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Ernst Thälmann

7. (erweitertes) Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale:
Für den Sieg des Sozialismus in der Sowjetunion

11. Dezember 1926

(Auszüge)

 

 

Quelle:

Protokoll, Erweiterte Exekutive der Kommunistischen Internationale, Moskau, 22. November-16. Dezember 1926. S. 728‑744.

Andere Quelle:

Ernst Thälmann: Reden und Aufsätze zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung - Band 1 - Juni 1919‑November 1928. Berlin, Dietz, 1956[1].

 

 

 

 

 

 

Erstellt: Januar 2013

Druckversion
KPD 1918-1945 - Inhalt

 

 

 

 

 

 

Bevor ich auf das Wesen der Sache eingehe, erlaube ich mir vier Vorbemerkungen:

1. Genosse Trotzki hat in seinen Ausführungen behauptet, daß Genosse Ercoli und ich zu dem Antrag des Genossen Riese, die Vertreter der russischen Opposition sollten hier zu Worte kommen, in einem Ton gesprochen hätten, der nicht in Einklang zu bringen sei mit dem Leitartikel, der in der "Prawda" am Tage nach der Rede des Genossen Sinowjew erschien. Ich möchte feststellen, daß gerade durch das Auftreten der drei Oppositionsführer hier im Plenum der Leitartikel der "Prawda" gerechtfertigt wird. Das Auftreten der oppositionellen Führer war ein fraktionelles Auftreten, und die Behauptung der "Prawda", daß sie hier eine internationale Plattform gegen die Komintern vor-gelegt hätten, trifft vollkommen zu.

2. Ich will versuchen, die ernsten Probleme nicht vom Standpunkt der Zitatenschusterei zu behandeln, wie das Genosse Sinowjew getan hat, sondern an Hand der praktischen revolutionären Arbeit der Sowjetunion, Deutschlands und der ganzen Internationale.

3. Die Kommunistische Partei Deutschlands hat in ihrer Arbeit am schwersten unter der Zersetzungsarbeit der russischen Opposition gelitten. In ihren Reihen wurde der Kampf am schärfsten ausgefochten, aber sie hat auch in diesem Ringen die Opposition geschlagen.

4. Der Vorstoß des Genossen Sinowjew und anderer Genossen war ein Angriff auf die Basis der Komintern, auf der Genosse Sinowjew seit langen Jahren als Vertreter der KPdSU(B) stand, die er aber vollständig verlassen hat. Alle Reden, sowohl des Genossen Trotzki wie besonders des Genossen Kamenew, und ihr Auftreten zeigten abermals, daß sie das Leninsche Fundament der Komintern zertrümmern wollen. Aber dieses Fundament steht fest, ohne Trotzki, Kamenew usw.

Die Debatte hat bereits gezeigt, und die Abstimmung wird es noch ergeben, daß nicht das Leninsche Fundament der Komintern, sondern die falschen Ideen des Oppositionsblocks zertrümmert wurden.

Alle Vertreter der Opposition handelten mit vollem Bewußtsein gegen die Entscheidung der KPdSU(B), sie setzten hier in verschärfter Form ihren alten Kampf fort, den sie mit der bekannten Erklärung vom 16. Oktober 1926 nicht aufgegeben haben. Sie appellierten an die Komintern gegen die Beschlüsse des XIV. Parteitages, des Juni-Plenums und der XV. Parteikonferenz der KPdSU(B), denen sie sich in Worten gefügt, aber die sie in Wirklichkeit niemals anerkannt haben. Sie appellierten an die Komintern und glaubten, daß sie hier unter den Delegierten, die zu den Grundproblemen der proletarischen Diktatur in Verbindung mit der “russischen” Frage Stellung nehmen, ihren schädlichen Einfluß ausüben könnten. Sie handelten nicht aus eigener Initiative, sondern auf Beschluß der gesamten Führergruppe des Oppositionsblocks.

Genosse Sinowjew sprach hier im Namen des Genossen Trotzki und im Geiste des Trotzkismus. Zum ersten Male sprach Genosse Sinowjew vor dem internationalen Plenum nicht im Auftrage seiner Partei, wie es sonst bei den Kongressen und erweiterten Exekutiven der Komintern der Fall war, sondern ganz offen gegen seine Partei, gegen die KPdSU(B).

Die KPdSU(B), die durch ihre Vertreter gezeigt hat und in ihrer praktischen Arbeit den Beweis erbringt, daß sie den Leninismus verteidigt, sichert, festigt, durchführt, die Partei, die bereits die Opposition geschlagen hat, wird von der Opposition, besonders von Genossen Kamenew, der Fälschung Lenins und der schlimmsten Abweichungen vom Leninismus beschuldigt. Wie die Opposition in der KPdSU(B) jede legale Möglichkeit ausnützt, um die parteilose Bevölkerung gegen die Politik des sozialistischen Aufbaus zu mobilisieren, so wollten die Genossen Sinowjew, Trotzki und Kamenew das Plenum der Komintern als eine internationale Tribüne gegen die KPdSU(B) benutzen.

In Wirklichkeit appellierten sie nicht einmal an die Kommunistische Internationale, an ihre bolschewistischen Kerntruppen, an ihre proletarischen Kräfte, sondern sie appellierten an die Ruth Fischer, Maslow[2] usw., an die zersetzenden und zerstörenden Elemente in der Komintern, an die verschiedenen rechten und “ultralinken” Fraktionsgruppen, was Genosse Sinowjew dadurch bewies, daß er noch wagte zu erwägen, ob man Souvarine als bürgerlichen Korrespondenten in China benützen könnte. Die französische Delegation hat bereits durch ihren Redner genügend aufgezeigt, daß schon die Verbindung Souvarines mit dem syndikalistischen Flügel in der CGTU und die Methoden der Verleumdungen und Beschimpfungen, die sich Souvarine in Frankreich gegen die Sowjetunion erlaubt hat, genügend den Charakter dieses Menschen kennzeichnen, der nicht nur keine politische Plattform kennt, sondern in der schlimmsten, niederträchtigsten, in Worten gar nicht zu kennzeichnenden Weise gegen die französische Partei und gegen die gesamte Komintern heute noch vorstößt. Das zeigt den Charakter dieser Opposition, das zeigt ihre Prinzipienlosigkeit, das zeigt, daß sie keine Basis hat.

Seit dem "Offenen Brief"[3] hat auch die deutsche Opposition ihre Charakterlosigkeit auf allen Gebieten gezeigt. Sie hat auf verschiedenen Gebieten keine genügende Plattform zu den von uns gestellten Aufgaben vorgelegt und ist dabei gegen die Linie der Partei und der Komintern mit noch gemeineren Methoden aufgetreten. In dem Moment, da in der Sowjetunion die Opposition die KPdSU(B) angriff, ging die deutsche Opposition in der KPD zu einer Attacke in der “russischen” Frage über. Interessant ist dabei, daß beide Attacken gemeinsam und gleichzeitig erfolgten. Die russische Opposition ritt ihre Attacke in der Frage des sozialistischen Aufbaus in einem einzigen Lande, die deutsche Opposition gegen unsere Arbeit für die Organisierung der proletarischen Revolution im Westen. Dieser Umstand beweist, daß die beiden Hauptprobleme, die heute vor uns stehen, der sozialistische Aufbau und die internationale Revolution, fest miteinander verbunden sind und untrennbar zusammengehören. Es sind nicht Gegensätze, wie die Opposition aller Schattierungen behauptet, sondern Bestandteile eines einheitlichen revolutionären Prozesses.

