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Ernst Thälmann

11. Parteitag der Kommunistischen Partei Deutschlands:
Die politische Lage und die Aufgaben der Partei

2. März 1927

 

 

Quelle:

Bericht über die Verhandlungen des XI. Parteitages der Kommunistischen Partei Deutschlands (Sektion der Kommunistischen Internationale), Essen, 2. bis 7. März 1927. S. 42‑65.

Andere Quelle:

Ernst Thälmann: Reden und Aufsätze zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung - Band 1 - Juni 1919‑November 1928. Berlin, Dietz, 1956[1].

 

 

 

 

 

 

Erstellt: Januar 2013

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KPD 1918-1945 - Inhalt

 

 

 

 

 

 

Genossen! Ich schicke bei der Behandlung der Probleme, die hier auf dem XI. Parteitag zur Erörterung stehen, voraus, daß die Delegierten die Beschlüsse der VII. erweiterten Exekutive, die dortigen Entscheidungen studiert und auch in der politischen Diskussion innerhalb der Partei eingehend erörtert haben. Im Referat selbst will ich folgende Hauptfragen behandeln

I. Die internationale Lage. Dazu gehören die relative Stabilisierung, die Sowjetunion, China, die drohende Kriegsgefahr.

II. Die Hauptprobleme unserer Arbeit in Deutschland. Hierzu gehören die neue imperialistische Entwicklung Deutschlands, der Kampf gegen die Offensive des Kapitals, die kapitalistische Rationalisierung, der Kampf gegen die Sozialdemokratie, die Gewerkschaftsfrage und die Frage der Mittelschichten.

III. Die Generallinie unserer Partei. Die verschiedenen Diskussionen in den Zellen, auf den Unterbezirksparteitagen und Bezirksparteitagen haben bereits die Fragen der VII. erweiterten Exekutive zum größten Teil geklärt.

I

Die wenigen Wochen, die seit der VII. erweiterten Exekutive vergangen sind, haben im Weltmaßstab eine Reihe bedeutender Erscheinungen gezeigt. Wir sehen folgende fünf wichtige Tatsachen:

1. Den faschistischen Putsch in Litauen.

2. Die gewaltigen Schlachten der chinesischen Revolution.

3. Die amerikanischen Vorstöße gegen Mexiko und Mittelamerika.

4. Die Bildung der Bürgerblockregierung in Deutschland.

5. Die englische Drohnote gegen die Sowjetunion.

Alle diese Ereignisse zeigen, daß sich sowohl die nationalen wie die internationalen Gegensätze ernsthaft verschärften. Sie zeigen die ganze Relativität, den bedingten, widerspruchsvollen Charakter der kapitalistischen Stabilisierung. Die kapitalistische Stabilisierung ist keine allumfassende, abgeschlossene Welterscheinung, sondern eine Teilstabilisierung, die sich auf eine Reihe kapitalistischer Länder erstreckt, In großen Teilen der Welt ist von einer Stabilisierung keine Rede. In China vollzieht sich der Siegeszug gegen den Imperialismus, der zwar noch nicht abgeschlossen ist, aber in diesen Tagen große Wucht annimmt. Dies ist der Auftakt der bevorstehenden Revolution der unterdrückten Völker des Ostens gegen den Imperialismus. Auf dem Brüsseler Kongreß[2], auf dem 37 Länder durch 147 Delegierte vertreten waren, sahen wir die große Bedeutung dieser kolonialen Freiheitsbewegung für die proletarische Weltrevolution. selbst bürgerliche Blätter, die ganz gewiß nicht in dem Geruch stehen, mit den Kommunisten zu sympathisieren, sind gezwungen, den Kongreß zu würdigen. Die "Frankfurter Zeitung" schreibt in einem Artikel "Erwachende Völker" folgende kennzeichnende Sätze:

Es geht eine große Flutwelle der Erhebung über den ganzen Erdball.

An einer anderen Stelle:

So wie vor hundert Jahren die nach Freiheit verlangenden Männer Europas sich um die Ideen der Französischen Revolution scharten, so bildet heute der ideologische Gehalt der russischen Revolution den Mittelpunkt um den sich die Freiheitskämpfer von Asien und Afrika und der unter drückten Völker Amerikas sammeln.

Und zum Schluß:

Man sprach nicht nur von dem welthistorischen Ereignis eines Kongresses, man fühlte auch in der nicht ermatteten Atmosphäre des sechstägigen Kongresses den historischen Ausgangspunkt einer neuen Entwicklung.

In diesen Sätzen steckt ein Kern Wahrheit. Wir sehen, daß selbst die Bürgerlichen, von ihrem Standpunkt aus, den Ernst dieser Entwicklung, im Zusammenhang mit der Sowjetunion, mit dem revolutionären Kampf, einzuschätzen verstehen.

Genossen! Wir müssen von dieser Stelle aus in den Vordergrund stellen, daß die chinesische Revolution im engsten Bündnis mit der Sowjetunion steht. Die um ihre nationale Unabhängigkeit und Selbständigkeit kämpfenden Kolonialvölker bilden die Reservearmeen der proletarischen Revolution. Sie treffen die tiefste Wurzel der imperialistischen Weltherrschaft.

Wir sehen jetzt in England die Verschärfung der sozialen Krise, die verschärften Maßnahmen der Bourgeoisie. Der Vertreter der Jugendinternationale wies mit Recht darauf hin, daß das Proletariat in England im wachsenden Maße mit den kämpfenden Chinesen sympathisiert und einen bestimmten Einfluß gegen die Politik der englischen Regierung und der MacDonald-Leute gewinnt.

Wir erklären hier: Der siegreichen Kantonarmee, in erster Linie der jungen chinesischen Arbeiterklasse, sprechen wir unsere revolutionären Grüße, unsere solidarische Sympathie aus. Sie bedeuten eine gewaltige Hilfe für uns.

Unsere ganze Partei und die gesamte deutsche Arbeiterklasse müssen alles tun, um die chinesische Revolution vor den ihr drohenden Gefahren zu schützen und ihre sozialistische Entwicklung zu ermöglichen.

Der größte Faktor der Welt der die kapitalistische Stabilisierung Europa in Frage stellt, ist die Sowjetunion: Der sozialistische Aufbau hat sich in starkem Tempo entwickelt. Die letzte Tagung des sowjetischen Zentral-Exekutivausschusses konnte eine Reihe Tatsachen feststellen, die die Richtigkeit der leninistischen Linie unserer sowjetischen Bruderpartei bestätigen. Die Sowjetunion hat ernste Fortschritte gemacht. Das zeigen folgende Tatsachen: Der Bau von großen Elektrizitätswerken in verschiedenen Gebieten der Sowjetunion, die volle Stabilität des Rubels, die Aktivität der Handelsbilanz, 1,2 Milliarden Rubel für die Entwicklung der sowjetischen Industrie, die erfolgreiche Getreideaufbringungskampagne, die Sicherung der Arbeiterlöhne.

Die Berichte der Arbeiterdelegationen stehen nicht nur im Widerspruch zu der sozialdemokratischen Führung, sondern auch zu den “Ultralinken”. Die Arbeiterdelegationen stellten den Fortschritt des sozialistischen Aufbaus in der Sowjetunion, der Erfolge der proletarischen Initiative an der revolutionären Front fest. Das sollte den Delegierten hier, die noch nicht von der sozialistischen Entwicklung überzeugt sind, die in der Sowjetunion vor sich geht, zu denken geben, so daß sie ihre bisherige Einstellung noch einmal ernsthaft überprüfen. Welche Auswirkungen haben diese Berichte der Arbeiterdelegationen? Es waren Hunderte Delegierte dort. Sie haben das erste Land der proletarischen Diktatur gesehen. Jeder Arbeiter ersehnt den Tag, an dem der Kampf um die Macht aufgenommen wird. Man muß daraus die Konsequenzen für die gesamte Arbeiterschaft ziehen, die Konsequenzen für unsere ganze Praxis. Unsere ganze Politik muß darauf aufgebaut sein, daß wir alles, auch das letzte, für die Sowjetunion einsetzen.

Die Sowjetunion und das kämpfende China sind die beiden Hauptfaktoren die die kapitalistische Stabilisierung von außen gefährden. Hinzu kommt noch ein dritter Faktor, der die kapitalistische Stabilisierung sozusagen von innen gefährdet: der Klassenkampf des europäischen (auch des deutschen) Proletariats in den kapitalistischen Ländern selbst. So entsteht ein Dreibund der revolutionären Kräfte: der erste Staat der proletarischen Diktatur, der Aufstand der Kolonialvölker, der revolutionäre Kampf des europäischen Proletariats.

Die Fundamente der kapitalistischen Stabilisierung sind Amerika, England und in letzter Zeit auch Deutschland. In Amerika spricht man von bestimmten Möglichkeiten einer Krise in den nächsten Jahren, aber vorläufig sehen wir noch einen Aufstieg.

Das englische Weltreich befindet sich zwar im Niedergang, aber gerade deshalb unternimmt die englische Bourgeoisie die verzweifeltsten, brutalsten Versuche zur Stabilisierung. Sechs Monate lang erlebten wir den heftigsten Kampf der englischen Bourgeoisie gegen die Bergarbeiter. In den letzten Wochen sehen wir in England auf Grund der Erfahrungen des deutschen Kapitalismus die gleichen Offensivmaßnahmen auch seitens der englischen Bourgeoisie, einen verschärften wirtschaftlichen und politischen Kampf gegen das englische Proletariat.

Man kann sagen: Selbst in den Ländern, wo die kapitalistische Stabilisierung am ausgeprägtesten in Erscheinung tritt, bedeutet sie keineswegs eine gradlinige Festigung des Kapitalismus. Die inneren Gegensätze des Weltkapitalismus werden nicht gemildert, sondern sie verschärfen sich. Das zeigt sich in den verschiedenen Mächteumgruppierungen, in dem Fieberzustand der kapitalistischen Produktionsverhältnisse in den verschiedenen Ländern. Der Kampf um die Absatzmärkte nimmt schon die Form ernster imperialistischer Konflikte an.

Die Kriegsgefahr ist seit 1918 noch niemals so groß gewesen wie jetzt. Die Kriegstendenzen zeigen sich in der Schaffung von Kriegsblocks. Wir können drei große Hauptgruppen feststeilen:

1. Die Konflikte der imperialistischen Staaten untereinander. Die stärksten Gefahren liegen gegenwärtig auf dem Balkan, im Mittelmeer, im Stillen Ozean.

