sehen wir nun, daß der gesamte Prozeß, wobei die beiden Lager des Faschismus natürlich nicht schematisch von einander getrennt sind, eine bestimmte höhere Entwicklungsstufe erreicht hat.

3. Wenn die deutsche Bourgeoisie heute unmittelbar an die Durchführung der faschistischen Diktatur herangeht, so ist das kein Ausdruck ihrer Stärke, auch kein Ausdruck einer Schwäche oder Niederlage des Proletariats, sondern im Gegenteil: Die Bourgeoisie greift zur äußersten Herrschaftsform, sie benutzt den Faschismus als Sturmbock gegen die proletarische Revolution. Hier zeigt sich jener geschichtliche Vorgang, daß die Revolution mit ihrer höheren Entwicklung zugleich eine höhere Stufe der Konterrevolution produziert und wenn sie diese überwindet, zur höchsten Kraftentfaltung heranreifen kann. Jenen Prozeß schildert in ähnlicher Form schon Karl Marx in den "Klassenkämpfen in Frankreich", wo er ausführt, daß der revolutionäre Fortschritt sich "in der Erzeugung eines Gegners, durch dessen Bekämpfung erst die Umsturzpartei zu einer wirklich revolutionären Partei heranreift", Bahn gebrochen habe.

4. Welches sind die wichtigsten Tatsachen, in denen sich der Übergang der Bourgeoisie zu faschistischen Herrschaftsmethoden ausdrückt? Hier ist einmal der Bankrott des Parlamentarismus. Die Bourgeoisie regiert nur noch mit Notverordnungen. Die Diktaturmaßnahmen auf Grund des Ausnahmeparagraphen 48 sind keine Ausnahmen mehr, sondern werden zur Regel. Der Reichstag darf nur noch zusammentreten, um gelegentlich seinen Totenschein zu unterschreiben, indem er den diktatorisch verordneten Gesetzen nachträglich seine Zustimmung gibt.

Der Reichsrat wird auch schon ohne formelle Verfassungsänderung in der Praxis der Bourgeoisie zu einer ersten Kammer im Sinne eines faschistischen Umbaues des Staatsapparates. Auf der gleichen Linie liegen die Pläne bezüglich des Reichswirtschaftsrates als eines “Ständeparlamentes” und alle Pläne der Reichs- und Verwaltungsreform.

Die “kommunale Demokratie” ist nahezu völlig abgeschafft. Anstelle der selbständigen Finanzgebarung der städtischen und sonstigen Kommunalparlamente sind in nahezu allen wichtigen Städten von oben eingesetzte Staatskommissare getreten, die diktatorisch, ohne Rücksicht auf die kommunalen Mehrheiten und ihre parlamentarischen Beschlüsse vorgehen.

Die Polizeimaßnahmen gegen die ganze Berliner kommunistische Stadtverordnetenfraktion nach dem Muster des Lappo-Faschismus[35], die Entlassung aller kommunistischen Beamten unter frechem Hohn auf die Weimarer “Verfassung”, schließlich die geplante, zum Teil schon praktisch eingeführte Arbeitsdienstpflicht sind weitere Tatsachen der Faschisierung.

5. Ein ganz besonderes Kapitel stellt die Außenpolitik dar, bei der sich die Zeichen der imperialistischen Kriegstendenzen außerordentlich verschärfen. Die offene Ankündigung der Notwendigkeit, den Youngplan zu revidieren, Deutschlands Aufrüstung zu betreiben, die chauvinistische Hetze gegen Polen, die Ostreise Brünings, die allerdings durch uns durchkreuzt wurde, die nationalsozialistischen Truppenformationen in Schlesien und Ostpreußen, das alles kennzeichnet den kriegerischen Kurs in der Außenpolitik. In welcher Richtung entwickelt sich diese Kriegspolitik des deutschen Imperialismus? Die Zuspitzung des deutsch-polnischen Gegensatzes und damit ein bestimmter Druck auf Frankreich, einige finanzielle Konzessionen und wirtschaftliche Abmachungen zu erreichen, sowie die gesamte Revanchehetze der Nationalsozialisten bedeutet keine Abschwächung, sondern eine Steigerung der Gefahr des Interventionskrieges gegen die Sowjetunion. Solche Konflikte der imperialistischen Mächte untereinander können leicht umschlagen. Man “einigt” sich zum gemeinsamen Raubzug gegen den klassenmäßigen Feind aller imperialistischen Mächte, gegen die Sowjetmacht.

Die faschistische Entwicklung Deutschlands schließt den Ring der imperialistischen Interventionsfront gegen die Sowjetunion. Wie frech diese Kriegshetze bereits betrieben wird, zeigt ein Zitat der "Hamburger Nachrichten", in dem es heißt:

Man kann von der Bildung eines in sich festgefügten deutsch-französischen Blocks die Zukunft Europas abhängig machen. Und es ist durchaus richtig, daß ein solcher Block dem alten, müd gewordenen Erdteil Europas noch einmal große schöpferische Kraft sowohl in der Richtung nach Afrika, wie in der Richtung auf Asien verleihen könnte. Es ist durchaus richtig, daß dieser Block dem trunkenen Blick ungeahnte wirtschaftliche Perspektiven eröffnen würde. Vor ihm würde die Rätemacht in Moskau dahinschwinden, das große, weite Rußland, Rußland mit Sibirien, läge den kolonialen Bestrebungen deutsch-französischer Wirtschaftsunternehmungen offen. Alles, was der Irrsinn der Rätewirtschaft in dem weiten Reich mit seinen fast 150 Millionen Menschen zerstört hat, könnte wieder erobert werden zugunsten der mittel- und westeuropäischen Wirtschaft.

VIII. Das Problem der faschistischen Diktatur

1. Von ausschlaggebender Bedeutung für die faschistische Entwicklung Deutschlands ist die verschiedenartige Rolle, die einerseits der Sozialfaschismus, andererseits der Faschismus spielt, und ihr Verhältnis zueinander.

Wir sehen zunächst die abwechselnde Ausnutzung der beiden Kräfte seitens des Finanzkapitals, wie sie sich einerseits in der Preußenregierung mit der Sozialdemokratie, andererseits der Thüringischen und braunschweigischen Regierung mit den Nazis zeigt. Die Politik der Sozialdemokratie hat nicht nur den Nazis den Weg geebnet, sondern die heutige Rolle des Sozialfaschismus ist förmlich die einer Hilfspolizei des Faschismus. Wenn z. B. die Sozialdemokratie die parlamentarische Stütze der Brüningregierung ist, so gibt sie gerade mit dieser Unterstützung Brünings, die angeblich gegen eine Hitlerregierung wirken soll, in Wirklichkeit den Nazis einen Spielraum, so daß sich diese in einer gewissen Scheinopposition erst recht eine breitere Massenbasis schaffen können. Das Wichtigste an der jetzigen Rolle des Sozialfaschismus ist seine außerparlamentarische Stützung der Brüningdiktatur mit Hilfe der reformistischen Gewerkschaften bei der Durchführung des Lohnraubes und des Abbaues der sozialen Leistungen. Auf der anderen Seite stellen die Nazis in allen Fragen der Außenpolitik, aber auch zum Teil in der Innenpolitik, die entscheidende außerparlamentarische Massenbasis für die Bourgeoisie bei der Durchführung der faschistischen Politik. Das beste Beispiel ist die Rolle der Göbbelsbanden beim Verbot des Remarque-Filmes.

Mit der revolutionären Zuspitzung wächst die Bedeutung der bewaffneten Konterrevolution, als Massenbewegung für die Bourgeoisie. Diese aber können nur die Nazis in ausschlaggebendem Maß stellen, nicht die Sozialdemokratie. Selbst in der Noske-Zeit wurde ja die damalige bewaffnete Konterrevolution zwar politisch von der Mehrheitssozialdemokratie eingesetzt und geleitet, faktisch jedoch nicht von den sozialdemokratischen Organisationen, sondern von den Freikorps, diesen Keimzellen der heutigen Nazipartei, durchgeführt. Mit der Verschärfung des Klassenkampfes und andererseits mit dem dauernden Rückgang des Masseneinflusses der SPD wächst daher die Rolle der Nazis. Wenn gegenwärtig die Volkspartei zum Teil auf die Linie der Hugenbergpolitik, der Heranziehung und “Kanalisierung“ der Nazis einschwenkt, während andererseits das Zentrum, besonders Kaas[36], sich gegen die jetzige Ausschaltung der Sozialdemokratie wendet und Absagen an die Nationalsozialisten richtet, so spiegeln auch diese Gegensätzlichkeiten nur die Zerklüftung Im kapitalistischen Klassenlager auf Grund der Krise wider.

2. Zweifellos stellen die geschilderten Tatsachen der Faschisierung eine neue höhere Phase gegenüber jener Entwicklungsstufe dar, wie sie in der ersten Periode der Brüningregierung nach dem Fußtritt für die SPD vorhanden waren. Wenn die Partei die neuen auftauchenden Probleme mit aller Kühnheit in Angriff genommen hat, so ist das zweifelsohne ein Verdienst, das auch dadurch nicht geschmälert wird, wenn wir bei der genaueren Analysierung nicht von vornherein alle Fragen sofort zu klären vermochten.

3. Wie steht es mit der Frage der faschistischen Diktatur? Was ist der klassenmäßige Inhalt des Begriffs faschistische Diktatur? Wenn man dieses Problem untersucht, ergibt sich, daß der klassenmäßige Inhalt einer faschistischen Diktatur zweifelsohne die Diktatur des Finanzkapitals ist, wie in der bürgerlichen Demokratie. Also nicht etwa der Klasseninhalt ändert sich, sondern die Methoden. Die Herrschaftsformen wechseln, nicht der Herrschaftsinhalt, sofern die bürgerliche Demokratie durch die faschistische Diktatur ersetzt wird.

Was sagt das Programm der Komintern zur Frage der faschistischen Diktatur? Es heißt dort:

Unter besonderen historischen Bedingungen nimmt der Prozeß der Offensive der bürgerlich-imperialistischen Reaktion die Form des Faschismus an. Solche Bedingungen sind: Die Labilität der kapitalistischen Beziehungen; das Vorhandensein sozial-deklassierter Elemente in beträchtlicher Zahl; die Verarmung breiter Schichten des städtischen Kleinbürgertums und der Intelligenz; die Unzufriedenheit der ländlichen Kleinbourgeoisie; schließlich die ständige Gefahr proletarischer Massenaktionen.

Es kann keinen Zweifel geben, daß alle diese Bedingungen in Deutschland vorliegen. Nun heißt es im Programm weiter:

Um ihrer Macht größere Stetigkeit und Festigkeit zu sichern, ist die Bourgeoisie im steigenden Maße gezwungen, vom parlamentarischen System zu der faschistischen Methode überzugehen, die von Beziehungen und Kombinationen zwischen den Parteien unabhängig ist. Der Faschismus ist eine Methode der unmittelbaren Diktatur der Bourgeoisie, ideologisch verkleidet mit der Idee der Volksgemeinschaft und der Vertretung nach Berufsständen. (Das heißt eigentlich Vertretung der verschiedenen Gruppen der herrschenden Klasse.) Er ist eine Methode, die durch eine eigenartige soziale Demagogie (Antisemitismus, gelegentliche Ausfälle gegen die parlamentarische Schwatzbude), die Unzufriedenheit der Massen des Kleinbürgertums, der Intellektuellen und anderer ausnützt.

Auch hier finden wir verschiedene Anhaltspunkte für die gegenwärtige Situation in Deutschland. Das gilt sowohl für die Unabhängigkeit der Brüning-Regierung von Beziehungen und Kombinationen zwischen den Parteien, als auch für die unmittelbare Ausübung der Diktatur der Bourgeoisie und schließlich für die Verkleidung dieser Diktatur mit den Ideen der Volksgemeinschaft und berufsständischen Vertretung. Die weiteren Ausführungen des Programms, die sich auf den Aufbau der faschistischen Kampfverbände usw. beziehen, treffen zwar für die Hitlerpartei zu, aber nicht für die heutige Herrschaftsform der Bourgeoisie mittels der Brüning-Regierung. Schließlich heißt es dann weiter im Programm:

Die Hauptaufgabe des Faschismus ist die Vernichtung der revolutionären Vorhut der Arbeiterklasse, d.h. der kommunistischen Schichten des Proletariats und ihrer führenden Kader. Die Verquickung von sozialer Demagogie und Korruption mit dem aktiven weißen Terror, sowie die zum äußersten gesteigerte imperialistische Aggressivität der Außenpolitik sind charakteristische Züge im Faschismus.

Auch in diesen Sätzen sind Anhaltspunkte, die sich auf die heutige Situation in Deutschland und das Brüning-System anwenden lassen.

Insgesamt ergeben sich aus den Darlegungen des Programms Anhaltspunkte dafür, schon heute in Deutschland von faschistischen Herrschaftsformen zu sprechen. Andererseits sieht das Programm einen solchen Zustand nicht vor, wo die Bourgeoisie bereits mit faschistischen Methoden regiert, die faschistische Massenpartei sich aber noch außerhalb der Regierung, sogar in einer Scheinopposition befindet. Schließlich ist es klar, daß im industriellen Deutschland mit seiner großen Arbeiterklasse und starken Kommunistischen Partei der vollen Entfaltung der faschistischen Herrschaft ernste Hindernisse entgegengesetzt werden.

Es ergibt sich nach alledem als konkrete Analyse das, was wir auch in der Resolution aussprechen:

Wir haben in Deutschland den Zustand einer ausreifenden, wenn auch noch nicht ausgereiften faschistischen Diktatur. Die Regierung Brüning ist in ihrer jetzigen Entwicklungsphase die Regierung der Durchführung der faschistischen Diktatur. Gegen sie. und alle ihre Hilfskräfte müssen wir den schärfsten Kampf der Massen führen!

B. Unsere Politik und die Aufgaben der Partei

Eine richtige und konkrete Analyse der Situation muß ihren Niederschlag auch in der Aufgabenstellung der Partei und ihren politischen Losungen finden. Heute steht als zentrale Aktionslosung der Massenkampf gegen die Durchführung der faschistischen Diktatur. Hier müssen wir um jeden Schritt, um jede Handbreit des Bodens, den der Faschismus erobern will, kämpfen und die wirtschaftlichen und die politischen Rechte der Arbeiterklasse verteidigen. Wir können deshalb nicht mechanisch gegenüberstellen den Sturz und die Verhinderung der faschistischen Diktatur.

Die Losung der Volksrevolution

Wie steht es mit der Frage der Volksrevolution? In der heutigen Situation, wo wir Tendenzen einer revolutionären Krise in Deutschland entstehen sehen, aber alle Bedingungen dieser revolutionären Krise noch nicht vorhanden sind, kann die Losung der Volksrevolution nicht als kurzfristige Aktionslosung angewandt werden. Heute ist die Losung der Volksrevolution eine zentrale, zusammenfassende Propagandalosung, das Strategische Hauptziel, zu dem wir die Massen auf der Linie unseres sozialen und nationalen Freiheitsprogramms voranführen und sammeln. Es ist klar, daß mit der revolutionären Entwicklung eine Propagandalosung zur unmittelbaren politischen Aufgabe werden kann.

Bedeutet die Losung der Volksrevolution eine Verwischung der klaren, klassenmäßigen Zielsetzung unserer revolutionären Aufgaben? Keineswegs! Die Losung der Volksrevolution ist ausschließlich ein Synonym der proletarischen Revolution, eine populäre Formulierung, die dabei die Lehre Lenins in sich schließt, daß das Proletariat unter Führung der revolutionären Partei sich die Werktätigen in Stadt und Land zu Bundesgenossen machen muß. Ich glaube, Genossen, daß in der Partei manche Unklarheiten über die Bedeutung der Losung Volksrevolution bestehen. Deshalb ist es notwendig, die Stellung Lenins in dieser Frage heranzuziehen und auch zu prüfen, wieweit diese Losung vom Standpunkt des Marxismus notwendig und richtig ist. Dabei stoßen wir auf die Tatsache, daß schon Marx selber den Begriff Volksrevolution verwendet. Im April 1871, als Marx einen Brief an Kugelmann schrieb, sprach er über die Erfahrungen der Pariser Kommune mit der Formulierung, daß die Zerbrechung der bürokratisch-militärischen Staatsmaschinerie die Vorbedingung jeder wirklichen "Volksrevolution" bilde[37]. Lenin knüpft hieran in seinem Buch "Staat und Revolution" an und schreibt[38]:

Besondere Beachtung verdient die außerordentlich tiefsinnige Bemerkung von Marx, daß die Zerstörung der bürokratisch-militärischen Staatsmaschinerie die Vorbedingung jeder wirklichen Volksrevolution bilde. Die russischen Plechanowisten und Menschewisten, die als Marxisten gelten möchten, könnten am Ende diesen Ausspruch von Marx als falschen Zungenschlag hinstellen. Sie haben aus dem Marxismus ein so armseliges liberales Zerrbild gemacht, daß für sie außer einer Gegenüberstellung von proletarischer und bürgerlicher Revolution nichts anderes existiert, und selbst diese Gegenüberstellung wird von ihnen unglaublich starr aufgefaßt.

