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Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Deutschlands

Aufruf

2. Mai 1929

 

 

Quelle:

Internationale Pressekorrespondenz, Nr. 38, 3. Mai 1929, S. 902‑903.

Abgedruckt in:

Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED (Hg.): Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung - Reihe 2 - Band 8 - Januar 1924‑Oktober 1929. Berlin, Dietz, 1975, S. 797‑799.

 

 

 

 

 

 

Erstellt: Oktober 2014

Druckversion
KPD 1918 1945 - Inhalt

 

 

 

 

 

 

Die. Partei. ruft. zum. Kampf!

Klassengenossen und Klassengenossinnen!

Seit 24 Stunden wird in den Straßen des roten Weddings gekämpft. Auch heute, am 2. Mai, werden Maschinengewehre und Karabiner gegen die Weddinger Arbeiterschaft eingesetzt. Auch heute setzt die Zörgiebel-Polizei ihre Mordtätigkeit fort.

Arbeiterblut fließt in den Straßen Berlins, friedliche Demonstranten, Männer und Frauen des Proletariats, Passanten, ja selbst Hausbewohner der Arbeiterviertel in ihren Wohnungen werden von den verhetzten Bürgerkriegsgarden der Bourgeoisie niedergemetzelt. Die Polizei des Sozialdemokraten Zörgiebel[1] läßt auf die Berliner Arbeiterschaft schlagen, stechen, schießen. Panzerautomobile, Maschinengewehre, Revolver, Gummiknüppel und Spritzenwagen ‑ im Zeichen dieser "Wohltaten der Demokratie" beging die Sozialdemokratie, beging Zörgiebel den 1. Mai.

Tote und Verwundete des Berliner Proletariats liegen auf der Strecke. Zörgiebels Schupo[2] schreckte nicht davor zurück, selbst die geschlossenen Gewerkschaftsversammlungen der Rohrleger zu überfallen und in den Saal hineinzuschießen.

Tote und Verwundete des Berliner Proletariats klagen Zörgiebel, klagen die Sozialdemokratie, klagen die blutbefleckte Koalitionsregierung[3] an. Zörgiebels Schupo scheute sich nicht, in den Arbeitervierteln Berlins die Fenster der Arbeiterwohnungen zu beschießen. Ihre Mordhetze richtete sich gegen alle Arbeiter. Der Sozialdemokrat und Reichsbannerfunktionär Gemeinhardt wurde in seiner Wohnung durch einen Kopfschuß "erledigt", als er ans Fenster trat. Es waren die Kugeln des Sozialdemokraten Zörgiebel, es waren die Kugeln des Sozialdemokraten Künstler[4], die Gemeinhardt und alle übrigen ermordeten Arbeiter am 1. Mai zerfetzten. Arbeiterblut wird vergossen! Arbeiterblut klagt an! Arbeiterblut fordert Vergeltung! Die Berliner Arbeiter haben am 1. Mai demonstriert, wie sie es 40 Jahre lang taten: Zörgiebel ließ schießen!

Die Berliner Arbeiter haben am 1. Mai demonstriert, wie es die Arbeiter in allen Ländern, in allen Städten Deutschlands taten: Zörgiebel ließ schießen!

Was kein Jagow[5] in Wilhelminischen Zeiten wagte, was kein Mussolini zustande bringt ‑ Zörgiebel und die Sozialdemokratie schreckten nicht davor zurück; mit den modernsten Mitteln der Kriegstechnik, mit Maschinengewehren, Karabinern und Panzerwagen, fielen sie über die Maidemonstration des Berliner Proletariats her.

Warum gerade in Berlin der blutige Polizeiterror der Bourgeoisie und Zörgiebels? Weil in Berlin die Kommunisten an der Spitze der Arbeiterbewegung stehen, weil in Berlin die Betriebsratswahlen zeigten, daß die überwältigende Mehrheit der Arbeiterschaft hinter den Kommunisten steht, weil in Berlin der Vormarsch der KPD bei den kommenden Stadtverordnetenwahlen die Erledigung der Sozialdemokratie und den überwältigenden Sieg der KPD als der stärksten Berliner Partei bringen wird. Darum der blutrünstige Angriff Zörgiebels auf das rote Berlin!

Warum gerade in diesem Jahre der blutige Anschlag der Sozialdemokratie und Bourgeoisie? Die Bourgeoisie, die sich zum Kriege rüstet, die den imperialistischen Überfall auf den einzigen Arbeiterstaat, die Sowjetunion, vorbereitet, muß zuvor die revolutionäre Arbeiterbewegung niederschlagen, ihren Widerstand gegen die imperialistischen Kriegspläne brechen.