2. Die kolonialen Kämpfe der imperialistischen Räuber gegen die unterdrückten Völker der ganzen Welt. Sie werden seit dem französischen Marokkofeldzug immer stärker. Seit zwei Jahren tobt dieser Kampf der kolonialen Völker gegen die Imperialisten in Syrien, in Indonesien, in Nikaragua usw. Alle diese Kämpfe kennzeichnen das Aufflammen neuer revolutionärer Bewegungen gegen die verschiedenen imperialistischen Regierungen. Der größte koloniale Kampf, der sich momentan zeigt, ist der Krieg, der sich in China abspielt, wo das englische Imperium in Gemeinschaft mit Amerika, Frankreich, Japan und Italien versucht, mit allen Mitteln die Bewegung niederzuschlagen.

Die dritte Hauptlinie ist gegen die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken gerichtet. Genossen, wir haben die Frage zu stellen: Warum richtet sich die Hauptlinie der imperialistischen Kämpfe gegen die UdSSR? Weil die proletarische Diktatur sich in den letzten Jahren gefestigt hat, weil ihr Einfluß mit jeder Woche wächst. Der Weltimperialismus fürchtet sich vor der wachsenden Stärke des Proletariats.

Nun einige Punkte aus der jüngsten Geschichte. Ich erinnere an den Staatsstreich Pilsudskis in Polen, an den litauischen Militärputsch, an die Granatenkampagne[3] der deutschen Sozialdemokratie, an die Chamberlain-Note usw. ‑ alles zum Zwecke des Aufmarsches gegen die Sowjetunion. Hier sehen wir den Imperialismus der ganzen Welt im Kampfe gegen die Sowjetunion. Zwei Weltanschauungen ringen miteinander. Die Imperialisten sind sich untereinander nicht einig, sie ringen gegeneinander, aber miteinander gegen die Sowjetunion.

Da wir den Parteitag in einer so ernsten Situation abhalten, da die Fragen, die in Deutschland auf der Tagesordnung stehen, internationalen Charakter haben, müssen wir erkennen, welche Rolle die deutsche Bourgeoisie in diesem Entscheidungskampfe spielt und welche Bundesgenossen die Bourgeoisie in diesem Entscheidungskampfe hat. Wir sehen, daß durch den Eintritt in den Völkerbund die Position der deutschen Bourgeoisie außenpolitisch gestärkt worden ist und daß sie offener, aggressiver auftritt.

In diesem Zusammenhange müssen wir, abgesehen von allen politischen Fragen, betrachten, welche Rolle, allein seiner geographischen Lage wegen, Deutschland spielt. Schon seine geographische, militärische Lage bringt es mit sich, daß Deutschland in jeden kommenden großen Krieg mit hineingezogen wird. Wenn zum Beispiel Polen in irgendwelche Konflikte mit der Sowjetunion kommen würde, so würde die Weltbourgeoisie nicht geschlossen gegen die Sowjetunion marschieren, sie würde vielmehr versuchen, Vorposten auszuschicken, um zu fühlen, wo und wann sie angreifen soll. In diesem Zusammenhang spielt Deutschland eine ernste Rolle. Wir sehen, daß seitens Frankreichs und Englands der deutschen Bourgeoisie große Konzessionen gemacht werden. Augenblicklich sind die Handelsvertragverhandlungen zwischen Deutschland und Polen noch nicht abgeschlossen. Hier sehen wir, wie England eingreift und versucht, die Handelsschwierigkeiten zwischen Deutschland und Polen zu beseitigen. Diese Interessen Englands an den Unternehmungen der deutschen Bourgeoisie haben eine sehr ernste Bedeutung.

Weiter müssen wir im internationalen Maßstabe sehen, daß nicht nur die Kriegstechnik entscheidend ist, sondern daß insbesondere die ideologische Beeinflussung der Massen bei Ausbruch eines Krieges wichtig ist. Gerade wie 1914 sind auch heute die II. Internationale, die Internationale der Sozialdemokratie, und die Amsterdamer Internationale, die Hauptfaktoren der ideologischen Beeinflussung der werktätigen Schichten und insbesondere des Proletariats durch den Imperialismus. Warum müssen wir diese Stellung der II. Internationale hier besonders beleuchten? Weil die II. Internationale zu den Trabanten der Bourgeoisie gehört, weil sie bedingungslos mit den Imperialsten zusammengeht, weil sie versuchen wird, den Imperialismus in seinem Kampf gegen die Sowjetunion zu unterstützen. Hier sind wir es, die Kommunistische Internationale, die bolschewistische Weltpartei, die alles tun muß, um den Massen zum Bewußtsein zu bringen, daß es gegen die Sowjetunion wie gegen die fortschreitende Entwicklung der proletarischen Bewegung im Weltmaßstabe geht. Wir müssen verhindern, daß solche Fälle eintreten wie am 2. August 1914, wo die Massen durch die Überrumpelung mit dem Kriegsausbruch in ein Blutbad hineingetrieben werden, um ihre eigenen Brüder zu zerfleischen. Deswegen müssen wir uns mit der “Theorie” der II. Internationale, mit ihrer Stellung zum Imperialismus beschäftigen.

Wir haben bereits in unseren Thesen die Stellung Kautskys zum "Ultraimperialismus" niedergelegt. Wir sehen, wie diese Stellung in verschiedenen Zeitschriften zum Ausdruck kommt, in denen vom "Ultraimperialismus" als friedlichem Entwicklungsstadium des Kapitalismus gesprochen wird. Hilferding spricht vom "realen Pazifismus", um die wirklichen Widersprüche und Kriegsgefahren zu leugnen. Der alte Revisionist Quessel[4] schrieb vor einigen Wochen in den "Sozialistischen Monatsheften" einen langen Artikel über die "Weltfriedensidee des Imperialismus". Schon in dieser Auffassung zeigt sich die betrügerische Idee, die Gemeingut der sozialdemokratischen Führer ist. Hilferding, der führende Theoretiker der Sozialdemokratie, konnte in der Zeitschrift "Die Gesellschaft", 1926, in Heft 5 folgendes schreiben:

Der Krieg ist vorüber und hat zunächst einen neuen Machtentscheid zwischen führenden kapitalistischen Staaten ökonomisch und politisch unmöglich gemacht.

Dieses schreibt Hilferding im Jahre 1926, wo der Krieg nicht nur auf der Tagesordnung steht, sondern bereits in China begonnen hat Gerade die Frivolität, mit der Hilferding versucht, eine solche Theorie in die Massen hineinzubringen, muß die größte Aufmerksamkeit unserer Funktionäre erwecken, um den Sand aus den Augen der sozialdemokratischen Arbeiter zu entfernen und die richtige Politik der Komintern und unserer Partei in der Frage des Imperialismus durchzuführen. Wir sehen ferner, daß die “Theorien“, wie ich sie eben versuchte aufzuzeigen, die Lehren vom “Ultraimperialismus” und vom “realen Pazifismus”, was eigentlich dasselbe bedeutet, ergänzt werden durch verschiedene andere “Theorien”. Otto Bauer zum Beispiel versucht, "die kapitalistische Entwicklung der Sowjetunion" in den Vordergrund zu stellen. Hinter diesen “Theorien“ versteckt sich die imperialistische Politik der Weltbourgeoisie. Sie hofft, daß durch Phrasen vom Frieden die Möglichkeit besteht, alles verschweigen zu können, was in der ganzen Welt in Erscheinung tritt. Zu diesen verschiedenen “Theorien” gehört auch die praktische Stellungnahme der Sozialdemokratie zur Kolonialpolitik.

An einigen Zitaten will ich die Stellung der Sozialdemokratie in dieser Frage zeigen. Zum Beispiel schreiben die "Sozialistischen Monatshefte" im Oktober 1926:

Viele Hundert Millionen Mark kämen der deutschen Zahlungsbilanz zugute, und recht erhebliche Summen gingen als Löhne in die Hände der deutschen Arbeiter, wenn wir unsere afrikanischen Kolonien wieder bearbeiten könnten.

Das ist der Standpunkt der Imperialisten, den die Sozialdemokratie billigt. An einer anderen Stelle, in der "Rheinischen Zeitung", steht folgender außerordentlich interessante Beitrag für die Stellung der Sozialdemokratie zur Kolonialpolitik:

Was ist tausendfach wichtiger [...] als der Hohenzollernvergleich? [...] Die Eroberung von Exportgebieten. Diese Grundfragen des Arbeiterschicksals (Arbeitsbeschaffung, Hebung, der Kaufkraft des Volkes und die Eroberung von Exportgebieten) werden weder durch Annahme noch durch Ablehnung des Hohenzollernvergleichs berührt.

Also, wir sehen, nicht etwa entschädigungslose, Fürstenenteignung war wichtig für die Sozialdemokratie sondern Gewinnung oder Aneignung bestimmter Exportgebiete.

An einer anderen Stelle, im "Gewerkschaftsarchiv" vom Februar 1926, in einem Artikel, "Gewerkschaften und Auswandererfrage", steht folgendes:

Diese unschönen Extreme werden vermieden, wenn von vornherein ein gesunder Rassenstolz und ein vernünftiges Verantwortungsgefühl zugleich in die Seele des Auswandernden gepflanzt werden. Man soll ihm nicht verschweigen, daß wir Weißen nun einmal die Herrenrasse sind und daß unsere ganze Kultur auf dieser Herrenstellung in der Welt beruht.

Das bedeutet Verachtung der unterdrückten Völker Hohn auf jeden Internationalismus. Dies zeigt den Charakter der Sozialdemokratie theoretisch und praktisch in aller Deutlichkeit.

Eine andere Angelegenheit in diesem Zusammenhange von internationaler Bedeutung ist die Hauptaufgabe, die sich die II. Internationale stellt, nämlich die Bekämpfung der Sowjetunion. Wir haben uns die Frage vorzulegen: Warum stellt die II. Internationale sich als Hauptaufgabe, die Sowjetunion zu bekämpfen? Die Antwort ist vollkommen selbstverständlich: weil die Solidarität der Arbeiterschaft der ganzen Welt mit der Sowjetunion heute noch viel größer und stärker ist als 1918 bis 1921 und nachher. Die gewaltige Sympathie soll zertrümmert werden, sie soll zerstört werden, und deswegen versucht die II. Internationale alles zu tun, um dem dringenden Bedürfnis der Kapitalisten zu entsprechen und um sie zu unterstützen. Wir können verschiedene Methoden feststellen, mit deren Hilfe die II. Internationale versucht ihren aggressiven Kampf gegen die Sowjetunion durchzuführen.

