../../../../img/pag/entete.jpg

Startseite

 

 

English

 

Français

 

Español

 

Seitenübersicht

 

 

 

 

 

Deutsch   >   Bezugstexte   >

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ernst Thälmann

12. Parteitag de Kommunistischen Partei Deutschlands:
Die politische Lage und die Aufgaben der Partei

10. Juni 1929

 

 

Quelle:

Protokoll der Verhandlungen des 12. Parteitags der Kommunistischen Partei Deutschlands (Sektion der Kommunistischen Internationale), Berlin-Wedding, 9. bis 16. Juni 1929. S. 49‑101.

Andere Quelle:

Ernst Thälmann: Reden und Aufsätze zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung - Band 2 - November 1928‑September 1930. Berlin, Dietz, 1956[1].

 

 

 

 

 

 

Erstellt: Januar 2013

Druckversion
KPD 1918-1945 - Inhalt

 

 

 

 

 

 

Genossen! Wenn wir heute auf dem Parteitag zu den Grundproblemen und der Hauptlinie unserer revolutionären Politik Stellung nehmen, so glaube ich, werden wir verstehen müssen: Der gesamte Komplex der Aufgaben, die in Deutschland die deutsche Partei und im internationalen Maßstabe die gesamte Kommunistische Internationale haben, ist so ungeheuer und so vielfältig, mit soviel komplizierten Eigentümlichkeiten in der Anwendung unserer Taktik gegenüber unseren Klassenfeinden verbunden, daß es mir nicht möglich sein wird, alle Fragen, wie es notwendig wäre, hier zu behandeln. Ich setze voraus, daß die Delegierten den Bericht des Zentralkomitees zum Parteitag, "Zwei Jahre Arbeit und Kampf", in dem die Entwicklung der deutschen Partei wie auch die Erfahrungen unserer verschiedenen Kampagnen, ihre Schwächen und Mängel niedergelegt sind, bereits gelesen haben. Ich schicke ferner voraus, daß verschiedene Fragen in den speziellen Referaten, so im Referat über die Kriegsgefahr und in dem über die Gewerkschaftsfragen, noch ausführlich behandelt werden, so daß ich sie hier nur berühren und in der Hauptlinie skizzieren kann.

Es ist klar, daß der Ausgangspunkt für die Behandlung der Grundprobleme und der Hauptlinie unserer revolutionären Politik gegenwärtig nur die Beschlüsse des IV. RGI-Kongresses und des VI. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale sein können, die in den Thesen und Resolutionen niedergelegt sind. Die Zeit vom VI. Weltkongreß bis heute ist, in der geschichtlichen Perspektive gesehen, nur eine kurze Zeit, sie hat jedoch die Richtigkeit der Beschlüsse vollauf bestätigt. Ich darf wohl ohne Übertreibung auf dem Parteitag erklären, daß der Klassenfeind in Deutschland und sogar in der ganzen Welt seine Aufmerksamkeit diesem Parteitag schenkt. Aber nicht nur der Klassenfeind, sondern auch das deutsche Proletariat, das internationale Proletariat blicken voll Aufmerksamkeit auf diesen Parteitag, weil hier wirklich Probleme behandelt werden, die den revolutionären Kampf des Proletariats gegen den Kapitalismus der ganzen Welt bestimmen und beeinflussen. Die Tatsache, daß auf dem Parteitag die wichtigsten Sektionen der kommunistischen Weltpartei vertreten sind, legt Zeugnis von dem internationalen Charakter unserer Tagung ab.

Ich will in meinem Referat fünf Fragen behandeln:

Die internationale Lage und die Entwicklung der Kommunistischen Internationale seit dem VI. Weltkongreß.

Die Wirtschaftslage in Deutschland, insbesondere das Reparationsproblem, die Offensive des Kapitals und die imperialistische Kriegspolitik Deutschlands.

Die Rolle der Sozialdemokratie im heutigen Klassenkampf und die Entwicklung des Sozialfaschismus.

Der Charakter der gegenwärtigen Klassenkämpfe, die neue Taktik der Partei und die innerparteiliche Entwicklung.

Die Maiereignisse, die Perspektive der weiteren Entwicklung und die Hauptaufgaben der Partei.

I. Die internationale Lage und die Entwicklung der Kommunistischen Internationale seit dem VI. Weltkongreß

In den Thesen des VI. Weltkongresses sind bereits die Hauptmerkmale. der dritten Periode der Nachkriegsentwicklung des Weltkapitalismus niedergelegt. Die Zuspitzung aller Widersprüche im internationalen Maßstabe, die Tatsache, daß sich die Widersprüche der imperialistischen Länder in den letzten Monaten noch verschärft haben, daß der Gegensatz der imperialistischen Länder zu den Kolonien, besonders zu Indien, einen revolutionären Höhepunkt zu erreichen beginnt, die Zuspitzung der Klassengegensätze vor allem des Hauptgegensatzes, des Gegensatzes der imperialistischen Welt zur Sowjetunion, beweisen die Richtigkeit der Beschlüsse des VI. Weltkongresses. Nur im Zusammenhang mit diesen internationalen Widersprüchen kann auch die wirtschaftliche und politische Lage in Deutschland richtig beurteilt werden. In Deutschland zeigen sich die internationalen Widersprüche der dritten Periode in einer besonders krassen Form.

Betrachten wir die Entwicklung vom VI. Weltkongreß bis heute. Haben sich die Widersprüche des Weltkapitalismus abgeschwächt oder verstärkt? Die Tatsachen zeigen, daß sich die Widersprüche verschärft haben. Was ist die allgemeine Ursache dieser Zuspitzung der Widersprüche? Der schreiende Widerspruch zwischen der ungeheuer gesteigerten Produktionskapazität und der Verengung der Absatzmärkte, des kapitalistischen Weltmarktes überhaupt. Ich will nur auf die Tatsache hinweisen, daß ein Sechstel der Erdoberfläche, die Sowjetunion, aus dem Bereich der kapitalistischen Profitwirtschaft dadurch ausgeschaltet ist, daß die Arbeiter und Bauern im Roten Oktober 1917 die Diktatur des Proletariats aufrichteten. Die Sowjetunion hat sich in der letzten Zeit neue Exportgebiete verschafft und tritt als ernster wirtschaftlicher Konkurrent auf dem Weltmarkt auf. Weiter die große industrielle Entwicklung in den Kolonien, die verschärfte Konkurrenz der kapitalistischen Länder untereinander, ihre gegenseitigen Absperrungsmaßnahmen, die sie mittels neuer Hochschutzzölle und Tarife durchführen, um sich vor dem Eindringen der Waren der anderen Länder zu sichern. Die Tatsache, daß die amerikanische Regierung einen neuen Hochschutzzollentwurf vorlegen will, zeigt die neuen Expansionsbestrebungen des amerikanischen Imperialismus und seine wirtschaftspolitischen Maßnahmen, um sich der Konkurrenz der anderen Länder zu erwehren.

Alle diese nur angedeuteten unlösbaren Widersprüche des Weltimperialismus finden natürlich ihre besondere Verschärfung in dem Gegensatz zwischen den Klassen. Das, was sich in Deutschland zeigt, die neue kapitalistische Offensive mit den ihr eigentümlichen Methoden, zeigt sich auch im internationalen Maßstabe. Ein neuer Feldzug des Finanzkapitals, des miteinander verwachsenen Industrie- und Bankkapitals, gegen das Proletariat ist im Gange. Was auf der Tagesordnung steht, ist der Kampf um die Neuaufteilung der Welt.

Die Verschiebung der wirtschaftlichen Stärke der einzelnen imperialistischen Länder hat die Verschiebung ihrer weltpolitischen Machtstellung zur Folge und schafft im Laufe der Entwicklung neue Kräftekombinationen der einzelnen imperialistischen Länder. Am krassesten tritt der Kampf um die Welthegemonie in dem Gegensatz zwischen den Vereinigten Staaten und England in Erscheinung. Dieser Gegensatz zwang Großbritannien, alle Maßnahmen einzuleiten, um die wichtigen kapitalistischen Staaten Europas auf seine Seite zu bringen. Die Annäherung an Frankreich, die Bildung der englisch-französischen Entente, die Ereignisse bei den Pariser Reparationsverhandlungen zeigen sehr deutlich den ungeheuer verschärften Gegensatz zwischen den Vereinigten Staaten und Großbritannien. Dieses Bestreben Englands, sich mehr und mehr Frankreich zu nähern, verfolgt einen doppelten Zweck: einerseits die Expansionsgelüste der Vereinigten Staaten zurückzudrängen, andererseits auch Deutschland unter einen verschärften wirtschaftlichen und politischen Druck zu setzen, zumal das wirtschaftliche Wiedererstarken Deutschland zu einem ernst zu nehmenden Faktor auf dem Weltmarkt und in der imperialistischen Front gegen die Sowjetunion gemacht hat.

Diese Gegensätze zwischen den imperialistischen Ländern und der Kampf um die bessere Konkurrenzfähigkeit treiben die Imperialisten auch dazu, den Druck auf die Kolonien und auf die eigene Arbeiterschaft aufs höchste zu steigern. Daraus entsteht der Kampf der unterdrückten Kolonialvölker gegen die imperialistischen Räuber und die neue Weile der ökonomischen und politischen Streiks und Aktionen der noch jungen, noch nicht durch den Reformismus verseuchten Arbeiterklasse in den Kolonien gegen die eigenen und fremden Ausbeuter.

Ich erinnere hierbei an den heldenmütigen Kampf der Bombayer Textilarbeiter, die im monatelangen Streik gegen die Unternehmerwillkür und die Soldateska des britischen Imperialismus Wunder an Heroismus und revolutionärer Organisiertheit und Disziplin gezeigt haben. Wir deutschen Arbeiter fühlen uns um so mehr mit ihnen verbunden, da zu gleicher Zeit, als das Blut der Arbeiter in den Straßen von Bombay floß, auch Berliner Arbeiter unter den Kugeln Zörgiebels ihr Leben lassen mußten. Diese internationale Kampfsolidarität und Kampfverbundenheit der Proletarier der kapitalistischen Länder und der Kolonien wird unter dem Banner und unter der Führung der Kommunistischen Internationale weiter in uns fortleben und unseren lebendigen Internationalismus, wie es uns Lenin in seinen Taten stets gezeigt hat, für die zukünftigen revolutionären Kämpfe in der ganzen Welt fördern und stärken.

Was ist das Neue, das sich bei dem Bombayer Streik und bei den politischen Kämpfen in Indien gezeigt hat? Die Gesamtzahl der Streiktage betrug im Jahre 1928 über 31 Millionen, eine Rekordzahl in einem Jahre, die die Zahl der Streiktage der letzten 5 Jahre übersteigt. Davon entfallen 22 Millionen Streiktage allein auf die wichtigste Gruppe, die Textilarbeiter. Dieser Bombayer Streik hat im Zusammenhang mit der allgemeinen Bedeutung der Maiereignisse für die zukünftige Entwicklung eine außerordentlich große Bedeutung. Ich erlaube mir nur einige Zitate aus einem ganz gewiß nicht kommunistenfreundlichen Blatt, dem "Berliner Tageblatt", vorzutragen, um zu zeigen, welche neue revolutionäre Welle in Indien sich gegenwärtig erhebt.

Das "Berliner Tageblatt" vom 4. Juni schreibt in seinem Leitartikel folgendes zum Bombayer Streik:

Indessen zeigt gerade dieser Streik, daß eine neue Bewegung im Entstehen ist, die nicht nur die wirtschaftlichen Fragen, sondern auch die politischen Probleme Indiens unter einem bisher nicht vertretbaren Gesichtspunkt in Angriff nimmt. [...]

Die streikende Arbeiterschaft von Bombay aber steht unter der Leitung und dem Einfluß einer politischen Gruppe, die ihr die Idee einimpft: "Der Kampf um eure Freiheit kann nicht als ein rein politischer geführt werden. Eure Interessen können nicht politisch wahrgenommen werden von Leuten, die wirtschaftlich eure Feinde sind. Dieselben Fabrikanten, die die Swarajbewegung unterstützten, verweigern euch das Existenzminimum. Es hat keinen Sinn, an ihrer Seite für eine “Freiheit” zu kämpfen, die euch aus der Fremdherrschaft nur unter die Knechtschaft der souverän gewordenen Kapitalistenklasse Indiens bringen wird. Euer Kampf kann nicht der bürgerliche Freiheitskampf sein, sondern ihr müßt den proletarischen Klassenkampf ausfechten."

Daß die den jetzigen Streik leitende radikale Gewerkschaft, der “Girni Kamgar” (Textilarbeiter) unter kommunistischer Führerschaft steht, unterliegt keinem Zweifel. Sie selbst nennt sich auch gern “The Red Flag Union”, Gewerkschaft der roten Fahne. [...]

Das ist das Bezeichnende: Gab es noch im Generalstreik des vorigen Jahres ein “Vereinigtes Streikkomitee” aus Radikalen und Gemäßigten, so verhalten sich die “alten” Gewerkschaften diesmal völlig passiv; es ist, als ob sie überhaupt nicht existierten. Dabei beweisen die Forderungen, um die es geht ‑ Wiedereinstellung gemaßregelter Arbeiter und Anerkennung einer Art Arbeiterrat in den Fabriken ‑, daß dieser hartnäckige und schwere Kampf in erster Linie um rein politischer Ziele willen geführt wird und keineswegs eine Magenfrage ist.

Ich glaube, diese wenigen Zitate zeigen uns genügend den Sinn de revolutionären Kämpfe in Indien:

Erstens die Verflechtung des ökonomischen Kampfes mit dem politischen; zweitens, daß die Bewegung in Indien unter der roten Flagge des Kommunismus steht; drittens, daß die alten reformistischen Gewerkschaften gegenüber dieser Bewegung sich völlig “passiv”, das heißt bewußt verräterisch, verhalten. Sind die reformistischen Gewerkschaften in Indien “passiv”, so glaube ich, können wir von unserer reformistischen Gewerkschaftsbürokratie das Gegenteil sagen. Sie ist aktiv, aber aktiv im Interesse der Unternehmer, aktiv bei der Abwürgung der Streiks, bei Spaltung der Gewerkschaften, bei massenhaften Ausschlüssen der revolutionären Arbeiter aus den Gewerkschaften.

Diese Bewegung in Indien hat deswegen so große internationale Bedeutung, weil sie nicht ohne Wirkung auf die anderen Kolonien bleiben kann. Sie wird nicht ohne Widerhall in China bleiben, wo die nationalistische Bourgeoisie mit dem Henker Tschiang Kai-schek an der Spitze im Bunde mit den Imperialisten die Arbeiter- und Bauernmassen ausbeutet und unterdrückt und auf Befehl der imperialistischen Mächte unter Führung Amerikas den Krieg gegen die Sowjetunion provoziert. Auch dort wird der fortdauernde Generalskrieg und die Hungersnot der Millionenmassen zu neuen Aufständen führen.

Nehmen wir einige andere Tatsachen: In Australien, im Lande des “sozialen Friedens”, gingen erst kürzlich große Streikbewegungen vor sich. In Japan ist zum ersten Male seit langer Zeit ein großer wirtschaftlicher Kampf ausgebrochen, gegen den die japanische Regierung und alle Staatsorgane die heftigsten Unterdrückungsmaßnahmen ergreifen, ferner die ungeheure Streikwelle in Frankreich, in Polen, die letzte Streikbewegung in Bulgarien, die erbitterten Teilstreiks in Amerika usw. Alle diese Tatsachen zeigen die Verschärfung der inneren Gegensätze, die man von den äußeren Widersprüchen nicht trennen kann. Sie charakterisieren weiter das grundlegende Moment der gegenwärtigen Entwicklung, die Tatsache des neuen revolutionären Aufschwungs.

Aber der Imperialismus beutet nicht nur die fremden Kolonialsklaven aus und peinigt sie bis aufs Blut. Marx und Lenin haben uns belehrt, daß es in jeder kapitalistischen Nation eigentlich zwei Nationen gibt: die Nation der Kapitalisten, der Ausbeuterklasse, und die Nation der Arbeiter, der Ausgebeuteten. Marx und Lenin haben uns weiter gesagt, daß der Krieg zwischen den kapitalistischen Staaten, der “Völkerkrieg”, solange nicht aufhören kann und solange nicht aufhören wird, solange es eine Klassengesellschaft und einen Klassenkampf gibt, den unversöhnlichen Kampf auf Leben und Tod zwischen Proletariat und Bourgeoisie. Die Heuchelei der II. Internationale über die “Völkerversöhnung” und über den Völkerbund, die Kautsky-Hilferdingsche “Theorie” des "Ultraimperialismus" ist nichts anderes als der Ausdruck ihrer Auffassung über die Klassengemeinschaft und Klassenversöhnung. Sie ist die “Theorie” des Burgfriedens, wie sie im imperialistischen Kriege 1914 bis 1918 durchgeführt wurde, und die “Theorie” des jetzigen “Reparationsburgfriedens” im heutigen Stadium.

Was dieser Burgfrieden in der Praxis bedeutet, weiß die deutsche Arbeiterklasse aus eigener Anschauung. Die Offensive der Kapitalisten gegen die Arbeiterklasse und ihre nackten Lebensinteressen hat, wie der VI. Weltkongreß voraussagte, eine ungeheure Verschärfung des Klassenkampfes in allen Ländern hervorgerufen. Um die wirtschaftliche Ausbeutung der Massen zu verstärken, muß die Bourgeoisie den steigenden Widerstand der Massen durch ihre rücksichtslose Politik der Unterdrückung, der Vernichtung der revolutionären Arbeiterorganisationen, der Ausnahmegesetze gegen die Kommunisten und durch die Faschisierung der Herrschaftsformen brechen.

Noch nie war die faschistische Gefahr in der ganzen Welt für das Proletariat so groß wie gerade jetzt. Wir müssen auf unserem Parteitag konstatieren: Der Faschismus in der ganzen Welt befindet sich in stetem Vormarsch; sowohl in den rückständigen Agrarländern wie auch in den fortgeschrittenen, sogenannten demokratischen Ländern. Seit dem VI. Weltkongreß hatten wir den faschistischen Umsturz in Jugoslawien, die Einsetzung der Oberstenregierung in Polen und die Tatsache der Ausdehnung und Verschärfung der faschistischen Bewegung in Österreich ‑ wo in der letzten Zeit systematische Überfälle auf die Arbeiterschaft erfolgt sind ‑ bei völliger Kapitulation und Ohnmacht der österreichischen Sozialdemokratie, dieses “Stolzes der II. Internationale”.

Wir sehen auch eine steigende faschistische Bewegung in Deutschland, eine stärkere Entwicklung des Werkfaschismus[2], der faschistischen “Wehr”organisationen, das aktive Auftreten der Nationalsozialisten in allen Teilen Deutschlands, ihr Gewinn bei den sächsischen Wahlen. Verschieden sind die Formen und Methoden, wie der Faschismus in verschiedenen Ländern zur Herrschaft zu gelangen sucht, aber überall tritt er nicht nur als stärkstes Mittel der Unterdrückung der Arbeiter, sondern als Wegbereiter für den Krieg gegen die Sowjetunion auf. Hier ist besonders wichtig, darauf hinzuweisen, daß, während der Faschismus in Italien und in anderen Ländern in seiner reinen Form zur Diktatur gelangt ist, es in einigen Ländern eine besonders gefährliche Form der faschistischen Entwicklung, die Form des Sozialfaschismus, gibt. Gerade die Form des Sozialfaschismus, der sozialfaschistische Kurs der Sozialdemokratie, wie ich ihn besonders bei der allgemeinen Klassenanalyse in Deutschland noch zeigen werde, spielt jetzt für unsere Kampfmethoden, für unsere gesamte Taktik eine außerordentlich große Rolle.

Die Sozialdemokratie ist überall zum stärksten Hebel der faschistischen Entwicklung geworden, das beweist nicht nur die Praxis der Severing- und Zörgiebel-Partei in Deutschland, das wird auch die Tätigkeit der MacDonald-Regierung[3] in England beweisen. Es besteht gar kein Zweifel darüber, daß die MacDonald-Regierung die Politik der konservativen Regierung mit anderen Methoden, aber in derselben Grundlinie fortsetzen wird. Während die erste MacDonald-Regierung im Jahre 1924 nur wenige Monate am Ruder war und durch das Fehlen großer wirtschaftlicher Kämpfe und den Abschluß des Vertrages mit der Sowjetunion sich eine einigermaßen günstige Position schaffen konnte, wird die jetzige Labourregierung infolge der gesteigerten Widersprüche und Schwierigkeiten den Kurs der Konservativen verschärft fortsetzen und sich dadurch um so rascher in den Augen der werktätigen Massen entlarven. Sie wird durch ihre reaktionären Maßnahmen zur weiteren Verschärfung des Klassenkampfes in England beitragen und unserer Kommunistischen Partei die Perspektive einer ernsthaften Eroberung der von der Praxis der MacDonald-Regierung enttäuschten Arbeitermassen eröffnen.

Die sozialdemokratische Koalitionsregierung in Deutschland setzt nicht nur den Kurs des Bürgerblocks fort, sondern sie hat auf verschiedenen Gebieten die reaktionäre Tätigkeit des Bürgerblocks noch verstärkt, die Offensive .e en das Proletariat noch gesteigert. Die Entwicklung in England wird ebenso verlaufen. Wir haben schon die Tatsache zu verzeichnen, daß jetzt mehrere Vertreter der Liberalen Partei zur Labour Party übergetreten sind, die natürlich deswegen übertraten, weil sie in dieser Partei die Unterdrückung des Proletariats besser durchzusetzen hoffen als selbst in der Liberalen Partei.

Sicher ist, daß erstens die MacDonald-Regierung mit den wichtigsten imperialistischen Mächten die Kriegspolitik gegen die Sowjetunion nicht nur unterstützen, sondern aktiv fördern wird;

zweitens, daß sie der wichtigste Faktor bei der Niederschlagung der indischen Revolution und jeder national-revolutionären Bewegung in den Kolonien sein wird;

drittens, daß sie den verschärft beginnenden Prozeß der kapitalistischen Rationalisierung in England mit der Bourgeoisie gemeinsam unter der Flagge des “Industriefriedens” ‑ bekanntlich heißt in England diese Losung so, die man in Deutschland “Wirtschaftsdemokratie” nennt ‑ aktiv unterstützen und durchsetzen wird;

viertens, daß die MacDonald-Regierung den schärfsten Kampf gegen den Kommunismus führen wird.

Trotz aller Stabilisierungsmaßnahmen in den verschiedenen Ländern sowie auch der teilweisen Stabilisierungserfolge, die die Bourgeoisie erzielt hat, wird die Entwicklung des Klassenkampfes zwischen Bourgeoisie und Proletariat, die verstärkte Aktivität der Arbeiterklasse und ihre Revolutionierung gegenwärtig zum wichtigsten Faktor der Erschütterung und Zersetzung der relativen Stabilisierung des Kapitalismus.

Es ist das allgemeine marxistische Grundgesetz, daß die ökonomischen Widersprüche in der ganzen Welt unvermeidlich soziale Konflikte auslösen müssen. Alle diese sozialen Konflikte finden ihren unmittelbaren handgreiflichen Ausdruck in dem Gegensatz des kapitalistischen Weltsystems zum sozialistischen System der Sowjetunion. Die Bourgeoisie aller Länder weiß zu gut, daß es ihr nur dann gelingen wird, die “eigene” Arbeiterklasse auf die Knie zu zwingen, wenn sie die Festung des Weltproletariats, die Sowjetunion, zerstören würde. Deshalb wächst in dem Maße, wie sich der revolutionäre Kampf der Arbeiterklasse gegen ihre Unterdrücker entwickelt. der Kampf des Weltimperialismus und der internationalen Sozialdemokratie gegen den ersten proletarischen Staat.