Zörgiebels Blutmai ‑ das ist ein Stück Vorbereitung des imperialistischen Krieges! Das Gemetzel unter der Berliner Arbeiterschaft ‑ das ist ein Vorspiel für die imperialistische Massenschlächterei! Der Kampf der Berliner Arbeiter für ihren revolutionären Maiaufmarsch ‑ das ist Kampf gegen den Krieg, Kampf gegen den Faschismus und Imperialismus!

Die Berliner Arbeiterschaft hat die Straße behauptet! Die Berliner Arbeiterschaft ließ sich nicht von der Straße am 1. Mai vertreiben. Die Berliner Arbeiterschaft antwortete auf Zörgiebels bestialisches Wüten mit den Barrikaden am Wedding, in Neukölln. in der Friedenstraße und am Bülowplatz. Heldenhaft kämpfte das Berliner Proletariat für seinen 1. Mai. Heldenhaft stand das Berliner Proletariat als stählerne Mauer gegen die Generaloffensive der politischen Reaktion, die nicht nur das Recht der Berliner Arbeiter auf die Straße, sondern die das ganze deutsche Proletariat bedroht.

Zörgiebels Blutmai, der Blutmai der Sozialdemokratie ‑ das ist der Auftakt für die faschistischen Diktaturpläne der Bourgeoisie und Sozialdemokratie. Wenn es nach dem Willen der Zörgiebel und Grzesinski[6], der Hermann Müller[7] und Severing[8], nach dem Willen der Mörderpartei geht, sollen weitere Arbeiter niedergemetzelt werden!

Arbeiter, Klassengenossen, Arbeiterfrauen!

Wollt ihr es dulden, daß die Polizeibestie und die Partei der Arbeitermörder, die Partei, die Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg mordete, Proletarier zusammenschießt?

Wollt ihr es dulden, daß Proletarier wehrlos dem Wüten der Bürgerkriegsgarden der Schupo preisgegeben werden?

Wollt ihr Zörgiebels Blutmai, wollt ihr Zörgiebels vergossenes Arbeiterblut kampflos hinnehmen? Wollt ihr dulden, daß dieser Mann, daß dieses System bleibt? Wieder ungestraft, wie die Mörder Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs?

Ihr könnt es nicht dulden!

Die Ermordeten sind eure Klassenbrüder: Kommunisten, Sozialdemokraten, parteilose Arbeiter!

Nehmt in allen Betrieben unverzüglich Stellung!

Wählt Aktionsausschüsse!

Beschließt den politischen Massenstreik gegen die Arbeitermörder!

Streikt für die Forderungen:

Weg mit Zörgiebel!

Aufhebung des Belagerungszustandes in Berlin!

Straße frei für die Arbeiterschaft!

Heraus mit den Gefangenen!

Strengste Bestrafung der Mörder!

Arbeiter und Arbeiterinnen! Klassengenossen!

Nehmt den Kampf in der geschlossenen, eisernen, unbeirrbaren Phalanx der proletarischen Klasse in unzerstörbarer Einheitsfront gegen die Arbeitermörder auf!

 

Zentralkomitee der KPD (Sektion der Kommunistischen Internationale)

 

 

 

 

 



[1]. Carl Zörgiebel (SPD).

1922 wird er Polizei-Präsident in Köln, dann ab 1926 in Berlin.

[2]Im Laufe des Jahres 1919, wurden verschiedene Freikorps und Freiwilligenverbände ‑ teilweise, manchmal vollständig ‑ in die bestehende Sicherheitspolizei eingegliedert. Von 5. bis 16. Juli 1920 findet in Spa, in Belgien, eine Konferenz der Alliierten Siegermächte statt. Über die Frage der Abrüstung Deutschlands wird am 9. Juli ein Abkommen getroffen [Protokoll über die militärischen Fragen]. Gemäß diesem Text müssen die Bestimmungen des Vertrags von Versailles mit 1. Januar 1921 erfüllt sein: insbesondere müssen die Streitkräfte auf eine Zahl von 100 000 reduziert werden, und die Sicherheitspolizei und die Einwohnerwehren müssen mit 31. Jänner 1921 aufgelöst sein. Durch am 4 Oktober und 20 November 1920 erlassene Maßnahmen wird auf der Basis von Kräften die von der Sicherheitspolizei und der Ordnungspolizei kommen, die Schutzpolizei gebildet. Diese wird, neben der Ordnungspolizei und der Kriminalpolizei, ein wesentliches Element der inneren Sicherheitskräfte. Sie erreicht eine Stärke von 150 000 Männern, davon 85 000 für Preußen.