Wenn Genosse Kamenew heute hier die Frechheit hat, von der nationalen Beschränktheit der KPdSU(B) zu sprechen, in der Art, wie sie ihre Aufgaben stellt, wie sie den sozialistischen Aufbau durchführt, so sehen wir in der ganzen Entwicklung der KPdSU(B) und besonders heute, daß sie alles tut, um die Kräfte nicht nur im eigenen Lande zu wecken, sondern daß sie ‑ in Verbindung mit allen internationalen Kämpfen, mit allen anderen revolutionären Aufgaben ‑ beweist, daß sie eine wirklich internationale Partei ist. Die Initiative der KPdSU(B) und die Unterstützung des englischen Bergarbeiterstreiks, wie sie durch die sowjetischen Gewerkschaften erfolgte und ihresgleichen in keinem anderen Lande hat, sowie die Unterstützung der chinesischen Revolution sind Beispiele des internationalen Charakters der KPdSU(B).

Die von der Opposition, insbesondere von Genossen Kamenew aufgestellten Behauptungen zeigen bereits die Wurzel dieser Ideologie. Sie scheuen sich nicht, Tatsachen zu leugnen, um ihre eigene Partei zu beschmutzen.

Eine der wichtigsten Fragen, die hier zur Entscheidung und Klärung stehen, ist die Behauptung der Opposition, daß der Aufbau des Sozialismus in der Sowjetunion nicht möglich sei, solange nicht das Proletariat anderer Länder die Macht ergriffen hat.

Ich will an einem Zitat Lenins, das auch von Genossen Sinowjew und Trotzki angeführt, aber falsch ausgelegt wurde, versuchen zu beweisen, welches der wirkliche Sinn ist. Es ist einer der besten Aussprüche Lenins über den Aufbau des Sozialismus. Lenin schrieb in dem Artikel "Über die Losung der Vereinigten Staaten von Europa"[4]:

[...] daß der Sieg des Sozialismus ursprünglich in wenigen kapitalistischen Ländern oder sogar in einem einzeln genommenen Lande möglich ist. Das siegreiche Proletariat dieses Landes würde sich nach Enteignung der Kapitalisten und nach Organisierung der sozialistischen Produktion im eigenen Lande der übrigen, der kapitalistischen Welt entgegenstellen.

In diesem einen Satz sind vier Etappen der proletarischen Diktatur gekennzeichnet. Und wenn Genosse Trotzki hier versucht hat, in seinen Ausführungen dieses Zitat anders auszulegen, als Lenin es 1915 gemeint hat, so will ich versuchen, dieses Zitat im einzelnen so zu erläutern, daß kein Delegierter und selbst nicht die Opposition in der Lage sein werden, daran zu zweifeln, daß in der Theorie die Möglichkeit des Aufbaus des Sozialismus in einem Lande von Lenin bereits 1915 in diesem Artikel bewiesen worden ist.

Genosse Sinowjew versuchte, dieses Zitat ebenfalls zu entkräften, indem er es als ein Bruchstück lächerlich machte, aber gerade dieses Bruchstück enthält die Grundlage der leninistischen Theorie vom Aufbau des Sozialismus in einem Lande und zerschlägt die pessimistischen Auffassungen der Opposition in Bruchstücke. Im Zusammenhang mit diesem Zitat stellte Genosse Sinowjew die Frage: Warum hat unsere eigene Partei, die Kommunistische Partei der Sowjetunion (Bolschewiki), den Sinn des Artikels vom Jahre 1915 erst im Jahre 1925 begriffen? Der Sinn des Leninschen Gedankens vom Jahre 1915 ist von den Bolschewiki nicht nur begriffen worden, sondern er ist der Partei bereits seit zehn Jahren in Fleisch und Blut übergegangen. Was sagt das Zitat im ganzen? Das Zitat enthält vier wichtige Etappen:

Die erste Etappe ist die, von der Lenin sagt, daß der Sieg des Sozialismus zunächst in einigen kapitalistischen Ländern oder sogar in einem einzelnen kapitalistischen Lande möglich sei. Kann das Proletariat in einem Lande die Macht ergreifen? Jawohl, sagte Lenin, das Proletariat kann es, und im Oktober 1917 hat das russische Proletariat die Macht ergriffen. Die Partei und die Arbeiterklasse unter Führung Lenins griffen zu den Waffen und schlugen den blutigen Zarismus, aber Sinowjew und Kamenew desertierten in jener Zeit vor der proletarischen Revolution.

Die zweite Etappe: Kann das Proletariat die Macht gegen die konterrevolutionären Angriffe halten? Jawohl! Vom Jahre 1917 bis zum Jahre 1921! Das war jene Etappe, in der sich die Rote Armee bildete, in der die Partei die Fundamente für den langsamen Übergang zur sozialistischen Wirtschaft schuf und in der sich die proletarische Diktatur langsam befestigte.

Die dritte Etappe, in der wir uns heute befinden, ist die Etappe des Aufbaus des Sozialismus, wie sie Lenin in dem zitierten Satz charakterisiert, in dem er von der Organisierung der sozialistischen Produktion spricht.

Und die vierte Etappe ist die, auf die Lenin hinwies, indem er sagte, daß die militärische Macht der Sowjetunion gezwungen sein wird, gegen die ganze kapitalistische Welt zu kämpfen, jene Analyse, die in unseren Debatten in diesem Plenum eine große Rolle spielte und die zusammen mit den Interventionsabsichten der ganzen kapitalistischen Welt heute wirklich auf der Tagesordnung steht und auch noch in den nächsten Jahren vor uns stehen wird. International gesehen, stehen vor jeder Sektion diese großen, gewaltigen Aufgaben, die die KPdSU(B) in den ersten beiden

Etappen siegreich erfüllt und in der dritten Etappe der proletarischen Diktatur sich als ihre erste und ernste internationale Kampfaufgabe gestellt hat.

Im Jahre 1915 erschien der Artikel, zwei Jahre später, im Oktober 1917, stand der Sieg des Sozialismus nicht nur theoretisch, sondern auch in der Form des Bürgerkrieges auf der Tagesordnung. Damals waren es einige Genossen, die vor den großen Schwierigkeiten des Kampfes zurückschreckten, aber dennoch haben die russische Partei und die russische Arbeiterklasse unter Führung Lenins zu den Waffen gegriffen und den Zarismus niedergeschlagen. In den verschiedenen Etappen der Entwicklung der proletarischen Diktatur gab es ernste Differenzen in der Partei, Differenzen, die sich im Augenblick des Kampfes immer zeigten, wo es darum ging, den Sieg des Proletariats zu erkämpfen und zu sichern! Die Genossen Sinowjew und Kamenew waren im Oktober 1917 nicht überzeugt, daß die bolschewistische Partei stark genug sei, die proletarische Diktatur siegreich durchzuführen; sie zeigten ihren Defätismus, ihren Unglauben, sie zeigten, daß sie daran zweifelten, daß ein bäuerliches Land unter der Führung des Proletariats wirklich in der Lage ist, den Sieg zu erringen.