Deshalb ist die Gefahr des imperialistischen Krieges gegen die Sowjetunion, wie wir sie stets bei allen wichtigen Aufgaben analysieren, in ein neues akutes Stadium gerückt. Dieses Stadium ist bereits durch die operativ-organisatorische Vorbereitung des Interventionskrieges gekennzeichnet, wie es einige Tatsachen der letzten Zeit veranschaulichen sollen.

Ich erinnere hier nur an den Ausgang der Reparationskonferenz in Paris, an die organisierten Bandenüberfälle in Afghanistan, an den Abbruch der Beziehungen zwischen China und der Sowjetunion, an den militärischen Geheimvertrag zwischen Polen und Rumänien, an die Tatsache der “diplomatischen Schritte und Noten” der Stresemann-Müller-Regierung nach den Maiereignissen in Deutschland. Alle diese neuen Tatsachen, die man noch ergänzen kann, zeigen, daß die Provozierung des imperialistischen Krieges gegen die Sowjetunion jetzt im Vordergrund der gesamten Politik der imperialistischen Mächte steht. Auf der einen Seite sind es die ökonomischen und sozialen Widersprüche der imperialistischen Staaten, die sie zum Kriege gegen die Sowjetunion treiben, um ein seit mehr als elf Jahren der kapitalistischen Profitwirtschaft entzogenes Gebiet zu erobern, um den Vortrupp des internationalen Proletariats niederzuschlagen.

Auf der anderen Seite ist es die politische und wirtschaftliche Festigung der Sowjetunion, die Durchführung des gewaltigen sozialistischen Aufbaus, das Auftreten der Sowjetunion als ernster wirtschaftlicher Faktor auf dem Weltmarkt und ihre immer größer werdende wirtschaftliche Unabhängigkeit, die die Kapitalisten zwingt, das Tempo ihrer Kriegsvorbereitungen zu beschleunigen.

In diesem Zusammenhange wird die Orientierung der deutschen Außenpolitik, werden auch die Maiereignisse in einen breiteren internationalen Zusammenhang gestellt.

Die vorwärts stürmende Entwicklung des sozialistischen Aufbaus in der Sowjetunion verstärkt bei den Imperialisten die Einsicht, daß jede Verzögerung des Krieges die Positionen der Sowjetunion nur unerschütterlicher und unbesiegbarer macht.

Es ist unmöglich, im Rahmen dieses Referates die grandiosen Erfolge des sozialistischen Aufbaus näher zu beleuchten. Nur wenige Zahlen aus dem Fünfjahrplan sollen dieses gewaltige Werk, in welchem das System des planmäßigen sozialistischen Aufbaus seinen Ausdruck findet, kennzeichnen.

Während die industriellen Kapitalinvestierungen im vergangenen Jahrfünft 4,4 Milliarden Rubel betrugen, sind sie für das nächste Jahrfünft mit 16,4 Milliarden Rubel geplant. Die entsprechenden Zahlen finden wir in der Landwirtschaft: das erste Jahrfünft mit 15 Milliarden, das zweite Jahrfünft mit 23,2 Milliarden.

Wesentlich ist weiter die Entwicklung ganz neuer Industriezweige, wie der Automobil- und Traktorenindustrie, des Maschinenbaus überhaupt und der chemischen Industrie.

Der Fünfjahrplan sieht das Anwachsen der Aussaatfläche des vergesellschafteten Sektors auf 27 Millionen Hektar vor ‑ das heißt auf 17 Prozent der gesamten Aussaatfläche ‑, auf denen 15 Prozent der Bruttoproduktion und 43 Prozent der Warenproduktion an Getreidearten erzeugt werden. In absoluten Zahlen gerechnet, werden die Kollektivwirtschaften und Sowjetgüter am Ende des Jahrfünfts 6 560 000 Tonnen Getreide aufbringen, was die größte Manövrierfähigkeit des Sowjetstaates gegenüber dem freien Markte ermöglichen wird.

Eine weitere wichtige Tatsache ist das Aufrücken der Sowjetunion in der Skala der Weltproduktion. In der Roheisenproduktion wird die Sowjetunion von der sechsten auf die dritte Stelle ‑ nach Deutschland und den Vereinigten Staaten ‑, in der Steinkohlenproduktion von der fünften auf die vierte Stelle ‑ nach den Vereinigten Staaten, England und Deutschland ‑ rücken. (Die hier angegebenen Zahlen sind bereits durch neue Tatsachen der Entwicklung der sozialistischen Industrialisierung als überholt und zu gering angesetzt zu betrachten. Ernst Thälmann.) Alle diese wenigen Tatsachen und überhaupt der ganze Fünfjahrplan liefern den Beweis, daß die Sowjetunion ihren Aufbau im Interesse ihrer werktätigen Massen durchführt und nicht an der Ausplünderung irgendeines fremden Landes interessiert ist, wie es die imperialistischen Länder überall tun. Deshalb ist die Sowjetunion auch der stärkste Friedensgarant in der ganz en Welt. Die Friedenspolitik der Sowjetregierung, ihre Initiative bei der Unterzeichnung des Kelloggpaktes[4], Litwinows Abrüstungsvorschläge in Genf, alle diese Tatsachen haben den heuchlerischen Pazifismus der zum Kriege rüstenden Imperialisten nicht nur in den Augen der Arbeiter, sondern bis weit in die Kreise des Kleinbürgertums entlarvt.

Angesichts der steigenden Rüstungen der imperialistischen Länder für den Interventionskrieg gegen die Sowjetunion ist es die Pflicht der Arbeiter der ganzen Welt, den ersten proletarischen Staat der Welt mit allen Mitteln zu verteidigen.

Im Namen der Kommunistischen Partei Deutschlands und im Namen der revolutionären Arbeiter senden wir von dieser Stelle aus unsere brüderlichen Kampfesgrüße der Roten Armee, der Schutz- und Wehrorganisation des Proletariats in der ganzen Welt. Die Verteidigung der Sowjetunion muß zur zentralen Achse der revolutionären Politik der Arbeiter in allen Ländern gemacht werden.

In diesem Zusammenhang stehen vor uns die Aufgaben, die der VI. Weltkongreß für die Durchführung des Antikriegstages am 1. August festgesetzt hat. Wir müssen diesen Antikriegstag zu einer großen Bewegung der Werktätigen aller Länder machen, um gegen alle konterrevolutionären Anschläge der Bourgeoisie und der Sozialdemokratie den Widerstand der breiten Massen zu entfachen. Es ist ganz selbstverständlich, daß wir auf Grund unserer revolutionären Politik bei dieser steigenden Kriegsgefahr verpflichtet sind, alle revolutionären Elemente im Proletariat und in den werktätigen Massen überhaupt für eine Bewegung zu mobilisieren, die für die zukünftige Entwicklung von außerordentlich großer Bedeutung ist.

Wenn wir die Frage der imperialistischen Kriegspolitik und die Entwicklung in Deutschland berühren, so müssen wir natürlich auch in Deutschland, wie im internationalen Maßstabe, den Zusammenhang zeigen zwischen der Kapitalsoffensive und der faschistischen Unterdrückungspolitik der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse einerseits und der Vorbereitung des Interventionskrieges gegen die Sowjetunion unter der aktiven Führung der Sozialdemokratie andererseits. Es muß allen Proletariern, auch in Deutschland, bekanntgemacht werden, wie die II. Internationale an dem Kampftag des Weltproletariats, am 1. Mai, die internationale revolutionäre Solidarität der Arbeiterklasse preisgegeben und verraten hat. Es ist kein Zufall, daß in verschiedenen Ländern die Sektionen der II. Internationale selbst die Losungen, die vor 40 Jahren auf dem internationalen Kongreß in Paris aufgestellt wurden, offen verleugneten und die proletarische Solidarität mit Füßen traten.

Die große Solidaritätsaktion am 1. Mai legt vom gewaltigen Wachsen des Einflusses der Kommunistischen Internationale in den verschiedenen Ländern Zeugnis ab. In den meisten Ländern folgten die proletarischen Massen den revolutionären Losungen der Kommunistischen Internationale, trotz aller Verbots- und Verfolgungsmaßnahmen des bürgerlichen Staatsapparates und seiner sozialfaschistischen Henkersknechte. In Paris wollte man die große Maidemonstration, einberufen von der KPF, auf folgende Weise verhindern: Man hat 24 Stunden vor dem Aufmarsch allein in Paris über 3000 Kommunisten verhaftet. Der Bourgeoisie und der Staatsgewalt in Frankreich ist es trotzdem nicht gelungen, die kommunistische Demonstration zu verhindern. Selbst die vielen Verhaftungen konnten den gewaltigen Aufmarsch der Massen unter der Führung der französischen Bruderpartei nicht wesentlich beeinträchtigen.

In Berlin hat der sozialdemokratische Polizeipräsident Zörgiebel im Auftrage der sozialdemokratischen Führung und der reformistischen Gewerkschaftsbürokratie des ADGB die Demonstration verboten. Doch die Massen haben unter Führung der Kommunistischen Partei trotzdem demonstriert. Der Arbeitermörder, der Sozialdemokrat Zörgiebel, ließ bereits mittags in die friedlichen Demonstranten und in eine freigewerkschaftliche Versammlung der Rohrleger in einem Versammlungsraum hineinschießen. Das Ergebnis dieser Mordprovokationen war schon in den Mittagsstunden ein Toter und mehrere Schwerverwundete. Am Abend entstanden im roten Wedding und im roten Neukölln Barrikaden. Die Berliner Arbeiter haben sich gegen die Mordbestien der Polizeigewalt zur Wehr gesetzt und ihr Recht auf die Straße verteidigt.

Ich werde im Zusammenhang mit der Frage der Perspektive der weiteren Entwicklung auf die Maiereignisse noch später eingehen. Ich will hier nur kurz die internationale Bedeutung der Berliner Maikämpfe würdigen.

Welches revolutionäre Echo die Maikämpfe von Berlin in der ganzen Welt gefunden haben, davon macht sich das deutsche Proletariat und selbst die deutsche Partei keine richtige Vorstellung. Auf der internationalen Konferenz in Brüssel, in der unter anderem die Frage des 1. Mai in Berlin behandelt wurde, berichteten die Vertreter aus den wichtigsten europäischen Ländern über die großen Demonstrationen und Versammlungen nach dem 1. Mai. Diese Solidaritätsaktionen haben eine internationale Bedeutung, weil zu Tausenden und Zehntausenden die Arbeiter in den kapitalistischen Ländern ihre revolutionäre Solidarität mit den deutschen Arbeitern bekundeten. Millionen und aber Millionen haben in der Sowjetunion demonstriert und uns ihre Kampfesgrüße übersandt. Die Tatsache, daß eine große Hilfsaktion der sowjetischen Arbeiterklasse für die Opfer Zörgiebels eingeleitet wurde, wird auch in der deutschen Arbeiterklasse die Solidarität mit den sowjetischen Arbeitern noch mehr verstärken. Wenn es zum Beispiel in Wien möglich war, aus Sympathie und Solidarität mit den kämpfenden Berliner Arbeitern wichtige Betriebe auf einige Zeit stillzulegen, wenn die französische Partei einige Betriebe dazu brachte, geschlossen die Arbeit niederzulegen, wenn ferner ‑ um ein charakteristisches Beispiel zu geben ‑ in Kopenhagen ungefähr 12 000 bis 15 000 Demonstranten unserer Partei gefolgt sind, das heißt mehr als fünfmal soviel, wie die Partei bei den letzten Wahlen in ganz Dänemark Stimmen erhalten hat, wenn sogar in den Balkanländern, wo die kommunistischen Parteien illegal arbeiten müssen, die Maiereignisse lebhaften Widerhall gefunden haben, so muß dies ganz besonders unterstrichen werden.

Was ist das Wichtigste bei diesen Solidaritätsaktionen? Nicht nur die Tatsache der Demonstrationen, der großen Versammlungen, sondern auch die Tatsache, daß zum ersten Male diese Aktionen in wichtigen Ländern der ganzen Welt im Zeichen des Kampfes gegen den Reformismus des betreffenden Landes verliefen. Es waren Demonstrationen in der Linie der Losungen und der Solidarität mit der Kommunistischen Internationale. Sie legen Zeugnis ab von den revolutionären Energien, die sich in den Massen angesammelt haben.

Die Berliner Maikämpfe haben aber nicht nur die Solidaritätsbewegung der Arbeiter gezeigt, sie haben schon vor dem 1. Mai und ebenfalls nach dem 1. Mai die “Solidarität” der Weltbourgeoisie und der internationalen Sozialdemokratie gegen das revolutionäre Weltproletariat und die Sowjetunion bewiesen. Diese beispiellose Hetze vor dem 1. Mai und besonders nach dem 1. Mai gegen die Kommunistische Internationale ist doch kein Zufall. Sie ist geboren aus der ganzen Situation, sie liegt tief begründet in dem Wachstum des Kommunismus.

Die bürgerliche Presse in den wichtigsten imperialistischen Ländern erhebt nach dem 1. Mai einstimmig heftige Anklagen gegen die Kommunistische Internationale. Das französische Regierungsorgan "Le Temps", der englische konservative "Daily Telegraph", die amerikanische "New York Herald Tribune" und andere schließen sich der schamlosen Hetze gegen den Kommunismus an, wie sie in der Presse der deutschen Schwerindustrie und der Regierungspresse tagelang leidenschaftlich durchgeführt und mit den schmutzigsten Verleumdungen verquickt wurde.

Was ist der Grund der heute besonders scharf einsetzenden Hetze gegen die Sowjetunion und der Verfolgungen gegen die Kommunisten und die revolutionären Arbeiter der ganzen Welt? Das ist die objektive Zuspitzung der gesamten Weltlage, das ist die Radikalisierung und Revolutionierung der Massen, das ist der beschleunigte Prozeß der Abwanderung der Massen von der verräterischen Sozialdemokratie nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern. Das ist jenes Entwicklungsstadium, in dem die proletarischen Massen den Übergang suchen, um zur Kommunistischen Partei zu kommen.

Die Erfolge der kommunistischen Parteien in allen Ländern, wie sie auf der Grundlage der Durchführung der Beschlüsse des VI. Weltkongresses, der neuen Taktik "Klasse gegen Klasse" errungen wurden, haben eine große Bedeutung. Ich will wegen der Kürze der Zeit und wegen der Fülle der verschiedenen politischen Fragen, die ich noch zu behandeln habe, nur drei Erscheinungen erwähnen, die von der fortschreitenden Verstärkung und Bolschewisierung der kommunistischen Parteien zeugen:

1. Die Ausstoßung liquidatorischer Elemente aus unseren Reihen in den wichtigsten Sektionen und die Überwindung der versöhnlerischen Elemente, die die Rolle der Rechten in den verschiedenen Sektionen übernommen haben.

2. Das größte Verständnis und größere Erfahrungen bei der Durchführung des unversöhnlichen Kampfes gegen den Reformismus unter Anwendung der revolutionären Einheitsfronttaktik von unten und der Schaffung neuer Kampforgane der proletarischen Massen.

3. Die organisatorische Festigung der Reihen der Parteien bei gleichzeitiger Säuberung von kleinbürgerlichen Elementen, Verlegung des Schwergewichts der Arbeit in die Betriebe, auf die Arbeit unter den Massen, aber dieser Prozeß geht gegenüber den objektiven Anforderungen noch zu langsam vor sich.

Ich will zur Illustrierung dieser Tatsachen nur auf einige Erscheinungen in dem Kampf der Kommunistischen Internationale gegen die Rechten und Versöhnler hinweisen: auf die Erfahrungen und Erfolge des innerparteilichen und allgemein-politischen Kampfes gegen die liquidatorischen Elemente und gegen die Versöhnler in der deutschen Partei. Auf den großen innerparteilichen Kampf in der tschechoslowakischen Partei, bei dessen Beginn Genossen in unseren Reihen behaupteten, daß diese Auseinandersetzung ein Minus für uns bedeute und nicht das gewaltige Plus, das es in Wirklichkeit war. Die Ausstoßung der liquidatorischen Elemente aus der tschechoslowakischen Partei, die sich schon ganz offen mit der Sozialdemokratie im Kampfe gegen den Kommunismus verbünden, ist ein so gewaltiges Plus, daß wir die tschechoslowakische Partei zu diesem Erfolg nur beglückwünschen können. Eine weitere Erscheinung: die noch nicht voll ausgetragenen Differenzen in der amerikanischen Partei, die schon zur Zeit des VI. Weltkongresses in der amerikanischen Delegation, wie auch auf dem letzten amerikanischen Parteitag zum Ausdruck kamen und die in der nicht genügenden oder falschen Einschätzung der Entwicklung des amerikanischen Imperialismus und der völligen Unterschätzung der sich entwickelnden neuen Quellen der revolutionären Energien des amerikanischen Proletariats ihren Ursprung haben. Die Kommunistische Internationale hat zusammen mit dem gesunden proletarischen Kern der amerikanischen Partei einen entschlossenen Kampf gegen die betrügerischen Elemente unter Führung von Lovestone und gegen alle opportunistischen Elemente aufgenommen und an die Stelle der alten Führung eine andere eingesetzt, die gewillt ist, den Kurs des VI. Weltkongresses durchzuführen. Der bereits mit Erfolg durchgeführte Kampf gegen den rechten Flügel in der polnischen Partei und Führung ist von größter Bedeutung. Die Tatsachen in der schwedischen Partei, große opportunistische Fehler, besonders in der engsten Führung, werden auf dem X. Plenum des EKKI eine große Rolle spielen.

Ich will hier weiter nur die Vorgänge in der österreichischen Partei und die letzten Beschlüsse des ZK der KP der Schweiz gegen die offenen Rechten erwähnen.

Ich glaube, wir können im Zusammenhang mit diesen Tatsachen den Wunsch aussprechen, daß alle Genossen die Dokumente, die uns aus den anderen Parteien zur Verfügung stehen, studieren, um aus ihnen Lehren und Erfahrungen für unsere revolutionäre Arbeit zu ziehen.

Wir können ferner mit Genugtuung feststellen, daß wir in Deutschland seit dem VI. Weltkongreß verstanden haben, den Kampf gegen die Rechten und Versöhnler mit aller Schärfe durchzuführen und in dieser Hinsicht den anderen Sektionen einige Erfahrungen vermittelt zu haben. Aber auch wir wurden bei der Reinigung der Partei von opportunistischen Elementen und der Festigung unserer Reihen unterstützt durch das Beispiel der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, der führenden Partei der Kommunistischen Internationale, die seit dem VI. Weltkongreß als Hauptaufgabe den Kampf gegen Rechte und Versöhnler geführt hat, nachdem sie die trotzkistische Gefahr überwunden hatte. Die Erfolge der Kommunistischen Partei der Sowjetunion in der Bekämpfung und Überwindung der schwankenden Elemente sind nicht nur eine Gewähr dafür, daß der Kurs auf die sozialistische Industrialisierung trotz aller Schwierigkeiten und des verschärften Klassenkampfes durchgeführt wird, sie sind auch ein Ansporn für alle kommunistischen Parteien, den Weg der Bolschewisierung mit noch größerer Entschlossenheit fortzusetzen.

Ich will damit die Übersicht über die internationale Lage abschließen und zur konkreten Analyse der Lage in Deutschland und zu den Aufgaben unserer Partei übergehen.

II. Die Wirtschaftslage in Deutschland, insbesondere das Reparationsproblem, die Offensive des Kapitals und die imperialistische Kriegspolitik Deutschlands

Wenn wir über die Lage in Deutschland sprechen, so müssen wir uns die Frage vorlegen: Welche Entwicklung hat sich seit dem Parteitag in Essen vollzogen? Ich glaube, sowohl die allgemeine politische Lage in Deutschland als auch die Kampfbedingungen des Proletariats geben uns an Hand der Beispiele, sowohl der Entwicklung zur Zeit von Essen wie der heutigen Entwicklung, die Möglichkeit, gewisse Vergleiche anzustellen.

Auf dem Essener Parteitag stellten wir bereits in unseren Thesen fest, daß in der Entwicklung der relativen Stabilisierung des neudeutschen Imperialismus eine gewisse Spannung eingetreten ist, wobei wir gleichzeitig die Bezeichnung neudeutscher Imperialismus wählten, um seine besonderen Schwächen anzuzeigen.

Die damalige ökonomische Analyse, die wir in Essen gaben, war begründet in jenem schnellen Aufschwung, der sich besonders im Jahre 1927 in der Wirtschaft gezeigt hat und durch das Hineinströmen von großen Summen amerikanischen Kapitals angekurbelt und gefördert wurde sowie durch den englischen Bergarbeiterstreik, der fast sieben Monate dauerte. Wir sahen auch, daß in dieser Entwicklung die erste Rationalisierungswelle mit den uns allen bekannten kapitalistischen Ausbeutungsmethoden die gesamte Struktur der deutschen Wirtschaft verändert hat. Gleichzeitig wurde auch die höchste Steigerung der Arbeitsleistung erzielt sowie eine gewaltige Erhöhung der Produktionskapazität, die in fast allen Zweigen der Wirtschaft das Vorkriegsniveau überschritt. Ich will nur einige Zahlen nennen, um diese ungeheure Steigerung der Produktionskapazität zu illustrieren:

Im Jahre 1913 betrug die monatliche Kohlenproduktion durchschnittlich 11 729 000 Tonnen, 1926 betrug sie 12 108 000 Tonnen, im Jahre 1927 war der Monatsdurchschnitt 12 800 000 Tonnen. In der Eisenproduktion sehen wir ebenfalls die größten Produktionszahlen im Jahre 1927. 1913 lag der Monatsdurchschnitt bei 910 000 Tonnen, 1926 betrug er 803 000 Tonnen, 1927 betrug er 1 090 000 Tonnen. Die Steigerung von 1927 zu 1913 betrug 20 Prozent. Für die deutsche Maschinenproduktion sind die Zahlen über den Wert der Produktion: 1913 3,92 Milliarden Mark, 1926 2,5 Milliarden Mark, 1927 3,4 Milliarden Mark. Ich will nur diese wenigen Zahlen nennen, weil ja der vorliegende Bericht auf die Entwicklung in den wichtigsten Industriezweigen genügend hinweist. Wir finden dort ebenfalls die allgemeinen Angaben über die Entwicklung des deutschen Außenhandels, über die Preisbewegung, die Entwicklung des Geld- und Kapitalmarktes usw.

Bekanntlich war diese ungeheure konjunkturelle Entwicklung im Jahre 1927 nur von ganz kurzer Dauer. Es zeigte sich bereits in demselben Jahre ein Wendepunkt in der Konjunkturentwicklung, die im November 1927 ihren höchsten Punkt erreicht hatte. Es ist notwendig, im Zusammenhang mit der damaligen Entwicklung zwei Momente besonders hervorzuheben:

Erstens das Erstarken des deutschen Kapitalismus, die Entwicklung des deutschen Imperialismus auf der Grundlage der Rationalisierung, vor allem der Auspowerung der breiten werktätigen Massen und zugleich der Hilfe des ausländischen Kapitalismus durch das Einströmen fremden Kapitals, namentlich aus Amerika, dem dieses Erstarken in besonderem Maße zu verdanken ist. Natürlich hat die damalige Situation für die heutige Entwicklung oder für die jetzige Lage eine außerordentliche Bedeutung. Zweitens hatten wir in den zwei Jahren, die uns von Essen trennen, nicht nur den Aufschwung bis November 1927, sondern können gleichzeitig den Rückgang feststellen, der im Frühjahr des Jahres 1929 eintrat und die deutsche Wirtschaft fast zu einer allgemeinen Krise brachte. Dieser rasche Wechsel der Konjunktur zeigt die besonderen Schwierigkeiten der deutschen Wirtschaft und ihre Abhängigkeit vom ausländischen Kapital. Ich will von dieser Seite nur die charakteristischen Merkmale der dritten Periode aufzeigen, um ihre Unterschiede gegenüber dem Charakter der zweiten Periode zu skizzieren.

