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Ernst Thälmann

12. Parteitag der Kommunistischen Partei Deutschlands:
Schlußwort

14. Juni 1929

 

 

Quelle:

Protokoll der Verhandlungen des 12. Parteitags der Kommunistischen Partei Deutschlands (Sektion der Kommunistischen Internationale), Berlin-Wedding, 9. bis 16. Juni 1929. S. 409‑426.

Andere Quelle:

Ernst Thälmann: Reden und Aufsätze zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung - Band 2 - November 1928‑September 1930. Berlin, Dietz, 1956[1].

 

 

 

 

 

 

Erstellt: Januar 2013

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KPD 1918-1945 - Inhalt

 

 

 

 

 

 

Genossen! Es kann nicht meine Aufgabe sein, auf alle Einzelheiten, Anregungen, Verbesserungen in unserer Arbeit, auf jede Kritik, die an der Tätigkeit der Partei von dem Parteitag, von den einzelnen Diskussionsrednern geübt wurde, einzugehen. Ich glaube aber, man muß aus dem Gesamtkomplex der Fragen diejenigen Grundfragen herausschälen, die auf der einen Seite in der gesamten Diskussion eine Rolle gespielt haben und zu gleicher Zeit das pulsierende Leben und Treiben der Partei in ihrer großen Vorwärtsentwicklung mit all ihren inneren Schwächen, Fehlern und Mängeln widerspiegeln und auf der anderen Seite jene Probleme behandeln, auf die ich im Referat hingewiesen habe, die aber in der gesamten Diskussion zu kurzgekommen sind. In der gesamten Diskussion zeigte sich die politische Zustimmung zu jenen Problemen, die in beiden Referaten gestellt wurden. Weil ein großer Teil Genossen aus den Betrieben von der Tribüne des Parteitages sprach, war insbesondere zu verzeichnen, daß die Fragen in konkreter Weise gestellt wurden. Der Gesamteindruck der Diskussion ist ferner, daß sie die Reife der Partei und das Bewußtsein ihrer Aufgaben widerspiegelt, daß sie die Probleme auf einer einheitlichen Grundlage stellt. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß einzelne Genossen in unserer Partei, die mit der parteitaktischen, mit der innerparteilichen Linie nicht einverstanden sind, diese Entwicklung der Partei nicht verstehen. Aber vergleichen wir die Diskussion des Magdeburger Parteitages einer Partei, die eine Tradition von Jahrzehnten hinter sich hat; prüfen wir die dort gehaltenen Reden der sogenannten großen Männer des deutschen Staates und anderer Institutionen, die mit dem bürgerlicher Staat verbunden sind. Auf welchem Niveau stand diese Diskussion im Vergleich zu der Diskussion auf unserem Parteitag, wir die Arbeiter aus den wichtigsten Betrieben, aus allen Teilen Deutschlands die Probleme des revolutionären Klassenkampfes erörterten. Außerdem ist hervorzuheben, daß fast alle Diskussionsredner ihre Zustimmung zu der in den Referaten zum Ausdruck gekommenen Linie gaben. Nur bei der Behandlung der innerparteilichen Probleme zeigten sich einige abweichende Meinungen eines einzigen Genossen, auf dessen Argumente ich noch später bei der Behandlung der Stellung der Versöhnler und des Dokumentes, das sie dem Parteitag überreicht haben, besonders eingehen werde.

Die letzte Diskussion zum Referat des Genossen Remmele über die imperialistische Kriegsgefahr, über die Verteidigung der Sowjetunion, das heißt den Kampf gegen den eigenen Imperialismus und Sozialfaschismus, hat uns klar und deutlich unsere Aufgaben gezeigt. Diese Diskussion zeigte, daß ein großes Interesse in der gesamten Partei für diese Fragen vorhanden ist. Alle Redner haben im Sinne der Resolution zur Kriegsgefahr gesprochen. Ich will nicht näher auf die besonderen Wünsche und die Kritik. die von einzelnen Bezirken geübt worden ist, eingehen. Nur einige Grundgedanken:

Erstens vom strategischen oder, besser gesagt, vom militärstrategischen Standpunkt aus muß das ZK und die gesamte Partei ihre Arbeit in einigen Bezirken, zum Beispiel Oberschlesien, Pommern, Ostpreußen, Wasserkante und Schlesien, unbedingt verstärken. Wenn die Analyse in der Resolution es VI. Weltkongresses und unseres Parteitages richtig ist, daß die imperialistische Kriegsgefahr mit jedem Tag stärker in Erscheinung tritt, daß sich die ganze imperialistische Front zum Kampfe gegen die Sowjetunion rüstet, so ist es klar, daß wir auch diese militärstrategischen Punkte besonders berücksichtigen müssen, daß wir gemeinsam mit den anderen Bezirken dort unsere Arbeit verstärken müssen. Wir glauben also, dem Wunsche des Parteitages zu entsprechen, wenn das ZK auf Grund dieser Diskussion auf diese Bezirke in Zukunft seine besondere Aufmerksamkeit lenkt.

Die zweite Hauptfrage, die in dieser Diskussion zum Ausdruck kam, war die Orientierung unserer Arbeit auf die wichtigsten Großbetriebe der Kriegs- und Rüstungsindustrie. Wir müssen diese Frage von dem Grundsatz der Verbreiterung unserer Arbeit aus stellen, um stärker in die Kriegsindustrie, in die Rüstungsindustrie, in alle Großbetriebe einzudringen, um dort unsere Positionen ‑ die Betriebsräte, die revolutionäre Gewerkschaftsopposition, die revolutionären Vertrauensmänner usw. ‑ zu verstärken. Wie können wir die Antikriegsaufgaben durchführen? In dem Moment, wo der Krieg ausbricht, wird die revolutionäre Klassenfront unter Führung der Kommunistischen Partei durch den Klassenfeind geschwächt, zurückgedrängt und völlig verboten werden. Deshalb ist Voraussetzung unserer gesamten Antikriegsarbeit, daß wir schon jetzt in den wichtigsten Industriezweigen unsere Positionen verstärken. Und der letzte und dritte Grundgedanke war ‑ was Lenin bei allen diesen Fragen als Vorbedingung unserer revolutionären Arbeit gestellt hat ‑, daß wir dazu übergehen müssen, eine illegale Organisation zu schaffen. Genossen! Das ist ungeheuer wichtig, wenn es auch vielleicht in unseren eignen Reihen noch nicht verstanden wird. Ohne Schaffung einer illegalen Organisation mit ihren tausend verschiedenen Zweigen in anderen Organisationen, in den Betrieben, den Massenorganisationen, in den Gewerkschaften, überall dort, wo wir Gelegenheit haben einzudringen, kann die Flamme der Revolution gegen den imperialistischen Krieg nicht entfacht werden, kann der Bürgerkrieg nicht organisiert werden.

Nun zu den Hauptfragen, die von mir im Referat gestellt worden sind. Ich glaube, mit vollem Recht sagen zu können, daß in der ganzen Diskussion folgende Fragen zu kurz kamen:

1. Die Perspektive der Entwicklung im Zusammenhang mit den Maiereignissen,

2. die Maiereignisse selbst oder, besser gesagt, die Analyse der Maiereignisse und

3. die Orientierung der Gesamtpartei auf die Erfassung der Arbeiterinnen, der Jugend und der Landarbeiter.

Das sind die drei Hauptgesichtspunkte, die in der Diskussion viel zu schwach zum Ausdruck kamen. Obwohl der Lügen-"Vorwärts" ironisch von einem Sechstagerennen gesprochen hat, kann ich mit größter Kaltblütigkeit erklären, daß, wenn wir die Probleme der Kommunistischen Partei und der deutschen Arbeiterklasse ganz konkret und in aller Ausführlichkeit hätten behandeln wollen, dann sechs Tage keineswegs genug gewesen wären.