In der zweiten Etappe, in der die bolschewistische Partei und die Arbeiterschaft zusammen mit den Bauernmassen gegen die konterrevolutionären Angriffe Widerstand leisteten, zeigten sich neue Differenzen zwischen der Opposition und dem Genossen Lenin und seiner Mehrheit in der Partei. Ich denke, daß ich Brest-Litowsk nicht des längeren zu behandeln brauche, wo die “linken Kommunisten” Lenin nicht verstanden[5], nicht verstanden, daß die Revolution einer Atempause bedürfe, um sich zu festigen und frische Kräfte zu sammeln. Führende Vertreter der Opposition waren der Meinung, man müsse den revolutionären Krieg gegen den deutschen Imperialismus unter allen Umständen weiterführen. Lenin aber kämpfte um die Sicherung der proletarischen Revolution.

In der dritten Etappe, in der wir uns heute befinden, das heißt in der Etappe des Aufbaus des Sozialismus, ist das Auftreten der Opposition auf dem XIV. Parteitag, der XV. Parteikonferenz und hier auf dem Plenum der VII. erweiterten Exekutive der Gipfelpunkt ihres Kampfes gegen die KPdSU(B).

In der heutigen Epoche der proletarischen Revolutionen, da sich gerade in der Sowjetunion, dem Lande der proletarischen Diktatur, der Umschwung von der Wiederherstellung zum Neuaufbau vollzieht, fürchtet sich der Oppositionsblock vor den Schwierigkeiten des Aufbaus, glaubt nicht an die Möglichkeiten des Sieges. Dieselbe Panik vor den Gefahren, derselbe schreierische Pessimismus, ähnlich wie 1917, dieselbe Propaganda hinsichtlich der Stärke des Klassenfeindes und der Unterschätzung unserer eigenen Kraft. Die Ausführungen der Opposition auf allen Gebieten laufen darauf hinaus: Das Privatkapital drängt sich überall vor, der Kulak gewinnt immer mehr an Einfluß, auf die Partei stürzt ein Berg von Schwierigkeiten, die Partei beginnt zu entarten, sie beginnt ihre Position aufzugeben, sie schlägt einen anderen Kurs ein usw. Das sind die Gedankengänge dieser Opposition, das ist die trostlose, defätistische Einschätzung der Lage in der Sowjetunion durch die Opposition. Wenn die Opposition die Lage so einschätzt, so ist es auch verständlich, daß Genosse Sinowjew versucht, mit einem Zitat zu beweisen, daß Marx über die Frage des Aufbaus des Sozialismus in einem Lande ganz anderer Meinung war als augenblicklich die Mehrheit in der bolschewistischen Partei. Genosse Sinowjew zitierte einen Brief Marx an Engels, worin unter anderem gesagt wird, daß sogar ein sozialistisches Europa von der kapitalistischen Umgebung wieder verschluckt werden würde, wenn der Kapitalismus in der übrigen Welt noch im Aufsteigen wäre.

Dagegen ist natürlich zu sagen, daß er heute nicht mehr im Aufsteigen ist. Aber ich glaube, man muß diese Tatsache nun auch zur Begründung der Möglichkeit des Sozialismus in einem Lande mit heranziehen und feststellen, daß diese Möglichkeit begründet ist:

1. in der Ungleichmäßigkeit der Entwicklung des Kapitalismus, die im monopolistischen Stadium entscheidend verstärkt ist;

2. in der Tatsache, daß der Imperialismus historisch ein sterbender Kapitalismus, im Weltmaßstabe kein aufsteigender Kapitalismus mehr ist. In dieser Epoche ist es auch einem einzigen Lande - bei ausreichenden materiellen Reserven - möglich, den Sozialismus aufzubauen.

Kurz zusammengefaßt: im ‑ historisch gesehen ‑ aufsteigenden Kapitalismus, vor dem Imperialismus, hätte nur Europa, wahrscheinlich auch dieses nicht, genügt, um den Sozialismus aufzubauen. Heute im Imperialismus, da der Kapitalismus reaktionär ist und den Gipfel seiner Entwicklung überschritten hat, sich zersetzt, teilweise vom Proletariat überrannt wird, ist der Aufbau des Sozialismus auch in einem Lande möglich. Diese Feststellung konnte Marx nicht machen, weil er die Epoche des Imperialismus nicht erlebt hat, sondern ihn erst in seinen Anfängen voraussehen konnte. Das Wesen der Epoche des Imperialismus besteht gerade darin, daß alle wichtigsten kapitalistischen Länder heute imperialistisch sind. Man kann sagen, daß Sinowjew auch in diesem Punkt Lenins Theorie des Imperialismus verdreht.

Wir haben gegenüber Trotzki zu sagen, daß er die günstigen Voraussetzungen, die in der Sowjetunion bestehen, nicht sehen will. Vor dem Kriege war das kapitalistische Rußland ein Bestandteil des europäischen Imperialismus, ein organischer Bestandteil der kapitalistischen Weltwirtschaft. Genosse Trotzki macht hier den größten opportunistischen Fehler. Er vergißt die Unterschiede zwischen dem früheren kapitalistischen Rußland und der heutigen Sowjetunion. Vor dem Kriege hatte Rußland sehr viele Kredite aufgenommen, das ausländische Kapital war an der Industrie sehr stark beteiligt, es wurden internationale Verträge abgeschlossen, die den russischen Imperialismus in die Abhängigkeit des ausländischen Kapitals brachten, was heute keiner mehr bezweifelt. Die russische Armee war ein Instrument des Imperialismus, heute ist eine andere Situation gegeben. Wir wissen, daß heute die Anleihen, die Schulden annulliert sind, daß das Anlagekapital konfisziert und im Bürgerkrieg der Kapitalismus enteignet wurde, daß die Verträge, die heute abgeschlossen werden, keine Abhängigkeit vom Imperialismus bedeuten, sondern zur Verteidigung der proletarischen Festung geschlossen werden.

Ferner haben wir eine Rote Armee in der Sowjetunion, die kein Instrument des Imperialismus, sondern ein Instrument der revolutionären proletarischen Weltarmee ist, die nicht nur die russische Revolution verteidigen, sondern auch mit dem Proletariat der ganzen Welt zusammen marschieren und kämpfen wird. Trotzki versucht, die ernste Entwicklung der Industrie in der Sowjetunion zu ignorieren. Er behandelt den Aufbau des Sozialismus nur in pessimistischem Sinn.