In Deutschland zeigt sich am krassesten der Widerspruch zwischen der Produktionskapazität und der Verengung der Absatzmärkte. Die allgemeine Steigerung der Arbeitsintensität und die Erhöhung der Produktion waren in der ersten Rationalisierungsphase zugleich mit der Erweiterung des inneren Marktes verbunden. In der ersten Rationalisierungsphase zeigte sich auch eine besondere Beanspruchung der Produktion, ein großer Bedarf an Produktionsmitteln, die notwendig waren, um den Prozeß der technischen Revolution zu fördern und den Produktionsapparat mit neuen Maschinen, mit neuen Produktionsfundamenten, auszustatten.

Schon im Jahre 1928, noch mehr in der Gegenwart, ist, hauptsächlich infolge der fehlenden Kaufkraft der Millionen der werktätigen Massen, eine Verengung der inneren Absatzmöglichkeiten festzustellen. Zu diesen allgemeinen Schwierigkeiten kommen noch die besonderen Schwierigkeiten des deutschen Imperialismus. Sie sind bedingt durch die Reparationslasten, die gewaltige Verschuldung der deutschen Wirtschaft an das Ausland das Fehlen von Kolonien als Rohstoffquellen und Absatzmärkte. Suchen wir uns somit aus der Entwicklung seit Essen in großen Zügen ein Bild der heutigen Wirtschaftslage zu machen, so werden wir sehen, wie recht der VI. Weltkongreß hatte, als er die charakteristischen Züge der dritten Periode nicht nur in dem Überschreiten des Vorkriegsniveaus der Weltproduktion und des Welthandels, sondern auch in der Zuspitzung aller ökonomischen und sozialen Widersprüche nachgewiesen hat. Dies ist die Voraussetzung für das Verständnis der Lage in Deutschland.

Ich will an die Auseinandersetzungen erinnern, die wir auf dem VI. Weltkongreß mit der Gruppe der Versöhnler hatten. Wie war die Beurteilung der dritten Periode durch die Versöhnler? Sowohl auf dem Kongreß wie auch in den späteren Dokumenten, die den meisten hier anwesenden Delegierten bekannt sind, sprachen die Versöhnler von einer "festen und starken Stabilisierung", während wir die Relativität der kapitalistischen Stabilisierung zeigten und von einer schwankenden und faulen Stabilisierung sprachen. Die Tatsachen haben entschieden, wer recht hat. Oder wird einer der anwesenden Versöhnler, die hier “so zahlreich” vertreten sind, noch den Mut und die Courage aufbringen, ihren damaligen Standpunkt, den sie in ihren Dokumenten niedergelegt haben, noch weiter zu vertreten?

Wie war die Lage in den letzten Monaten in Deutschland? Wir hatten im Dezember 1928 den höchsten Stand der Arbeitslosigkeit, in den ersten Monaten dieses Jahres die höchste Anspannung auf dem Geld- und Kreditmarkt, im April die Erhöhung des Zinsfußes um 1 Prozent, was auf die Entziehung der langfristigen und kurzfristigen Auslandskredite zurückzuführen ist. Wir sahen bereits Anzeichen einer Gefährdung des Markkurses, einer allgemeinen Wirtschaftsdepression im Zusammenhang mit der Sachverständigenkonferenz, wo über die weitere wirtschaftliche Lage Deutschlands entschieden werden sollte.

Bevor wir die jetzige ökonomische Lage analysieren, wie sie durch die Annahme des Youngplans an Stelle des Dawesplans bestimmt wird, ist es notwendig, das eigentliche Reparationsproblem naher zu untersuchen. Alle bürgerlichen Parteien und die Sozialdemokratie behandeln das Reparationsproblem anders als wir. Die Stellung der Kommunistischen Partei zum Reparationsproblem ist grundsätzlich eine andere als die unserer Klassenfeinde. Was ist das Reparationsproblem im besonderen, was sind die Reparationszahlungen, die Deutschland an die Siegermächte zu leisten hat, vom Standpunkt des Klassenkampfes aus gesehen?

Sie bedeuten nichts anderes, als daß das deutsche Proletariat nicht nur die “nationalen” Profite für die eigene kapitalistische Klasse, sondern auch die Profite für den Weltkapitalismus aufzubringen hat. Und die sogenannte Lösung des Reparationsproblems bedeutet weiter nichts, wie die Verhandlungen in Paris gezeigt haben, als daß der Kampf der imperialistischen Mächte untereinander den Charakter der Verteilung der Profite annimmt und daß diese Steigerung der Profite, herausgepreßt aus den Knochen des deutschen Proletariats und der werktätigen Schichten des Mittelstandes, im Zusammenhang mit den Schwierigkeiten der Bourgeoisie noch einen schärferen Charakter annehmen wird. Durch die Annahme des Youngplans, wie auch früher durch den Dawesplan, wird eine doppelte Kette der Ausbeutung um den Leib des deutschen Proletariats gelegt. Die Werktätigen waren ausschließlich diejenigen, die die Lasten des Dawesplans getragen haben, wie sie auch für die Zukunft die Lasten des Youngplans tragen sollen.

Das Reparationsproblem spiegelt den Kampf auf Leben und Tod zwischen der deutschen Bourgeoisie und dem deutschen Proletariat wider; denn will die deutsche Bourgeoisie leben, das heißt ihre imperialistische Macht immer mehr entwickeln, ihren Kapitalexport erhöhen, ihre eigene Akkumulation erweitern, will sie alle diese Voraussetzungen erfüllen, die das eigentümliche Wesen des Imperialismus ausmachen, dann muß das deutsche Proletariat noch mehr im Elend versinken. Und deswegen hat das Reparationsproblem, wenn es auch vorerst auf 58 Jahre eine sogenannte Lösung gefunden hat, in den verschiedenen Fragen für die jetzige Situation und für den revolutionären Klassenkampf des Proletariats unter Führung der Kommunistischen Partei eine außerordentlich große Bedeutung. Ich will später Beispiele über die Elendslage bringen, in der sich das deutsche Proletariat schon jetzt befindet, und zeigen, welches Wirtschaftsprogramm die deutsche Bourgeoisie und die Sozialdemokratie haben, um dieses soziale Elend der werktätigen Massen auf die Spitze zu treiben.

Das Wirtschaftsprogramm der deutschen Bourgeoisie hat sich natürlich auf den verschiedenen Stufen der Entwicklung in den letzten Jahren stetig verändert. Je nachdem, wie ihre Schwierigkeiten wachsen, je nachdem, wie die revolutionäre Front sich erweitert und vorstößt, werden die Kampfmethoden unserer Klassenfeinde wechseln. Aber das Reparationsproblem zeigt nicht nur die Schwierigkeiten der deutschen Bourgeoisie, sondern es ist zugleich der Knotenpunkt aller  Widersprüche der imperialistischen Länder untereinander. Die Frage der deutschen Reparationsleistungen ist zu gleicher Zeit mit der Frage der interalliierten Schulden an Amerika eng verbunden. Wie ich bereits im internationalen Teil skizziert habe, hat der Hauptgegensatz zwischen England und Amerika in anderer Form auch bei den Reparationsverhandlungen in Paris seinen Ausdruck gefunden. Der Gegensatz Amerikas zu England, das Verhältnis Frankreichs und Englands zu Amerika und die allgemeine Stellung der Siegermächte gegenüber. Deutschland sind nur besondere Kennzeichen der allgemeinen Gegensätze der imperialistischen Länder untereinander. Der Verlauf der Reparationsverhandlungen hat weiter gezeigt, daß es Deutschland nicht gelungen ist ‑ wie die Versöhnler in ihrem Dokument behaupteten ‑, Amerika auf seine Seite zu bringen. Es ist Deutschland ebenfalls nicht gelungen, den Druck auf die Entente so zu steuern, daß im allgemeinen wesentliche Erleichterungen eingetreten sind.

Doch das wichtigste Ergebnis der Annahme des Youngplans ist zweifelsohne das vollständige Einschwenken der deutschen Bourgeoisie und der deutschen Regierung in die Antisowjetfront. Es besteht kein Zweifel darüber, daß dieses besonders scharfe Einschwenken Deutschlands in die Antisowjetfront den englischen, französischen und anderen Kapitalisten Europas erlaubt, Deutschland einige Konzessionen zu gewähren. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß vielleicht in kürzester Zeit die Räumung des Rheinlandes durchgeführt wird. Einige Erleichterungen sind in der Zahlung der Reparationsschuldsumme eingetreten, die in diesem Normaljahr nach dem Dawesplan 2 500 Millionen betragen sollte. Diese Summe wurde für die nächsten 37 Jahre auf durchschnittlich 2050 Millionen im Jahre herabgesetzt. Diese und einige weitere Erleichterungen, die durch die Bestimmungen des Youngplans eingetreten sind, geben der deutschen Bourgeoisie die Möglichkeit, auf dem Wege der gesteigerten Erhöhung der Profitrate, auf Kosten des Proletariats herausgeholt, wieder eine gewisse Freiheit für die verstärkte Entwicklung des deutschen Imperialismus zu erlangen.

Trotz aller Erleichterungen werden sich bei der Durchführung des Youngplans die Schwierigkeiten in Deutschland auf verschiedenen Gebieten erhöhen. Wenn Deutschland diese Reparationsleistungen aufbringen will, dann wird die deutsche Bourgeoisie gezwungen sein, dem Wettbewerb auf dem Weltmarkt noch größere Aufmerksamkeit zu widmen, als es bereits in den letzten Jahren der Fall war. Dieser Wettbewerb kann nur dann erfolgreich sein, wenn es der deutschen Industrie gelingt, möglichst billige Produkte auf den Weltmarkt zu liefern. Das bedeutet die Verschärfung der rücksichtslosen Ausbeutung der im Produktionsprozeß stehenden Arbeiter in den wichtigsten Industriezweigen. Im internationalen Maßstabe geht die deutsche Bourgeoisie wie die Weltbourgeoisie dazu über, in dem Kriege gegen die Sowjetunion, in der kapitalistischen Erschließung des Territoriums der Sowjetunion eine Lösung des Reparationsproblems zu suchen. Wir sehen, daß Deutschland bei den Pariser Verhandlungen die stärkste Annäherung an Frankreich und England gesucht hat, daß auch die neue Welt-Reparationsbank zu gleicher Zeit nicht nur die Aufgabe der Übertragung der deutschen Leistungen zu regeln hat, sondern besonders die Aufgabe der “Erschließung neuer Handelsgebiete”. Was bedeuten diese Aufgaben der Reparationsbank, wie sie uns durch die bürgerliche Presse mitgeteilt wurden? Das heißt nichts anderes als die Herstellung der Einheitsfront der kapitalistischen Mächte gegen die Sowjetunion auch auf dem internationalen Geld- und Kreditmarkt, wie sie zum Beispiel in der Regulierung der Gewährung von Krediten an die Sowjetunion und der Sicherung der internationalen Kredit- und Währungsverhältnisse im kommenden Interventionskrieg zum Ausdruck kommen soll. Natürlich schließt das alles nicht aus, daß die deutsche Regierung vorübergehend noch Kredite an die Sowjetunion abgibt, es schließt nicht aus, daß der Wirtschaftsvertrag zwischen der Sowjetunion und Deutschland noch längere Zeit bestehen bleibt.

Wie groß die Lasten sein werden, die durch den Youngplan selbst aufgebracht werden müssen, und inwieweit sie bald zu 100 Prozent auf die werktätigen Massen abgewälzt werden, das ergibt sich aus folgenden Zahlen, die ich hier noch nennen will. Nehmen wir die jährlichen Reparationszahlungen mit durchschnittlich 2 Milliarden Mark an, dazu die Tatsache einer Passivität der Handelsbilanz von jährlich 2 Milliarden Mark, weiterhin 700 bis 800 Millionen Mark Zinslasten jährlich ‑ wenn wir diese ganze Summe zusammennehmen, so würde die durchschnittliche Passivität der Zahlungsbilanz rund 4½ Milliarden betragen. Natürlich wird Deutschland diese Summe nur dann aufbringen können, wenn es seine jetzige Warenausfuhr ungeheuer erweitert, wenn es versucht, neue Absatzmärkte zu erobern, und es neue Auslandskredite erhält. Aber diese Warenausfuhr stößt auf große Schwierigkeiten in Deutschland selbst. Diesem Bestreben der deutschen Wirtschaft steht die allgemein bekannte Konkurrenz der imperialistischen Länder untereinander gegenüber, zweitens die hohen Zinssätze auf dem internationalen Geldmarkt und drittens die Tatsache, daß Deutschland keine Kolonien und Rohstoffquellen hat und seine Kapitalausfuhr ‑ wenn auch in den letzten Jahren eine beträchtliche Steigerung zu verzeichnen war ‑ zumeist aus geborgtem Geld, besonders aus Amerika und im letzten Jahr auch aus Frankreich, herrührt. Dazu kommen noch die militärpolitischen Beschränkungen und seine territorialen Verluste durch den Versailler Vertrag.

Die besonderen Schwierigkeiten des deutschen Imperialismus, seine schwachen Stellen, haben sich am krassesten im tiefsten Punkte der Depression gezeigt, der im April erreicht war. Hier erwies sich am deutlichsten die besondere Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft vom Weltmarkt, die überlegene Finanzkraft der anderen kapitalistischen Staaten, die verschärfte Konkurrenz Frankreichs, Amerikas usw. Wer sich einbildet, daß diese Erscheinungen sich nach dem Abschluß des neuen Reparationsplans nicht wiederholen werden, dem empfehle ich, die Arbeit des amerikanischen Professors Taußig über den internationalen Handel zu lesen. Ich zitiere aus dem "Hamburger Fremdenblatt":

Mit dem Eintritt einer Krise werden sie (d. h. die Kredite [Von Ernst Thälmann eingefügt. Die Red.]) plötzlich scharf reduziert oder hören sogar ganz auf. Dann sind die Zinszahlungen auf die früheren Kredite nicht mehr kompensiert durch neue; sie werden unmittelbar zu einer Nettolast für das Schuldnerland, dessen Zahlungsbilanz eine plötzliche Wendung erfährt. Es hat alle Konsequenzen ohne Übergang zu tragen: eine abrupt gesteigerte Nachfrage nach Devisen, einen Druck auf die Banken, steigende Diskontsätze, fallende Preise. Diese Erscheinungskette kann sich zweimal oder dreimal hintereinander wiederholen. [...] Die letzte Stufe ist diejenige, auf der das Schuldnerland mehr zu zahlen hat an Zinsen, als was es an Kredit erhält, so daß die Differenz durch einen Überschuß der Warenexporte über die Importe beglichen werden muß.

Das, was durch Professor Taußig hier unterstrichen und betont wird, ist, daß sich diese Krisenerscheinungen in der deutschen Wirtschaft infolge der ungeheuren Summen, die aus den deutschen werktätigen Massen herausgeholt werden, und infolge der großen Schwierigkeiten, auf die die deutsche Industrie auf dem gesamten Weltmarkt stößt, wiederholen müssen.

Nun, wenn wir eine solche Entwicklung für die Zukunft annehmen und wenn wir dafür auch bestimmte Beweise bringen, so ist es ganz klar, daß unsere revolutionäre Taktik darauf eingestellt wird, damit die Überwindung dieser Krisen nicht auf Kosten der werktätigen Massen erfolgt. Nur von diesem Standpunkt des wirklich harten Tatsachenmaterials aus, das wir der deutschen Arbeiterklasse von der Tribüne dieses Parteitages vorlegen, von der harten Tatsache ausgehend, daß die Entwicklung der nächsten Jahre eine solche krisenhafte Erscheinung zeigen wird und muß, müssen wir die Probleme der Taktik in unserem Aufgabenkreis stellen.

Denn wir müssen uns darüber klar sein, daß die deutsche Bourgeoisie und die sozialdemokratische Müller-Stresemann-Regierung, die den Youngplan unterschrieben hat, alles tun werden, um diese ungeheuren Lasten aus dem Blut und dem Fleische des deutschen Proletariats herauszupressen. Die deutsche Bourgeoisie versucht, das Reparationsproblem ausschließlich auf Kosten der Arbeiter zu regeln und gleichzeitig ‑ was besonders wichtig für uns ist ‑ die sozialimperialistischen Stimmungen zur Stärkung des Faschismus und Chauvinismus zu entfesseln. Die Politik des Sozialfaschismus, wie sie von der deutschen Sozialdemokratie auf dem Magdeburger Parteitag festgelegt wurde, wie sie die deutsche Sozialdemokratie offen vor dem deutschen Proletariat und der deutschen Bourgeoisie bekundet hat, sie wird die Politik der Knebelung der Massen und die imperialistischen Kriegsrüstungen mit allen Mitteln brutal unterstützen.

Dieser bürgerlichen und sozialfaschistischen Lösung des Problems der Reparationen stellt die revolutionäre Arbeiterschaft unter Führung der Kommunistischen Partei Deutschlands ihre revolutionäre Losung entgegen, die keine andere sein kann als die, wie sie die Bolschewiki nach der Eroberung der Macht gaben. So wie das russische Proletariat nach der Niederschlagung der eigenen Ausbeuter und nach der Festigung der proletarischen Diktatur die Fesseln des Brest-Litowsker Friedens gesprengt und das Joch der Kapitalisten abgeschüttelt hat, so wird das siegreiche deutsche Proletariat unter Führung der Kommunistischen Partei nach der Zerschmetterung seiner imperialistischen Bourgeoisie und der Sozialdemokratie die Ketten des Youngplans und des Versailler Friedens zerreißen. Das ist die einzige revolutionäre Lösung, für die sich die Kommunistische Partei verpflichtet, die werktätigen Massen Deutschlands zu mobilisieren. Will das deutsche Proletariat nicht zwei Generationen lang unter dem Joch des eigenen und fremden Imperialismus schmachten, so muß und kann es nur diesen einzigen revolutionären Weg gehen.

Einige allgemeine Bemerkungen über die Offensive des deutschen Kapitals. Ich bin abermals genötigt, auf die wichtigen Angaben in dem vorliegenden Bericht hinzuweisen. In der Kapitaloffensive gegen das Proletariat und gegen die anderen werktätigen Schichten in Deutschland sehen wir einen großen Unterschied zu jener Entwicklung nach der Niederlage des Oktobers 1923 und sogar zu jener Entwicklung der ersten Rationalisierungsperiode von 1925 bis 1927. Während noch im Jahre 1923 und nach der Inflationszeit, im Jahre 1924, die Methoden der Steigerung der Profite und der Akkumulation im allgemeinen auf eine Verlängerung der Arbeitszeit um 2 Stunden durchschnittlich hinzielten, während sie noch 1925 bei dem Beginn der Rationalisierung die Intensivierung des Arbeitstages in den Vordergrund stellten, um aus den Arbeitermassen in einer bestimmten Stundenzahl eine größere Leistung herauszupressen, sieht sich heute der Kapitalismus infolge seiner besonderen Schwierigkeiten gezwungen, beide Methoden zu kombinieren. Wenn der deutsche Kapitalismus die Schwierigkeiten des Youngplans und die allgemeinen Schwierigkeiten, die ich aufgezählt habe, will, dann ist er gezwungen, erstens die Arbeitszeit im allgemeinen zu verlängern und zweitens den bereits unter dem Vorkriegsniveau befindlichen Reallohn des deutschen Proletariats noch weiter herabzudrücken. Wenn ein prominenter Vertreter, Rosterg, während der Tagung der Eisenhüttenleute in der "Deutschen Bergwerkszeitung" schrieb, daß man ohne Verlängerung der Arbeitszeit um zwei Stunden bei gleichzeitiger höchster Anspannung der Arbeitskraft nicht mehr auskommen wird, so sind diese Äußerungen nur im Zusammenhang mit dem Wirtschaftsprogramm zu verstehen, das sich die deutsche Bourgeoisie jetzt gestellt hat.

Ich verweise darauf, daß in letzter Zeit die gesamte Presse der Schwerindustrie diese Äußerungen von Rosterg aufgegriffen hat, daß auf dem Industrie- und Handelstag dieselben Forderungen wie auf dem Kongreß der Eisenhüttenleute erhoben wurden. Auf dieser Tagung sagte der Präsident von Mendelssohn in seinen Ausführungen über die Wirtschaftslage in Deutschland, über die Lohnsenkung folgende unverblümte Worte:

Ein anderer großer Kostenfaktor sind die Löhne. Von berufener Seite ist festgestellt, daß die Reallöhne das Einkommen der Vorkriegszeit erreicht, in einigen Zweigen und bei einigen Arbeitnehmergruppen, insbesondere der Ungelernten, erheblich überschritten haben, und auch internationale Lohnvergleiche, so schwierig und vieldeutig sie sind, weisen darauf hin, daß die deutschen Reallöhne im Vergleich zu anderen kontinentalen Wettbewerbsländern nicht ungünstig für die Arbeitnehmer stehen. Nachgerade aber ist die Grenze erreicht, in vielen Fällen überschritten, wo sie keinen Ausgleich mehr durch Verbilligung der Produktion auf dem Wege der Rationalisierung oder einer kostensparenden Erweiterung der Produktion oder durch eine volkswirtschaftlich angemessene Beschränkung des Gewinnanteils finden können. Denn Erhöhung de Lohnverdienstes ist nach harten volkswirtschaftlichen Gesetzen auf die Dauer nur möglich neben ausreichender Deckung der Kapitalerfordernisse, das heißt ausreichenden Zins und Gewinn.

Dieser Finanzkapitalist erfrechte sich zu sagen, daß die Reallöhne des deutschen Proletariats das Einkommen der Vorkriegszeit erreicht haben. Aber wichtiger in diesem Zusammenhange ist sein Hinweis darauf, daß die Verbilligung der Produktion auf dem Wege der Rationalisierung nicht mehr so wie früher im notwendigen Maße die Profiterhöhung sichern kann.

Wir sollen nicht glauben, daß der Prozeß der Rationalisierung aufhören wird, im Gegenteil, wir stehen momentan am Anfang einer neuen Rationalisierungswelle. Aber diese Rationalisierungswelle wir verlangsamt durch den Kapitalmangel, durch die Schwierigkeiten, die ich zeigte, und so geht die kapitalistische Klasse dazu über, ihre Produktionskosten auf dem direkten Wege der Arbeitszeitverlängerung, der Lohnsenkung herabzudrücken.

Die Entwicklung der letzten Zeit, besonders der letzten zwei Jahre, hat eine ungeheure Stärkung des Finanzkapitals, eine gewaltige Entwicklung seiner Konzentrations- und Vertrustungsbestrebungen ermöglicht. Teilweise Stabilisierungserfolge der deutschen Wirtschaft haben wir niemals geleugnet, ebensowenig, wie wir bestreiten können, daß bei unserem Vormarsch gewisse Rückschläge unvermeidlich sind. Hinter diesem Prozeß der gewaltigen Monopolisierung, der Konzentration des Finanzkapitals, sehen wir zu gleicher Zeit die Herausbildung einer neuen straff zentralisierten Organisation, die sich mit Hilfe der deutschen Sozialdemokratie und der reformistischen Gewerkschaftsbürokratie den ganzen Staatsapparat in einem solchen Maße dienstbar macht wie nie zuvor. Wir müssen überhaupt unser größtes Augenmerk auf diese starke Zentralisierung des bürgerlichen Wirtschaftsapparates und die staatskapitalistischen Entwicklungstendenzen richten. Auf dieser Grundlage will die Bourgeoisie ihr Wirtschaftsprogramm durchführen, das die bedingungslose Verschlechterung der Lage der Arbeiterklasse auf allen Gebieten bringen wird.

