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Ernst Thälmann

10. Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale:
Die Wirtschaftskämpfe, unsere Taktik
und die Aufgaben der kommunistischen Parteien

15. Juli 1929

 

 

Quelle:

Protokoll, 10. Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale, Moskau, 3. bis 19. Juli 1929. S. 634‑680.

Andere Quelle:

Ernst Thälmann: Reden und Aufsätze zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung - Band 2 - November 1928‑September 1930. Berlin, Dietz, 1956[1].

 

 

 

 

 

 

Erstellt: Januar 2013

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KPD 1918-1945 - Inhalt

 

 

 

 

 

 

Genossen! Wenn wir auf dem X. Plenum über die Wirtschaftskämpfe und die Aufgaben der Parteien sprechen, so wird es in beiden Referaten, sowohl in dem Referat des Genossen Losowski wie auch in meinem, unmöglich sein, den großen Fragenkomplex, das gewaltige Aufgabengebiet, auch nur im entferntesten so zu behandeln, wie das notwendig wäre. Meine Aufgabe ist es, über die gewerkschaftspolitische Arbeit und die neuen Methoden unserer Taktik zu sprechen, wobei ich eine Reihe von Fragen - wie die Gewerkschaftsbewegung in Ländern mit gespaltenen Gewerkschaften, in den Ländern des Faschismus, in den Kolonien und Halbkolonien -, die engeren Fragen der RGI, nicht behandeln werde. Diese Fragen sowie die Schwächen, Mängel und Fehler wird Genosse Losowski noch besonders behandeln. Es versteht sich von selbst, daß ich die Beschlüsse des IV. RGI-Kongresses, die Beschlüsse des VI. Weltkongresses, verschiedene konkrete Richtlinien der einzelnen Parteien in der Anwendung der Taktik hier nicht zu wiederholen oder auch im spezifischen Teil zu erörtern brauche. Ich will mich in meinem Referat auf folgende Fragen konzentrieren:

I. Die Wendung in der allgemeinen Lage und die dadurch hervorgerufene Veränderung im Klassenkampf.

II. Die Faschisierung der Gewerkschaften, ihr Verwachsen mit dem Staatsapparat und mit dem Finanzkapital.

III. Die neue Taktik unserer Parteien und die selbständige Führung der Wirtschaftskämpfe.

IV. Ökonomische Streiks und politische Massenkämpfe in Verbindung mit dem revolutionären Vertrauensmännersystem.

V. Der Kampf gegen die Rechtsabweichungen und die wichtigsten internationalen Aufgaben der kommunistischen Parteien.

1. Die Wendung in der allgemeinen Lage und die dadurch hervorgerufene Veränderung im Klassenkampf

Der Charakter und die Bedeutung der Kämpfe in der gegenwärtigen Periode

Bei der ersten Frage müssen wir von der politischen Orientierung der Beschlüsse des VI. Weltkongresses ausgehen. Wir müssen feststellen, daß wir bei der Durchführung der Beschlüsse in den Parteien trotz großer Fehler und Mängel große Erfolge zu verzeichnen hatten. Überall dort, wo wir unsere Taktik energisch durchführen, können wir wirklich große Erfolge verzeichnen. Dort, wo die Partei zögerte, wo sie nicht schnell genug in die Situation eingriff und die neue Taktik anwandte, war das Ergebnis zum großen Teil ungenügend. Das Wichtigste in der Gesamtsituation, das wir feststellen müssen, ist die steigende Aktivität der Arbeiterklasse in der ganzen Welt. Neue Organisationen und Formen des Klassenkampfes wurden aus der schöpferischen Kraft der Massen geboren. Wir sehen, daß das Vertrauen nicht nur zur Kommunistischen Internationale, sondern auch zur Roten Gewerkschaftsinternationale gewachsen ist. Das gilt nicht nur für die kapitalistischen Länder, sondern insbesondere auch für die kolonialen und halbkolonialen Länder, wo in den letzten Jahren national-revolutionäre Kämpfe ausbrachen. Während noch in der zweiten Periode die große chinesische Revolution ohne genügende Unterstützung der Arbeiterklasse der übrigen kapitalistischen Länder vor sich ging, wird sich in der dritten Periode der neue Aufschwung der kolonialen revolutionären Bewegung vollziehen, bei gleichzeitigem Aufschwung und mit revolutionärer Unterstützung des Proletariats in den verschiedenen Ländern Europas und Amerikas. Das wird zweifelsohne auf den weiteren Gang der chinesischen und der indischen Revolution einen gewaltigen Einfluß ausüben.

Die Rechten und Versöhnler in der Komintern legen das Schwergewicht darauf, daß die Offensive des Unternehmertums das Wichtigste in der jetzigen Entwicklung sei. Zweifelsohne ist auch jetzt eine starke Offensive des Unternehmertums im Gange, sie nimmt immer schärfere Formen an. Wir können konstatieren, daß sie ein größeres Ausmaß erreicht als in der zweiten Periode.

Aber das Neue in der gegenwärtigen Situation ist nicht die Kapitalsoffensive, sondern die Art und Weise, wie das Proletariat auf diese Offensive antwortet. Nehmen wir Deutschland seit dem Jahre 1924. Während der ersten Rationalisierungswelle führte die Bourgeoisie verschiedene Methoden der kapitalistischen Rationalisierung auf dem sozialen und technischen Gebiete durch. Der Raub des Achtstundentages, die ungeheure Verschlechterung der Lebensbedingungen und die ungeheure Steigerung des Ausbeutungsgrades der Arbeiter usw. ist uns allen bekannt. Trotz dieser Entwicklung ist die große technische Umwälzung im Produktionsprozeß mit allen ihren ungeheuren sozialen Ausbeutungsmethoden der Arbeiter vom Jahre 1924 bis zum Jahre 1928 von keinen Massen umfassenden Wirtschaftskämpfen erfüllt gewesen. Die kleinen Kämpfe, die ausbrachen, trugen auf seiten des Proletariats in den meisten Fällen einen defensiven Charakter. Die Massen begegneten der Offensive des Kapitals nicht mit der Gegenoffensive zur Bekämpfung der kapitalistischen Rationalisierung.

Im Jahre 1928 sahen wir dagegen nicht nur in Deutschland, sondern auch in verschiedenen anderen Ländern den revolutionären Umschwung. So zum Beispiel die große Ruhraussperrung in der Stahlindustrie in Deutschland, wo Hunderttausende von Arbeitern das erste Mal seit Jahren gegen die Aussperrungsmethoden des Unternehmertums den Kampf aktiv aufnahmen, und, was das Wichtigste ist, das erste Mal die Schranken des Gewerkschaftslegalismus durchbrachen. Wir sahen ferner große Kämpfe in einer Reihe von Ländern wie Frankreich, Polen, der Tschechoslowakei, Skandinavien, in den Balkanländern, ferner in den Vereinigten Staaten und in Indien. Wir sehen jetzt sogar einige Teilstreiks in England und außerdem einen großen Aufschwung und eine neue Welle von Streiks in China. Diese wenigen Tatsachen kennzeichnen bereits den Übergang der Arbeiterschaft von der Defensive zum Gegenangriff und zur Offensive gegen das Unternehmertum.

Aber diesen stürmischen Charakter der Entwicklung im allgemeinen, wie er auch schon in dem ersten Punkt der Tagesordnung in den Referaten und von verschiedenen Diskussionsrednern gezeigt wurde, sehen wir nicht nur im Kampfe um ökonomische Teilforderungen, sondern sie sind auch der Ausdruck des politischen Zusammenstoßes der Arbeiterklasse mit der Bourgeoisie, der Staatsgewalt und dem Reformismus. Die revolutionären Ereignisse in Bombay, der heroische Textilarbeiterstreik in Lodz, die letzten Maiereignisse in Berlin sind Kennzeichen für diesen neuen revolutionären Aufschwung der Arbeiterklasse.

Die zwei Weltfronten

Wir müssen diesen Kampf auch vom Standpunkt der imperialistischen Kriegsgefahr aus sehen. Wir müssen klar erkennen, daß diese Kämpfe eine immer größere Bedeutung bekommen für die Stärkung der antiimperialistischen Front im Kampfe gegen die sowjetfeindlichen Kriegsvorbereitungen der Weltbourgeoisie. Wir können in diesem Kampfe auf beiden Seiten der Klassenfront eine zunehmende Erbitterung der Kämpfenden feststellen. Die Trustbourgeoisie stößt in den verschiedenen Ländern mit immer größerer Energie und Brutalität gegen das Proletariat vor. Sie unternimmt einerseits alle Maßnahmen, um ihre Druckmittel gegen das revolutionäre Proletariat außerordentlich zu verschärfen, und andererseits, um alle Widerstände und Hindernisse rücksichtslos zu brechen. Die Bourgeoisie stößt deshalb so aggressiv vor, weil sie versuchen muß, die Widerstandskraft des Proletariats zu brechen, damit sie sich beim Ausbruch des Weltkrieges einem nicht so starken “inneren Feind” gegenübergestellt sieht. Genossen! Auf der anderen Seite sehen wir, daß die Arbeiterschaft zum Gegenangriff übergeht. Wir können sagen, daß vom revolutionären Gesichtspunkt aus die jetzigen Wirtschaftskämpfe die Vorgefechte des großen Entscheidungskampfes sind. Die Streikstrategie und die selbständige Streikführung, die wir jetzt durchführen, sind in ihrer Gesamtheit eine bedeutende Antikriegsarbeit für die Zukunft. Sie bedeuten, daß wir bereits in dieser Entwicklung der steigenden imperialistischen Kriegsgefahr die Kräfte sammeln und eine revolutionäre Massenmobilisierung gegen den Imperialismus und seine sozialfaschistischen Bundesgenossen durchführen. Wir sehen in der letzten Zeit an verschiedenen Beispielen, daß die reformistischen Gewerkschaften auf die Durchführung von Lohnkämpfen verzichten. Wir kennen die allgemein bekannte Methode der Arbeitsgemeinschaft und des Wirtschaftsfriedens. Nehmen wir die Mondsche Konferenz[2] in England auf der einen Seite, die Gewerkschaftskonferenz in Swansea und Hamburg[3] auf der anderen Seite. Hier sehen wir ganz klar die Tendenz und die Praxis einer durchgehenden Verständigung des Unternehmertums mit den Gewerkschaften auf der Grundlage einer gegen das revolutionäre Proletariat gerichteten Front. Ausgehend von der Theorie des organisierten Kapitalismus und des Wirtschaftsfriedens entwickeln die Amsterdamer Gewerkschaften die Grundlinie ihrer allgemeinen konterrevolutionären Praxis. Aber die Tatsachen der Entwicklung sind härter als die Theorie der Reformisten. Wir sehen, daß trotz der Konferenzen nicht nur von keinem Wirtschaftsfrieden gesprochen werden kann, sondern in den verschiedenen Ländern tagtäglich der schärfste Wirtschaftskrieg geführt wird.

Die zweite Tatsache ist der gewaltige Umwandlungsprozeß in der Arbeiterklasse. Er vollzieht sich in demselben Maße, wie durch die Methoden der kapitalistischen Rationalisierung eine Veränderung der Struktur des Proletariats eintritt. Frauen, Jugendliche, Ungelernte und Gelernte auf der einen Seite, auf der anderen Seite die arbeiteraristokratischen Elemente, die in fast allen Fragen mit den Reformisten und dem Unternehmertum gehen. Was Lenin sagte, daß der Reformismus die Arbeiterklasse spaltet, daß eine von der Bourgeoisiegeschaffene Oberschicht einer aufs äußerste unterdrückten Unterschicht gegenübersteht, das trifft für die gegenwärtige Entwicklung in stärkstem Maße zu.

Bei der Einschätzung des Charakters der Kämpfe und der allgemeinen Lage hat für uns Revolutionäre die Arbeit in den Ländern mit noch “einheitlichen” reformistischen Gewerkschaften und unsere revolutionäre Arbeit in den roten Gewerkschaften eine ungeheuer große Bedeutung. Das ist natürlich nicht nur eine Frage der politischen Erziehung, der revolutionären Mobilisierung der Massen im allgemeinen. Heute ist uns eine weit größere, höhere Aufgabe gestellt. Nehmen wir im Weltmaßstabe die zwei großen Klassenfronten: Auf der einen Seite die großen Weltorganisationen des Proletariats unter Führung der Komintern bei immer stärkerer Festigung der Diktatur des Proletariats in der Sowjetunion, und auf der anderen Seite die Weltfront des Kapitalismus mit Unterstützung des Reformismus, des Sozialfaschismus und des Faschismus.

Natürlich verändern sich diese beiden gewaltigen Weltfronten in der Entwicklung durch die Veränderungen der Klassenkräfte in den einzelnen Ländern. Manchmal verändern sich die Kräfteverhältnisse schnell, manchmal langsam, manchmal komplizierter.

Aber die Tatsache kann nicht bestritten werden, daß sie von den zwei großen Faktoren beeinflußt werden, von der Kommunistischen Internationale und der Roten Gewerkschaftsinternationale auf der einen und der II. Internationale und der Amsterdamer Gewerkschaftsinternationale auf der anderen Seite der Barrikade.

Diese beiden Klassenfronten im Weltmaßstabe sind bereits auf dem politischen und ideologischen Gebiete klar voneinander geschieden, unversöhnlich einander gegenüberstehend. Sie zeigen sich auch in der Gewerkschaftsbewegung in einigen Ländern in der Form der organisatorischen Spaltung, aber sie sind auch dort vorhanden, wo noch sogenannte einheitliche reformistische Gewerkschaften existieren. In den Grundfragen der aktuellen Politik und ihrer prinzipiellen Stellungnahme kämpfen und ringen diese beiden Weltfaktoren um die proletarischen und unterdrückten Massen. Wir sind kühn und optimistisch genug, schon auf dem X. Plenum die Frage des unmittelbaren Kampfes zwischen Kommunismus und Reformismus um die Hegemonie innerhalb des Proletariats in einigen wichtigen kapitalistischen Ländern zu stellen. Die II. Internationale und der Internationale Gewerkschaftsbund kämpfen in den Massen für die Erhaltung, Verteidigung und Unterstützung des kapitalistischen Ausbeutungssystems, des kapitalistischen Staates und seiner imperialistischen Raubpolitik. Sie unterstützen die Kriegsvorbereitungen gegen den proletarischen Staat, gegen die Sowjetunion. Die Kommunistische Internationale und die Rote Gewerkschaftsinternationale kämpfen für die Verteidigung der Sowjetunion, das heißt, sie kämpfen gegen den Imperialismus und Sozialfaschismus, gegen das kapitalistische Raubsystem. Die II. Internationale und der Internationale Gewerkschaftsbund unterstützen und verhimmeln den Völkerbund als ein Friedensinstrument. Wir entlarven diesen frechen Betrug als ein Verbrechen an den Arbeitern der ganzen Welt. Die II. Internationale und die Amsterdamer Gewerkschaftsinternationale unterstützen die blutige Unterdrückungspolitik des Imperialismus gegen die sich im heroischen Kampf befindenden kolonialen Völker. Wir kämpfen um den Sieg der revolutionären Bewegung in den Kolonien, weil die Kommunistische Internationale und die Rote Gewerkschaftsinternationale die Führer aller Unterdrückten der Welt sind, weil wir mit der Niederschlagung des Imperialismus das ganze Ausbeutungssystem des Kapitalismus zerschlagen.

In einer weiteren Grundfrage der aktuellen Politik, in den Fragen des Reparationsproblems, des Youngplans, zeigen sich wieder die zwei Weltfronten in unversöhnlichem und prinzipiellem Gegensatze zueinander. Im Rahmen dieser großen Weltpolitik, in der Ausnützung aller Konflikte und Gegensätze in dieser Periode vollzieht sich der Kampf um die Hegemonie im Weltproletariat zwischen Kommunismus und Reformismus. Dieser große revolutionäre Weltkampf gegen die Weltbourgeoisie, den Faschismus und Sozialfaschismus erfordert, daß alle unsere Parteien die größte Aufmerksamkeit auf die zähe, unermüdliche Arbeit in allen Massenorganisationen und besonders in den Gewerkschaften lenken. Wir haben in letzter Zeit in verschiedenen großen Massenorganisationen, in den Sportorganisationen, in Kulturorganisationen und in anderen wichtigen Organisationen schon bedeutende Erfolge erzielt.

Die Bedeutung der Gewerkschaften für den revolutionären Klassenkampf

Die wichtigste Frage ist für uns die, wie wir unsere schwierigste Arbeit, unsere revolutionäre Arbeit in den Gewerkschaften, steigern. Wir müssen auf dem X. Plenum, wie schon des öfteren, die Frage stellen, welche Rolle die Gewerkschaften für den revolutionären Klassenkampf und welche Rolle sie für die Bourgeoisie, für die Durchführung ihrer Ausbeutungs- und Unterdrückungsmethoden, spielen. Natürlich, die Frage so gestellt, klingt das vielleicht zu schematisch, weil in der Gewerkschaft selbst zwei Fronten sind und die Arbeitermassen von beiden Seiten aus mobilisiert und beeinflußt werden können. Aber in der Grundtendenz ist es zweifellos richtig, daß der Reformismus, der Sozialfaschismus, versucht, mit allen Mitteln die Klassenorganisationen des Proletariats für seine Ziele, für die kapitalistischen Ziele, zu gewinnen. Nehmen wir zum Beispiel den Prozeß der kapitalistischen Rationalisierung. In Deutschland ist die erste Rationalisierungswelle bereits abgeschlossen. In der zweiten Rationalisierungswelle zeigen sich bereits ganz neue Methoden der Ausbeutung. Stellen wir die Frage des Krieges. Die Gewerkschaften können zur Militarisierung ihrer eigenen Mitglieder eingesetzt werden. In dem Moment, wo die Gewerkschaften, wie es jetzt der Fall ist, immer mehr mit dem kapitalistischen Staatsapparat verwachsen, in dem Moment, wo die reformistische Bürokratie den kapitalistischen Staat bedingungslos unterstützt, in dem Moment, wo sich die Methoden des Kampfes gegen den Kommunismus auf allen Gebieten verstärken müssen, in dem Moment ist es, bei. dem Ausbau der Gewerkschaften zu Staatsorganen, wie es die reformistische Bürokratie will, absolut wahrscheinlich, daß sich die Militarisierung der reformistischen Gewerkschaften vollziehen wird. Wir haben bereits verschiedene Äußerungen der Sozialdemokratie zu verzeichnen, die ganz offen über diese Frage spricht. Beim Ausbruch des Krieges bedeutet die Gewerkschaft in den Händen der Bourgeoisie und des Sozialfaschismus die größte Gefahr für das revolutionäre Proletariat. Noch größer ist diese Gefahr für den Fall eines imperialistischen Krieges gegen die Sowjetunion. Aber welche Bedeutung haben die Gewerkschaften für das Proletariat, für die Revolution, wenn es uns gelingt, dort unseren Einfluß zu erweitern: erstens im Kampf gegen die Unternehmeroffensive im allgemeinen; zweitens gegen die soziale, kulturelle und politische Unterdrückung des Proletariats, gegenüber dem kapitalistischen Staat überhaupt und seinen Kriegsvorbereitungen gegen die Sowjetunion und drittens für die allgemeinen Aufgaben der proletarischen Revolution.