Auch die Frage, warum die Parole des politischen Massenstreiks nicht genügend befolgt wurde, welche Ursachen objektiver und subjektiver Art es waren, wurde nur wenig diskutiert. Aber indem ich solche Probleme stellte, wollte ich die Diskussion anregen. Ich werde später auf sie besonders eingehen. Außerdem wurde die Diskussion zu stark von den innerparteilichen Fragen beherrscht. Manche Redner erklärten, daß das neue Zentralkomitee in seiner Zusammensetzung in der Zukunft die Gewähr für ein höheres Niveau der Partei bieten muß. Das genügt nicht. Es waren sicherlich Fehler in der innerparteilichen Entwicklung von Essen her zu verzeichnen. Mit einer leichtfertigen Handbewegung darüber hinwegzugehen wäre verkehrt. Es ist unrichtig, daß lediglich die Zusammensetzung des ZK die Gewähr dafür gibt, daß in der Partei alles klappt. Die wichtigste Voraussetzung ist eine andere: Unser Aufgabenkreis und unsere Tätigkeit müssen durch eine marxistisch-leninistische Problemstellung beherrscht werden. Sicherlich ist es notwendig, daß das ZK in der gegebenen Situation den einzelnen Bezirken wirklich Material gibt und in die Gesamtentwicklung eingreift. Das genügt aber nicht. Wir brauchen dazu die Durchführung dieser Beschlüsse bei weitestgehender Konkretisierung unserer Tätigkeit entsprechend den in den einzelnen Bezirken gegebenen Verhältnissen. Genossen! Diese wenigen Vorbemerkungen zwingen mich, noch kurz auf einige Probleme einzugehen.

Zunächst müssen wir der Krise des bürgerlichen Regimes eine größere Aufmerksamkeit schenken. Während des Parteitages haben sich Dinge ereignet, die auch in dieser Hinsicht unsere Aufmerksamkeit verlangen. Erstens der Umstand, daß es der deutschen Regierung und dem sozialdemokratischen Finanzminister Hilferding nicht gelang, die 300 Millionen Mark, die sie als Anleihe aufbringen wollten, hereinzubekommen. Für diese Anleihe wurden nach dem Ergebnis, das bis jetzt vorliegt, nur 177 Millionen eingebracht. Was bedeutet das? Das hat verschiedene Ursachen: die Ursache, daß die Finanzoligarchie in Deutschland dazu übergeht, diesem Koalitionsministerium noch größere Schwierigkeiten zu bereiten. Obwohl sie einen höheren Zinsfuß erhalten und von der Steuer befreit sind, sabotieren sie die Anleihen. Auf Grund der vorhandenen Schwierigkeiten verlangen die Finanz- und Industriekapitäne ein noch schärferes System der Ausbeutung und Unterdrückung, fordern sie rücksichtslosen Abbau des Sozialetats, der Arbeitslosenversicherung usw. Sie wollen für die Ärmsten der Armen keine Unterstützung mehr zur Verfügung stellen.

Weitere Tatsachen sind die Rücktrittsdrohungen der Deutschen Volkspartei, die sie auf ihrem Bezirksparteitag in Düsseldorf ausgesprochen hat. Dort wurde von dem Vorsitzenden, Dr. Scholz, erklärt, daß, wenn die Forderungen, die sie stellen, nicht erfüllt werden, der Rücktritt aus der Regierung erfolge. Diese wichtige Partei der Schwerindustrie will auf die Sozialdemokratie einen Druck ausüben, um alle notwendigen sozialen Ausgaben, besonders die Arbeitslosenversicherung, radikal abzubauen. Weiter geht es darum, die Frage der Regierungsteilnahme im Preußenparlament zu regeln, um dort die Konzessionen, die dem Zentrum gemacht wurden, zu kompensieren und an Stelle der Zentrumsleute zwei Vertreter der Deutschen Volkspartei in die preußische Regierung zu bekommen. Die Konkordatsfrage spielt hier in erster Linie mit. Die Deutsche Volkspartei verlangt für die evangelische Kirche noch größere Vergünstigungen. Die Korruptionsskandale, die in der letzten Zeit an die Öffentlichkeit drangen, sind ebenfalls Erscheinungen dieser Fäulnis des bürgerlichen Regimes. Diese wenigen Andeutungen könnte man durch andere Tatsachen ergänzen. Die Vorbereitung zur Erhöhung der Zölle auf alle wichtigen Lebensmittel ist eine Methode, um die Krise in der Landwirtschaft zu überwinden. Wir müssen dies und alle neuen Tatsachen, die gegen die werktätigen Massen gerichtet sind, in unserer Agitation viel stärker ausnützen. Wir bemerken in den alten bürgerlichen Parteien eine solche Entwicklung, daß sie nicht mehr in der alten Weise fortleben wollen. ‑ Auch die Kommunistische Partei hat eine große Wendung in ihrer revolutionären Arbeit und Taktik durchgeführt. ‑ Wir müssen diesen Prozeß in den bürgerlichen Parteien verfolgen. Sie verlangen neue Herrschaftsformen, um die werktätigen Schichten noch besser ausbeuten zu können. Gleichzeitig sehen wir den Radikalisierungsprozeß der Arbeitermassen gegen die sich nach rechts orientierende Führung dieser bürgerlichen Parteien.

Zu den Maiereignissen. Der Vertreter der Exekutive sagte mit Recht, daß durch die Maiereignisse eine höhere politische Stufe erreicht wurde. Die Versöhnler haben in der Diskussion, sowohl durch Genossen Ewert als besonders durch Genossen Meyer, behauptet, daß wir uns durch die Maiereignisse von den Massen isolierten. Meyer sagte sogar in seiner Diskussionsrede, daß die Massenbewegung nicht größer war als am 1. Mai 1916. Was bedeutet das? Das bedeutet, daß Genosse Meyer die Partei vor der Öffentlichkeit zu diskreditieren versucht, obwohl die Tatsachen dagegen sprechen. Hören wir dagegen, was uns ein Berliner Arbeiter, der sich in den Stunden des 1. Mai 1929 unter den revolutionären Massen auf der Straße befand, von der Tribüne des Parteitages gesagt hat: Die Arbeiter gingen nicht von der Straße, sie sammelten sich immer aufs neue und leisteten den heftigsten Widerstand. Die Genossen, die am 1. Mai dabei waren und die Massenbewegung in den Straßen Berlins miterlebten und angesehen haben, sie wissen, wie schwer es für die Polizei war ‑ die doch in Berlin in solchen Dingen Erfahrungen hat und trainiert ist ‑, in den Verwaltungsbezirken und an den Knotenpunkten des Verkehrs die Massen zu vertreiben und sie zurückzuschlagen. Es gab sogar Stunden, wo die Berliner Polizei die Gefahr des Angriffs der revolutionären Massen so einschätzte, daß sie ihre ganze Taktik der Säuberung der Straßen aufgab und die Polizeiabteilungen aus den Arbeitervierteln zurückziehen wollte. In einem Polizeibericht wurde das offen ausgesprochen.

Wenn in diesem Maikampf eine solche Situation entstand, daß die verschiedenen Formationen der Polizei nicht mehr ausreichten, um die Massenmobilisierung zu unterdrücken, noch dazu, wo sie die aggressivsten und blutigsten Methoden anwandte, ist das nicht der deutlichste Beweis gegen die nur auf Lüge aufgebauten Ausführungen des Genossen Meyer? Warum ging die Polizei dazu über, solche bestialischen Formen des Kampfes gegen die Massen anzuwenden? Etwa nur aus dem Grunde, weil besondere Anweisungen von Zörgiebel ergangen waren, mit aller Kraft gegen das Proletariat und gegen diejenigen, die sich in den Straßen angesammelt hatten, vorzugehen? Nein, Genossen! Auch andere Tatsachen haben bei diesen Ereignissen eine große Rolle gespielt: die Empörung der Massen, ihr steigender Widerstand, ihre Geschlossenheit, auch am 1. Mai dem Rufe der Partei zu folgen, trotz Verbotes zu demonstrieren. Das war es, was die Polizei zwang, ihre Maßnahmen aufs höchste zu steigern, um den revolutionären Elan der Massen zu unterdrücken. Wer diese Kämpfe der Massen an den verschiedenen Punkten der Stadt miterlebt hat, muß sich fragen: Ging es etwa nur um die Barrikaden, die im Wedding und in Neukölln aufgebaut wurden? Nein, Genossen! An verschiedenen anderen Punkten waren bereits in den Morgenstunden Barrikaden errichtet. So wurden in der Nähe des Schlesischen Bahnhofs bereits um 11 Uhr vormittags Barrikaden gebaut. Die Polizei mußte sie “abbauen”, aber im Verlaufe von einigen Stunden hatten sich bereits wieder neue Barrikaden in den verschiedensten Straßen, besonders in der Friedenstraße, gezeigt. Warum konnte die Polizei mit ihren Panzerautos an den Stellen, wo die Barrikaden gebaut wurden, nicht bleiben? Weil sie abberufen wurde, weil die zur Verfügung stehenden Autos nicht ausreichten, um die an vielen Stellen neu aufflammenden Massenversammlungen zu unterdrücken. An einigen Stellen wurden dann wieder Barrikaden gebaut. Wer will behaupten, und das ist das Allerwichtigste ‑ wenn auch große organisatorische, propagandistische und vielleicht auch politische Mängel bei der Vorbereitung zum 1. Mai seitens der Führung der Partei in Berlin vorhanden wären ‑, daß die Massen dem Rufe der Partei, auf die Straße zu gehen, trotz aller Einschüchterungsversuche und Drohungen seitens bürgerlichen und der sozialdemokratischen Presse, nicht gefolgt sind?