Erstens in der offenen Unterstützung der imperialistischen Politik, wie ich sie schon an einigen Zitaten der deutschen Sozialdemokratie gezeigt habe. Zum Beispiel stand kürzlich in einem Artikel des "Sozialdemokratischen Pressedienstes" folgende unverhüllte und direkte Zustimmung zur Chamberlain-Note:

[...] wir Sozialdemokraten haben diesen Standpunkt in unserem eigenen Kampf gegen die bolschewistische Zerstörungsarbeit an der internationalen Arbeiterbewegung stets vertreten, und es wäre weder logisch noch aufrichtig, wenn wir gegenüber den Anklagen Chamberlains einen anderen Standpunkt einnähmen.

Zweitens betreibt die II. Internationale eine Propaganda der Neutralität der Arbeiterklasse gegenüber einem eventuellen Kriegsausbruch oder einer Intervention gegen die Sowjetunion. Als zum Beispiel die Chamberlain-Note bekannt wurde, war es MacDonald, der in seinem Parteiorgan in England schrieb, daß man eine “abwartende Haltung” gegenüber der Drohnote Englands gegen die Sowjetunion einnehmen solle. Und wir sehen, daß auch in Deutschland die Sozialdemokratie in dieser Linie die Arbeiterschaft betrügen will. In einem Artikel "England-Rußland" im "Vorwärts" vom 24. Februar 1927, worin mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen Englands zur Sowjetunion gedroht wird, heißt es:

Deutschland kann sich weder an England noch an Rußland anschließen, wenn es nicht in Gefahr laufen will, für fremde Interessen mißbraucht zu werden.

Das heißt also, die Arbeiterschaft soll in dem Moment des Kampfes der englischen Bourgeoisie gegen die Sowjetunion eine “neutrale” Stellung einnehmen. Mit dieser Formulierung will man wiederum die Arbeiterschaft betrügen und den offenen imperialistischen Kurs und die Politik der II. Internationale verdecken. Auf dem Marseiller internationalen Kongreß mußte Otto Bauer unter dem Druck der mit der Sowjetunion sympathisierenden Arbeitermassen erklären:

[...] daß jede feindselige Politik der Regierungen gegen die Sowjetunion bei uns auf den hartnäckigsten, unerbittlichsten Widerstand stoßen wird.

An einer anderen Stelle sagt er weiter:

Und weil wir wissen, daß diese Gefahr kommt, deswegen stellen wir nicht nur für heute oder morgen, sondern für unsere ganze Zukunft als die oberste Richtlinie fest: Hände weg von Sowjetrußland!

Darin zeigt sich der ganze betrügerische Charakter des Kongresses der II. Internationale, die die versucht Ihre eigenen Anhänger zu verwirren, indem sie einerseits ruft: Hände weg von Sowjetrußland! und andererseits durch ihre Politik den kriegerischen Kampf der Bourgeoisie gegen die Sowjetunion unterstützt.

Ein drittes Manöver der II. Internationale ist der Versuch, die Sowjetunion als kapitalistisches Land zu denunzieren, an dessen Verteidigung die Arbeiterklasse kein Interesse habe.

Im "Vorwärts" können wir diesen Standpunkt in dem Artikel "England-Rußland" ganz kraß und offen sehen. Es heißt dort, daß der russische Sozialismus von äußerst zweifelhafter Art ist, so daß die Arbeiter im konservativ regierten England heute immer noch bedeutend freier und besser leben als im bolschewistisch regierten Rußland.

Die deutsche Sozialdemokratie versucht, die Sowjetunion als ein kapitalistisches Land zu bezeichnen, obwohl die Arbeiterdelegationen, die in der Sowjetunion waren, das Gegenteil berichten.

In diesem Zusammenhang ist auch die schamlose Granatenkampagne gegen die Sowjetunion zu verstehen. Um die Proletariermassen, die der Sowjetunion sympathisch gegenüberstehen, ideologisch zu beeinflussen, damit sie ihre imperialistische Politik unterstützen, greift die Sozialdemokratie zu den schmutzigsten und raffiniertesten Methoden.

Genossen, wenn ich diese Hauptfrage etwas länger behandelt habe, so deswegen, weil wir in Deutschland eine geschlossene Front von “ultralinks” bis rechts sehen, eine Front von der KAPD über Maslow, die Sozialdemokratie bis zu General Hoffmann, der auch in der letzten Zeit seinen Standpunkt zum Bolschewismus Formuliert hat und der nicht nur empfiehlt, den Kampf gegen die Sowjetunion vorzubereiten, sondern diesen Kampf aufzunehmen. General Hoffmann[5] schreibt in diesen Tagen über die “Sowjetgefahr” in einem Briefe an die Amerikaner:

Auch ich bin überzeugt, daß die Frage Zivilisation oder Bolschewismus mit Waffengewalt ausgetragen werden wird. Ich hoffe, daß mein Vaterland, wenn dieser Kampf kommt, auf der Seite der zivilisierten Staaten stehen wird. Ich werde dazu tun, was in meiner Macht steht.

Wir haben auf diesem Parteitag in den Vordergrund zu stellen, daß alle Kettenhunde der Bourgeoisie gegen die proletarische Revolution losgelassen werden. Die Weltbourgeoisie und besonders die deutsche Bourgeoisie stellten sich die Aufgabe, den “inneren” Bolschewismus zu vernichten und unter allen Umständen auch den “äußeren”. Der “äußere” Bolschewismus ist die Sowjetunion, weil die Sowjetunion der Staat der proletarischen Diktatur ist. Der “innere” Bolschewismus sind wir, die Kommunistische Partei Deutschlands. In dieser historischen Situation, wo die Kriegsgefahr auf der Tagesordnung steht, hat die Kommunistische Partei gewaltige internationale Aufgaben zu erfüllen. Wir sind die einzige organisierende Massenkraft gegen den Imperialismus und gegen den drohenden Krieg.

Au diesem Parteitag muß unsere Taktik, müssen unsere internationalen Aufgaben klar bestimmt werden. Diese Hauptaufgaben sind folgende:

Die erste Hauptaufgabe ist der Kampf gegen die Kriegsgefahr. Dabei ist besonders wichtig, daß wir stärkere Positionen durch unsere Kleinarbeit erkämpfen, besonders in den Betrieben und Gewerkschaften und in den wichtigsten Industriezweigen, die für den Kriegsausgang entscheidend sind. Ich begrüße es von diesem Standpunkt aus besonders, daß die Zelle des Leuna-Werkes durch ihr Telegramm an den Parteitag die Bedeutung dieses Werkes zum Ausdruck gebracht hat. Ich denke weiter dabei an den Bergbau, an die Metallindustrie, an den Verkehr, die beim Ausbruch eines Krieges die entscheidende politische Bedeutung haben. Wie stark aber sind wir in diesen Industriezweigen? Wenn man die Wahrheit sagt, so muß man sagen, daß unser Einfluß dort sehr gering ist. Wir sind sehr schwach, und wir müssen alles daransetzen, um unsere Position hier zu verstärken.

Was die Verhinderung von Interventionsversuchen gegen die Sowjetunion betrifft, so ist es notwendig, daß wir jeden Waffentransport zu unterbinden vermögen. Darum müssen wir auch die Frage der Stellung der Organisationen beachten, die unter unserem Einfluß stehen, zum Beispiel des RFB.

In dem Augenblick des Ausbruchs eines Krieges müssen wir die einzig richtige leninistische Linie verfechten: mit allen Mitteln die Umwandlung des imperialistischen Krieges in den Bürgerkrieg zu betreiben. Das muß die Grundlage unserer Politik sein.

Die zweite internationale Hauptaufgabe besteht in. der Verteidigung der Sowjetunion und Chinas gegen die  imperialistischen Überfälle. Ich brauche darüber nicht ausführlich zu sprechen, weil diese Aufgabe schon genügend gekennzeichnet wurde.

Die dritte Aufgabe ist der Kampf für die internationale Gewerkschaftseinheit. Angesichts der Kraftzentren, die die Bourgeoisie zur Verfügung hat ‑ die II. Internationale und die Amsterdamer ‑, ist es notwendig, den Kampf für die internationale Gewerkschaftseinheit viel aktiver zu führen. Gerade jetzt steigt die Bedeutung dieser Frage, die auch lange in der eigenen Partei nicht genügend verstanden wurde.

Unsere vierte internationale Hauptaufgabe ist der Kampf gegen den internationalen Faschismus. Dabei müssen wir auf die faschistische Orientierung bestimmter Strömungen und führender Personen der II. Internationale, wie sie zum Beispiel D’Aragona[6] durch seinen offenen Übergang zum Faschismus verkörpert, hinweisen.

Wir können alle diese Aufgaben, die einen internationalen Charakter tragen, nur erfüllen unter der festen Führung der Kommunistischen Internationale, der bolschewistischen Weltpartei. Deswegen hat der Parteitag insofern eine große Bedeutung ‑ ich glaube, ich kann das im Sinne aller Delegierten erklären ‑, weil dieser XI. Parteitag der Kommunistischen Partei im Gegensatz zu den Irrtümern des letzten Berliner Parteitags im Zeichen der unverbrüchlichen Treue, der festeren, inneren Kampfgemeinschaft mit der Kommunistischen Internationale tagt. Die Bedeutung der Komintern ist welthistorisch so groß, daß sie jeder Kommunist verstehen muß. Sie ist das Fundament, sie ist die einzige Führerin der proletarischen Weltrevolution.

II

Genossen! Ich gehe jetzt zu den Fragen des deutschen Imperialismus über. Bereits die erweiterte Exekutive hat die Lage des kapitalistischen Deutschlands von 1923 und von heute behandelt. In jenem Moment, wo das Proletariat in einer akut revolutionären Situation niedergeschlagen wurde, beginnt der Wendepunkt der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung der deutschen Bourgeoisie. Von 1918 bis 1923 war Deutschland ein besiegtes Land, entwaffnet, von feindlichen Truppen besetzt, in einem Zustand größter Unterdrückung. Der französische Imperialismus hatte das Ruhrgebiet besetzt, und Deutschland konnte keine selbständige Politik treiben. Das hat sich 1923 gezeigt in der Zerrüttung der Valuta, in der verringerten Rolle der Banken, im Niedergang der Produktion usw. In jener Situation fehlten die objektiven Voraussetzungen zu einer selbständigen imperialistischen Politik. Deswegen ist die Stellung unserer Partei zur nationalen Frage heute eine andere, als sie damals war. Das ist auch in den Thesen des Parteitags niedergelegt.