Lenin behandelt dann noch weiter den Gedanken der Volksrevolution und rollt vor allem die Frage des Proletariats und der Bauernschaft auf. Wir wollen jedoch vor allem noch ein anderes Zitat aus dem Artikel Lenins "Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution" betrachten, der im Juni 1905 geschrieben wurde. Es ist ja selbstverständlich, daß Lenin, wenn er allgemein von Sozialdemokraten spricht, die revolutionäre russische Sozialdemokratie, d. h. die bolschewistische Partei, also die heutigen Kommunisten damit meint. In diesem Artikel heißt es[39]:

Wer die proletarischen Aufgaben in der demokratischen bürgerlichen Revolution herabsetzt, der verwandelt den Sozialdemokraten aus dem Führer der Volksrevolution in den Leiter eines freien Arbeiterverbandes.

Ja, der Volksrevolution. Die Sozialdemokratie kämpfte und kämpft mit vollem Recht gegen den bürgerlich-demokratischen Mißbrauch des Wortes Volk. Sie verlangt, daß mit diesem Wort nicht das Unverständnis für die Klassenantagonismen innerhalb des Volkes bemäntelt wird. Sie besteht kategorisch darauf, daß es für die Partei des Proletariats notwendig ist, ihre volle Klassenselbständigkeit zu bewahren. Sie teilt aber das "Volk" nicht in "Klassen" ein, damit die fortgeschrittenste Klasse sich abkapselt, sich auf ein enges Maß beschränkt und ihre Tätigkeit durch Erwägungen von der Art beschneidet, daß die ökonomischen Beherrscher der Welt bloß nicht abschwenken ‑ sondern damit die fortgeschrittenste Klasse, unbehindert von der Halbschlächtigkeit, Unbeständigkeit und Unentschlossenheit der Mittelklassen, mit um so größerer Energie, mit um so größerem Enthusiasmus an der Spitze des ganzen Volkes für die Sache des ganzen Volkes kämpft.

Und es heißt dann weiter in diesem Artikel, was gewissermaßen eine praktische Ausführung des Begriffs Volksrevolution darstellt[40]:

Das Proletariat muß den demokratischen Umsturz vollenden, indem es die Bauernmasse mit sich vereinigt, um den Widerstand der Selbstherrschaft gewaltsam zu brechen und die Unbeständigkeit der Bourgeoisie zu paralysieren. Das Proletariat muß den sozialistischen Umsturz ausführen, indem es sich die Massen der halbproletarischen Elemente der Bevölkerung anschließt, um den Widerstand der Bourgeoisie mit Gewalt zu brechen und die Unbeständigkeit der Bauernschaft und Kleinbourgeoisie zu paralysieren.

Die Volksrevolution als strategische Hauptlosung bedeutet also nicht nur eine populäre Formulierung für den Begriff der sozialistischen proletarischen Revolution, sondern zu gleicher Zeit, auch eine stärkere Einbeziehung der breiten Mittelschichten in der gegenwärtigen Situation in die revolutionäre Klassenfront. Die Verpflichtung erwächst für uns, diese Einbeziehung der Werktätigen mit entschlossener Initiative in Angriff zu nehmen. Das gilt für die Klein- und Mittelbauern, für den städtischen Mittelstand und nicht zuletzt auch für die Arbeit unter den Beamten und Angestellten.

Haben wir auf diesem Gebiet nicht Schwächen? Ja, solche Schwächen gibt es sogar bei Fragen, wo der Klasseninhalt absolut klar ist. Sogar bei der Einbeziehung der Angestellten in die revolutionäre Front ist leider in unseren Reihen bisweilen eine Ideologie vorhanden, die Angestellten als “bessere Menschen” anzusehen. Selbst, wenn die Angestellten ihrerseits eine solche Ideologie haben, dürfen wir nicht darauf eingehen, sondern müssen auch ihre klassenmäßige Rolle sehen und den Versuch machen, sie zu Klassenkämpfern zu erziehen.

I. Unser Massenkampf gegen den Faschismus

Genossen, ich komme jetzt zu der Frage einer genauen Konkretisierung dieser politischen Linie. Die Hauptgefahr von Abweichungen in der jetzigen Situation ist selbstverständlich der rechte Opportunismus. Jede Abschwächung unseres Massenkampfes, jeder Tempoverlust gegenüber der revolutionären Entwicklung, jede Unterschätzung der revolutionären Perspektive wäre der schwerste politische Fehler. Aber auch andere Fehler könnten der Partei gefährlich werden. Wenn z. B. die Partei Überspitzungen in der Aufgabenstellung zuließe, könnte das dazu fuhren, daß wir auf die provokatorischen Pläne der Bourgeoisie und Sozialdemokraten hineinfallen und uns zu einem verfrühten Kampf provozieren lassen würden. Solche Überspitzungen liegen z. B. in dem Artikel des Genossen Sepp in der "Internationale" vor, der am Schluß, hinsichtlich der organisatorischen Formen unseres Kampfes, schwere Übertreibungen bringt. Obwohl die falschen Auffassungen und Überspitzungen des Genossen Sepp bereits auf einer Redakteur-Konferenz durch den Genossen Heinz Neumann entschieden zurückgewiesen waren, finden sich in diesem Artikel Sepp's wieder die gleichen Übertreibungen. Es heißt dort z. B.[41]:

[...] daß die Arbeiterdelegiertenkonferenzen, die zu ihren ausführenden Organen die Aktionsausschüsse und die revolutionären Vertrauensmänner haben, in den Augen der breitesten Massen zu einer politischen Vertretung, zu einem politischen Organ des proletarischen, des revolutionären Lagers werden.

In dem Zusammenhang gibt es einzelne Auffassungen, die schon jetzt eine politische Delegiertenbewegung, gewissermaßen im Sinne von Keimen von Sowjets, schaffen wollen. Dies ist unrichtig. Wir müssen Fehler aus der Vergangenheit, die wir erkannt haben, unter allen Umständen vermeiden. Ich erinnere an folgende Tatsache, die nicht allgemein bekannt ist: Als im Jahre 1924 in Deutschland nach der Oktober-Niederlage von 1923[42] die Frage gegenüber der Komintern gestellt wurde, ob es richtig war, die Betriebsräte als Ersatzorgane für die Sowjets zu bezeichnen, gab es heftige Meinungsverschiedenheiten. In Wirklichkeit bedeutet es selbstverständlich eine Herabsetzung und Kompromittierung des Begriffs Sowjets in der Ideologie der Massen, wenn man die Betriebsräte als einen Ersatz für Sowjets ausgibt. Das gleiche ist der Fall, wenn man heute davon spricht, daß diese neuen Formen der Einheitsfront bereits Keime von Sowjets seien. Das bedeutet eine Verwässerung der Frage der Sowjets, die wir unter keinen Umständen zulassen dürfen.

Völlig falsch ist auch die Auffassung, daß es z. B. beim Ruhrkampf richtig gewesen wäre, nicht die vorhandenen vorbereitenden Kampfleitungen in Streikleitungen umzuwandeln, sondern an ihre Stelle Delegiertenkonferenzen und antifaschistische Aktionsausschüsse zu setzen. Diese ganzen Tendenzen erinnern an die Losung der Menschewiki in der russischen Revolution, als sie “allgemeine Arbeiterkomitees gegen den Zarismus” an Stelle der vielfältigen Organisationsformen des proletarischen Klassenkampfes setzen wollten.

Worum handelt es sich in Wirklichkeit bei unseren neuen Einheitsfrontorganen gegen den Faschismus? Wir haben eine große Welle des antifaschistischen Kampfwillens weit über den Rahmen der Partei hinaus. Hier bestehen die günstigsten Voraussetzungen für die proletarische Einheitsfront. Wir haben als entscheidende Massenorgane in den Betrieben die Betriebswehren des Kampfbundes gegen den Faschismus, so wie wir die Jugendstaffeln und auf den Stempelstellen die Erwerbslosenstaffeln haben. Um über den Rahmen des Kampfbundes hinauszustoßen, sowohl in der Mobilisierung der Massen für die antifaschistische Front, als auch in der Zersetzung der faschistischen Front, stellen wir die Frage der Wahl von Delegierten zu antifaschistischen Delegiertenkonferenzen und die Aufgabe, auf diesen Konferenzen örtliche und bezirkliche Aktionsausschüsse gegen den Faschismus zu bilden. Das ist der Charakter und die Aufgabenstellung dieser neuen Organisationsform. Wenn man die Frage stellt, wie weit wir darüber hinaus mit den bestehenden Einheitsfrontorganen und Organisationsformen nicht mehr auskommen, so möchte ich demgegenüber darauf hinweisen, daß z. B. der revolutionäre Vertrauensleutekörper, wie wir ihn auf dem Weddinger Parteitag[43] forderten, in der Praxis noch leider keineswegs ausgebaut ist. Hier müssen wir sofort den Aufbau in den Betrieben einleiten. Ebenso entsprechen die wenigen RGO-Betriebsgruppen noch durchaus nicht den Anforderungen ihrer Aufgaben. Statt diese Organe wirklich auszubauen, gibt es Genossen, die sich neue Organe ausdenken. Es ist klar, daß die Partei diesen Weg nicht beschreiten wird. Eine andere Frage ist die Notwendigkeit, in der Massenmobilisierung gegen die Terrorakte der Nazis eine entschlossene Wendung zu offensiver Taktik zu vollziehen. Es darf keinen Terrorakt der Nazimörder mehr geben, ohne daß die Arbeiterschaft überall sofort mit offensivstem, wehrhaftem Massenkampf antwortet. Was bedeutet diese Gegenaktion? Sie bedeutet: 1. eine politische Sicherheit im Proletariat; sie bedeutet 2., daß die sozialdemokratischen Arbeiter zu uns Vertrauen bekommen, weil sie merken, wir sind da und geben Antwort. 3. bedeutet das, daß die Front des Faschismus zersetzt und dezimiert wird. 4., daß wir unsere Kaders gemeinsam mit der Massenfront rüsten, schmieden und stählen für höhere Aufgaben in der Revolution. Genossen, ich glaube, auf diesem Gebiet ist eine wirklich ernste Wendung notwendig.

II. Einheitsfront und der Kampf um die Gewinnung der Arbeiter

Genossen! Wir kommen zur Frage der Einheitsfrontpolitik und des Kampfes um die Gewinnung der entscheidenden Schichten der Arbeiterklasse. Wir müssen diese Frage in diesem Zentralkomitee etwas ausführlicher behandeln, weil wir mit der Möglichkeit zu rechnen haben, daß bei einer weiteren Verschärfung der Situation und größeren Kämpfen unsere Partei ihre Arbeit nicht mehr in den Formen der Legalität vollziehen kann. In einem solchen Fall käme es erst recht darauf an, den Massenkurs der Partei fortzusetzen und die Verankerung der Partei in den Massen so fest und unantastbar zu machen, daß alle Anschläge des Klassenfeindes wirkungslos werden. Es ist nun klar, daß die Einheitsfrontpolitik den ausschlaggebenden Hebel zur Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse darstellt. Wenn wir an diese Frage herangehen, ist es notwendig, sich an die verschiedenen Schwankungen und Abweichungen zu erinnern, die es in der Frage der Einheitsfrontpolitik in unseren Reihen gegeben hat. Wir hatten z.B. die Ruth-Fischer-Zeit[44] mit ihren schweren ultralinken Fehlern, einer Ablehnung der Einheitsfrontpolitik und Isolierung der Partei von den Massen. Dann kam der offene Brief[45] von 1925, und wenn wir die Zeit von damals bis heute nehmen, so haben wir in dieser Periode große und kühne Fortschritte zu verzeichnen. Später versuchten dann die Versöhnler, das Hauptgewicht der Einheitsfrontpolitik von unten nach oben zu verschieben und die Beschlüsse des Essener Parteitages[46] zu revidieren. In derselben Linie lag ja auch Ewerts Fragestellung: “Zwingt die Bonzen!” Später gab es dann im vergangenen Frühjahr bei unseren Auseinandersetzungen mit dem Genossen Merker den entgegengesetzten Fehler zu bekämpfen, nämlich das Unverständnis der Methoden der Gewinnung[47] sozialdemokratischer Arbeiter. Selbst in unseren engeren Kreisen bestanden damals Meinungsverschiedenheiten über den Passus in der Resolution unseres Märzplenums 1930[48], in dem es folgendermaßen heißt:

Das Plenum des ZK konstatiert die Notwendigkeit, viel stärker als bisher für die Herstellung der revolutionären Einheitsfront von unten, für die Isolierung der sozialfaschistischen Führerschaft und die weitgehende Einbeziehung der sozialdemokratischen Arbeiter in die revolutionäre Kampffront zu wirken.

Und jetzt kommt die Stelle, über die Meinungsverschiedenheiten entstanden:

Zur Erfüllung dieser Aufgaben ist es erforderlich, zwischen der konterrevolutionären Führerschaft der SPD, den unteren Betriebsfunktionären und den einfachen sozialdemokratischen Betriebsarbeitern und Erwerbslosen zu unterscheiden.

War das richtig? Natürlich, das war im vorigen Jahre und das ist heute richtig! Heute ist das schon für jeden eine glatte Selbstverständlichkeit.

Wie ist die jetzige Lage? Auch hinsichtlich der Einheitsfrontpolitik mit den sozialdemokratischen Arbeitern haben wir jetzt eine neue und günstige Situation. Einerseits finden wir die vollständige Krise der reformistischen Theorie, andererseits in den Reihen der SPD- und SAJ-Mitgliedschaft zahlreiche Erscheinungen einer inneren Gärung, Zersetzung und Rebellion. Deshalb stellen wir heute die kühne Aufgabe: Liquidierung des Masseneinflusses der SPD und Liquidierung der SAJ als Massenorganisation überhaupt.

Warum diese scharfe Fragestellung? Mit der Zuspitzung der Klassensituation, dem Vorhandensein von Elementen einer revolutionären Krise müssen wir uns überlegen, wo wir anzusetzen haben, um die revolutionäre Entwicklung vorwärts zu treiben. Genossen! Dabei ist es klar, daß zwar der Hauptfeind des Proletariats im Rahmen des Klassenkampfes gegen die Bourgeoisie, gegen den Kapitalismus in Deutschland heute der Faschismus ist, daß aber zugleich das Haupthindernis für die proletarische Revolution im Lager der Arbeiterklasse die SPD darstellt. Darum müssen wir in der Werbung und Gewinnung von Arbeitern aus dem gegnerischen Lager unsere Hauptstoßkraft gerade auf dieses Haupthindernis konzentrieren, was natürlich nicht bedeutet, daß wir unsere Arbeit besonders unter den Unorganisierten, ebenfalls unter den christlichen Arbeitern und antikapitalistischen werktätigen Nazianhängern vernachlässigen dürfen. Das war ja gerade die große Bedeutung des Wahlsieges am 14. September, daß wir damals ins Lager des Reformismus einbrachen und der SPD etwa eine Million Stimmen abnehmen konnten. Die Sozialdemokratie verliert heute immer mehr an politischer Achtung. Mit der Verengung der arbeiteraristokratischen Basis des Reformismus vollzieht sich der dauernde historische Abstieg der SPD. Hier müssen wir die erfolgreich begonnene Offensive fortsetzen und weitere Millionen sozialdemokratischer und in ihrer Peripherie befindlicher Arbeiter gewinnen. Warum diese Frage heute so stark stellen? Bedeutet das etwa eine Vernachlässigung der politischen Arbeit unter den Unorganisierten, die zweifelsohne das Hauptreservoir darstellen, oder etwa der christlichen und nationalsozialistischen Arbeiter? Keineswegs! Alles geht in den großen Strom der ideologischen revolutionären Bearbeitung, die wir intensiver zu leisten haben. Wir müssen hierbei die politische Bedeutung, die Gegenstoßkraft erkennen, die heute noch die Sozialdemokratische Partei, die reformistischen Gewerkschaften und sonstige vom Sozialfaschismus beherrschte Massenorganisationen im Kampfe gegen die proletarische Revolution darstellen. Andererseits gibt es in der Sozialdemokratischen Partei und den Gewerkschaften und in vielen Massenorganisationen schon einige revolutionäre Elemente. Mit ihnen muß es uns gelingen, die ganze Situation zu verschärfen und das Lager der proletarischen Revolution zu verstärken.