Die Stärke der Weltgewerkschaftsbewegung

Es gibt nur annähernde Schätzungen über die zahlenmäßige Stärke der Weltgewerkschaftsbewegung. Die Zahlen, die am 1. Januar 1929 vom Internationalen Gewerkschaftsbund veröffentlicht worden sind, entsprechen natürlich nicht den Tatsachen. Es ist aber sehr interessant, daß in diesen Zahlen des IGB auf gewaltige Erfolge der Roten Gewerkschaftsinternationale hingewiesen wird, die in ihrem prozentualen Wachstum liegen. Trotz der verschiedenen Schwindelmanöver des IGB, trotz des Kampfes gegen die RGI müssen die Reformisten diesen gewaltigen Aufstieg der RGI anerkennen. In der Amsterdamer Gewerkschaftsinternationale sind ungefähr 13 Millionen, in der Roten Gewerkschaftsinternationale sind etwa 15 Millionen Arbeiter organisiert. Bei dieser Statistik muß man in Betracht ziehen, daß unter den 13 Millionen der reformistischen Gewerkschaftsbewegung alle revolutionären und mit uns sympathisierenden Elemente miteingerechnet sind, die sich organisatorisch innerhalb des IGB befinden. Aber die Tatsache, daß überall in den größten kapitalistischen Ländern, mit Ausnahme von Deutschland, die reformistischen Gewerkschaften zurückgegangen sind und in Deutschland die reformistischen Gewerkschaften nur dank einer energischen Werbearbeit durch die revolutionäre Gewerkschaftsopposition und die Kommunisten wachsen ‑ ich werde auf diese Frage später noch zurückkommen ‑, zeigt uns, daß die revolutionäre Gewerkschaftsbewegung in stetigem Wachsen begriffen ist.

In der ganzen Welt sind in den christlichen Verbänden etwa 2,1 Millionen Arbeiter organisiert.

Diese Millionenmassen in der Gewerkschaftsbewegung der ganzen Welt haben für unsere Aufgaben des revolutionären Klassenkampfes eine außerordentlich große Bedeutung. Wir sollen dabei nicht die große revolutionäre Arbeit unterschätzen, die noch vor uns steht. Denken wir zum Beispiel daran, daß in verschiedenen Parteien der Kommunistischen Internationale einzelne Genossen noch jüngst der Meinung waren, daß man die Rote Gewerkschaftsinternationale liquidieren solle. Das zeigt, daß dort, wo solche Tendenzen zum Ausdruck kamen, die Genossen den großen Wert und die Bedeutung der RGI in Verbindung mit der Arbeit der Partei für die Organisierung und Mobilisierung des Proletariats viel zuwenig beachteten und oft überhaupt nicht verstanden haben. Denn wir müssen die Arbeit der roten Gewerkschaften um so höher einschätzen und mit um so größerer Energie unterstützen, als die roten Gewerkschaften uns große Möglichkeiten zur Entfaltung unserer revolutionären Kraft geben und uns in den Stand setzen, neue Millionenmassen für unsere Politik zu gewinnen.

Die Bourgeoisie rüstet in fieberhaftem Tempo gegen die Sowjetunion. Diese Kriegsvorbereitung kann die Bourgeoisie nur durchführen bei rücksichtslosester Niederknüppelung des Proletariats, durch Schaffung einer “nationalen” Front auf der Basis des “Wirtschaftsfriedens” und der Arbeitsgemeinschaft mit der Bourgeoisie. Die reformistische Gewerkschaftsbürokratie und die sozialdemokratischen Führer unterstützen diese Politik durch den Betrug mit der “Wirtschaftsdemokratie”, oder, wie es in England heißt, durch die Losung des “Industriefriedens”.

Die Zeit ist vorbei, da die Reformisten von der “Neutralität” der Gewerkschaften schwatzen konnten, davon, daß der politische Kampf eine “Angelegenheit der Parteien” sei. Der Klassenkampf hat solch harte Formen angenommen, daß die reformistische Gewerkschaftsbürokratie nicht mehr in der Lage ist, so betrügerisch die Frage zu umgehen. Von größter Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Entwicklung der Gewerkschaften in der Sowjetunion, wo der Prozentsatz der gewerkschaftlichen Organisierung des gesamten Proletariats am höchsten ist. In der Sowjetunion sind 90 bis 92 Prozent aller Arbeiter gewerkschaftlich organisiert. Das Geschrei der Reformisten in der ganzen Welt wie auch in Deutschland, daß wir die “Partei der Unorganisierten” sind, wird durch diese Tatsache im Lande der proletarischen Diktatur am schlagendsten widerlegt.

Wir haben in Italien unter dem faschistischen Regime Gewerkschaftsorganisationen, die zu Staatsorganisationen ausgebaut sind, die im Rahmen der Durchführung der Mussolini-Politik benützt werden, um das revolutionäre Proletariat niederzuschlagen und das Finanzkapital auf allen Gebieten zu unterstützen.

Wir dürfen nicht verkennen, daß in der Politik der Regierung Müller-Stresemann und später auch in der Politik der Mac-Donald-Regierung bei der Entwicklung zur sozialfaschistischen Diktatur auch die Faschisierung der Gewerkschaften eine außerordentlich große Rolle spielen wird. Das ist kein Prozeß von heute auf morgen, das sind Prozesse, die sich entwickeln im Zusammenhang mit der objektiven Situation und im Zusammenhang mit den Klassenfronten, die aufeinanderstoßen und hart miteinander ringen.

II. Die Faschisierung der Gewerkschaften, ihr Verwachsen mit dem Staatsapparat und mit dem Finanzkapital

Die Beziehungen der reformistischen Gewerkschaften zum Finanzkapital

Das beste Beispiel für die Faschisierung der Gewerkschaften bilden die deutschen Gewerkschaften. Die Bourgeoisie kann die Kapitalsoffensive nur erfolgreich durchführen, wenn sie zu einer scharfen Wendung, zur Faschisierung ihrer Herrschaftsmethoden, mit Hilfe der Sozialdemokratie übergeht. In dem Maße, wie die Mittel der bürgerlichen Demokratie zur Unterdrückung und Ausbeutung nicht mehr ausreichen, in dem Maße, wie sich die diktatorischen und sozialfaschistischen Methoden der Bourgeoisie verschärfen, in demselben Maße wird sich auch zur gleichen Zeit der Prozeß zur Beseitigung der Organisationsdemokratie in der Gewerkschaftsbewegung vollziehen. Die Gewerkschaftsbürokratie wird zu einer größeren Aggressivität gegen die revolutionäre Front und zur verstärkten Faschisierung der Gewerkschaften im allgemeinen schreiten. Je stärker der Gewerkschaftsapparat mit dem staatlichen Machtapparat verwächst, je mehr die revolutionäre Gewerkschaftsopposition dieses System angreift, je selbständiger, aktiver und energischer die revolutionäre Opposition ihre Aufgaben stellt und entwickelt, um so schärfer wird der Angriff des Sozialfaschismus gegen die revolutionäre Front sein. Ein besonders krasses Beispiel für diese Entwicklung ist die Stellung des ADGB zum 1. Mai. Es ist uns bekannt, daß vor dem 1. Mai Verhandlungen zwischen dem Polizeipräsidenten in Berlin und den sozialdemokratischen Führern und der reformistischen Bürokratie des ADGB stattfanden. Diese Verhandlungen haben auch in einem politischen Prozeß nach dem 1. Mai eine Rolle gespielt. Die Tatsachen, die wir zeigten, wurden selbst vor dem bürgerlichen Gericht nicht widerlegt. Es waren gerade die ADGB-Führer in Deutschland, die verlangten, daß das Verbot am 1. Mai unter allen Umständen bestehen bleibe, während andererseits bei einigen führenden Parteigrößen der Sozialdemokratie Tendenzen vorhanden waren, am 1. Mai die Straße freizugeben. Diese Tatsache ist ein krasser Beweis für die starken sozialfaschistischen Auffassungen in der ADGB-Führung.

Nicht nur das Verwachsen des Gewerkschaftsapparates mit dem Staatsapparat spielt für uns eine Rolle, sondern die enge Beziehung der reformistischen und sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer und Gewerkschaftsorganisationen mit dem Finanzkapital. Diese Verflechtung übertrifft vielleicht alles andere, was uns bisher bekannt war. In letzter Zeit verwenden die Gewerkschaften in immer stärkerem Maße die gesammelten Gewerkschaftsgelder zu Zwecken gemeinsamer ökonomischer Betätigung mit dem Finanzkapital. Sie versuchen die Beitritts- und Beitragsgelder in den Gewerkschaften nach den Prinzipien der privatwirtschaftlichen Akkumulation anzulegen. Im Jahre 1905 wurden von den Gewerkschaftsgeldern 46 Prozent für Unterstützung der Streiks und Wirtschaftskämpfe verausgabt. Im Jahre 1924 wurden 24 Prozent der Ausgaben für Wirtschaftskämpfe verwandt, und 1927 betrugen die Ausgaben für Wirtschaftskämpfe nur noch 8,8 Prozent der gesamten Ausgaben. Also schon diese Statistik beweist die innere Schwenkung in den Gewerkschaften: Keine Orientierung auf die kämpfenden Massen zur Unterstützung der Wirtschaftskämpfe, dafür aber eine Orientierung in der Linie des Verwachsens mit dem Finanzkapital. Die “Arbeiterbank” in Deutschland ist beteiligt an der Hannoverschen Bodenkreditbank, hinter der das Metall-, Chemie- und Ruhrmontan-Kapital stehen. Die “Arbeiterbank” des ADGB hat in letzter Zeit verschiedene Wirtschaftsunternehmungen, zum Beispiel die Lindcar-Fahrradwerke AG, saniert. Daß sie dem Vorsitzenden des ADGB, Leipart, eine Villa zum Geburtstag spendete, das nur nebenbei zur Vervollständigung des Korruptionssumpfes.

Aber nicht nur in Deutschland, auch in anderen kapitalistischen Ländern geht dieser Prozeß vor sich, zum Beispiel in Belgien. Die belgische “Arbeiterbank” finanziert eine ganze Reihe von Aktiengesellschaften in den belgischen Kolonien, kontrolliert Woll-, Baumwoll- und Leinenspinnereien, Färbereien, Webereien, eine Strumpfwirkerei und eine Kunstseidenfabrik, ferner den größten Fischereibetrieb Belgiens, eine Brauerei, Metallhütten, Gefrierbetriebe sowie auch verschiedene Bankbetriebe. Die sozialdemokratische Rusizi-Gesellschaft besitzt am Kongo eine Baumwoll- und auch eine Erzkonzession. Dort hat es im vorigen Jahre infolge der Hungersnot 30 000 Tote unter den Negern gegeben, die auf das Konto dieser Baumwollgesellschaft zu setzen sind. Das ist die “berühmte” sozialdemokratische “Theorie” von der Erziehung der Eingeborenen zum Arbeiter.

Ein Beispiel noch aus Österreich. Nach der Inflationszeit sahen wir eine Sanierung der zusammengebrochenen sozialdemokratischen Geschäftsunternehmungen durch den Finanzmagnaten Bosel[4], der die Wiener Polizei unterstützte und verproviantierte. In Amerika ist der Prozeß des Verwachsens der Gewerkschaften mit dem Finanzkapital am weitesten fortgeschritten.

Auf der anderen Seite müssen wir natürlich auch die Gegenkräfte dieser Entwicklung sehen. Je mehr die Sozialdemokratie, besonders in Deutschland und die Labour Party in England, als Regierungspartei ihre Tätigkeit in den Dienst der Bourgeoisie stellt, desto schneller und offener wird sich die Faschisierung in den Gewerkschaften vollziehen. Die Faschisierung der Gewerkschaften stößt auf den starken Widerstand der proletarischen Massen in den Gewerkschaftsorganisationen. Natürlich wird dieser Widerstand durch die Bürokratie zurückgedrängt und gebrochen. Aber dieser Widerstand der proletarischen Massen wird durch die Anerkennung der Schlichtungspraxis durch die Gewerkschaften, durch die Methode der reformistischen Gewerkschaftsbürokratie, langfristige Tarifverträge abzuschließen, durch die Versuche, Streiks abzuwürgen, und durch die Bekämpfung jedes Versuches, Streiks zu organisieren und zu unterstützen, ungeheuer gesteigert. Das führt unvermeidlich zu den schärfsten Auseinandersetzungen zwischen der revolutionären Gewerkschaftsopposition und den sozialfaschistischen Führern. Hier beginnt der Kampf um die Mehrheit der Mitgliedermassen in den Gewerkschaften in ein entscheidendes Stadium zu treten. Die Tatsache, daß in den reformistischen Gewerkschaften große Massen organisiert sind, zwingt uns, diese proletarischen Massen hinter uns zu bringen, den Kampf gegen die reformistische Bürokratie in den Gewerkschaften mit äußerster Entschlossenheit fortzusetzen. Nehmen wir als Beispiel eine der Massenorganisationen, die Sportorganisation in Deutschland. Wenn die reformistische Bürokratie in diesen Organisationen nicht dazu übergegangen wäre, große Teile der Mitgliedschaft abzuspalten, dann wäre bestimmt auf dem nächsten zentralen Kongreß, wenn sich die Wahlen auf dem Boden der proletarischen Demokratie vollzogen hätten, die zentrale Leitung der Arbeitersportbewegung in unsere Hände gekommen. Im Freidenkerverband haben wir eine ähnliche Entwicklung. Die reformistische Bürokratie ging in dieser Organisation dazu über, die Statuten zu ändern, und einem größeren Teil gewählter Delegierter zum Reichskongreß wurde das Mandat widerrechtlich aberkannt. Wenn sie das nicht getan hätte, dann wäre auch die Freidenkerorganisation in unsere Hände gekommen.

Der Reformismus, der Sozialfaschismus, beseitigt überall die proletarische Demokratie, beseitigt das sogenannte Mitbestimmungsrecht der Massen in diesen Organisationen. In den Sportorganisationen und im Freidenkerverband in Deutschland ist die Spaltung bereits vollzogen. Derselbe Prozeß vollzieht sich auch in der Gewerkschaftsbewegung. Je bewußter und aktiver die revolutionäre Gewerkschaftsopposition gegen den Sozialfaschismus auftritt, je mehr sich die Massen um die revolutionäre Gewerkschaftsopposition gruppieren, desto aktiver und offener werden die Ausschluß- und Spaltungsmethoden der reformistischen Gewerkschaftsbürokratie.

Der Kampf um die revolutionäre Klassenlinie und revolutionäre Einheit in den reformistischen Gewerkschaften

Aber wir sehen in unseren eigenen Reihen gewisse Tendenzen des Zurückweichens, wir sehen die Kapitulation einzelner Funktionäre, die vor dem Vorgehen der Reformisten zurückschrecken. Dieser Kampf in den Gewerkschaften erfordert von uns die größte Zähigkeit, die größte revolutionäre Kaltblütigkeit und auch die Fähigkeit, die Massen zu überzeugen, daß nicht wir, sondern die Reformisten die Spalter der Gewerkschaftsbewegung sind.

Natürlich ist unser Kampf um die Einheit der Gewerkschaften nicht ein Kampf, wie ihn sich die Rechten und Versöhnler vorstellen, ein Kampf für die “Einheit um jeden Preis”, sondern er ist ein Kampf um die revolutionäre Klassenlinie, für die Schaffung der revolutionären Einheit gegen die sozialfaschistischen Zersplitterer und Spalter der Gewerkschaften.

Wir dürfen auch in unseren eigenen Reihen keine Illusionen in der Frage der Eroberung der Gewerkschaften aufkommen lassen. Es gibt in einigen Parteien Tendenzen, die die Frage der Eroberung der Gewerkschaften als Frage der Eroberung des Gewerkschaftsapparates stellen. Aber wer die Frage der “Eroberung des Gewerkschaftsapparates” stellt, verkennt vollkommen die Faschisierung des Apparates, die faschistischen Methoden der reformistischen Bürokratie, die diesem Apparat ermöglicht, sich gegen den Willen der Massen der Gewerkschaftsmitglieder durchzusetzen. Die Frage der Eroberung des Gewerkschaftsapparates steht nicht mehr so wie in der vergangenen zweiten Periode. In der jetzigen dritten Periode, der Periode der Verschärfung der Klassenkämpfe, nimmt der. Kampf um die Mehrheit der Arbeiterklasse ganz andere Formen an.

Für uns steht nach wie vor die Frage der Eroberung der Gewerkschaftsmassen. Wir müssen uns ohne Illusionen darüber klar sein, daß jeder neue Klassenkampf, jede selbständige Führung der Wirtschaftskämpfe große Opfer erfordern. Wir haben in Deutschland seit der Durchführung unserer neuen Taktik bei den Wirtschaftskämpfen und bei den Betriebsrätewahlen etwa 1500 bis 1700 Einzelausschlüsse. Aber außerdem sind große Abspaltungen von Zahlstellen zu verzeichnen, zum Beispiel im Bergarbeiterverband, wo bereits ganze Zahlstellen ausgeschlossen wurden, oder im Metallarbeiterverband Berlin, wo der Ausschluß der Rohrleger vollzogen ist und wo die Frage des Ausschlusses der Schlosser und Dreher ganz offen gestellt wurde.

Bedeutet das, wenn von seiten der Reformisten solche Absplitterungen durchgeführt werden, daß wir unsere grundlegende, revolutionäre Taktik im allgemeinen ändern müssen? Keineswegs! Wir führen die ausgeschlossenen Zahlstellen weiter, erheben von den Mitgliedern Beiträge durch unsere Zahlstellen und Branchenleitungen, führen einen energischen Kampf auf konzentrierter Grundlage um die Wiederaufnahme der Ausgeschlossenen in den Verband. Wenn wir diesen Kampf fortsetzen, wenn wir die Frage der Ausgeschlossenen nicht als Hauptproblem der Gewerkschaftsbewegung betrachten, sondern nur als eines der Teilprobleme, wenn wir auf diesem Gebiet unsere revolutionäre Arbeit wirklich hundertfach verstärken, dann wird im Laufe der Entwicklung, der Zuspitzung der Klassenkämpfe, bei Steigerung unserer allgemeinen Arbeit, auch eine solche Möglichkeit eintreten, daß wir in der Lage sind, die vom Reformismus in unsere Reihen gerissenen Lücken durch neue Kräfte der revolutionären Gewerkschaftsbewegung zu schließen. Ich betone erneut aufs schärfste, daß sich unsere revolutionäre Arbeit in den reformistischen Gewerkschaften in den Ländern mit “einheitlichen” reformistischen Gewerkschaften nicht geändert hat. Ich sage ferner, daß die Bildung und Organisierung neuer, revolutionärer Gewerkschaften in Deutschland heute nicht auf der Tagesordnung steht.

Wir sehen zwar eine solche Entwicklung voraus, wo die Reformisten auf Grund der steigenden Opposition in der Gewerkschaftsbewegung die wichtigsten Gewerkschaftsorganisationen auseinanderschlagen werden. Gerade diese Entwicklung, die durch die reformistische Bürokratie herbeigeführt wird, erfordert aber im gegenwärtigen Moment die Aufbietung der größten Zähigkeit und Ausdauer in unseren Reihen, um für die Klasseneinheit der revolutionären Gewerkschaftsorganisationen zu kämpfen. Wir wissen, daß in unseren eigenen Reihen die falschen und höchstschädlichen Meinungen auftreten können, daß die revolutionäre Gewerkschaftsarbeit überflüssig sei. Deswegen müssen wir, um solchen Tendenzen keine Wirksamkeit zu gehen, auf diesem Gebiet den Kurs unserer revolutionären Gewerkschaftsarbeit mit allen uns zur Verfügung stehenden ideologischen und organisatorischen Mitteln verstärken. Warum müssen wir diese Frage so stellen? Weil wir trotz ungeheurer Schwierigkeiten in der gegenwärtigen Entwicklung, bei Fortsetzung des reaktionären Kurses der Sozialfaschisten, die größten Möglichkeiten haben, die Massen für uns zu gewinnen. Angesichts der steigenden imperialistischen Kriegsgefahr, angesichts der gegenwärtigen ernsten Situation ist es ganz verständlich, daß wir nicht mehr sehr viel Zeit haben, die großen unorganisierten Massen des Proletariats zu Millionen organisieren zu können.