Es ist klar, daß die Bourgeoisie und die Sozialdemokratie gezwungen sind, mit der wirtschaftlichen Ausplünderung die höchste, politische Unterdrückung zu verbinden. Die jetzige Müller-Stresemann-Regierung hat die Politik des Bürgerblocks nicht nur fortgesetzt, sondern diese Unterdrückungspolitik auf verschiedenen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens weit übertrumpft. Die Entwicklung des letzten Jahres, von den Maiwahlen im Jahre 1928 bis heute, hat gezeigt, wie recht wir in der Auseinandersetzung mit den Versöhnlern hatten, die behaupteten, daß die bürgerliche Demokratie die Hauptgefahr sei, und dies unter anderem mit dem Erfolge der Sozialdemokratie bei den Maiwahlen begründen wollten. Beim Abwägen der Stimmen, die für uns und die Reformisten abgegeben wurden, haben wir von Blei und Stroh gesprochen und gleichzeitig die sozialfaschistische Entwicklung der Sozialdemokratie signalisiert. Der Magdeburger Parteitag liefert den schlüssigen Beweis für die Richtigkeit unserer damaligen Feststellungen. Schon vor dem VI. Weltkongreß und seinen Beratungen haben wir auf diese Faschisierungstendenzen im bürgerlichen Staatsapparat und in der Sozialdemokratie hingewiesen und damals schon den Begriff des Sozialfaschismus analysiert.

Der reaktionäre Kurs der Müller-Regierung, die gewaltigen sozialen Lasten, die sie den Massen aufbürdet, ihre Unterdrückungspolitik gegen die revolutionäre Arbeiterklasse besonders in den letzten Monaten sind nur ein Gegenstück zu dem allgemeinen wirtschaftlichen Elend der deutschen Arbeiterklasse, das hiermit nur in ganz kurzen Zügen skizziert werden soll. In der Zeit, wo die Profite des Kapitalismus ins Ungeheuerliche steigen, wo zum Beispiel ein Thyssen für 1928 einen Gewinn von 25 Millionen Mark herausschlägt, haben die deutschen Arbeiter einen Friedensreallohn von kaum 60 Prozent, wie unser Bericht es nachweist. Sogar in den Feststellungen des Genfer Arbeitsamtes muß zugegeben werden, daß der Berliner Arbeiter heute kaum zwei Drittel des Durchschnittslohns des Londoner Arbeiters erhält.

Die furchtbare Lage des deutschen Proletariats spiegelt sich wider in der ständigen Arbeitslosigkeit, deren Höchststand am Ende des vorigen Jahres mehr als 2½ Millionen betrug und die jetzt bei der saisonmäßigen Besserung im April 1929 für die Hauptunterstützungsempfänger immer noch 1 300 000 gegen 900 000 im April des vorigen Jahres beträgt. Die Zahl der auf dem Arbeitsnachweis verfügbaren Arbeitslosen betrug im April noch 1 950 000 gegenüber 1 400 000 im April vorigen Jahres. Wir sehen an den neuen Meldungen, daß im Monat Mai der Rückgang der Arbeitslosen sich verlangsamt, so daß wir im günstigsten Falle, im günstigsten Moment, immer noch mit einer Zahl von 700 000 bis 800 000 gegenüber 600 000 zur gleichen Zeit des Vorjahres rechnen können. Die kommenden Herbst- und Wintermonate werden ein ungeheures Erwerbslosenheer bringen. Nehmen wir zu diesen Zahlen noch die Zahl der Kurzarbeiter und die Zahl derjenigen, die in Deutschland keine Unterstützung empfangen, bedenkt man den furchtbaren Raubbau an der Arbeitskraft, den die Rationalisierung mit sich gebracht hat, bedenken wir die ungeheure Teuerung, die seit dem Januar eingesetzt hat, dann ist damit das Bild des gegenwärtigen Elends nur angedeutet. Ich will noch einige Tatsachen zur Charakteristik dieses sozialen Elends anführen. Nach Berichten über die Bevölkerungsbewegung in Deutschland sterben von 100 Kindern der proletarischen Familien bis zum 14. Lebensjahre 65, von 100 Kindern der der Bourgeoisie nur 15. Das ist ein Beweis für das soziale Elend in den Arbeiterfamilien. Nach den Angaben des deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose hatten von 9000 statistisch erfaßten Kranken mit offener Tuberkulose in Berlin zwei Drittel keinen eigenen Schlafraum, 25 Prozent kein eigenes Bett.

Ich glaube, daß die Not der Alters- und Invalidenrentner, ja auch großer Teile der Pensionäre so ungeheuerlich groß ist, daß es auch hier, obwohl es manchmal schwer ist, unsere Ideen zu verbreiten, Pflicht der Kommunistischen Partei sein muß, diese Ärmsten der Armen in unsere gemeinsame Front einzureihen.

Damit will ich diesen Teil des Referats abschließen. Ich komme jetzt zur Rolle der Sozialdemokratie im heutigen Klassenkampf und ihrer Entwicklung zum Sozialfaschismus.

III. Die Rolle der Sozialdemokratie im heutigen Klassenkampf und die Entwicklung des Sozialfaschismus

Wir können die Schandverbrechen des bürgerlichen Systems, die Unterdrückungspolitik der deutschen Bourgeoisie, nicht verstehen, wenn wir nicht die Rolle der Sozialdemokratie im heutigen Klassenkampf und ihre Entwicklung zum Sozialfaschismus analysieren. Jedem deutschen Arbeiter muß zum Bewußtsein gebracht werden, daß, wenn 10 Jahre nach Kriegsende und 15 Jahre nach Kriegsbeginn die deutsche Arbeiterklasse wirtschaftlich und politisch immer mehr ausgebeutet und unterdrückt wird, die Hauptsschuld daran die Sozialdemokratische Partei trägt. Daß die Bourgeoisie ihre Klasseninteressen rücksichtslos durchführt, hat uns die Geschichte gelehrt, daß die Sozialdemokratie bedingungslos diese reaktionäre Politik unterstützt, hat sich bereits wähnend des Krieges und in den ersten Jahren der großen Stürme der Revolution gezeigt. Aber heute sehen wir eine neue Entwicklung der Sozialdemokratie, neue Methoden ihres Kampfes gegen die revolutionäre Arbeiterschaft, die sich aus ihrem Verwachsen mit dem bürgerlichen Staatsapparat und aus dem allgemeinen Charakter der neuen Arbeiteraristokratie in Deutschland ergeben.

Das, was Marx, Engels und Lenin über die Arbeiteraristokratie und die Rolle der oberen Schichten in den Arbeiterorganisationen im Kapitalismus und Imperialismus gesagt haben, hat noch nie eine solche Bestätigung gefunden wie gerade jetzt.

Ich will nur einige Zitate herausgreifen, um zu zeigen, wie diese großen Revolutionäre die Arbeiteraristokratie gekennzeichnet haben. Engels schreibt in einem Briefe an Marx vom 11. August 1881 von jenen schlechtesten englischen Gewerkschaften[5],

die sich führen lassen von an die Bourgeoisie verkauften oder zumindest von ihr bezahlten Leuten.

In der Schrift "Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus" schreibt Lenin[6]:

Der Imperialismus hat die Tendenz, auch unter den Arbeitern privilegierte Kategorien auszusondern und sie von der Masse des Proletariats abzuspalten.

Im Vorwort der zweiten Auflage des Werkes "Die Lage der arbeitenden Klasse in England" vom Jahre 1892 schreibt Engels, daß die sogenannten Arbeitervertreter in England Leute sind[7],

denen man ihre Arbeiterqualität verzeiht, weil sie selbst sie gern im Ozean ihres Liberalismus ertränken möchten.

Und wir sehen jetzt in England eine solche Entwicklung. Dort sind einige Vertreter der liberalen Partei bereits zur Labour Party übergetreten, weil, wie ich vorhin schon sagte, sie in dieser Partei die Unterdrückungspolitik gegenüber dem Proletariat noch besser durchsetzen können. Natürlich spielen vielleicht auch private oder personelle Fragen dabei eine Rolle. Aber vom politischen Standpunkt aus gesehen ist diese Tatsache ein klarer Beweis, daß die Labour Party nichts anderes ist als eine dritte Partei der Bourgeoisie, eine verbürgerlichte Arbeiterpartei.

Wir wissen ferner: Der Imperialismus spaltet die Arbeiterklasse in eine von der Bourgeoisie gekaufte Oberschicht und die eigentliche proletarische Unterschicht, wie Lenin die am meisten ausgebeuteten und verelendeten Schichten des Proletariats nennt.

In welchem Maße die Bourgeoisie die Arbeiteraristokratie an sich fesselt und die Arbeiteraristokratie mit dem bürgerlichen Staatsapparat verwächst, das hängt von der allgemeinen Entwicklung des Imperialismus ab. Lenin schreibt darüber in seinem Artikel "Der Imperialismus und die Spaltung des Sozialismus" unter anderem folgendes[8]:

Die Bourgeoisie hat schon “bürgerliche Arbeiterparteien” der Sozialchauvinisten in allen Ländern erzeugt, aufgezogen und sich gesichert. Die Unterschiede zwischen der geformten Partei, zum Beispiel Bissolatis in Italien, einer vollkommen sozialimperialistischen Partei, und, sagen wir, der nur halbgeformten Quasipartei der Potressow, Gwosdew, Bulkin, Tschcheidse, Skobelew und Konsorten ‑ diese Unterschiede sind unwesentlich. Wichtig ist, daß die ökonomische Abspaltung der Schicht der Arbeiteraristokratie und ihre Hinwendung zur Bourgeoisie reif geworden ist und sich vollzogen hat, eine politische Form dieser oder jener Kräfte wird diese ökonomische Tatsache, diese Verlagerurig in den Beziehungen der Klassen untereinander ohne besondere “Mühe” finden.

Dieses Zitat Lenins läßt uns auch jene Entwicklung verstehen, die wir gegenwärtig in der Gruppierung der verschiedenen Klassen in Deutschland sehen. Auf dem Essener Parteitag heißt es in unseren Thesen über die SPD unter der Herrschaft des Bürgerblocks[9]:

Sie spielt die Rolle einer passiven Regierungspartei, einer zusätzlichen Garantie für die Herrschaft des Bürgerblocks, mit der sie sich abfindet, jederzeit bereit, im Falle verschärfter Klassenkämpfe und revolutionärer Schwierigkeiten erneut auf den Ruf der Bourgeoisie in eine Koalition einzutreten.

Seitdem haben sich die ökonomischen Beziehungen verschoben. Die Beziehungen zwischen den Klassen sind ebenfalls andere geworden, und so spielt die Sozialdemokratie nicht mehr eine passive Rolle, wie es noch in den Essener Thesen in der Frage der Beteiligung der Sozialdemokratie festgestellt wurde, sondern sie ist die aktivste Vorkämpferin des deutschen Imperialismus, seiner Kriegspolitik en die Sowjetunion, seiner Unterdrückungspolitik gegenüber der Arbeiterklasse. Deshalb heißt es in unseren heutigen Thesen über die Rolle des Faschismus und die Krise der Sozialdemokratie unter anderem folgendermaßen[10]:

Die Verschmelzung des Reformismus mit der bürgerlichen Staatsgewalt findet ihren höchsten Ausdruck in der Politik des Sozialimperialismus... und des Sozialfaschismus.

Das hängt aufs engste mit zwei Tatsachen zusammen, die ich hier besonders hervorheben will.

Erstens: Die neue Arbeiteraristokratie in Deutschland ist auf der Grundlage der Monopolprofite der Truste und der veränderten Arbeitsteilung in den rationalisierten Betrieben entstanden.

Zweitens: Das immer stärker werdende Verwachsen der Sozialdemokratie und der reformistischen Gewerkschaftsbürokratie mit dem Staatsapparat hat eine solche Arbeiteraristokratie besonders gestärkt, die in dem ganzen Rahmen der bürgerlichen Staatsordnung, als Angestellte und Beamte des Staates, ein wichtiges Mittel zur Niederhaltung der Arbeiterklasse wird. Ein ganz charakteristisches Beispiel hierfür ist das Verwachsen der sozialdemokratischen Arbeiterbank mit dem Finanzkapital. Auf dieser veränderten sozialen Grundlage entwickelt sich die sozialfaschistische Politik der SPD und umgekehrt verändert sich die soziale Zusammensetzung der SPD durch diese Politik. Das, was zum Beispiel Genosse Ewert auf dem VI. Weltkongreß nicht sehen konnte, daß diese sozialfaschistische Politik der Sozialdemokratie ihre soziale Basis verschieben und verändern muß, mag sie auch über hunderttausend neue Mitglieder vom Kieler bis zum Magdeburger Parteitag gewonnen haben, das wird jetzt immer klarer.

Nicht immer liegt in der zahlenmäßigen Größe einer Partei die Bedeutung ihrer Kraft, sondern es hängt ‑ wie es uns die revolutionären Erfahrungen der Vergangenheit lehren ‑ von ihrer Fähigkeit ab, die Massen für den Klassenkampf zu mobilisieren, inwieweit sie als wirklich historischer Faktor in den Gang der Geschichte eingreifen kann. Bei Durchführung einer richtigen Politik unsererseits wird sich das Schwergewicht der Sozialdemokratie noch mehr als bisher auf das Kleinbürgertum verschieben. Die Zusammensetzung des Magdeburger Parteitages ist schon ein Beweis dafür. Wer war dort vertreten? Minister, Regierungspräsidenten und Polizeipräsidenten, viele führende Partei- und Gewerkschaftsbeamte und das Heer derjenigen, die in Beamtenstellungen des bürgerlichen Staates mehr oder weniger an die bestehende Ordnung gefesselt sind. Natürlich dürfen wir die Augen nicht davor verschließen, daß zahlreiche Arbeiterschichten noch in der Sozialdemokratie organisiert sind; aber darunter sind viele ‑ wenn man den Angaben aus dem Bericht des Magdeburger Parteitages Glauben schenken will, sind es 635 000 Handarbeiter ‑, die wie die Gemeindearbeiter, wie die Arbeiter in den Staatsbetrieben, Angestellte usw. durch den wirtschaftlichen und politischen Druck in die SPD hineingepreßt werden. Dazu kommen die arbeiteraristokratischen Elemente, das Heer der kleinbürgerlichen Schmarotzer, die, da die Sozialdemokratie die stärkste Partei des Kommunal- und Staatsapparates ist, in ihr ihre privaten Interessen sichern und fördern wollen. Die Mitgliederzunahme seit Kiel fällt hauptsächlich auf diese Kategorien.

In diesen Tagen hörte ich einen Witz, der auf dem Magdeburger Parteitag auf der Pressetribüne kursierte. Da wurde gesagt, daß auf je einen dieser im Staatsapparat und anderswo angestellten Sozialdemokraten 9 oder 10 andere als Anwärter kommen, die ebenfalls auf einen Posten reflektieren. Später wurde es auf dem Parteitag von einem Redner offen ausgesprochen. Diese starken Fäulniserscheinungen beschleunigen den Prozeß der völligen Verbürgerlichung der Sozialdemokratie und der politischen Korrumpierung der sozialdemokratischen Führer. Auf der anderen Seite ist festzustellen, daß Tausende und Zehntausende Arbeiter in den entscheidenden Industrien die Sozialdemokratische Partei verlassen und besonders die mit der Sozialdemokratie sympathisierenden Massen, die noch am 20. Mai des Jahres 1928 für die Sozialdemokratie stimmten, ihr Vertrauen bereits dem Kommunismus zugewandt haben, wie es die Betriebsrätewahlen beweisen.

Wir haben auf dem Essener Parteitag bereits in verschiedenen Dokumenten auf die sozialfaschistische Entwicklung der Sozialdemokratie hingewiesen. In den Auseinandersetzungen mit den Versöhnlern bei den Maiwahlen wurde von ihnen die Auffassung vertreten, daß die Sozialdemokratie in der Regierung eine gewisse Garantie gegen den Faschismus abgibt und daß im jetzigen Stadium die Hauptgefahr die bürgerliche Demokratie sei. Ich zitiere das “historisch” gewordene Dokument, die Plattform der Versöhnler zum Parteitag, die sie bis jetzt nicht widerrufen haben. Dort heißt es unter anderem folgendermaßen:

Das Charakteristische an der gegenwärtigen Situation besteht darin, daß die Bourgeoisie ihre imperialistische Politik vorderhand weder mit faschistischen noch mit diktatorischen Methoden, sondern in engster Gemeinschaft mit der Sozialdemokratie auf dem Boden der kapitalistischen Demokratie durchzusetzen bestrebt ist.

Ich fordere die Versöhnler auf, hier auf dem Parteitag klar und deutlich zu sagen, ob sie es noch wagen und die Stirn haben, angesichts der Entwicklung des letzten Jahres, angesichts des Berliner Maiblutbades, des Verbotes des RFB, des Verbotes der "Roten Fahne", angesichts des Magdeburger Parteitages, der Reden und Erlasse der sozialdemokratischen Minister diese “Theorie” noch weiter zu verteidigen. Ich sage im vollen Bewußtsein der Verantwortung vor dem Parteitag, daß eine solche Verteidigung der Rechtfertigung und Verteidigung des sozialfaschistischen Kurses gleichkommt, wie es die Brandler-Lumpen so eifrig in der letzten Zeit besorgt haben.

Demgegenüber haben wir festgestellt, daß die Zuspitzung der objektiven Situation, die Verschärfung des Krassenkampfes im allgemeinen, die steigende Aktivität der Arbeiterblasse und ihre Revolutionierung, die Vorbereitung des Interventionskrieges gegen die Sowjetunion diese Entwicklung der Sozialdemokratie zum Sozialfaschismus beschleunigen werden. Der Magdeburger Parteitag bestätigt das in vollem Maße. Auf der einen Seite sehen wir also eine Partei, deren soziales Fundament langsam geschwächt wird. Von einer solchen Partei muß sich die Arbeiterklasse abwenden. Auf der anderen Seite befindet sich die Kommunistische Partei in ständigem Vormarsch, entschlossen, trotz aller reaktionären Maßnahmen ihre revolutionäre Politik fortzusetzen. Wir werden um das “legale Besitzrecht” der Partei gegenüber den Klassenfeinden bis zum letzten Moment kämpfen, wir werden alle Möglichkeiten der Legalität ausnutzen. Auch wenn die deutsche Bourgeoisie zusammen mit ihren sozialfaschistischen Hausknechten uns “verbietet”, werden wir unseren revolutionären Kurs, unsere revolutionäre Tätigkeit nicht um ein Jota abschwächen.

Die Führer der Sozialdemokratie haben sich auf dem Magdeburger Parteitag offen zum Sozialfaschismus bekannt. In seiner Eröffnungsrede sagte der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, Wels, folgendes:

Es ist unsre Aufgabe, die Demokratie zu stärken und die Republik zu schützen. Gelänge es den Feinden der Republik, der Demokratie in Deutschland so schweren Schaden zuzufügen, daß einmal kein andrer Ausweg bliebe als Diktatur, dann, Parteigenossen, sollen Stahlhelm, sollen Nationalsozialisten, sollen ihre kommunistischen Brüder von Moskau das eine wissen: Die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften als die Vertreter der großen Masse des deutschen Volkes, festgefügt in ihren Organisationen, in verantwortungsbewußtem Handeln und in unzerbrechlicher Disziplin, würden auch trotz ihrer demokratischen Grundeinstellung die Diktatur zu handhaben wissen.

Das Recht auf Diktatur fiele ihnen allein zu, niemand andern.

Wir haben die Bedeutung dieser Rede sogar in unserer eigenen Parteimitgliedschaft zuwenig erkannt und noch viel weniger sie in der breiten Agitation so ausgenutzt, wie es notwendig ist.

Was ist unsere ernsteste Aufgabe in den nächsten Wochen und Monaten: das Wesen, die Bedeutung des Sozialfaschismus zu zeigen, wie es auf dem Magdeburger Parteitag von den wichtigsten Vertretern der Sozialdemokratie selbst ausgesprochen wurde. Jeder Arbeiter muß erkennen, was die Versöhnler nicht erkannt haben, daß der Sozialfaschismus darin besteht, dar er unter dem Deckmantel der sogenannten reinen Demokratie der faschistischen Diktatur den Weg bahnt.

Wels verspricht sogar, daß er nach der sozialfaschistischen Diktatur so gnädig sein wird, die sogenannte Demokratie wieder einzuführen.

Wir als kommunistische Partei müssen den proletarischen Massen darauf eine klare Antwort geben. Es muß die intensivste Agitation darüber einsetzen, daß diese sozialfaschistische Diktatur nur eine Diktatur der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse zum Zwecke der schärfsten wirtschaftlichen und politischen Unterdrückung der Werktätigen Massen sein wird. Wels und die Sozialdemokratie werden unter der sozialfaschistischen Diktatur die Interessen der Bourgeoisie ebenso vertreten wie in der bürgerlichen Demokratie, die nichts anderes ist als die verschleierte Diktatur der Bourgeoisie. Der Unterschied wird nur der sein, daß sie sie es mit viel brutaleren Mitteln des faschistischen Henkerregimes machen werden, was aber den Arbeitern die Augen öffnen und sie dazu treiben wird, unter Führung der Kommunistischen Partei die sozialfaschistische Diktatur zu stürzen und ihre eigene proletarische Diktatur, das heißt die wirkliche proletarische Demokratie zu errichten.

Eine besondere Bedeutung hat die Rede Wels’ auch im Zusammenhang mit der Vorbereitung des Krieges gegen die Sowjetunion. Es ist klar, daß der Zweck der sozialfaschistischen Diktatur der sein wird, im kommenden Kriege gegen die Sowjetunion die revolutionären Arbeiter niederzuhalten und mit allen Kräften ihren Aufstand zu verhindern. Darauf beziehen sich seine Worte von den Schwierigkeiten, die da kommen werden. Ja, die revolutionären deutschen Arbeiter werden in diesem kommenden Kriege der Bourgeoisie und der Sozialdemokratie manche Schwierigkeiten bereiten. Ein Proletariat, welches vier Jahre Kriegserfahrungen und zehn Jahre revolutionäre Erfahrungen hinter sich hat, ein solches Proletariat wird unter Führung der Kommunistischen Partei und der Komintern der deutschen Bourgeoisie und dem Sozialfaschismus große Schwierigkeiten bereiten.

Und wenn sich die revolutionären Arbeiter im kommenden Krieg, im Verlaufe dieses Krieges ‑ wenn unsere Kräfte nicht ausreichen, den Krieg zu verhindern ‑ erheben, dann wird der Sozialfaschismus den offenen Bürgerkrieg gegen das Proletariat durchführen und alle Schandtaten von Noske und Zörgiebel übertrumpfen.

Diese Ausführungen von Wels sind völlig klar, sowohl vorn Standpunkt der innerpolitischen Entwicklung in Deutschland als auch der Verschärfung der imperialistischen Kriegsgefahr gegen die Sowjetunion.

Hier will ich nur auf den engen Zusammenhang hinweisen, der zwischen der Rolle der Sozialdemokratie als organisierender Kraft bei der Errichtung der faschistischen Diktatur und ihrer Rolle bei der Entfesselung des Krieges gegen die Sowjetunion besteht.

Dittmann sagte auf dem Magdeburger Parteitag folgendes:

Mit der Polizei lebten wir im alten Staat in einem ständigen Guerillakrieg, nicht, weil wir es für revolutionär hielten, die Polizei zu attackieren, sondern weil die Polizei auf Feindschaft gegen die Arbeiterklasse dressiert war. Heute haben wir sozialdemokratische Polizeiminister und Polizeipräsidenten und zahlreiche Beamte als Parteimitglieder. Gilt heute also noch die Begründung, die Polizei sei ein Instrument der kapitalistischen Klassenherrschaft?

Er behauptete, die Formulierungen aus der Vorkriegszeit sind gegenüber der demokratischen Republik größtenteils veraltet und überholt.

Wir leben nicht mehr im reinen Kapitalismus [...]. Folglich geht die Staatsgewalt vom Volke aus, und das Volk hat alle Chancen, nach dem Maße seiner Aufklärung zu verhindern, daß der Staat einseitig nur die Interessen der kapitalistischen Klasse wahrnimmt.