Das ist das besonders Bemerkenswerte, daß diese Kämpfe eine ganz andere Grundlage hatten als die früheren Kämpfe. Das mußten selbst bürgerliche Zeitungen zugeben. Ich will hierzu einen Artikel der "Frankfurter Zeitung" anführen, der einige wichtige Tatsachen so wiedergibt, wie sie sich abgespielt haben. Die "Frankfurter Zeitung" schreibt in einem Leitartikel, "Über die deutsche Kerenski-Epoche", folgendes:

Bei nüchterner Beurteilung der Ereignisse und ihres Ergebnisses muß man sagen, daß dies alles der Kommunistischen Partei einigermaßen gelungen ist, zum Teil in einem Maße, das sie wahrscheinlich selber nicht erwartet hat; denn sie wird schwerlich damit gerechnet haben, daß sie oder Leute, die sich nun in ihr Gefolge begaben, drei oder vier Tage lang Revolution spielen könnten. Demnach muß die Niederlage an einem anderen Punkt zu suchen sein.

Die törichte Barrikadenspielerei ist natürlich unterdrückt worden, aber es läßt sich nicht bestreiten, daß Herr Zörgiebel und diejenigen, die hinter ihm stehen, es sind, die eine Niederlage erlitten haben.

Genossen! Das ist die Meinung einer bürgerlichen Zeitung! Welcher Gegensatz zu der lügenhaften Behauptung, die Genosse Meyer hier aufstellte.

Wir müssen in diesem Zusammenhang auch völlige Klarheit darüber schaffen, warum die Barrikadenkämpfe von uns als spontane Teilaufstände bezeichnet wurden. Nehmen wir den Charakter des Kampfes am 1. Mai. Welches sind die besonderen Merkmale dieser Massenbewegung? Sie bestehen darin, daß die Massen des Berliner Proletariats mehr oder weniger organisierten Widerstand gegen die Polizeigewalt leisteten, daß sie sich mehr oder weniger gegen die bürgerliche Staatsordnung auflehnten. Natürlich sind das erst Anfänge. Wenn die bürgerliche Staatsgewalt dem Proletariat die Straße verbietet, wenn sie ihren gesamten Machtapparat einsetzt, wenn die Massen aber dem Rufe der Kommunistischen Partei, auf der Straße zu demonstrieren, trotz der Verbote folgten, dann sind das die ersten Keime ‑ und weit mehr als Keime ‑ des Widerstandes gegen die bürgerliche Staatsordnung. Dieser Widerstand gegen die Staatsgewalt als Ausdruck der Empörung und Erregung der Massen führte dazu, daß im roten Wedding und in Neukölln die Arbeiter dazu übergingen, Barrikaden zu bauen. Natürlich mußten der ganze Kampf und die ganze Bewegung noch einen sehr ungleichmäßigen Charakter tragen. Die ganze Bewegung war mit vielen Fehlern und Schwächen behaftet. In unserer Kritik über die Maiereignisse stellen wir das sehr scharf fest.

Aber, was ist das Wichtigste bei diesen Maiereignissen, wenn wir die Kämpfe als spontane Teilaufstände bezeichnen? Das Wichtigste ist, daß ein großer Teil des Berliner Proletariats ‑ und vielleicht in keiner Situation ist es so deutlich zum Ausdruck gekommen, wie ich auch gestern unter Beifall der zehntausend demonstrierenden Arbeiter im Wedding sagen konnte ‑, daß die Massen diszipliniert den Weisungen der Partei folgten, als sie aufrief, den Kampf nicht weiter fortzuführen. Im Jahre 1921, als es in der Märzaktion die Bourgeoisie mit ihrem Gewaltapparat und mit Hilfe der sozialdemokratischen Führer fertigbrachte, die Besten der Besten zu meucheln, da war das nicht möglich, weil auch die Partei nicht reif genug war, weil sie die Probleme der Massenmobilisierung nicht richtig gestellt hatte, weil sie später auf dem III. Weltkongreß erst, besonders durch Lenin und die dort gefaßten Beschlüsse in der deutschen Frage, belehrt werden mußte. Damals konnten wir nicht verhindern, daß der Bourgeoisie ihr großer Provokationsplan gelang und sie den heroischen Aufstand der erbittert Kämpfenden in Mitteldeutschland blutig niederschlug. Diesmal hat die Partei von erster Stunde an, zwar unter anderen objektiven Verhältnissen, völlige Solidarität mit den Berliner Barrikadenkämpfern geübt und sie durch den politischen Massenstreik tatkräftig zu unterstützen versucht. Aber in dem Moment, wo die Partei erkannte, daß die Frage des bewaffneten Aufstandes nicht auf der Tagesordnung stand, rief sie in ihrem Aufruf die Massen zurück, damit sie nicht unnütz verbluteten. Die Massen folgten diesem Aufruf der Partei und unterwarfen sich der revolutionären Disziplin, die das Grundgesetz der revolutionären Bewegung ist.

Das ist eines der wichtigsten Ergebnisse des 1. Mai. Massen zum Kampf aufzurufen ist manchmal leichter, als die Massen in einer Situation zurückzuholen, wo die Stimmungen selbst gegenüber der Partei so stark sind, daß man den Mut besitzen muß, die Massen zurückzurufen, um sie später in der gegebenen Situation in einen bewaffneten Aufstand zu führen.

Die Kommunistische Partei sagte vor dem 1. Mai und während der Maikämpfe, daß die Zeit des bewaffneten Aufstandes noch nicht gekommen sei. Sie sagte, daß objektiv keine revolutionäre Situation vorhanden war. Die Versöhnler haben in ihrer Diskussion behauptet, daß die Partei eine verkehrte Taktik angewandt habe; sie sagten, wir hätten in die Gewerkschaftsversammlungen gehen müssen. Es war ‑ glaube ich ‑ Genosse Lüttich, der hier in einer ganz unglücklichen Form mit diesem “Argument” operierte. Genosse Meyer wollte dann, um gegen die Taktik der Partei aufzutreten, in einer etwas geschickteren Weise zeigen, daß die politischen Massenstreiks nur bei den Bauarbeitern, Tabakarbeitern, Rohrlegern und bei den Schuhmachern gelungen sind. Die Ursache liege ausschließlich darin, daß wir dort die Gewerkschaften in der Hand haben und die Massen deswegen die Parole des politischen Massenstreiks befolgten.