Unsere Stellung zu den Ausgeschlossenen

Weil die wichtigsten Gewerkschaftsorganisationen und reformistischen Gewerkschaften bei Ausbruch des Krieges eine außerordentlich große Rolle spielen werden, ist es besonders notwendig, jetzt gegen alle Tendenzen zum freiwilligen Austritt aus den Gewerkschaften in unseren eigenen Reihen den stärksten Kampf zu führen, gegen die, die glauben, die Zeit zur Bildung neuer Gewerkschaften und ihrer Entwicklung sei schon heute gekommen.

Die Frage der Ausgeschlossenen ist nicht nur eine Angelegenheit der deutschen Partei, eine Angelegenheit der deutschen revolutionären Gewerkschaftsarbeit, sondern sie steht auch in verschiedenen anderen Ländern auf der Tagesordnung. Es wurden zum Beispiel in Polen eine Reihe revolutionärer Arbeiter aus dem Metallarbeiterverband, aus dem Bergarbeiterverband - darunter Mitglieder des Betriebsrates aus dem Textilarbeiterverband usw. ausgeschlossen. In letzter Zeit wurden auch verschiedene Zahlstellen aus den reformistischen Verbänden ausgeschlossen. In der Tschechoslowakei sehen wir Ausschlüsse aus reformistischen Verbänden, die früher nur selten vorkamen, sich aber in letzter Zeit gehäuft haben. In England sehen wir, trotzdem unsere Position in der Minderheitsbewegung außerordentlich schwach ist, daß dieselben neuen skrupellosen Spaltungsmethoden von seiten der Reformisten entwickelt werden. Die Tatsachen, die uns vom Schneiderverband bekannt sind, das Vorgehen gegen den Maschinenbauerverein in London und verschiedene andere Tatsachen sind für uns die internationalen Kennzeichen dieser neuen Aggressivität der Reformisten.

Genossen! Wie soll man die Frage der Ausgeschlossenen in den verschiedenen Ländern, in denen noch einheitliche reformistische Gewerkschaften bestehen, entscheiden? Wie soll man die Ausgeschlossenen organisatorisch zusammenfassen?

Die wichtigste Frage der allgemeinen Verstärkung unserer revolutionären Gewerkschaftsarbeit ist die Organisierung und Zusammenfassung der revolutionären Gewerkschaftsopposition. Bis jetzt stand auch in Deutschland diese Arbeit mit wenigen Ausnahmefällen nur auf dem Papier. Nur in ganz wenigen Verbänden war eine wirkliche Organisierung der revolutionären Gewerkschaftsopposition zu verzeichnen. Wenn wir keine ernsthafte Schwenkung und organisatorisch-politische Wendung auf diesem Gebiet durchsetzen, dann wird auch die Angliederung und der Anschluß von Ausgeschlossenen an die revolutionäre Gewerkschaftsopposition gewisse Schwierigkeiten in den Reihen der Ausgeschlossenen mit sich bringen. Wir müssen stärker denn je auf diesem Gebiete eine radikale Wendung vollziehen, um die Gesamtpartei aufzurütteln und die energische und systematische Organisierung der revolutionären Gewerkschaftsopposition durchzusetzen.

Die Zahl der einzeln Ausgeschlossenen schätzen wir jetzt ungefähr auf 1700 Genossen und sympathisierende Arbeiter. Diese Zahl wird sich in nächster Zeit noch um Hunderte erhöhen. Es sind die besten Kräfte, die in den Wirtschaftskämpfen, bei den Betriebsrätewahlen und auf allen Gebieten des proletarischen Kampfes mit uns gemeinsam ihren Mann stehen. Daß bei diesen revolutionären Klassenkämpfern das Bedürfnis vorhanden ist ‑ besonders bei denjenigen, die jahrzehntelang organisiert waren ‑, ihre Organisationszugehörigkeit auf einer anderen Basis beizubehalten, ist ganz selbstverständlich. Aber diese Stimmungen dürfen jetzt bei unserer Politik nicht ausschlaggebend sein. In dem Moment, wo wir von den Ausgeschlossenen Sonderbeiträge erheben und für sie Mitgliedskarten ausstellen, wo wir dazu schreiten, diese Ausgeschlossenen in neuen Organisationen zusammenzufassen oder vielleicht als Sektionen einer anderen Massenorganisation anzugliedern, werden andere gute revolutionäre Klassenkämpfer auch zu ihren Klassenbrüdern kommen. Sie werden die reformistischen Gewerkschaften verlassen und auf die Tätigkeit in diesen reformistischen Gewerkschaften pfeifen. Dann werden unvermeidlich neue Organisationen entstehen. Man soll diese Stimmungen besonders in Anbetracht des Verrats der reformistischen Bürokratie keineswegs unterschätzen. Wir sind daher der Meinung und mit uns das Politsekretariat des EKKI, daß sich die Angliederung der Ausgeschlossenen an die Gewerkschaftsopposition des betreffenden Verbandes vollziehen muß. Inwieweit wir den Ausgeschlossenen helfen, ihren Kampf um die Wiederaufnahme in die Gewerkschaften zu finanzieren, und inwieweit wir sie in den Wirtschaftskämpfen finanziell unterstützen, hängt ab von den Verhältnissen in den einzelnen Organisationen und vom Kampfe selbst. Wir sind der Meinung, daß man einen geringeren Prozentsatz des Gewerkschaftsbeitrages von den einzelnen Ausgeschlossenen erheben muß, um auf dieser Grundlage stärker denn je den Kampf um die Wiederaufnahme in die Gewerkschaften auf einer höheren Stufe führen zu können.

Das materielle Problem bei den Ausgeschlossenen ‑ die Streik- und Gemaßregeltenunterstützung in den Wirtschaftskämpfen ‑ ist und darf nicht der Grund sein, von ihnen besondere Beiträge zu erheben und sie deswegen in neuen Organisationen besonders zusammenzufassen. Sie werden wie alle Klassenbrüder in den großen Kämpfen durch die Solidarität aller Arbeiter unterstützt.

Die Frage der Reverse

Eine andere Frage in diesem Zusammenhang ist die Frage der Reverse. Die Unterzeichnung von Reversen lehnen wir nicht immer unter allen Umständen ab. Bei der sozialfaschistischen Entwicklung der reformistischen Gewerkschaftsbürokratie spielt die Frage der Unterzeichnung von Reversen eine ganz andere Rolle als in den letzten Jahren, in der zweiten Periode. In der zweiten Periode waren diese Reverse noch oftmals so formuliert, daß wir sie unterschreiben konnten. Aber in der Periode der Entwicklung der Gewerkschaften zum Sozialfaschismus haben die Reverse, die jetzt vorgelegt werden, eine solche Formulierung, daß wir sie in den meisten Fällen nicht mehr unterschreiben können. Wir können sie nicht unterschreiben, weil das gleichbedeutend ist mit einem Verzicht auf die Durchführung der revolutionären Linie der Gewerkschaftsopposition. Es wird auch in den Augen unserer Sympathisierenden, in den Augen der revolutionären Arbeiter und auch unserer Partei unverständlich sein, wenn unsere Genossen solche Reverse unterschreiben. Nur von diesem Standpunkt aus, glaube ich, kann man die Frage der Reverse entscheiden.

Die “Linken” in der Gewerkschaftsbewegung

Die letzte Frage in diesem Zusammenhang ist die Frage der sogenannten Linken in der internationalen Gewerkschaftsbewegung. Genosse Kuusinen sagte bereits in seinem Referat, daß für die Durchführung des Sozialfaschismus eine “linke” Sozialdemokratie notwendig sei. Natürlich, wenn das stimmt ‑ und es stimmt ‑, dann wird auch die Entwicklung des Sozialfaschismus in den Gewerkschaften bedeuten, daß die “Linken” in der Gewerkschaftsbewegung dieselbe Rolle spielen wie in der Sozialdemokratischen Partei.

Hierbei muß man eine Frage besonders betrachten: Unsere Taktik in der zweiten Periode gegenüber Cook[5], Purcell[6] und anderen war richtig und hat in jenem Stadium große Dienste geleistet. Damals war eine Situation gegeben, die durch den allgemeinen Defensivcharakter der proletarischen Kämpfe nach der Niederlage der Arbeiterklasse in Deutschland im Jahre 1923 gekennzeichnet war. Die Anwendung der Einheitsfronttaktik von unten in Verbindung mit vorübergehenden Maßnahmen der Einheitsfronttaktik von oben, um die Massen, besonders in England, zu mobilisieren und zu organisieren, war unbedingt notwendig. Dann aber mußte gerade hier eine schroffe Wendung eintreten, um die reformistischen Elemente zu entlarven. Schon beim englischen Bergarbeiterstreik waren die Purcell und Co. offen zum Klassenfeind, gegen die Komintern und gegen die Sowjetunion übergegangen. Heute glaube ich, sind solche Maßnahmen, wie sie vor einigen Jahren gebraucht wurden, nicht mehr zulässig. Ihre Fortsetzung wäre falsch, schädlich und opportunistisch. Cook hat sich offen gegen den Kommunismus gewandt. In seiner Rede im Mai 1929 sagte er unter anderem folgendes:

Dank dem Eingreifen des Prinzen zugunsten der Bergarbeiter hat die Frage der Monarchie aufgehört, für die Arbeiterbewegung Großbritanniens ein Problem zu sein. [...]

Ich bin noch immer in der Theorie ein Republikaner, aber kein leidenschaftlicher mehr. Ich glaube, der Prinz von Wales ist heute der erste Fürsprecher für soziale Reformen in diesem unserem Lande. [...] Ich habe meine eigenen revolutionären Auffassungen in dieser Hinsicht aufgegeben, weil der Prinz aufgehört hat, eine königliche Hoheit im herkömmlichen Sinne zu sein.

Und weiter sagte er:

Es ist möglich, daß ich mich durch den mit dem Prinzen von Wales getauschten Händedruck sowohl bei der Kommunistischen Partei Englands als auch bei der Kommunistischen Partei Rußlands verhaßt gemacht habe, Ich bedaure dies aber nicht.

Diese Rede Cooks zeigt nicht nur die völlige Selbstentlarvung, sondern die radikale politische Schwenkung, die sich in diesen zwei Jahren bei den “Linken” in der internationalen Gewerkschaftsbewegung vollzog, wie sie frech und zynisch vor dem Proletariat den offenen Verrat vertreten. Man muß dazu erklären, daß die Kommunistische Partei Englands viel zu lange in der Frage des Generalrates und seiner Unterstützung geschwankt hat.

III. Die neue Taktik unserer Parteien und die selbständige Führung der Wirtschaftskämpfe

Der Inhalt der internationalen Wirtschaftskämpfe

Aus unserer Einschätzung der jüngsten Entwicklung ergibt sich auch die neue Taktik der Kommunistischen Internationale und der RGI. Wir haben bereits auf dem IX. Plenum eine Wendung vollzogen. Wir haben auf dem IV. RGI-Kongreß auf Grund der Ereignisse in der ganzen Welt eine neue Streikstrategie, neue Organisationsformen, neue Kampfmethoden herausgearbeitet. Der VI. Weltkongreß hat diese Wendung in ihrer ganzen prinzipiellen Größe, in ihrer vollen Tragweite zur Durchführung gebracht.

Was hat sich in der Anwendung der neuen Kampfformen gegenüber den früheren Methoden geändert? Die Frage der Anwendung der Einheitsfronttaktik von unten und die Frage, daß die Einheitsfronttaktik auf einer anderen Grundlage durchgeführt wird, als sie in den früheren Jahren in der Komintern und in den einzelnen Parteien der ganzen Welt durchgeführt wurde. Weiter die selbständige Führung der Wirtschaftskämpfe. Dies bedeutet nicht nur eine neue Form der Gewerkschaftsarbeit, nicht nur eine bestimmte Streiktaktik, nicht nur eine neue Methode der revolutionären Massenarbeit, sondern einen neuen Abschnitt des revolutionären Klassenkampfes, international gesprochen: eine neue revolutionäre Taktik des Bolschewismus. Worin zeigt sich die Anwendung der neuen Taktik?

Erstens in der Führung des Hüttenarbeiterkampfes im Ruhrgebiet und in verschiedenen Kämpfen in allen Teilen der Welt; zweitens bei den Betriebsrätewahlen in Deutschland und einigen anderen Ländern; drittens in der Problemstellung zum 1. Mai, nicht nur vom Standpunkt der Ereignisse in Deutschland, sondern vom internationalen Standpunkt aus, indem wir in allen Ländern unter den revolutionären Mailosungen der Komintern und unter Führung der Kommunistischen Parteien internationale Massendemonstrationen gegen den Reformismus durchgeführt haben; viertens in der Taktik Klasse gegen Klasse, die vom IX. Plenum für Frankreich und England herausgearbeitet wurde, und fünftens in den neuen Formen und Organisationsmethoden des proletarischen Massenkampfes im allgemeinen.

In diesen Grundfragen der Anwendung der neuen Taktik haben wir gegen die Liquidatoren und Versöhnler in unseren eigenen Reihen den schärfsten Kampf führen müssen. Es ist bereits zum ersten Punkt der Tagesordnung bei der Analyse der Weltlage und unserer politischen Aufgaben der tatsächliche Beweis erbracht worden, daß die Versöhnler in unserer Partei die Rolle der Rechten übernommen haben. Die ungeheure Welle von Streiks ist ein schlagendes Tatsachenmaterial gegen die Theorie der Versöhnler von der festen Stabilisierung.

Die Stellung der Versöhnler zum Problem der Unorganisierten zeigt besonders deutlich ihre falsche Auffassung. Sie leugnen und verkleinern die revolutionäre Bedeutung der Millionenmasse von unorganisierten Arbeitern, ihrer steigenden Aktivierung, ihrer zu-nehmenden Teilnahme an allen Kämpfen des Proletariats. Sie verleumden uns als die “Partei der Unorganisierten”, weil wir diese Millionenmassen nicht nur in alle proletarischen Kämpfe einbeziehen, sondern sie auch in alle führenden Organe des Massenkampfes, die Streikleitungen, die roten Betriebsräte usw., aufnehmen. Der Standpunkt der Versöhnler zur Frage der Unorganisierten zeigt eine zünftlerisch-arbeiteraristokratische Beschränktheit schlimmster Art.

Wir erlebten im letzten Jahr, vom VI. Weltkongreß bis heute, eine gewaltige Welle von Streiks. Ich will für Deutschland nur zwei Tatsachen anführen: Im Jahre 1926 betrug die Zahl der Streiktage 1½ Millionen, im Jahre 1927 war die Zahl der Streiktage auf 6 Millionen gestiegen, und im Jahre 1928 betrug die Zahl der Streiktage 21 Millionen. Zwar wurde die Mehrzahl dieser Streiktage durch Aussperrungen hervorgerufen, es wäre aber dennoch falsch anzunehmen, wie die Versöhnler es tun, daß sich das Proletariat in der Defensive befindet. Wir haben auf dem XII. Parteitag der KPD darauf hingewiesen, daß bei der allgemeinen Vorwärtsentwicklung der revolutionären Kämpfe auch rückläufige Tendenzen zu verzeichnen sind. Die Entwicklung geht nicht überall gleichmäßig vor sich. In einigen Ländern hat sie ein schnelles Tempo, während sich in anderen Ländern ein gewisser Zickzack bei der Entwicklung und auch gewisse Teilniederlagen zeigen. Auch bei uns gab es solche Tatsachen, wo vorübergehend äußere Einflüsse usw. bei der Entwicklung eine negative Rolle spielen, so zum Beispiel bei den Sachsenwahlen.

Aber nehmen wir nur die Ruhraussperrung, wo etwa 75 Prozent Unorganisierte beteiligt waren, und die Textilarbeiteraussperrung ‑ die bereits 7 Wochen dauert ‑, wo ungefähr 35 Prozent der Kämpfenden unorganisiert sind. Man gab den Kommunen die Anweisung, keine Unterstützung auszuzahlen. In verschiedenen Gebieten entwickelten sich Kämpfe mit der Polizei. Und nehmen wir die anderen Kämpfe, zum Beispiel den 14 Wochen anhaltenden Werftarbeiterstreik in Hamburg. Alle diese Kämpfe zeigten einen fortgeschrittenen Charakter. Es zeigte sich, daß die Unorganisierten mit den organisierten Arbeitern in einer gemeinsamen Kampffront gegen die Bourgeoisie, gegen die Staatsgewalt und gegen die Sozialfaschisten unter Führung der revolutionären Gewerkschaftsopposition kämpften.

Die neue Taktik und die Hemmnisse und Fehler in unseren Reihen

Ich will keineswegs verhehlen, daß bei der Durchführung der neuen Taktik in den Wirtschaftskämpfen und bei den Betriebsrätewahlen in der deutschen Partei große Schwierigkeiten vorhanden waren. Ein gewisser Widerstand bei einigen Teilen der Mitglieder und selbst unter vielen Funktionären unserer Partei machte sich bemerkbar. Überlegt euch, wie schwer es war, in einer Situation, da ein rechter Flügel in der Partei vorhanden war, da die Versöhnler selbst im Politbüro saßen und den Schwankungen in den unteren Organisationen einen verstärkten Resonanzboden gaben, die revolutionäre Taktik erfolgreich durchzuführen.

Nehmen wir die Entwicklung in Frankreich. Wir haben seit Juni 1928 bis zum heutigen Tage bereits über 1000 Streiks ‑ mit ungefähr 53 000 Beteiligten monatlich ‑ durchgeführt. Im Juni wurden von 169 Streiks 137 mit einer Lohnerhöhung abgeschlossen. Einige, vorwiegend mittlere Streiks, gingen verloren.

Aber was ist das Wichtigste bei diesen Streiks? 50 Prozent der Streiks brachen ohne Vorbereitung und ohne Organisierung durch die roten Gewerkschaften aus. Erst als die Streiks ausgebrochen waren, haben die roten Gewerkschaften eingegriffen. Ich sage hier im Einverständnis mit der französischen Delegation, daß auf diesem Gebiete in der französischen Entwicklung große Fehler und Schwächen vorhanden sind.

Ich begrüße von dieser Stelle aus das absolute Verständnis der französischen Genossen, die von sich aus versuchen, die Initiative zu ergreifen, um in der Führung der roten Gewerkschaften eine Änderung herbeizuführen. Kennzeichnend für die gegenwärtigen Wirtschaftskämpfe in Frankreich sind folgende Merkmale: Das Eintreten neuer Industriezweige, die in den Jahren 1920/1921 und 1922 niemals kämpften, in die Streikbewegung; der Ausbruch von Streiks auch in der staatlichen Rüstungsindustrie; die ungeheuer lange Dauer der Streiks in den einzelnen Industriezweigen, zum Beispiel in Halluin, wo die Arbeiter sieben Monate gestreikt haben; die wichtige internationale Erscheinung, daß in Frankreich große Massen afrikanischer, spanischer und polnischer Arbeiter in diese Streikfront mit einbezogen wurden; die Veränderungen der Streiks in den verschiedenen Kampfgebieten, wo die Soldaten, die vom Unternehmer geholt waren, sich mit den Streikenden verbrüderten, und zuletzt, was das Wichtigste für unsere ganze Politik und für unsere Orientierung ist, der politische Charakter der Kämpfe, auf den ich noch zurückkommen werde.

In dieser großen Streikwelle zeigte die Partei auch manche Schwächen. Es wurden zum Beispiel die Direktiven, die die Kommunistische Partei Frankreichs an die Fraktionen der roten Gewerkschaften herausgab, sehr häufig nicht durchgeführt. Wir sehen einen Widerstand der Leitungen, keine Vorbereitung der Kämpfe seitens der roten Gewerkschaften und deswegen das Hinterherhinken der roten Gewerkschaften hinter den Kämpfen der Massen vor und während des Streiks. Wenn wir die roten Gewerkschaften als die großen revolutionären, führenden Organisationen neben der Kommunistischen Partei für die Zukunft betrachten, und das müssen wir, dann muß auch auf diesem Gebiet in allen Ländern, wo solche roten Gewerkschaften vorhanden sind, eine radikale Umstellung dieser Arbeit durchgeführt werden.