Worin besteht der große Unterschied in der deutschen Entwicklung? Der Umschwung nach dem Oktober 1923 wird gekennzeichnet durch drei besondere Ereignisse:

1. Durch die Oktoberniederlage des deutschen Proletariats,

2. durch die Stabilisierung der Mark,

3. durch die Räumung des Ruhrgebiets.

Seit diesen Ereignissen zeigte die wirtschaftliche Entwicklung eine neue Tendenz. An Stelle der Inflationskonzerne trat die kapitalistische Konzentration. Es ist erstaunlich, mit welcher Energie es die deutsche Bourgeoisie fertigbringt, die Monopolisierung durchzuführen. Das Bestehen des Farbenkonzerns, des Ruhr-Montantrusts, des Kalisyndikats, des Elektrotrusts und auch einer Reihe kleinerer Monopolverbände hat eine große Bedeutung. In letzter Zeit wurden Produktionszweige erfaßt, die vorher niemals vertrustet waren, zum Beispiel die Werften. Wir sehen in der Werftindustrie, in der Schiffahrt eine neue Entwicklung, eine rasche Vertrustung. In der kürzlich erschienenen Denkschrift über die Konzernbildung wird festgestellt, daß 65 Prozent aller deutschen Unternehmungen sich in Händen von Konzernen befinden. Parallel damit verstärkt sich auch die Rolle der Banken. Vier bis fünf Banken kontrollieren die gesamte Industrie. Wir sehen, daß die Konzentration zu einer außerordentlichen der Leistungsfähigkeit, besonders der Schwerindustrie, geführt hat. Gerade die Methoden, die gegen die Arbeiterschaft angewandt werden, die riesenhafte Produktionserhöhung mit weniger Arbeitskräften, sind symptomatisch dafür.

Ich will ein Beispiel anführen: 1926 produzierten 104 Hochöfen 10 Prozent mehr als 204 Hochöfen im Jahre 1923.

Gleichzeitig wächst die Kapitalneubildung. Im Jahre 1913 betrug die Kapitalbildung 11,9 Milliarden, heute hat sie bereits wieder 6,3 Milliarden erreicht. Das deutsche Finanzkapital spielt eine führende Rolle in der Monopolbildung, nicht nur in Deutschland, sondern international. Das internationale Kalisyndikat, das vor dem Kriege bestand und während des Krieges aufgelöst wurde, ist jetzt wieder hergestellt. Die Beteiligung der deutschen Banken an dem internationalen Finanzkonzern ist im Wachsen. Ein Teil der deutschen Unternehmungen löst sich bereits wieder von der früheren Überfremdung durch das Auslandskapital los.

Bezeichnend ist ferner die beginnende Wiederaufnahme des Kapitalexports. Zwar beruhen diese statistischen Zahlen, die wir dafür zur Verfügung haben, nur auf Schätzungen, aber man schätzte für das Jahr 1926 bereits 1,8 Goldmilliarden Kapitalexport. In letzter Zeit mehren sich die Nachrichten von Überfremdungsabsichten des deutschen Finanzkapitals in Frankreich und Belgien und von Kapitalexport nach Schweden, Ungarn, Rumänien und der Türkei. Das deutsche Kapital versucht wieder überall Bankniederlassungen zu gründen: In Südamerika bestehen heute bereits mehr deutsche Auslandsbanken als vor dem Kriege, in Ostasien sind deutsche Auslandsbanken wieder stark vertreten.

Interessant ist dabei die zunehmende Beteiligung des Staates an der kapitalistischen Wirtschaft. Diese zeigt sich in der Gewährung staatlicher Garantien für Exportkredite, in der Beteiligung des Reiches an Kreditbanken, zum Beispiel der Reichsbankkredit. Wir sehen hier die enge Verflechtung der kapitalistischen Wirtschaft mit dem kapitalistischen Staat.

Dabei treten die Widersprüche und Schwierigkeiten der imperialistischen Entwicklung immer schärfer zutage. Die stärkste Ursache für den Konjunkturaufschwung im Jahre 1926 war der englische Bergarbeiterstreik. Nicht nur die Produktion von Stahl, Eisen und Kohle stieg außerordentlich, sondern infolge des englischen Streiks gewann zum Beispiel die Dawes-Eisenbahn 100 Millionen Goldmark, der Ruhrbergbau 300 Millionen, die Reedereien und die Rheinschiffahrt über 100 Millionen. Es erfolgt ein mächtiges Ansteigen der Profite.

Natürlich gilt dies nur für eine kurze Zeit und für gewisse Produktionszweige. Jetzt beginnt bereits die Wiederaufnahme des verschärften Konkurrenzkampfes zwischen Deutschland und England in der Frage des Kohlenabsatzes.

Wir müssen hierbei die Schwächen unserer eigenen Arbeit betonen, besonders, daß wir dem Solidaritätsgedanken im englischen Bergarbeiterstreik nicht genügend zum Durchbruch verhalfen, ja nicht einmal in den Reihen der Mitglieder der Partei. Es war die Aufgabe des einzelnen Kommunisten, auch bei den großen Schwierigkeiten, die im Betriebe bestanden, wo die Unternehmer jeden rücksichtslos aufs Pflaster warfen, den englischen Streik wirklich ernsthaft zu unterstützen und den Gedanken der Solidarität rücksichtslos durchzusetzen. Das ist das Mindestmaß dessen, was wir tun mußten. Hier hat sich aufs eindringlichste unsere Schwäche innerhalb der Gewerkschaften gezeigt. Sonst wären solche Tatsachen, wie wir sie im Ruhrgebiet, in Oberschlesien, in Hamburg gesehen haben, nicht möglich gewesen.

Die gesteigerte Leistungsfähigkeit des deutschen Produktionsapparats stößt auf die Schranken des verengten Weltmarkts. Die kapitalistischen Mächte wehren sich gegen die wachsende deutsche Ausfuhr. Das zeigt zum Beispiel die schroffe Ablehnung der Kohlenverständigung zwischen Deutschland und England, die Tatsache, daß sich Amerika mit hohen Zollschutzmauern gegen die Roheiseneinfuhr Deutschlands wehrt, und anderes.

Diese Schwierigkeiten auf den ausländischen Märkten haben ihr Gegenstück in den Schwierigkeiten auf dem inneren Markt. Dazu kommen die Reparationslasten. Im laufenden Jahre sind von Deutschland anderthalb Milliarden aufzubringen, in den folgenden Jahren bis zu 2,5 Milliarden.

Kann man annehmen, daß wir eine neue Aufstiegsperiode des deutschen Kapitalismus erleben werden, ähnlich wie in Amerika? Keinesfalls. Die riesenhafte Erwerbslosigkeit ist das lebendige Zeichen für die chronische Krise des deutschen Kapitalismus. Trotz der Herabsetzung der Produktionskosten durch die kapitalistische Konzentration werden die Preise der Waren nicht herabgesetzt, sondern sie steigen. Gerade in den Industrien, in denen die Monopolisierung am stärksten ist, sehen wir eine Steigerung der Preise durch die Trustpolitik. Die Kapitalisten gehen dazu über, die Ausfuhr auf Kosten des inneren Marktes zu steigern. Zwischen den Auslands- und den Inlandspreisen für manche Produkte besteht eine Differenz von 25 Prozent. Das alles treibt den deutschen Kapitalismus zur rücksichtslosen Ausbeutung der Arbeiterklasse mit den Methoden der kapitalistischen Rationalisierung.

Der Kampf gegen die Folgen der kapitalistischen Rationalisierung ist neben dem Kampfe gegen die drohende Kriegsgefahr die wichtigste Aufgabe, weil er den Ausgangspunkt für größere Massenbewegungen bildet.

Der ganze Rationalisierungsprozeß, den die Bourgeoisie durchführt, bewirkt eine maßlose Steigerung der Ausbeutung. Die Arbeitsintensität wurde um 30, 50, ja sogar um 100 Prozent erhöht. Im Bergbau vollzog sich im Verhältnis zur Vorkriegszeit eine 131prozentige, in der Stahlindustrie eine 129,5-prozentige Steigerung der Produktivität je Kopf.

Durch ein unerhörtes Antreibersystem, durch die Aufhebung der Pausen, die Herabsetzung der Akkordpreise, durch eine Reihe schikanöser Maßnahmen hat die Bourgeoisie die Steigerung der Ausbeutung erzwungen. Parallel damit erfolgt die Senkung des Reallohns, denn mit der Preissteigerung ist keine Lohnerhöhung verbunden.

Genossen! Auf dem Gebiete des Kampfes um Lohnerhöhungen hat die Partei große Aufgaben zu erfüllen. Damit im Zusammenhang steht die Arbeitszeitfrage. Wenn die Sozialdemokratie heute in den Gewerkschaftsversammlungen usw. das Arbeitszeitnotgesetz propagiert, das in Wirklichkeit gar nicht die Forderung des Achtstundentags enthält, sondern den Zehn- und Zwölfstundentag zuläßt, so tut sie es, weil sie weiß, daß im Proletariat eine Stimmung für den Achtstundentag vorhanden ist, und weil Bewegungen einsetzen, wie zum Beispiel in Sachsen der Kampf der Leipziger Metallarbeiter. Ich glaube, es ist gut, an einem Beispiel zu zeigen, was für Überstunden im Jahre 1926 geleistet worden sind, welcher Frevel begangen worden ist an der 2½ Millionen-Erwerbslosenarmee, die auf der Straße lag. Die Statistik des Reichsarbeitsamts genügt, um die tatsächliche Lage zu zeigen. So haben beispielsweise 335 000 Arbeiter im Oktober 1926 insgesamt 10 Millionen Überstunden geleistet. In der Metallindustrie sind durchschnittlich je Woche 54½ Arbeitsstunden geleistet worden, im Bergbau 63 Stunden, in der chemischen Industrie 57½ Stunden, in der Textilindustrie 55 Stunden, in der Papierindustrie 62 Stunden, in der Holzindustrie 52½ Stunden, in der Nahrungs- und Genußmittelindustrie 53 Stunden, Stein und Erze 56½ Stunden, Glas und Keramik 54 Stunden, allgemeine Industrie 54 Stunden, also eine durchschnittliche Arbeitsleistung von 56 Stunden je Woche und Arbeiter. Die 48‑Stundenwoche ist also im Durchschnitt um 8 Stunden überschritten worden. Allein im Bergbau sind wöchentlich bis zu 32 Überstunden geleistet worden. Das zeigt die große Bedeutung des Kampfes für den Achtstundentag, der in Verbindung steht mit der Taktik, mit der Arbeit, die wir unter der Erwerbslosenarmee zu leisten haben.