Diese Ausführungen Dittmanns zeigen völlig das sozialfaschistische Gesicht des sozialdemokratischen Parteitages, kennzeichnen sein sozialfaschistisches Programm.

Severing ergänzte die Ausführungen Dittmanns in folgender Weise:

Dann müssen wir aber wahr machen, was Genosse Hermann Müller im Juli des vergangenen Jahres als Reichskanzler auch in der Fraktion erklärt hat: "Sofern wir von der Reichswehr verlangen, daß sie sich als verfassungsmäßiges Organ der republikanischen Regierung fühlt und aufführt, so muß die Republik alles das, was für die Reichswehr erforderlich ist, auch bewilligen" ‑ und ich füge hinzu: nicht nur Gelder, sondern auch moralischen Kredit [...]. Wer seine Aufgabe als Sozialist darin erblickt, nur ständig die Reichswehr zu bekritteln und nicht nur das, was wirklich an der Reichswehr noch tadelnswert ist, wer es nicht fertigbringt, auch anzuerkennen, was gelegentlich die Reichswehr nach unserer Auffassung Gutes vollbringt, wird eine Republikanisierung der Reichswehr nicht durchsetzen“

Eine “republikanische” Reichswehr mit ihren Stahlhelmkadern der schwarzen Reichswehr und eine Severing-Zörgiebel-Polizei als ein anderes System zu bezeichnen, als es in der Vergangenheit war, das gibt uns die Möglichkeit, mit allen Mitteln der Überzeugung die noch verirrten sozialdemokratischen Arbeiter aus den Klauen des Reformismus zu befreien, um sie in unsere revolutionäre Klassenfront einzureihen.

Zu der Zeit, als der Magdeburger Parteitag tagte, fand eine vertrauliche Führerbesprechung des Reichsbanners statt, wo auch auf “besondere Schwierigkeiten” ‑ dadurch bekommen die Ausführungen von Wels eine besondere Bedeutung ‑ des Kampfes gegen die revolutionäre Arbeiterklasse und die Kommunistische Partei hingewiesen wurde. Es wurde eine gemeinsame Front mit dem Stahlhelm und Jungdo erwogen. Wir haben bereits in unserer Presse manches aus den Reden, die in dieser vertraulichen Besprechung gehalten wurden, bekanntgegeben.

Wir müssen uns ernst fragen, weshalb die Sozialdemokratie auf dem Magdeburger Parteitag gezwungen war, alle ihre Schandtaten der Koalitionspolitik usw. so offen zu verteidigen und den "Mut zur Unpopularität" aufzubringen, wie sich der Berichterstatter Vogel dort ausgedrückt hat. Was heißt "Mut zur Unpopularität"? Das bedeutet nichts anderes, als daß die Sozialdemokratie als die führende Partei in der Regierung entschlossen ist, alle Forderungen des Finanzkapitals durchzuführen: den Staatsetat Hilferdings mit Millionengeschenken an die Besitzenden und mit den neuen Lasten für die Werktätigen, das Programm des Abbaus der Sozialleistungen, des Abbaus der Arbeitslosenversicherung, das Wissellsche Arbeitszeitschutzgesetz, das die zehn- und noch mehrstündige Arbeitszeit vorsieht; die Durchführung der militärischen Rüstungen, die Erhöhung der Agrarzölle, die Annahme des Konkordats mit der römischen Kirche und zu guter Letzt ‑ damit das ganze Gerüst der kapitalistischen Gesellschaft nicht zusammenstürzt ‑ das Ausnahmegesetz gegen die Kommunisten und revolutionäre Arbeiterschaft.

Die klare Antwort auf diese gestellte Frage, warum die Sozialdemokratie gezwungen war, schon von dem "Mut zur Unpopularität" zu sprechen, lautet: Die Sozialdemokratie muß jetzt sich selbst vor den breiten Massen entlarven, weil die allgemeine ökonomische und politische Lage Deutschlands sie zwingt, durch dick und dünn mit der Trustbourgeoisie und ihren Partnern in der Koalition, der Deutschen Volkspartei und dem Zentrum, zusammenzugehen und deren Wünsche zu erfüllen.

Der Magdeburger Parteitag bedeutet für uns eine Bestätigung der Faschisierung der Sozialdemokratischen Partei. Das Charakteristische an dem Magdeburger Parteitag war, daß sich nicht eine einzige Stimme des Protestes gegen die Zörgiebelmorde an der Berliner Arbeiterklasse und gegen das Verbot des RFB und der kommunistischen Presse erhob. Wir müssen sehen, daß in der jetzigen Zeit ‑ und besonders in der nächsten Entwicklung ‑ die Sozialdemokratie nicht nur der größte Feind des Kommunismus in der Arbeiterbewegung ist, sondern der stärkste Hebel der sozialfaschistischen Bewegung, der reaktionären Maßnahmen auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens.

Die “linke” Sozialdemokratie hat auf dem Magdeburger Parteitag bedingungslos diesen reaktionären Kurs unterstützt. Natürlich versuchte sie mit radikalen Phrasen und mit den den “Linken” eigenen demagogischen Methoden, die Politik des Parteivorstandes zu verschleiern und sich durch großsprecherische Ausführungen, durch pazifistische und scheinradikale Erklärungen gegenüber ihren eigenen Mitgliedern zu entschuldigen. Aber wir dürfen die Tatsache keineswegs übersehen, daß der Abmarsch der sozialdemokratischen Arbeiter zum Kommunismus durch diese demagogischen Manöver der “linken” Sozialdemokraten ungeheuer aufgehalten wird. Es ist doch eine Tatsache, daß ‑ nicht nur bei den sozialdemokratischen Arbeitern, sondern sogar bei gewissen Teilen der mit der Sozialdemokratie sympathisierenden Arbeiter ‑ der Gedanke herrscht: Wenn die “Linken” in der Sozialdemokratischen Partei die Mehrheit erobern, dann ist es Schluß mit dem reaktionären Kurs der SPD, oder es wird besser. Die “Linken” innerhalb der SPD spielen also eine große Rolle. Das, was der Essener Parteitag und der VI. Weltkongreß schon richtig gesagt haben, daß die “linke” SPD der gefährlichste Feind des Kommunismus innerhalb der Arbeiterklasse ist, wird durch die heutige Entwicklung noch besonders bestätigt. Die Levi, Seydewitz, Künstler usw. sind die schamlosesten und skrupellosesten Verleumder der Sowjetunion und der Komintern. Sie sind heute deshalb besonders gefährlich, da sie ihren Einfluß in der SPD im ganzen Reiche auszubreiten und zur Irreführung des Proletariats auszunutzen versuchen. Der vollständige Bankrott der austromarxistischen österreichischen Sozialdemokratie vor dem Faschismus, ihr großer Verrat während des Juliaufstandes in Wien muß allen ehrlich denkenden oppositionellen Arbeitern die ernste Lehre geben, daß ein Kampf für die Klasseninteressen und Klassenziele des deutschen Proletariats nicht unter dem verlogenen Banner der “linken” Sozialdemokratie, sondern allein unter dem Banner des Kommunismus geführt werden kann. Dieser Bankrott, diese politische Eingliederung des Austromarxismus[11] in das ganze kapitalistische Regierungssystem der österreichischen Bourgeoisie muß von uns benutzt werden, um die in der Sozialdemokratischen Partei befindlichen Arbeiter über die Rolle der “linken” Sozialdemokratie aufzuklären. In Reih und Glied mit den “linken“ Sozialdemokraten stehen die rechten Renegaten Brandler, Thalheimer, Frölich und Konsorten, um die Abkehr der breiten Arbeitermassen vom Sozialimperialismus zum Kommunismus, zu verhindern.

Seit 15 Jahren betreibt die deutsche Sozialdemokratie ihre Politik des Klassenverrates am Proletariat. Aber noch nie ist es so klar gewesen, daß sie diesen Verrat so systematisch und offenkundig als eine Partei des Kapitalismus, als eine bürgerliche Partei, verübt wie jetzt. Sogar zu Noskes Zeiten meuchelte die Sozialdemokratie die revolutionäre Arbeiterschaft unter den Losungen "Der Sozialismus marschiert", "Der Sozialismus ist da". Jetzt aber mordet sie die Arbeiter unter dem Zeichen der Thyssen und Klöckner, des deutschen Finanzkapitals und der imperialistischen Kriegsrüstungen. Und so entlarvt sich die deutsche Sozialdemokratie in den Augen der breiten proletarischen Massen immer mehr als die Partei des kapitalistischen Niedergangs, die in den kommenden revolutionären Kämpfen zwischen den Mühlsteinen des Klassenkampfes zerrieben wird. Ihr Geschrei über die Hoffnungslosen, womit sie die Kommunistische Partei meint, soll nur die Massen, die sich mehr und mehr dem Kommunismus zuwenden, über die eigene Hoffnungslosigkeit des Sozialfaschismus hinwegtäuschen, des Sozialfaschismus, der von der Geschichte zum Tode verurteilt wird. Ich will damit nicht sagen, daß der volle Sieg über die Sozialdemokratie und den Faschismus von heute auf morgen errungen werden kann. Ich will damit keineswegs sagen, daß die endgültige Zerschmetterung der Sozialdemokratie vor der Errichtung der proletarischen Diktatur möglich ist. Aber, Genossen, wenn unsere Kommunistische Partei mit noch mehr Kraft, mit noch größerer Zähigkeit und Ausdauer ihre großen Ideen in die Massen hineinträgt dann muß die Sozialdemokratie bei der Durchführung ihres reaktionären Kurses sich immer mehr von den Massen isolieren, und die Massen müssen in Scharen zu unserer Partei, der Partei der proletarischen Revolution kommen.

IV. Der Charakter der gegenwärtigen Klassenkämpfe, die neue Taktik der Partei und die innerparteiliche Entwicklung

Ich komme jetzt zum nächsten Punkt: Der Charakter der gegenwärtigen Klassenkämpfe und die neue Taktik der Kommunistischen Partei. Es ist vor allen Dingen notwendig, daß wir erkennen, wie sich besonders seit den letzten anderthalb Jahren die Klassenkräfte verschieben, wie einerseits eine Zusammenfassung der Kräfte der Reaktion, anderseits eine Zusammenfassung der revolutionären Kräfte unter Führung der Kommunistischen Partei eintritt. Hier sind besonders die Krisenerscheinungen in den bürgerlichen Parteien bemerkenswert, die an sich nur die gemeine Krise des bürgerlichen Systems und des Parlamentarismus widerspiegeln. Aber gleichzeitig damit wird immer klarer, daß die deutsche Bourgeoisie ihre Kapitalsoffensive nur durchführen kann, wenn sie eine scharfe Wendung in der Richtung der faschistischen Herrschaftsmethoden vollzieht, wobei sie zweifelsohne die Hilfe der Sozialdemokratie erhält. Während die kleinbürgerlichen und die proletarischen Schichten in den bürgerlichen Parteien zu rebellieren beginnen, sehen wir in der Führung dieser Parteien eine solche Entwicklung, daß sie sich mehr und mehr zu den faschistischen diktatorischen Maßnahmen bekennen und sie sogar offen als Forderung aufstellen. Ich weise auf die verschiedenen Reden bürgerlicher und sozialdemokratischer Politiker hin: die Rede des Außenministers Stresemann vor einigen Monaten im Vorstand der Deutschen Volkspartei, die Forderungen führender Kreise der deutschen Wirtschaft, die Ausführungen der sozialdemokratischen Führer auf verschiedenen Konferenzen und auch auf dem Magdeburger Parteitag.

Bei dieser allgemeinen Entwicklung der Krise des bürgerlichen Parteiensystems und des bürgerlichen Parlamentarismus ist die Entwicklung des Faschismus in Deutschland von besonderer Bedeutung. In der Verschiebung der Kräfte im Lager des Klassenfeindes spielt ferner die Tatsache, daß die verschiedenen faschistischen Kampforganisationen in letzter Zeit auf dem politischen Gebiet eine große Aktivität entwickeln und in den kleinbürgerlichen Schichten an Einfluß gewinnen, eine große Rolle. Wir müssen feststellen, daß die Nationalsozialisten in solchen Gebieten wie in Sachsen gewonnen haben, wie das Ergebnis der letzten Sachsenwahlen zeigt, daß sie in Schleswig-Holstein unter der Landbevölkerung, besonders unter den kleinbäuerlichen Schichtenten, in den letzten Monaten durch ihr aktives Auftreten in der Frage der Reparationen einen stärkeren Einfluß erreicht haben. Wir sehen weiter, daß die Nationalsozialisten auch in Südthüringen und Baden Fortschritte zu verzeichnen haben und überall in Deutschland an Anhang gewinnen.

Es ist notwendig, auch die Entwicklung des Stahlhelms aufmerksam zu verfolgen, nicht etwa aus dem Grunde, weil er große organisatorische Erfolge erzielt hätte, sondern vom Standpunkt seiner allgemeinen politischen Aktivität.

Dieser Vormarsch des Faschismus in Deutschland liegt in der Linie der allgemeinen Faschisierung der bürgerlichen Herrschaftsmethoden. Um die Arbeiterschaft zu knebeln setzt die Bourgeoisie ihren ganzen staatlichen Unterdrückungsapparat in Bewegung. Ich erinnere an den neuen von Severing vorgelegten Strafrechtsgesetzentwurf über die Änderung des Vereins-, Versammlungs- und Demonstrationsgesetzes. Dies wird wahrscheinlich eine der reaktionärsten Gesetzesänderungen sein, die wir bis jetzt erlebt haben. Die Bestimmungen des Puttkamergesetzes[12] gegen die Sozialisten können damit verglichen werden. Die Äußerungen von Severing in der letzten Zeit deuten darauf hin, daß er bereit ist, mit der Bourgeoisie gemeinsam die alten wilhelminischen Gesetze zu übertrumpfen. Durch die angekündigte Änderung der Verfassung und der Wahlbestimmungen und die straffere Organisierung der politischen Polizei will der Sozialfaschismus gemeinsam mit der Bourgeoisie die revolutionäre Arbeiterklasse niederhalten. Ich weise auf die Rede Severings während der hessischen Polizeiwoche hin, in der man planmäßig und systematisch die Zentralisierung der politischen Polizei besprochen und vorbereitet hat. Man hat sich hierbei an das Muster des Sozialistengesetzes gehalten. Der Zweck der Zentralisation der politischen Polizei soll eine Bespitzelung und Beschnüffelung der Kommunistischen Partei sein. Die Sozialdemokratie als Regierungspartei ist so weit gesunken, daß sie ein ganzes Netz von Achtgroschenjungen und Provokateuren zu züchten und zu schulen beginnt, wie es der preußische Junker von Puttkamer unter dem Sozialistengesetz getan hat. Die Kommunistische Partei ist verpflichtet, gegen das System der agents provocateurs Gegenmaßnahmen zu ergreifen und hierbei namentlich die Erfahrungen unter dem Sozialistengesetz sowie neuere Erfahrungen unserer eigenen Praxis zu verwerten. Wir müssen dazu übergehen, die Spitzel öffentlich anzuprangern. Zweifellos sind wir jetzt in ein solches Stadium eingetreten, wo wir auch diese Dinge schärfer beachten müssen.

Gleichzeitig mit der Verschiebung der Kräfte des Klassengegners hat sich aber auch eine Verschiebung im Lager des Proletariats zu unseren Gunsten vollzogen. Nur wenn wir beide Entwicklungen in einem bestimmten Zusammenhange prüfen und daraus bestimmte Schlüsse ziehen, ist es uns möglich, zu einer richtigen Einschätzung der Gesamtsituation und unserer revolutionären Politik wie auch der notwendigen organisatorischen Maßnahmen zukommen. Während der Essener Parteitag in seinen politischen Thesen noch von der Defensive der  Arbeiterschaft sprach, können wir in den letzten zwei Jahren eine erhöhte Aktivität, eine mächtige Aufwärtsentwicklung der Streiks in Deutschland feststellen, eine Tatsache, die für unsere ganze taktische Orientierung eine große Bedeutung hat.

Nur einige charakteristische Angaben zur Erläuterung dessen, was vor sich gegangen ist. Die Zahl der durch Streiks und Aussperrungen verlorengegangenen Arbeitstage betrug im Jahre 1926, während der ersten Welle der Rationalisierung, 1,5 Millionen. Im Jahre 1927 betrug sie bereits 6 Millionen und im Jahre 1928 21 Millionen. Wohl überwiegt noch in der allgemeinen Statistik im letzten Jahre die Zahl der Aussperrungstage die der Streiktage. Aber können wir deshalb, weil noch die Mehrzahl der Tage auf die Aussperrungen fällt, sagen, daß sich das Proletariat noch immer in der Defensive befindet, wie das die Renegaten von rechts und “ultralinks” behaupten? Keineswegs! Die Entwicklung des Klassenkampfes geht nicht gleichförmig vor sich, es zeigen sich in dieser Entwicklung auch rückläufige Tendenzen und Rückschläge. Deswegen müssen wir auch den Charakter der verschiedenen Streiks sehr gewissenhaft analysieren. Betrachten wir den Streik der rheinischen Textilarbeiter, die große Aussperrung der Stahlindustrie im Ruhrkampf, nehmen wir ferner den Werftarbeiterkampf, der vierzehn Wochen dauerte, den Hafenarbeiterstreik sowie den heldenmütigen Kampf der Hennigsdorfer Arbeiter. Diese Kämpfe zeigen schon, daß die Arbeiterklasse auf die Offensive des Kapitals mit einer Gegenoffensive zu antworten beginnt. Diese Kämpfe wurden mit ungeheurer Erbitterung und Zähigkeit durchgeführt. Nicht nur die organisierten Arbeiter, sondern auch die unorganisierten Arbeiter haben fast überall gemeinsam unter Führung der revolutionären Gewerkschaftsopposition gegen die reformistische Bürokratie gekämpft. Das Charakteristische der heutigen Kämpfe ist, da sie Begegnungskämpfe sind, aber in einer gewissen Weise auch schon die Form von Durchbruchskämpfen annehmen. Das ist das erste, was ich hervorheben möchte.

Das zweite ist, daß diese wirtschaftlichen Massenkämpfe, wie es die Analyse des VI. Weltkongresses schon festgestellt hat, gerade wegen der besonderen Zuspitzung der allgemeinen Lage und wegen der Unterdrückungsmaßnahmen der Bourgeoisie in politische Kämpfe gegen die bürgerliche Staatsgewalt umschlagen.

Und das dritte Merkmal ist, daß die Kämpfe der Arbeiterklasse gegen die kapitalistische Klasse zugleich die Form der Auseinandersetzung zwischen Reformismus und Kommunismus annehmen, weil die Sozialdemokratie und die Gewerkschaftsbürokratie mehr und mehr mit dem Wirtschafts- und Staatsapparat der Bourgeoisie verwachsen. Wir haben jetzt eine ganz andere Situation als noch vor einigen Jahren. Früher wurden die Kämpfe im Rahmen und nach den Bestimmungen der Gewerkschaften geführt. Dieser Rahmen, dieser Gewerkschaftslegalismus, diese besondere Gewerkschaftsdisziplin, wie man sie nennt, wird jetzt durchbrochen. Aber es ist nicht nur eine Angelegenheit der Durchbrechung der gewerkschaftlichen Statuten, die heute zu kapitalistischen Statuten geworden sind, sondern die wirtschaftlichen Konflikte tragen bestimmte politische Züge, sie schlagen in politische Kämpfe um und heben damit die Bewegung auf eine höhere Stufe.

Diese Kämpfe erstrecken sich auf alle Gebiete des gesellschaftlichen Lebens und werden mit besonderer Erbitterung in allen Massenorganisationen ausgekämpft, wo die Sozialfaschisten versuchen, die revolutionären Arbeiter und die Kommunisten auszuschließen.

Kann man die jetzige Spaltungspolitik der reformistischen Bürokratie in den Gewerkschaften und Massenorganisationen von der allgemeinen Offensive der deutschen Bourgeoisie, von ihrer Unterdrückungspolitik gegen die Kommunisten und gegen die revolutionäre Arbeiterklasse, von dem reaktionären Kurs überhaupt trennen? Ist es nicht Tatsache, daß in solchen Massenorganisationen wie der Sportorganisation und dem Freidenkerverband die Reformisten deshalb offen zu dem Spaltungskurs übergegangen sind, weil wir heute sonst in Ihnen bestimmt die Mehrheit erobert hätten? Unsere Aufgabe ist es daher, die Ausschlüsse aus den Gewerkschaften und aus den wichtigsten Massenorganisationen mit noch viel größerer Energie der Massenmobilisierung zu beantworten. Wir müssen die Einheit der proletarischen Massenorganisationen gegen die reformistischen Zerstörer mit aller Kraft verteidigen. Wir dürfen uns nicht von den Massen isolieren lassen, sondern müssen mit den Massen die großen revolutionären Aufgaben erfüllen und die Sozialfaschisten aus allen proletarischen Organisationen verjagen.

Das vierte Merkmal der heutigen Kämpfe, das ich hier erwähnen will, ist, daß sie eine ganz andere soziale Zusammensetzung. der kämpfenden Massen zeigen als früher. Es ist die soziale Umschichtung in den Betrieben, die gewaltige Differenz zwischen verschiedenen Lohnklassen, die Einbeziehung von Millionen Arbeiterinnen und Jugendlichen in den Produktionsprozeß. Vom Jahre 1907 bis 1925 haben wir eine Zunahme der Arbeiterinnen im Produktionsprozeß um 3 Millionen. Es ist weiter die vermehrte Einstellung von Jugendlichen in den Produktionsprozeß zu verzeichnen. Alle diese neuen Schichten des Proletariats, die am schlechtesten bezahlten Kategorien, spielen eine besondere Rolle im heutigen Klassenkampf, und sie sind es, die mit der größten Aktivität auftreten.

Was muß die Partei tun, um diese neuen Schichten für den Kampf zu mobilisieren? 6,3 Millionen Frauen befinden sich im Arbeitsprozeß, das sind ungefähr 37 Prozent aller Beschäftigten, eine gewaltige Zahl im Verhältnis zu der gesamten Arbeiterschaft in Deutschland. Wie ist unsere Arbeit unter diesen Arbeiterinnen? Zwar haben wir in den letzten Monaten eine rücksichtslose Wendung durchgeführt, indem wir auch unsere organisatorischen und taktischen Methoden der Arbeit auf diesem Gebiete grundlegend geändert haben. Aber welche gewaltigen Mängel noch bestehen bleiben, ergibt sich aus folgendem:

In einem Industriegebiet, wo die Arbeiterinnen überwiegen, müßte das eigene Gesicht der Kommunistischen Partei, wenn wir unsere Orientierung auf diese wichtigen Schichten der Arbeiterinnen ernsthaft in Angriff nehmen wollen, sich auch in der Zusammensetzung des Funktionärkörpers der Partei in diesem Bezirk widerspiegeln. Doch nehmen wir zum Beispiel den Bezirk Chemnitz, wo es etwa 250 000 bis 300 000 Textilarbeiterinnen gibt. Wie steht es hier mit der Vertretung dieser Schichten in unserer Partei, wieviel Betriebsarbeiterinnen können wir in unserem Funktionärkörper zählen? Hat die Bezirksleitung alles getan, um alle äußeren Widersprüche und alle inneren Hemmungen in dieser Hinsicht zu überwinden? Keineswegs!