Nun, man kann schon Tatsachen anführen, die dem widersprechen, was Genosse Meyer gesagt hat. Nehmen wir nur die Rohrleger in Berlin, die Berufsgruppen wie die Schuhmacher und die Bauarbeiter. In diesen Gruppen ist natürlich ein Streik viel leichter als in der Großindustrie, in Großbetrieben. Das heißt keineswegs, daß wir als Partei nicht verpflichtet sind, diese Tatsachen besonders zu berücksichtigen und die Methoden unserer Arbeit in den Gewerkschaften zu verändern und zu verbessern. Aber nehmen wir die Metallarbeiter in Berlin. Im Metallarbeiterverband stehen vielleicht 60 Prozent der Mitglieder hinter der revolutionären Gewerkschaftsopposition. Wir haben nicht den Gewerkschaftsapparat in der Hand, mit Ausnahme einiger Branchen, zum Beispiel der Dreher, Rohrleger usw. Aber in der Metallindustrie wurden ‑ obwohl wir dort eine so starke Stimmung und Sympathie für uns haben, für die revolutionäre Gewerkschaftsopposition unter Führung der Kommunistischen Partei ‑ die Parolen des politischen Massenstreiks nicht befolgt. Das widerspricht der Auffassung, die Meyer hier entwickelte. Wir können noch andere Tatsachen anführen, die das ebenfalls beweisen. Im Ruhrgebiet, in Hamburg wurde von denjenigen Berufsgruppen die Parole der Partei befolgt, die an Hand der letzten Entwicklung praktische Erfahrungen im Kampfe gegen die Bourgeoisie errungen haben. Dort, wo wir in den Betrieben Aussperrungen hatten, wo sich Kampfleitungen bildeten, wo Kämpfe gegen die Bourgeoisie und gegen den Sozialfaschismus geführt wurden, zum Beispiel bei den Werftarbeitern in Hamburg, die 14 Wochen im heldenmütigen Kampf gestanden haben, dort wurde die Parole der Kommunistischen Partei befolgt. Es ist eine Tatsache, daß dort, wo wir im Kampfe mit den Massen in den Betrieben verbunden waren, wo die Massen Erfahrungen hatten, die höhere Stufe des Kampfes, der politische Massenstreik, erreicht wurde.

Nehmen wir einmal an, daß wir in die Gewerkschaftsversammlungen gegangen wären. Was war die wichtigste Aufgabe der Partei? Die Aufgabe der Partei war es, an zwei Treffpunkten im Zentrum Berlins eine zentrale Demonstration zu organisieren. Aber daraus ergab sich für uns die weitere Aufgabe, an verschiedenen Punkten der Stadt Teildemonstrationen durchzuführen, um die Kräfte des Klassenfeindes zu verzetteln und in ständiger Bewegung zu halten. Hätten wir die Massen ‑ indem wir von Massen reden, müssen wir die organisierten Kommunisten, die mit der großen Masse verbunden sind, selbstverständlich dazu rechnen ‑ in die Gewerkschaftsversammlungen dirigiert, dann hätten wir diese Massen in den vorbereitenden Stunden der Demonstration am 1. Mai von der Straße entfernt. Eine weitere politische Tatsache kommt hinzu. Wir alle wissen, daß in den Gewerkschaftsversammlungen nur von der Gewerkschaftsbürokratie oder Sozialdemokratie bestimmte Redner sprechen dürfen. Irgendein Genosse der Opposition hätte gar nicht oder nur unter Störung der Versammlung zu Worte kommen können, woraus sich mit bestimmter Sicherheit ergeben hätte, daß wir in diesen Gewerkschaftsversammlungen einen Bruderkampf gehabt hätten zwischen denjenigen, die die Linie des revolutionären Kampfes wollen, und denjenigen, die noch nicht weit genug entwickelt sind, um den Weg der Kommunisten zu gehen. Dieser Bruderkampf, der sich in den Morgenstunden des 1. Mai abgespielt hätte, war das, was Zörgiebel und die Bourgeoisie in Deutschland wollten.

Es ist uns bekannt ‑ und das haben unsere Genossen von der "Roten Fahne" vor Gericht festgestellt, ohne widerlegt zu werden ‑, daß Besprechungen vor dem 1. Mai in der Frage der Aufhebung oder Nichtaufhebung des Demonstrationsverbotes am 1. Mai stattgefunden haben, in denen die Gewerkschaftsführer gefordert haben, das Verbot am 1. Mai unter allen Umständen bestehen zu lassen. Ein solches Zusammenspiel der reformistischen Führer mit der Staatsgewalt läßt keinen Zweifel darüber zu, daß die Pläne dieser Klassenfeinde so vorbereitet waren, um die Kommunisten und die revolutionären Arbeiter zu provozieren. Wir haben uns diese Frage reiflich überlegt. Die Linie der Partei war, Flugblätter an die Massen in den Gewerkschaftsversammlungen zu verteilen. Es ist nicht überall durchgeführt worden, weil viele Genossen in den wichtigsten Verwaltungsbezirken festgehalten wurden, und deswegen sind nur an einigen Punkten, zum Beispiel am Sportpalast, diese Flugblätter verbreitet worden, um die Massen aufzuklären. Aber das, was der Genosse Meyer für die Gruppe der Versöhnler als Kritik angeführt hat, ist ein Beweis ihres völligen Nichtverstehens unserer Taktik am 1. Mai. Die Ursachen, weshalb die Versöhnler solche Forderungen an die Partei stellen und die taktische Linie der Partei bekämpfen, liegen viel tiefer. Diese Tat der Versöhnler ergibt sich prinzipiell daraus, daß sie der Partei überhaupt keine selbständige Aktionskraft zutrauen. Weil sie die Partei als eine selbständige Aktionskraft des öfteren verneinen, weil sie das alte Schema der Taktik, das vor zwei oder drei Jahren noch bestand, aufrechterhalten, deswegen ist ganz klar, daß sie in der Frage des Besuchs der Gewerkschaftsversammlungen mit den Brandleristen übereinstimmen und uns zwingen wollten, am Schwanze der Sozialdemokratie Oppositionspolitik zu machen. Am 1. Mai stand nicht die Frage, am Schwanze der Sozialdemokratie zu marschieren, sondern am 1. Mai stand die selbständige Aktion der Partei gegen die Bourgeoisie und gegen die Zörgiebel-Methoden auf der Tagesordnung.

In diesem Zusammenhang sind auch die Ausführungen des Genossen Ewert zu erwähnen - trotzdem sie keineswegs ernst zu nehmen sind, weil sie nur ein Versuch waren, die Plattform, die die Versöhnler vorlegten, zu verschleiern. Er sagte, daß die Partei ihre "Kräfte überschätzt" hat, daß die Spontaneität der Massen alles überwog usw. Die Argumentation Ewerts beweist noch einmal, wie es schon die Diskussion der letzten Jahre bewiesen hat, daß die Versöhnler immer die Kräfte des Proletariats und der Kommunistischen Partei unterschätzen. Genauso war es am 1. Mai.

Genosse Meyer sagte zum Beispiel, daß Thälmann recht hatte, als er in Essen von den Gewerkschaften sprach als der Arena, auf deren Boden der Kampf zwischen Reformismus und Kommunismus entschieden wird. Natürlich war das richtig; in einem gewissen Sinne trifft es auch für unsere große revolutionäre Arbeit in den Gewerkschaften zu. Aber Genosse Meyer hat den Sinn meiner Worte nicht verstanden. Habe ich umsonst in meinem Referat die Formulierung der politischen Thesen von Essen erwähnt, in denen wir im Zusammenhang mit der ganzen Situation von dem "Defensivcharakter der Kämpfe" sprachen, die zur Zeit des Ausgangs der zweiten Periode sich abgespielt haben? Diese Formulierung entsprach zu gleicher Zeit der Taktik, die in den Essener Thesen niedergelegt wurden. In unserer jetzigen Formulierung sprechen wir aber von Begegnungs-, Durchbruchs- und zum Teil schon von Offensivkämpfen. In dieser Situation sind nicht nur die Gewerkschaften die Arena des Kampfes zwischen Reformismus und Kommunismus, sondern in erster Linie die Betriebe, die Massen der unorganisierten und der organisierten Arbeiter. Das ist der Hauptunterschied gegenüber damals. Die Partei und die revolutionäre Gewerkschaftsopposition müssen in der heutigen Periode viel selbständiger auftreten als in der Zeit des Essener Parteitages. Das taktische und organisatorische Schwergewicht in den Massen ist verschoben; es liegt nicht nur bei der organisierten Arbeiterschaft, sondern das taktische und organisatorische Schwergewicht liegt bei den Massen des Proletariats.