Die Bourgeoisie führt hier eine ganz bewußte Klassenpolitik für ihre Interessen durch. Die Erwerbslosen sollen den Arbeitenden im Betrieb in den Rücken fallen. Auf der anderen Seite sollen die Arbeiter in den Betrieben durch die Überstundenschieberei den Erwerbslosen in den Rücken fallen. Das ist eine raffinierte Methode der Bourgeoisie, die unterstützt wird durch die Sozialdemokratie und besonders durch die Taktik der reformistischen Gewerkschaftsführer. Hierin zeigt sich auch der Versuch der Sozialdemokratie und der Gewerkschaftsbürokratie, die Arbeiterklasse zu spalten. Wir sind verpflichtet, die Erwerbslosen mit den im Betrieb Beschäftigten in einer proletarischen Einheitsfront zum Kampf um die Verbesserung der Lebenslage aller Arbeiter zusammenzufassen. Von diesem Gesichtspunkt aus ist der Kampf um den Achtstundentag eine große Bedeutung, weil er mit dem Kampf der Erwerbslosenbewegung verbunden ist. Der Grundgedanke auch des Kongresses der Werktätigen lag darin, die Verbindung der Erwerbslosen mit den im Betrieb Stehenden zu schaffen. Wenn, wie schon gesagt worden ist, die Großbetriebe so gering auf dem Kongreß der Werktätigen vertreten waren, so zeigt das unsere mangelhafte Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit.

Ich habe schon versucht, einige Probleme der Erwerbslosenbewegung aufzuzeigen. Wenn heute 2,5 Millionen Dauererwerbslose zu verzeichnen sind und die letzte Statistik besagt, daß 20 Prozent der deutschen Industriearbeiterschaft auf der Straße liegen, so ist das ein Moment, auf das sich die Kommunistische Partei konzentrieren muß. Wenn 20 Prozent der deutschen Industriearbeiter auf der Straße liegen, sind wir verpflichtet, in jedem Betrieb durchzusetzen daß die Belegschaft die Überstundenarbeit ablehnt, um die Erwerbslosen in die Produktionsstätten hineinzubringen. Wir sind uns, glaube ich, hier alle darüber einig, daß die Partei gerade auf diesem Gebiete mehr leisten muß als bisher. Es ist notwendig, den schärfsten Kampf gegen den Abbau der Erwerbslosenfürsorge und gegen die Staffelung, die jetzt eingeführt werden soll, fortzusetzen.

Eine weitere Frage in Verbindung mit der kapitalistischen Rationalisierung ist es, daß wir erhöhte Aufmerksamkeit auf die soziale Umschichtung im Betrieb richten müssen. Es ist eine Tatsache, daß der Kapitalismus in wachsendem Maße die Frauen und Jugendlichen in den Betrieb hineintreibt, um gleichzeitig sogar qualifizierte Arbeiter aus der Produktion hinauszuwerfen. Ein Beispiel, das jedem Genossen einleuchtet: Im Jahre 1907 war von der weiblichen Bevölkerung ein Drittel berufstätig, im Jahre 1925 war es bereits die Hälfte der weiblichen Bevölkerung. Unter dem Druck der kapitalistischen Rationalisierung, der allgemeinen Not und der elenden Lage werden die proletarischen Frauen in den Produktionsprozeß hineingerissen. Außer dem Kampf um gleichen Lohn für gleiche Arbeit müssen wir Kommunisten stets für alle Interessen der proletarischen Frauen eintreten. Es gilt für uns nicht nur die proletarische Jugend durch Kurse aufzuklären, sondern sie praktisch in Kämpfen zu unterstützen. Die Methoden der kapitalistischen Rationalisierung, die nur die ökonomische Seite des Kampfes bilden, werden ergänzt durch den politischen Vorstoß der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse, gegen alle Werktätigen auf der ganzen Linie.

Die politische Konzentration der deutschen Bourgeoisie macht große Fortschritte. Zugleich mit der allgemeinen Umwandlung des wirtschaftlichen Lebens schafft sich die Bourgeoisie den politischen Überbau, um ihre Pläne ernsthaft durchzuführen.

Genossen! Das Resultat dieser Entwicklung ist der Bürgerblock. Rufen wir uns einige Tatsachen in Erinnerung. Hatten wir in Deutschland schon jemals seit 1918 so eine reaktionäre Bürgerblockregierung? Ich glaube, wir können sagen, daß das die konterrevolutionärste Regierung seit der Novemberrevolution, ist. Die Gegensätze in den kapitalistischen Parteien, die sich noch vor einem Jahre bei dem Dawesgutachten, in den Fragen der Schutzzölle, in der Frage der Republik oder Monarchie und in anderen Punkten zeigten, sind gar nicht mehr oder nur noch in schwachem Maße vorhanden. Die Deutschnationalen, die "Wehrverbände" und die Reichswehr sind zur sowjetfeindlichen Politik auf seiten Englands übergegangen. Der Bürgerblock ist die Regierung der starken Faust, die versuchen wird, die beginnenden Arbeitskämpfe in den nächsten Monaten rücksichtslos niederzuschlagen und die Arbeiterschaft zu knebeln. Der Bürgerblock ist eine Koalition der drei stärksten bürgerlichen Parteien, der Deutschnationalen, des Zentrums und der Deutschen Volkspartei. Aber diese Stärke beruht nicht nur auf diesen drei aktiven Parteien, sondern auch auf dem Fehlen jeder ernsthaften Opposition mit Ausnahme der Kommunistischen Partei.

Selbst Wirth, der manchmal radikaler spricht als die Sozialdemokratie, lud die Monarchisten ein, in das politische Haus der Republik einzutreten. Der Bürgerblock stützt sich jedoch nicht nur auf die gesamte Bourgeoisie, sondern auch auf die passive Haltung und Duldung der Sozialdemokratie. Vor einigen Tagen hat Severing, der immerhin eine Bedeutung in der Sozialdemokratie hat, auf einer Reichsbannertagung in Hannover folgendes geäußert:

Wir erleben mit der neuen Regierung, mit dem Eid der deutschnationalen Minister auf die Reichsverfassung, auf die Fahne Schwarzrotgold eine der stolzesten Genugtuungen. Auf Schwarzrotgold schwört heute sogar ein Hergt[7], und am Auto des Reichsministers von Keudell weht der schwarz-rot-goldene Wimpel.

Was Severing erklärt, heißt Duldung des Bürgerblocks, heißt Billigung der Politik, die der Bürgerblock durchführt. Wir erklären dagegen, daß der Bürgerblock eine Welle stärkster Reaktion bedeutet. Wir müssen in diesem Zusammen an den Ausspruch von Lenin denken[8]:

Politische Reaktion auf der ganzen Linie ist eine Eigenschaft des Imperialismus

Diese politische Reaktion, die sich heute in Deutschland zeigt, macht sich bereits in Vorstößen auf den verschiedensten Gebieten bemerkbar: im Abbau der gesamten Sozialpolitik, in der Liquidierung der letzten Überbleibsel der Novemberrevolution, in der kulturellen Reaktion, in den schändlichen Urteilen des Reichsgerichts, das unsere kommunistische Literatur schon außerhalb des Gesetzes stellt.

Das sind Anfänge eines bestimmten politischen Systems, eines überlegten Ansturms gegen die gesamte Arbeiterklasse, die gegen diese politische Linie ihre eigene revolutionäre Front aufrichten muß. Wir sehen, daß die Hindenburg-Regierung darauf lossteuert - ich sage ausdrücklich “darauf lossteuert” -, unsere Kommunistische Partei zu verbieten. Wir müssen alles versuchen, um das zu verhindern. Nicht deshalb, weil wir vielleicht aus irgendwelchen Gründen glauben, daß wir nicht in der Lage wären, illegal unsere revolutionären Grundsätze in das Proletariat zu tragen, sondern wir müssen erkennen, daß es sich um eine Kraftprobe mit der Bourgeoisie handelt, daß die Reaktion versucht abzutasten, wieviel sie sich erlauben darf. Wir müssen gleichzeitig auf diesem XI. Parteitag sagen, daß die Legalität unserer Partei von keinerlei Demokratie oder Verfassung garantiert ist, sondern daß sie davon abhängt, wie stark wir in der Arbeiterschaft verwurzelt sind, wieweit wir in der Lage sind, die proletarischen Massen zur Verteidigung ihrer Interessen zu mobilisieren. Die Partei muß heute schon auf alle Möglichkeiten vorbereitet sein. Wir erklären, daß kein Verbot und keine Gewaltmaßnahme der Bourgeoisie uns hindern werden, unsere bolschewistische Arbeit für die Vorbereitung der zweiten deutschen Revolution durchzuführen. Wir müssen verstehen, daß es notwendig ist, selbst wenn die Bourgeoisie vorläufig nur versucht, durch Repressalien und “gesetzliche” Mittel gegen die revolutionäre Front vorzustoßen, unseren Widerstand zu verstärken und von der Defensive in die Offensive überzugehen.

Die deutsche Bourgeoisie hat zwei wichtige Bundesgenossen, mit deren Hilfe sie ihre Politik durchführt. Die faschistischen Verbände reorganisieren und stärken sich und dringen in den verschiedensten Formen des sogenannten Betriebsfaschismus in die Betriebe ein. Der Stahlhelm ‑ ohne von den verschiedenen anderen nationalistischen Verbänden wie zum Beispiel dem Kyffhäuserbund usw. zu sprechen ‑ als wichtigste Organisation des Faschismus dringt heute nicht nur zur Verbreitung einer nationalsozialistischen Ideologie in Agitationsversammlungen vor, sondern er geht in die Fabriken, um die Arbeiter in den Prozeß der kapitalistischen Rationalisierung einzuspannen, um sie für die Politik der Bourgeoisie gefügig zu machen, um die Arbeiter mit faschistischen Methoden schärfer auszubeuten. Das ist die Linie des Betriebsfaschismus.

Wenn der Führer des Stahlhelms auf der kürzlich stattgefundenen Stahlhelmtagung in Hamburg in einer provokatorischen Rede auf den Stahlhelmtag, der am 7. und 8. Mai in Berlin stattfinden soll, hinwies, so ist es notwendig, daß auch der XI. Parteitag der KPD erkennt, daß diese Drohungen mit dem stählernen Willen des gesamten Proletariats beantwortet werden müssen. Wenn der Stahlhelm nach Berlin kommt, werden die roten Massen Berlins den Faschisten zeigen, daß sie verstehen, sich zu schlagen. Wir müssen nicht nur alle proletarischen Schichten, sondern auch die kleinbürgerlichen Schichten, den Mittelstand und die Kleinrentner, gegen Burgerblock und Faschismus mobilisieren.