Und glaubt ihr, daß die Schuh- und Zigarettenarbeiterinnen, die den politischen Massenstreik in Berlin unterstützt haben, nicht das revolutionäre Element sind, das wir in zukünftigen Kämpfen ebenfalls brauchen? Glaubt ihr, daß in verschiedenen ernsten Aktionen gerade die Frauen nicht diejenigen waren, die manchmal an revolutionärer Aktivität den Männern und zum Teil sogar - ohne die Jugendlichen zu beleidigen - den Jugendlichen voran waren? Das müssen wir sehen, das sind die am meisten unterdrückten Schichten im Gesamtproletariat, das sind jene Schichten, mit denen wir in Zukunft, gemeinsam mit anderen proletarischen Massen, unsere großen Schlachten schlagen werden. Deswegen stelle ich an den Parteitag die große Forderung, daß die Gesamtpartei alle Kräfte auf die Gewinnung der im Produktionsprozeß stehenden Arbeiterinnen konzentriert. Die Arbeit unter den Hausfrauen, die wir in den letzten Jahren durchgeführt haben, muß zwar fortgesetzt werden, aber der Hauptkurs muß sich auf die Erfassung der Betriebsarbeiterinnen verschieben, und demgemäß muß auch unser Funktionärapparat auf diesem Gebiete verändert werden.

Die politische Gesamtlage und alle diese Merkmale waren für die Festlegung unserer neuen Taktik in Deutschland ausschlaggebend. Ich will jetzt versuchen, das Wesen der neuen Taktik und im Zusammenhang damit einige wichtige Tatsachen der innerparteilichen Entwicklung klarzumachen.

Was sind die wichtigsten Züge dieser neuen Taktik? Erstens: die große Wendung unserer Partei in der Gewerkschaftspolitik. Nicht nur, daß wir politisch auf diesem Gebiet unsere Taktik veränderten, sondern wir verbanden diesen neuen politischen Kurs mit der Änderung der Organisationsformen des Kampfes in den verschiedenen Situationen unter Berücksichtigung der verschiedenen Kampfbedingungen. Bei den wirtschaftlichen Massenkämpfen gingen wir zur Bildung von Kampf- und Streikleitungen in verschiedenen Gebieten Deutschlands über Jener große Erfolg, den wir bei der letzten Aussperrung der Stahlindustrie im Ruhrgebiet erzielten, war ein Ansporn für alle kämpfenden Arbeiter in Deutschland, war zugleich eine wertvolle Erfahrung für die Durchführung ihrer eigenen Kämpfe. Wir sehen bei diesen wirtschaftlichen Kämpfen die Tendenz der Durchbrechung der Gewerkschaftsdisziplin, der Schiedssprüche und der Tarife. Im einzelnen kann ich auf diese Fragen nicht eingehen.

Zum Gebiet unserer Gewerkschaftsarbeit. Wir müssen besonders unsere revolutionäre Arbeit in den Gewerkschaften erweitern, vertiefen und verstärken. Diese neue Taktik die wir unter den proletarischen Massen durchführen, ist zugleich der wesentlichste Bestandteil unserer allgemeinen politischen Arbeit, weil diese wirtschaftlichen Kämpfe zugleich politische Bewegungen werden, die gegen den Dreibund von Unternehmertum, bürgerlicher Staatsgewalt und reformistischer Bürokratiegerichtet sind. In dem Maße, wie sich diese wirtschaftlichen Kämpfe ausbreiteten, nahmen sie auch in den verschiedenen Gebieten Deutschlands einen politischen Charakter an.

Zweitens: Bei der Anwendung der Einheitsfronttaktik von unten haben wir zu gleicher Zeit auch durch die Verlegung der Arbeit in die Betriebe und Massenorganisationen eine organisatorische Veränderung unserer Arbeit vollzogen, wenn auch nur schwach, wenn auch noch lange nicht stark genug. Jedoch ist der Fortschritt auf diesem Gebiet noch unzulänglich.

Drittens: Bei der Mobilisierung der Massen faßten wir nicht nur die organisierten, in Opposition stehenden Gewerkschaftsmitglieder zusammen, sondern wir konzentrierten auch unsere Kräfte auf die unorganisierten Massen. Die Entwicklung der Kämpfe hat gezeigt, daß die unorganisierten Massen in vielen Fällen viel revolutionärer handelten als große Teile der organisierten Massen, die unter dem Einfluß des Reformismus standen.

Viertens: Die neue Taktik fordert von uns gleichzeitig in einem besonderen Maße die Anspannung unserer Kräfte zur Erfassung der am meisten verelendeten und unterdrückten Sehnten, die wir bis jetzt viel zuwenig beachtet haben. Ich habe bereits von der Rolle der Arbeiterinnen in den heutigen Kämpfen gesprochen, ich werde später noch über die Jugend und die Landarbeiter sprechen.

Fünftens: Der schärfste Kampf gegen den Reformismus ist nicht nur ein taktisches Problem, sondern auch ein organisatorisches Problem. ‑ Kampf- und Streikleitungen, revolutionäres Vertrauensmännersystem, Delegierten- und Arbeiterinnendelegiertenkonferenzen, Selbstschutzorgane, Aktionsausschüsse, Erwerbslosenausschüsse, Antikriegskomitees usw. ‑ Es ist unglaublich, was wir in den letzten wenigen Monaten an neuen Organisationsformen gesehen haben. Und wenn unsere Partei nicht mit so starken sozialdemokratischen Schlacken belastet wäre, dann hätten wir auf dem Gebiete der Durchführung dieser Taktik noch weit größere politische Erfolge zu verzeichnen gehabt.

Es ist klar, daß dieser letztere Punkt alle vorhergehenden in sich einschließt, weil der Kampf gegen den Reformismus jetzt in das Stadium eines organisatorisch-politischen Kampfes getreten ist, weil alles davon abhängt, die selbständige Aktivität der Massen und ihr Vertrauen zu unserer Politik in organisatorische Formen zu fassen und zu verankern. Können wir jetzt unsere Aufgaben nur mit einer richtigen Politik erfüllen? Nein! Wir müssen dazu ein System der Organisationen haben, ein System von rädern, mit denen wir die Kader des Klassenfeindes, die uns, gestutzt vom bürgerlichen Staatsapparat, in konzentrierter Formgegenüberstehen, in den Betrieben bekämpfen und vernichten können: den Werkfaschismus, die gelben Verbände[13] die reformistische Gewerkschaftsbürokratie das sozialdemokratische Vertrauensmännersystem. Diese ganze Front des Klassenfeindes erfordert von uns eine große systematische Umgruppierung und Konzentration unserer Kräfte auf organisatorischem Gebiet. Aus alledem ergibt sich, daß die Durchführung der Einheitsfronttaktik jetzt auf einer ganz anderen, viel höheren Stufe steht als beispielsweise zur Zeit der Kampagne der Fürstenenteignung. Darüber sind auch in unseren eigenen Reihen noch viele Genossen im unklaren. Die Kampagne zur Fürstenenteignung zeigte eine niedrigere Stufe der Taktik der Einheitsfront als heute, weil sie sich im Rahmen der Verfassung vollzog, obwohl die Massenbewegung, bei der wir in der damaligen Situation große Erfolge erzielt haben, einen außerparlamentarischen Charakter trug.

Bei der Fürstenenteignungskampagne hatten wir zwar eine politisch richtige Linie herausgearbeitet, aber noch nicht eine so ausgesprochene Kampfstellung gegen die SPD-Führer in den Massen schaffen können, weil diese Kampagne gemeinsam mit der SPD durchgeführt wurde.

Die damalige Kampagne hatte auch nicht den organisatorisch revolutionären Charakter der Bewegung in den Betrieben, wie es die Bildung von Einheitsfrontorganen in den Betrieben jetzt erfordert. Heute ist die Etappe des Klassenkampfes eine ganz andere als damals. Heute sind die politischen und organisatorischen Aufgaben unserer Partei als der einzigen Führerin des proletarischen Klassenkampfes auf Grund der objektiven Entwicklung, die ich vorhin analysiert habe, viel konkreter gestellt. Heute sind die Klassenfronten viel deutlicher gezeichnet, und daher ist auch für die breiten Arbeitermassen die gesamte Trennungslinie ganz klar: Entweder Reformismus oder Kommunismus, ein Drittes kann es nicht geben.

Aber daraus ergibt sich, daß der Kampf um die Hegemonie im Proletariat, um die Mehrheit der Arbeiterklasse, namentlich in den wichtigsten Großbetrieben und Industriezweigen, jetzt als eine viel konkretere Aufgabe vor uns steht. Es ist die eigentliche Hauptaufgabe der jetzigen Entwicklungsphase, auf die sich unsere Partei mit allen Kräften zu orientieren hat. Von der Erfüllung dieser großen Aufgaben hängt letzten Endes die Entscheidung in den kommenden revolutionären Kämpfen zwischen der Arbeiterklasse und dem Kommunismus einerseits und der Bourgeoisie und dem Sozialfaschismus anderseits ab. Der Kampf um die Mehrheit des deutschen Proletariats ist eben das Wesen der neuen Taktik.

Die Durchführung dieser neuen Taktik erfolgte aber nicht nur im schärfsten Kampf gegen den Reformismus, der sich heute in einer besonderen Form, in der, Form des Sozialfaschismus, in Deutschland zeigt, sondern im schärfsten Kampf gegen alle schwankenden opportunistischen Elemente in unseren eigenen Reihen.

Bei der Durchführung jeder großen taktischen Wendung in der Kommunistischen Internationale ergaben sich Krisen oder bestimmte Krisenerscheinungen in den einzelnen Parteien, indem die bis dahin verborgenden innerparteilichen Differenzen zur offenen Explosion kamen. So war es auch kein Zufall, daß die große Wendung in der deutschen Partei die Elemente hinausstieß, die erstens die gesamte Lage anders beurteilen und zweitens auch in der Anwendung der Kampfformen sich stets nur nach der Sozialdemokratie orientieren wollen. Jener Widerstand, der sich bei den liquidatorischen Elementen gegen unsere neue Taktik zeigte, brachte die Partei dazu ‑ weil sie nur dann in der Lage ist, ihre revolutionäre Politik durchzuführen ‑, die liquidatorischen Elemente aus der Partei hinauszustoßen. Sie stehen jetzt nicht nur im Lager des Klassenfeindes, sie liefern nicht nur Argumente und Material an die Sozialdemokratie im Kampfe gegen den Kommunismus, sondern sie sind der völligen politischen Bedeutungslosigkeit verfallen, sowohl die “Ultralinken” unter Führung von Urbahns wie auch die Rechten unter Führung von Brandler. Beide liegen auf dem Misthaufen der Geschichte!

Die Renegaten, die außerhalb der Partei stehen, leisten der Sozialdemokratie durch ihre Verleumdungskampagne die schmutzigsten Dienste, indem sie eine bestimmte Diskreditierung der Parteileitung und der gesamten Partei durchzusetzen versuchen, was selbst in unseren eigenen Reihen manchmal Schwankungen hervorruft. Die Partei muß in jeder Situation gegenüber diesen Verleumdungen wie eine eiserne Front zusammenstehen, sie muß gegenüber diesen Klassenfeinden ihre innere revolutionäre Disziplin, ihren inneren geschlossenen, einheitlichen Charakter und ihre Festigkeit zeigen, besonders weil die Verleumdungskampagne. Sich bei Steigerung der Klassengegensätze kurz vor Ausbruch des Krieges selbst noch verzehnfachen, ja verhundertfachen wird.

Deswegen, Genossen: Auch auf diesem Gebiete größere Aufmerksamkeit und bolschewistische Festigkeit, als es bisher der Fall war!

Hier auf dem Parteitag müssen wir uns noch mit einer Gruppe des feigen Opportunismus auseinandersetzen, den Versöhnlern, die zwar keinen Anhang in der Partei mehr haben, aber die Rolle der Rechten in der Partei weiterspielen. Ihre Tätigkeit besteht darin, die Erfolge der Partei herabzusetzen, die Parteiführung des Ruth-Fischer-Kurses zu beschuldigen und die Durchführung unserer revolutionären Taktik zu sabotieren.

Ich will dem Parteitag nur einige Stellen aus den vielen Dokumenten der Versöhnler in Erinnerung bringen, um den feigen und schwankenden Charakter der politischen Einstellung der Versöhnler zu zeigen. In der Erklärung der Genossen Ewert und Ernst Meyer zur innerparteilichen Lage vom 13. Dezember heißt es folgendermaßen:

Im Augenblick der Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit der Trennung der Partei von einer ganzen Reihe von Genossen wie Brandler, Thalheimer, Walcher, Frölich, Enderle, Schreiner, die zu den Gründern des Spartakusbundes gehören, die am 4. August 1914 bei Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg standen, halten wir es für unsere Pflicht, vor der Partei zu erklären: Diese Genossen können nicht mit Verrätern à la Levi, Friesland oder Kleinbürgern à la Maslow und Ruth Fischer auf eine Stufe gestellt werden.

Genossen! So haben die Versöhnler die rechten Renegaten beurteilt. Und wie haben die Versöhnler die Parteiführung und die Parteilinie beurteilt? In einem Dokument der Versöhnler heißt es unter anderem:

Die “linken” sektiererischen Abweichungen der Mehrheit des ZK ergeben sich einerseits aus jener falschen Analyse der gegenwärtigen Lage, die auf der Unterschätzung der Kraft der deutschen Bourgeoisie und des Einflusses des Sozialimperialismus auf die Arbeiterklasse und der Ersetzung der revolutionären Perspektive des VI. Weltkongresses durch die radikale Phrase beruhen (Ablehnung der "dritten Periode" oder ihre verständnislose und demagogische Auslegung), und andererseits aus dem Versagen der Mehrheit des ZK bzw. des Polbüros, den Kampf gegen Opportunismus und Liquidatorentum zu führen. Es erweist sich, daß die Politik der Mehrheit des ZK im vollen Umfang die Warnung des VI. Weltkongresses bestätigt, "daneben (neben der rechten Hauptgefahr) bestehen auch “linke” Abweichungen, die ihren Ausdruck finden in einer gewissen Tendenz zur Ablehnung der Einheitsfronttaktik, in dem Nichtverstehen der ungeheuren Bedeutung der Gewerkschaftsarbeit, in der Politik der revolutionären Phase." (Resolution des VI. Weltkongresses.)

Und dann noch ein letztes Zitat aus der Plattform der Versöhnler "Über die Meinungsverschiedenheiten bei der Durchführung der Beschlüsse des VI. Weltkongresses" vom Anfang 1929. Dort heißt es unter anderem:

Es gibt nur einen Weg, die Schäden dieses innerparteilichen Kurses zu überwinden: den Kampf gegen zwei Fronten in der Partei, sowohl gegen die Rechten als gegen den innerparteilichen Kurs des ZK.

Was bedeuten diese wenigen Beispiele?

Ich glaube, es ist Pflicht des Parteitages, vor der Parteimitgliedschaft und vor der gesamten Kommunistischen Internationale an die Versöhnler klipp und klar die Frage zu richten, ob sie noch weiter auf ihrem Standpunkt des feigen Opportunismus verweilen wollen, ob sie sich für die Linie ihrer ideologischen Bundesgenossen im Lager der Liquidatoren oder ob sie sich endlich für die Linie der Partei entscheiden wollen. Ein weiteres Lavieren gibt es nicht, ein weiteres Auskneifen darf und kann es nicht geben!

Wir haben auch in den Reihen unserer Mehrheit bei der Durchführung unserer neuen Taktik nach dem VI. Weltkongreß große Schwankungen zu verzeichnen gehabt. Nehmen wir die besonders charakteristische Tatsache, die im Zusammenhang mit dem Wittorf-Fall[14] im September des vorigen Jahres in der deutschen Partei zum Ausdruck kam. Bei dieser Gelegenheit zeigte sich ganz klar, daß diese Schwankungen bis in das Zentralkomitee reichten. Zwar konnten diese Schwankungen dank der inneren Festigkeit der Funktionäre und der gesamten Parteimitgliedschaft und mit Hilfe der Exekutive schnell und ohne große Verluste überwunden werden, aber es ist kein Zweifel, daß diese Schwankungen nicht zufällig waren.

Wir hatten bereits vor dem Wittorf-Fall große Auseinandersetzungen mit den Versöhnlern und ebenfalls mit den Rechten, die heute aus der Partei ausgeschlossen sind. Ich erinnere an die Auseinandersetzungen über die Rückkehr von Brandler und Thalheimer, an die Diskussion während des IX. Plenums, an die Einschätzung der politischen Lage nach dem 20. Mai im Zusammenhang mit der Perspektive der sozialfaschistischen Entwicklung, an die Auseinandersetzungen über den IV. RGI-Kongreß und an die letzten großen politischen Differenzen, die bei der Erörterung und Beratung der Beschlüsse und Verhandlungen des VI. Weltkongresses zum Ausdruck kamen. Dort zeigten sich bereits zwei diametral entgegengesetzte Auffassungen: Eine Mehrheit und eine kleine Minderheit in der deutschen Delegation standen sich in verschiedenen entscheidenden politischen Fragen unversöhnlich gegenüber.

Der Fall Wittorf wurde zu einer großen politischen Angelegenheit von den Rechten und Versöhnlern aufgebauscht Die Rechten und Versöhnler glaubten den Zeitpunkt für gegeben, um einen allgemeinen Angriff gegen die Beschlüsse des VI. Weltkongresses und gegen die Linie der Parteiführung zu eröffnen. Fast das ganze ZK ließ sich überrumpeln. Es fand nicht die genügende Kraft und Entschlossenheit, den parteischädigenden Vorstoß der Versöhnler und Rechten so abzuwehren, wie es notwendig war. Die Parteiführung hatte es unterlassen, die politischen und innerparteilichen Differenzen in der Gesamtpartei rechtzeitig und offen zur Diskussion zu stellen und auszutragen.

Erst aus Anlaß des Wittorf-Falles ließen viele Liquidatoren und Versöhnler in der Partei die Maske fallen. Die Rechten entlarvten sich alsbald als die offenen Feinde des Kommunismus, während die Versöhnler, die durch ihre Überrumpelungstaktik vorübergehend auch das Zentralkomitee ins Schwanken brachten, offen gegen die Beschlüsse des VI. Weltkongresses und die neue Taktik der deutschen Partei ankämpften und im Zusammenhang damit auch die Änderung der Führung der Partei forderten. Genossen! Wir müssen die Tatsache unverblümt feststellen, daß das ZK vorübergehend dem Angriff der Rechten und Versöhnler unterlag, daß aber auch die große Mehrheit des ZK, gleich nachdem sie ihren Fehler erkannte, sich gemeinsam mit der Gesamtpartei für die vorbehaltlose Durchführung der Beschlüsse des VI. Weltkongresses einsetzte. Die Führung der Partei muß ebenfalls zugeben, daß die Politik der Konzentration, wie sie auf dem Essener Parteitag festgelegt war, bei ihrer Durchführung bestimmte Gefahren, Fehlerquellen und sogar in einigen Punkten ernste Fehler mit sich brachte, die sich allgemein daraus erklären, daß wir unsere innerparteiliche Einstellung nicht rechzeitig genug mit der Entwicklung der objektiven Lage und der Verschiebung der Klassenkräfte in Deutschland in Einklang gebracht haben. De große Fehler der Führung war, daß wir viel zu spät die Veränderung der Funktionärkader selbst in der höchsten Spitze der Partei in Angriff genommen haben, um wirkliche Garantien für die Durchführung des revolutionären Kurses der Partei unter den Massen zu haben. Es ist die Aufgabe jeder Führung, nicht nur offen Selbstkritik zu üben, sondern auch den Beweis zu erbringen, daß sie den Willen und den Mut hat, das, was in der Selbstkritik an Pullern und Mängeln festgestellt wurde, in der Praxis zu korrigieren. Nur dann wird es möglich sein, daß sich die Partei auf einer gesunden revolutionären Grundlage weiterentwickelt.

Ich will nicht unterlassen, bei dieser Gelegenheit auszusprechen, daß auch selbst bei denjenigen Genossen, die mit voller Überzeugung den Beschlüssen des VI. Weltkongresses und des IV. RGI-Kongresses zugestimmt haben, große Schwankungen bei ihrer konkreten Durchführung zu verzeichnen waren. Dies gilt nicht nur für die einzelnen Schichten der Parteifunktionäre, der Funktionäre in den Betrieben, in den Parlamenten und Gewerkschaften, in besonderen Ressorts wie auch im gesamten Apparat der Partei ‑ das bezieht sich auch auf die neuen Methoden der Mobilisierung der Massen, zum Beispiel auf die Arbeit unter den Frauen, unter den Jugendlichen. Deshalb müssen wir in dieser ernsten und komplizierten Situation ein besonderes Kontrollesystem, vor allem in den Bezirken, verwirklichen, um die Durchführung der Beschlüsse zu gewährleisten, sonst werden wir unvermeidlich Rückfälle erleben, die vielleicht noch größere Auswirkungen haben und uns noch empfindlicher treffen werden als im Fall Wittorf.

Wir hatten bei der Anwendung unserer neuen Taktik viele politische und organisatorische Mängel. Die Kapitulation vor dem Reformismus und das Zurückweichen vor den Schwierigkeiten bei der Durchführung der Betriebsrätewahlen hat uns in vielen Betrieben manche Schlappen eingebracht. Und hier will ich dem Berichterstatter des "Vorwärts" nur mitteilen: Wenn unsere Partei in allen Bezirken Deutschlands unsere Taktik bei den Betriebsrätewahlen ernst durchgeführt hätte, dann wäre es schon jetzt für jedermann klargeworden, wo die “Hoffnungslosen” zu finden sind. Es ist sogar vorgekommen und nicht sehr selten ‑ wenn auch die Sozialdemokratie diese Feststellung ausnützen wird ‑, daß unsere Genossen hier und da das Gewerkschaftsbuch höherstellten als das Parteibuch der Kommunistischen Partei. Genossen! Die Entwicklung der Gewerkschaften, ihre sozialfaschistische Orientierung, zeigt jetzt vielen parteilosen Arbeitern sehr deutlich: Die Kommunistische Partei ist das Höchste, das Kostbarste, mit der allein die Arbeiterklasse ihre Aufgaben, alle Ihre Kämpfe durchführen kann. Wenn daher Mitglieder der Partei diese Rolle und Bedeutung der kommunistischen Avantgarde preisgeben, so müssen sie rücksichtslos aus unseren, Reihen entfernt werden.

Wir müssen als einen weiteren Mangel bei der Durchführung der Taktik feststellen, daß wir Wirtschaftskämpfe hatten, wo die Erfahrungen des Ruhrkampfes nicht übernommen und angewandt wurden, wie es die Aufgabe der Partei gewesen wäre. Es ist gut, daß dies jetzt nicht mehr so der Fall ist, wie die Aussperrung in Schlesien zeigt, wo sich sofort Kampfleitungen unter Führung der revolutionären Gewerkschaftsopposition bildeten. Die Tatsache, daß bei dieser Aussperrung die Kampfmethoden, die im Ruhrgebiet sich als erfolgreich gezeigt haben, übernommen wurden, und Beispiele aus anderen Wirtschaftsbewegungen, die man noch anführen könnte, zeigen die neue, aufwärtsschreitende Entwicklung der deutschen Partei, die erfolgreiche Anwendung der neuen Kampfformen, die vielleicht morgen oder übermorgen wiederum verbessert und durch andere ergänzt werden müssen. Daß wir manchmal in einer entscheidenden Situation nicht als der Vortrupp des Proletariats vor den Massen marschierten, sondern es vorkam, daß die Massen vor der Partei marschierten auch das soll hier nicht verschwiegen werden. Es ist vorgekommen, daß unsere Genossen in den Betrieben, in den Gewerkschaften, in der Partei nicht wußten, was morgen oder übermorgen die Arbeiter bei der Entwicklung des Kampfes zu tun beabsichtigten. Es ist ferner sogar vorgekommen, daß die unorganisierten Massen gegen unsere eigenen Parteigenossen Kampfleitungen bildeten, weil unsere Genossen, die vom Gewerkschaftslegalismus angesteckt waren, die Notwendigkeit der neuen Taktik nicht verstanden. Aber gerade, daß wir unsere Fehler selbst einsehen und scharf kritisieren, gerade diese kameradschaftliche Selbstkritik soll erzielen, daß unsere eigenen Genossen und die gesamte Arbeiterschaft mit voller Selbstüberzeugung und Aufrichtigkeit dazu kommen, der Partei als Ganzes zu helfen und sie zu unterstützen.