Wir wollen keinesfalls verkennen, daß in der Sowjetunion gewisse Schwierigkeiten bestehen, daß auch die Maßnahmen, die zur sozialistischen Industrialisierung und damit zur Unabhängigkeit der Sowjetunion vom kapitalistischen Weltmarkt führen, gewisse Gefahren bringen. Aber das Wachstum der Industrie in der Sowjetunion in Verbindung mit den Kämpfen der Arbeiterschaft in den kapitalistischen Ländern und der national-revolutionären Bewegung wird natürlich die Konflikte und Widersprüche innerhalb des Kapitalismus erhöhen und die Differenzen in der Ökonomik und Politik auf verschiedenen Gebieten verschärfen. Die Perspektive des Genossen Trotzki, sein Zweifel an der Entwicklung der Produktivkräfte in der Sowjetunion, ist eben der allgemeine Zweifel des Oppositionsblocks an den gewaltigen Kräften des Weltproletariats, an den gigantischen Kräften der russischen Revolution und ihrer Führerin, der KPdSU(B). Diese “Theorie” wurde nicht nur von Genossen Trotzki vertreten, sondern auch von Genossen Sinowjew und heute besonders stark von Genossen Kamenew.

Sie sehen nicht die internationale Entwicklung, sie sehen nicht die Bewegung im Weltmaßstabe, nicht das Wachstum der Kräfte des Weltproletariats, obwohl wir auf diesem Plenum selbst die Fragen der chinesischen Revolution, die Fragen des englischen Bergarbeiterkampfes im Zusammenhang mit der Organisierung der Revolution in allen Ländern ernsthaft behandelt haben. Das bedeutet, daß die Opposition keine revolutionäre Perspektive hat. Genossen, ich glaube, wir können sagen, daß die Perspektive, wie sie hier von Genossen Stalin im Weltmaßstabe gezeigt worden ist, einstimmig von den Delegierten gebilligt werden wird. Das ist nicht eine Perspektive der kapitalistischen Stabilisierung, sondern eine Perspektive des Sozialismus. Wir können ferner sagen, daß der sozialistische Aufbau in der Sowjetunion die Möglichkeiten dafür schafft, daß bei der Zuspitzung der Gegensätze des Imperialismus auch in einem anderen kapitalistischen Lande die Revolution siegreich werden wird. In der Epoche des Imperialismus und der proletarischen Revolutionen ist unsere Perspektive die revolutionäre, die lebendige und die Perspektive der Opposition eine falsche, eine tote, der Revolution entgegenstehende Perspektive.

Die These der Opposition ist: In der Union der Sowjets ist der Aufbau des Sozialismus nicht möglich, bevor das internationale Proletariat die Macht ergriffen hat. Von diesem Gedanken ausgehend propagiert die Opposition: 1. den Thermidor, 2. die Kulakisierung der Parteipolitik, 3. die kapitalistische Entwicklung der Sowjetunion, 4. die Unvermeidlichkeit kommender Krisen in der wirtschaftlichen Entwicklung der Sowjetunion usw.

Bei solch einer Einstellung der Opposition mußte das Plenum erwarten, daß sie hier mit konkreten Tatsachen auftreten wird, mit konkreten Angaben, worin die schädliche Politik der KPdSU(B) und der Komintern besteht. Statt dessen haben wir ein ungeheures Zitatenmaterial bekommen, das sich auf keinen Fall auf die gegenwärtige konkrete Situation bezieht. Deren Hauptmoment ist nicht der aufsteigende Kapitalismus, nicht die Epoche der bürgerlichen Revolutionen, sondern eine Situation des untergehenden Kapitalismus und des Aufbaus einer neuen, sozialistischen Gesellschaft in der Sowjetunion, eine Situation der mehr als neunjährigen Existenz der Diktatur des Proletariats in der Sowjetunion, wo das Proletariat die Wege des Bündnisses mit der Bauernschaft gefunden hat, einer Epoche der Weltrevolution. Warum vergaßen die Genossen Sinowjew und Trotzki, Gedanken von Marx, Engels und Lenin zu bringen, in welchen diese geradezu aufpeitschend optimistisch ihre Hoffnungen auf die revolutionäre Kraft der Arbeiterklasse setzten? Sie vergaßen diese “Kleinigkeit”.

Auf dem IX. Allrussischen Kongreß der Räte im Jahre 1921 sagte Genosse Lenin folgendes[6]:

Haben wir aber angesichts der rückständigen Verhältnisse, unter denen wir in die Revolution eingetreten sind, heute nicht die industrielle Entwicklung, die wir brauchen, sollen wir da etwa verzichten? Den Mut sinken lassen? Nein. Wir werden uns an die schwere Arbeit machen, denn der Weg, den wir beschritten haben, ist richtig.

Ein Zitat, aus dem die Zuversicht an die Möglichkeit des Aufbaus des Sozialismus in einem Land herausklingt!

Ferner schrieb Engels in seinem Vorwort von 1892 zur englischen Ausgabe seines Werkes "Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft"[7]:

[...] wie die Dinge heute liegen, sollte es unmöglich sein, daß Deutschland auch der Schauplatz sein wird für den ersten großen Sieg des europäischen Proletariats?

Das schrieb Engels im Jahre 1892, als die Sozialdemokratie nach der Aufhebung des Sozialistengesetzes gerade legal geworden war! Also eine Perspektive für die siegreiche proletarische Revolution des deutschen Proletariats! Warum verschweigen die Genossen Sinowjew und Trotzki solche Gedanken und bringen nur solche Zitate, die die Möglichkeit des Aufbaus des Sozialismus in einem Lande entkräften sollen?

Ferner: Sechs Monate vor der Pariser Kommune warnte Marx in einem Brief an Engels vor den Gefahren eines isolierten Auftretens des Pariser Proletariats. Aber als es dann darauf ankam zu kämpfen, setzte sich Marx mit aller Entschiedenheit für die Kommune ein, ohne erst die Frage der Unmöglichkeit der sozialistischen Revolution in einem Land zu stellen. Marx fragte damals nicht nach der Möglichkeit des Aufbaus des Sozialismus, sondern sah die gewaltige Kraft des Proletariats, mit der die Bourgeoisie geschlagen werden sollte!

Genosse Kamenew hat heute in seiner Rede verschiedene Streitfragen wieder aufgerollt, die bereits auf dem XIV. Parteitag eine Rolle gespielt haben. Er hat versucht, die statistischen Zahlen, die den Aufschwung der Sowjetunion beweisen, zu verschweigen, die positiven Seiten zu übergehen.