Wir müssen besonders hier in Essen, in der Hochburg des Zentrums, als Kommunisten den christlichen Arbeitern, die noch der großkapitalistischen Zentrumsführung folgen, sagen: Löst euch los von den Ausbeutern, die euch um des Profits willen an die Deutschnationalen verschachert haben! Wir müssen den christlichen Arbeitern die Überzeugung beibringen, daß sie als Proletarier nicht in die Zentrumspartei, sondern in die revolutionäre Klassenfront gehören.

Eine Hauptstütze für die Innen- und Außenpolitik der imperialistischen deutschen Bourgeoisie ist zweifelsohne die SPD. Ich habe bereits am Anfang meiner Ausführungen über die Probleme der Kriegsgefahr erwähnt, daß die deutsche Sozialdemokratie in ihrer Außenpolitik, in ihrer Stellung zum Völkerbund, in ihrer Stellung zur Kriegsgefahr, zur Kolonialpolitik, zur chinesischen national-revolutionären Bewegung, zur Sowjetunion und zur internationalen Gewerkschaftseinheit völlig mit der Bourgeoisie übereinstimmt. Parallel damit unterstützt die deutsche Sozialdemokratie auch die Befestigung der kapitalistischen Macht in Deutschland. Die SPD ist die Partei der kapitalistischen Stabilisierung, und die KPD ist die Partei der proletarischen Revolution. Darum müssen wir in allen Fragen den schärfsten Kampf gegen die Sozialdemokratie führen.

Angesichts des reaktionären Kurses der deutschen Bourgeoisie entwickelt sich die sozialdemokratische Führerschaft, wie es in fast jedem Lande der Fall ist, immer weiter nach rechts. Schon die Tatsache des Bestehens des Bürgerblocks kennzeichnet den Bankrott der Koalitionspolitik der Sozialdemokratie. Dafür sind auch die letzten Ausführungen führender Sozialdemokraten kennzeichnend, die mit der jetzigen Politik der Bourgeoisie übereinstimmen. Bernstein steht tatsächlich auf dem Standpunkt, daß die Sozialdemokratie eine Bürgerblockregierung unterstützen könnte, wenn sie eine andere Politik durchführen würde. Die Reden Severings und Hörsings zeigen, daß die Sozialdemokraten bereit sind, auch die Deutschnationalen zu unterstützen, wenn das für die Rettung des kapitalistischen Regimes notwendig werden sollte. International gesehen beweist der Fall D’Aragona in Italien, daß dort, wo die bürgerliche Reaktion stärker ist, auch der Verrat der Reformisten immer größer geworden ist. Auch in Deutschland bestehen ähnliche Tendenzen. Die Alte Sozialdemokratische Partei Sachsens steht in der Mitte zwischen Sozialdemokratie und Faschismus. Die ASPS zeigt die Berührungspunkte des Faschismus mit der Sozialdemokratie. Es besteht keinerlei prinzipieller Unterschied zwischen der heutigen SPD-Führung und den ASPS-Leuten.

Die Sozialdemokratische Partei als Ganzes kann heute noch nicht so weit gehen wie die ASPS, weil sie in ihren eigenen Reihen Zehntausende von Arbeitern hat und mit deren Stimmungen rechnen muß. Darin besteht eben der Grundwiderspruch in der Politik der Sozialdemokratischen Partei. Einerseits darf sie, um die Politik der Bourgeoisie zu unterstützen, ihren Einfluß auf die Massen nicht verlieren, und andererseits, um den Einfluß auf die Massen nicht zu verlieren, darf sie nicht offen unter der Flagge der Bourgeoisie auftreten. Je schärfer die Klassengegensätze in Deutschland werden, desto tiefer wird sich auch dieser Grundwiderspruch in der sozialdemokratischen Politik zeigen, und die Entscheidung wird davon abhängen, wieweit es uns gelingt, die sozialdemokratischen Arbeiter von der Führung der Sozialdemokratie loszulösen.

Eine weitere Richtung in der SPD vertreten die sogenannten linken Führer. Die Richtung findet ihren organisatorischen Ausdruck vor allem in der sächsischen Sozialdemokratie. Die “linken” Führer sind in der Grundlinie vollkommen einverstanden mit dem Parteivorstand und seiner Politik. Sie sind einverstanden mit der Völkerbundspolitik, mit der Theorie der Wirtschaftsdemokratie und mit der Sabotage der internationalen Gewerkschaftseinheit. Aber, Genossen, warum dann “linke” SPD?, werden viele Arbeiter fragen. Weil durch die ganze Entwicklung, durch die Verschärfung der Klassengegensätze die Arbeiter in die Opposition gedrängt werden. Die “linken” Sozialdemokraten versuchen eine Barriere aufzurichten, über die die sozialdemokratischen Arbeiter nicht zur Kommunistischen Partei stoßen sollen, und deshalb ist diese Politik um so gefährlicher, weil die Arbeiter diesen Betrug nicht klar sehen, weil der Verrat sich hinter der Scheinopposition der “linken” Sozialdemokraten versteckt. Wir müssen die Arbeiter besonders darauf aufmerksam machen, daß die Stärke der “linken” sozialdemokratischen Führer gerade in ihrem Bestreben liegt, die radikalen Stimmungen der wirklich oppositionellen Arbeiter in Worten wiederzugeben, während sie praktisch alle Handlungen des Parteivorstandes durchfuhren. Ich glaube, man kann in Verbindung damit von dieser Stelle aus feststellen, daß schärfer als die "Leipziger Volkszeitung" kaum ein anderes sozialdemokratisches Blatt in Deutschland den Kampf gegen die Sowjetunion aufgenommen hat.

Genossen! In welcher Linie und in welcher Richtung müssen wir den Kampf gegen die Gesamt-SPD führen? Wir haben drei Hauptaufgaben:

1. Unseren Kampf gegen die gesamte SPD.

2. Unsere Stellung zu den “linken” Führern.

3. Unsere Stellung zu der proletarischen Opposition, die in der SPD vorhanden ist.

Was die Kampfaufgaben gegen die gesamte SPD anbetrifft, so ist es notwendig, hier den bürgerlichen Charakter der SPD in allen Fragen aufzuzeigen, insbesondere ihre Rolle als kleinbürgerliche “Arbeiter”partei.

Wir müssen einen unerbittlichen Kampf führen für die Entlarvung der sozialdemokratischen Führer, für ihre Vertreibung aus der der Arbeiterbewegung. Das ist unsere Hauptaufgabe. Wenn ich heute nicht von einer Vernichtung der SPD spreche, so deswegen, weil die SPD erst dann vernichtet wird, wenn die Arbeiterklasse den Kampf um die politische Macht aufnimmt und durchführt. Wir haben deswegen die sozialdemokratischen Arbeiter aufzuklären, um die sozialdemokratischen Führer aus der Arbeiterbewegung zu vertreiben.

Aber die Partei ist immer noch nicht genügend fest und nicht genügend theoretisch fundiert. Noch immer existiert nicht das richtige Verständnis dafür, daß wir mit einer richtig angewandten und elastischen Einheitsfronttaktik versuchen müssen, viel mehr zu leisten, daß wir unermüdlicher, stärker und schärfer aufzutreten haben, wenn wir die uns zur Durchführung der proletarischen Revolution gestellten Aufgaben ernsthaft erfüllen wollen.

Vor dem "Offenen Brief"[9] bestand in der Partei eine bestimmte Methode der Knüppelpolitik. Heute sehen wir in Verfolgung der Linie des "Offenen Briefes" eine große Wendung. Aber das genügt keinesfalls, um die sozialdemokratischen Arbeiter von den Reformisten loszureißen. Dazu gehört mehr, dazu gehört die Überzeugung in den eigenen Reihen, welche Bedeutung, welchen faktischen Nutzen die Gewerkschaftsarbeit hat. Genossen, auf diesem Gebiete liegt die große, die folgenschwerste, die empfindlichste Schwäche unserer Politik. Weil durch die Tätigkeit in den Gewerkschaften, die sich auf die Betriebe überträgt, die Kämpfe geführt werden, weil die Gewerkschaften noch unter Leitung der Reformisten sind, müssen wir sie zu den Ausgangspunkten unserer revolutionären Arbeit machen. Wir müssen unter allen Umständen vermeiden, in den Ton zu verfallen, als bedeute die Anwendung der Einheitsfronttaktik die Gleichsetzung der sozial-demokratischen Arbeiter mit der Kommunistischen Partei. Zwar sind die sozialdemokratischen Arbeiter unsere Klassenbrüder, aber solche, die Irrtümer begehen, die falsche Auffassungen haben, die von den sozialdemokratischen Führern verblendet sind.

Wir müssen sie bekehren - aber nicht mit dem Knüppel, sondern durch kameradschaftliche Überzeugung, um sie in die revolutionäre Klassenfront einzugliedern. Ich betone dies so scharf von dieser Stelle aus, weil es Genossen gibt, die glauben, daß sich die Revolution von selbst entwickelt. Wir sind der Faktor, der Motor, der das Tempo der revolutionären Entwicklung beschleunigen muß. Dieses Tempo wird nicht nur beschleunigt durch die Kommunisten in unserer Partei, sondern wir müssen es beschleunigen durch die Aufrüttelung derjenigen Arbeiter, die ungewollt den Klassenkampf behindern, indem sie durch die Unterstützung der sozialdemokratischen Politik die kapitalistische Stabilisierung stärken.

Zweitens müssen wir den schärfsten Kampf führen gegen die “linken” sozialdemokratischen Führer, weil sie durch ihre Scheinopposition den wirklichen Verrat decken. Wir sind verpflichtet, überall im Reiche vorzugehen wie im Wahlkampf in Sachsen, wo es uns gelungen ist, in einer überaus schwierigen Lage große Erfolge gegen die “linke” SPD zu erringen. In Schlesien, im Ruhrgebiet, in Baden, in Berlin müssen wir verstehen, unter den Arbeitern den Verrat der “linken” SPD-Führer zu zeigen. In Verbindung damit ist es notwendig, in jeder gegebenen Situation abzumessen, ob es zweckmäßig ist, die sozialdemokratischen Arbeiter in der SPD zu lassen oder sie auf das schnellste in die Kommunistische Partei zu bringen. Das hängt ab von der Situation, von bestimmten Dingen, Möglichkeiten, die zu prüfen sind. Aber Grundsatz muß sein, nicht nur Aufklärung in die Reihen der sozialdemokratischen Arbeiter zu tragen, sondern, nachdem sie sich geistig in die revolutionäre Front gestellt haben, sie auch organisatorisch in die Kommunistische Partei zu überführen.