Damit in Verbindung steht auch das System der Arbeit und der Kampfmethoden, die sich ebenfalls verändert haben. In der Diskussion sagte ein Jugendgenosse ganz richtig, daß wir heute von einem System der Arbeit der zweiten Periode und einem System der Arbeit in der dritten Periode sprechen müssen. Natürlich sind andere Kampfformen und Methoden auf Grund der veränderten objektiven Situation notwendig. Eine Partei, die nicht in der Lage ist, in der gegebenen Situation neue Kampfformen zu entwickeln, eine solche Partei wird ihre Pflicht für das Proletariat nicht erfüllen.

Worin besteht die besondere politische Bedeutung der neuen Methoden unserer Arbeit? Das ist die Schärfe der Abgrenzung gegen den Reformismus und die unbedingte Wahrung des revolutionären Gesichts der Partei. Betrachten wir einige wichtige Momente bei der Anwendung unserer Taktik.

Erstens: ihre Anwendung bei den Wirtschaftskämpfen, selbständige Führung der Kämpfe und schärfster Angriff gegen den Reformismus. Früher hätten wir keine Streik- und Kampfleitungen in den Betrieben gewählt, die auf der Grundlage der Klasseneinheit entstanden waren.

Zweitens: die taktische Wendung bei der Durchführung der Betriebsrätewahlen, in denen wir, als wir eigene Listen aufstellten, die Reformisten zwangen, ihren arbeitsgemeinschaftlichen und klassenfeindlichen Charakter zu entlarven.

Nehmen wir weiter die Sachsenwahlen, wo wir keineswegs mehr die Parole der “Duldung” einer sozialdemokratischen Regierung unter bestimmten Bedingungen stellten, sondern im Wahlkampf entschlossen die Frage des Kampfes um die Diktatur des Proletariats aufgerollt haben, ohne noch solche parlamentarischen mit außenparlamentarischen Kämpfen verbundene Forderungen wie vor drei Jahren zu stellen.

Die letzte Frage betrifft unsere Kampfmethode am 1. Mai. Die Genossen Meyer und andere sagten: "Geht in die Gewerkschaftsversammlungen!" Wir haben aber an unserem System neuer Kampfformen der revolutionären Massenpolitik und Arbeit festgehalten.

Wir sollen bei diesen Erfolgen, die wir zu verzeichnen haben, zweifellos bestimmte Rückschläge nicht übersehen. Die Sachsenwahlen haben zum Beispiel ein relativ ungünstiges Resultat gezeigt, obwohl wir auch hier einige Teilerfolge zu verzeichnen hatten. Ich will aus dem Ergebnis der Sachsenwahlen nur zwei Tatsachen herausgreifen: In Meerane und Glauchau zum Beispiel, wo eine außerordentlich starke Textilindustrie ist, haben wir trotz der rückläufigen Entwicklung seit den Wahlen im Jahre 1928 gewaltige Erfolge errungen. Wenn ich mich nicht irre, haben wir über 25 Prozent Stimmen gewonnen. Warum hatten wir in diesen beiden Orten solche Erfolge? Weil wir in diesen beiden Orten während der Textilarbeiterbewegung in den Betrieben Kampfleitungen gebildet hatten. Diese Kampfleitungen, die aufs engste die im Betrieb befindlichen Arbeiter mit uns verbanden, waren die Grundlage der positiven Erfolge bei den Sachsenwahlen. Man kann ohne Übertreibung sagen: Wenn wir überall unsere Taktik richtig angewandt hätten, wären die politischen Erfolge der Partei noch größer gewesen, als es jetzt der Fall ist.

Auch im allgemeinen ist unsere ganze Bewegung, trotz einiger Rückschläge, aufsteigend, wie ich es in meinem Referat gezeigt habe. Wir wollen in diesem Zusammenhange einige Probleme streifen, bei denen die Versöhnler gegen die Taktik der Partei auftreten. Nehmen wir die Frage des Unterschreibens der Reverse. Die Behauptung der Versöhnler, daß wir unter allen Umständen ablehnen, Reverse zu unterschreiben, ist eine Lüge. Ich erkläre von dieser Stelle aus, daß wir die Reverse nicht unterschreiben können und nicht unterschreiben werden, wenn diese Unterschrift einen Verzicht auf den revolutionären Klassenkampf, die Linie der Partei, bedeutet. Es kann solche Reverse geben, bei denen die Möglichkeit besteht, sie zu unterschreiben. Wir haben früher oft bei Ortsverwaltungswahlen derartige Reverse unterschrieben. Aber da die Entwicklung des Sozialfaschismus in der heutigen Situation schärfste Formen angenommen hat, werden die Reverse einen solchen Inhalt haben, daß die Unterschrift unter sie sehr ernsthaft von der revolutionären Gewerkschaftsopposition geprüft werden muß. Um das Problem ganz kraß darzustellen, kann man es auf die Formel bringen: Soll man die Disziplin der Gewerkschaften, oder sagen wir gleich, den Gewerkschaftslegalismus höherstellen als die Disziplin der Partei, das heißt als den revolutionären Klassenkampf? Keineswegs! Die Disziplin der Partei, die durch den revolutionären Klassenkampf bestimmt wird, steht höher als die Unterwerfung unter die Disziplin der Gewerkschaften, die Unterwerfung unter den Gewerkschaftslegalismus, das heißt die Bindung an die kapitalistischen Gesetze. Wir sind an einem solchen Punkte der Entwicklung der Massenbewegung angelangt, wo wir die kapitalistische Disziplin, die in den Gewerkschaften und anderen Massenorganisationen durch die Statuten und durch die sozialfaschistische Bürokratie unseren Funktionären und den revolutionären Arbeitern aufgezwungen werden soll, durchbrechen müssen.

Nehmen wir ein Beispiel aus der Geschichte. Sogar unser unsterblicher Führer Karl Liebknecht, der uns ein leuchtendes Vorbild des revolutionären Internationalismus gab, hat die formale Disziplin am Anfang des Krieges bei der ersten Budgetabstimmung so hochgestellt, daß er den sofortigen Bruch mit den Sozialchauvinisten unterlassen hat. Sicherlich war das ein Fehler. Wir wissen auch, daß es Situationen gab, wo selbst unsere Genossen die Disziplin der Gewerkschaften höherstellten als die Durchführung des revolutionären Kampfes.

Was bedeutet die Unterwerfung unter den Gewerkschaftslegalismus? Sie bedeutet weiter nichts als den Verzicht auf die Durchführung der revolutionären Taktik, wie sie die revolutionäre Opposition im Wirtschaftskampf, bei den Betriebsrätewahlen, im politischen Kampf anzuwenden hat. Dadurch, daß die Versöhnler unsere Taktik zum Beispiel beim Ruhrkampf, bei den Betriebsrätewahlen, am 1. Mai bekämpften und sabotierten, haben sie sich fair den Gewerkschaftslegalismus und gegen die neue Taktik der Partei entschieden.

Ich komme jetzt zur Analyse der parteifeindlichen Plattform der Versöhnler und zu einigen anderen Fragen. Ich will nicht auf die Einzelheiten der Plattform der Versöhnler eingehen, sondern will nur in großen Zügen zeigen, was diese Plattform bedeutet. Ich glaube, im Auftrage und mit dem Einverständnis des Parteitages sagen zu können, daß die Plattform der Versöhnler eine Systematisierung und Fortentwicklung ihrer opportunistischen Auffassungen in der Richtung des Liquidatorentums darstellt. Sie stellt der Taktik des VI. Weltkongresses und der Taktik, die auf dem IV. RGI-Kongreß beschlossen wurde, eine eigene Taktik entgegen. Wenn sich die Versöhnler erfrechen, in diesem Dokument zu sagen, "daß die Weiterentwicklung der Partei ihnen recht geben und die Linie der Partei widerlegen wird", so bedeutet das eine Anmaßung, die wir in der Geschichte der Komintern des öfteren von Trotzkisten und Brandleristen gehört haben. In dem Dokument sind überhaupt einige Formulierungen enthalten, die wortwörtlich an jene Formulierungen erinnern, mit denen jede parteifeindliche Opposition den Kampf gegen die gesamte Partei und gegen die Kommunistische Internationale begann.