Die Krise der reformistischen Theorie

Die beste Voraussetzung für Verschärfung unseres prinzipiellen Kampfes gegen die SPD bietet die theoretische Krise der Sozialdemokratie und darüber hinaus der II. Internationale. Die Fragestellung, die wir heute viel schärfer aufrollen müssen, die heute in Deutschland auf der Tagesordnung steht, lautet: wer in Wirklichkeit die Front des Marxismus vertritt. Wir wissen es, aber Millionen wissen es leider nicht. Millionen Massen werden täglich angespornt und gefüttert im Kampfe gegen den Marxismus. Das ist eine schon gefährliche Basis, weil durch die niederträchtige, klassenverräterische Politik der sozialdemokratischen und reformistischen Führer, die die Bourgeoisie bewußt dem “Marxismus” in die Schuhe schiebt, in den Augen von vielen Millionen auch der Marxismus diskreditiert wurde. Wenn wir das ungeheure historische Problem stellen, daß wir die revolutionäre Situation organisieren müssen, dann ist es unsere Aufgabe, in erster Linie in den Millionenmassen das Vertrauen zu der großen gewaltigen Idee des Marxismus wieder zu wecken. Das aber können wir nur, wenn wir die ganze antimarxistische Theorie der Sozialdemokratie und des Reformismus enthüllen und ihren theoretischen Bankrott klarstellen. Erinnert euch, Genossen, welche neue “Theorie” die Sozialdemokratie im Laufe der letzten Jahre an Stelle des Marxismus erfunden hat und was davon übrig geblieben ist.

Bekanntlich produzierte Hilferding auf dem Kieler SPD-Parteitag im Mai 1927 die Theorie von der jetzigen Periode als der Zeit "eines friedlichen Hineinwachsens in den Sozialismus". Eine "Transformationsperiode" sei gegeben auf Grund des "organisierten Kapitalismus, das heißt des Monopolkapitalismus, der allmählich die Anarchie des Kapitalismus der freien Wirtschaft beseitige". Den Beweis dafür sollten die Vereinigten Staaten mit ihrer dauernden Prosperität liefern.

Aus dieser ökonomischen Fragestellung der reformistischen Theorie ergab sich die soziale Fragestellung, die gleichfalls ein ganzes “theoretisches” Gebäude im krassesten Gegensatz zu den marxistischen Lehren darstellt. Die Lage der Arbeiterklasse sollte sich in der Transformationsperiode gleichmäßig mit der riesenhaften Konzentration des Kapitals und der Rationalisierung verbessern. Während Marx das "Allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation" aufgestellt hat, wonach die "Akkumulation des Kapitals der Akkumulation von Elend" entspricht, erklärten die sozialdemokratischen Theoretiker, dieses marxistische Gesetz sei nicht stichhaltig und von der Geschichte des Kapitalismus längst widerlegt. Die “kapitalistische Rationalisierung” müsse von der Arbeiterklasse unterstützt werden, ja noch mehr, das sei eine zentrale Aufgabe der Gewerkschaften der Transformationsperiode, da die Rationalisierung auch den Arbeitern Nutzen bringe. Hinzu kam, daß die Lohntheorie von Marx durch die sogenannte Tarnow'sche Theorie von der angeblichen Nützlichkeit der hohen Löhne für die Kapitalisten ersetzt wurde Und schließlich die famose Wirtschaftsdemokratie ‑ die Mitverwaltung der “Vertreter der Arbeiter” an der kapitalistischen Wirtschaft sei der “Weg zum Sozialismus”.

Dieses ganze theoretische System wurde auch nach der Seite der politischen Fragestellung ausgebaut. Ganz offen erklärte man, daß der demokratisch-kapitalistische Staatsapparat nicht mehr im Sinne von Marx und Engels als "Ausführungsorgan der Ausbeuterklasse zur Unterdrückung der Ausgebeuteten" angesehen werden dürfe. Hilferding nannte "den Parlamentarismus" noch auf dem Magdeburger Parteitag der SPD im Jahre 1929 "den einzigen Weg, der die Arbeiterklasse zur Eroberung der Staatsmacht und zur Verwirklichung des Sozialismus fuhrt. Die Arbeiterklasse hat deshalb das höchste Interesse an der Erhaltung des Parlamentarismus, auch durch zeitweilige Opfer, wie groß sie auch sein mögen." Natürlich wurde auch mit dieser Theorie die Begründung für die Koalitionspolitik gegeben, insofern Koalitionsregierungen den notwendigen Übergang zum Sozialismus darstellen sollten.

Genossen, ich frage: Was ist von diesem ganzen theoretischen Gebäude des Reformismus übriggeblieben? Der “organisierte Kapitalismus”, der die Krisen aushalten sollte, hat die Weltwirtschaftskrise nur verschärft. Das amerikanische “Paradies” mit der Dauerkonjunktur existiert nicht mehr, die Lage der Arbeiterklasse ist durch den Monopolkapitalismus, durch die kapitalistische Rationalisierung und trotz aller reformistischen “Theorien”, wie der “Tarnow'schen Lohntheorie” oder “Wirtschaftsdemokratie”, ungeheuerlich verschlechtert worden. Heute wagt es fast kein Reformist mehr, diese alten Theorien aufzuwärmen. In ihren theoretischen Organen erwähnen sie mit keiner Silbe mehr, daß hohe Löhne die Wirtschaft ankurbeln. Sie sprechen von Lohnsenkung und faseln dabei nur von der Notwendigkeit des Preisabbaus. Über die Wirtschaftsdemokratie, die zum Sozialismus führe, lohnt sich kein Wort zu verlieren. Kein Reformist wagt heute über diese Frage noch zu sprechen. Die Rationalisierung hat statt Wohlstand Massenelend und Millionenerwerbslosigkeit gebracht. Was schließlich die Koalitionspolitik anbetrifft, so können sich heute auch die sozialdemokratischen Arbeiter nicht mehr der Tatsache verschließen, daß die Koalitionsregierungen, wie z. B. die Preußenregierung, Schrittmacher des Faschismus sind. Es ist also buchstäblich kein halber Stein mehr von dem theoretischen Gebäude des Reformismus übriggeblieben.

Abrechnung mit Kautsky

Die ganze theoretische Krise der II. Internationale, ihre ideologische Fäulnis und ihr konterrevolutionärer Sumpf äußern sich am deutlichsten in ihrer Stellung zur Sowjetunion. Nehmen wir z. B. Herrn Kautsky. Trotzdem er selbst in den Reihen seiner eigenen Freunde nicht mehr ernst genommen wird, wagte er es, vor einigen Monaten ein Buch herauszugeben: "Der Bolschewismus in der Sackgasse"[49]. Bezeichnend an diesem Buch ist die krasse Tatsache, daß Kautsky selbst seinen eigenen Verrat an seinen früheren theoretischen Behauptungen darin feststellt. Ich will hierzu nur ein Zitat aus dem Buch herausgreifen. Es heißt dort:

Ich war sehr überrascht, als mir gegenüber vor kurzem ein Parteigenosse seiner Begeisterung über die Sozialisierung der Landwirtschaft Ausdruck gab, die jetzt in Rußland vollzogen werde. Das sei eine der grandiosesten Taten der Weltgeschichte. Und er vermeinte, ich müßte von dieser riesenhaften Umwälzung besonders beglückt sein, da ich doch seit jeher für den Großbetrieb in der Landwirtschaft als Ausgangspunkt ihrer Sozialisierung eingetreten sei. Durch diese Beglückwünschung fühlte ich mich einigermaßen kompromittiert.

Was zeigt diese Stelle in dem Kautskyschen Buch? Einmal die Wirkung der grandiosen Entwicklung des sozialistischen Aufbaus auf die unteren Schichten der Sozialdemokratie, wie dies Kautsky hier selber zugeben muß, und zu gleicher Zeit zeigt dieses Zitat den tiefen Verrat Kautskys an seinen eigenen theoretischen Erkenntnissen aus der Vergangenheit. Er schämt sich dieser Vergangenheit, obwohl sie vom Standpunkt des konsequenten Marxismus sehr belastet ist, da ja Kautsky schon seit Jahren vor dem Kriege, der Hauptvertreter des schwankenden Zentrismus war. Aber trotzdem fühlt er sich heute kompromittiert, wenn er an jene Vorkriegszeit erinnert wird, wo er noch nicht im Lager der offenen Konterrevolution stand.

Was zeigt das Buch Kautskys im übrigen? Es ist ein einziges Dokument der antibolschewistischen Kriegshetze im Dienste der Imperialisten. Herr Kautsky fordert so offen den gewaltsamen Sturz der Sowjetmacht, daß selbst solche geschworenen Feinde des Proletariats, solche Konterrevolutionäre wie der Menschewistenführer Abramowitsch oder Dan aus demagogischen Gründen von ihm abrücken. Natürlich ist Abramowitsch nicht besser als Kautsky. Wir dürfen nicht die Frage stellen, wer von ihnen der bessere oder schlechtere Konterrevolutionär ist, aber wir müssen die Tatsache sehen, warum Abramowitsch gegen Kautsky in dieser Frage auftrat. Der sozialistische Aufbau in der Sowjetunion ist eine solche grandiose Tatsache, daß selbst die meisten Konterrevolutionäre und politischen Gauner gezwungen werden, in dieser Frage vorsichtig und demagogisch zu lavieren, um in ihrer eigenen Front Beruhigung zu schaffen. Deshalb die Kritik von Abramowitsch und Dan an Kautsky und seiner Kriegshetze. Auf diese Kritik antwortet nun Kautsky in der Januar-Nummer der "Gesellschaft", des theoretischen Organs der SPD, in einem Artikel: "Sozialdemokratie und Bolschewismus". Dort heißt es[50]:

Ist es möglich, daß an stelle der Hölle, die das jetzige Sowjetrußland darstellt, noch etwas Schlimmeres kommt? Kann ein Sturz der Diktatur etwas anderes bringen als eine Milderung der Hölle, zumindest vermehrte Bewegungsfreiheit? Für meine Phantasie wenigstens ist es nicht möglich, etwas Furchtbareres zu ersinnen, als den heutigen Zustand Sowjetrußlands. Ich empfinde es höchst schmerzlich, wenn die Wucht unseres Angriffs gegen die unerbittlichen Schrecknisse der Diktatur dadurch geschwächt wird, daß man uns fürchten läßt, es wäre noch Schlimmeres möglich, wenn sie stürzt. [...] Real sind bloß die Erschwerungen unserer Propaganda gerade bei der unwissenden, zum Kommunismus neigenden Jugend, wenn man die von den Kommunisten genährte Illusion ernst nimmt, der Bolschewismus sei immer noch eine revolutionäre Partei, vertrete einen Zustand des Staates und der Gesellschaft, den jeder sozialistische Revolutionär zu schützen hat. Gerade die Zerstörung dieser Illusion ist unsere Aufgabe.“

Das ist der Konterrevolutionär Kautsky. Soweit ist es schon mit der II. Internationale gekommen. Das wagen selber nicht einmal die bezahlten Tintenkulis der Bourgeoisie zu schreiben.

Die Gärung in der Sozialdemokratie

Dieser konterrevolutionären Versumpfung der Führer steht die wachsende Radikalisierung der Massen gegenüber. Welche hauptsächlichsten Erscheinungen haben wir auf diesem Gebiet zu verzeichnen? Da ist einmal die Teilnahme der sozialdemokratischen Arbeiter und auch unterer Funktionäre an den Wirtschaftskämpfen. Seite an Seite mit der RGO gegen den Streikbruch und Verrat ihrer Führer.

Zweitens müssen wir hier den antifaschistischen Kampfwillen bei den sozialdemokratischen Arbeitern verzeichnen. In kleineren Orten und auch schon in Großstädten treten ganze Abteilungen der SPD, manchmal sogar des Reichsbanners an unsere Genossen oder an die Genossen des Kampfbundes gegen den Faschismus heran, zum gemeinsamen Kampf gegen die Nazis. Selbstverständlich hat hierbei unsere strategisch-politische Wendung eine große Belebung gebracht und alarmierend in den Millionenmassen gewirkt.

Ein drittes entscheidendes Faktum sind die ersten organisatorischen Formen einer Gruppenbildung in der SPD. Wir haben da einmal in Breslau, wo bekanntlich die SPD-Mitglieder ein Reichsbanner-Rollkommando aus ihrer Versammlung herausprügelten, den sogenannten Sozialistischen Kampfbund, ganze Gruppen, in denen der jetzt zu uns übergetretene Genosse Müller eine Rolle spielte.

Wir haben im Ruhrgebiet die Zeitschrift "Roter Kämpfer", die illegal herausgegeben wird und um die sich verschiedene oppositionelle Gruppen im Reich gebildet haben. Wir haben schließlich in Berlin die Angelegenheit mit den Jungordnern, die die SAJ organisiert hatte, wobei es zu dem schweren Konflikt mit dem Reichsbanner und dem Bezirksvorstand kam. Überhaupt ist die Lage bei der SAJ schon viel weiter fortgeschritten. Dort haben wir vielfach Übertritte ganzer Ortsgruppen zu verzeichnen. Im ganzen kann man sagen, daß unsere Partei viel zu wenig Kenntnis von diesen Vorgängen im sozialdemokratischen Lager hat.

Die Hauptgefahr vom Standpunkt der proletarischen Revolution wäre jetzt die Bildung einer neuen USPD, auf die die Brandler-Leute spekulieren. Wir müssen eine solche verhängnisvolle Entwicklung durch unsere Entlarvung und offensivste Bekämpfung der Zentristen, der “linken” SPD-Führer, als die gefährlichsten Feinde innerhalb der Sozialdemokratie verhindern. Innerhalb der SPD treten die “linken” Strömungen unter verschiedenartiger Flagge überall stärker in Erscheinung. Hier müssen politisch unsere Methoden wesentlich verbessert werden, besonders in Sachsen und dort, wo solche neuen Tatsachen bekannt sind. Wir müssen viel stärker heran an die oppositionellen Arbeiter in der Sozialdemokratie.

Welche neuen Methoden ergeben sich dabei für uns? Die Hauptsache ist, daß wir die oppositionellen sozialdemokratischen Arbeiter nicht mehr einfach sich selbst überlassen dürfen. Wir müssen eine Wendung zur Massendiskussion durchführen. Die Losungen: Keine SPD-Versammlung ohne KPD-Referenten! und: Keine SPD-Mitgliederversammlung ohne kommunistische Beeinflussung! müssen unbedingt praktisch durchgeführt werden. Die Formen sind naturgemäß überall verschieden. In kleineren Orten wird man es sogar durchsetzen, daß Kommunisten in sozialdemokratischen Mitgliederversammlungen sprechen können. Eine weitere wichtige Frage ist, daß wir unsere Gegnerarbeit nicht mehr ressortmäßig, sondern als Aufgabe der Gesamtpartei betreiben müssen. Wir müssen es verstehen, die wichtigsten Diskussionsfragen, zum Beispiel die Frage des “kleineren Übels”, dabei in elastischer und beweglicher Weise in den Vordergrund zu rücken. Und schließlich ein weiterer entscheidender Punkt: unsere Sprache, die in der Presse und Agitation viel mehr von Kraftbewußtsein und Siegesgewißheit getragen sein muß. Ein wichtiges Problem ist auch die Frage der Gegenüberstellung der sozialistischen Wirtschaft der Sowjetunion und der kapitalistischen Profitwirtschaft.

Wir sind die Partei der marxistischen Front

Damit komme ich zu dem entscheidenden Problem: nämlich der offensiven Stellung der Frage des Marxismus. Die Bourgeoisie konstruiert im Kampf gegen den Marxismus eine angebliche “marxistische Front” aus Kommunisten und Sozialdemokraten, die in Wirklichkeit ja gar nicht besteht. Die SPD-Führer sind selbstverständlich geschworene Feinde des Marxismus. Anders die sozialdemokratischen Arbeiter. Sie haben gewiß kein marxistisches Bewußtsein, keine marxistische Klarheit, aber gefühlsmäßig stehen sie zum Marxismus.

Aber wir müssen die wirkliche marxistische Massenfront erst schaffen, indem wir die Fahne des Marxismus immer stärker und offensiver entfalten. Das muß auch in unserer Agitation stärker zum Ausdruck kommen.

Was ist jener “Marxismus”, gegen den die Bourgeoisie und die Nazis hetzen? Was meinen sie damit? Der hungernde Erwerbslose, dem sie Unterstützung rauben, der ausgeplünderte Betriebsarbeiter, dem sie den Lohn kürzen, die Arbeiterfrau, der sie das Fleisch vom Tische reißen, die Jugend, die sie zur Arbeitsdienstpflicht zwingen wollen ‑ diese alle sind mit “Marxismus” gemeint, wenn die Kapitalisten vom Kampf gegen den Marxismus reden!

Das alles ist unsere Klassenfront! Wir sind die Partei der marxistischen Front!