Gegenüber der “linken” SPD besteht unsere Aufgabe gerade darin, nicht an die Illusionen der sozialdemokratischen Arbeiter anzuknüpfen, wie es zum Beispiel Brandler auf dem Leipziger Parteitag zum Ausdruck brachte, sondern diese Illusionen im harten Kampf, in schärfster Abgrenzung von der SPD zu liquidieren. Das ist die große Aufgabe, die wir uns in Verbindung mit der Einheitsfronttaktik zu stellen haben.

Die dritte Hauptfrage, die in unserem Kampfe gegen die SPD große Bedeutung hat, ist unsere Stellung zur proletarischen Opposition in der SPD. Obgleich diese Opposition noch nicht stark ist, müssen wir doch alle ihre Entwicklungsformen sorgfältig fördern. Ich erwähne besonders:

1. Die Arbeiterdelegationen nach der Sowjetunion, die in der Mehrheit aus sozialdemokratischen Arbeitern zusammengesetzt waren;

2. 137 Arbeiter der SPD, die an dem Kongreß der Werktätigen teilnahmen;

3. die neuere Spaltung in der Berliner Arbeiterjugend, die die Stärke dieser Opposition zeigt;

4. die stellenweise, wenn auch noch schwachem Opposition im Reichsbanner;

5. die Einheitsfrontbewegung, die zum Ausdruck kommt in der Bildung der verschiedenen Einheitskomitees, in der Gewerkschaftsopposition, in den Rußlandkomitees.

Diese revolutionäre Arbeiteropposition ist zum großen Teil bereits von unserer Politik überzeugt. In der Beurteilung der Sowjetunion, in der Frage des Imperialismus steht sie auf unserem Boden, sie kämpft mit uns für die internationale Gewerkschaftseinheit, gegen die reformistische Gewerkschaftsbürokratie.

Wir müssen diese Arbeiteropposition gewinnen, ihren Vormarsch mit allen zweckmäßigen Mitteln unterstützen. Je nach der Situation in den einzelnen Gebieten wird diese Aufgabe verschieden sein. Ich kann hier nur einige Grundgedanken dafür anführen:

1. Das direkte Herantreten an oppositionelle Arbeiter überall, wo sie sich zeigen;

2. Fühlungnahme in einzelnen Orten, Industriegebieten und, wenn möglich, auch ganzen Bezirken;

3. Ausbau der organisatorischen Verbindung mit den Oppositionellen über die Köpfe der “linken” und rechten SPD-Führer der Gewerkschaften hinweg;

4. unsere Zeitungen müssen den richten Ton für die Gewinnung dieser SPD-Arbeiter finden. Nicht nur in der Arbeit, in den Betrieben und in den Gewerkschaften, sondern auch in der Presse muß dieser richtige Ton herrschen.

Und zum Schluß müssen die Bezirksleitungen und alle Arbeiter in den Betrieben aufmerksam solche Strömungen beobachten, weil sie eine große Bedeutung für das Wachstum der kommunistischen Bewegung haben.

In Verbindung damit steht unsere politische Arbeit in den Gewerkschaften. Die stärkste Wurzel für die Lebensfähigkeit der Sozialdemokratie liegt in dem großen Einfluß, den sie in den Gewerkschaften und in den Betrieben hat. Wir müssen diesen Einfluß brechen, weil wir die Arbeiter in Kämpfe bringen müssen und weil wir diese Kämpfe nicht allein einleiten können. Wie war es während des englischen Bergarbeiterstreiks? Konnten wir die Massen allein mobilisieren? Wenn die Opposition innerhalb unserer Partei behauptet, daß wir nicht unsere ganze Aufmerksamkeit auf diese Frage gerichtet hätten, so können die Genossen im Ruhrgebiet ein Lied davon singen, welche Anstrengungen wir gemacht haben, um die Arbeiter aus den Betrieben herauszubringen. Aber der Einfluß unserer Genossen in den Betrieben und Gewerkschaften war noch zu gering. Deshalb ist die Hauptaufgabe unserer Partei die Arbeit in der Gewerkschaftsbewegung.

Die freien Gewerkschaften sind die Arena, auf deren Boden der Kampf zwischen SPD und KPD entschieden wird. Vom Ausgang dieses ungeheuer schweren Kampfes wird die Zukunft der deutschen Revolution abhängen. Gerade in der jetzigen Periode der relativen Stabilisierung haben die Gewerkschaften eine erhöhte Bedeutung, weil sie die breiteste elementarste Massenorganisation des deutschen Proletariats sind.

Genossen! Wir müssen die Gewerkschaften zu wirklichen Kampforganisationen machen, sie innerlich umbauen, nicht vom Standpunkt ihres organisatorischen Aufbaus, sondern ihres politischen Inhalts. Wir müssen sie zum Klassenkampfwerkzeug gegen die Offensive des Kapitals machen. Die reformistischen Führer tun alles, um die Gewerkschaften zu Hilfstruppen der Unternehmer, zu Anhängseln des kapitalistischen Staates zu machen. An einem Beispiel sehen wir das besonders drastisch.

Warum schließt man die SPD-Arbeiter aus, die in der Sowjetunion waren, warum die, die in den Gewerkschaften Opposition machen? Weil die Reformisten die “Ansteckung” der Massen durch die Ideen dieser oppositionellen Genossen fürchten, weil die Stimmung für die Opposition in den Reihen der SPD-Arbeiter größer ist, als wir selbst annehmen.

In Verbindung mit der Gewerkschaftsarbeit müssen wir den Massen zeigen, wie die Führer alles anwenden, um die Massen zu betrügen, wie sie jeden ernsten Kampf um die Verbesserung der Lebenslage der Arbeiter verhindern. In der Zeitschrift des ADGB stand folgendes:

Die Gesamtwirtschaft dem Gesamtwohl der Menschheit dienstbar zu machen kann nicht der Kampf um den Anteil am Arbeitsertrag, am Profit sein, sondern die demokratische Mitwirkung am Staat und an der Wirtschaft.

Also, man macht die Frage des Arbeitslohns abhängig von den Interessen der kapitalistischen Wirtschaft. Das ist die theoretische Ablehnung jedes Lohnkampfes.

Der Sohn Kautskys hat kürzlich einen Artikel über den Mechanismus der kapitalistischen Produktionsweise in der Sammlung "Der lebendige Marxismus" geschrieben. Darin sagt er folgendes:

Der kapitalistische Mechanismus setzte sich mit Elementargewalt durch, und alle Experimente bewiesen nur die Unzweckmäßigkeit der barbarischen russischen Methoden. Denn sowenig die Behinderung des Mechanismus zur Beseitigung des Systems führt, so sicher führt sie zur Hemmung der wirtschaftlichen Entwicklung. An dieser ist das Proletariat doppelt interessiert, in der Gegenwart, weil nur eine aufstrebende Wirtschaft ihr verbesserte Lebens- und Kampfesmöglichkeiten bietet, in der Zukunft, weil jede Weiterentwicklung des Kapitalismus einen Schritt zum Sozialismus darstellt.

Das ist die Theorie der Sozialdemokratie. In der gegenwärtigen Situation, wo sich die Gegensätze zwischen Proletariat und Imperialismus zuspitzen, in der Epoche des absterbenden Kapitalismus wo das Proletariat den Kapitalismus niederschlägt, versucht der Sohn Kautskys nachzuweisen, daß das Proletariat einen großen Fortschritt auf dem Wege des Hineinwachsens in den Sozialismus macht, wenn es den Kapitalismus unterstützt.

Ähnlich ist es in der Frage der Arbeitszeit. Auch in der Frage der Arbeitszeit sehen wir, daß sich die Gewerkschaftsbürokratie keineswegs scheut, ganz offen zu schreiben, daß sie für die Oberstundenwirtschaft ist. In einer Nummer des "Vorwärts" stand ein sehr bemerkenswerter Artikel über den Achtstundentag, in dem es unter anderem heißt:

Die sozialdemokratische Fraktion hat während der zweitägigen Auseinandersetzung über die Arbeitszeit keinen Zweifel darüber gelassen, daß sie ihre ganze moralische Autorität einsetzen werde, um überall dort zur Mehrleistung, zur Mehrerzeugung zu kommen, wo es im Interesse der deutschen Wirtschaft erforderlich ist.

Genossen! Wann ist vom Standpunkt der Bourgeoisie eine Mehrleistung nicht erforderlich? Sie ist immer erforderlich. Also, hier besteht nicht der geringste Unterschied zwischen Bourgeoisie und Sozialdemokratie.

Ich will, was die Gewerkschaftsfrage anbetrifft, erklären, daß wir zwar seit dem "Offenen Brief" in der Gewerkschaftsarbeit ernste Fortschritte gemacht haben, daß die Tätigkeit unserer Gewerkschaftsfraktionen gesteigert worden ist, daß wir eine Anzahl Positionen erobert, eine Reihe von Erfolgen erzielt haben, daß aber andererseits doch noch eine große Reihe von Fehlern zu verzeichnen ist. Wenn es zum Beispiel in Süddeutschland möglich war, daß ein kommunistischer Betriebsrat seine Zustimmung zu einer Lohnreduzierung von 20 Prozent gab, und ähnlich in Oberschlesien ein kommunistischer Betriebsrat es zuließ, daß die Löhne herabgesetzt wurden, so muß von dieser Stelle noch einmal nachdrücklichst auf die schreiende Unzulänglichkeit unserer Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit hingewiesen werden. Solche Fehler diskreditieren nicht nur diese Genossen im Betrieb, sondern sie diskreditieren die ganze Partei vor den Augen der Arbeiterklasse. Die Sozialdemokratie nutzt diese Fehler aus und macht unseren Genossen große Schwierigkeiten. Bei den jetzt stattfindenden Betriebsratewahlen zeigt es sich, daß wir dort, wo unsere Genossen im Betrieb rücksichtslos den Kampf gegen den Kapitalismus aufgenommen haben, wo sie sich gegen die SPD abgegrenzt haben, die glänzendsten Erfolge haben. Dort, wo das nicht geschehen ist, sehen wir, daß die Betriebsratewahlen ein negatives Ergebnis haben. Genossen, eine unserer größten Schwächen besteht darin, daß wir nicht verstanden haben, die politischen Erfolge der verschiedenen Kampagnen, die die Partei geführt hat, organisatorisch auszunutzen. Wurden die Erfolge der Volksentscheidskampagne, des Kongresses der Werktätigen usw. genügend organisatorisch ausgenutzt? Keineswegs. Diese Schwäche muß im kommenden Jahr unbedingt beseitigt werden.