Daß die Entwicklung nicht zum Niedergang, sondern zum Aufstieg führt, zeigen folgende Zahlen: Die Löhne sind in den letzten drei Jahren um etwa 40 Prozent gestiegen, die Wirtschaft ist bis zur Vorkriegshöhe wiederhergestellt; im Jahre 1924 gab es eine Erhöhung von 60 Prozent, im Jahre 1925 eine Erhöhung von 42 Prozent. Die bäuerlichen Wirtschaften ohne Pferde betrugen 1923 40 Prozent der gesamten Bauernwirtschaflen, 1926 war die Zahl auf etwa 26 Prozent gesunken. Diese drei Tatsachen zeigen, daß es mit der Entwicklung vorwärtsgeht, daß die Kräfte sich zugunsten des sozialistischen Aufbaus entwickeln, daß sich das Bündnis des Proletariats mit der gewaltigen Mehrheit der Bauern verstärkt. Diese wenigen Zahlen widerlegen die “Theorie” der Genossen Trotzki, Kamenew und Sinowjew, ihre Zweifel in den Aufbau des Sozialismus. Sie haben kein Zutrauen zu der Kraft der Arbeiterschaft und der Bauern der Sowjetunion und der sie führenden KPdSU(B), wie sie ebenfalls an der ganzen internationalen lebendigen revolutionären Entwicklung und an der leninistischen grundsätzlichen Festigkeit der Kommunisten zweifeln. Selbst ihre eigene Perspektive, verteidigt mit einer “linken” Phraseologie, im Inhalt aber eine rechte opportunistische Linie, zeigt die widerspruchsvolle Seite ihrer Argumentation gegen die Perspektive der KPdSU(B) und der Komintern.

Endlich will ich ein paar Streitfragen zwischen der Opposition und uns auf dem Gebiet der internationalen Politik behandeln.

Auch in den internationalen Fragen vertritt die Opposition gegenüber der Komintern und der KPdSU(B) eine andere Meinung. Sie hat nicht nur mit dem ZK und der gesamten KPdSU(B) Differenzen in den Fragen, wie sie beim Aufbau des Sozialismus in Erscheinung treten, sondern auch in ernsten Fragen, wie sie in England, China und anderen Parteien aufgetaucht sind, hat sie einen anderen Standpunkt. Das Wesen der Opposition zeigt auch hier klarer denn je die Verbindung von “linken” Verzweiflungsgesten mit einer im Wesen rechten opportunistischen Politik, wenn es sich um ernste konkrete Entscheidungen in der Kommunistischen Internationale handelt.

Nehmen wir die Frage des Anglo-Russischen Komitees. Als auf dem V. Weltkongreß die Frage der internationalen Gewerkschaftseinheit stand, gab es Meinungsverschiedenheiten. Ich will nicht verhehlen, daß die deutsche Delegation die Taktik, die der Perspektive in England entsprach, auch nicht sofort verstand. Nachdem die Delegation der KPdSU(B) uns überzeugt hatte, führten wir die Linie der internationalen Gewerkschaftseinheit und die Anwendung der Einheitsfronttaktik mit vollem Ernst durch. Aber können wir die Arbeit der internationalen Gewerkschaftseinheit ohne besondere Instanzen und Organisationen einleiten? Keinesfalls. Die Amsterdamer Gewerkschaftsinternationale existiert, die Profintern[8] existiert, Zwischenglieder sind notwendig, sie sind zu schaffen. Solche Instanzen nur aus Kommunisten bestehen zu lassen würde unserer Bewegung schaden und uns nichts nützen, noch dazu, da die starken sozialdemokratischen Parteien in Westeuropa den größten Widerstand gegen jede revolutionäre Einheitsfronttaktik leisten. Aber um diese starke Sozialdemokratie Westeuropas, das Bollwerk der Amsterdamer, eines der festen Bollwerke des Imperialismus überhaupt, zu schwächen, ihren Einfluß auf die Massen zu mindern, ihre eigenen Reihen zu zersetzen und damit den reformistischen Block zu zertrümmern, müssen wir Zwischenglieder und Organisationen schaffen, auf deren Basis wir die proletarischen Massen in die Kommunistische Partei und in die revolutionäre Front hineinbringen.

Wenn im Anglo-Russischen Komitee die reformistischen Führer im Generalstreik und besonders im Bergarbeiterstreik dazu übergingen, die Bergarbeiter an die Bourgeoisie zu verraten und zu verkaufen - was jeder im voraus wußte - so steht vor uns die Frage: Sollen wir deswegen das Anglo-Russische Komitee auflösen, da doch die gesamte Kommunistische Internationale weiß, daß die Reformisten alles tun, um die Auflösung zu beschleunigen? Warum diese Eile bei den englischen Reformisten? Weil das Anglo-Russische Komitee, obgleich die Thomas usw. die Machtbefugnisse schon wesentlich eingeschränkt haben, insofern noch eine Bedeutung hat, als es 1. die Grundlage unserer eigenen Position nicht schwächt, sondern stärkt, 2. die Gegensätze unter den Reformisten verschärft, 3. eine bestimmte Energie in den kommenden Wirtschaftskämpfen entwickeln kann, die sich unter den Arbeitermassen in England ausbreitet, und 4. ein Instrument war und noch sein wird gegen den englischen Imperialismus, seine blutige Kolonialpolitik und die Interventionsabsichten gegen die Sowjetunion. Wenn einer der oppositionellen Genossen sagte, daß das Anglo-Russische Komitee heute kein revolutionäres Instrument ist, das uns in dem Augenblick, in dem England oder mit ihm andere kapitalistische Vasallenstaaten die Sowjetunion angreifen werden, ernsthaft unterstützt, so ist die Frage so zu abstrakt gestellt. Keiner von uns wird bedingungslos derartiges behaupten, kein Mitglied des ZK der bolschewistischen Partei und kein Delegierter der VII. erweiterten Exekutive. Aber daß das Anglo-Russische Komitee ein Instrument des Imperialismus sein wird, wagt die Opposition nicht zu beweisen. Selbst wenn es für uns nur ein schwaches Instrument ist, so muß man doch dieses schwache Instrument weiterbenutzen, um den Verrat der Reformisten, ihre Linie der Zerstörung der Einheit in der Gewerkschaftsbewegung an den konkreten Tatsachen, an der weiteren Arbeit des Anglo-Russischen Komitees vor den Arbeitermassen aufzuzeigen.

Eine andere Frage, die, wie ich glaube, von den Genossen in der Diskussion wenig berührt wurde, ist die Frage des Austritts der Kommunisten aus der Kuomintang[9]. Genosse Tan Pingschan[10] hat heute morgen erwähnt, daß Dschang Dso-lin[11] erklärt habe: Wenn die Kommunisten aus der Kuomintang austreten, wird er bereit sein, in sie einzutreten. Das ist, ideologisch gesehen, eine sehr interessante Parallele: Dschang Dso-lin und Sinowjew in einer Parallele. Das kann man nicht bestreiten. Dschang Dso-lin war bereit, in die Kuomintang zu gehen, wenn Genosse Sinowjew den Beschluß auf Austritt der Kommunisten aus der Kuomintang in der Komintern durchgeführt hätte. Die ganzen chinesischen Probleme sind für uns zum Teil so neu und so interessant, ihr Fragenkomplex ist so kompliziert, daß wir dort besonders vorsichtig manövrieren müssen. Die gleiche Bedeutung wie das Anglo-Russische Komitee neben der Kommunistischen Partei Englands als einem Zwischengliede zwischen dem Reformismus und der Revolution in England - dieselbe Bedeutung und sogar Notwendigkeit hat die Kuomintang neben der Kommunistischen Partei Chinas als Zwischenorganisation zur Unterstützung der revolutionären Front. Sieht die Opposition das nicht? Das sind Zwischenglieder, die wir benutzen, auf deren Basis wir die revolutionären Kräfte erweitern, stärken, aktivieren. Das nicht zu verstehen kennzeichnet die Verzweiflung der Führer der Opposition, die Schwäche ihres Vertrauens zu den kommunistischen Parteien und zu den revolutionären Kräften des Proletariats.