Unser Kampf gegen die Hitlerpartei

Über die Gewinnung der christlichen und unorganisierten Arbeiter will ich an dieser Stelle nichts sagen, weil es sich hier hauptsächlich auch um eine Aufgabe der RGO handelt. Aber eine besondere Stellungnahme erfordert die Behandlung der Nazifront. Die Hitlerpartei, die von den Bankiers und Industriellen ausgehalten wird, versucht “Opposition” zu treiben, aber eine “Opposition” nur mit Phrasen, nur in Worten, nur in Zeitungsartikeln usw. Sie[51] entlarven sich immer mehr als die Agenten des deutschen Kapitals und der englisch-italienischen Imperialisten. In der Praxis organisieren sie den Streikbruch. Sie unterstützen durch ihren Mordterror, nicht etwa gegen die Kapitalisten, sondern gegen die deutsche Arbeiterschaft, die volksfeindliche Politik der Brüningregierung. Sie sind die offenen Einpeitscher und Verfechter der faschistischen Politik der deutschen Bourgeoisie. Ich habe schon über die Notwendigkeit der Verstärkung unseres wehrhaften Massenkampfes gegen den SA-Terror gesprochen. Dieser kann selbstverständlich nur auf der Grundlage einer verstärkten ideologischen Offensive zur Gewinnung der werktätigen Anhänger der Hitlerpartei vonstatten gehen.

Betrachten wir kurz die Politik der Hitler-Partei in den letzten Monaten: ihren Verrat in Sachen des Youngplanes, ihr Einschwenken in die Völkerbundspolitik, ihre Knechtseligkeit gegenüber Mussolini, ihre Antisowjethetze, die praktisch einer Stützung Pilsudski-Polens und Söldnerdiensten für das Weltfinanzkapital gleichkommt, ihre Bekenntnisse für den Kapitalismus und das Privateigentum, ihre Hetze gegen die Streiks der Arbeiterschaft im Solde des Unternehmertums und zuletzt ihren Kampf gegen den Bolschewismus oder, wie sie provokatorisch sagen, gegen das “Untermenschentum”.

Auf Grund dieser Politik muß es uns möglich sein, einen mächtigen Einbruch in die Front des Nationalsozialismus zu erreichen. Unsere Aufgabe ist, jedes Eindringen der Nazis in die Arbeiterklasse, trotz aller sozialdemokratischen Liebesdienste für den Faschismus, zurückzuschlagen und die antikapitalistisch gestimmten Arbeiter, Angestellten, Mittelständler, die bei ihnen stehen, loszureißen. Hier brauchen wir eine entschlossene Wendung.

Wir müssen mit aller Klarheit aufzeigen, daß wir die Partei sind, die die nationale Befreiung des deutschen Volkes, ohne Eroberungskrieg, ohne Unterdrückung fremder Völker, durch die proletarische Revolution zu verwirklichen vermag. Sie, die Nazis, sind die Partei der Revanche, wir sind die Partei des Friedens! Wir fuhren den Kampf gegen die imperialistische Unterdrückung der Minderheiten, sei es im Pilsudski-Polen oder Mussolini-Italien oder in Frankreich; aber wir führen ihn gemeinsam und in tiefster Solidarität mit den polnischen, italienischen und französischen Arbeitern. Wir brauchen nur das Beispiel des kühnen Auftretens unseres Genossen Tunke, der als deutscher kommunistischer Landtagsabgeordneter nach Polnisch-Oberschlesien ging und dort in Dutzenden von Gruben zur Arbeiterschaft sprach, zu erinnern. Hier zeigt sich der krasse Unterschied zwischen unserer Politik und der Hitler-Partei: Sie dreschen Phrasen, wir schicken unsere Abgeordneten nach Pilsudski-Polen, um den Pilsudski-Terror im eigenen Lande zu bekämpfen und die Verbrüderung zwischen deutschen und polnischen Arbeitern zu demonstrieren. Die Resolution, die der heutigen Plenartagung des ZK vorliegt, nimmt zu dieser Frage klar und unzweideutig Stellung. Es heißt dort:

Wir führen den Kampf gegen den Faschismus unter der Fahne unseres Freiheitsprogramms mit den Losungen des Kampfes für die soziale und nationale Befreiung. Dabei gilt es, alle Grundfragen der deutschen Politik im Sinne der proletarischen Revolution aufzurollen und das Freiheitsprogramm entsprechend der Verschärfung des Klassenkampfes weiter zu entwickeln. Wir müssen die zügellose Kriegsrüstungs- und Abenteurerpolitik des deutschen Faschismus, seine mörderische Hetze für den Interventionskrieg gegen die Sowjetunion, wie auch für den Revanchekrieg, vor den Massen entlarven und demgegenüber klar das Banner des Internationalismus unserer Partei entrollen. Unter allen Werktätigen gilt es, die Ideologie der Solidarität mit den französischen und polnischen Arbeitern tatkräftig zu propagieren. Gegen die chauvinistische Hetze der Faschisten stellen wir unsere Losungen des Kampfes gegen den Weltimperialismus, unsere Forderung, daß keine Nation unterdrückt werden soll. Wir sind die einzige Friedenspartei, die einzige Partei, die alle Grundfragen der deutschen und internationalen Politik ohne Eroberungskrieg, ohne Knechtung und Bedrohung fremder Völker lösen kann.

Auf der Linie dieser Politik, mit der Waffe unseres Freiheitsprogramms, das wir immer und immer wieder popularisieren müssen, werden wir die Faschisten schlagen und hunderttausende Anhänger von ihnen loslösen.

III. Die Lehren der Streikkämpfe und die Aufgaben der RGO

Die Stärkung und der Ausbau der RGO wird immer mehr zur zentralen Tagesaufgabe der Partei. Hier ist die stärkste Methode zur Gewinnung der bisher fernstehenden, unorganisierten und organisierten Arbeitermassen gegeben. Hier haben wir die wichtigste Stoßkraft für den Kampf gegen die Durchführung der faschistischen Diktatur. Denn selbstverständlich ist jeder Lohnkampf heute ein politischer Kampf. Wir müssen Schluß machen mit der Fragestellung von der sogenannten Politisierung der Wirtschaftskämpfe. Es handelt sich vielmehr darum, den politischen Charakter, den die Kämpfe schon in sich tragen, herauszuarbeiten und zu entwickeln. Unrichtig ist auch die Meinung, daß der politische Massenstreik nur aus ökonomischen Streiks hervorwachsen könne. Das ist nicht richtig ‑ wie Danzig zeigte ‑, aber es ist klar, daß jeder Lohnkampf, jeder ökonomische Streik, den Boden für den politischen Massenstreik auflockert.

Und nun einige Worte zu den ersten Lehren des Ruhrkampfes und des oberschlesischen Streiks. Diese Streiks stellen ohne Zweifel eine prinzipiell höhere Stufe des Kampfes dar, deren Bedeutung weit über die Kämpfe von Mansfeld, des Berliner Metallarbeiterstreiks usw. hinausgeht. Warum ist das so? Einmal haben wir die Massen völlig allein und selbständig herausgeführt, obwohl die reformistischen Gewerkschaften von vornherein offen in der Front gegen den Streik standen und nicht erst, wie in Mansfeld und Berlin, im Verlaufe des Kampfes zum Streikbruch übergingen. Damit bedeuten diese Kämpfe einen neuen Erfolg, der der RGO Achtung beim Proletariat verschafft hat. Als zweites kommt hinzu, daß wir bei diesen Kämpfen neue wesentliche Erfahrungen hinsichtlich des Termins für den Streikbeginn machten. Wir vermochten eine Überrumpelung des Gegners durchzusetzen. Den angreifenden Berggewaltigen wurde der rechtzeitige schnelle Gegenangriff der Bergarbeiter entgegengestellt. Die Arbeiterklasse lernt, daß sie sich nicht das Gesetz des Handelns vom Gegner vorschreiben lassen darf.

Schließlich die glänzende Rolle der Frauen und der Jugend, wie auch der Erwerbslosen in diesen Streiks. Und zuletzt die offene Entlarvung der Nationalsozialisten als bewaffnete Streikbrechergarden, wobei sie sich stellenweise blutige Köpfe von der Arbeiterschaft geholt haben. Das Polbüro wird über diese Kämpfe noch eine besondere Resolution in nächster Zeit herausbringen.

Andererseits können und müssen wir heute schon einige Schwächen feststellen. Das ist einmal das Verhältnis zwischen den parteilosen Arbeitern und unseren Funktionären. Unsere Genossen hatten sich auf eine Anzahl fester Schächte konzentriert, die sie als absolut streikfertig betrachteten. Nachher stellte sich heraus, daß von diesen Schächten einige nicht in den Streik traten, wohl aber andere, von denen man es nicht erwartet hatte. Ein weiterer Mangel besteht in der ungenügenden politischen Vorbereitung des Streiks. Wir haben den bevorstehenden polizeilichen Terror den Massen nicht genügend aufgezeigt, so daß auch die Abwehrkraft der Massen gegen skrupellosen Terror nicht genügend entwickelt war. Eine weitere Frage ist eine ungenügende Einstellung des ganzen Reiches auf die Solidaritätsaktionen. Im Wurmrevier, Waldenburg, Mitteldeutschland, Sachsen und Saargebiet gab es keinen gleichzeitigen Kampf. In Oberschlesien setzte der Streik zu spät ein. Eine andere Schwäche sind die Mängel in der Herausbildung aktiver Streikführer. Es fehlten die wirklichen Kader und festen Leitungen. Die roten Betriebsräte waren ungenügend in die Organisierung des Kampfes einbezogen. Es gab ferner auch in der politischen Leitung des Bezirks Schwächen, nachdem Genosse Florin durch seine Krankheit ferngehalten war.

Ein wichtiger Punkt ist die ungenügende organisatorische Vorbereitung für den roten Bergarbeiterverband. Dann noch zuletzt die Tatsache, daß es im Kampfgebiet selbst keine genügende Solidaritätsbewegung der übrigen Arbeiterschichten, mit Ausnahme des Hafenarbeiterstreiks in Duisburg, gab.

Trotz dieser selbstkritischen Bemerkungen kann selbstverständlich die gewaltige positive Rolle des Ruhrstreiks in keiner Weise geschmälert werden. Dieser Kampf eröffnet eine neue Periode in der revolutionären Gewerkschaftsbewegung. Verglichen mit den früheren Kämpfen entspricht er der höheren Aufgabenstellung des V. RGI-Kongresses gegenüber dem IV. RGI-Kongreß. In diesem Sinne war der Berliner Metallarbeiterstreik eine gewisse Vorstufe für Ruhr. Aber Ruhr war ein bedeutender prinzipieller Schritt weiter.

Die Frage der roten Verbände

Genossen, ich möchte in diesem Zusammenhang an die berühmten Worte des Genossen Stalin im Präsidium des EKKI am 19. Dezember 1928 erinnern, wo er trotz des Geheuls der Rechten und Versöhnler bereits in klarer Voraussicht die Perspektive des Entstehens von roten Gewerkschaften in Deutschland entwickelte. Genosse Stalin sagte damals:

Aus der Tatsache, daß wir in den reformistischen Gewerkschaften arbeiten müssen ‑ vorausgesetzt, daß diese Gewerkschaften tatsächlich Massenorganisationen sind ‑, folgt noch keineswegs, daß wir unsere Massenarbeit auf die Tätigkeit in den reformistischen Gewerkschaften beschränken, daß wir zu Sklaven der Normen und Forderungen dieser Verbände werden sollen. Wenn die reformistische Führung mit dem Kapitalismus verwächst (siehe die Resolutionen des VI. KI-Kongresses und des IV. Kongresses der RGI), und die Arbeiterklasse einen Kampf gegen den Kapitalismus fährt, kann man behaupten, daß der Kampf der von der Kommunistischen Partei geführten Arbeiterschaft ohne ein gewisses Sprengen des bestehenden reformistischen Gewerkschaftsrahmens geschehen kann? Es ist klar, daß man derartiges nicht behaupten kann, ohne einem Opportunismus zu verfallen. Vollkommen denkbar wäre daher eine solche Situation, in der es notwendig werden kann, parallele Massenorganisationen der Arbeiterklasse zu schaffen, entgegen dem Willen der sich an die Kapitalisten verkaufenden Bonzen. Eine solche Situation haben wir bereits in Amerika. Es ist durchaus möglich, daß auch in Deutschland die Entwicklung in dieser Richtung verlaufen wird.

Damals wagten uns die Versöhnler hier im ZK die Frage vorzulegen: “Wie steht ihr zu Stalin?“ Wir gaben ihnen eine scharfe Antwort damals und geben sie ihnen heute: das Resultat, die Tatsachen, die RGO-Arbeit und die roten Verbände sind unsere Antwort! Natürlich ist es klar, daß diese nur auf einer bestimmten Stufe der Entwicklung entstehen können, wenn die Spaltungs- und Streikbruchpolitik des Sozialfaschismus schon besonders krasse Formen angenommen hat. Von entscheidender Bedeutung ist dabei selbstverständlich nach wie vor die Arbeit an der innergewerkschaftlichen Front der reformistischen Verbände, wo es immer noch etwa 5 Millionen organisierte Arbeiter gibt. Hier müssen wir lernen und verstehen, die Manöver, die die Bourgeoisie bei ihrer faktischen Arbeitsgemeinschaft mit der reformistischen Gewerkschaftsbürokratie durchführt (wobei sie den Reformisten bisweilen sogar kleinere Streiks gestatten, wie in Bielefeld oder Hannover), vor den Massen stärker zu entlarven. Die kommunistische Fraktionsarbeit in den roten Gewerkschaften darf nicht unterlassen werden. Die Tatsachen in der Tschechoslowakei und Frankreich warnen uns. Die roten Verbände müssen energisch und offensiv überall den Arbeitern helfen und deren Kämpfe unterstützen, wodurch ihr Wachstum beschleunigt wird. Die Mitglieder der roten Verbände müssen aus verschiedenartigen Gründen die Oppositionsarbeit in den reformistischen Gewerkschaften systematisch beobachten und aufs stärkste fördern.

Erwerbslose - Angestellte - Betriebsrätewahlen

Ein Hauptkapitel der RGO-Arbeit ist die Frage der Erwerbslosen. Nur wir sind imstande, Depressions- und Verzweiflungsstimmungen unter diesen Millionenmassen zu verhindern. Wir können leider eine starke Vernachlässigung unserer Erwerbslosenarbeit, mit wenigen Bezirksausnahmen, feststellen. Das Wichtigste ist, die Erwerbslosen immer wieder in die politischen Kampagnen einzubeziehen, sie auch an den Streiks, am politischen Leben überall teilnehmen zu lassen, damit die Arbeiterklasse nicht in zwei Teile zerfällt. Auf diese Weise verflechten sich immer stärker die Bewegungen und Kämpfe der Erwerbslosen mit den Millionen im Betrieb stehenden Arbeitern. In diesem Sinne müssen wir den 25. Februar als internationalen Kampftag der Arbeitslosen gemeinsam mit den im Betrieb stehenden Arbeitern machtvoll vorbereiten. Völlig gilt es, mit der versöhnlerischen Ideologie zu brechen, die in einer gewissen Unterschätzung der revolutionären Bedeutung der Arbeitslosen besteht. Für uns sind sie in der Tat eine entscheidende Sturmgruppe für die proletarische Revolution.

Ich komme nun zu der Frage der Angestellten. Es gibt in Deutschland ungefähr 4 Millionen. Zwei Drittel haben ein monatliches Einkommen unter 200 Mark. Bei weiblichen Angestellten ist es viel niedriger, es beträgt durchschnittlich ungefähr 100 Mark. Diese Tatsachen zwingen uns, die große Passivität hinsichtlich der Angestelltenarbeit der Partei zu liquidieren und mit der Ideologie aufzuräumen, als ob das “bessere Leute” wären. Die Industrie- und Handelsbüros, die Warenhäuser und Banken sind heute starke Reservoirs der Nazi. Deshalb heran an die Büros, an die Warenhäuser und Banken! Mehr Mut und Elastizität unserer Arbeit unter diesen Schichten, bei denen die Not des öfteren sehr groß ist.