Einige Bemerkungen über die Erfahrungen in der Tschechoslowakei. Beim Textilarbeiterstreik haben die damals noch in der Partei befindlichen Liquidatoren, die die Führung des Kampfes in der Hand hatten, nichts unternommen, um den Kampf vorzubereiten. Ein Teil der führenden Leute war sich sehr unklar darüber, ob überhaupt die Voraussetzungen gegeben waren, diesen Textilarbeiterstreik vorzubereiten und einzuleiten. Die Massen traten in den Streik, bevor sich die Partei und die rote Gewerkschaftsbewegung genügend darum gekümmert hatten.

Was ist das Wichtigste, was wir sehen müssen? Die Mitglieder der roten Gewerkschaften waren nicht die treibenden Elemente des Kampfes, sondern die treibenden Elemente des Kampfes waren die Arbeiterinnen und Jugendlichen, die den Weg zur Organisation noch nicht gefunden haben. Es ist vorgekommen ‑ von den 40 000 Textilarbeitern der Tschechoslowakei standen 8000 im Streik ‑, daß in einem Betrieb mit 1300 Arbeitern, von denen 1000 in den roten Gewerkschaften organisiert sind, nicht gestreikt wurde. Stellt euch vor, die gesamte Belegschaft steht unter Führung der roten Gewerkschaften und tritt nicht in den Streik! Es ist sogar die schändliche Tatsache vorgekommen, daß einige Mitglieder der roten Gewerkschaften unter dem Schutz der Polizei in die Betriebe gebracht wurden, um Streikbruch zu verüben.

Ich hebe das deshalb so stark hervor, weil solche unerhörten Beispiele die große ideologische Schwäche und das völlige Unverständnis zeigen, das noch in den roten Gewerkschaften bei der Durchführung unserer neuen Taktik existiert. Im Landarbeiterstreik in der Tschechoslowakei, der schon mehr einen politischen Charakter hatte, trug sich das folgende für uns höchst wichtige politische Ereignis zu: Als man versuchte, zwei Kompanien Militär in eine Gegend zu kommandieren, wo sie Streikbrucharbeit leisten sollten, meuterten sie und weigerten sich, den Landarbeitern in den Rücken zu fallen. Natürlich hat die tschechoslowakische Regierung die Streikleitung verhaften lassen. Die Partei aber hatte keine genügenden illegalen Voraussetzungen geschaffen, sie wurde überrascht, trotz der Lehren des roten Tages. Die Streikleitungen wurden alle durch die Polizei verhaftet, und die Führung in diesem Streik wurde vorübergehend durch diese Repressalien von den ‘Massen getrennt.

Die Streiks und ihre Lehren im internationalen Maßstabe

Im Vordergrund aller wirtschaftlichen Kämpfe der Vergangenheit steht zweifelsohne der große heroische Kampf des Bombayer Proletariats. Es wurde bereits in der politischen Debatte des öfteren dieser große heldenmütige Kampf erwähnt. Aber warum ist dieser Kampf so wichtig für uns? Schon durch die Tatsache, daß wir 1928 ‑ wie die Statistik zeigt ‑ in Bombay 31 Millionen Streiktage hatten, eine Summe von Streiktagen, die die Gesamtsumme der letzten 5 Jahre übersteigt. Zweitens zeigt dieser Wirtschaftskampf der indischen Textilarbeiter, daß in diesen ökonomischen Kämpfen die Arbeiterklasse dazu schreitet, die bürgerliche Staatsgewalt und den englischen Imperialismus mit seinem Trabanten, der nationalen Bourgeoisie, anzugreifen, daß sie den verräterischen Charakter der nationalen Bourgeoisie erkennt und sich gegen die Bourgeoisie zum Kampfe wendet. Wenn wir die Entwicklung der indischen Revolution analysieren und ihre große Bedeutung für den revolutionären Weltkampf hervorheben, so deshalb, weil durch den Kampf in Bombay die Frage der Hegemonie des Proletariats in der national-revolutionären Bewegung noch schärfer gestellt wird, als es bei der chinesischen Revolution möglich war.

Das ist die große Lehre, die wir aus diesem Kampf ziehen müssen, die auch für die kommenden Kämpfe und das Bündnis mit der Bauernschaft in dieser Bewegung von ungeheurer Wichtigkeit ist. Ich will ferner auf den neu ausgebrochenen Textilarbeiterstreik in Schanghai hinweisen, wo trotz des weißen Terrors das Proletariat erneut begonnen hat, sich seiner großen revolutionären Kämpfe von 1927 zu erinnern und neue Kämpfe durchzuführen; auf die unter faschistischem Terror kürzlich stattgefundenen Streiks in Bulgarien; auf den Generalstreik in Australien; auf den mit allen Mitteln der Brutalität unterdrückten wirtschaftlichen Kampf in Japan. Ich will ferner auf den Massenaufstand hinweisen, der kürzlich in Französisch-Kongo ausgebrochen ist, wo Tausende von Negern erschossen und schwer verwundet und Hunderte von Dörfern in Brand gesteckt wurden. Auch während der Tagung dieses X. Plenums zeigen sich schon wieder überall neue Streiks und Massenkämpfe.

In Deutschland sehen wir eine ganz neue Erscheinung in der Entwicklung der Kämpfe, die durch die Tätigkeit der Kommunisten und durch die revolutionäre Gewerkschaftsopposition gefördert wird. Das sind die zwischentariflichen Lohnkämpfe, das heißt Lohnkämpfe, die außerhalb des Tarifvertrages in den verschiedenen Industriezweigen durchgeführt werden. Das ist ein Neuaufflammen des Kampfes der Massen gegen die langfristigen Tarifverträge, gegen das Schlichtungswesen und gegen alle Unterdrückungsmaßnahmen.

Auch in dem “stabilisierten” Amerika sehen wir neue große ökonomische Streiks mit wirklich politischem Charakter. Das zeigt zum Beispiel der große Straßenbahnerstreik in New Orleans, einem Ort, wo wir als Partei außerordentlich schwach sind und wo die Massen den Kampf aufnahmen und dabei mit der Staatsgewalt in Konflikt kamen. In diesem Kampf haben besonders die Frauen eine große Rolle gespielt. Eine ebensolche große Rolle haben die Frauen auch bei den letzten Kämpfen in Frankreich gespielt.

In England wird eine neue Bewegung von 500 000 englischen Textilarbeitern angekündigt, die den Kampf gegen einen Lohnabbau von 12 bis 15 Prozent am 1. August aufzunehmen beabsichtigen.

Und der letzte Kampf, aus dem wir vielleicht die größten Erfahrungen ziehen können, ist der uns allen bekannte Lodzer Streik.

Vielleicht zeichnete sich kein Streik in der ganzen Welt durch eine solche Initiative und umsichtige Vorbereitung aus wie der von unserer kleinen Parteiorganisation in Lodz geführte Streik.

Obwohl der Kollektivvertrag in Lodz erst im September ablief, wurde der Kampf bereits im März von unserer Parteiorganisation vorbereitet, ohne daß man den Fehler machte, die taktischen Losungen, die erst im September “reif wurden”, sofort an den Anfang der Aktion zu stellen, sondern die ganze Kampagne schrittweise steigerte. Unsere Partei ging auch daran, den Massen klarzumachen, daß der Streik nicht nur um ökonomische Forderungen ging, sondern gegen die PPS und ihre Politik der Unterstützung des Faschismus gerichtet war. Es wurden nicht nur die Forderungen nach einer 35prozentigen Lohnerhöhung für die Jugendlichen und Arbeiterinnen gestellt, nicht nur die Forderungen des Kampfes gegen die kapitalistische Rationalisierung, sondern auch andere Forderungen in der Linie der Erkämpfung der Arbeiterrechte, der Unantastbarkeit und Neuwahl der Betriebs-delegierten, die Forderung der Bezahlung der Streiktage, falls die Belegschaft in den Streik tritt, die vorherige Entlarvung des Schiedsgerichts und die dauernde Popularisierung der Streikforderungen in der Belegschaft. Endlich wurde von vornherein erklärt, daß die Verlängerung des Kollektivvertrages überhaupt nicht in Frage komme.

Nach dieser positiven systematischen Vorbereitung kam der entscheidende große Fehler. Aber er kam nicht zufällig. In einem Moment, wo man eine Streikleitung von 22 Arbeitern hatte, bei der alle Voraussetzungen vorhanden waren, um den Streik durchzuführen, in diesem Moment begingen unsere Genossen den großen Fehler, an die Gewerkschaftsorganisationen heranzutreten, damit sie den Streik sanktionierten, um später die Gewerkschaftsbürokratie entlarven zu können. Die reformistische Gewerkschaftsbürokratie ging zum Zweck eines Manövers auf diesen Vorschlag ein. Sie mußte diesen Weg einschlagen, wenn sie nicht allen Einfluß unter den Massen verlieren wollte. Und jetzt begingen unsere Genossen den zweiten Fehler, indem sie so “anständig” waren, den Reformisten die Möglichkeit zu geben, ihre Vertreter in die Streikleitung hineinzudelegieren. Die Reformisten stellten 18 Delegierte zu den 22 Genossen der Streikleitung. Hinzu kam, daß diese 18, die sie hineinsandten, ausgesuchte führende Reformisten, arbeiteraristokratische Elemente, waren. Dieser grobe opportunistische Fehler unserer Genossen führte zur Niederlage des Streiks.

Hier zeigte sich das Unvermögen zur Durchbrechung des Gewerkschaftslegalismus, hier zeigte sich gerade, daß bei der Anwendung der neuen Streikstrategie nicht nur die positive Vorbereitung unter Aufstellung der richtigen ökonomischen und politischen Forderungen eine Rolle spielt, sondern auch die Durchführung einer solchen Taktik, durch die wir als entscheidender selbständiger Faktor bei der Führung der Kämpfe auftreten können. Die Nichtanwendung dieser Taktik war der Fehler im Lodzer Streik, der für alle Wirtschaftskämpfe in der ganzen Welt von großer Bedeutung ist.

Nun einiges zu den besonderen Charakterzügen dieser großen internationalen Kämpfe. Bald alle diese Kämpfe zeigten die Hartnäckigkeit, die Ausdauer, die starke Entschlossenheit und den Kampfgeist des Proletariats. Sie zeigten ferner die breiteste Entfaltung der Masseninitiative und der Selbsttätigkeit. Sie bewiesen die Richtigkeit der Wendung unserer Massenarbeit zu den neuen frischen Schichten des Proletariats, der Arbeiterinnen und Jugendlichen, die eine aktive Rolle in diesen Kämpfen spielten. Sie bestätigten die Richtigkeit und die revolutionäre Notwendigkeit der Beschlüsse des IV. RGI-Kongresses und des VI. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale, der selbständigen Führung dieser Kämpfe durch uns und die Entstehung selbständiger Organe zur Führung dieser Kämpfe aus der Mitte der breitesten Massen selbst heraus.

Sie signalisierten weiter das wachsende Verständnis der Massen für die politische Bedeutung dieser Kämpfe. Und zuletzt als wichtigstes Moment, im Gegensatz zu den früheren Kämpfen, als Voraussetzung des Erfolges dieser Kämpfe, die Durchbrechung des Gewerkschaftslegalismus, den stärkeren Bruch mit den alten sozialdemokratischen Traditionen in der Arbeiterbewegung. Dieses letzte, wichtigste Moment, diese neue Art der Streikstrategie, ausschließlich unter unserer selbständigen Führung diese Kämpfe zu leiten, ist die wichtigste Frage in unserer revolutionären Arbeit.

Was ist der Unterschied der heutigen Kämpfe gegenüber den früheren? In den früheren wirtschaftlichen Kämpfen zeigte sich eine zu große “Verbeugung” - ich will kein schärferes Wort gebrauchen - vor dem Gewerkschaftslegalismus, ein Zurückweichen vor dem Reformismus. Die Taktik, die wir zum Beispiel vor zwei Jahren durchgeführt haben, “Zwingt die Bonzen”, der ADGB ‑ oder irgendeine andere reformistische Organisation ‑ “muß die Kämpfe führen”, war absolut fehlerhaft. Durch diese Taktik wurden der Offensivgeist und die allgemeine revolutionäre Entwicklung des Proletariats gehemmt. In diesem Zusammenhang spielten natürlich andere Grundfragen unserer Gewerkschaftspolitik eine große Rolle. Die Anerkennung der Gewerkschaftsdisziplin, die doch heute eine völlig kapitalistische Disziplin ist, weil der Gewerkschaftsapparat mit dem Staatsapparat verwächst, führt zur Unterwerfung unter die Politik des Reformismus und letzten Endes zur Unterwerfung unter die Politik des kapitalistischen Staates und der Bourgeoisie. Ein Zurückweichen vor dem Reformismus, wie es die Liquidatoren ganz offen tun, wie es die Versöhnler des öfteren wiederholt haben, käme in der heutigen Situation dem Verrat am Kommunismus gleich. Bei dieser allgemeinen Entwicklung, bei der sozialfaschistischen Entwicklung der Gewerkschaften bedeuten die dummen Warnungen der Versöhnler, daß wir uns durch die neue Taktik von den Massen loslösen, weiter nichts als Versuche, die Kornintern und die Partei als vorwärts treibenden Faktor im Klassenkampf lahmzulegen.

Für uns kann nicht die Gewerkschaftsdisziplin, sondern nur die revolutionäre Disziplin der Partei und der Komintern ausschlaggebend sein. Sie ist das revolutionäre Grundgesetz unseres Handelns. Den Gesetzen des Reformismus steilen wir unsere revolutionären Gesetze der Organisierung und des Sieges der proletarischen Revolution entgegen.

Gewerkschaftslegalität in der weiteren Entwicklung der Gewerkschaften zu Staatsorganen heißt Staatslegalität. Der Gewerkschaftsapparat verwächst mehr und mehr mit dem Staatsapparat; deswegen bedeutet die Durchbrechung des Gewerkschaftslegalismus und der reformistischen Gewerkschaftsgesetze in der weiteren Entwicklung eine Durchbrechung der Staatslegalität, eine Durchbrechung der Gesetze der Staatsgewalt.

Die reaktionären Maßnahmen des internationalen Kapitalismus gegen die revolutionäre Klassenfront

Wir müssen unseren Klassenfeind ebenfalls beobachten, der die jetzige revolutionäre Entwicklung ganz genau studiert, der uns mit neuen Kampfmethoden begegnet, um die revolutionäre Entwicklung zu hemmen. Die Staatsgesetze, die in letzter Zeit neu angenommen wurden, bedeuten, daß die rebellierenden Massen schärfer unterdrückt werden sollen, daß schärfere Herrschaftsmethoden zur Unterwerfung der Arbeiterschaft unter die Ausbeutungs- und Unterdrückungspolitik der Unternehmer angewandt werden.

Ich nenne einige internationale Beispiele, die das vollständig beweisen: Das Schlichtungssystem in Deutschland, die Verbindlichkeitserklärungen in den letzten zwei Jahren, die Vorbereitung des Zwangsschiedsgerichtsgesetzes in Frankreich, die Streikverbote in den verschiedenen Ländern, das englische Gewerkschaftsgesetz, das Gesetz gegen die Gewerkschaften in Norwegen, die Auflösung der roten Gewerkschaften in Rumänien, Jugoslawien und Japan, die Einheitsbefehle der Staatsanwälte bei Streiks in Amerika, das Verbot des Streikpostenstehens in allen Ländern und nicht zuletzt die Verhaftung der Streikleitungen. Das alles sind politische Kampfmethoden des Imperialismus und der kapitalistischen Staatsgewalt. Unsere neuen Kampfformen und Kampforganisationen, unsere Streikleitungen und Kampfleitungen als Klassenorgane der kämpfenden Massen, die aus den verschiedenen Betrieben gebildet werden, stellen bereits eine große Gefahr für die Bourgeoisie und den Sozialfaschismus dar. Deshalb versuchen die Kapitalisten in allen kapitalistischen Ländern, uns mit allen Mitteln, besonders in den Betrieben, auszurotten und niederzuschlagen. Deswegen müssen wir auch unsere legalen Arbeitsmethoden in den Betrieben einer ernsten Änderung unterziehen und mit allem Ernst und größter Beschleunigung neue illegale Arbeitsmethoden zum revolutionären Schutze unserer Massenkader in den Betrieben erforschen und durchführen. Es besteht gar kein Zweifel darüber, daß auch die Entwicklung der Sozialdemokratie zum Sozialfaschismus zur Verschärfung der Zusammenstöße zwischen den Massen und der Bourgeoisie beiträgt. Mit dieser Verschärfung der ökonomischen Kämpfe wird sich auch der politische Kampf gegen die Staatsgewalt und gegen den Gewerkschaftsapparat verschärfen.

Neue Merkmale und Kampfformen unserer Arbeit bei der Führung des revolutionären Massenkampfes

Wenn wir unseren Klassenfeind richtig einschätzen, wenn wir sehen, daß er neue Methoden in seinem Kampf gegen uns anwendet, wenn wir uns die Kompliziertheit der gegenwärtigen Kämpfe vor Augen halten, dann erfordert diese neue revolutionäre Strategie immer mehr die größte innere Geschlossenheit und Einheit in unseren Reihen und auch die innere Entschlossenheit und Kühnheit der revolutionären Gewerkschaftsopposition und der roten Gewerkschaften in allen Ländern. Denn unsere neue Strategie, die man als einen Fortschritt auf dem Wege der Bolschewisierung bezeichnen kann, bedeutet nicht nur, daß wir den politischen Kurs ändern, sondern daß wir mit dem politischen Kurs zu gleicher Zeit auch unsere gesamte Organisationsarbeit in den verschiedenen Kämpfen entsprechend der jeweiligen Situation ändern. Die führende Rolle der Kommunistischen Partei kommt darin zum Ausdruck, daß sie die Massen mobilisiert und sich bei der Vorbereitung und im Kampfe an die Spitze der Massen stellt. So haben wir heute in der dritten Periode ganz neue Kampfformen. Wir haben Einheitsfrontorgane, Streikleitungen, Kampfleitungen, Maikomitees, Delegiertenkörper, Antikriegskomitees, Selbstschutzorgane usw. gebildet. Das ist nicht nur eine Erscheinung, die auf einzelne Länder zutrifft, sondern die einen internationalen Charakter trägt und tragen muß.

Vor allem ist es notwendig, daß wir unsere Kämpfe wirklich ernsthaft vorbereiten. Der schwächste Punkt in der Entwicklung unserer Arbeit ist die nicht genügende Aufmerksamkeit bei der Vorbereitung der Kämpfe. Wir müssen feststellen, daß wir in allen Ländern und zum Teil auch in Deutschland von den Massen sozusagen “überrumpelt” worden sind. Sie traten sehr oft in den Streik, und die roten Gewerkschaften - zum Beispiel in Frankreich - oder die revolutionäre Gewerkschaftsopposition haben erst nach Ausbruch der Bewegung ihre Vorbereitungsmaßnahmen eingeleitet.