Genosse Trotzkis Stellung zu Lenin vor dem Kriege ist bekannt, seine opportunistische Haltung zur Politik der KPdSU(B) in den Etappen der proletarischen Diktatur ist hier mehrfach schon gezeigt worden. In den letzten Jahren stand er immer auf dem rechtesten Flügel der Komintern, besonders hat dies unsere deutsche Partei bei der Einschätzung des Oktobers 1923 erfahren. Nach dem sächsischen Oktoberrückzug im Jahre 1923 unterstützte Trotzki die Gruppe Brandler Thalheimer und Radek. Der Rückzug entsprach der objektiven Lage, sagten Radek und Trotzki. Die objektive Situation war jedoch akut revolutionär, und es fehlte nur jener revolutionäre Faktor: eine Kommunistische Partei mit einer wirklichen leninistischen Führung und Theorie, die es in der damaligen Situation verstanden hätte, die Arbeiterschaft durch Teilkämpfe von Monat zu Monat immer mehr bis zum Endkampf zu führen, wie es die bolschewistische Partei mit dem russischen Proletariat von den Februarkämpfen bis zum Oktober durchgeführt hat. Der Oktober 1923 war zum Beispiel für die deutsche Partei eine so ernste revolutionäre Schule, daß wir auf Grund dieser Erfahrungen jene rechte Theorie nicht wieder in unseren Reihen aufkommen lassen und in Zukunft jene Leninsche Staatstheorie vertreten werden, die von der damaligen Parteiführung außer acht gelassen wurde. Unsere Partei hat nicht nur aus dem Oktober 1923 und aus der letzten Diskussion über die “russische” Frage gelernt, sondern auch aus den Fehlern, die in Deutschland seit 1918 bis heute begangen worden sind. Die Geschichte unserer deutschen Partei in den letzten sieben bis acht Jahren begann nicht erst mit dem "Offenen Brief" der Exekutive, sondern mit den ersten revolutionären Kämpfen in Deutschland. Wir sind im Kampfe gegen die rechten Abweichungen gewachsen und stark geworden, und wir sind daher auch in der Lage, heute bei der Diskussion und Entscheidung der “russischen” Frage in der deutschen Partei die Mitgliedschaft gegen die Opposition in Angriffsstellung zu bringen, noch dazu, wo das Wesen der Oppositionsplattform klar erkennen läßt, daß die jetzt von Trotzki, Kamenew und Sinowjew vertretene Abweichung eine sozialdemokratische Abweichung ist.

Alle Sektionen werden es begrüßen, daß wir zum ersten Male in der Lage sind, über die Etappen der proletarischen Diktatur eingehend zu diskutieren und uns zu informieren. Wenn August Bebet in dem Buch "Die Frau und der Sozialismus" über den Zukunftsstaat schrieb ‑ was hat sich damals die Arbeiterklasse dabei vorgestellt? Heute haben wir ein Bild der ersten Entwicklung der proletarischen Diktatur:

1. Kampf um die politische Macht und der mehrere Jahre dauernde Bürgerkrieg;

2. gleichzeitige Entwicklung des Kriegskommunismus;

3. Linie der NÖP und ihre Aufgaben;

4. Aufbau des Sozialismus im jetzigen Stadium.

Alle diese Etappen mit ihren Lehren und ihren gewaltig großen Schwierigkeiten stehen lebendig vor uns in der Kommunistischen Internationale.

Das Wesen der Opposition in Deutschland hat auf allen diesen Gebieten gezeigt, daß sie auch hierin mit der russischen Opposition vollkommen zusammengeht. War sie nicht am Anfang unseres innerparteilichen Kampfes ebenso buntscheckig in ihrer Zusammensetzung wie die russische Opposition? Sinowjew und Trotzki bekämpften sich jahrelang wegen ernster politischer Differenzen; heute hat Trotzki seinen Standpunkt nicht geändert, aber sie gehen bedingungslos zusammen. Man kann das an einem Bilde illustrieren: Wenn die Jungfrau zum Priester geht, dann bleibt der Priester Priester und die Jungfrau Jungfrau. Aber umgekehrt: Wenn der Priester zur Jungfrau geht, dann ist der Priester kein Priester mehr und die Jungfrau keine Jungfrau mehr. Bei Genossen Sinowjew und Trotzki ist ‑ wenn man hier die Genossen gehört hat ‑ ein ähnliches Verhältnis eingetreten. Der Trotzkismus existiere nicht mehr, hat Kamenew gesagt; aber Trotzki lebt noch, auch mit seinem Trotzkismus, wie seine Rede bewiesen hat.

Dieselbe Buntscheckigkeit der Opposition sehen wir in Deutschland.

Ich will nur aufzeigen, wieviel Gruppen wir jetzt schon innerhalb und außerhalb der Partei zu verzeichnen haben. Die erste ausgeschlossene Gruppe ist die Katz-Gruppe; sie hat sich schnell und ohne großes Aufsehen in der Arbeiterschaft erledigt.

Die zweite Gruppe ist die Korsch-Schwarz-Gruppe, die sich außerhalb der Partei in zwei Gruppierungen spaltete. Sie bilden heute zwei konterrevolutionäre Gruppen, die sich untereinander heftig bekämpfen.

Die dritte oder sogar vierte ausgeschlossene Führergruppe ist die Ruth Fischer-Maslow-Urbahns-Gruppe, die allen genügend bekannt ist.

Die fünfte Gruppe ist die Weddinger Opposition.

Die sechste Gruppe ist die Koetter-Gruppe. Die beiden letzten Gruppen sind noch nicht zur offenen Feindschaft gegen die Partei übergegangen. In der Ideologie haben sie eine Linie, die zur Politik der Spaltung der Partei und der Komintern und zur Konterrevolution führen muß, weil sie im Wesen die sozialdemokratischen Argumente gegen die Sowjetunion und gegen die revolutionäre Politik teilen.

Katz, Korsch, Schwarz, Maslow, Ruth Fischer usw. stehen bereits außerhalb der Reihen der Revolution. In Deutschland mußten wir in den sehr ernsten und schwierigen Kämpfen mit diesen Führer-Gruppen, die nicht einmal bereit waren, den Charakter der revolutionären Partei, ihre Disziplin, ihre Grundsätze anzuerkennen, die offenen Parteifeinde ausschließen. In ihren Dokumenten, sowohl in der Erklärung der 700 Funktionäre, als auch im Memorandum der Urbahns- und Weddinger Opposition sehen wir, daß sie in der Beurteilung der ganzen Frage des Aufbaus des Sozialismus einen Standpunkt haben, der sich im wesentlichen nicht von dem Standpunkt der Sozialdemokratie unterscheidet. Wenn sie es auch nicht ganz offen aussprechen, wie die Sozialdemokratie es tut, im Wesen haben sie dieselbe Einstellung. Das zeigt sich in allen ihren Dokumenten. In der berüchtigten Erklärung der 700 sagen sie zum Beispiel: in der KPD herrsche eine

"Atmosphäre der Heuchelei, der Angst, der Unsicherheit, der Zersetzung".