Wir dürfen auch nicht vergessen, daß es vorgekommen ist, daß die außerhalb der Partei stehenden Massen ‑ wie in Solingen ‑ uns im innerparteilichen Kampf geholfen haben, die Liquidatoren in unseren eigenen Reihen zu schlagen und die neue Taktik in die Praxis umzusetzen.

Trotz aller Fehler und Schwankungen hat die Partei auf verschiedenen Gebieten große Erfolge erzielt. Überall dort, wo die Partei es verstand, die revolutionäre Gewerkschaftsopposition zu unterstützen, überall, wo es die Partei verstand, den Kampf selbständig zu führen, hat sie das Vertrauen der Massen erobert und ist wirklich vorwärts marschiert. Ich verweise auf die Erfolge beim Ruhrkampf, bei den Werftarbeitern usw., bei den Betriebsrätewahlen, auf die Erfolge in den Massenorganisationen, die eine große Bedeutung besonders in der nächsten Zeit erlangen werden. Diese Erfolge mußten unter den schwierigsten Bedingungen errungen werden. Man muß bedenken, daß wir dabei die innerparteilichen Differenzen mit den Liquidatoren und den Versöhnlern in einem sehr raschen Tempo siegreich beenden konnten.

Das ist ein gewaltiges Plus in der Entwicklung der Kommunistischen Partei Deutschlands. Das ist für uns zu gleicher Zeit ein Maßstab, daß unsere Partei gewachsen ist und vorwärts marschiert.

Natürlich haben wir auch bestimmte Mißerfolge zu verzeichnen oder Erfolge, mit denen wir uns keineswegs zufriedengeben können. Nehmen wir die Sachsenwahlen. Was sind die wichtigsten politischen Gründe dafür, daß wir dort keine genügenden Erfolge erzielt haben:

Erstens der wichtige Umstand, daß die “linke” Sozialdemokratie in Opposition zu der Heldt-Regierung[15] stand.

Zweitens, daß die Brandlerianer, ohne daß man ihre politische Bedeutung irgendwie überschätzen soll, täglich der SPD Agitations- und Verleumdungsmaterial lieferten und damit sicherlich in den mit uns sympathisierenden Kreisen eine gewisse Verwirrung anstifteten.

Drittens, daß wir bis zum 12. Mai nicht in der Lage waren, der ungeheuer gesteigerten Hetzkampagne der sozialdemokratischen und bürgerlichen Presse über die Maiereignisse in Berlin mit aller Kraft entgegenzutreten, so daß der “rote Bolschewistenschreck“ in großen Kreisen des Kleinbürgertums und der kleinbürgerlichen Einflüssen unterliegenden Arbeiter seine Wirkung nicht verfehlt hat.

Viertens die besonders von uns zu beachtende Tatsache, daß unsere Partei in Sachsen auf dem organisatorischen Gebiet große Mängel zu verzeichnen hat und auch allgemein-politisch bei der Durchführung unserer neuen Taktik nicht das Maß der notwendigen Energie aufbrachte, wie es in zwei wichtigen Bezirken, Chemnitz und Leipzig, in Erscheinung getreten ist.

Man kann das Ergebnis in Sachsen nicht als allgemeinen Maßstab für Deutschland annehmen. Aber die Tatsache, daß es der “linken” Sozialdemokratie trotz ihrer Verluste gelungen war, durch bestimmte Manöver, durch ihre scheinradikale Phraseologie gegen die Koalitionspolitik, gegen die Panzerkreuzerpolitik, gegen andere Maßnahmen der Koalitionsregierung, gegen die Vorbereitung und das Programm des Magdeburger Parteitages die Massen zu täuschen und ihren Abmarsch zum Kommunismus zu verhindern, macht es uns zur Aufgabe, an Hand dieser Lehren von Sachsen diese gefährlichsten Feinde des Kommunismus in der Sozialdemokratie noch viel schärfer im ganzen Reiche politisch zu bekämpfen, als es in Sachsen durchgeführt wurde.

Im Zusammenhang mit den Sachsenwahlen will ich noch folgende Bemerkung machen: Die revolutionäre Bewegung entwickelt sich nicht immer gleichmäßig vollzieht sich nicht gleichmäßig an allen Punkten und in einer ununterbrochenen Linie des Aufstieges, sondern es gibt auch Rückschläge und rückläufige Tendenzen. Diese Gegentendenzen liegen begründet in den Ursachen, die ich schon gezeigt habe, und auch in den Mängeln und Fehlern, die in unserer Partei bei der Durchführung der politischen Arbeit festzustellen sind.

Trotz alledem hat unsere neue Taktik überall gezeigt, daß wir uns von den Massen nicht nur nicht isolieren, wie es die Rechten und Liquidatoren gern haben möchten, sondern einen noch viel engeren Zusammenschluß mit ihnen durchführten. Das haben die letzten Ereignisse gezeigt.

V. Die Maiereignisse, die Perspektive der weiteren Entwicklung und die Hauptaufgaben der Partei

Der unaufhaltsame Vormarsch der Kommunisten hat die Sozialfaschisten gezwungen, zu den schärfsten Mitteln der Unterdrückung der revolutionären Arbeiter überzugehen. Die Sozialfaschisten begnügen sich nicht damit, die Spaltung wichtiger Massenorganisationen zu vollziehen, sie mußten dazu übergehen, eine Pogromhetze gegen die Komintern und die Kommunistische Partei zu entfesseln, um durch eine groß angelegte Provokation die revolutionären Organisationen, in erster Linie die KPD, zu schwächen und zu verbieten.

Aber es waren nicht nur innerpolitische Aufgaben, die Zörgiebel durch einen Aderlaß an den Berliner Arbeitern zu erfüllen hoffte, es waren auch außenpolitische Motive, die ihn dazu bewogen, die Maidemonstration zu verbieten. Den Gläubigermächten sollte vor der Konferenz der Sachverständigen in Paris einerseits der “Bolschewistenschreck”, der “drohende Kommunistenaufstand”, an die Wand gemalt werdend anderseits aber auch die Bereitschaft und der Wille der sozialfaschistischen Machthaber gezeigt werden, alles für die Bekämpfung der Kommunisten und der Sowjetunion zu tun, um von ihnen bestimmte Erleichterungen zu erlangen.

Angesichts dieser Provokation, die im Verbot der Maidemonstration lag, sah sich die Partei vor die Entscheidung gestellt, wie sie unter solchen schwierigen und eigentümlichen Umständen die revolutionäre Linie weiterführen sollte.

Was ist die allgemein-politische Bedeutung der Berliner Maikämpfe? Die Parteiführung hat darauf bereits in den Richtlinien des Sekretariats wie auch in den vorliegenden Thesen eine klare Antwort gegeben. Meine Aufgabe soll es sein, hier einige besondere Momente von allgemein-politischer Bedeutung im Zusammenhang mit unseren wichtigen Aufgaben hervorzuheben.

Wir können die Berliner Maikämpfe nur verstehen, wenn wir die gesamte vorhergehende Entwicklung näher betrachten. Die Ereignisse vom 1. bis 3. Mai in Berlin waren zweifellos ein Ausdruck der höchsten seit 1923 erreichten Zuspitzung der Klassengegensätze, der außerordentlichen Verschärfung des Klassenkampfes. Sie haben zugleich gezeigt, welche große revolutionäre Energie sich in den Massen angesammelt hat, die trotz aller Verbote auf der Straße für die Losungen der Kommunistischen Partei demonstrierten. Zweifellos ist auch, daß die Maikämpfe einen Wendepunkt in der Gesamtentwicklung darstellen, weil durch sie das Tempo der Mobilisierung der revolutionären Kräfte beschleunigt wird.

Die Maikämpfe waren zum ersten Male seit 1923 wieder ein offener Zusammenstoß mit der bürgerlichen Staatsgewalt. Das Neue, das dieser Kampf signalisiert, ist, daß sich von nun ab jede größere Aktion des Proletariats sofort nach der politischen Seite verschieben und seinen revolutionären Charakter erhalten wird. Der sozialdemokratische Polizeipräsident Zörgiebel, der die jahrzehntelangen Traditionen des internationalen Proletariats mit Füßen trat, der der revolutionären Arbeiterklasse Berlins am 1. Mai die Straße verbot, während in allen Städten und Gebieten Deutschlands die Arbeitermassen demonstrieren konnten ‑ er ist der Verantwortliche für die Mord- und Bluttaten seiner bestialischen Polizeitruppen, die gegen die friedlich Demonstrierenden gehetzt und losgelassen wurden. Was war der Zweck der Zörgiebelschen Provokationen im besonderen? Der Zweck war, die Kommunistische Partei von den Massen zu isolieren, sie in eine neue Märzaktion hineinzutreiben, um sie für längere Zeit zurückzuwerfen. Das war nicht nur die Absicht Zörgiebels, sondern das war die Absicht all derjenigen, die gemeinsam mit Zörgiebel auf dem Standpunkt beharrten ‑ der Vertreter des ADGB und der sozialdemokratischen Führer ‑, unter allen Umständen das Verbot am 1. Mai aufrechtzuerhalten und alle blutigen Konsequenzen daraus zu übernehmen. Der Polizeisozialismus wollte auf diese Weise die Radikalisierung der Arbeitermassen aufhalten, ihre Widerstandskraft gegen die kapitalistische Offensive lähmen und, was wir besonders beachten müssen, die notwendigen Vorkehrungen für den kommenden Krieg gegen die Sowjetunion schaffen.

War es Zufall, daß bei diesen Maiereignissen die Pogromhetze gegen die Kommunisten vor dem 1. Mai gleichzeitig mit einer Hetze “Moskau ist schuld” verbunden war? Noch viel krasser war dies nach dem 1. Mai der Fall, wo der wahre Zweck des Zörgiebelschen Demonstrationsverbotes noch deutlicher in Erscheinung trat: nach den blutigen Maitagen das Verbot des RFB, der einzigen Schutz- und Wehrorganisation des deutschen Proletariats, der so gewärtige gewaltige Sympathien nur in Deutschland, sondern im internationalen Proletariat besitzt, das Verbot der "Roten Fahne", die infame Kampagne der Verleumdungen und Drohungen gegen die Sowjetunion.

Diese wenigen Tatsachen zeigen die Absicht der Bourgeoisie und der ihr unterstehenden Staatsorgane. Was sollte die Partei tun, wie mußte die Linie der Partei bei der Durchführung der Maidemonstration sein? Konnte die Partei vor dem Klassenfeind zurückweichen? Keineswegs! Durfte die Partei das wiederholen, was sich am Gedenktage von Rosa und Karl in diesem Jahre in Berlin gezeigt hat? Keineswegs! Sie war verpflichtet, nicht vor dem Klassenfeind zurückzuweichen, sondern solche Methoden des Kampfes in Anwendung zu bringen, die voll und ganz mit unserer revolutionären Politik in Einklang stehen. Das war keine Kleinigkeit, das war eine große, schwere politische Aufgabe. Und wir können heute vor dem Parteitag mit ruhigem Gewissen feststellen, daß die Aufforderung, die die Partei an die Massen gab, gegen das Verbot zu demonstrieren, das Recht auf die Straße zu behaupten ‑ was ein altes Recht des Proletariats in der ganzen Welt ist ‑, von Zehntausenden und Hunderttausenden von Arbeitern befolgt wurde. Aber solche politische Demonstrationen, die in einer nicht akut revolutionären Situation gegen alle Repressalien der bürgerlichen Staatsgewalt, trotz aller Verbote, von der Partei durchgeführt werden müssen, solche Bewegungen tragen auch gewisse Komplikationen in sich, wie sich das bei den Vorgängen am 1. Mai gezeigt hat. Die ganze Blutschuld für die Opfer der Maitage fällt auf den Sozialfaschismus, wie es jetzt für alle klar ist.

Der äußere Verlauf der Maivorgänge ist allen Genossen bekannt. Die bestialischen Methoden der Polizei zwangen das Proletariat zu spontanen Abwehrmaßnahmen: Im roten Wedding, im roten Neukölln sowie in der Gegend beim Schlesischen Bahnhof wurden Barrikaden erbaut.

Nachdem im roten Wedding und im roten Neukölln Barrikadenkämpfe entstanden waren, stand die Partei vor der schwerwiegenden Entscheidung: Wie muß sie diese spontane Erhebung der Massen unterstützen? Es besteht kein Zweifel, daß in jener Situation, wie sie sich am Abend des 1. Mai gestaltete, viele Berliner Arbeiter nach Waffen riefen. Durch die Bestialitäten oder Mordpolizei war die höchste Erbitterung und die tiefste Empörung unter den Massen entstanden, und ihr Ruf nach den Waffen und um sofortige Hilfe war absolut verständlich. Diese Stimmungen der Massen waren geboren aus der gesamten Situation am 1. Mai; die Massen wollten ihren kämpfenden Klassenbrüdern im Wedding und in Neukölln zur Hilfe eilen.

Die Partei hat vom ersten Augenblick an ihre volle Solidarität mit den Barrikadenkämpfern ausgesprochen. Das ist für eine Partei der proletarischen Revolution selbstverständlich. Die Partei konnte aber nicht dem Ruf nach dem bewaffneten Aufstand, der Forderung nach Bewaffnung nachgeben, weil alle objektiven Voraussetzungen dafür fehlten, weil keine akut revolutionäre Situation gegeben war, geschweige denn die Bedingungen für den bewaffneten Aufstand. Die Formen der revolutionären Bewegung tragen manchmal einen sehr schwierigen und für die Massen nicht sofort verständlichen Charakter. Hätte die Partei den instinktiv aus den Massen kommenden Stimmungen und Forderungen an uns nachgegeben, so hätte das bedeutet, daß die Partei auf die Provokationen der Zörgiebel-Polizei hereingefallen und später der beste Teil der Berliner Arbeiterschaft, der revolutionäre Kern, abgeschlachtet worden wäre. Das war die große politische Verantwortung, die die Partei in diesen Tagen hatte. Wenn sie solchen spontanen Stimmungen nachgegeben und nicht die der Situation entsprechenden Kampfformen gewählt hätte, wäre sie später dafür vor der Geschichte zur Verantwortung gezogen worden.

Deshalb handelte die Partei völlig richtig, als sie die Losung des politischen Massenstreiks herausgab, um die größte Unterstützung der kämpfenden Arbeiter zu erreichen. Wenn auch die Losung des politischen Streiks von den Massen selbst in Berlin sehr schwach und in wichtigsten Teilen Deutschlands nur zum Teil befolgt wurde, so war sie doch die einzig mögliche politische Massenbasis, auf der die Partei die revolutionäre Bewegung fortzuführen verpflichtet war. Durch die Anwendung der Waffe des politischen Massenstreiks sollte die proletarische Einheitsfront möglichst geschlossen gegen das Zörgiebelsche Polizeiregime in den Kampf geführt werden, um mit dieser großen, geschlossenen Massenfront den Widerstand gegen den  Klassenfeind zu organisieren. Es ist in diesem Zusammenhange notwendig, auf folgende Probleme hinzuweisen, auf die ich der Kürze der Zeit wegen nicht ausführlich eingehen kann, um den Genossen die Möglichkeit zu geben, in der Diskussion darauf näher einzugehen:

1. Die politische und organisatorische Vorbereitung des politischen Massenstreiks, den die Partei schon vor dem 1. Mai für den Fall, daß Zörgiebel schießen läßt, angekündigt hatte.

2. Der Charakter der Berliner Barrikadenkämpfe und ihre internationale Bedeutung.

3. Die Ursachen des nur teilweisen Gelingens des politischen Massenstreiks.

4. Die allgemeinen Lehren der Maikämpfe für die Perspektiven der weiteren Entwicklung und die Aufgaben der Partei.

Ich brauche auf diese Punkte nicht im einzelnen einzugehen, da bereits in den Dokumenten der Partei die Beurteilung des Gesamtcharakters der Kämpfe und der verschiedenen Schwächen der Partei während dieser Kämpfe gegeben wurde. Aber die Frage des politischen Massenstreiks bedarf einer eingehenden Erörterung aus dem Grunde, weil sie für die zukünftige Entwicklung von großer Wichtigkeit ist.

Warum ist das Problem des politischen Massenstreiks und seiner Anwendung von so großer Bedeutung? Weil in den kommenden Kämpfen die Anwendung des politischen Massenstreiks ein wichtiger Hebel sein wird und sein muß für die Mobilisierung der proletarischen Massen und ihre Einbeziehung in die revolutionäre Kampffront. Je stärker die politische Reaktion auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens vorstößt, desto mehr müssen wir die Massen zum politisch-revolutionären Kampf erziehen und, entwickeln. Das ist keine leichte Aufgabe. Zur Illustration dieses Gedankens zitiere ich Lenin. Genosse Lenin sagte in einem Vortrag über die Revolution von 1905 folgendes[16]:

Die wirkliche Erziehung der Massen kann niemals getrennt, außerhalb vom selbständigen politischen und besonders revolutionären Kampfe der Masse selbst geschehen. Erst der Kampf erzieht die ausgebeutete Klasse, erst der Kampf gibt ihr das Maß ihrer Kräfte, erweitert ihren Horizont, steigert ihre Fähigkeit, klärt ihren Verstand auf, hämmert ihren Willen.

Dieses Zitat ist besonders auf die Entwicklung anzuwenden, die uns zu politischen Massenstreiks oder, besser gesagt, zu der Verflechtung und der Kombinierung der ökonomischen Kämpfe mit den politischen Kämpfen führen wird, zu einer Reihe von neuen revolutionären Massenstreiks, die sich wellenartig über das ganze Land ausbreiten werden. Die Entwicklung der politischen Kämpfe wird unter anderen Kampfformen vor sich gehen wie die der wirtschaftlichen Kämpfe. Lenin schrieb darüber[17]:

Die erste Schlußfolgerung hieraus ist die, daß die wirtschaftlichen und politischen Streiks aufs engste miteinander zusammenhängen. Sie steigen gemeinsam an und gehen gemeinsam zurück. Die Stärke der Bewegung ist in der Epoche der Offensive (1905) dadurch gekennzeichnet, daß die politischen Streiks sich gewissermaßen auf der breiten Basis nicht minder starker wirtschaftlicher Streiks erheben, die sogar einzeln genommen, die Zahlen für das ganze Jahrzehnt von 1895-1904 weit hinter sich lassen.

In Deutschland beginnt eine ähnliche Entwicklung. Erst einzelne Aktionen, dann immer mehr Ausbreitung dieser Kämpfe. Die Erfahrungen dieser Kämpfe werden in allen Wirtschaftskämpfen übernommen. Die Bildung von Kampfleitungen im Ruhrkampf ist ein Beispiel für alle Wirtschaftskämpfe, vor denen wir stehen. Aber um die kommenden Kämpfe zu leiten, müssen wir die Frage der Organisation anders stellen als früher. Die Organisation des Kampfes ist jetzt besonders eine politische Frage. Ein neues Organisationssystem - die Bildung neuer Einheitsfrontorgane, wie besonders der Streik- und Kampfleitungen, des revolutionären Vertrauensmännersystems, der Betriebsausschüsse zur Vorbereitung der Lohn- und Arbeitszeitbewegungen, der Selbstschutzorgane, der neuen Betriebsräte und der revolutionären Gewerkschaftsopposition, der Erwerbslosenausschüsse usw. - ist in der jetzigen Entwicklung die Voraussetzung und Vorbedingung der Organisierung des revolutionären Klassenkampfes auf höherer Grundlage. Diese Organisationsaufgaben müssen in allen Bezirken sofort durchgeführt werden. Besonders unter illegalen Bedingungen muß diese Arbeit fortgesetzt werden. Die Partei muß der zentralisierten Organisation der Staatsgewalt und des Sozialfaschismus ein solches System der Organisation der Arbeiterklasse entgegenstellen, daß sie auf alle Schläge der Reaktion mit wuchtigen Gegenschlägen antworten und die Kräfte für die entscheidenden Auseinandersetzungen mobilisieren kann.

Wir müssen vor allem klar erkennen, daß die Partei dort den politischen Massenstreik einigermaßen befriedigend durchsetzte ‑ wie im Ruhrgebiet und Hamburg, wie in einigen Industriezweigen Berlins ‑, wo die Erfahrungen der Vergangenheit im wirtschaftlichen Kampf schon solche revolutionäre Energien entwickelten, die den Massen in den Betrieben das Verständnis für den politischen Massenstreik in dieser Situation erleichterten.

Wir bemerken bereits heute, daß die Verflechtung der ökonomischen mit den politischen Kämpfen mehr und mehr in Erscheinung tritt. Wir haben zwar in der deutschen Revolutionsgeschichte nicht sehr gute Beispiele, um klarzumachen, wie die Verflechtung der ökonomischen mit den politischen Kampfaufgaben den eigentlichen revolutionären Streik ergibt. Solche revolutionäre Streiks, das heißt Streiks um ökonomische Forderungen, die sich mit offen politischen Massenstreiks verflechten oder in sie übergehen, haben sich am klarsten in der russischen Revolutionsgeschichte gezeigt. Der heutige Massenstreik hat dieselbe Aufgabe, von der seinerzeit Lenin sagte[18]:

Dieses Mittel ist der revolutionäre Streik, der hartnäckige, wiederholte Streik, der von Ort zu Ort, von einem Ende des Landes zum andern überspringt, der Streik der die Zurückgebliebenen durch den Kampf für die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage mobilisiert, der Streik, der jeden augenfälligen Akt der Vergewaltigung und der Willkür, jedes Verbrechen des Zarismus brandmarkt und geißelt, die Streikdemonstration, die das rote Banner in den Straßen der Großstädte entrollt, die revolutionäre Reden und revolutionäre Losungen in die Menge, in die Volksmassen trägt.

Wir werden solche revolutionären Streiks sich auch in den kommenden Kämpfen bei uns in Deutschland entwickeln sehen. Denn es ist kein Zweifel, daß die Trustbourgeoisie und der Sozialfaschismus jetzt gezwungen sind, die einfachsten wirtschaftlichen Forderungen des Proletariats mit den brutalsten politischen Mitteln der Staatsgewalt niederzuschlagen. Diese Tatsachen müssen in der Entwicklung der ökonomischen Streiks dazu führen, daß sie mehr und mehr einen politischen Charakter tragen und daß die Streiks nicht nur Kämpfe um Lohn- und Arbeitsbedingungen sind, sondern Kämpfe gegen die Staatsgewalt werden müssen. Die Verflechtung der reformistischen Gewerkschaftsbürokratie mit der Staatsgewalt, die Tatsache, das wir schon in den letzten Monaten Erscheinungen hatten, wo die sozialfaschistischen Trupps des deutschen Polizeisozialismus dazu übergingen, die um Lohn und Arbeitszeit kämpfenden Arbeiter niederzuschlagen, daß sie zum Schutze der Streikbrechergarden gegen die Streikenden mit bewaffneter Gewalt vorgingen, offene Streikbruchpolitik betrieben, diese Tatsachen zeigen, daß, je mehr sich die wirtschaftlichen Kämpfe auf einer breiten Grundlage entwickeln, sie desto mehr einen politischen Charakter annehmen und auf einer bestimmten Entwicklungsstufe zu revolutionären Streiks gegen den Dreibund von Unternehmertum, Staatsgewalt und Reformismus werden.

Es ist ganz klar, daß mit dem Vormarsch des Kommunismus und mit dem Wachsen der Schwierigkeiten der Bourgeoisie die Staatsgewalt auch bei den Wirtschaftskämpfen provozieren und gemeinsam mit der sozialfaschistischen Bürokratie schärfere, brutalere Mittel der Unterdrückung gegen das Proletariat anwenden wird.