Wir haben wichtige Aufgaben auf diesem Gebiet. Ein vorbereitender Ausschuß in einem Betrieb muß zum Beispiel die Initiative für die Vorbereitung und Durchführung eines Kampfes ergreifen. Er muß die Großbetriebe eines Industriezweiges zusammenfassen, er muß die Arbeiter des ganzen Industriezweiges gegen die Maßnahmen der Unternehmer mobilisieren. Wenn wir zum Beispiel in fünf bis sechs Betrieben, wo wir stark sind, die Massen in den Kampf bringen, ist dies mitunter ein Ansporn für die Auslösung von Kämpfen in anderen Betrieben. In Deutschland können zum Beispiel Kämpfe für zwischentarifliche Lohnerhöhung auf diese Weise ausgelöst werden. Wir müssen, besonders in allen Groß- und Mittelbetrieben, aktive Betriebszellen, gut funktionierende Betriebszellen haben, die auf allen Gebieten ihre Arbeiten erfüllen, die nicht nur die Aufgabe haben, die Lohnkämpfe vorzubereiten, sondern auch die Pflicht, in das tägliche Leben des Betriebes alle politischen Fragen hineinzutragen. Es gibt verschiedene Belegschaften in Deutschland, wo wir bereits begonnen haben, in den Pausen, wo die Belegschaften zusammen sind, alle Fragen des täglichen Lebens mit den Arbeitern durchzusprechen. Man kann nicht die Führung einer Partei sein, ohne das Leben der Arbeiterklasse zu kennen, ohne die ersten Fragen des täglichen Klassenkampfes zu stellen. Dazu brauchen wir eine Verbindung der Parteiführung mit dem Arbeiterleben in den Großbetrieben und in der gesamten Arbeiterklasse.

Die Anwendung der Einheitsfronttaktik von unten spielt in Verbindung mit den neuen Methoden des revolutionären Massenkampfes eine große Rolle. Ich will auf jene Organe der Einheitsfront, die einen zeitweiligen Charakter tragen und die in der letzten Zeit gebildet worden sind, kurz hinweisen: Kampfleitungen, Streikleitungen, Ausschüsse zur Vorbereitung der Wirtschaftskämpfe, Arbeiterinnen-, Arbeiter- und Jugenddelegiertenkonferenzen, Aktionsausschüsse, Betriebskomitees, Selbstschutzorgane, Maikomitees, Antikriegskomitees usw. Natürlich werden diese Organe von der revolutionären Gewerkschaftsopposition zusammengefaßt. Außer der Registrierung der revolutionären Gewerkschaftsopposition ist es notwendig, durch Propagandamaterial und besondere Betriebszeitungen die Politik in die Massen hineinzutragen.

Die selbständige Führung der Wirtschaftskämpfe

Als organisatorisches Bindemittel und als bestimmte ständige Organisationen sind zu betrachten: Die roten Betriebsräte, der revolutionäre Vertrauensmännerkörper oder, wie man in einigen anderen Ländern sagt, die Betriebsdelegiertenkörper und die Selbstschutzorgane, die auch einen ständigen Charakter annehmen können, und selbstverständlich unsere Zellen in den Betrieben, die als ständige Organe des politischen Zentrums, als Kontrollorgane der Partei in den Betrieben über die Durchführung der Politik zu wachen haben. Zur selbständigen Führung der Wirtschaftskämpfe ist nicht nur die stärkere organisatorische und politische Tätigkeit der revolutionären Gewerkschaftsopposition und der roten Gewerkschaften notwendig, sondern es ist auch notwendig, daß wir der Streikbruchpolitik des reformistischen Apparates neue revolutionäre Massenorgane entgegenstellen, daß wir ferner gewisse Kampffondssammlungen einleiten, um in äußersten Notfällen die kämpfenden Schichten des Proletariats durch die Solidarität der gesamten Arbeiterklasse unterstützen zu können. Ein wirkliches Musterbeispiel haben uns die französischen Genossen gezeigt. Sie haben in den letzten 3 bis 4 Monaten einen Kampffonds von 2 Millionen Francs für die Unterstützung der Streikenden gesammelt. In Deutschland liegt im gegenwärtigen Stadium die finanzielle Unterstützung der Unorganisierten, die mit den Organisierten zusammen den Kampf führen, in den Händen der IAH[7], die auf diesem Gebiet eine gewaltige Arbeit leistet und die entsprechende Sammelaktion einleitet. Ich möchte diese besondere Frage ganz klar herausstellen, damit wir keine Illusionen aufkommen lassen. Die Entwicklung in der Zukunft wird die Kommunistische Partei und die revolutionäre Gewerkschaftsbewegung zwingen, die Frage der größeren Streikkämpfe unabhängig von der kassenmäßigen Unterstützung durch die reformistischen Gewerkschaften zu stellen, sie unabhängig zu machen von der absoluten Sicherung dieser finanziellen Seite. Auch die ökonomischen Kämpfe müssen den Arbeitern in ihrem wahren Gesicht gezeigt werden, und ihr Charakter als Kampf gegen Unternehmertum, Staatsgewalt und Reformismus muß ihnen vor Augen geführt werden. Das bringt natürlich ungeheure Schwierigkeiten mit sich.

Ich kann unmöglich in meinem Referat auf alle Einzelheiten der Vorbereitung und Durchführung der Wirtschaftskämpfe eingehen. Ich will nur auf einige Grundfragen hinweisen.

Die Vorbedingungen dieser gewaltigen revolutionären Arbeit bei allen Parteien sind:

Die Verstärkung der Betriebsarbeit, die Bildung, der Ausbau und die größere Aktivität der Betriebszellen.

Die politische Unversöhnlichkeit bei der Durchführung der Aufgaben des Kampfes gegen den Sozialfaschismus und Faschismus.

Die Umstellung der Parteiorganisationen auf die jeweiligen Kämpfe. Wenn zum Beispiel solche Kämpfe wie der Ruhrkampf oder die Streiks in Frankreich ausbrechen, dann müssen die besten Kräfte des Polbüros in das Kampfgebiet hineingeschickt werden, um die Arbeit aufs höchste zu steigern.

Es ist ferner wichtig, die Agitation und Propaganda auf die aktuellen Bewegungen einzustellen. Nicht nur die Genossen, die sich im besonderen mit Gewerkschaftsarbeit beschäftigen, sondern die Spitze der Partei müssen sowohl zentral wie bezirksweise dauernd zur Verstärkung eingreifen. Es gilt vor allen Dingen, die Verhältnisse in den Betrieben, die Verhältnisse unter den Arbeiterinnen und Jugendlichen zu zeigen, um die Arbeiter zu aktivieren. Notwendig ist, bei der Weiterführung oder bei Abbruch des Kampfes elastisch vorzugehen. Dieser letzte Fall kann zum Beispiel dazu führen, daß wir bei oberflächlicher Prüfung der Kampfstimmung der Streikenden und der allgemeinen Kampflage große Verluste in unseren Reihen haben. Wenn wir einen Schritt zu weit gehen und das richtige Kettenglied der Entwicklung bei einem Streik oder einer politischen Bewegung nicht erfassen, ist es klar, daß es uns ungeheuer viel kosten wird und wir Opfer bringen, die vielleicht nicht nötig wären. Bei Verschärfung des allgemeinen Kampfes und der Streiks spielt die Heranholung neuer Reserven eine außerordentlich große Rolle. Wir dürfen uns in jedem Wirtschaftskampf nicht auf die einzelnen Belegschaften, auf die Streikenden selbst beschränken, sondern unsere ganze politische Arbeit muß sich auf die nächste Bewegung und darüber hinaus auf das gesamte Proletariat in dem betreffenden Lande konzentrieren. Natürlich nicht bei jedem Streik, aber wenn der Streik einen umfassenden Charakter annimmt oder eine größere Anzahl von Kämpfenden umfaßt, muß man solche Maßnahmen durchführen.

Die Frauendelegiertenkonferenzen verstärken das Kampfbündnis der streikenden Arbeiter mit den proletarischen Frauen, die manchmal nicht das notwendige Verständnis aufbringen konnten, daß die Streikenden noch wochenlang für ihre Forderungen kämpften, um sie durchzusetzen. Wir dürfen uns bei diesen Kämpfen nicht auf die ökonomischen Forderungen beschränken, sondern zu gleicher Zeit muß auch die Frage des Kampfes gegen das Schlichtungssystem, gegen die bürgerliche Regierung, gegen die Sozialdemokratie, gegen den Werkfaschismus in den Betrieben, des Kampfes gegen die faschistischen Organisationen, die mit dem Unternehmertum und der Staatsgewalt zusammengehen, weiter die Frage der Zurückziehung der Polizei, der Freilassung der Verhafteten usw. gestellt werden. Die Massenmobilisierung muß unterstützt werden durch Massendemonstrationen des gesamten Proletariats und durch eine tägliche Orientierung der Streikenden selbst sowie der ganzen Arbeiterschaft über den Verlauf des Kampfes und aller politischen Ereignisse. Das ist besonders notwendig, um den Streik zu politisieren und damit sich die Arbeiter der politischen Bedeutung des Kampfes bewußt werden.

Genosse Kuusinen hat in seinem Schlußwort auf die Tatsache hingewiesen, daß fast zu gleicher Zeit der große Textilarbeiterkampf in Lodz und in München-Gladbach sowie in Nordfrankreich die großen Textilarbeiterkämpfe stattfanden, ohne daß auch nur die geringste Verbindung der Kämpfenden untereinander hergestellt wurde. Was ist in solchen Situationen notwendig? Hier muß die RGI eingreifen. Sie muß dafür sorgen, daß gegenseitig Delegierte in die Kampfgebiete entsandt werden, um die Erfahrungen auszunutzen, die internationale Solidarität zu stärken und den Kampfesmut der Massen auch international zu entwickeln.

Unsere Taktik bei den Betriebsrätewahlen

Ich komme jetzt zu unserer Taktik bei den Betriebsrätewahlen und zu dem Problem der Unorganisierten. Die Schwierigkeiten, die wir bei der Durchführung unserer Taktik während der Wirtschaftskämpfe hatten, waren bei der Durchführung der neuen Taktik bei den Betriebsrätewahlen noch viel größer. Prüfen wir die Entwicklung seit 1924.

Wir hatten seit jener Zeit eine solche Entwicklung, daß die Aufstellung der Betriebsratskandidaten, mit ganz wenigen Ausnahmen, in Deutschland nur auf der Gewerkschaftsliste geschah, das heißt also, daß nur Gewerkschaftsmitglieder, vorwiegend der Amsterdamer Richtung, auf die Betriebsratslisten kamen. Wir müssen uns überlegen, wo wir hingekommen wären, wenn wir bei der jetzigen Entwicklung zum Sozialfaschismus diese Methode nicht durchbrochen hätten. Wir wären am Schwanze der Sozialdemokratie marschiert, wir hätten keinen offensiven Geist und keine Kampfentschlossenheit gegen die Reformisten entfaltet. Wenn wir nicht rechtzeitig unsere neue Taktik durchgeführt hätten, wären wir in eine Lage hineingeschlendert, die eine große Gefahr für die gesamte Arbeiterschaft gewesen wäre.

Wir müssen feststellen, daß zur Zeit des VI. Weltkongresses in der Frage der Taktik der Betriebsrätewahlen in der deutschen Delegation nicht schon jener entschiedene Wille zum Bruch mit der alten Taktik vorhanden war, wie es jetzt der Fall ist. Es mußte erst von der Komintern gemeinsam mit der deutschen Parteiführung die Durchführung der neuen Taktik verlangt werden. Damals hatten wir noch nicht die feste Entschlossenheit zur Aufstellung selbständiger Listen unter politischen Losungen. In den Januarbeschlüssen der Komintern von 1929 wurden die Fragen unserer Taktik bei den Betriebsrätewahlen viel schärfer gestellt, der Betriebsrat wurde als Organ der Kampfführung, der revolutionären Politik betrachtet. Zu Beginn der Durchführung der neuen Taktik bedurfte es einer großen ideologischen Vorbereitung in unseren eigenen Reihen, um die sozialdemokratischen Überbleibsel aus unserer Partei zu entfernen. Erst durch die schärfsten politischen Argumente war es möglich, die gesamte Partei davon zu überzeugen, daß eine Änderung der Taktik bei der Betriebsrätewahl notwendig sei - besonders durch die Konzentration auf die neuen Schichten, die die kapitalistische Rationalisierung entwickelt hat und die aus ihr herausgewachsen sind, auf die Millionen aus den schlecht entlohnten Schichten, besonders auf die Arbeiterinnen und die Jungarbeiter. Diese Entwicklung verstanden gewisse Teile unserer Partei nicht genügend. Verschiedene Genossen wollten lieber einen Kuhhandel eingehen, um eine Anzahl oppositioneller Delegierter auf eine einheitliche Betriebsratsliste zu bekommen, als eigene Listen aufzustellen. Diese Politik hätte den Verzicht auf die revolutionäre Massenarbeit und auf den prinzipiellen Kampf gegen den Reformismus bedeutet. Diese politische Frage war die Kernfrage der neuen Taktik. In den letzten Jahren, ehe wir diese neue Taktik begonnen hatten, spielten sich die Betriebsrätewahlen weniger unter dem Gesichtspunkt des politischen Kampfes ab. Jetzt, wo unsere Taktik durchgeführt wurde, wurden in breitester Form die politischen Probleme der proletarischen Revolution aufgerollt. Gleichzeitig wurde es uns ermöglicht, eine Stärkung und Festigung unserer organisatorischen Positionen in den Betrieben durchzuführen. Genossen! Hätten wir überall in den verschiedenen Gebieten Deutschlands in den Betrieben diese Taktik mit Überzeugung und Energie durchgeführt, so wären unsere Erfolge noch unvergleichlich größer. Aber in zahlreichen Betrieben, ja in ganzen Gebieten Deutschlands, konnten wir unsere Taktik nicht durchsetzen, weil die Zeit für eine allgemein-politische Vorbereitung zu kurz war und weil die Widerstände in der Partei ungeheuer groß waren, so daß unsere besten Streitkräfte nicht ausreichten, um diesen Widerstand so schnell zu brechen. Dennoch waren die positiven Ergebnisse in den verschiedensten Gebieten der wichtigste, schlagendste Beweis für die Richtigkeit unserer Taktik.

Wir hatten verschiedene Schwächen, zum Beispiel die nicht genügende Durchführung der Angestelltenwahlen, keine genügende Mobilisierung der Massen in der Vorbereitung und Durchführung der Betriebsrätewahlen, Unterlassung der Einsetzung von Wahlausschüssen als vorbereitende Komitees für die Arbeit und Vorbereitung der Wahlen im allgemeinen usw. Aber das Ergebnis war trotz dieser Mängel verblüffend und überraschend.

Wenn wir trotz aller sozialdemokratischen Überreste, trotz aller Schwächen, Unterlassungssünden und inneren Widerstände ein solches Ergebnis erreichten - welche ungeheuren Kräfte für den Klassenkampf, für den Kommunismus müssen dann im Proletariat stecken!

Unsere nächsten Aufgaben auf diesem Gebiete sind sehr groß. Wenn unsere roten Betriebsräte in Deutschland nicht sichtbar und entschlossen eine bessere Politik für die Arbeiter im Betrieb durchführen als die Reformisten, wird sich ein gewisses Mißtrauen gegen sie und gegen uns entwickeln. Wir haben zum Beispiel bei den Verkehrsarbeitern in Berlin schlechte Erfahrungen gemacht, weil unsere Betriebsräte dort mit ungenügender Aggressivität gegen die Direktion vorgestoßen sind und auch ihre Pflicht am 1. Mai nicht so erfüllt haben, wie man es von ihnen verlangen muß. Wir sind gezwungen, in Deutschland nicht nur Elementarkurse über das Tätigkeitsfeld durchzuführen, das jeder Betriebsrat kennen muß, sondern auch einen politischen Unterricht zu erteilen, der die Betriebsräte befähigt, stets die revolutionären Aufgaben der gesamten Arbeiterschaft im Bereich ihres Betriebes durchzuführen.

Die feste Verbindung der Betriebsräte mit den anderen Einheitsfrontorganen im Betrieb und mit den Massen, die Schulung der Gewerkschaftsfunktionäre und Betriebsräte, die tägliche Interessenvertretung im Betrieb, die Schaffung eines revolutionären Vertrauensmännerkörpers, die Zusammenfassung der örtlichen und bezirklichen Betriebsräte auf Konferenzen - das sind unsere nächsten Aufgaben. Die Betriebsräte müssen zur Führung des politischen Kampfes im Betrieb erzogen werden. Wir müssen die Betriebsrätefraktionen nicht nur in lokalem und bezirklichem, sondern auch in zentralem Maßstab zusammenfassen.

Einige Erfahrungen, die sich während der Betriebsrätewahlen in der Tschechoslowakei und in Österreich gezeigt haben: Wurde unsere Taktik in der Tschechoslowakei und in Österreich durchgeführt? Nein! Unsere Arbeit auf diesem Gebiete war in der Tschechoslowakei sehr schlecht. Und in der tschechoslowakischen Partei wurde die Frage nur vom Gewerkschaftsstandpunkt aus gestellt und nicht vom Standpunkt der revolutionären Massenarbeit.

Es gibt in unseren eigenen Reihen viele Illusionen über die Betriebsräte. In der französischen Partei zum Beispiel gibt es einzelne Genossen, die glauben, daß die Bildung und Organisierung von Betriebsräten von der Bourgeoisie gestattet werden müßte. Wie ich weiß, gibt es auch Genossen in der französischen Partei, die der Meinung sind, man müßte Anträge im Parlament stellen zwecks Erlassung gesetzlicher Bestimmungen für die Entwicklung einer Betriebsrätebewegung. Es gibt in der französischen Partei auch Tendenzen, die Betriebsrätebewegung unter der Losung der Kontrolle der Produktion zu organisieren.

Die Betriebsräte sind, vom reinen verfassungsmäßig gesetzlichen Standpunkt der Bourgeoisie aus gesehen, Instanzen, mit denen die Bourgeoisie heute versucht, ihre Politik und ihre “wirtschaftsfriedlichen” Maßnahmen durchzuführen. Die Funktionen der Betriebsräte sind nach den Gesetzesbestimmungen festgelegt. Natürlich, so wie die Bourgeoisie versucht, die Betriebsräte in ihrem Sinne auszunutzen, nutzen wir sie im revolutionären Sinne aus, indem wir die Betriebsräte unter unseren Einfluß zu bringen bestrebt sind und sie als Stützpunkte der revolutionären Politik und Arbeit im Betriebe ausbauen. Wir nutzen sie als Hilfskräfte in der antiimperialistischen Front und im Kampfe gegen die Bourgeoisie, den Faschismus und den Sozialfaschismus aus.