Einige ganz kurze Bemerkungen zu den Betriebsrätewahlen. Sie sind noch stärker als je zuvor politische Wahlen. Gegenüber dem vorigen Jahr gilt es vor allem die Einheitsfrontpolitik in stärkerem Maße zur Durchführung zu bringen. Unsere Hauptlosungen müssen sein: Gegen die Kapitalsoffensive! Schafft rote Hochburgen gegen den Faschismus! Kampf gegen die Brüning-Diktatur! Das Wichtigste ist bei den Betriebsrätewahlen die Stellungnahme und Mobilisierung der Belegschaften für die Durchführung besonderer, konkreter, betrieblicher Kampfprogramme. Überhaupt müssen wir die Wahlen nicht im Sinne terminmäßiger Wahlarbeit, sondern als wirkliche aktive Mobilisierung der Belegschaften für den Wirtschaftskampf und alle andern politischen Fragen durch die sofortige Wahl von vorbereitenden roten Wahlausschüssen fördern und beleben. Überall muß die Belegschaft den Verrat der reformistischen, christlichen und gelben Betriebsräte anprangern. Die roten Betriebsräte müssen offen Rechenschaft über ihre Tätigkeit vor der Gesamtbelegschaft ablegen, wobei offene Selbstkritik nur unsere Verbundenheit mit den Arbeitern erhöhen kann. Die Aufstellung neuer Kandidaten wird durch die Belegschaft notwendig und sehr oft zweckmäßig sein. Nehmt überall den schärfsten offensivsten Kurs gegen die stärkeren Bemühungen der Nazis, in die Betriebs- und Arbeiterratsfunktionen einzudringen. Säubert die Betriebe von den Faschisten!

Zum Schluß noch einige allgemeine Bemerkungen über die RGO: Es ist klar, daß sie als Ganzes viel stärker politisch in den Vordergrund treten muß. Wo ist z. B. der Kampf des Reichskomitees der RGO gegen den Faschismus in den Massen spürbar? Wo merkt man die zentrale Auseinandersetzung mit der klassenverräterischen Politik des ADGB? Auch hier gilt es vorzustoßen und Versäumtes nachzuholen. Die RGO hat heute die größte Entfaltungsmöglichkeit und sie muß zu einer wahren Millionenbewegung in Deutschland werden.

IV. Fortschritte und Mängel in der Parteiarbeit

Wenn wir die Bilanz unserer Arbeit nach dem 14. September ziehen, so sehen wir eine Reihe von großen Erfolgen der Partei: Die außerparlamentarischen Massenkämpfe, die neuen Streiks, die antifaschistische Massenkampfwelle, das organisatorische Wachstum der Partei und der Jugend, wobei wir z.B. in der Partei vom August bis Ende November vorigen Jahres bereits an abgerechneten Mitgliedern eine Steigerung um über 35 Prozent erzielt hatten. Im Dezember sind die eingelieferten Ergebnisse noch besser. Im Jugendverband ist zahlenmäßig das Wachstum ebenfalls sehr befriedigend, nur sind die Abrechnungsverhältnisse noch schlecht. Auch in der Frauenarbeit haben wir neue starke Erfolge, wie der Reichskongreß der werktätigen Frauen[52] bewiesen hat.

Auf der anderen Seite gibt es auch starke Mängel. Einige Wahlen nach dem 14. September zeigten einen gewissen Tempoverlust gegenüber unseren Gegnern. Das konnte[53] in den meisten Fällen vermieden werden. Wir haben ferner eine allzu schematische Anwendung der Politik der Partei, die Rundschreiben werden schematisch übernommen, ohne genügende Konkretisierung und selbständige Initiative der Bezirke und der unteren Organisationen. Wir müssen das, was im Volksleben vorgeht, das Fühlen und Denken der Werktätigen viel stärker beobachten und daraus lernen. Kleine und große Probleme mehr verbinden mit unserer revolutionären Ideologie.

Ich will nun einige Beispiele anführen über die Art der besonderen Abweichungen und Fehler, die sich in der Parteipraxis in letzter Zeit ergeben haben. Dabei ist die Tatsache unbestreitbar, daß der rechte Opportunismus und der Opportunismus in der Praxis die Hauptgefahr ist. Wie äußern sich die rechtsopportunistischen Fehler? Wir haben da einmal Fehler, die einen ideologischen Opportunismus zum Ausdruck bringen, z. B. eine Leugnung der revolutionären Perspektive der Entwicklung, in der sich nichts anderes ausdrückt als Depressionsstimmungen opportunistischer Natur. Solche Fälle gibt es, wenn auch ganz vereinzelt. Ein zweites Beispiel ist die Frage des opportunistischen Zurückweichens vor der Staatsgewalt und vor dem Mordfaschismus. Wir wissen, daß z. B. in Finnland solche Tendenzen zum Ausdruck kamen, daß die illegale Kommunistische Partei sich so abkapselte, daß sie die Verbindung mit den Massen verlor. Deshalb ist es notwendig, alle Tendenzen eines Zurückweichens vor der Staatsgewalt und ihren Anschlägen auf die revolutionäre Bewegung, jede Kapitulationspolitik sowie jede Abschwächung des wehrhaften Massenkampfes gegen den Faschismus von vornherein mit eisernem Besen auszufegen. Ein dritter Hauptpunkt ist der Opportunismus bei Streiks. Hier will ich nur ein Beispiel aus dem Ruhrkampf erwähnen. Auf einer Schachtanlage erklärte der Betriebsratsvorsitzende, der ein Parteigenosse war, am dritten Streiktag den Bergarbeitern, er sei sich klar, daß er damit gegen die politische Linie seiner Partei verstoße, aber er empfehle doch die Rückkehr in den Betrieb. Der Erfolg war natürlich eine Abbröckelung der Streikfront.

Auf der anderen Seite gibt es natürlich neben den rechtsopportunistischen Fehlern auch sogenannte “linke” Fehler. Nehmen wir z. B. Ostpreußen. Dort finden wir in der Presse eine nicht richtige Behandlung in verschiedenen Artikeln zur Frage der Landarbeiter. Man stellte dort eine Zeitlang zu isoliert in den Vordergrund die Organisierung des Roten Landarbeiterverbandes und nicht die entschiedene Vorbereitung der Kampfaktion der Landarbeiter gegen ihre Ausbeuter. Die ostpreußischen Genossen stellen die Frage umgekehrt als es richtig ist. Sie sagen: erst Schaffung des Verbandes, dann Kampf der Landarbeiter. Was für Illusionen! Besonders in der stärksten Mobilisierung und der Durchführung des Kampfes der Landarbeiter entsteht ja erst recht und weit mehr die Grundlage für die Organisierung und den Ausbau des roten Verbandes.

Oder nehmen wir eine andere Frage: in Schlesien war bekanntlich besonders stark die Hochwasserkatastrophe. Die Partei griff mit einer Reihe entscheidender Anträge im Preußischen Landtag ein. Aber wie fand das seinen Niederschlag in unserer schlesischen Zeitung? Daraus hätte man eher schließen können, daß die kommunistischen Anträge von der Brüning-Regierung berücksichtigt wurden, als daß wir die Helfenden waren. Diese Frage war den Genossen offenbar nicht “hochpolitisch” genug.

Oder noch ein anderes Beispiel. In Berlin die Tatsache des Remarque-Films[54], bei welcher Gelegenheit die Nazis eine große Mobilisierung ihrer Anhänger versuchten. Wir haben leider in dieser Frage eine schwache und keine offensive Stellung eingenommen. Wir haben die Bedeutung einer solchen verhältnismäßig “unpolitischen” Frage vom Standpunkt des Lebens der Massen einfach unterschätzt.

Oder nehmen wir die Brüning-Reise[55], die vielfach von den Massen gestört wurde, wo bekanntlich ein Betriebsratsmitglied, der Genosse Becker, der unserer Partei angehört, in einer offiziellen Sitzung in Schlesien plötzlich aufstand und gegen die Hungerregierung Brüning, im Beisein von Brüning und seinen eingeladenen Gästen, das Wort ergriff und seine Politik aufs schärfste anprangerte. Von unseren Redakteuren wurde diese Sache nur ein einziges Mal und dabei noch nebensächlich beleuchtet. Die Nazis hätten von solch einer Angelegenheit, längere Zeit gelebt, wir begnügen uns mit der “bescheidenen” einmaligen Wiedergabe. Und doch war es ja eine wirklich interessante und seltene Tatsache: Brüning sagt, es sei nicht richtig, wenn im deutschen Volke die Behauptung aufgestellt werde, sein Kabinett sei eine Hungerregierung - bei diesen Worten steht plötzlich ein Kommunist auf und hält eine scharfe Anklagerede gegen die Hungerregierung Brüning, bis er von der Polizei unter Führung eines Offiziers dort herausgeschleift wird. Aber unsere Redakteure fühlen nicht den Widerhall dieses Vorfalls bei den Massen und sie verzichten deswegen auf die Popularisierung dieses Falles.

Diese Beispiele ließen sich noch beliebig vermehren. Wenn wir z. B. unsere Presse zur Hand nehmen, finden wir bisweilen, glücklicherweise selten, unglaubliche Entgleisungen, auch in ideologischer Hinsicht, wo sich eine direkte Verbürgerlichung bei vereinzelten Genossen leider bemerkbar macht.

Noch einige zusammenfassende Bemerkungen über den Charakter der opportunistischen Abweichungen. Ich nannte schon die gegenwärtig entscheidende Abweichung, das Zurückweichen vor dem Mord-Faschismus. Das zweite ist der noch starke Gewerkschaftslegalismus und die ungenügende selbständige Rolle der roten Betriebsräte. Eine dritte Frage ist unsere Arbeit in den Parlamenten, wo wir viel stärker der revolutionären Entwicklung Rechnung tragen müssen. Und zuletzt das Problem, daß wir die gewisse innere Passivität und falsche Bescheidenheit angesichts unserer großen Aufgaben überwinden und stärker und leidenschaftlicher als die Partei des herannahenden Sieges in Erscheinung treten.

Neue Kaders, neue Funktionäre!

Einiges noch zur Frage der organisatorischen Probleme, die vor der Partei stehen. Welches sind die Hauptmängel? Von entscheidender Bedeutung für die Durchführung unserer Politik sind die Betriebszellen. Die schnellste Inangriffnahme der Gründung neuer Betriebsgruppen, [die] Aufrichtung und die Erweiterung unserer Betriebszellen durch neue revolutionäre Elemente aus den Betrieben und die politische Belebung der Arbeit unserer Betriebszellen und ihrer Leitungen steht als erste und notwendigste Aufgabe vor der Gesamtpartei. Der Ausbau des Vertrauensleutekörpers und der Funktionäre[56] der RGO in den Betrieben muß energisch in Angriff genommen werden. Ein zweites Problem ist das zu langsame Wachstum und die noch immer ungenügende Stärke der RGO und der neuen roten Verbände. Eine dritte Frage die ganz unbefriedigende Auflagenziffer unserer Parteipresse. Viertens die Verdoppelung unserer Mitgliederzahl vom August 1930 bis zum 1. April 1931, bei stärkster Orientierung auf die Gewinnung neuer Mitglieder aus den wichtigsten Betrieben in ganz Deutschland. In allen diesen Punkten müssen wir ohne Zweifel mit offener bolschewistischer Selbstkritik die Ursachen aufdecken, um diese Schwächen möglichst schnell und intensiv zu liquidieren. Andererseits steht auch die Frage unseres Funktionärsapparates, die Verbesserung der Leitungen in der Gesamtpartei. Hier ist ein äußerst wichtiges Problem die Zusammensetzung der Partei in bezug auf die Verankerung in den entscheidenden Großbetrieben. Dem allgemeinen günstigen Aufstieg der Partei steht eine völlig ungenügende Zahl unserer Betriebszellen und ein mangelndes politisches Leben in den Betriebszellen gegenüber. Man muß das überall so offen und so kraß stellen, wenn wir ernsthaft daran gehen wollen, endgültig diese große Schwäche in unserer Partei zu überwinden.

Mit den wachsenden Aufgaben und den höheren Anforderungen, die an uns gestellt werden, kommen wir mit den jetzigen Kaders, mit den bisherigen führenden Funktionären unserer Partei nicht mehr aus. Wir müssen dafür sorgen, daß jeder Genosse seine Pflicht erkennt, wenn neben ihm ein anderer, aktiver Genosse auftaucht, der vielleicht sogar stärkere Fähigkeiten besitzt als er selbst, diesen Genossen auch individuell in seiner Entwicklung zu fördern und nicht etwa zurückzuhalten, wie es des öfteren leider geschieht. Unsere Genossen müssen viel mehr ideologische und auch individuelle Hilfe von unseren Leitungen erhalten. Mit der Hebung des allgemeinen theoretischen Niveaus werden wir einen stärkeren Zuwachs an neuen, reiferen Elementen bekommen.

Dazu noch eine praktische Frage. Wir haben an den wichtigsten Stellen, wenn auch nicht überall, das System, daß die neuen Mitglieder noch kein Parteibuch bekommen, sondern nur Karten. Erst nach einem Jahr erhält das neue Mitglied sein Parteibuch. Ist diese Methode richtig? Ich bin überzeugt, daß sie ein schwerer Fehler ist. Eine solche äußerliche Kennzeichnung der neuen Mitglieder kann eine wirkliche politische Kontrolle doch nicht ersetzen, aber man teilt die Partei dadurch in zwei Arten von Parteigenossen. Selbstverständlich haben die neuen Genossen das Bedürfnis, daß das Jahr möglichst schnell herum ist, damit sie ihr Parteibuch bekommen. Es ist unbedingt notwendig, mit diesem veralteten Gebrauch sofort Schluß zu machen. Sonst werden wir auch die wichtigen Aufgaben der Massenwerbung, die vor uns stehen, keineswegs lösen können.

Vor uns steht die Aufgabe der Verdoppelung der Mitgliederzahl der Partei und des Kommunistischen Jugendverbandes, bei gleichzeitiger Überwindung der Fluktuation, Erhöhung der Gesamtauflage der Presse, stärkste Förderung der Betriebszeitungen und der revolutionären Gewerkschaftspresse. Ich bin sicher: Die Partei ist stark genug, diese Aufgabe zu lösen!

Politischer Massenstreik

Der politische Massenstreik ist für die jetzige Etappe der Entwicklung die entscheidende Kampfmethode des Proletariats. Aus welchem Anlaß ein politischer Massenstreik entfesselt wird, dafür lassen sich keine Normen und feste Regeln aufstellen. Er kann aus wirtschaftlichen Streiks erwachsen. Aber er kann ebenso gut einen unmittelbar politischen Anlaß haben, wie das Danziger Beispiel jetzt, der Streik nach dem Kapp-Putsch seinerzeit und vieles andere lehrt. Wirtschaftliche Streiks, deren politischen Charakter wir ins Bewußtsein der Massen heben müssen, bereiten den Boden für große politische Massenstreiks vor. Wir müssen alles daran setzen, die Massen für diese wuchtige, heute ausschlaggebende Waffe des politischen Massenstreiks zu erziehen.

Ein entscheidendes Problem ist selbstverständlich bei der heutigen Situation und den Perspektiven der revolutionären Entwicklung die Wehrhaftmachung des Proletariats. Hier stehen die allergrößten und neuen Aufgaben vor der Partei. Unsere Klassenfeinde helfen uns dabei. Wenn Severing seine Worte von den “härteren Waffen” als Drohung gegen die Arbeiterklasse schleudert, wenn Hitler und Goebbels ankündigen, daß sie “Köpfe rollen lassen” wollen, so zeigen diese Äußerungen dem Proletariat am besten, was ihm blüht, wenn es nicht wehrhaft sich selbst zu schützen und seine Todfeinde zu überwinden vermag. Die Arbeiter erklären heute schon: Wir lassen uns nicht mehr schlagen! Diese Stimmung ist besonders stark gegenüber dem Mordfaschismus. Die KPD schafft eine Sicherheit und Festigkeit der Arbeiter im Kampfe gegen den Faschismus und stößt dabei auf die Zustimmung der breitesten Massen. Heute ist die Empörung im Proletariat schon so groß, daß man fast sagen kann: Wenn die KPD diesen Kampf vernachlässigen wurde, würden die Massen ihrerseits spontan dazu übergehen, auf jede neue faschistische Bluttat mit antifaschistischen Strafexpeditionen zu antworten.

Genossen, die großen historischen Aufgaben, die vor uns stehen, belasten uns mit gewaltiger Verantwortung. Man muß überall auf die Stimme der KPD hören! Dafür genügt nicht allein eine richtige Politik, nicht allein die beispiellose einheitliche Geschlossenheit unserer Partei, sondern auch die stärkere Verantwortung des einzelnen Kommunisten in den proletarischen Massen gewinnt immer mehr an Bedeutung. Die innere politische Festigung, die Autorität der Partei von unten bis oben bedeutet auch politische Festigung, Vertrauen und Autorität nach außen unter den Massen. Die Beschleunigung der revolutionären Entwicklung hängt in erster Linie von uns ab. Dabei geht es nicht nur um das Interesse der deutschen Arbeiter, sondern auch um die Fragen der Kommunistischen Internationale und der Verteidigung der Sowjetunion.