In der Sowjetunion

"demoralisiert man die Arbeiterklasse der ganzen Welt". "Die Atmosphäre in der Komintern ist vergiftet."

Die Folgen des "Offenen Briefes" des EKKI an die KPD seien

"eine vollkommene Desorganisation und Atomisierung der KPD und eine restlose Restaurierung der Rechten".

Der KPdSU(B) wird vorgeworfen, sie vertrete die Theorie,

"daß der Sozialismus in Rußland bis zu Ende in nationaler Selbstbeschränkung aufgebaut werden könne, ohne daß die proletarische Revolution in den fortgeschrittenen Ländern diesen Sieg erst sicherzustellen braucht". (Gemeinsames Memorandum der Weddinger Opposition und der Ruth Fischer-Maslow-Urbahns-Gruppe.)

Zeigen schon diese Zitate einen vollkommen partei- und kominternfeindlichen Geist, eine Einschätzung, die ebenso mit den Tatsachen in Widerspruch steht, wie sie den Klassenfeinden direkten Nutzen bringt, so kommt der sozialdemokratische Charakter dieser Gruppe noch deutlicher in ihrem letzten Memorandum zum Ausdruck, das die jetzt ausgeschlossenen Renegaten diesem Plenum überreicht haben. Darin heißt es:

Die Krisenerscheinungen in der gesamten Kornintern sind permanent geworden. Diese Krisenerscheinungen sind seit 1923 ihrem Charakter nachdeutliche Zeichen des Verfalls und der Zersetzung, nicht aber Zeichen einer Wachstumskrise.

Aus allen diesen Sätzen klingt die Absicht zur Liquidierung, Verleumdung und Bekämpfung der Sowjetunion, der Komintern und der Kommunistischen Partei Deutschlands. Man muß diese antikommunistischen Führer ebenso bekämpfen wie alle anderen Sozialverräter.

Die "Leipziger Volkszeitung" und andere sozialdemokratische Blätter greifen die jetzige Politik des Zentralkomitees der KPdSU(B) besonders an, indem sie den Arbeitermassen vorgaukeln, daß hier in der Sowjetunion eine kapitalistische Entwicklung vor sich gehe, um auf der einen Seite ihre eigene Politik zu verteidigen und andererseits die großen Eindruck erweckenden Berichte der Arbeiterdelegationen in der deutschen Arbeiterklasse abzuschwächen. Wir sehen also in der Ideologie eine Linie bei der Sozialdemokratie und bei der Opposition.

Seit dem Erscheinen des "Offenen Briefes" hatten wir im Kampfe gegen die “Ultralinken” große Schwierigkeiten zu überwinden, und die Partei wurde dabei in ihrer Werbekraft, in ihrer Aktionsfähigkeit bei der Erfüllung der revolutionären Aufgaben geschwächt. Heute glaube ich doch sagen zu können, daß die Arbeiterschaft innerhalb und auch außerhalb der Partei unsere richtige revolutionäre Linie begreift. Zwar gibt es viele Arbeiter, die schon mit der Sozialdemokratie gebrochen haben, aber nicht zu uns kommen, weil unsere Opposition immer davon spricht, daß die Kommunistische Partei sich zur Sozialdemokratie entwickelt, daß wir mit der Sozialdemokratie zusammengehen werden usw. Viele Arbeiter kommen nicht zu uns, weil sie diese Argumente der Opposition überall in den Betrieben, in den Gewerkschaften usw. zu hören bekommen.

Deshalb ist es notwendig, wenn die Kommunistische Partei in Deutschland ihre revolutionären Aufgaben erfüllen will, daß sie diese “ultralinken” Strömungen bis zu Ende liquidiert. Die deutsche Partei befindet sich in einer ähnlichen Lage wie die bolschewistische Fraktion der russischen Sozialdemokratischen Partei im Jahr 1909, als Lenin in seinem Artikel über die Liquidierung des Liquidatorentums schrieb[12]:

Unsere Partei kann nicht vorwärtsschreiten ohne entschiedene Liquidierung des Liquidatorentums.

Diese Aufgabe steht auch heute vor uns. Die Voraussetzung für die Durchführung dieser Aufgabe ist die klare Erkenntnis des parteifeindlichen Charakters der ideologischen Plattform der “Ultralinken”. Dabei dürfen wir niemals vergessen, daß auch der Kampf gegen die rechten Abweichungen und Entgleisungen geführt werden muß, die sich heute schon zeigen und in der kommenden Entwicklung bei der schwierigen Anwendung der Einheitsfronttaktik in der Periode der relativen Stabilisierung, besonders im Kampfe gegenüber der Sozialdemokratie vor uns stehen werden. Wir werden natürlich auf dem Gebiete der Ausdehnung unserer Tätigkeit und Aktionskraft große Schwierigkeiten haben, weil das theoretische Fundament der Partei noch nicht so stark ist, daß solche opportunistischen Abweichungen nicht vorkommen könnten.

Aber die Führung der Partei, der größte Teil der Mitgliedschaft der Partei sind schon so stark, so lebendig, so in sich klar, daß sie neben dem Kampf gegen die “Ultralinken” auch gegen sich zeigende rechte Abweichungen und eventuell entstehende rechte Gruppierungen den Kampf ernsthaft aufnehmen können und aufnehmen werden.