Die Frage der Lohn- und Arbeitszeitkämpfe wird in der nächsten Zeit eine große Rolle spielen. Wir sehen, daß das Jahr 1927 große Möglichkeiten schafft, um wirklich die Arbeiterschaft in entscheidende Wirtschaftskämpfe hineinzubringen. Heute schon sind einer Million Arbeitern die Tarife gekündigt. Kündbar sind sie weiter bis Ende März für 900 000 Arbeiter, bis Ende April für weitere 550 000 Arbeiter. Alles in allem werden im ersten Halbjahr 1927 ungefähr drei bis vier Millionen Arbeiter in Lohnbewegungen hereingezogen. Was bedeutet das? Wenn die Partei eine stärkere Kraft in den Gewerkschaften wird, können wir in den Prozeß der relativen Stabilisierung gewaltige Breschen schlagen.

Ein paar Worte noch zu der Arbeit unter den Mittelschichten.

Bei dieser Arbeit haben wir Anknüpfungspunkte auf den verschiedensten Gebieten, so zum Beispiel in der Frage des Steuerdrucks, in der Frage der Mieterhöhungen usw. Desgleichen ist es uns gelungen, unter den Bauernschichten Einfluß zu gewinnen, deren wirtschaftliche Lage durch die Agrar- und Industriezölle außerordentlich erschwert ist.

Ich nehme an, daß in der Diskussion noch besonders über die Betriebsarbeit gesprochen wird. Die innerparteilichen Auseinandersetzungen in den Betriebszellen müssen aufhören, und wir müssen an die Lösung der Tagesfragen herangehen.

III

Ich komme jetzt zum Schluß des Referats, zur Generallinie unserer Politik. Wenn man die Vielseitigkeit und die Kompliziertheit unserer Aufgaben betrachtet, von denen ich hier nur die wichtigsten zeigen konnte, so glaube ich, wird jeder Delegierte die Größe unserer Arbeit, die wir in der kommenden Periode zu leisten haben, erkennen. Im Mittelpunkt unserer ganzen Tätigkeit stehen in Zukunft die Tageskämpfe der deutschen Arbeiterbewegung. Die Generallinie der Partei ist uns durch den "Offenen Brief" gegeben, und die letzten Kominternbeschlüsse haben gezeigt, in welcher Weise diese Linie durchzuführen ist. Sie besteht vor allem in der richtigen Anwendung der Einheitsfronttaktik zur Gewinnung der Mehrheit der deutschen Arbeiterklasse, zur Organisierung des Abwehrkampfes, zur Organisierung der proletarischen Revolution. Auch in Deutschland stehen uns wirklich große proletarische Massenkämpfe bevor. Die Arbeiterklasse revolutioniert sich. Der Einfluß der sozialdemokratischen Führerschaft wird schrittweise zurückgedrängt. Der Übergang breiter Arbeiterschichten zum Kommunismus vollzieht sich in verschiedenen Formen.

Es gilt die Erfüllung unserer Aufgaben durch entschlossene Durchführung der Einheitsfronttaktik zu beschleunigen und die Herausbildung des linken Flügels mit allen Mitteln zu fördern. Wir können das natürlich nur tun, wenn wir unsere politische Linie von allen opportunistischen Abweichungen frei halten. Darum führen wir jenen großen und schweren Kampf gegen alle unbolschewistischen Tendenzen und Gruppierungen in unserer Partei. Der Sieg der “Ultralinken” wäre geschichtlich von großer Tragweite gewesen. Hätten die “Ultralinken” in diesem Kampfe gesiegt, wäre die größte Kommunistische Partei Westeuropas heute ein Instrument der Feinde der Sowjetunion.

Es ist notwendig, dabei zu erklären, daß wir keineswegs vergessen sollen, daß opportunistische Gefahren und rechte Abweichungen sich aus der ganzen Lage objektiv für die Kommunistische Partei ergeben werden. Wir werden niemals, nachdem wir den Kampf gegen die “ultralinken“ Abweichungen beendet haben, irgendwelche Konzessionen nach der rechten Seite oder den rechten Tendenzen gegenüber machen. In dem geraden Kurs der bolschewistischen Entwicklung liegen die Erfahrungen, die die deutsche Partei hinter sich hat. Wir haben aus dem Jahre 1923 gelernt. Die Auseinandersetzungen, die später in der Partei stattfanden, haben sie auf ein höheres Niveau gebracht und die Wichtigkeit der Anwendung der Einheitsfronttaktik auch in ihre Reihen eingehämmert. Die im Herbst 1923 angewandte “Einheitsfronttaktik” zeigte sich als eine Koalitionspolitik mit der Sozialdemokratie. Als Brandler damals in Chemnitz war, als es sich darum handelte, ob die sächsische Arbeiterschaft in den Generalstreik tritt oder nicht, machte er den Kampf von der Mitwirkung der Sozialdemokratie abhängig. Das lag in seiner allgemeinen falschen Einstellung zu den Grundsitzen des Klassenkampfs, zur Rolle der Kommunistischen Partei, zur Leninschen Staatstheorie. Ruth Fischer und Maslow begingen andere politische Fehler. Sie schlugen einen Kurs ein, der seine Passivität durch scheinradikale Losungen verdeckte. Wir erklären, die Einheitsfronttaktik bedeutet nicht die Aufgabe unseres kommunistischen Standpunktes, bedeutet nicht die Liquidierung der Kommunistischen Partei zugunsten der Sozialdemokratie, sondern ist im Gegenteil eine Methode zur Gewinnung der Massen für die Aufgaben der Revolution und die höchste Entfaltung ihrer Aktivität.

Unser XI. Parteitag muß im Zeichen zweier Generalaufgaben stehen:

1. der inneren Konsolidierung der Partei;

2. des Kampfes um die Führung der deutschen Arbeiterklasse durch die Kommunistische Partei.

Dieser Kampf muß sich zwischen uns und der Sozialdemokratie entwickeln. Er tritt in ein aktives Stadium, und in diesem Stadium haben wir uns neue Aufgaben zu stellen. Wir müssen neue Kader schaffen, neue Funktionäre heranbilden, unsere Partei mit frischem, lebendigem Blut füllen, um die Avantgarde des deutschen Proletariats zu verstärken.

Gerade in der jetzigen ernsten Situation müssen wir alle Kräfte zusammenreißen. Jeder Kommunist muß das größte Verantwortungsgefühl haben. Wir müssen rücksichtslose Selbstkritik üben, um daraus die Konsequenzen für die richtige Anwendung unserer Politik zu ziehen. Die Partei als Ganzes muß lernen, denken und fühlen mit den Arbeitermassen und mit ihnen und für sie wirklich handeln. Es gilt jetzt, unsere eigenen Reihen fester zusammenzuschließen und die vollständige Geschlossenheit der Partei zu sichern, um unsere Arbeiten zu erfüllen.

Angestrengteste kollektive Arbeit ist notwendig, sowohl in der zentralen Führung der Partei wie in ihren einzelnen Leitungen. Die Richtigkeit der Linie unserer Politik muß allen Genossen klarwerden. Nicht nur die Kommunisten müssen überzeugt sein von der richtigen politischen Linie, sondern wir haben die Aufgabe, das deutsche Proletariat von der Richtigkeit unserer Politik zu überzeugen, um dadurch die Grundlagen des Sieges der proletarischen Revolution zu schaffen. Von uns hängt es in erster Linie ab, das Tempo der revolutionären Entwicklung zu beschleunigen, indem wir es verstehen, die Arbeitermassen in die kommenden Kämpfe hineinzuführen.

Deswegen sage ich zum Schluß: Wenn wir die Avantgarde des Proletariats sein wollen, wenn wir unsere historischen Aufgaben erfüllen wollen als die einzige revolutionäre Partei des deutschen Proletariats, dann müssen wir auch zwischen zwei Wellen der Revolution zeigen, daß wir imstande sind, den revolutionären Mut und den Glauben an die eigene Kraft in das Proletariat hineinzubringen. In unseren eigenen Reihen mehr Selbstvertrauen! In unseren eigenen Reihen mehr Entschlossenheit! In unseren eigenen Reihen mehr Energie! In unseren eigenen Reihen mehr Tätigkeit! Und nach dem Parteitag Schluß mit der innerparteilichen Diskussion! Vorwärts zu den neuen Aufgaben, zu neuer Arbeit im Interesse des Sieges der deutschen proletarischen Revolution!

 

 

 

 

 



[1]. Cf. http://www.deutsche-kommunisten.de/Ernst_Thaelmann/Band1/thaelmann-band1-054.shtml.

[2]. Der “Internationale Kongreß gegen Imperialismus und koloniale Unterdrückung“ tagte vom 10. bis 14. Februar 1927 in Brüssel. Es waren 147 Delegierte aus 37 Ländern anwesend, die 134 Organisationen vertraten. Der Kongreß, der im Zeichen der Solidarität mit dem kämpfenden chinesischen Volk stand, war ein bedeutender Schritt auf dem Wege der Vereinigung der Arbeiter und der unterdrückten Völker der ganzen Welt zum Kampf gegen den Imperialismus und gipfelte in der Gründung der “Liga zum Kampf gegen den Imperialismus und für nationale Unabhängigkeit”.

[3]. Gemeint ist die vom "Vorwärts" am 5. Dezember 1926 eröffnete Hetzkampagne gegen die Sowjetunion. Das Zentralorgan der SPD übernahm “Enthüllungen“ über angebliche Waffenlieferungen der Sowjetregierung an die Reichswehr, die von den rechten sozialdemokratischen Führern in die englische bürgerliche Zeitung "Manchester Guardian" lanciert worden waren, um sie glaubhafter zu machen.

[4]. Ludwig Quessel.

[5]. Max Hoffmann.

[6]. Ludovico D’Aragona. Zunächst einer der Führer des reformistischen Flügels der italienischen sozialistischen Partei, ging jedoch Mitte der zwanziger Jahre zum äußersten rechten Flügel über und unterstützte aktiv Mussolini.

[7]. Oskar Hergt (DNVP).

[8]. W. I. Lenin, "Der Imperialismus und die Spaltung des Sozialismus", Berlin, Dietz, 1954. S. 4.

[9]. Gemeint ist der "Offene Brief" des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale an alle Organisationen und die Mitglieder der KPD, der in der "Roten Fahne" vom 1. September 1925 veröffentlicht wurde.