Die KPSU zeigt im Ringen und Siegen des sozialistischen Aufbaues dem ganzen Weltproletariat heroische Leistungen. Ihr historisches Werk muß ein vorwärtstreibendes Vorbild auch bei der inneren Mobilisierung unserer Reihen sein. Wir erklären unsere unverbrüchliche Solidarität mit der Tagung und den Beschlüssen des ZK und der ZKK der KPSU[57]. Wir begrüßen ihre Beschlüsse gegen die Rechten wie gegen den Block Szyrzow-Lominadse. Die Einheit der WKP stählt unsere Einheit. Unsere Erfolge sind auch ihre Erfolge. Ihr grandioser sozialistischer Sieg fördert unseren Sieg. Diese leninistische Verbundenheit mit der KPSU spiegelt lediglich unsere bolschewistische Klassenlinie wider, die die beste Garantie und die unerläßliche Voraussetzung für die siegreiche Erfüllung unserer revolutionären Aufgaben ist.

Das Schlußwort des Genossen Thälmann

Genossen! Ich möchte im Schlußwort zunächst bezüglich des Charakters unserer heutigen ZK-Sitzung auf 3 Punkte hinweisen. Da ist vor allem die Tatsache der Anwesenheit verschiedener Vertreter von anderen Sektionen der Komintern auf unserer ZK-Sitzung. Diese Tatsache und die Worte der politischen Solidarität, Verbrüderung und Verbundenheit auch in allen Fragen unserer Generallinie, die der führende Genosse von der KP Frankreichs gesprochen hat, sind die beste Bestätigung dafür, daß die Sitzung unseres Zentralkomitees nicht nur eine deutsche, sondern eine internationale Bedeutung im Rahmen der Komintern hat. Eine solche enge Verbindung der deutschen Partei mit den Sektionen der anderen kapitalistischen Länder ist zugleich eine Vorbedingung für eine erfolgreiche und internationale Durchführung der großen Aktionen und Kämpfe, die die Komintern in der ganzen Welt betreibt.

Ein zweiter Punkt, auf den ich hinweisen möchte, ist die Tatsache der regen Diskussion in der jetzigen Tagung des ZK. Wenn allein 51 Redner in der Diskussion zu den politischen Problemen und Aufgaben gesprochen haben, Ergänzungen und Verbesserungen - auch einige Unklarheiten - sich in dieser Diskussion ergaben, so zeigt das den weiteren Fortschritt der Gesamtpartei. Ich möchte vor allem auf die Diskussion am heutigen Tage hinweisen, die viel dazu beigetragen hat, die politische Problemstellung zu vertiefen und die Partei vorwärts zu bringen.

Der dritte Punkt bezieht sich auf unsere vorgelegte Resolution, zu der eine Reihe von Genossen verschiedene Verbesserungsanträge eingebracht haben. Es sind bei diesen Anträgen auch einige, auf die wir nicht eingehen wollen.

Nun, Genossen, zu einigen Problemen, die im Schlußwort behandelt werden sollen. Da ist einmal die Frage der bolschewistischen Selbstkritik. Gestern, wo in der Mehrzahl die Genossen Sekretäre aus den Bezirken gesprochen haben, wurde in der Diskussion die Selbstkritik an den Mängeln und Schwächen der Arbeit der einzelnen Bezirke in den Vordergrund gestellt. Das müssen wir begrüßen. Aber es genügt noch nicht. Denn die Konsequenz aus dieser Erkenntnis der Mängel muß eben sein, daß die Genossen darüber hinaus Vorschläge zur Verbesserung aufzeigen. Über Selbstkritik lamentieren, ohne die Konsequenzen daraus zu ziehen, das ist noch keine Selbstkritik, die im Sinne der Erziehung und Weiterentwicklung der Partei fördernd wirkt. Darüber hinaus muß man besonders darauf aufmerksam machen, daß wir hier im Zentralkomitee uns nicht darauf beschränken können, die einzelnen Bezirksprobleme zu behandeln, sondern daß jeder Genosse sich bemüht, über die großen und ernsten Probleme mehr nachzudenken und dadurch der Gesamtpartei eine größere politische Hilfe erweist. Ich verzichte, auf alle aufgeworfenen Bezirks- und Diskussionsfragen einzugehen. Nur einige wesentliche Punkte will ich beantworten.

Zuerst zu der Diskussionsrede des sächsischen Genossen. Mich erinnerte sie an folgendes Bild: Ein Reiter, der im Trab auf eine Hürde lossteuert und dem plötzlich, sobald er vor dem Hindernis ankommt, einfällt, es ist besser, um die Hürde herumzureiten, da man dann nicht herunterfallen kann. Der sächsische Genosse selbst ist unbeschädigt, aber alles andere ist Opportunismus. Es ist unmöglich, die Schwächen und Mängel und einzelne Fehler mit dem Argument verdecken und entschuldigen zu wollen, in ganz Sachsen herrsche der Opportunismus. Damit beleidigt man die Funktionäre und Arbeiter in Sachsen. Damit knüpft man an die rückständigsten Elemente in der Partei an. Zweifelsohne hat die Vergangenheit für die Entwicklung in Sachsen eine bestimmte hindernde Einwirkung. Aber das gilt genauso für Thüringen, Württemberg, Halle-Merseburg, wo es trotzdem schneller vorwärts geht.

Ich will nur drei Fragen hervorheben, in denen wir einen Tempoverlust in Sachsen zu verzeichnen haben: In erster Linie ist es der ungenügende prinzipielle und methodische Kampf gegen die “linke” SPD. In Leipzig z.B. konnte der Entwicklungsprozeß der sogenannten “linken” SPD zur absoluten und bedingungslosen Stütze der offiziellen Führung der SPD sich vollziehen, ohne daß eine große Rebellion in der Mitgliedschaft eintrat. Die “linke” SPD-Führung konnte ihre bedingungslose Kapitulation vor dem Parteivorstand vollziehen, ohne große Schwierigkeiten in ihren eigenen Reihen.

Die zweite Frage ist, daß es in der Arbeit der RGO lange nicht rasch genug vorwärts geht und wir große Versäumnisse feststellen müssen. Die aufgetürmten Schwierigkeiten sind schnellstens zu beseitigen.

Der dritte Punkt, die eigentliche Kernfrage ist folgende: Wir hatten früher 3 Bezirke, Leipzig, Dresden, Chemnitz, die wir zu einem Bezirk zusammengelegt haben. Zwar ist eine ziemlich einheitliche Struktur in ganz Sachsen vorhanden, was unseren Schritt wesentlich erleichterte. Aber wenn keine kollektive Leitung die Führung des neuen Großbezirks in der Hand hat, dann kann auch nicht eine wirkliche Zusammenschweißung der 3 Bezirke vollkommen durchgeführt werden. Deshalb werden wir in Sachsen, obwohl unsere Kräfte sehr rar sind, in kameradschaftlicher Weise eine Verstärkung der gesamten Arbeit vornehmen müssen.

Das Problem, das von einem anderen Diskussionsredner aus dem Saargebiet angeschnitten wurde, ist für die ganze Partei wichtig und lehrreich. Welches ist unsere Haltung in der Frage des Verhältnisses von Saargebiet und Deutschland? Wie schätzen wir das Saargebiet ein? Bei unserer prinzipiellen Haltung gegen den Versailler Vertrag ist es völlig klar: dies ist für uns kein von Deutschland abgetrenntes Land. Es ist vielmehr besetztes Gebiet, wobei die Art der Besetzung unter der Völkerbundherrschaft besondere Formen annimmt.

Es ist also nicht die gleiche Fragestellung wie bei den abgetrennten deutschen Minderheitsgebieten Südtirol, Polnisch-Oberschlesien oder im Polnischen Korridor. Es ist gar kein Vergleich zu ziehen mit Elsaß-Lothringen. Unsere aktuellen Losungen für das Saargebiet müssen deshalb eindeutig lauten: "Fort mit allen Unterdrückungsmaßnahmen und Schranken des Versailler Raubfriedensvertrages!" und Verbindung dieser Losung auf Entfernung der Völkerbundsregierung mit der Aufgabenstellung, ein Sowjet-Deutschland zu errichten.

Die Genossen im Saargebiet, die zum Teil vor einer solchen leninistischen Fragestellung zum nationalen Problem zurückschrecken, haben Besorgnis, in eine Einheitsfront mit SPD oder Bourgeoisie zu kommen. Aber das ist unmöglich, wenn man im Saargebiet vor dem dortigen Proletariat die Fragen des gesamten revolutionären Klassenkampfes, wie sie für ganz Deutschland stehen, ebenfalls mit genügender Klarheit und in aller Schärfe aufrollt. Die Bedenken, wie sie ein Genosse aus dem Saargebiet hier äußerte, erinnern an die gleichen Tendenzen, wie sie sich gegenüber unserem Programm der nationalen und sozialen Befreiung vereinzelt äußerten. Auch damals lagen die Bedenken in der gleichen Linie des Unverständnisses für die leninistische Stellung zur nationalen Frage und für die Gesamtsituation in Deutschland. Es ist klar, daß wir hier noch ideologische Schwächen zu verzeichnen haben, die schnell überwunden werden müssen.

Von den bayerischen Genossen, die über die dortigen besonders verschärften Methoden der Konterrevolution gesprochen haben, möchte ich sagen, daß sich hier zum Teil einige Schwächen gezeigt haben, so als ob die Genossen ein wenig versäumen, die große lebendige Kraft und Siegeszuversicht, allen Schikanen und Terrormethoden zum Trotz, energischer noch im Proletariat zu wecken.

Der Genosse aus Ostpreußen sagte gestern: Man habe dort keine genügenden Kräfte im Bezirk für Schulungsarbeiten und könne nur durch Kurse neue Funktionäre bekommen. Demgegenüber möchte ich feststellen, daß nicht die Kurse die entscheidende Frage für die Heranbildung neuer Funktionäre sind, sondern die Heranziehung zur Parteiarbeit; und nur in der praktischen revolutionären Arbeit vor immer neue, größere Aufgaben gestellt, kann sich ein Genosse zu einem brauchbaren und befähigten Funktionär entwickeln. Im revolutionären Kampfe erzieht man die Massen und entwickelt ihre Qualitäten. Andererseits gehört dazu auch eine gewisse Rationalisierung unserer Parteiarbeit, damit unsere Genossen Zeit und Gelegenheit bekommen, bei ihren praktischen Erfahrungen auch ihr theoretisches Niveau zu heben und sich immer mehr Wissen anzueignen. Bei dieser Entwicklung steht dann natürlich auch die Frage der Kurse, zu denen auch außerhalb der Partei stehende Arbeiter hinzugezogen werden können.

Ein paar Worte zur Frage des Mittelstandes, zu der gestern mehrere Genossen sprachen. Die Frage des Privateigentums ist beim Mittelstand eine Hauptfrage. Er hat das Gefühl und denkt, wenn die Arbeiterklasse ans Ruder kommt, dann ist es aus mit seiner individuellen Existenz, er glaubt, er verliert seine Kommode, seinen Hund, seinen Geldbeutel usw. Das ist für ihn das Wichtigste. Hier müssen wir eine richtige, offene, ehrliche, revolutionäre Agitation zu treiben verstehen, die an die eigenartige Ideologie dieser Menschen anknüpft. Der Monopol-Kapitalismus treibt sie zu hunderttausenden immer mehr zur Proletarisierung. Sie bilden sich heute zum größeren Teil ein, daß andere Kreise, wie z.B. die Faschisten, sie retten könnten durch das sogenannte “Dritte Reich”. Sie glauben, dann geht es los, dann ist es aus mit dem “Marxismus” und dann sind sie dran, ein besseres Leben fristen zu können. Sie glauben das um so mehr, weil die Faschisten von Beseitigung der Korruption, der Brechung der Zinsknechtschaft, Aufhebung der Warenhäuser usw. schwätzen und reden. Wir müssen beginnen, ihnen klar zu machen, daß die Krise des Kapitalismus, die auch eine faschistische Herrschaft niemals beseitigen kann, sie noch weiter in den proletarischen Strudel in Massen hineinschleudert. Wir müssen ihnen zeigen, daß sie durch den fortgesetzten Lohnabbau der Millionen, durch die chronische Millionen-Erwerbslosigkeit, durch das Sinken der Massenkonsumkraft und durch erhöhte Steuerausgaben ihrerseits in ihrer Existenz heute schon bedroht sind, nicht mehr das haben, was sie zum Leben gebrauchen und im kapitalistischen System zugrunde gehen. Wir müssen ihnen schließlich aufzeigen den Übergang von der jetzigen bankrotten kapitalistischen Gesellschaftsordnung zum Sozialismus, als den neuen gewaltigen Fortschritt der menschlichen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Dabei müssen wir dem Mittelstand ganz klar sagen, daß wir auch in Deutschland durchaus nicht im ersten Stadium der proletarischen Diktatur die selbständigen Mittelstandsexistenzen aufheben können, daß es aber mit dem Fortschreiten der sozialistischen Entwicklung für sie keinen Rückschritt, sondern eine freiheitliche Aufwärtsentwicklung bedeutet, wenn sie, statt sich unter dem Kapitalismus mit vielen Sorgen mühselig hinterm Ladentisch abzuquälen, im Lande des Sozialismus in den großen Betrieben und Unternehmungen und in den höchsten Staatsorganen durch eigene Arbeit und Leistung einen Weg bahnen. Denn unter dem Sozialismus steht wirklich der Weg offen und frei, sich emporarbeiten zu können, so daß vielleicht aus einem kleinen “selbständigen” Kaufmann, der knapp sein Leben fristet, der Generaldirektor eines großen Sowjetunternehmens werden kann. Dann entscheidet nicht mehr der Geldsack wie heute, sondern die qualitative Fähigkeit des einzelnen und des ganzen Volkes. Die Vernichtung hunderttausender kleiner Bauernexistenzen durch die Agrarkrise und durch den Kapitalismus stellt uns vor eine ähnliche revolutionäre Fragestellung bei den Millionen Kleinbauern.

Nun, Genossen, zu den wichtigsten in der Diskussion gestellten politischen Problemen. Ich möchte dazu voranschicken ein Zitat aus dem gestrigen Artikel des Professors Dr. Hoetzsch in der "Deutschen Allgemeinen Zeitung". Dort heißt es:

Aber ohne Zweifel ist weithin in der Welt das Vertrauen wankend geworden, ob der Kapitalismus und die kapitalistischen Staaten die Wege aus der Krise finden werden. Je tiefer sie frißt, um so stärker wird die psychologische Bereitschaft für (man mag sich darunter das verschiedenste vorstellen) den Sozialismus.

Ich möchte daneben stellen ein zweites Zitat aus einer Erklärung des Erzbischofs Kordak in Prag. Er sagt:

Der arme Mann befindet sich heute in der Gewalt der Ausbeuter, die es nicht anerkennen wollen, daß auch der Ärmste das Recht auf Leben, auf Brot, auf Kleidung und auf die Familie hat. Wer kann es heute den Armen sichern, daß ihre Kinder etwas zu essen haben, daß sie nicht genauso Hunger leiden wie die Armen heute Hunger leiden? Wir leben in der Zeit der historischen Wende, wie es sie seit der Zeit der Völkerwanderung, durch die die griechisch-römische Welt zerschlagen wurde, nicht gegeben hat. Damals entstand aus dem Meer des Blutes das Christentum. Oftmals entstehen große Ereignisse aus blutigen Konflikten. Die Möglichkeit solcher Konflikte ist aber immer in einer menschlichen Gesellschaft vorhanden, die am Höchstpunkt der Zuspitzung ihrer Antagonismen angelangt ist [...] Unsere Zeit ist reif für die Weltrevolution. Wenn nicht die Regierenden und die Kapitalisten die Gesetze des Christentums annehmen, wird das rote Meer der Flammen die Welt verwüsten.

Diese Äußerung des Bischofs Kordak ist eine vernichtende Anklage gegen den Kapitalismus. Die Nazis stellen die Frage des “Dritten Reiches”. Dieser Erzbischof die Frage der Gesetze “des Christentums” und wir allein nur können eine reale Lösung aufzeigen: Das Beispiel der grandiosen Entwicklung in der Sowjetunion. In diesen Eingeständnissen von bürgerlicher Seite über die schwere Krise des kapitalistischen Systems zeigt sich schon der tiefe Pessimismus und welche großen Möglichkeiten für uns bestehen, wenn wir mit unserer revolutionären Ideologie und mit einer genügenden offensiven Initiative leidenschaftlicher und kühner an die Massen herangehen.

Einige Bemerkungen zur Frage des Faschismus. In der Diskussion zu diesem Problem ergaben sich einige Unklarheiten. Ich will deshalb aus unserer Resolution die beiden entscheidenden Stellen vorlesen. Es heißt dort:

Die Diktatur des Kapitals stößt dabei auf den immer stärkeren und hartnäckigeren, massenhafteren und erbitterteren Widerstand der Arbeiterklasse unter Führung der Kommunistischen Partei, der schon im gegenwärtigen Moment ein entscheidendes Hindernis auf dem Wege der Verwirklichung der faschistischen Diktatur ist.