Zur Frage der Disziplin, die in der fortschreitenden revolutionären Entwicklung der Partei eine der wichtigsten Fragen ist, erklären die Versöhnler folgendes: Formelle Unterwerfung unter die Disziplin, aber objektiv sind die Voraussetzungen dafür nicht gegeben. Das ist natürlich vom Standpunkt der taktischen Linie der Versöhnler ganz erklärlich. Wenn sie gegen die Linie der Partei sind, wenn sie die Parteiführung des "ultralinken Kurses" beschuldigen, dann sind sie natürlich auch gegen die Disziplin, die die Partei und die Parteiführung unter anderem deshalb fordern, um gegen alle opportunistischen Strömungen und Gruppierungen anzukämpfen. Daß sie sich einer solchen Disziplin nicht unterwerfen, ist erklärlich und verständlich bei der allgemein-politischen Haltung der Versöhnler.

Lenin sagte einmal, daß die Parteidisziplin auf zwei Voraussetzungen beruht: erstens auf dem Vertrauen der Mitglieder zur Führung und zweitens auf dem Vertrauen der Massen zur Partei. Das sind die Voraussetzungen zur revolutionären Disziplin. Es ist aber klar, daß sie, wenn Parteipolitik nach Auffassung der Versöhnler falsch ist, kein Vertrauen zur Führung und zur Partei haben können und daher auch die Frage der Disziplin so stellen müssen, wie es in diesem Dokument geschehen ist. Trotzdem erklären die Versöhnler, daß sie "bereit sind, sich der Disziplin zu unterwerfen". Was soll diese Heuchelei in ihrem Dokument? Was bezwecken die Versöhnler damit? Sie wollen, daß ihnen die Partei einen Freibrief für den Bruch mit der Partei, für den Bruch mit dem Bolschewismus gibt, wenn es ihnen paßt! Das ist das Charakteristische an diesem Dokument. Den Zeitpunkt des, offenen Angriffes wollen die Versöhnler, selbst bestimmen. Das ist der Kernpunkt ihrer Plattform. Bis dahin wollen sie Zeit gewinnen und ihre zersetzende Tätigkeit weiter betreiben.

Sie beschuldigen die Parteiführung und die Partei des “Ruth-Fischer-Kurses”; sie setzen die Erfolge der Partei herab; sie sabotieren die Parteitätigkeit, wie es durch viele Beispiele unwiderleglich festgestellt werden kann. Wir müssen an Hand dieses Dokumentes erklären, daß die Vertreter des feigen Opportunismus das sind, was in der Rede des Vertreters der Exekutive auf dem Parteitag gesagt wurde: Sie sind keine Versöhnler mehr, sondern die Rechten in der Partei.

Sie vertreten opportunistische, halbmenschewistische Auffassungen in der Partei. Die Partei muß von dieser Stelle aus ‑ ich glaube im Auftrage der gesamten Mitgliedschaft zu sprechen ‑ diesem Treiben der Versöhnler ein Paroli bieten. Die Partei kann nicht mehr eine Fortsetzung des feigen Opportunismus in der Partei dulden. Die Partei kann unter keinen Umständen die doppelte Buchführung, wie sie in dem Dokument einerseits und den Reden der Versöhnler andererseits zum Ausdruck kommt, zulassen. Wenn zum Beispiel Genosse Ewert mit der einen Hand die falschen Formulierungen der Versöhnler in ihrem früheren Dokument über die Demokratie und den Faschismus zurückzieht und mit der anderen Hand dieses neue Dokument mit denselben anders formulierten Behauptungen auf den Tisch des Hauses legt, so zeigt sich darin die doppelte Buchführung dieser Gruppe. Ich greife weiter nur einige Sätze aus der Rede Ewerts heraus, in denen er die falsche Behauptung aufstellt, daß Thälmann an einigen Stellen erklärt habe, die Reparationsverhandlungen in Paris hätten keine Erleichterungen gebracht. Das ist bewußt erlogen. Ich habe ausdrücklich an zwei Stellen festgestellt, daß gewisse Erleichterungen eingetreten sind. Und weiter erklärt er zum Beispiel, daß meine Auffassung darin bestünde: auf der einen Seite Demokratie, auf der anderen Faschismus. Das ist ebenfalls unrichtig und durch kein Zitat aus meiner unkorrigierten Rede zu beweisen. Gerade das ist ja der Standpunkt der Versöhnler.

Die Versöhnler verkennen vollkommen das Wechselverhältnis von Reformismus und Faschismus. Sie verkennen die Entwicklung des Reformismus zum Sozialfaschismus. Sie verstehen nicht, daß für die gegenwärtige Periode gerade die Kombination dieser beiden Methoden das Charakteristische ist. Sie begreifen nicht einmal, daß die Bourgeoisie gemeinsam mit der Sozialdemokratie zu gleicher Zeit demokratische und faschistische Methoden anwendet, um das Proletariat niederzuschlagen. Auf dem Magdeburger Parteitag zeigte sich sehr deutlich die Entwicklung der Sozialdemokratie zum Sozialfaschismus. Das ist der große Gegensatz, der zwischen unserer gesamten Partei und den Auffassungen der Versöhnler besteht. Die Gesamtpartei muß damit Schluß machen, daß Genossen in der Partei mit der Partei spielen und weiter spielen können. Das Politsekretariat hat nach Rücksprache und mit einstimmiger Zustimmung der Delegationsführer und der Politischen Kommission dem Parteitag folgenden Antrag zur Abstimmung zu unterbreiten:

Antrag der Politischen Kommission des Parteitages zur Fraktionsplattform der Versöhnler

Der Parteitag stellt fest, daß die vom Genossen Ewert im Auftrage seiner opportunistischen Fraktion vorgelegte Plattform eine Systematisierung und Fortentwicklung in der Richtung des Liquidatorentums darstellt. Diese Politik wurde bereits vom IV. RGI-Kongreß, vom VI. Weltkongreß und den folgenden Tagungen des Präsidiums des EKKI und des ZK der KPD abgelehnt. Diese Plattform ist zugleich ein Versuch, die leninistische Auffassung, über das Wesen, die Strategie, Taktik und Organisation der Partei zu revidieren. Die Behauptung der Versöhnler, daß ihre Differenzen mit der Partei und der Komintern nur taktischer Natur sind, stimmen überein mit den Methoden der Liquidatoren, die auch versuchten, vor der Partei und der Arbeiterschaft durch solche Manöver ihre grundsätzlichen Auffassungen zu verschleiern. Die Versöhnler stellen in allen entscheidenden Punkten der Taktik des VI. Weltkongresses und der Partei ihre eigene, opportunistische Taktik gegenüber (Ruhrkampf, Betriebsrätewahlen, Maikämpfe, Stellung zur Sozialdemokratie usw.). Die Partei wird alles tun, um jene wenigen Genossen, die mit bestimmten Auffassungen der versöhnlerischen Gruppe sympathisieren, von der Richtigkeit der Parteibeschlüsse zu überzeugen und für die disziplinierte Durchführung der Beschlüsse zu gewinnen.

Die Tiefe der politischen Differenzen unserer Partei mit dieser halbmenschewistischen Gruppe findet ihren Ausdruck in dem fraktionellen Charakter des Kampfes der Versöhnler. Unter der Forderung nach “Diskussionsfreiheit” versuchen sie, das “Recht” auf Fraktions- und Zersetzungsarbeit durchzusetzen. In der Frage der Parteidisziplin legen die Versöhnler ein rein formales Bekenntnis ab und erklären zugleich, daß die wirkliche Durchführung der Disziplin unter den gegenwärtigen Bedingungen unmöglich sei. Damit bringen sie zum Ausdruck, daß sie lediglich einen günstigeren Zeitpunkt für den offenen Fraktionskampf und den offenen Bruch mit dem Bolschewismus wählen wollen.