Das Problem der Millionen von Unorganisierten und ihre Einreihung in die revolutionäre Klassenfront

Was ist das Wichtigste bei der Taktik der Betriebsrätewahlen? Das Wichtigste, das wir in dieser Beziehung erreicht haben, ist, daß zum ersten Male neue Massen der am meisten unterdrückten Schichten des Proletariats, die Unorganisierten, in diesem Kampfe eine große Rolle gespielt haben. Dieses große Massenproblem hat für die Entwicklung und den Kampf um die Hegemonie unserer Partei innerhalb des Proletariats eine entscheidende Bedeutung. Ich habe auf Grund von Rücksprachen mit den wichtigsten Delegationen zu erfahren versucht, wie das ungefähre prozentuale Verhältnis von Organisierten zu Unorganisierten ist. Die Schätzung der Delegationen ist folgende: In der Tschechoslowakei gibt es etwa 65 Prozent Unorganisierte, in England etwa 70 Prozent, in Deutschland etwa 73 Prozent, in Amerika 90 Prozent, in Frankreich etwa 91 Prozent und in Polen sogar 95 Prozent. Wenn wir diese Tatsache mit der neuen Umgruppierung des Proletariats in der kapitalistischen Rationalisierung in Verbindung bringen und auch in Betracht ziehen, daß bestimmte arbeiteraristokratische Gruppen im Proletariat ein besseres Organisationsverhältnis haben und die Zahlenverhältnisse in den verschiedenen Berufsgruppen schwanken ‑ die Buchdrucker zum Beispiel sind zu 100 Prozent organisiert, während in anderen Industriegruppen das Organisationsverhältnis ein besonders schlechtes ist ‑, so gewinnen diese Zahlen eine erhöhte Bedeutung. Äußerst wichtig ist es, daß diese Unorganisierten hauptsächlich in den Groß- und Mittelbetrieben beschäftigt sind und ganz wenig in den Kleinbetrieben. Die Unorganisierten haben bei den jetzigen Kämpfen eine große Rolle gespielt. Oftmals treten die Unorganisierten revolutionärer auf als die organisierten Massen der Arbeiter. Auch dafür liegen bestimmte Ursachen vor. Wir sehen, daß sich die Struktur der Arbeitermassen in dem ganzen Prozeß der kapitalistischen Rationalisierung geändert hat. Es werden neue Ausbeutungsmethoden des Kapitalismus im Produktionsprozeß angewandt und neue Schichten, besonders Arbeiterinnen und auch Jugendliche, in den Arbeitsprozeß einbezogen. Es besteht eine steigende Lohnspanne zwischen den arbeiteraristokratischen Elementen, den privilegierten Schichten im Produktionsprozeß, und den unteren Schichten des Proletariats, die immer mehr unterjocht werden und in den wichtigsten Industrien immer weniger Lohn bekommen. Auch diese Tatsache spielt für die Veränderung der Zusammensetzung der Gewerkschaften eine außerordentlich große Rolle.

Die neuen Reserven und ihre große Bedeutung für die revolutionäre Gewerkschaftsarbeit

In der ganzen Welt versuchen die Reformisten, den unteren Schichten des Proletariats den Zutritt zu den Gewerkschaften zu erschweren und sogar zu versperren. In Amerika sind zum Beispiel die Mitgliedsbeiträge so hoch, daß für die niedrigen Lohnklassen der Zugang zu den Gewerkschaften unmöglich ist. In Deutschland gestattet man den Arbeitslosen nicht, in die Gewerkschaften einzutreten. Wir haben ferner bei der Ruhraussperrung gesehen, daß, als die Proleten zur Unterstützung der revolutionären Gewerkschaftsopposition in die Gewerkschaften eintreten wollten, die Gewerkschaftsbürokraten die Arbeiter nicht aufnahmen. Beim Werftarbeiterstreik ebenfalls. Diese Tendenz in der Entwicklung der Gewerkschaften hat dazu geführt, daß die Gewerkschaften sich immer mehr aus den Oberschichten des Proletariats zusammensetzen. Folgende Statistik der Mitgliedsbeiträge des ADGB zeigt ganz deutlich die soziale Verschiebung in der Struktur der reformistischen Gewerkschaften:

1924 wurde von je 100 Mitgliedern ein Jahresbeitrag bis 10,40 Mark von 10,8 Prozent der Gesamtmitgliedschaft erhoben.

1927 war dieser Prozentsatz auf 5,2 Prozent gesunken.

1924 wurde von je 100 Mitgliedern ein Jahresbeitrag von 10,41 bis 26 Mark von 39,2 Prozent der Gesamtmitgliedschaft erhoben.

1927 war dieser Prozentsatz auf 17,2 Prozent gesunken.

1924 wurde von je 100 Mitgliedern ein Jahresbeitrag von 26 bis 52 Mark von 45,7 Prozent der Gesamtmitgliedschaft erhoben.

1927 stieg dieser Prozentsatz auf 57 Prozent.

1924 wurde von je 100 Mitgliedern ein Jahresbeitrag von 52 Mark von 4,3 Prozent erhoben.

1927 stieg er ebenfalls auf 20,6 Prozent.

Wir sehen ein ganz enormes Ansteigen des Prozentsatzes der höchsten Beitragsklassen, ein entscheidendes Zeichen dafür, daß die reformistische Bürokratie sich in zunehmendem Maße auf die bessergestellten Schichten des Proletariats stützt und die unteren Schichten am Eintritt in die Gewerkschaften hindert. Ein überaus großer Teil der Unorganisierten setzt sich aus Arbeiterinnen und Jugendlichen zusammen.

Die entscheidende Frage ist: Wie können wir diese unorganisierten Massen für die Gewerkschaften, für den Klassenkampf gewinnen, um sie in den Kampf der Gewerkschaftsopposition mit einzubeziehen, trotz der sozialfaschistischen Einstellung der Gewerkschaften, trotz der Entwicklung, die sich in geradezu erschreckendem Maße in den Gewerkschaften zeigt?

Es ist heute schon schwer, die Massen zu überzeugen, in die reformistischen Gewerkschaften hineinzugehen. Trotz alledem müssen wir für die Einbeziehung der Unorganisierten in die gewerkschaftlichen Organisationen arbeiten. Warum? Weil die gewerkschaftlichen Organisationen immerhin die wichtigsten Formen von Massenorganisationen sind, die noch Millionen von Arbeitern, die uns noch nicht verstehen, hinter sich haben. Sie sind die elementare Form der Klassenorganisationen des Proletariats, wenn sie einen revolutionären Kampf führen und die Massen klassenmäßig erziehen. Haben wir Beispiele aus der Vergangenheit, wo beim revolutionären Aufschwung die unorganisierten Massen in die Gewerkschaften hineinströmen? Zweifellos! Bis zu der aufsteigenden Welle von 1922/1923 konnten wir ein Hineinströmen von Hunderttausenden, von Millionen in die Gewerkschaften feststellen, und zwar von solchen Schichten, die heute nicht mehr in den Gewerkschaften sind. Wir haben gesehen, daß auch in anderen Perioden politischer Zuspitzung, in der Tschechoslowakei und sogar in Frankreich, ähnliche Tatsachen zu verzeichnen waren. Rosa Luxemburg hat das Problem der Unorganisierten schon bei den Erörterungen des politischen Massenstreiks auf dem Jenaer Parteitag behandelt. Damals wurde bekanntlich ein Kampf zwischen den Revisionisten, den Zentristen und den Linken der Partei über das Problem des revolutionären Massenstreiks geführt. Auf dem Jenaer Parteitag sagte Rosa Luxemburg zur Frage der Unorganisierten folgendes[8]:

Die Politik, die Taktik der Partei muß danach angetan sein, um die nötige Begeisterung und Opferfreudigkeit in den großen Volksmassen auch außerhalb der Organisierten zu wecken, denn nur auf diese Weise können wir die gewaltige Schar der Unorganisierten mitreißen und für die Organisation gewinnen.

Diese Worte von Rosa Luxemburg kann man auf die heutige praktische Arbeit in unserer Situation anwenden, obwohl die Entwicklung des Sozialfaschismus bei einer weiteren Zuspitzung vielleicht auch von uns eine andere Stellung der Frage verlangt.

Genosse Stalin hat die Entwicklung in Amerika völlig richtig gezeigt und dabei sehr richtig erwähnt, daß auch in Deutschland eine solche Entwicklung kommen kann. Bestreiten wir, daß auch bei uns eine solche Entwicklung möglich ist wie in Amerika? Keineswegs! Bei dieser aufsteigenden Entwicklung, wo die neuen Reserven des Proletariats zu uns kommen, wo sie sich von den Reformisten loslösen, wo die Reformisten sich selbst entlarven ‑ welche glänzenden Möglichkeiten haben wir dann trotz aller Ausschluß- und Spaltungsmethoden, alle die, die noch nicht mit uns gehen, in den Strom der revolutionären Entwicklung hineinzubringen und zu organisieren!

Genossen! Wir müssen heute unsere gewerkschaftliche Werbearbeit anders gestalten, als es früher der Fall war. Früher haben wir ganz allgemein, ohne politische Differenzierung, zum Eintritt in die Gewerkschaften aufgefordert. Unsere Arbeit war es in erster Linie, daß die deutschen Gewerkschaften im letzten Jahr eine Zunahme von 620600 Mitgliedern zu verzeichnen haben. Heute müssen wir diese Frage anders stellen als in der Zeit der zweiten Periode. Heute propagieren wir nicht mehr den unterschiedslosen Eintritt aller Arbeiter in die reformistischen Gewerkschaften, sondern nur den Eintritt der klassenbewußten revolutionären Arbeiter zur Stärkung der revolutionären Opposition. Diese Aufgabe ist keine leichte, sie ist ungeheuer schwierig. Unsere Aufgabe ist es, die Massen zum revolutionären Kampf zu erziehen, im Kampfe die Massen zu organisieren gegen den Widerstand der sozial-faschistischen Bürokratie, die verhindern will, daß die rebellierenden Massen zu den Gewerkschaften kommen. Erst im Kampf für ihre Klasseninteressen, für die revolutionären Ziele gegen die Politik der Sozialfaschisten und Streikbrecher, werden die unorganisierten Massen zur Überzeugung von der Notwendigkeit des Eintritts in die Gewerkschaften kommen. Diese neuen Millionenmassen, die am meisten ausgebeutet und verelendet, den stärksten Angriffen bei allen Rationalisierungsmaßnahmen aus-gesetzt sind, die viel weniger durch die Schranken des Gewerkschaftslegalismus behindert werden als die sozialdemokratischen Mitglieder in den Gewerkschaften, die täglich unter dem zersetzenden Einfluß ihres sozialfaschistischen Apparates stehen ‑ sie haben in den letzten Kämpfen aufopferungsvoll aktiv und revolutionär mit ihren organisierten Klassenbrüdern gemeinsam gekämpft. Deshalb hat Lenin in seinem bekannten Aufsatz "Der Imperialismus und die Spaltung des Sozialismus" die Arbeit. unter den am wenigsten organisierten, aber am meisten ausgebeuteten Schichten des Proletariats, seinen Unterschichten, wie er sagt, geradezu als einen Gradmesser der revolutionären Aktivität der kommunistischen Parteien bezeichnet.

Die falschen Auffassungen der deutschen Rechten

Es gibt in der Frage der roten Gewerkschaften bei vielen Genossen noch Unklarheiten, was zur Folge hatte, daß in den Ländern mit gespaltener Gewerkschaftsbewegung die roten Gewerkschaften nicht genügend unterstützt wurden. Wenn wir die roten Gewerkschaften mit einem revolutionären Kampfprogramm ausgestalten wollen, müssen wir jeden Streik, jeden Lohnkampf zur Stärkung der revolutionären Gewerkschaftsopposition, zur Zurückdrängung der reformistischen Gewerkschaften ausnutzen und unsere Kampfmaßnahmen so durchführen, daß es uns gelingt, ganze Teile und ganze Zahlstellen der reformistischen Gewerkschaften in die roten Gewerkschaften zu überführen. In dieser Hinsicht haben wir in der Vergangenheit sehr große Fehler begangen.

Wir hatten in unserer deutschen Partei, wie bekannt ist, scharfe Auseinandersetzungen mit den Versöhnlern in der Gewerkschaftsfrage. Genosse Meyer, der der Gruppe der Versöhnler angehört, hat darauf hingewiesen, daß wir auf dem Essener Parteitag die Gewerkschaften als die Hauptarena des Kampfes zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten bezeichnet haben. Und daran knüpfte er die Behauptung, daß wir jetzt in unserer neuen Taktik unseren alten Standpunkt revidieren. Es bedarf aber der ganzen Blindheit der Versöhnler, nicht zu sehen, daß wir unseren Standpunkt nicht nur nicht revidieren, sondern auf einer höheren Entwicklungsstufe fortsetzen. Heute, in der Periode der Begegnungskämpfe, der Durchbruchskämpfe, der Offensivkämpfe, sind die Hauptarenen des Kampfes in erster Linie die Betriebe, wo wir die Massen der organisierten und der unorganisierten Arbeiter erfassen müssen. Meyer und seine Freunde schlugen uns vor, am 1. Mai in die Gewerkschaftsversammlungen hineinzugehen, das heißt faktisch auf die eigenen Demonstrationen zu verzichten. Wir haben, die Losung des Boykotts der sozialdemokratisch-reformistischen Versammlungen herausgegeben auf Grund unserer richtigen Einstellung, daß am 1. Mai auf der Straße demonstriert werden muß. Ferner, weil die reformistische Bürokratie die Absicht hatte, schon in den frühesten Morgenstunden in den Reihen des Proletariats einen Bruderkampf auszulösen, drittens, weil wir zur Vorbereitung des Massenauftretens alle Kräfte gebrauchten. Der Standpunkt der Versöhnler zu dieser Frage ergibt sich aus ihrer allgemeinen falschen politischen Auffassung, ergibt sich daraus, daß sie mit unserer neuen Taktik nicht einverstanden sind.

In der Gewerkschaftstaktik, in der Frage der Unorganisierten sehen sie nicht die Klassenkämpfe des Proletariats und wie sie sich entwickeln, sondern sie stellen die Frage schematisch, übertragen die Organisationsformen, die Methoden der zweiten Periode kritiklos auf die dritte. Wir wissen, daß die Eroberung der Mehrheit des Proletariats nicht im Rahmen der Gewerkschaften erfolgt, daß diese Aufgabe in ihrem Rahmen nicht gelöst werden kann, sondern auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens, in allen proletarischen Massenorganisationen und in erster Linie in den Betrieben. Unser Weddinger Parteitag sagte mit vollem Recht, daß der Kampf um die Betriebe im Vordergrund unserer allgemeinen Politik steht, daß der Kampf zwischen Reformismus und Kommunismus seine besondere Verschärfung erfährt, weil er gleichzeitig ein Kampf gegen den Dreibund Unternehmertum, Staatsgewalt und reformistische Gewerkschaftsbürokratie ist. Indem die ausgeschlossenen Liquidatoren und ihre Platzhalter in der Partei sich bald nur auf den Kampf innerhalb des Rahmens der Gewerkschaften, innerhalb des Gewerkschaftslegalismus beschränken wollen, leugnen sie auch den Charakter der jetzigen Kämpfe. Sie können sich als Anhänger der Schwanztheorie nicht die Aufgaben der Organisierung der neuen revolutionären Welle stellen. Sie stellen noch immer die Frage der Eroberung der Gewerkschaften als Frage der Eroberung des Gewerkschaftsapparates. Die Frage der Eroberung des Apparates steht heute ganz anders als in der zweiten Periode. Die Sozialfaschisten spalten heute bald jede Gewerkschaft, wenn die Gefahr für sie sichtbar wird, daß die revolutionäre Gewerkschaftsopposition die Leitung übernimmt. Eroberung der Gewerkschaften heißt in allererster Linie Eroberung der Gewerkschaftsmassen für die Aufgaben der revolutionären Gewerkschaftsopposition gegen die sozialfaschistische Gewerkschaftsbürokratie und ihre Staats-- und Streikbruchpolitik. Wir sind im Gegensatz zu den Rechten der festen Meinung: Indem wir die unorganisierten Massen selbständig im Kampf mitreißen, benutzen wir sie ‑ auch die ehrlich klassenbewußten Arbeiter, die noch im Lager des Reformismus stehen ‑ als Hebel der Revolution. Diese unsere Auffassung entspringt der Analyse der jetzigen Wechselbeziehungen der Klassenkräfte überhaupt und dem spezifischen ökonomischen Charakter der Kämpfe, die immer mehr zu politisch-revolutionären Kämpfen werden müssen.

Die Einbeziehung der unorganisierten Massen ist für uns die wichtigste Frage der Ausbreitung der Klassenfront, der möglichsten Steigerung des revolutionären Elans und der Organisierung der Massen durch selbständige Kampforgane.

In diesem Zusammenhang will ich über drei Kategorien der Arbeiter besonders sprechen: die Arbeiterinnen, die Jugendlichen und die Landarbeiter. Genosse Lenin sagte des öfteren, daß die Partei das Arbeiterleben studieren, den Inhalt der Kämpfe prüfen und die wichtigsten Kategorien der Kämpfenden erkennen müsse.

Die Rolle der Arbeiterinnen, der Jugend und der Landarbeiter

Die kapitalistische Rationalisierung hat in der ganzen Welt und besonders in den wichtigsten Industrieländern gewaltige soziale Umschichtungen hervorgebracht. Wir haben in Deutschland nach den letzten Berufszählungen vom Jahre 1907 bis 1925 drei Millionen Arbeiterinnen mehr im Produktionsprozeß zu verzeichnen, und nach dem letzten Gewerbeinspektionsbericht vom Jahre 1927 sind 26 Prozent aller Beschäftigten in den industriellen Mittel- und Großbetrieben Arbeiterinnen. Es werden ferner nach den letzten statistischen Feststellungen 4 Millionen Jugendliche im Produktionsprozeß beschäftigt.

In den acht wichtigsten Industriezweigen Deutschlands schwanken die Frauenlöhne zwischen 55,1 Prozent ‑ in der Metallindustrie ‑ und 74,8 Prozent ‑ in den Webereien ‑ der Männerlöhne.

Im Durchschnitt betragen die Löhne der Frauen 62,5 Prozent der Männerlöhne. Bei den Jugendlichen sind die Löhne viel niedriger. In Polen sieht es in dieser Beziehung noch viel schlimmer aus. Dort sind die Zahlen geradezu erschreckend. Besonders schlimm sieht es mit der Bezahlung der jugendlichen Arbeiter aus. Es gibt da noch Verhältnisse, wo die Jugendlichen zum Beispiel nur 5 Prozent der Männerlöhne erhalten. Im Durchschnitt erhalten dort die Jugendlichen 25 Prozent der Männerlöhne. Und es ist nicht von ungefähr, daß in der letzten Zeit allein in West-Weißrußland[9] über 10 Streiks der Jugendlichen ausbrachen, die mit ganz wenigen Ausnahmen erfolgreich durchgeführt wurden. Greifen wir nur einige Tatsachen heraus, die von großer Wichtigkeit für die Feststellung der Bedeutung dieser Schichten in unserem Kampf sind.

Im Textilarbeiterstreik in Nordfrankreich: Waren es da nicht die Frauen und Jugendlichen, besonders die Frauen, die nicht nur für die Forderungen auf ökonomischere Gebiet eintraten, sondern in den politischen Kampf, in den Kampf gegen die Polizei auf die Straße gingen? Nehmen wir den politischen Massenstreik nach den Maivorgängen in Berlin. War es ein Zufall, daß gerade die Zigarettenarbeiterinnen und die Arbeiterinnen in den Schuhfabriken unserenpolitischen Losungen des Massenstreiks Folge leisteten? Wir hatten vorher Arbeiterinnendelegiertenkonferenzen durchgeführt, und es ist kein Zufall, daß es gerade die revolutionären Arbeiterinnen waren, die der Parole der Partei sofort Folge leisteten.

Besonders wichtig ist auch unsere Arbeit unter den Jugendlichen. Nicht umsonst wurde die revolutionäre Bedeutung der Jugend in der Diskussion und im Schlußwort des Genossen Kuusinen im ersten Punkt der Tagesordnung so ausführlich behandelt. Bis jetzt haben unsere Parteien noch nicht die Aufgabe verstanden, die den Jungarbeitern in den kommenden Kämpfen zufällt: Es ist notwendig, ihren Kampfenthusiasmus zu entfesseln, sie von dem bürgerlichen und reformistischen Einfluß zu befreien und sie näher an uns heranzubringen. Viel zuwenig Aufmerksamkeit haben wir dem Kommunistischen Jugendverband zugewandt, dem neuen Tätigkeitsfeld unter den Jungarbeitern und Arbeiterinnen.