Und an einer anderen Stelle heißt es:

Die Regierung Brüning, die die letzten revolutionären Errungenschaften von 1918 abbaute, die Weimarer Verfassung Stück für Stück außer Kraft setzt, das Parlament ausschaltet und sich zum Vollzugsorgan der wütenden Unternehmeroffensive auf die Lebenshaltung des Proletariats, der Angestellten, Beamten und aller werktätigen Massen macht, ist zur Regierung der Durchführung der faschistischen Diktatur geworden.

Das sind die offiziellen wichtigsten Formulierungen, die wir festlegen wollen. Es ist klar, daß wir damit zu einer konkreten und richtigen Analyse der heutigen Lage kommen.

Ich sagte schon im Referat, daß das besondere charakteristische Merkmal an der heutigen Lage in Deutschland bezüglich der faschistischen Entwicklung darin besteht, daß auf der einen Seite die Regierung, die die entscheidenden Teile des Finanzkapitals repräsentiert und vom Zentrum geführt wird, mehr und mehr faschistische Herrschaftsformen anwendet, auf der anderen Seite die eigentliche faschistische Massenpartei, die Nationalsozialisten und Hugenberg, sich außerhalb der Regierung, ja in einer gewissen mehr oder weniger “radikalen“ Scheinopposition zur Regierung befindet. Diese Scheinopposition kann vielleicht in den nächsten Monaten noch schärfere Formen annehmen, denn unzweifelhaft braucht die Bourgeoisie gegenwärtig wegen der Tarife für sechs Millionen Arbeiter, die allein vom 1. Februar bis zum 31. März ablaufen, und aus außenpolitischen Gründen, im Hinblick auf eine deutsch-französische Verständigung und Kredite Frankreichs für Deutschland, eine weit stärkere Heranziehung und Unterstützung der SPD. Das aber schließt einen gewissen Verzicht, wenn auch vorübergehend, auf die offizielle Bindung der Nationalsozialisten an die Regierung in sich. Bedeutet das, Genossen, daß die Nationalsozialisten in der Praxis die Brüning-Regierung, die Regierung der Durchführung der faschistischen Diktatur etwa ernsthaft bekämpfen? Im Gegenteil: Ihr dauernd verschärfter blutiger Terror gegen die revolutionäre Arbeiterbewegung ist eine unmittelbare Hilfsaktion für die Brüning-Diktatur und für die Kapitalsoffensive im jetzigen Youngdeutschland. Aber äußerlich, in ihrer Agitation und Propaganda, in ihrem Auftreten in den Parlamenten und draußen in Versammlungen dürfen sich die Faschisten oppositionellere Worte erlauben. Selbstverständlich verbergen sich hinter den Vorgängen einer wechselseitigen Ausnutzung der Nazis und der Sozialdemokratie seitens der Bourgeoisie auch gewisse Strömungen im Lager des Finanzkapitals, die gegeneinander operieren. Es ist ja bekannt, daß jene entscheidenden Teile des Finanzkapitals, die auf französische Rüstungsaufträge spekulieren und deshalb jetzt für die deutsch-französische Verständigung schwärmen, unter der Führung des Herrn Bosch[58] von der IG-Farbenindustrie, aber auch unter Teilnahme von Vogler[59] und anderen rheinisch-westfälischen Schwerindustriellen gegen jede Hineinnahme der Nazis in die Reichsregierung sind und damit momentan auch nicht besonders stark drängen auf eine Sprengung der Preußenkoalition. Andererseits wissen wir, daß der Industrielle Fritz Thyssen, der Stahlhelmmann, der stärkste Anhänger eines Sturzes der Brüning-Regierung und ihrer Ersetzung durch eine Hugenberg-Regierung mit Naziministern ist, wobei eventuell Brüning als Minister in dieser Regierung mitwirken soll.

Gegenwärtig herrschen jedoch naturgemäß jene Strömungen vor, die die Brüning-Diktatur erhalten, ausbauen und verstärken wollen, ohne den Nazis größere Konzessionen zu machen. In diesem Zusammenhang muß man auch verstehen, warum in Preußen seitens der Rechtsparteien nicht die Hitlerpartei, sondern der Stahlhelm beim Volksbegehren für Landtagsauflösung vorgeschickt wird. Unsere Stellung gegenüber einem solchen Volksbegehren ist klar:

Wir können selbstverständlich nicht mit den Faschisten gegen die Preußenregierung ein gemeinsames Volksbegehren durchführen. Wir können ebensowenig dulden, daß bei der Arbeiterschaft Illusionen über die Preußenregierung als “kleineres Übel” bestehen, oder daß die Arbeiter auch nur einen Finger krumm machen, um die Braun-Severing-Regierung, diesen Hort der finsteren Reaktion, in Deutschland zu erhalten. Wir lassen uns weder in eine Hilfsstellung für die Braun-Severing, noch für die Hugenberg-Hitler drängen. Und wir können drittens am allerwenigsten eine Politik der Passivität betreiben. Das alles sind Selbstverständlichkeiten. Notwendig ist deshalb, daß wir eine klare offensive Frontstellung gegen den Faschismus und gegen die Koalitionspolitik beziehen. Eine Kampfes-Frontstellung gegen die faschistische Reaktion und ihr Volksbegehren einerseits und gegen die Preußenregierung der Braun und Severing andererseits. Auf dieser Linie müssen wir die Initiative in unsere Hand nehmen und uns an die Spitze einer wuchtigen Volksbewegung stellen. Eine solche Volksbewegung gegen Faschismus und Preußenregierung wird zugleich für die gesamte Praxis unserer Parteiarbeit der rote Faden sein, auf den wir uns in allen Fragen und auf allen Gebieten zu orientieren haben. Gewissermaßen der Gesamtplan für unsere revolutionäre Arbeit. Damit finden wir auch praktisch das konkrete Kettenglied, um entsprechend unserer heutigen Resolution unsere revolutionären Aufgaben erfüllen und die Entwicklung vorantreiben zu können. Wir stellen in der Resolution die Losung "Volksrevolution" als strategische Hauptlosung. Wenn wir eine solche strategische Orientierung haben, brauchen wir auch in der Praxis bestimmte konkrete Aktionen, die dieser strategischen Orientierung entsprechen, die uns vorwärts bringen in der Entwicklung, so daß wir uns dem Punkt nähern, wo die strategische Hauptlosung zur Aktionsaufgabe werden kann. Das ist die Beziehung, in die wir diese Volksbewegung gegen Faschismus und Preußenregierung, unsere Antwort auf das Volksbegehren der Reaktion, zu unseren großen strategischen Aufgaben bringen müssen.

Wenn man völlige Klarheit darüber hat, daß die Losung der Volksrevolution heute keineswegs schon eine Aktionslosung sein kann, so muß man einigen Auffassungen entgegentreten, wie sie der Genosse Kr. in der Diskussion geäußert hat. Ich habe mich schon im Referat mit dem Artikel des Genossen Sepp in der "Internationale" auseinandergesetzt. Eine gewisse gleichmäßige Behandlung mit diesem Artikel ist auch in den gestrigen Ausführungen des Genossen Kr. festzustellen. Es heißt dort nach dem Protokoll:

In diesem Zusammenhang stellen wir die Frage der Volksrevolution, der Herstellung eines Bündnisses mit allen Werktätigen und ausgebeuteten Schichten mit der Frage der neuen Kampfesformen und Kampfesorganisationen, die der gesteigerten revolutionären Bewegung entsprechen [...] Ich glaube, daß in diesem Zusammenhang die Frage der Delegiertenbewegung nicht genügend scharf gestellt ist. Die Delegiertenkonferenz wird hier gestellt im Zusammenhang neuer Formen der proletarischen Einheitsfront, dort, wo die Frage gestellt ist der Förderung der Zersetzung der SPD. Meiner Meinung nach sollte die Frage gestellt werden bei den Hauptaufgaben der Partei, wo die Rede ist von der Volksrevolution und der Steigerung der Massenstreikbewegung. Ich denke, daß die politische Delegiertenbewegung die Bedeutung haben sollte, die Einzelaktionen aller Schichten unter Führung des Proletariats zum revolutionären Massenkampf gegen die faschistische Diktatur zusammenzufassen.

Genossen, hier ist eine falsche Fragestellung vorhanden und wir müssen versuchen, völlige Klarheit zu schaffen. In der Resolution haben wir eine absolut genaue und klare Formulierung, und man kann vielleicht sagen, daß der Genosse Kr. die politische Linie der Resolution um einige Grade verschieben will. Es ist sicherlich erlaubt, in solchen Fragen einen entgegengesetzten Standpunkt zu-äußern. Denn wenn das nicht zulässig wäre, würde es bedeuten, daß wir das ganze theoretische Niveau der Partei ersticken würden. Hier muß ein gewisser Spielraum für die Diskussion vorhanden sein. Aber andererseits ist es notwendig, die richtige Linie gegen Entstellungen zu sichern. Aus den Ausführungen des Genossen Kr. geht hervor, daß die antifaschistischen Delegiertenkonferenzen schon als allgemeine politische Delegiertenkonferenzen den Charakter von Organen der Volksrevolution annehmen sollen. Das entspricht nicht unserer Auffassung. Warum nicht?

1. Was sind die Organe der Volksrevolution? Es sind die Sowjets ‑ und in dieser Frage kann es keine Verwässerung geben.

2. Wir haben heute noch nicht die ausgereifte revolutionäre Krise, in der die Voraussetzungen bestehen, um Sowjets oder auch nur Teile von Sowjets als Organe der Volksrevolution zu schaffen.

3. Wenn man heute trotzdem solche Organe schaffen will, so bedeutet das eine Diskreditierung dieser Organe. Haben wir das nicht in der revolutionären Geschichte schon erlebt? Absolut! Ich will nur an die Betriebsräte erinnern, die 1923‑24 an die Stelle der Sowjets treten sollten, oder an die sogenannten A.‑ u. S.-Räte im ersten Revolutionsjahr, die auch nur die wirklichen Sowjets diskreditierten.

4. Brauchen wir bereits neue Organe oder reichen die vorhandenen Kampforgane noch aus? Wir haben die Betriebszellen der Partei, den revolutionären Vertrauensleutekörper, die Betriebsgruppen der RGO und die Betriebswehren des Kampfes gegen den Faschismus. Wir haben die anderen zeitweiligen Organe verschiedener Art. Davon sind die zugespitzteren Formen der Entwicklung die vorbereitenden Kampfausschüsse und die Streikleitungen. Für besondere Aufgaben der Verstärkung des antifaschistischen Massenkampfes die antifaschistischen Delegiertenkonferenzen und die dort gewählten Aktionsausschüsse. Dazu ist zu sagen, daß gerade die wichtigsten organisatorischen Formen, wie die Betriebswehren und vor allem der revolutionäre Vertrauensleutekörper, einstweilen noch keineswegs genügend in der Praxis ausgebaut wurden. Man kann aber nicht davon sprechen, daß bestimmte Organisationsformen schon überholt sind, solange wir sie noch gar nicht annähernd ausgeschöpft und angewandt haben. Haben wir genügend aktive Betriebswehren, Erwerbslosen- und Jugendstaffeln? Sind sie wirklich Kampf- und Massenorgane? Ist der Kampfbund gegen den Faschismus heute schon als Massenorganisation mit seinen 100 000 Mitgliedern bis zum Höchstmaß entwickelt? Es ist klar, daß das alles noch nicht zutrifft. Wir haben noch eine große Arbeit vor uns. Und wie steht es mit dem revolutionären Vertrauensleutekörper in den Betrieben? Genossen, wir alle, das gesamte Zentralkomitee, müssen das Geständnis ablegen, daß wir hier seit dem Weddinger Parteitag eine schwere Vernachlässigung eines der wichtigsten Beschlüsse des Parteitages begangen haben. Heute sind die revolutionären Vertrauensleute zum Teil gleichzeitig die Funktionäre der RGO im Betrieb. Das ist unmöglich. Die revolutionären Vertrauensleute sollen Organe des politischen Kampfes der Betriebszelle sein, die über den Rahmen der Betriebszelle hinaus den ganzen Betrieb zusammenschweißen und beeinflussen. Auch hierin müssen wir von diesem Zentralkomitee aus eine entschlossene Wendung durchführen.

Selbstverständlich verfallen wir nicht in das entgegengesetzte Extrem. Wenn wir einerseits die Verschärfung der Krise sehen und die Frage stellen, daß bereits Tendenzen der revolutionären Krise entstehen, so ist es andererseits klar, daß mit einer Verschärfung der Situation mit der Durchführung von großen politischen Massenstreiks auch neue Kampforgane entstehen können, deren Charakter weitergehend sein wird als die heutigen Organe des revolutionären Klassenkampfes.

Nun zu der Frage unseres Funktionärkörpers im Betrieb. Genosse M. stellte die Behauptung auf, die revolutionären Vertrauensleute seien die Grundlage der RGO in den Betrieben. Das ist unrichtig. Wir müssen uns darüber klar sein, daß wir neben der Parteizelle zwei Hauptfunktionärkörper im Betrieb haben.

Das eine ist das politische Zentrum zur Durchführung unserer Politik, die Parteizelle und über die Zelle hinaus der revolutionäre Vertrauensleutekörper. Auf der anderen Seite brauchen wir einen Funktionärkörper der Revolutionären Gewerkschaftsopposition. Leider ist es in den Betrieben noch nicht so, daß die RGO sich einen eigenen Funktionärkörper aufgebaut hat, sondern wir haben solche falschen Erscheinungen, daß einfach die in den Betrieben vorhandenen revolutionären Vertrauensleute der Partei nun plötzlich zu Vertrauensleuten der RGO, zu ihren Betriebsfunktionären gemacht werden sollten. Das ist selbstverständlich unzulässig. Zwischen dem Funktionärkörper der RGO im Betrieb und dem revolutionären Vertrauensleutekörper besteht ein ähnlicher Unterschied wie zwischen dem Reichskomitee der RGO und dem Zentralkomitee der Partei. Jede andere Regelung würde eine Abschwächung der Rolle unserer Betriebszellen in den Betrieben bedeuten. Als Ergänzung und Steigerung ihrer Einflußmöglichkeiten auf die Belegschaft sind ja gerade die revolutionären Vertrauensleute vorgesehen. Aus allen diesen Gründen ist eine völlige Klarheit über diese organisatorischen Probleme der Partei eine absolute Notwendigkeit.

Nun einige Worte zur RGO und zur Frage des Entstehens von parallelen roten Gewerkschaften. Ich habe im Referat bereits auf das wichtigste Zitat aus der Rede des Genossen Stalin in der Dezembersitzung des Präsidiums des EKKI 1928 hingewiesen. Das Entscheidende in diesem Zitat war der Gedanke, daß in Deutschland auch eine Entwicklung kommen kann, wo revolutionäre Gewerkschaften entstehen wie in Amerika. Heute haben wir diese Situation. Und wir müssen sagen, daß diese weitschauende Perspektive für uns nicht nur eine außerordentliche politische Befriedigung, sondern auch eine große praktische Bedeutung hat. In der Diskussion wurde die Frage aufgerollt, ob rote Verbände nur im Zusammenhang mit Wirtschaftskämpfen entstehen können, oder ob man sie auch ohne einen solchen besonderen Anlaß schaffen kann? Ich möchte dazu sagen, daß es sicherlich keine festen Regeln gibt, daß im Zusammenhang mit den Wirtschaftskämpfen, bei denen sich die reformistische Bürokratie als Organisation des Streikbruchs entlarvt, die Massen besonders stark zur Schaffung roter Gewerkschaften drängen, daß aber für uns durchaus auch andere Situationen denkbar sind, in denen die einzige Antwort auf die Spalterpolitik der Reformisten die Schaffung roter Verbände ist. Unser Kurs muß abhängig gemacht werden vom Stande der Massenmobilisierung. Deshalb hängt ein fester Kurs, entsprechend der Linie des V. RGI-Kongresses, aufs engste zusammen mit einer Verstärkung unserer Arbeit auch an der innergewerkschaftlichen Front der reformistischen Verbände.

Aber auch abgesehen von der Frage der roten Verbände müssen wir die Formulierung unserer heutigen Resolution in die Tat umsetzen, die besagt, daß die Stärkung und der Ausbau der RGO die zentrale Tagesaufgabe der Partei darstellt. Die Bescheidenheit eines Genossen, der in der Diskussion die Verdoppelung der Mitgliederzahl der RGO verlangte, grenzt an alles. Das ZK muß sich statt dessen die Aufgabe stellen, das Drei- und Vierfache an Mitgliederzahlen der RGO unter aktiver Unterstützung der Partei und der Jugend zu erzielen!