Gehen wir einen Schritt weiter: Ein solcher Konflikt, wo die Staatsgewalt wie am 1. Mai gegen die friedlich demonstrierenden Arbeiter eingreift, wo durch das rücksichtslose Vorgehen der Staatsgewalt blutige Opfer gefordert werden, wird und muß die Solidarität der Arbeitermassen in den wichtigsten Industrien erwecken und steigern. Dadurch wird die Frage des politischen Massenstreiks früher oder später auf die Tagesordnung gestellt. Alle diese Fragen müssen wir deshalb besonders gründlich diskutieren, weil es notwendig ist, nicht nur die Parteimassen selbst, sondern auch das Proletariat, über den eigentümlichen Charakter der Klassenkämpfe in der jetzigen Zeit, die Kampfmethoden der Bourgeoisie und unsere eigenen Kampfmethoden aufzuklären.

Für die Kennzeichnung der Perspektiven der weiteren Entwicklung will ich nur zwei Momente in den Vordergrund stellen. Das erste Moment: die bevorstehende Illegalität der Partei. Ich glaube, wir haben dafür genug Beweise: das Verbot des RFB, das Verbot der kommunistischen Presse, neue Repressalien gegen die revolutionäre Klassenfront. Aber wir lassen uns nicht unterdrücken, wie auch die Sozialdemokratie, als sie noch revolutionär war, unter dem Bismarckschen Sozialistengesetz sich nicht verbieten und unterdrücken ließ. Keine revolutionäre Organisation, die durch die Initiative und den Opferwillen der Massen selbst geschaffen wurde, die durch die proletarische Kameradschaft die internationale Solidarität und die Pflicht der Verteidigung der Sowjetunion zusammengehalten wird, kann durch papierne Polizeiverbote der Sozialfaschisten oder durch andere Maßnahmen zerstört werden. Eine solche revolutionäre Organisation lebt in den Massen selbst fort, sie muß und wird weiterleben und kämpfen. Die Partei als Ganzes muß alles aufbieten, um die stärkste Massenmobilisierung in den Betrieben zu organisieren und den schärfsten Kampf gegen das drohende Verbot der Kommunistischen Partei selbst durchzuführen, wie sie auch alle innerorganisatorischen Aufgaben auf diesem Gebiete sofort in Angriff nehmen muß.

Das zweite Moment: Wir befinden uns noch nicht in einer akut revolutionären Situation, aber in einer Periode des revolutionären Aufschwungs des Klassenkampfes, in einer Bewegung, wo der Prozeß der Ausbreitung der Klassenkämpfe nicht einheitlich, sondern mit rückläufigen Erscheinungen verläuft. Die Kriegsvorbereitungen der deutschen Bourgeoisie, die Verschärfung der Klassengegensätze werden für unsere allgemeine Taktik und für die richtige Anwendung der revolutionären Massenstreiks eine außerordentlich große Rolle spielen. Von der weiteren Entwicklung der Massenkämpfe wird es abhängen, in welchem Maße es uns gelingen wird, das wichtigste strategische Prinzip der jetzigen Situation zu erfüllen: jede opportunistische Unterschätzung der revolutionären Kräfte wie auch jede Tendenz zum Überspringen der Etappen der revolutionären Entwicklung zu vermeiden. Von dieser Einschätzung der Perspektive aus müssen unsere nächsten Aufgaben gestellt werden.

Ich möchte, bevor ich auf die Aufgaben eingehe, noch einen Gedanken hervorheben, der im Zusammenhang mit dem, was ich zuletzt behandelte, eine größere Bedeutung hat. Der drohende Interventionskrieg gegen die Sowjetunion und die allgemeine Orientierung der deutschen Bourgeoisie zeigen zu gleicher Zeit, daß auch der Imperialismus, der Faschismus und der Sozialfaschismus ihre ideologischen Waffen und ihre allgemeinen Kampfmethoden verstärken. Deswegen müssen wir bei der Einschätzung der Perspektive auch unsere nächsten Antikriegsaufgaben ernster stellen als in einer anderen Situation, wo die Kommunistische Partei noch nicht so große Verantwortung zu tragen hatte wie gerade heute. Welche Aufgaben haben wir zu erfüllen? Ich will nur die wichtigsten nennen, weil die spezielle Behandlung in den anderen Referaten erfolgen wird.

In allgemein politischer Beziehung:

Die Aufgabe des Kampfes gegen den Interventionskrieg, die Verteidigung der Sowjetunion, die Durchführung der 1.‑August-Kampange.

Die Entfesselung zwischentariflicher Lohnbewegungen und großer wirtschaftlicher Kämpfe zur Abwehr der kapitalistischen Offensive auf die Lebenslage der Arbeiterklasse und ihre Steigerung zu politischen Aktionen gegen die Unterdrückungspolitik der Bourgeoisie und die drohende sozialfaschistische Diktatur sowie den Faschismus überhaupt.

Als taktische Grundaufgaben:

Die Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse für den Kommunismus, schärfster Kampf gegen den Reformismus, Verwirklichung der revolutionären Einheitsfronttaktik von unten, Verwirklichung der Hegemonie des Proletariats in den breitesten Massen der Werktätigen. Wir müssen die Aufmerksamkeit der Partei ebenfalls auf diese Aufgaben lenken, wir müssen die energischste Tätigkeit unter den Massen des Mittelstandes entwickeln um sie gegen das Finanzkapital in den Kampf zu führen. Zwar ist das eine komplizierte Aufgabe, die auch manchmal nicht im Wesen der Arbeit unserer eigenen Genossen liegt. Aber die Aufgabe, auch gewisse Schichten des Mittelstandes und der Intellektuellen zu gewinnen, die angesichts des reaktionären Kurses des Finanzkapitals und des Sozialfaschismus und des drohenden Krieges in das proletarische Lager hineingetrieben werden, darf von uns unter keinen Umständen vernachlässigt werden. Wir müssen gleichzeitig immer mehr das Bündnis des Proletariats mit den armen Bauern im schärfsten Kampfe gegen die Bourgeoisie, die Junker und die Großbauern verwirklichen. Die Gewinnung aller Werktätigen für die Kommunistische Partei ist auch im Hinblick auf die Illegalität von außerordentlich großer Bedeutung. Bei Ausbruch eines Krieges gegen die Sowjetunion werden auch Schichten der Bauernschaft in einigen Gebieten Deutschlands eine bedeutende Rolle spielen.

In organisatorischer Beziehung stelle ich folgende Aufgaben in den Vordergrund, wobei ich einige Probleme herausgreifen und unterstreichen will, damit die Partei auf diesem Gebiete ihre Arbeit verstärkt:

Größte Verstärkung unserer Arbeit in den wichtigsten Großbetrieben, sofortige Inangriffnahme der Schaffung und des Ausbaus des revolutionären Vertrauensmännersystems.

Was bedeutet ein revolutionäres Vertrauensmännersystem in den Betrieben? Das heißt, daß die revolutionäre Politik der Partei eine breite politische Grundlage in den Großbetrieben erhält. Wir brauchen ein verzweigtes System unserer Kampforganisationen in den Massen. Wir haben schon verschiedene Formen der Einheitsfrontorgane. Wir haben unter anderem die revolutionäre Gewerkschaftsopposition, die in den Betrieben und in den Gewerkschaften ihre Tätigkeit im revolutionären Sinne für das Proletariat, für den Klassenkampf durchführt. Wir haben die Zelle der Partei, die das politische Zentrum dieses Organisationssystems ist und die in den wichtigsten Großbetrieben und in allen Betrieben die eigentliche Kontrolle der revolutionären Arbeit durchzuführen hat. Aber das genügt noch nicht. Wir müssen sofort dazu übergehen, ein revolutionäres Vertrauensmännersystem zu schaffen und auszubauen, um alle mit uns sympathisierenden Schichten. des Proletariats, die parteilosen Arbeiter und auch die klassenbewußten Arbeiter, die zum Teil in der Sozialdemokratie sind und mit uns gemeinsam in den Betrieben gegen Kapitalismus und Reformismus zu kämpfen bereit sind, in unsere revolutionäre Front einzubeziehen. Das revolutionäre Vertrauensmännersystem wird unter der Illegalität und beim Ausbruch des Krieges die größte Bedeutung haben, aber auch jetzt in der Vorbereitung der revolutionären Kämpfe, wird eine solche Organisation, ein solches Organisationsnetz die breite Grundlage bilden, auf der wir den Kampf um die Mehrheit der Arbeiter in den Betrieben mit Erfolg durchführen werden.

Wir müssen ferner in der Gewinnung der Arbeiterinnen, die eine besondere Rolle in den Metall-, Chemie-, Textilbetrieben und anderen kriegswichtigen Betrieben spielen, die höchste Kraft entfalten. Das darf nicht nur eine Ressortaufgabe sein, sondern ist die ernsteste Aufgabe der gesamten Partei. Ferner muß die Eroberung der Jugend für unsere Sache mit der größten Energie betrieben werden. Die Jugend, die heute im kapitalistischen Produktionsprozeß zu schärfster Ausbeutung verurteilt ist, ist noch nicht so vom Geiste des Reformismus verseucht wie die ältere Generation. Sie wächst in dem Prozeß des größten sozialen Elends auf und ist daher am meisten unseren revolutionären Ideen zugänglich. Die arbeitende Jugend für die Kommunistische Partei und den Kommunistischen Jugendverband zu gewinnen ist eine der wichtigsten Aufgaben.

Neben diesen beiden besonderen Schichten ist noch eine Schicht, auf die wir unsere Aufmerksamkeit bisher zuwenig oder gar nicht konzentrierten, das sind die Landarbeiter und Landarbeiterinnen. Ihrer Zahl und ihrer Bedeutung nach ‑ die Landarbeiter sind Blut vom Blut und Fleisch vom Fleisch der Arbeiterklasse ‑ und angesichts der Tatsache, daß die Landarbeiter Mark unter faschistischem Einfluß stehen und auch die Sozialdemokratie gewisse Stützpunkte in diesen Kreisen hat, müssen wir auf diesem Gebiete unsere Anstrengungen verzehnfachen und unsere Methoden der Arbeit wesentlich ändern. Lenin sagte einmal, daß ohne Gewinnung der Landarbeiter keine Organisierung der proletarischen Revolution möglich ist.

Eine besondere Frage, auf die ich nur kurz eingehen will, obwohl sie von größter politischer Wichtigkeit ist, ist die Frage der Arbeit unter den Erwerbslosen. Wenn wir nicht verstehen, die Erwerbslosen unter unsere Führung zu bringen, gegen den Abbau der materiellen und politischen Rechte den schärfsten Kampf zu führen und die Erwerbslosen gemeinsam mit den im Betrieb stehenden Arbeitern zu einer Kampffront zusammenzuschmieden, können diese Schichten des Proletariats manchmal unbewußt eine solche Entwicklung nehmen, die für den revolutionären Klassenkampf schädlich und gefährlich ist. Deswegen größte Aufmerksamkeit diesen Schichten des Proletariats!

Eine weitere wichtige organisatorische Aufgabe ist die höchste Steigerung der Tätigkeit und stärkere Organisierung der revolutionären Gewerkschaftsopposition, die Zusammenfassung, Schulung und Politisierung der Betriebsräte, ihre systematische Verbindung mit der revolutionären Gewerkschaftsopposition und den revolutionären Vertrauensmännern in den Betrieben. Außerdem als weitere organisatorische Hauptaufgabe: erhöhte Arbeit in den proletarischen Massenorganisationen, höchste Anspannung unserer Kräfte namentlich in den Gewerkschaften, in den Sport- und Kulturorganisationen.

Nun zu den Aufgaben auf dem innerparteilichen Gebiet. Dies ist eines der wichtigsten Gebiete unserer Arbeit deswegen, weil von der revolutionären Aktivität und Mobilisierung unserer Mitgliedschaft auch die Mobilisierung des gesamten Proletariats abhängt.

Die Umstellung der Partei auf die neuen Kampfbedingungen verlangt eine ernste Arbeit der Partei, die sofort in Angriff genommen werden muß. Ich glaube, daß die Genossen verstehen, was in diesem Stadium zu tun ist. Die Vorbedingungen dafür sind Aktivierung der Mitgliedschaft, Entwicklung der Selbstinitiative, Heranziehung und Schulung neuer proletarischer Kader.

Wir müssen jene Schichten, die am stärksten ausgebeutet werden und die voll von revolutionärer Energie sind, stärker als bisher heranholen und in die Führerkader der Partei einbeziehen. Neue Kräfte, neues Arbeiterleben muß in der Partei pulsieren. Das, was die soziale Zusammensetzung des heutigen Parteitages zeigt, dieses frische, lebendige, pulsierende Arbeiterleben, muß in der ganzen Partei wachsen und gefördert werden. Die Partei muß eine solche Entwicklung nehmen, daß wir mit Stolz und Kühnheit sagen können: Wir sind die einzige Partei der Arbeiter im Kampfe gegen Bourgeoisie und Sozialfaschismus.

Eine weitere Aufgabe ist die straffste Disziplin als Voraussetzung des raschen und elastischen Reagierens in jeder Situation. Wir können unsere Kampfformen der Taktik von heute auf morgen nur umstellen und ändern, wenn wir in unseren Reihen die größte Disziplin, die Disziplin einer proletarischen Armee, haben. Nur durch die revolutionäre Disziplin auf der Grundlage der inneren Demokratie der Partei, der Selbstentfaltung der Massen können wir neue Energiequellen erschließen. Selbst wenn wir in der Vergangenheit bei der Führung bestimmte Fehler und Mängel verzeichnen konnten, so sind sie doch keine Veranlassung, daß, wenn der Klassenfeind seine giftige Verleumdungskampagne gegen die Partei aufs höchste steigert, sich auch in unseren Reihen Schwankungen auf Grund solcher Verleumdungen und Lügen bemerkbar machen. Diese Erscheinung des Hereinfallens auf jede Lüge und Provokation des Feindes muß besonders mit Rücksicht auf die kommende Illegalität aufs schärfste bekämpft werden.

Im Rahmen unserer neuen Taktik müssen wir auch neue Formen und einen neuen Ton der Agitation anwenden. Die Arbeiter müssen das Gefühl und die Überzeugung haben, daß die große Idee des Kommunismus ihre Befreiung und die Kommunistische Partei eine Partei der Arbeiter für die Arbeiter ist. Die Partei wird wirklich auf diesem Gebiete ihre Aufgaben nur erfüllen, wenn sie frei von jeder bürgerlichen Sentimentalität, aber auch frei von jeder Überheblichkeit die Lebensnöte der Arbeiterklasse fühlt und ihre Interessen vertritt. Wenn wir dies in echt proletarischer Kameradschaftlichkeit tun, dann werden wir das Vertrauen der Massen erobern und ihnen das Gefühl geben, daß wir sie lieben und mit ihnen den Kampf bis zur Entscheidungsschlacht durchzuführen entschlossen sind.

Höchste Opferwilligkeit in unseren eigenen Reihen, nicht nur auf politischem, sondern auch auf materiellem Gebiet! Im Kampfe mit dem Klassenfeinde müssen wir unsere Positionen bis zum äußersten verteidigen; kein Kommunist darf von dem Posten weichen, auf den ihn die Partei gestellt hat; selbst unter den härtesten Kampfbedingungen müssen wir unsere revolutionären Pflichten ohne Schwankungen erfüllen.

Das müssen wir auf dem Parteitag fordern, weil die Schwierigkeiten immer größer werden. Wir können aber alle Schwierigkeiten leichter überwinden, wenn wir in unseren eigenen Reihen die vollständige Einheit und Geschlossenheit wahren. Wir müssen alle Schwankungen, Fehler und Mängel beseitigen, wir müssen die Durchführung der Beschlüsse der Partei unter eine systematische Kontrolle stellen.

Der Klassenfeind, der Sozialfaschismus, verdreifacht seine Schläge gegen die Partei und gegen die revolutionäre Front, er wird versuchen, die Partei in die Illegalität zu treiben, aber die kommunistische Partei läßt sich nicht verbieten. Die Vergangenheit spricht für uns. Sie hat gezeigt, daß wir in verschiedenen Kämpfen vorwärtsgekommen und dabei stärker geworden sind. Wir schöpfen unsere Kräfte aus den Massen. Wir sind die Partei des Aufstiegs, der Sozialfaschismus ist die Partei des Niederganges. Der Kampf um die Hegemonie im Proletariat entscheidet sich zu unseren Gunsten, die besten Elemente der Arbeiterklasse stoßen zu uns. Das  Vertrauen der Massen zur Kommunistischen Partei wächst. Die Partei muß jetzt die Großbetriebe erobern. Jeder Großbetrieb muß unsere revolutionäre Burg sein. Kein Feind wird uns hier ausräuchern können.

Die Ziele des Kampfes sind klar gesteckt: Gegen den imperialistischen Krieg, für die Verteidigung der Sowjetunion! Gegen die kapitalistische Offensive, gegen den Sozialfaschismus, für die Diktatur des Proletariats!

Wir werden unsere Pflicht vor der Kommunistischen Internationale und vor unseren Brudersektionen erfüllen. Wir brauchen einen lebendigeren Internationalismus in der Partei: Für das internationale Proletariat, für die unterdrückten Kolonialvölker werden wir unter dem Banner Lenins in den Kampf gehen.

Aber wollen wir unsere großen historischen Aufgaben in der jetzigen Situation erfüllen, dann müssen wir die Gruppe der Versöhnler oder das Versöhnlertum überhaupt in der Partei völlig liquidieren. Mir fällt in diesem Zusammenhang ein Bild ein, das ein führender bolschewistischer Genosse kürzlich angeführt hat: Es gibt zwei Arten von Fischern. Wenn der Sturm sie auf hoher See überrascht, legen sich die einen platt ins Boot, machen die Augen zu und lassen sich von dem Sturme treiben. Das sind die Versöhnler. Die anderen spannen die Segel auf, nehmen das Steuer fest in die Hand und fahren dem Sturme entgegen. Das sind wir, das ist die Partei.

Krieg und Revolution stehen auf der Tagesordnung der geschichtlichen Entwicklung. Wenn die Partei sich dem Sturme entgegenstellt und das Steuer fest in die Hand nimmt, wenn sie die Aufgaben des Proletariats in der Linie der Organisierung der Revolution stellt, dann wird sie gegen den imperialistischen Krieg und für den Sieg der deutschen Revolution vorwärtsdringen bis zur Errichtung der Diktatur des Proletariats!

 

 

 

 

 



[1]. Cf. http://www.deutsche-kommunisten.de/Ernst_Thaelmann/Band2/thaelmann-band2-008.shtml.

[2]. Gemeint sind die verstärkten Bemühungen der Hitlerfaschisten, in den Betrieben Fuß zu fassen. Um dieses Ziel zu erreichen, inszenierten sie die sogenannte HiB-Aktion ("Hinein in die Betriebe!") und gründeten eigene Betriebsgruppen (NSBO).

[3]. Gemeint ist die Labourregierung (1924 und 1929 bis 1931), an deren Spitze James Ramsay MacDonald, der Mitbegründer und Führer der Labour Party, stand.

[4]. Gemeint ist der Kriegsächtungspakt, der am 27. August 1928 von den USA, Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Polen, Italien, Japan, der Tschechoslowakei, Belgien und den britischen Dominien in Paris unterzeichnet wurde. Die UdSSR war zu den Verhandlungen über den Abschluß des Kelloggpaktes nicht eingeladen worden, da man das Ziel verfolgte, sie aus der Zahl der Länder auszuschließen, auf die sich die im Pakt vorgesehene Ächtung des Krieges als eines Mittels der nationalen Politik erstreckte. Unter dem Deckmantel demagogischer Phrasen über “allgemeinen Frieden” gedachten die Initiatoren des Vertrags (Frankreich, die USA, England), ihn zu einem Werkzeug der Isolierung der UdSSR und des Kampfes gegen sie zu machen. Die wahren Ziele des Paktes wurden von der Regierung der UdSSR in ihrer Erklärung vom 5. August 1928 entlarvt. Unter dem Druck der öffentlichen Meinung mußten die Regierungen der USA, Englands und Frankreichs die UdSSR einladen, den Pakt gleichfalls zu unterzeichnen. Die Sowjetregierung schloß sich dem Kelloggpakt an, sie ratifizierte ihn als eine der ersten Regierungen und schlug den Nachbarstaaten vor, ein Abkommen abzuschließen, durch das die Verpflichtungen des Paktes unverzüglich in Kraft gesetzt werden sollten. Am 9. Februar 1929 wurde ein solches Abkommen von der UdSSR, Polen, Rumänien, Estland und Lettland in Moskau unterzeichnet; dem Abkommen schlossen sich später auch die Türkei und Litauen an.

[5]. Karl Marx/Friedrich Engels: Briefwechsel, Band 4, Berlin, Dietz, 1950. S. 608/609.

[6]. W. I. Lenin: Ausgewählte Werke in zwei Bänden, Band 1, Dietz Verlag, Berlin 1955, S. 855. Die Red.]

[7]. Friedrich Engels: “Die Lage der arbeitenden Klasse in England”, Berlin, Dietz, 1952. S. 29.

[8]. W. I. Lenin: "Der Imperialismus und die Spaltung des Sozialismus", Berlin , Dietz, 1954. S. 17.

[9]. "Thesen und Resolutionen des XI. Parteitages der Kommunistischen Partei Deutschlands, Essen, 2. bis 7. März 1927". S. 16.

[10]. "Waffen für den Klassenkampf, Beschlüsse des XII. Parteitages der KPD". S. 18.

[11]. Austromarxismus ‑ eine Abart des Revisionismus, die sich in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts in der österreichischen Sozialdemokratie herausbildete. Seine Hauptvertreter sind Otto Bauer, Friedrich Adler, Max Adler und Karl Renner.

[12]. Es handelt sich um das 1878 erlassene "Gesetz wider die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie" ‑ bekannt als Sozialistengesetz. Der preußische Innenminister Robert von Puttkamer (1828 bis 1900) verschärfte die Unterdrückung der Sozialdemokratie durch das von ihm 1886 erlassene Streikverbot.

[13]. Gemeint sind arbeiterfeindliche Verbände, die von Kapitalisten ins Leben gerufen wurden, um die Gewerkschaftsbewegung zu spalten und die Arbeiterklasse am revolutionären Kampf zu hindern. Sie sind eine internationale Erscheinung und entstanden zuerst in Frankreich. In Deutschland wurden die gelben Verbände, die sich aus den sogenannten Werkvereinen, den “meistertreuen Gesellenvereinen” und unter anderen auch aus “reichstreuen Bergarbeitern” zusammensetzten, im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts gegründet. Darüber hinaus wurden auch andere Gewerkschaftsverbände, die den Interessen der Unternehmer dienten ‑ zum Beispiel die Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine und die christlichen Gewerkschaften ‑, als gelbe Verbände bezeichnet.

[14]. Wittorf-Fall ‑ Gemeinsam mit den Rechten versuchten die Versöhnler im Zentralkomitee der KPD (Ewert, Gerhart, Hausen u. a.) im Herbst 1928 den Kurs der Partei und die Zusammensetzung ihrer Führung zu ändern. Sie richteten ihre Angriffe gegen Ernst Thälmann, und benutzten dazu seine Bekanntschaft zu John Wittorf, einem ehemaligen leitenden Funktionär der KPD in Hamburg, der wegen Unterschlagung aus der Partei ausgeschlossen wurde. Es gelang ihnen, die Mehrheit des Zentralkomitees irrezuführen und Ernst Thälmann vorüber-gehend aus der Führung der Partei zu drängen. Durch das Eingreifen des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale wurde der Sachverhalt richtiggestellt.

[15]. Max Heldt.

[16]. W. I. Lenin: "Ein Vortrag über die Revolution von 1905", Berlin, Dietz, 1951. S. 9.

[17]. W. I. Lenin: Werke, 4. Ausgabe, Band 16, S. 379, russ.

[18]. W. I. Lenin: Werke, 4. Ausgabe, Band 18, S. 446, russ.