Die Versöhnler haben bereits die Rolle der Rechten in der Partei übernommen. Ebenso wie die Liquidatoren und die Sozialdemokraten führen sie eine Verleumdungskampagne über die “Isolierung der KPD”, ihren “krisenhaften Zustand”, die “Durchführung des Ruth-Fischer-Kurses”, die “Mißerfolge der neuen Taktik”, die “verfehlte Taktik während der Maiereignisse” usw. Damit liefern sie nicht nur Verleumdungsmaterial für den Klassenfeind, sondern betätigen sich als parteizersetzende Fraktion. Wenn die Versöhnler diese opportunistische Politik nicht aufgeben, werden sie unvermeidlich den Weg der Liquidatoren gehen.

Die Plattform der Versöhnler bedeutet zugleich den Versuch, alle versöhnlerischen Elemente in der Kommunistischen Internationale auf einer ideologischen und organisatorischen Grundlage zusammenzufassen und gegen die Beschlüsse der Komintern zu mobilisieren.

Der Parteitag stellt an die Unterzeichner der Plattform und an alle Anhänger dieser Fraktion folgende Forderungen:

1. Aufgeben des halbmenschewistischen Standpunktes und Anerkennung des fraktionellen Charakters ihrer dem Parteitag vorgelegten Plattform.

2. Sofortige Auflösung der Fraktion und aller gruppenmäßigen Verbindungen.

3. Disziplinierte Durchführung und Verteidigung der Parteitagsbeschlüsse und aller Anweisungen der Parteiführung.

Der Parteitag beauftragt das neugewählte Zentralkomitee, es soll gemeinsam mit der Exekutive der Komintern die notwendigen organisatorischen Maßnahmen zur Sicherung der Einheit der Partei und der disziplinierten Durchführung der Parteitagsbeschlüsse treffen.

Ich möchte ganz kurz zu dem Antrag selbst folgendes sagen: Die Versöhnler müssen sich heute entscheiden. Es gibt für die Partei und auch für die Versöhnler nur zwei Möglichkeiten: Entweder die Versöhnler geben ihr Treiben und Spiel mit der Partei auf, oder die Partei wird auf Grund des Beschlusses, den wir dem Parteitag vorgelegt haben, die Frage an sie stellen müssen ‑ entweder mit der Kommunistischen Partei oder mit dem Klassenfeind. Ein Drittes kann es in dieser Situation nicht geben. Das neue Zentralkomitee, das vom heutigen Parteitag gewählt werden wird, muß diesen Beschluß durchführen. Es ist ganz klar, daß wir die Fraktion der Versöhnler oder wie sie sich in ihrem Dokument nennen, die “Richtung” der Versöhnler in der Partei rücksichtslos liquidieren müssen.

In der bolschewistischen Partei kann es keine zwei Richtungen oder Fraktionen geben. Die Kommunistische Partei ist kein Mischmasch von Richtungen, sondern eine einheitliche Partei mit einheitlichen Prinzipien und einheitlicher Taktik und Organisation. Die Versöhnler versuchen dasselbe zu tun, was die Brandleristen und Trotzkisten stets getan haben. Aber die Partei wird keine Revision des Leninismus dulden. Die Partei wird mit den schärfsten und strengsten Maßnahmen die Reinheit und Unversöhnlichkeit des bolschewistischen Kurses wahren und die Versöhnler, wenn sie sich nicht für die Partei, sondern für den Klassenfeind entscheiden, als Offiziere ohne Mannschaften aus den Reihen der revolutionären Avantgarde des Proletariats davonjagen.

Zum Schluß noch folgende Bemerkungen: Die Frage des Kampfes gegen die Liquidatoren und gegen die Versöhnler innerhalb der Partei ist nicht nur, eine Frage der deutschen Parteisondern eine Frage der gesamten Komintern. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß die jetzige Plattform der deutschen Versöhnler schon den Entwurf einer internationalen Plattform des feigen Opportunismus für die in diesen Tagen stattfindende Exekutivsitzung darstellt. Nach der Darstellung, die ich bereits in meinem Referat über die Entwicklung unserer Parteien gegeben habe, ist es klar, daß die Kommunistische Internationale entsprechend der höheren Reife aller Sektionen und den Erfordernissen der neuen Taktik in allen Ländern restlos die Versöhnler liquidieren muß, so wie das in der deutschen Partei geschieht. Wir können von dieser Stelle aus allen unseren Bruderparteien sagen: Je energischer wir die Versöhnler liquidieren, je schneller wir alle Schwankungen in der Partei überwinden, die durch die Versöhnler nur gestärkt werden, desto rascher wird eine solche Entwicklung eintreten, die die Partei gut allen Gebieten vorwärtsbringen muß. Die in der Partei vorhandenen Schwankungen erfahren eine besondere Verstärkung durch die Versöhnler, wie sich dies bei der Durchführung der neuen Taktik in den letzten Monaten überall gezeigt hat.

In diesem Zusammenhang ist es notwendig, auf einige Fragen einzugehen, die von den Genossen, die mit uns in der Durchführung der neuen Linie übereinstimmen, aufgeworfen wurden. Es handelt sich um die Frage der Durchführung der Konzentrationspolitik, wie sie auf dem Essener Parteitag beschlossen und begonnen wurde. Zwei Tatsachen will ich hier herausgreifen. Erstens die Ausführungen, die der Genosse Benscheidt[2] gemacht hat und die wir auf das allerschärfste verurteilen müssen. Genosse Benscheidt wagte es zu behaupten, daß die Parteiführung nach Essen ‑ aber das ist nicht nur ein Vorwurf für die Parteiführung, sondern für die Gesamtpartei ‑ "einen reformistischen Kurs durchgeführt" habe. Doch mit den Tatsachen, die er anführte, erbrachte Genosse Benscheidt keineswegs den Beweis für seine ungeheuerlichen Behauptungen. Die politische Linie der Partei war richtig, obwohl einzelne Fehler zu verzeichnen waren. Die innerparteiliche Entwicklung hatte verschiedene Mängel, die darauf beruhten, daß wir zu spät den innerparteilichen Kurs der Änderung der objektiven Situation anpaßten, um die notwendigen Garantien zur Durchführung unserer Beschlüsse zu schaffen. Haben wir aber diese Tatsachen geleugnet; sind diese Fehler und Schwierigkeiten in der Entwicklung nicht von uns aufgezeigt worden? Haben das nicht auch andere Genossen von der Tribüne des Parteitages sehr richtig ausgesprochen?

Aber auch andere Genossen außer Benscheidt haben die Konzentrationspolitik, wie wir sie in Essen festgelegt haben, als falsch bezeichnet. Wenn eine solche Behauptung aufgestellt wird, so macht man einen ähnlichen Schritt wie der Genosse Benscheidt, der sogar von einem "reformistischen Kurs der Parteileitung" sprach. Das bedeutet, um es ganz klar auszusprechen, daß die Beschlüsse des Essener Parteitages nicht nur innerparteilich, sondern politisch falsch waren. Also eine Anklage gegen die Beschlüsse des Essener Parteitages, die nicht wenige Genossen, die auf dem diesjährigen Parteitag sind, mitbeschlossen haben, wodurch sie sich selbst anklagen. Die Konzentrationspolitik auf den verschiedenen Stufen der Parteientwicklung kann man nicht so behandeln, daß man schon in Essen die Entwicklung der heutigen Ewert-Meyer-Gruppe zu einer opportunistischen und deshalb parteifeindlichen Richtung voraussehen konnte. Betrachten wir die Geschichte der bolschewistischen Partei von den ersten Auseinandersetzungen im Jahre 1903 über organisatorische Streitfragen zwischen den Bolschewiki und Menschewiki, zwischen Lenin einerseits und Axelrod-Martow andererseits. In einer so “einfachen” Frage, einer organisatorischen Frage, wer Mitglied in der bolschewistischen Partei sein kann, zeigten sich die grundsätzlichen Auffassungen zweier großer Gruppierungen innerhalb der Partei. Prüfen wir die folgenden Stufen der Parteientwicklung in den nächsten Jahren bis zum Roten Oktober 1917, so sehen wir hier nicht nur den Kampf der bolschewistischen und der menschewistischen Strömung, sondern den Kampf zwischen den Anhängern Lenins und den Otsowisten[3], die den richtigen leninistischen Kurs, der sich aus jener schwierigen Situation der Partei ergab, nicht verstanden. Nehmen wir die weiteren Entwicklungsstufen der bolschewistischen Partei nach der Machteroberung im Zusammenhang mit den Aufgaben des sozialistischen Aufbaus. Auch hier sehen wir eine Veränderung der führenden Kader, die sich aus der veränderten objektiven Lage und den veränderten Aufgaben ergeben hatte. Jede Entwicklungsstufe in der Partei muß bestimmte Voraussetzungen in ihrer allgemeinen Politik haben. In Essen war für die Partei keineswegs vorauszusehen, daß sich der Genosse Ewert mit anderen Genossen zu einer parteifeindlichen Gruppierung entwickelt. Sonst hätte man nicht seine Zustimmung dazu geben können, daß sie damals in die Parteiführung aufgenommen wurden. Einige Genossen behaupten jetzt, daß die Beschlüsse von Essen falsch gewesen sind. Aber die Führung der Partei kann solche Beschuldigungen nicht ruhig hinnehmen, denn sie beziehen sich auf eine ganze Etappe der Politik der Partei und der Parteientwicklung, die von der Komintern vollständig gebilligt wurde. Es ist ganz klar, daß in dem Maße, wie das Bewußtsein für die Aufgaben und das Verständnis für die Anwendung der neuen Taktik wachsen, auch der Reifegrad der Mitgliedschaft in der Orientierung der innerparteilichen Entwicklung als Ganzes größer wird.