[3]Im Juni 1928 wurde eine Koalitionsregierung mit SPD, DVP, Zentrumspartei und DDP gebildet; Herman Müller (SPD) ist Reichskanzler.

[4]. Franz Künstler (SPD).

Er ist von Oktober 1922 bis 1933 SPD-Parteisekretär in Berlin, ab 1924 auch Vorsitzender der Bezirksorganisation Groß-Berlin.

Das Organ der SPD Vorwärts-Der Abend vom 29. April 1929 berichtet unter der Überschrift "200 Tote am 1. Mai: Verbrecherische Pläne der Kommunisten": "Nach Künstlers Mitteilungen hat am Donnerstag der vergangenen Woche die kommunistische Bezirksleitung im Karl-Liebknecht-Haus getagt, um die endgültigen Aufmarschpläne festzulegen. Dabei wurde von der Bezirksleitung mehrmals zum Ausdruck gebracht, daß man mit etwa 200 Toten am 1. Mai rechne [...] vielleicht hofft man auch, daß bei Zusammenstößen am Alexanderplatz Demonstranten in die Baugruben der Untergrundbahn gehetzt werden können, so daß man auf diese Art zu 200 Toten käme, die man unbedingt für die kommunistische Agitation braucht [...]"

Schon am 20. April hatte die Zeitung angekündigt: "KPD braucht Leichen! Sie wünscht Schüsse am 1. Mai [...] Berliner Arbeiter, laßt euch nicht mißbrauchen."

(Cf. Léon Schirmann: Blutmai Berlin 1929 - Dichtungen und Wahrheit, Berlin, Dietz, 1991, S. 68‑69.)

[5]Im Februar 1910 unternimmt die SPD eine Mobilisierungskampagne im Zusammenhang mit den Debatten über das Wahlrecht. Sie kündigt eine Demonstration für den 6 März an. Am 13. Februar verbietet der Berliner Polizeipräsident, Traugott von Jagow, Versammlungen unter freiem Himmel und gibt durch Plakatanschlag bekannt: "Es wird das “Recht auf die Straße” verkündet. Die Straße dient lediglich dem Verkehr. Bei Widerstand gegen die Staatsgewalt erfolgt Waffengebrauch. Ich warne Neugierige." Trotzdem finden massive Demonstrationen statt, und im April wird das Verbot aufgehoben.

IML beim ZK der SED (Hg.): Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung - Reihe 1 - Band 4 - März 1889‑Juli 1914. Berlin, Dietz, 1967, S. 304.

Hans Wilderotter: Das Haus der Abgeordneten - Ein Denkmal preußischer Geschichte in der Mitte Berlins. Hamburg, Philo Fine Arts, 2001, S. 36.

[6]. Albert Grzesinski (SPD).

1922–1924 ist er Präsident des preußischen Landespolizeiamtes, 1925–1926 Polizeipräsident von Berlin, 1926–1930 Preußischer Innenminister.

[7]. Hermann Müller (SPD).

1919, nach dem Amtsantritt von Friedrich Ebert (SPD) als Reichspräsident, wird Müller gemeinsam mit Otto Wels zum Parteivorsitzenden gewählt. Im März 1920, nach dem Scheitern des Lüttwitz-Kapp-Putsches, wird er Reichskanzler einer Koalitionsregierung mit SPD, Deutsche Demokratische Partei (DDP) und Zentrumspartei; die Ergebnisse der Reichstagswahlen vom Juni führen zu seinem Rücktritt. Auf dem Parteitag der SPD von 1921 begründet Müller einen Antrag, der der Partei auf Reichs- und Landesebene Koalitionen mit der Deutschen Volkspartei (DVP) ermöglicht.

[8]. Carl Severing (SPD).

Im April 1919 wird er Reichs- und Staatskommissar für das rheinisch-westfälische Industriegebiet. Im März 1920, nach dem Scheitern des Lüttwitz-Kapp-Putsches, führt er die Auflösung der "Roten Ruhrarmee" durch und wird zum preußischen Innenminister ernannt. 1921 leitet er die Aktionen der preußischen Polizei gegen die aufständischen Arbeiter im mittelsächsischen Industriegebiet. Im Juni 1928 wird er Reichsinnenminister in der unter Hermann Müller (SPD) gebildeten Koalitionsregierung mit SPD, Deutsche Volkspartei (DVP), Zentrumspartei und Deutsche Demokratische Partei (DDP).