Die Frage, die zu beantworten ist, ist folgende: Sind die “Ultralinken” links vom Bolschewismus oder befinden sie sich bereits auf dem Wege zur Konterrevolution? Es geht hier nicht um einzelne Fragen des Leninismus, sondern um den gesamten Fragen-komplex des Leninismus, um die Grundprobleme der proletarischen Diktatur. Die entscheidende Frage für die internationale Arbeiterbewegung ist die Stellung zur proletarischen Diktatur in der Sowjetunion. Hier scheiden sich die Geister, und sie müssen sich scheiden! Die Stellung zur Sowjetunion entscheidet auch über die Frage, zu welchem Lager man in den Fragen der deutschen Politik gehört, zum Lager der Revolution oder zum Lager der Konterrevolution. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder ist in der Sowjetunion die proletarische Diktatur, dann wird dort der Sozialismus aufgebaut, und man muß daher die Sowjetunion unterstützen, oder aber die Sowjetunion ist ein kapitalistisches Land, dann muß man gegen sie einen Kampf mit allen Mitteln führen. Genosse Stalin hat treffend ausgeführt, wogegen Genosse Trotzki polemisieren zu können glaubte: nimmt man die Opposition in ihrem Mangel an Gewißheit über die Möglichkeit des Aufbaus des Sozialismus ernst, müßten wir notwendigerweise in Opposition zum proletarischen Staat treten. Die Partei würde dann gezwungen sein, wenn sich die Sowjetunion zu einem kapitalistischen Land entwickelt, als Oppositionspartei aufzutreten, falls sie es mit der Revolution ernst meint. Auch von diesem Standpunkt aus verkörpert die Opposition das reine Liquidatorentum, den Verzicht auf die Erhaltung der proletarischen Diktatur. Nach dem Siege der proletarischen Revolution ist der Kampf gegen den Imperialismus gleichbedeutend mit dem Kampf für die Sicherung der proletarischen Diktatur in der Sowjetunion, weil sich alle Anstrengungen des Imperialismus auf den Sturz des einzigen proletarischen Staates konzentrieren. Logischerweise bedeutet die Stellung der Korsch, Schwarz, Maslow und anderer, die mit ihnen zusammengehen, die Kapitulation vor der Sozialdemokratie in der Frage des Imperialismus. Die Theorie des Leninismus ist die Theorie des Kampfes gegen den Imperialismus, seine Helfershelfer und Trabanten. Wer den Kampf gegen den Imperialismus liquidiert, der liquidiert die Rolle der KPD, der KPdSU(B) und der Komintern. Da die ideologische Linie der Opposition zu dieser Liquidierung führen muß, muß das Plenum der VII. erweiterten Exekutive im Zusammenhang mit dieser zersetzenden und unterminierenden Tätigkeit der Opposition nicht nur in der bolschewistischen, sondern auch in der deutschen Partei diese Angriffe einmütig zurückschlagen. In der KPdSU(B) gelang der Opposition dieser Versuch nicht, weil die gesamte Partei sofort den falschen Weg der Opposition erkannte und gegen die Opposition auftrat. Es steht heute fest, daß die russischen Oppositionsführer ohne einen besonderen Anhang, ohne eine Armee, auftraten.

Die wichtigste Aufgabe, die vor uns steht, ist, daß jegliche Fraktionsarbeit, die man jetzt in den verschiedenen Sektionen einzuleiten versuchen wird, unter allen Umständen vereitelt werden muß. Wir haben gesehen, daß die KPdSU(B) es verstanden hat, die Fraktionsmanöver und die Fraktionstätigkeit durch die gesamte Mitgliedschaft und besonders durch die Leningrader und Moskauer Arbeiter zu zerschlagen. Ich glaube sagen zu können, daß die Opposition durch ihr Auftreten vor dem Plenum noch den letzten Einfluß in der KPdSU(B) und auch in der Komintern verloren hat. Anstatt sich der Disziplin und den gefaßten Beschlüssen zu fügen, die von der überwältigenden Mehrheit der Mitgliedschaft in der KPdSU(B) akzeptiert wurden, sind sie trotzdem dazu übergegangen, ihren fraktionellen Vorstoß hier fortzusetzen. Um so bedeutsamer ist es, daß das Plenum in seiner ganzen Geschlossenheit darangeht, die Berge von Hindernissen, die nicht nur hier, beim Aufbau des Sozialismus vor der KPdSU(B) stehen, sondern die auch in den kapitalistischen Ländern vor uns stehen, zu überwinden und zu beseitigen, um im Kampfe vorwärtszugehen, die Lücken der reformistischen Front zu erweitern und die Front der revolutionären Kräfte zu vergrößern.

Die wichtigste Entscheidung, die im Zusammenhang damit steht, muß sein: Einheit und Geschlossenheit in den verschiedenen Parteien und in der ganzen Kommunistischen Internationale. Weg mit jeder zersetzenden Fraktionsarbeit, das ist die Vorbedingung. Aber nicht Einheit und Geschlossenheit verbunden mit einem Manöver, wie es in den Reden der verschiedenen Oppositionsführer zum Ausdruck kam, sondern Einheit und Geschlossenheit mit bolschewistischer Rücksichtslosigkeit gegen die Zerstörer der Einheit und Geschlossenheit. Das muß der Beschluß dieses Plenums und das muß die Linie und Taktik aller Sektionen sein. Dann können wir gewiß sein, daß es uns gelingen wird, im Glauben an unsere Kraft die Wege zu ebnen für die großen Aufgaben, die wir uns hier gestellt haben.

 

 

 

 

 



[1]. Cf. http://www.deutsche-kommunisten.de/Ernst_Thaelmann/Band1/thaelmann-band1-053.shtml.

[2]. Ruth Fischer, Arkadi Maslow. Auf dem Frankfurter Parteitag der KPD im April 1924 bemächtigte sich, nachdem die Gruppe Brandler-Thalheimer von der Führung der KPD entfernt worden war, die Gruppe Fischer-Maslow der Führung in dem neugewählten ZK der KPD. Im Herbst 1925 wurden Fischer und Maslow samt ihren Anhängern von den leitenden Posten in der KPD abgesetzt und 1926 aus der Partei ausgeschlossen.

[3]. Gemeint ist der "Offene Brief" des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale an alle Organisationen und die Mitglieder der KPD, der in der "Roten Fahne" vom 1. September 1925 veröffentlicht wurde.

[4]. W. I. Lenin: Ausgewählte Werke in zwei Bänden, Band 1. S. 753.

[5]. In der Periode des Brester Friedens (1918) forderten Bucharin und die von ihm geleitete Gruppe “linker” Kommunisten zusammen mit Trotzti die Fortführung des Krieges.

[6]. "Bericht des Zentralen Allunions-Exekutivkomitees (WZIK) und des Sownarkom (SNK) an den IX. Allrussischen Sowjetkongreß vom 23. Dezember 1921”; W. I. Lenin, Sämtliche Werke, 4. Ausgabe, Band 33. S. 134, russ.]

[7]. Friedrich Engels, "Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft"; Karl Marx/Friedrich Engels, Ausgewählte Schriften in zwei Bänden, Band 2, Berlin, Dietz, 1955, S. 106.

[8]. Rote Gewerkschaftsinternationale (Profintern), 1921 bis Ende 1937.

[9]. Kuomintang. Politische Partei in China, im Jahre 1912 von Sun Jat-sen zum Kampf für die Republik und die nationale Unabhängigkeit des Landes gegründet. Sun Jat-sen starb am 12. März 1925. In seinem Vermächtnis rief Sun Jat-sen die Kuomintang auf, das Bündnis mit der Kommunistischen Partei Chinas und die Freundschaft zur Sowjetunion zu wahren und die nationale Befreiungsbewegung der Arbeiter und Bauern Chinas zu verbreitern. In der Periode der Entwicklung der Revolution in China in den Jahren 1925 bis 1927 verriet der rechte Flügel der Kuomintang mit Tschiang Kai-schek an der Spitze das Vermächtnis Sun Jat-sens. Im Bündnis mit den Imperialisten ausländischer Staaten führte er den Kampf gegen die von der Kommunistischen Partei geführten demokratischen Kräfte Chinas.

[10]. Andere Umschreibung: Tan Ping-shan.

[11]. Andere Umschreibung: Chang Tso-lin.

[12]. W. I. Lenin: Werke, 4. Ausgabe, Band 15. S. 423, russ.