Zur dritten Kategorie, zu den Landarbeitern. Die Landarbeiter sind die Schichten des Proletariats, die am meisten ausgebeutet und unterdrückt werden. Zwar sind sie Blut vom Blute und Fleisch vom Fleische des gesamten Proletariats, aber die Landarbeiter sind eine besondere Kategorie, weil sie auf einer niedrigeren Stufe des Klassenbewußtseins als das Industrieproletariat stehen und daher von der Reaktion zum Kampfe gegen die proletarische Revolution mißbraucht werden. Sie sehen nicht das tägliche Leben in den Fabriken. Die Zuspitzung der Kriegsgefahr, das Anwachsen des Faschismus, der diese Landarbeiter millionenfach beeinflußt, verpflichten uns vor allem ‑ besonders in den Agrarländern, wo diese Fragen von noch größerer Bedeutung sind ‑, in diese Kreise einzudringen. Lenin sagte einmal, daß ohne Organisierung der Landarbeiter. keine Organisierung der proletarischen Revolution möglich sei. Deswegen müssen wir in dieser Hinsicht in allen Parteien eine spezifische Arbeit durchführen, eine ständige Berichterstattung herstellen und eine Kontrolle darüber, ob die Arbeit wirklich durchgeführt wird.

Diese neuen Schichten sind die großen Reserven, die unter unserer Führung bald in allen Kämpfen die größte Bedeutung haben werden. Deswegen, weil vom organisatorisch-strategischen Standpunkt aus die Sammlung und Organisierung dieser Millionen aus den rebellierenden unterdrückten Schichten und ihre Erfassung durch die von der Arbeiterklasse geschaffenen Einheitsfrontorgane unter unserer Führung eine revolutionäre Bindung, die Stärkung unserer Streitmacht in der ganzen Welt bedeuten. Weil vom politisch-strategischen Standpunkt aus mit der Erweiterung unserer proletarischen Basis diese proletarischen Divisionen mit den Millionen Arbeitern und Bauern in der Sowjetunion und den sich neu aufbäumenden unterdrückten Kolonialvölkern eine revolutionäre Weltarmee zu werden beginnen, gegen die die Weltbourgeoisie und ihre aktiven Helfershelfer, der Faschismus und Sozialfaschismus, alle ihre Streitkräfte mobilisieren und aktivieren werden. Dieser große Weltenkampf wird bei der aufsteigenden revolutionären Streikwelle von wirtschaftlichen und politischen Kämpfen, der mörderischen Ausbeutung durch die kapitalistische Rationalisierung, in dieser von Widersprüchen gesteigerten Entwicklung große Anforderungen an uns, an die Kommunistische Internationale, die Rote Gewerkschaftsinternationale, an alle Parteien stellen. Wie die oberste Heeresleitung im Kriege je nach Stärke, dem Gefechts- und Kriegsfeld des Gegners ihre Armeen im Kampfe mobilisiert und in der Gefechtsstrategie angreifen läßt, um den Gegner zurückzudrängen und vernichtend zu schlagen, so müssen auch wir verstehen lernen, in der revolutionären Weltpolitik und der revolutionären Arbeit, die unsere Parteien in den einzelnen Ländern durchzuführen haben, den Klassenfeind anzugreifen. Wir müssen verstehen lernen, mit möglichst wenigen Verlusten und Opfern Erfolge zu erzielen und mit großer Kühnheit und revolutionärer Oberlegung im politischen Handeln der Offensive des Klassengegners unsere Gegenoffensive auf allen Gebieten des politischen Kampfes entgegenzustellen.

Neue Methoden der Ausbeutung in der kapitalistischen Rationalisierung

Für die Durchführung einer wirklich revolutionären Gewerkschaftsarbeit müssen bestimmte Voraussetzungen geschaffen werden: größte Festigkeit, Erfahrungen in der Anwendung und Kenntnis der Klassenstrategie, innere Geschlossenheit und Einheit der Partei. Aber nicht nur die innere Geschlossenheit, nicht nur die Kampfentschlossenheit in unseren Reihen sind die unerläßlichen Vorbedingungen, sondern wir müssen das Gesamtproletariat da von überzeugen, daß wir die wirklichen Träger der proletarischen Klasseneinheit im revolutionären Kampfe gegen die sozialfaschistischen Zerstörer und Spalter der Arbeiterbewegung sind. Wir müssen neue Kampfpläne entwickeln, neue Kampfmethoden und Kampfformen ausfindig machen, neue Kampfwege beschreiten und durch neue, bolschewistische Kampfstrategie unsere politisch-organisatorischen Aufgaben verstärken und erweitern. Auch unser Klassenfeind, das Trustkapital, vollzieht eine “taktische Wendung” und wendet neue, verstärkte Kampfmethoden gegen die Arbeiterklasse an. Wir müssen sehen, daß die zweite Welle der kapitalistischen Rationalisierung die Ausbeutung der Arbeitermassen ungeheuerlich steigern und ihre Lebenslage außerordentlich verschlechtern wird. Es werden solche Ausbeutungsmethoden in Erscheinung treten, die heute noch nicht voll entwickelt sind. Wir kennen das Prämiensystem, die Festsetzung der Leistungszulagen, wir wissen, daß in den wichtigsten Industriezweigen nach dem Akkordlohn gearbeitet wird, aber inzwischen ist eine ganz neue Art der Ausbeutungsmethoden der kapitalistischen Rationalisierung, die Einführung des Leistungslohnes, in einem großen Konzern in Deutschland aufgetaucht. Was ist das Neue daran? Die Arbeiter und Arbeiterinnen über das Normalpensum des Akkordsystems hinaus ‑ das sowieso nur von einem voll leistungsfähigen Arbeiter erreicht werden kann ‑, durch Zuschläge für die Mehrleistung, durch ein gestaffeltes Prämiensystem zu höheren Leistungen anzuspannen. Es ist ein raffiniertes und teuflisches System. Der Unternehmer will durch individuelle Abmachungen tariflose Verhältnisse schaffen. Er will ferner die Arbeiter durch die wirkliche Mehrzahlung bei höchster Ausbeutung und Intensität fesseln und begeistern, die Gemeinsamkeit der Volkswirtschaft durch Unternehmer und Arbeiter im Betriebe anbahnen. Das bedeutet die Einführung eines so hohen Normalpensums, daß nur der kräftigste, gesündeste Mensch in der Lage ist, dieses Normalpensum zu erreichen. Das bedeutet, daß der Unternehmer die Frage einer noch höheren Ausbeutung im Betrieb stellt. Es ist klar, daß die kapitalistische Rationalisierung sich noch weiterentwickeln wird. Ich stelle die Frage des Leistungslohns deshalb so eingehend, weil die Gewerkschaftsbürokratie im Jahre 1927, als der norddeutsche Wollkonzern den Leistungslohn verlangte, damals diesen prinzipiell mit der Begründung abgelehnt hatte, daß das eine noch stärkere Ausbeutung und einen erhöhten Akkord der Arbeiter bedeute. Sie nennen das “Verfeinerung des Akkordsystems”. Trotzdem haben die reformistischen Gewerkschaftsbonzen im April dieses Jahres doch einen Vertrag abgeschlossen, nach dem der Leistungslohn und das Prämiensystem eingeführt werden. "Der Textil-Arbeiter", das Organ der reformistischen Textilarbeitergewerkschaft, schreibt am 19. April 1929 über diesen Schandvertrag:

Er ist eine Brücke für die Zukunft. Die den Tarifvertrag abschließenden Parteien werden jetzt zu beweisen haben, ob das, was ihr Wollen und ihr Wille war, während der Dauer dieses Vertrages, gestützt auf Treu und Glauben, in loyaler Form durchgeführt wird. [...]

Nach Lage der Dinge und unter Berücksichtigung der abgegebenen Erklärungen vor dem Schlichter bei Abschluß dieses Vertrages scheint es so zu werden, daß sich beide Parteien, die hier Neuland betreten haben, wirklich bemühen werden, dem neuen Gedanken zum Siege zu verhelfen [...] es gelang, ein derartig kompliziertes, für die Zukunft vielleicht richtunggebendes Werk zustande zu bringen.

Im Jahre 1927 schrieb "Der Textil-Arbeiter" zu dieser Frage noch folgendes:

Die Konzernleitung hat nur in ihren Betrieben, in denen der von ihr genannte Leistungslohn eingeführt ist, eine erhöhte Leistung herausbringen wollen, das heißt, sie wollte die Arbeitskraft des einzelnen bis zur Erschöpfung ausnutzen. Aus diesem Grunde hat sie auf die jeweiligen höchsten Leistungssätze, die vorhanden waren, hochbestimmte Sondervergütungen gebracht, die als Belohnung für diese über die Höchstleistung hinausgehende Leistung gedacht waren.

Die Unternehmer wollen mit dem Leistungslohn eine noch stärkere Ausbeutung erreichen. Sie wollen verhindern, daß die Arbeiter ein oder zwei Minuten Pause machen, sie sollen in den neun Stunden und mehr arbeiten wie eine Maschine. Wenn dieses System des Leistungslohns überall durchgeführt wird, wird eine große Änderung im Produktionssystem eintreten. Es wird ein großer Unterschied gemacht werden zwischen gesunden und ungesunden Menschen, zwischen jüngeren und älteren Arbeitern usw. Diese Tatsache hat eine große Bedeutung nicht nur für Deutschland, sondern auch im internationalen Maßstabe. Gerade in der heutigen Situation ist es von höchster Wichtigkeit, daß wir die Arbeitermassen in den aktiven, rücksichtslosen Kampf gegen die kapitalistische Rationalisierung führen. Darum messen wir auch den zwischentariflichen Lohnkämpfen so große Bedeutung bei. Diese zwischentariflichen Kämpfe sind ein direkter Angriff auf die langfristigen Tarifverträge und das staatliche Schlichtungswesen. Sie erschüttern und durchbrechen dieses System. Bei allen diesen Kämpfen, die ich hier skizziert habe, zeigt sich deutlich, daß sie überall, fast ohne Ausnahme, die Grenzen des einfachen Lohnkampfes übersteigen, daß diese ökonomischen Kämpfe einen politischen Charakter tragen und sich zu politischen Streiks entwickeln. Damit komme ich zur Frage der politischen Streiks und des revolutionären Vertrauensmännersystems.

IV. Ökonomische Streiks und politische Massenkämpfe in Verbindung mit dem revolutionären Vertrauensmännersystem

Die Grundzüge der Streiks, ihre Verwandlung in politische Massenkämpfe

Wie können wir die ökonomischen Aktionen zu politischen Aktionen steigern und umgekehrt der politischen revolutionären Aktion die breite ökonomische Grundlage geben, um möglichst viel Arbeiter in den Kampf einzureihen? Natürlich ist diese Aufgabe das schwierigste taktische Problem der gegenwärtigen Kampfetappe. Lenin maß dem Streiksystem eine ungeheure Bedeutung bei. Niemand hat in der russischen Arbeiterbewegung die Streikstatistik und die Wechselbeziehungen zwischen wirtschaftlichen und politischen Streiks so aufmerksam studiert wie Lenin.

Er schrieb im Jahre 1905 darüber folgendes[10]:

Es ist heute ganz offensichtlich, welches eigentlich die Wechselbeziehungen zwischen wirtschaftlichem und politischem Streik sind: Ohne ihre enge Verbindung ist eine wirklich breite, eine wirkliche Klassenbewegung unmöglich; die konkrete Form dieser Verbindung aber besteht einerseits darin, daß zu Beginn der Bewegung und bei der Einbeziehung neuer Schichten in die Bewegung der rein wirtschaftliche Streik die dominierende Rolle spielt, während andererseits der politische Streik die Rückständigen weckt und in Bewegung bringt, die Bewegung verallgemeinert und ausdehnt und sie auf eine höhere Stufe hebt.

Haben wir nicht heute schon einige solcher Tatsachen der revolutionären Streikbewegung?

Ich habe schon von der gewaltigen Streikwelle in Frankreich gesprochen. Die Wechselbeziehung zwischen ökonomischen und politischen Kämpfen kam in der letzten Zeit gerade in Frankreich sehr scharf zum Ausdruck. Bei dem Bauarbeiterstreik in Paris zum Beispiel, an dem sich 20 000 Bauarbeiter beteiligten, wurden politische Forderungen auf Freilassung der beiden verhafteten Sekretäre des Verbandes und zwei anderen inhaftierten Genossen der französischen Partei gestellt. Die Bauarbeiter demonstrierten auf der Straße für diese politischen Forderungen, und der Erfolg war auch wirklich, daß die beiden verhafteten Sekretäre von der Polizei freigelassen wurden. Ich habe schon auf verschiedene Streiks hingewiesen, wo neben den ökonomischen Forderungen die Forderung gestellt wurde “Hinweg mit der Gendarmerie, hinweg mit der Polizei!” Wenn solche Forderungen im ökonomischen Kampfe gestellt werden, drücken sie ein bestimmtes politisches Ziel aus. Lenin schrieb nach den großen Ereignissen an der Lena, als er gegen die Liquidatoren in der Bewegung zu kämpfen hatte, unter anderem folgendes:

Der Maistreik dieses Jahres hat, wie eine ganze Reihe von Streiks der letzten anderthalb Jahre in Rußland, revolutionären Charakter zum Unterschied nicht nur von den gewöhnlichen wirtschaftlichen Streiks, sondern auch von den demonstrativen Streiks und solchen politischen Streiks mit Forderungen nach konstitutionellen Reformen, wie zum Beispiel der letzte Streik in Belgien. Diese Eigenart der russischen Streiks, die voll und ganz durch den revolutionären Zustand Rußlands bedingt ist, können Leute durchaus nicht begreifen, die in den Bann der liberalen Weltanschauungen geraten sind und es verlernt haben, die Dinge vom revolutionären Standpunkt zu betrachten.

Wir sehen, daß verschiedene Streiks, die wir jetzt erleben, in den Grundzügen gerade jene Methode aufweisen, von denen Lenin geschrieben hat. Hatten wir nicht schon eine Reihe solcher Streiks? Der heldenmütige Streik der Textilarbeiter in Bombay war ein großer revolutionärer Massenstreik. An ihm waren nicht nur die im Betrieb Beschäftigten beteiligt, sondern auch andere Teile des Proletariats, die in die politische Bewegung hineingetrieben wurden, die sich nicht nur gegen die englischen Imperialisten, sondern auch gegen die nationale Bourgeoisie wandten. Dadurch kam der revolutionäre Charakter des Massenstreiks von Bombay klar zum Ausdruck. Die Vorgänge beim Streik in Lodz haben sich am 1. Mai wiederholt, wo trotz des Verbots und des weißen Terrors des polnischen Faschismus die Massen auf die Straße gegangen sind. Schließlich erinnere ich an die Ereignisse bei den Maivorgängen in Deutschland, über die hier bereits ausführlich gesprochen wurde. Wenn man die Nachkriegsperiode nimmt, so sehen wir beispielsweise klar den Unterschied zwischen dem englischen Bergarbeiterstreik und dem Streik, den wir am 1. August durchführen müssen. Der letzte Streik ist gerade jener Typ eines Streiks, der den Zweck hat, Zehntausende in Bewegung zu bringen und sie zu den revolutionären Aktionen heranzuziehen. Der heutige Massenstreik hat dieselbe Aufgabe, von der seinerzeit Lenin sagte[11]:

Dieses Mittel ist der revolutionäre Streik, der hartnäckige, wiederholte Streik, der von Ort zu Ort, von einem Ende des Landes zum andern überspringt, der Streik, der die Zurückgebliebenen durch den Kampf für die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage mobilisiert, der Streik, der jeden augenfälligen Akt der Vergewaltigung und der Willkür, jedes Verbrechen des Zarismus brandmarkt und geißelt, die Streikdemonstration, die das rote Banner in den Straßen der Großstädte entrollt, die revolutionäre Reden und revolutionäre Losungen in die Menge, in die Volksmassen trägt.

Die politischen revolutionären Massenstreiks sind ein Maßstab des revolutionären Kampfes gegen die imperialistischen Kriegsvorbereitungen und gegen den Imperialismus überhaupt. Was erreichen wir durch die Auslösung der revolutionären Massenstreiks?

Erstens: Die Massen werden sich klar darüber, daß der Staatsapparat und die Reformisten gänzlich im Dienste des Kapitalismus stehen. Wir zerstören die Illusionen, die noch im Proletariat über die Rolle der Sozialdemokratie bestehen. Die Massen erkennen, daß die von den Gewerkschaftsbonzen propagierte Wirtschaftsdemokratie nur dazu dient, die Arbeiterschaft irrezuführen. Sie sehen, daß sie in der Republik mit den Sozialdemokraten in der Regierung genauso unterdrückt werden wie unter der Monarchie, und das zerstört den Nebel der Illusionen, der sie noch umfangen hält. Auch in der Frage der Kriegsgefahr, in der Frage der sogenannten Vaterlandsverteidigung erkennt die Arbeiterschaft die wirkliche Situation.

Zweitens: Wir erziehen die Massen zum Bewußtsein ihrer eigenen Kraft. Hierzu möchte ich ebenfalls einige Sätze aus dem Referat Lenins anführen, das er in einer Jugendversammlung in Zürich über die russische Revolution von 1905 hielt. Er sagte darin[12]:

Die wirkliche Erziehung der Massen kann niemals getrennt, außerhalb vom selbständigen politischen und besonders revolutionären Kampfe der Masse selbst geschehen. Erst der Kampf erzieht die ausgebeutete Klasse, erst der Kampf gibt ihr das Maß ihrer Kräfte, erweitert ihren Horizont, steigert ihre Fähigkeit, klärt ihren Verstand auf, hämmert ihren Willen.

Das, was Lenin damals gesagt hat, trifft auch für die heutigen Massenkämpfe zu. Die Illusionen in den Massen werden beseitigt im Kampf, und dadurch erhalten wir die neue Grundlage, um das Proletariat erziehen zu können, seine revolutionären Aufgaben zu erfüllen. Wie erfüllen wir sie mit Vertrauen zur Kommunistischen Partei und zur revolutionären Gewerkschaftsopposition sowie zur roten Gewerkschaft? Haben wir schon jetzt das Vertrauen der Mehrheit der Arbeitermassen? Nein! Erst in den Kämpfen werden die Massen dieses Vertrauen zu uns und unserer Führung bekommen. Revolutionäre Streiks sind die wichtigste Waffe bei der Eroberung der Mehrheit.

Drittens: In den jetzigen Kämpfen, im politischen Massenstreik schließen wir die rückständigen Schichten des Proletariats viel enger mit den klassenbewußten fortschrittlichen Elementen zusammen und erhalten so eine geschlossene Kampffront.

Viertens: Wir organisieren die Massen durch eigene Kampforgane, durch die Entfaltung ihrer Selbsttätigkeit, durch die Schaffung des revolutionären Vertrauensmännersystems.

Damit komme ich zu dieser speziellen Aufgabe, an deren Lösung wir jetzt in Deutschland herangehen. Ich möchte im voraus die Bemerkung machen, daß die Durchführung einer solchen Mobilisierung und Organisierung in einigen unserer Parteien sehr schwierig sein wird, daß die Möglichkeit eintreten kann, daß wir verschiedentlich rückständige Tendenzen zu verzeichnen haben, wo die Massen es nicht sofort verstehen, das Mittel des politischen Kampfes anzuwenden. Auf Grund dieser rückständigen Tendenzen, die an einigen Stellen möglich und wahrscheinlich sind, ist es notwendig, daß wir um so größere Klarheit in unseren eigenen Reihen schaffen. Wir müssen dazu übergehen, uns in allen Parteien mit dieser Frage zu befassen, genau wie wir das in Deutschland getan haben, als wir zu der Frage des revolutionären Vertrauensmännersystems kamen.