Ich schalte dabei keineswegs die Führung der Partei aus. Und wenn besonders die frühere engere Führung der Partei in der Anwendung der Konzentrationspolitik Fehler begangen hat, so müssen wir an die neue Führung noch größere Anforderungen stellen, damit das ZK der deutschen Kommunistischen Partei ein wirklicher bolschewistischer Generalstab wird und seine Aufgaben in der Organisierung der proletarischen Revolution voll und ganz erfüllt.

In einer bolschewistischen Partei muß man die Frage der Führung anders stellen als in jeder anderen Partei. Wovon hängt sie ab? Von der allgemeinen politischen und innerparteilichen Entwicklung der Partei. Man kann nicht die innerparteiliche Entwicklung von der gesamten allgemeinen politischen Situation trennen. Wie wir in der allgemeinen Politik keine Etappe überspringen können, so können wir zum Beispiel auch in der innerparteilichen Entwicklung keine Stufen übergehen. Hätten wir am 1. Mai die Frage des bewaffneten Aufstandes gestellt, hätten wir verschiedene Etappen der Entwicklung übersprungen. Hätten wir, um ein innerparteiliches Beispiel zu zeigen, in Essen die Frage der Nichtaufnahme der sich zu den Rechten entwickelnden Genossen in die Parteiführung gestellt, dann hätte die Partei damals kein Verständnis dafür gehabt.

Haben wir in der innerparteilichen Entwicklung nicht große, gewaltige Fortschritte gemacht? Ein Fehler, ein politischer Fehler, von dem kein Genosse gesprochen hat, war die mangelhafte Durchführung unserer Taktik nach dem Essener Parteitag, als wir zum Beispiel anläßlich des Kieler Parteitages der SPD nicht genügend die Beschlüsse dieses Parteitages in den Massen ausgenutzt haben. Wenn die Mehrzahl der Diskussionsredner nur die innerparteiliche Seite sieht, so ist das auch eine Schwäche, die in der Diskussion, bei der Behandlung der Grundprobleme, die im Aufgabenkreis der Partei stehen, zum Ausdruck kam.

Natürlich können wir die Forderungen, die die Genossen aus den Bezirken stellen ‑ in bezug auf den Kampf gegen die Versöhnler, die die Arbeit der Partei stark hemmen ‑, verstehen und haben volles Verständnis für diese Auffassungen. Wir wissen, daß diese Forderungen berechtigt sind, und wissen, daß die Partei größerer Geschlossenheit und Entschlossenheit denn je bedarf, um ihre Aufgaben durchzuführen und das Vertrauen der Mitgliedschaft zur Führung zu erweitern und zu festigen. Kameradschaftlichkeit und Solidarität müssen unsere Reihen noch fester als bisher zusammenschließen. Selbstkritik im Rahmen der Organisation wird eine höhere Stufe der innerparteilichen Entwicklung sowie die Vervollkommnung unserer allgemeinpolitischen Arbeit bringen. Gegenüber den Verleumdungen des Klassenfeindes müssen wir wie eine eiserne Mauer stehen. Nicht nur gegenüber den Brandleristen und Trotzkisten, sondern auch gegenüber dem Reformismus und der Bourgeoisie. Wenn über die Partei und ihre gewählte Führung irgendwelche feindliche Gerüchte verbreitet werden, haben wir alle ausnahmslos die Pflicht, alles zu tun, damit die Partei als Ganzes wächst, reift, stärker wird und ihre Feinde auf allen Gebieten schlägt.

Genossen! Ich komme zum Schluß. Die XVI. Parteikonferenz der KPdSU(B) und der XII. Parteitag der KPD sind Etappen der Stärkung der Kommunistischen Internationale. Dort, im Vaterlande des Weltproletariats, stehen die gewaltigen Probleme des grandiosen Aufbaus des Sozialismus, des Fünfjahrplans, aus dem ich nur einige Zahlen in meinem Referat anführen konnte; dort sind ebenfalls große Schwierigkeiten und Lücken bei der Durchführung der Arbeit vorhanden. Hier in Deutschland haben wir die großen Probleme des Kampfes gegen die kapitalistische Gesellschaftsordnung. Wenn man den gemeinsamen Kampf des Weltproletariats gegen die Weltdiktatur der Bourgeoisie überblickt, so muß man feststellen, daß wir überall große Erfolge errungen haben.

Der Weddinger Parteitag war im Gegensatz zum Magdeburger Parteitag ein Symbol der Verbundenheit der Kommunistischen Partei mit den unterdrückten Massen, was durch die Tatsache, daß unzählige Betriebe und Vertreter von Massenorganisationen den Parteitag begrüßten, durch die gestrige Demonstration der Zehntausende, die die ungeheure Sympathie der Massen zur Partei zeigte, noch einmal bestätigt wurde. Wir sehen das wachsende Vertrauen der werktätigen Massen in Berlin und ganz Deutschland zur Partei. Um so mehr sind wir verpflichtet, aus den Massen unsere Kraft zu schöpfen, die revolutionären Energien der unterdrückten Schichten und insbesondere jener am schärfsten ausgebeuteten, am schwersten unterdrückten Unterschichten des Proletariats, der Arbeiterinnen, der Jungarbeiter und der Landarbeiter, zusammen mit den Industriearbeitern für unsere große Befreiungssache zu mobilisieren und zu entwickeln. Mit den Massen müssen und werden wir vorwärtsmarschieren. Wenn der Riese deutsches Proletariat seine Kraft erkennt, dann wird er unter Führung der KPD den entscheidenden Angriff auf den Klassenfeind vornehmen, die Bourgeoisie und den Sozialfaschismus zermalmen, seine Diktatur errichten und den Weg zum Kommunismus zusammen mit den Proletariern aller Länder beschreiten.

Vorwärts zu neuen Kämpfen, vorwärts zu neuen Siegen! - das muß die Parole des XII. Parteitages der KPD sein.

 

 

 

 

 



[1]. Cf. http://www.deutsche-kommunisten.de/Ernst_Thaelmann/Band2/thaelmann-band2-009.shtml.

[2] Gustav Benscheid.

[3]. Im Jahre 1908 verlangte ein Teil der Bolschewiki die Abberufung (russisch: Otsyw) der sozialdemokratischen Deputierten aus der Reichsduma. Daher die Bezeichnung “Otsowisten”. Die Otsowisten bildeten ihre besondere Gruppe (Bogdanow, Lunatscharski, Alexinski, Pokrowski, Bubnow u. a.), die einen Kampf gegen Lenin und die Leninsche Linie eröffnete. Sie forderten überhaupt die Einstellung jeder Arbeit in den legalen Organisationen.