Und nun zum Schluß: Von dieser Tagung des Zentralkomitees muß eine große innere und äußere politische Belebung unserer Arbeit ausgehen. Die großen historischen Aufgaben, die vor uns stehen, zwingen uns, von dieser Tagung des ZK aus in der Gesamtpartei und unter den proletarischen Massen die Grundfragen und Aufgaben der Arbeiterklasse viel schärfer und klarer aufzurollen als bisher und die Generallinie der Partei überall durchzusetzen. An einer Stelle unserer Resolution heißt es, daß wir den Arbeitern den revolutionären Ausweg aus der Krise zeigen müssen. Der revolutionäre Ausweg - das ist der Sieg der proletarischen Revolution. Wenn wir für diesen Sieg kämpfen, wenn wir die große historische Aufgabe, die wir auf dieser Tagung behandelt haben, lösen wollen durch unsere Kraft, durch unseren Massenkampf die revolutionäre Situation zu organisieren, dann müssen wir die notwendigen politischen und organisatorischen Voraussetzungen dafür schaffen. So allein werden wir jene geschichtliche Phase erreichen, in der unsere Kraft stark genug ist und die Positionen unserer Klassenfeinde so erschüttert, daß wir von den Teilforderungen und Teilaktionen übergehen können zum Kampf um den revolutionären Ausweg aus der Krise, zum Kampf für den Sieg der deutschen proletarischen Revolution!

 

 

 

 

 



[1]. Cf. http://www.deutsche-kommunisten.de/Ernst_Thaelmann/Band3/thaelmann-band3-008.shtml.

[2]. Richtig: im Sommer. Das 10. Plenum des EKKI wurde vom 13. bis 19. Juli 1929 abgehalten.

[3]. Richtig: Juliplenum. Gemeint ist das Plenum des Zentralkomitees der KPD vom 16.‑17. Juli 1930.

[4]. Cf. E. Thälmann: Reden und Aufsätze - Band 1, Köln, Verlag Rote Fahne, 1975. Dort heißt es: "Ausdruck".

[5]. Am 14. September 1930 fanden Reichstagswahlen statt, bei denen die NSDAP einen beträchtlichen Zuwachs an Abgeordneten verzeichnete. Von insgesamt 577 Abgeordneten stellt die SPD 143, die NSDAP 107, die KPD 77, die großen Rechtsparteien (Zentrum, DNVP, DVP) 139.

[6]. Im Oktober 1930 wurde eine Streikbewegung im Metallbereich in Berlin durchgeführt. Sie endete mit einem von der Regierung durchgesetzten Schiedsspruch.

[7]. Am 2. Januar 1930 begann im Ruhrgebiet der Arbeitskampf, der sich gegen die von den Unternehmern angedrohte Kündigung der Belegschaften aller Schachtanlagen zur Durchsetzung einer generellen Lohnkürzung richtete. Am ersten Streiktag nahmen 33 Schachtanlagen mit 45 000 Bergarbeitern den Kampf auf, am nächsten Tag kamen noch 10 Zechen mit 15 000 Mann Belegschaft hinzu. Von 300 000 Bergarbeitern des Ruhrgebiets nahm also nur ein Fünftel am Streik teil. Er wurde von der Revolutionären Gewerkschafts-Organisation (RGO) geführt, während die reformistischen und christlichen Gewerkschaftsführer den Streik ablehnten und sich mit der Lohnkürzung abzufinden bereit waren. Am 9. Januar erließ die Brüning-Regierung eine Notverordnung zur Änderung der Schlichtungsordnung. Zur gleichen Zeit fällte das diktatorisch eingesetzte Schiedsgericht einen Spruch, der den Bergarbeitern des Ruhrgebiets einen Lohnraub von über 6 Prozent brachte. Die zentrale Streikleitung im Ruhrgebiet empfahl daher den Belegschaften, die noch im Streik standen, den Kampf abzubrechen und die Arbeit wieder aufzunehmen unter der Bedingung, daß keine Maßregelung erfolgte.

[8]Als am 2. Januar 1930 der Arbeitskampf im Ruhrgebiet begann, lag im oberschlesischen Bergbau ein unmittelbarer Angriff der Unternehmer nicht vor, da hier bereits ein tarifloser Zustand herrschte. Es wurden deshalb zwar auf allen oberschlesischen Schachtanlagen Streikvorbereitungen getroffen, der Beginn des Kampfes sollte aber vom Verlauf des Streiks im Ruhrgebiet abhängig gemacht werden. Die oberschlesischen Bergarbeiter sollten nur in den Kampf eingreifen, wenn es die Situation im Ruhrgebiet erforderlich machte, d. h., wenn sich davon starke Impulse für die Intensivierung des Kampfes der Ruhrbergarbeiter erwarten ließen. Diese Situation schien am 5. Januar gegeben. An diesem Tag wurde auf einer Schachtdelegiertenkonferenz die Frage des Streikbeginns gestellt. Am gleichen Abend gab ich den versammelten Delegierten nach einem Telefongespräch mit dem Zentralkomitee der Partei die Losung für den Streikbeginn. Daraufhin traten am anderen Morgen 4 Zechenbelegschaften in den Streik, denen sich mittags die Arbeiter von 6 Schachtanlagen anschlossen. Nach dem den Ruhrbergarbeitern aufgezwungenen Schiedsspruch begannen auch die oberschlesischen Bergarbeiter am 9. Januar wieder zu arbeiten. (Quelle: Fritz Selbmann: Alternative, Bilanz, Credo - Versuch einer Selbstdarstellung. Halle an der Saale, Mitteldeutscher Verlag, 1969. S. 193‑194.)

[9]. Im März 1930 verließen die Sozialdemokraten den Danziger Senat, was Ende des Jahres zu vorgezogenen Neuwahlen führte, bei denen die extremen Parteien ähnlich wie kurz zuvor in der Weimarer Republik große Zugewinne erzielten. Da zwischenzeitlich die Verfassung geändert worden war und alle hauptamtlichen Senatoren sowie der Senatspräsident nun vor dem ‑ auf 72 Sitze verkleinerten ‑ Volkstag verantwortlich waren, war abzusehen, daß der parteilose Sahm keine Aussicht auf eine Verlängerung seiner Präsidentschaft haben würde. Er trat zurück, und am 8. Januar 1931 übernahm der deutschnationale Politiker Ernst Ziehm das Amt des Senatspräsidenten. Er bildete eine von den Nationalsozialisten tolerierte Regierung aus DNVP, Liberalen und Zentrum, die Entscheidungen ‑ wie teils schon ihre Vorgänger ‑ mit Hilfe von Ermächtigungsgesetzen weitgehend unter Ausschluß des Volkstags fällte.

[10]. Cf. Joseph Stalin, "Zu Fragen der Agrarpolitik in der UdSSR" (Rede auf der Konferenz marxistischer Agrarwissenschaftler, 27. Dezember 1929). In: Werke, Band 12, Berlin, Dietz, 1954. S. 125‑152 (hier S. 150‑151). Das hier wiedergegebene Zitat enthält geringfügige Übersetzungsunterschiede.

[11]. Cf. E. Thälmann: Reden und Aufsätze... Dort heißt es: "Noch".

[12]. Cf. E. Thälmann: Reden und Aufsätze... Dort ist ergänzt: ""Young[-PlanJ-Krise".

[13]. Die Londoner Zeitschrift "Foreign Affairs".

[14]. Cf. E. Thälmann: Reden und Aufsätze... Dort heißt es: "Dezember".

[15]. John Maynard Keynes: Die große Krise des Jahres 1930. In: Wirtschaftsdienst. Weltwirtschaftliche Nachrichten, XV. Jg., H. 51, 19. Dezember 1930, S. 2165.

[16]. Es handelt sich um das vereinigte Plenum des Zentralkomitees und der Zentralen Kontrollkommission der KPdSU(B) vom 17. bis 21. Dezember 1930.

[17]Ernst Thälmann stützte sich bei den folgenden Angaben vor allem auf W. Kuibyschew: Die Ergebnisse der ersten zwei Jahre des Fünfjahrplans. In: Internationale Presse-Korrespondenz, 1930, Nr. 107, S. 2627/2628.

[18]. Cf. E. Thälmann: Reden und Aufsätze... Dort heißt es: "Proletarier".

[19]. Russische Abkürzung für die von der KPR(B) und der Sowjetregierung nach Beendigung des Bürgerkrieges eingeleitete Neue ökonomische Politik.

[20]. W. I. Lenin: Rede auf dem I. Kongreß der Volkswirtschaftsräte, 26. Mai 1918. In: Werke, Band 27, Berlin 1970, S. 406.

[21]. Vgl. J. W. Stalin: Schlußwort zum Politischen Rechenschaftsbericht an den XVI. Parteitag der KPdSU(B). In: Werke, Band 13, Berlin 1955, S. 5.

[22]. Auszug aus einer Betrachtung, die "Le Temps" (Paris) am 1. Januar 1931 veröffentlichte. Zit. in: Die Rote Fahne (Berlin), 11. Januar 1931.

[23]. Eine Goldklausel eines Vertrages besagt, daß spätere Zahlungen, hier also die Jahresraten, auf der Grundlage des Goldwertes zu berechnen sind. Sie soll die Folgen von Währungsschwankungen beseitigen. Dem Young-Plan zufolge hatte das Deutsche Reich die Reparationen in fremden Währungen zu zahlen.

[24]. Das heißt von den christlichen Gewerkschaften.

[25]. Neue Leipziger Zeitung, 22. Mai 1920.

[26]. Cf. E. Thälmann: Reden und Aufsätze... Dort heißt es: "über".

[27]. Fritz Naphtali: Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit. Nach einem Vortrag, gehalten in der Freien Sozialistischen Hochschule in Berlin am 8. November 1930, Berlin 1930, S. 23.

[28]. Lloyd George über den Fünfjahrplan. In: Die Rote Fahne (Berlin), 25. Dezember 1930. — David Lloyd George: Der Moskauer Hochverrats-Prozeß. In: Der rote Aufbau, 1931, Heft 4, S. 214 und 216.

[29]. Die internationale Lage und die nächsten Aufgaben der Kommunistischen Internationale. In: Protokoll. X. Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale, Moskau, 3. Juli 1929 bis 19. Juli 1929, Hamburg-Berlin o. J., S. 895.

[30]. Die nächsten und höheren Aufgaben der KPD. In: Die Rote Fahne (Berlin), 21. Januar 1931.

[31]. Cf. E. Thälmann: Reden und Aufsätze... Dort heißt es: "ungleichmäßigen".

[32]. W. I. Lenin: "Der “linke Radikalismus”, die Kinderkrankheit im Kommunismus". In: Werke, Band 31, Berlin 1974, S. 71.

[33]. W. I. Lenin: Der Zusammenbruch der II. Internationale. In: Werke, Band 21, Berlin 1974, S. 206.

[34]. Ebenda, S. 207.

[35]. Lappo-Faschismus ‑ Faschistische Bewegung in Finnland. Im November 1929 im ostbottnischen Dorf Lapua waren Bauern über eine Versammlung von Jungkommunisten hergefallen, um sie mit Schlägen aus dem Dorf zu vertreiben. Eine kleine und bis dahin weithin unbekannte Organisation, die sich "Türschloß Finnlands" nannte, übernahm in programmatischer Absicht den Namen dieser finnischen Ortschaft. Tatsächlich verfolgte die von Vihturi Kosola angeführte "Lapua-Bewegung" (nach dem schwedischen Namen des Ortes auch "Lappo-Bewegung" genannt) von Anfang an eine extrem antikommunistische Zielsetzung, die nationalistisch und religiös zugleich fundiert war. Sie sah den Kommunismus nicht nur als eine innenpolitische Bedrohung, sondern darüber hinaus als Gefahr für die nationale und religiöse Integrität des finnischen Volkes. Sie wurde von der (lutherischen) Kirche sowie von den konservativen und bäuerlichen Parteien unterstützt. Auf Drängen der Lapua-Bewegung fand sich die Regierung 1930 bereit, dem Parlament ein Staatsschutzgesetz vorzulegen, das die Auflösung und das Verbot aller kommunistischen Gruppierungen im Lande vorsah. Nachdem die rechten Parteien bei den Neuwahlen große Erfolge erzielt hatten, fand diese antikommunistische Gesetzgebung die verfassungsrechtlich notwendige Zweidrittelmehrheit. Nur die Sozialdemokraten stimmten dagegen.

[36]. Ludwig Kaas.

[37]. Marx an Ludwig Kugelmann in Hannover. London, 12. April 1871. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Band 33, Berlin 1976, S. 205.

[38]. W. I. Lenin: Staat und Revolution. In: Werke, Band 25, Berlin 1974, S. 428/429.

[39]. W. I. Lenin: Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution. In: Werke, Band 9, Berlin 1973, S. 101/102.

[40]. Ebenda, S. 90.

[41]. Über die Losungen, die Methoden und Organisationsformen unseres Kampfes gegen die faschistische Diktatur. In: Die Internationale, 1930, Heft 23/24, S. 713.

[42]. Ende Oktober 1923 wurde der Hamburger Aufstand niedergeworfen, und die Arbeiterregierungen in Sachsen und Thüringen wurden um dieselbe Zeit und Anfang November gewaltsam beseitigt. So brachte der deutsche Imperialismus im Herbst 1923 unter Einsatz der Reichswehr und Übertragung der vollziehenden Gewalt an den Chef der Heeresleitung der deutschen Arbeiterklasse eine Niederlage bei, die es ihm ermöglichte, seine Herrschaft durchgreifend zu stabilisieren.

[43]. Gemeint ist der 12. Parteitag der KPD, der vom 8.‑15. Juni 1929 in Berlin-Wedding stattfand.

[44]. Ruth-Fischer-Zeit ‑ gemeint ist die Phase zwischen dem 9. Parteitag der KPD im April 1924 und dem 10. Parteitag im Juli 1925. Damals übten ultralinke Kräfte um Ruth Fischer in der Parteiführung den maßgebenden Einfluß aus.

[45]. Der "Offene Brief des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale an alle Organisationen und Mitglieder der KPD", faßte die Ergebnisse einer Beratung des Exekutivkomitees mit Vertretern der KPD im August 1925 zusammen.

[46]. Gemeint ist der 11. Parteitag der KPD, der vom 2.‑7. März 1927 in Essen abgehalten wurde.

[47]. Cf. E. Thälmann: Reden und Aufsätze... Dort heißt es: "das Unverständnis für die Methoden zur Gewinnung".

[48]. Gemeint ist die Tagung des ZK der KPD am 20. und 21. März 1930.

[49]. Karl Kautsky, Der Bolschewismus in der Sackgasse, Berlin, J. H. W. Dietz Nachf., 1930.

[50]. Karl Kautsky: "Sozialdemokratie und Bolschewismus". In: Die Gesellschaft, Berlin, J. H. W. Dietz Nachf., 8. Jahrgang 1931, Heft 1, S. 54‑71 (hier S.‑61).

[51]. Die Nazis.

[52]. Der 1. Reichskongreß der werktätigen Frauen fand am 20. Oktober 1929 statt.

[53]. Cf. E. Thälmann: Reden und Aufsätze... Dort heißt es: "Das hätte in den meisten Fällen vermieden werden können."

[54]. Erich Maria Remarque, deutscher Schriftsteller. 1929 erschien sein Roman "Im Westen nichts Neues", der 1930 in den USA unter der Regie von Lewis Milestone verfilmt wurde ("All Quiet on the Western Front"). Deutsche Erstaufführung: Berlin, 4. Dezember 1930.

Vor allem von Seiten der Rechten, nicht nur der Nationalsozialisten, sondern auch der völkisch und monarchistisch Gesinnten, kam es zu massiven Protesten gegen den Film. Auf Befehl des damaligen "Gauleiters" von Berlin Joseph Goebbels wurden die Filmvorführungen mit Stinkbomben und weißen Mäusen gestört, Filmbesucher vor dem Kino am Nollendorfplatz angepöbelt. Es kam zu Demonstrationen, an denen ca. 6000 Nationalsozialisten teilnahmen und Goebbels Hetzreden gegen den Film hielt. Obwohl der Film eine Aufführgenehmigung am 21. November 1930 erhalten hatte, wurde er bereits am 11. Dezember  wieder verboten. In der Begründung hieß es, der Film gefährde das deutsche Ansehen und die öffentliche Ordnung und er habe eine entsittlichende und verrohende Wirkung.

[55]. Im Dezember 1920 war die Volksabstimmung über Schlesien eingeleitet worden, die dann im März 1921 stattgefunden hatte. Zum zehnten Jahrestag unternahm Brüning eine Reise nach Schlesien, um aus diesem Anlaß in der Öffentlichkeit aufzutreten.

[56]. Cf. E. Thälmann: Reden und Aufsätze... Dort heißt es: "Funktionärkörpers".

[57]. Es handelt sich um das vereinigte Plenum des Zentralkomitees und der Zentralen Kontrollkommission der KPdSU(B) vom 17. bis 21. Dezember 1930.

[58]. Carl Bosch.

[59]. Albert Vogler.