Wir haben in den Betrieben erstens die Betriebszellen, zweitens die revolutionäre Gewerkschaftsopposition und drittens die Betriebsräte, die andere Funktionen im Betrieb zu erfüllen haben als die Betriebszelle und die Gewerkschaftsopposition. Aber wir müssen eine andere Grundlage haben, wodurch wir zu jeder Zeit, wo der Klassenfeind versucht, über die Arbeiter herzufallen, imstande sind, Massenaktionen auszulösen, mit deren Hilfe wir die Massen der Arbeiterschaft für die revolutionäre Linie mobilisieren können. Wenn wir uns das Ziel der Entwicklung der ökonomischen und politischen Streiks und zugleich der revolutionären Massenstreiks stellen, ist es klar, daß es nicht nur darauf ankommt, die richtige politische Linie durchzuführen, sondern, daß es notwendig ist, ein System, eine Organisation zu schaffen, mit der wir imstande sind, den Werkfaschismus, die christlichen und die gelben Gewerkschaftsverbände, die sozialfaschistische Bürokratie und ihr sozialdemokratisches Vertrauensmännernetz in den Betrieben zu schlagen.

Das revolutionäre Vertrauensmännersystem

Wir müssen dem wachsenden Vertrauen der Massen zur kommunistischen Bewegung und zur revolutionären Gewerkschaftsopposition entsprechend neue organisatorische Formen schaffen. Was bedeutet revolutionäres Vertrauensmännersystem? Wir sagen ausdrücklich revolutionäres Vertrauensmännersystem, weil es kein Partei-Vertrauensmännersystem ist, das nur aus organisierten Kommunisten bestehen würde. Das ist nicht der Zweck unseres Kampfes um die Klasseneinheit. Wir kämpfen um die gesamten Massen des Proletariats. Um die Massen zur Selbstinitiative und Selbsttätigkeit zu entwickeln, ist es notwendig, auch parteilose und ehrliche sozialdemokratische Arbeiter - die das Vertrauen der revolutionären Arbeiter in der Belegschaft besitzen - in dieses Vertrauensmännernetz in den Betrieben hineinzubringen.

Die Sozialdemokratie geht bereits ihrerseits dazu über, sich überall ein Vertrauensmännersystem zu schaffen. In Hamburg zum Beispiel hat sie in den Betrieben ein solches System bereits jahrelang für ihre Partei. Die Berliner SPD annoncierte kürzlich im "Vorwärts", daß drei Sekretäre zur besonderen “Bearbeitung” der Betriebe gesucht werden. Wir haben auch in anderen Großstädten Deutschlands die stärkere Orientierung der Sozialdemokratie auf die Großbetriebe festgestellt. Das zeigt, daß die Sozialdemokratie, obwohl sie keineswegs unsere Maßnahmen verhindern kann, versucht, unsere Betriebsarbeit zu bekämpfen und zu erschweren. Trotz dieser Gegenattacke der Reformisten, trotz der Einschüchterungsversuche des Unternehmertums hatten wir bereits seit dem Weddinger Parteitag erhebliche Erfolge beim Aufbau des revolutionären Vertrauensmännersystems. Es gelang uns, im Verlaufe von zwei bis drei Monaten ein solches Netz in einigen Großbetrieben zu schaffen, das sich in der Arbeiterbewegung eingelebt und das Mitbestimmungsrecht der Massen entwickelt hat. Ein solches Vertrauensmännersystem in den Abteilungen gibt den Arbeitern auch die Möglichkeit, ihre gewählten Vertrauensmänner ständig zu kontrollieren. Wir hatten bereits Fälle, wo die Vertrauensmänner, weil sie ihre Pflicht nicht erfüllten, von der Belegschaft ihrer Abteilung abgesetzt wurden.

Das revolutionäre Vertrauensmännersystem wird auch eine starke Stütze unserer bolschewistischen Streiktaktik werden. Die Streikkampagne ist eine politische Kampagne. Die politische Aufgabe hat uns zugleich eine organisatorische Aufgabe gestellt. Wir können diese Streikkampagnen in den Betrieben nur dann führen, wenn wir eine bestimmte politische und organisatorische Grundlage in allen Zweigen der Großbetriebe haben. Gerade das ist die Funktion des Vertrauensmännersystems. Gehen wir einen Schritt weiter. Wenn wir diese Politik durchsetzen, dann wird dieser Vertrauensmännerkörper im Falle der Illegalität unserer Parteien eine außerordentlich große Rolle spielen. Bei steigender Kriegsgefahr, beim Ausbruch des Krieges und für die Umwandlung des Krieges in den Bürgerkrieg ist der Betrieb der entscheidende Ausgangspunkt.

V. Der Kampf gegen die Rechtsabweichungen und die wichtigsten internationalen Aufgaben der kommunistischen Parteien

Die Gruppe Jaglom-Tomski der KPdSU(B)

Wir dürfen ohne Übertreibung sagen: Seit dem IV. RGI-Kongreß und dem VI. Weltkongreß haben wir große, überraschende Erfolge zu verzeichnen. Aber prüfen wir ebenfalls die nicht zu leugnende Tatsache, daß die Beschlüsse des IV. RGI-Kongresses und des VI. Weltkongresses viel zu mangelhaft und zum Teil schlecht in unseren Parteien durchgeführt wurden. Diese große Wendung, die neue Strategie des politischen Lebens, war eine große Schule unserer gesamtpolitischen Arbeit. Zum ersten Male durchbrachen wir mit größeren Massenbewegungen die sozialdemokratischen Traditionen in der Arbeiterbewegung auf allen Gebieten. Es war keine leichte Aufgabe, die neue Taktik durchzuführen. Unsere Kader waren schwerfällig, sie waren teilweise noch von den Pulvergasen der sozialdemokratischen Tradition umgeben, und wir mußten sie zuerst von diesem Nebel befreien. Bestimmte Teile unserer Parteien leisteten des öfteren Widerstand bei der Durchführung der neuen Taktik und sabotierten die Beschlüsse. Manchmal unbewußt, aber sehr oft trat auch eine stille Sabotage zutage.

Selbst in der führenden Partei der Kommunistischen Internationale, in der KPdSU(B), traten diese rechten Auffassungen auf gewerkschaftlich-politischem Gebiet sehr stark in Erscheinung. In der KPdSU(B) zeigte sich der rechte Flügel sehr stark im Zentralrat der Gewerkschaften. Er wollte die KPdSU(B) in der Durchführung der sozialistischen Industrialisierung hemmen. Wir haben gesehen, daß einige Mitglieder des Zentralrates auch auf internationalem Gebiet die Parteien in der Durchführung der Beschlüsse des IV. RGI-Kongresses hemmten. Die allgemeine opportunistische Passivität der Rechten und Versöhnler - wie sie in ihrem Unverständnis in der Frage der Entfaltung der Selbstkritik zum Ausdruck kommt, in den großen Hemmungen, die sie in der Frage des Kampfes um die Hebung der Produktivität hatten, in der Frage des sozialistischen Wettbewerbes, in der ganzen Entwicklung der sozialistischen Industrialisierung in der Sowjetunion, in der Überwindung der kleinbürgerlichen Stimmungen der rück-ständigen Schichten, die aus dem Dorfe in die Stadt kommen - versuchten sie auch, in die anderen Parteien hineinzutragen. Die Gruppe Jaglom-Tomski hatte ihre Fraktionsfäden bis in alle Parteien, besonders in die deutsche Partei gesponnen.

Nehmen wir nur die großen Schwierigkeiten, die wir in Deutschland mit der Zeitschrift "Einheit" unter der Führung des jetzt ausgeschlossenen Siewert und seiner Freunde, die lange Jahre an der Spitze dieser Bewegung standen, hatten. Tomski und Jaglom stimmten mit Siewert und seinen Freunden überein. Wir hatten große Differenzen mit der Führung der "Einheit" bei der Durchführung einer wirklich revolutionären Einheitsbewegung. Wir haben fortwährend versucht, durch Gewinnung und Heranziehung von Arbeitern zur Mitarbeit den politischen Kurs der "Einheit" zu ändern. Wir haben es auch auf organisatorischem Gebiet versucht. Wir stießen aber dabei dauernd auf einen erbitterten opportunistischen Widerstand dieser Gruppierungen. Die Grundfragen des prinzipiellen Kampfes zwischen Kommunisten und Reformisten wurden in der "Einheit" systematisch verwischt. Anstatt die Einheitsbewegung vom Standpunkt des Bolschewismus zu fördern, gab es solche Tendenzen, die entsetzliche Spaltung in der Arbeiterklasse sei das Unglück der Arbeiterbewegung. Oder wie es bei dem jetzigen Renegaten Walcher sogar der Fall war, der die Verschmelzung der RGI mit Amsterdam forderte.

Solche durch und durch opportunistischen, offen liquidatorischen Tendenzen wurden sehr oft von dem führenden Flügel im Zentralrat der Gewerkschaften der Sowjetunion unterstützt.

Hemmnisse bei der Durchführung der revolutionären Gewerkschaftstaktik

Wir können sagen, daß wir bei der Durchführung unserer gewerkschaftspolitischen Arbeit ein großes Stück vorwärtsgekommen sind. Die Liquidatoren sind bereits zum größten Teil aus der Komintern ausgeschlossen, und wenn die Gruppe der Versöhnler in der Internationale ihre Politik nicht ändert, geht sie immer rascher demselben Schicksal entgegen, weil die Politik der Komintern unversöhnlich durchgeführt wird, weil unsere revolutionäre Linie des Klassenkampfes auch in unserem innerparteilichen Kurs rücksichtslos zur Geltung kommt. Unsere Arbeit wurde durch die opportunistischen Gruppierungen in unseren eigenen Reihen gehemmt und gehindert. Die rechten Auffassungen, auch wenn sie nicht sofort in der Form von Gruppierungen zum Ausdruck kamen, lähmten den Offensivgeist der Partei bei der Durchführung ihrer revolutionären Politik. Daneben waren auch große Schwankungen in den Reihen der Mehrheit vorhanden. Ein Teil der Genossen hat mit zu langem Zögern erst langsam die richtigen Schritte und Kampfmaßnahmen durchgeführt, die in der Linie des VI. Weltkongresses und des IV. RGI-Kongresses lagen. Heute können wir die Tatsache feststellen, daß diese Schwankungen zum großen Teil beseitigt sind. Es besteht schon größere Klarheit über die Probleme. Der Widerstand in den eigenen Reihen ist nicht mehr so groß, aber immerhin noch stark genug, um uns bei der Durchführung der Beschlüsse zu schaden. Das ist kurz skizziert das innere Leben, das sind die Hemmnisse in der Durchführung unserer politischen Arbeit, und es zeigt das Vordringen der praktischen Erkenntnis, daß wir bei der Durchführung unserer großen Aufgaben nicht die Schaffung der richtigen Einheit und inneren Geschlossenheit in der Partei bei einer richtigen revolutionären Linie vergessen dürfen. Im Zusammenhang mit der Klärung und Durchführung der allgemein-politischen Arbeit auf einer höheren Stufe der Entwicklung müssen wir die faulen, opportunistischen Elemente aus unseren Reihen ausstoßen.

Die wichtigsten internationalen Aufgaben

Auf internationalem Gebiete haben wir folgende Hauptaufgaben:

1. Auslösung und wirklich selbständige Führung von Wirtschaftskämpfen.

2. Schärfster Kampf gegen die kapitalistische Rationalisierung und stärkste Popularisierung des immer weiter fortschreitenden Erfolges der sozialistischen Industrialisierung in der Sowjetunion. Diese Frage spielt eine große Rolle in unserer Agitation in der ganzen Welt. Unsere Aufgabe ist, die Herrschaft der Bourgeoisie in allen kapitalistischen Ländern zu vernichten. Wenn wir nicht imstande sind, die Arbeiterklasse zu überzeugen, daß wir ein besseres System an die Stelle des alten kapitalistischen Systems setzen können, werden wir sie nicht dafür gewinnen.

Haben wir solche Möglichkeiten zur Ausnützung der Erfolge einer proletarischen Diktatur? Ich glaube, gerade die Entwicklung des sozialistischen Aufbaus in der Sowjetunion, ihr Vorwärtsstürmen in der Periode der sozialistischen Industrialisierung, die Tatsache der Einführung des Siebenstundentages in den wichtigsten Industriezweigen der Sowjetunion, die Tatsache, daß das materielle und kulturelle Leben der Arbeiterklasse in der Sowjetunion sich ständig hebt, während in den kapitalistischen Ländern neue reaktionäre Methoden der Unterdrückung auf allen Gebieten gegen die Arbeiterklasse angewandt werden haben wir viel zu-wenig in der Agitation und auch in den Gewerkschaften ausgenutzt.

3. Politisierung der Wirtschaftskämpfe und der Forderungen, Ausbreitung der politischen Massenkämpfe.

4. Schaffung von Einheitsfrontorganen zur organisatorischen und politischen Festigung unserer revolutionären Massenbasis, die von der Arbeiterklasse selbst gewählt werden.

5. Stärkere Konzentration auf den Auf- und Ausbau der Betriebszellen.

6. Verstärkung unserer revolutionären Arbeit in den Gewerkschaften.

7. Zerstörung des Einflusses des reformistischen Gewerkschaftsapparates, Verstärkung der Position der roten Gewerkschaften in den Ländern mit gespaltener Gewerkschaftsbewegung.

8. Stärkste Politisierung und Erweiterung des Einflusses der roten Betriebsräte.

9. Größere Internationalisierung unserer Arbeit und Unterstützung der kolonialen Bewegung in der ganzen Welt.

10. Größere Aufmerksamkeit der Unterstützung der großen Erwerbslosenarmee, Aufmerksamkeit in der Hinsicht, daß wir die ständige Erwerbslosenarmee in die geschlossene Klassenfront des kämpfenden Gesamtproletariats einbeziehen.

Alle diese Aufgaben sind mit der allseitigen Verstärkung der Roten Gewerkschaftsinternationale eng verbunden. In den letzten drei oder vier Jahren war eine solche Tendenz zu verzeichnen, daß wir die Rote Gewerkschaftsinternationale nicht genügend als einen wichtigen Bestandteil neben der Kommunistischen Internationale erkannten. Es gab opportunistische Tendenzen - auf die ich schon hinwies -, die die Bedeutung der RGI neben der Kommunistischen Internationale verneinten. Wenn wir zwei verschiedene Fronten haben, auf der einen Seite die Kommunistische Internationale zusammen mit der RGI, auf der anderen Seite die II. Internationale mit dem IGB, bedeutet das, daß wir nach wie vor den Kampf für die revolutionäre Gewerkschaftseinheit auf der Grundlage des revolutionären Klassenkampfes in der ganzen Welt führen? Ganz gewiß! Unser Ziel ist, die Welt zu erobern und bei diesem unerbittlichen Kampf gegen die Weltbourgeoisie die verschiedenen Positionen des Reformismus zu schwächen und ihn zu vernichten.

Wir stellen uns im Zusammenhang mit dem Kampf für die revolutionäre Gewerkschaftseinheit die Aufgabe der Eroberung der Gewerkschaftsmassen für den Kommunismus, gegen den Sozialfaschismus, gegen die Amsterdamer Internationale. Das ist die Fragestellung des Kampfes um die Hegemonie im Proletariat zwischen Kommunismus und Reformismus in der ganzen Welt.

Wir stehen jetzt, wie Genosse Molotow richtig gesagt hat, am Beginn eines neuen revolutionären Aufschwungs der Massen. Es hängt von unserer Taktik, von unserer revolutionären Initiative und unserer Zähigkeit ab, inwieweit wir diesen revolutionären Aufschwung immer mehr steigern, immer mehr in revolutionäre Massenkämpfe umwandeln, ökonomische und politische Streiks entfesseln, um auf diese Weise die Mehrheit des Proletariats für uns zu gewinnen und sie zu Entscheidungskämpfen um die politische Macht zu führen. Vorübergehende Rückschläge und Teilniederlagen sind unvermeidlich. Wir müssen uns als Aufgabe stellen, in jeder Situation das richtige Kettenglied zu erfassen, das heißt, wir dürfen keine Phase der Entwicklung überspringen, auch um keinen Preis in einem Moment passiv bleiben, wo es notwendig ist, revolutionär einzugreifen. Wenn wir unsere Politik rücksichtslos durchsetzen, wenn wir an unserem Kurs festhalten, wenn wir die Massen mit revolutionärem Kraftbewußtsein erfüllen, wenn wir unsere Taktik mit Offensivgeist und Unversöhnlichkeit anwenden und alle Schwankungen überwinden, dann werden wir in immer rascherem Tempo den Sozialfaschismus schlagen und die proletarischen Streitkräfte für die Eroberung der proletarischen Diktatur, zum Sturz der kapitalistischen Herrschaft siegreich ins Feld führen.

 

 

 

 

 



[1]. Cf. http://www.deutsche-kommunisten.de/Ernst_Thaelmann/Band2/thaelmann-band2-011.shtml.

[2] Gemeint sind die am 12. Januar 1929 begonnenen Verhandlungen zwischen dem reformistischen Generalrat der englischen Trade-Unions und einer kleinen Gruppe von Industriellen, die von dem Chemiemagnaten und Freund der italienischen Faschisten Sir Alfred Mond vertreten wurde. Zweck der Konferenzen war die Schaffung einer “Arbeitsgemeinschaft” zwischen Gewerkschaften und Kapitalisten und die Herstellung eines “Industriefriedens”.

[3]. Der 60. Kongreß der englischen Trade-Unions wurde vom 3. bis 8. September 1928 in Swansea abgehalten. Die reformistische Mehrheit des Kongresses billigte das Prinzip der “Arbeitsgemeinschaft” und ermächtigte den Generalrat, die Verhandlungen mit der Unternehmergruppe Mond weiterzuführen. Der 13. Kongreß des ADGB tagte vom 3. bis 8. September 1928 in Hamburg. Die rechten Gewerkschaftsführer predigten die “Arbeitsgemeinschaft” mit den Unternehmern und propagierten die These, die “Demokratisierung der Wirtschaft” führe zum Sozialismus.

[4]. Sigmund Bosel.

[5]. Arthur J. Cook. Von 1906 bis 1918 hatte er verschiedene elektive Posten in der South Wales Miners' Federation inne. 1920/1921 war er Mitglied der Communist Party of Great Britain. Von 1924 bis zu seinem Tod 1931, war er Generalsekretär der Miners' Federation of Great Britain.

[6]. Albert A. Purcell. 1919 in den Generalrat des Gewerkschaftskongresses gewählt; alljährlich wiedergewählt. Wurde 1924 vom Internationalen Gewerkschaftskongreß (Wien) zum Vorsitzenden gewählt. 1924 Vorsitzender des englischen Gewerkschaftskongresses, stellvertretender Vorsitzender des Generalrats.

[7]. IAH (Abkürzung für Internationale Arbeiterhilfe). Entstand am 12. August 1921 mit der Konstituierung des “Auslandskomitees zur Organisierung der Arbeiterhilfe für Sowjetrußland”, das die internationale Arbeiterbewegung für die Unterstützung der infolge einer ausgedehnten Dürre von Hunger heimgesuchten russischen Arbeiter und Bauern mobilisierte. In der Folgezeit führte die IAH trotz Behinderungsmaßnahmen der kapitalistischen Regierungen und der opportunistischen Arbeiterführer umfangreiche Hilfsaktionen zur Unterstützung der kämpfenden Arbeiter der verschiedenen Länder und zur Milderung der Not der von Naturkatastrophen betroffenen Völker durch.

[8]. "Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, abgehalten in Jena, 14. bis 20. September 1913", S. 291.

[9]. Es handelt sich um die Gebiete Belorußlands, die Sowjetrußland im Interventionskrieg 1920 durch Pilsudski-Polen entrissen wurden. Durch den Friedensvertrag von Riga (20. Oktober 1920) blieben diese Gebiete bei Polen. Sie wurden erst 1939 wieder befreit.

[10]. W. I. Lenin: Werke, 4. Ausgabe, Band 16, S. 381, russ.

[11]. Ebenda, Band 18, S. 446, russ.

[12]. W. I. Lenin: "Ein Vortrag über die Revolution von 1905", S. 9.