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Ernst Thälmann

Die Lehren des Hamburger Streiks

8. Oktober 1926

 

 

Quelle:

Hamburger Volkszeitung vom 8. Oktober 1926.

Andere Quelle:

Ernst Thälmann: Reden und Aufsätze zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung - Band 1 - Juni 1919‑November 1928. Berlin, Dietz, 1956[1].

 

 

 

 

 

 

Erstellt: Januar 2013

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KPD 1918-1945 - Inhalt

 

 

 

 

 

 

Das Unternehmerkapital kann sich rühmen, den “Machtstreit”, den es aus diesem großen Streik gemacht hatte, siegreich beendet zu haben. Es kann nunmehr seinen Triumphgesang anstimmen, vorausgesetzt, daß er ihm nicht in der Kehle steckenbleibt. Und bis jetzt gewinnt es fast den Anschein, als ob er ihm in der Kehle steckenbleiben wollte [...]

Ein heldenmütiger Kampf, der ohne Schwanken und Wanken von der Arbeiterklasse in einer Weise durchgeführt wurde, wie ihn irgendeine andere Klasse der bürgerlichen Gesellschaft auch nicht entfernt durchführen könnte, ist an sich schon ein moralischer Erfolg von der höchsten Bedeutung, den nur eine sehr einseitig-schematische Auffassung moderner Klassenkämpfe verkennen könnte[2].

Diese Sätze schrieb Franz Mehring in der "Neuen Zeit" nach dem Abbruch des großen historischen Hamburger Hafenarbeiterstreiks von 1896/1897. Sie gelten auch für den jetzigen Kampf. Der Hamburger Streik von 1926 war ‑ um es mit einem kurzen Wort zu sagen ‑ die erste größere Kampfprobe in Deutschland gegen die kapitalistische Rationalisierung. Seit den Streiks des Winters 1924, die nur die letzten Ausläufer der Oktoberereignisse und die Begleiterscheinungen der Markstabilisierung waren, ist zum ersten Male wieder ein ernster Waffengang zwischen Arbeitermassen und Bourgeoisie ausgefochten worden. Man darf den Streik nicht nur nach der Tatsache messen, daß 18 000 Arbeiter gegen den Willen der Gewerkschaftsführer fünf Tage lang gekämpft haben. Seine politische Bedeutung ist viel größer.

In dieser ersten Kampfprobe wurden von beiden Seiten neue Methoden angewandt. Die Unternehmer fühlten sich von vornherein zu schwach, um die Hafenarbeiter mit gewöhnlichen, “demokratischen” Mitteln niederzuwerfen. Darum setzten sie schon im ersten Augenblick die stärkste Waffe ein, die ihnen zur Verfügung steht: Durch die schamlose Verbindlichkeitserklärung des Reichsarbeitsministers Brauns wurde die ganze Schwerkraft des bürgerlichen Staatsapparats in die Waagschale geworfen. Andererseits stellten sich die sozialdemokratischen Führer des Deutschen Verkehrsbundes und des Zentralverbandes der Maschinisten und Heizer mit einer Skrupellosigkeit ohnegleichen auf die Seite des Hafenkapitals. Während sie zu Beginn unter dem Druck der erbitterten Massen so tun mußten, als würden sie den Streik auch nach der Verbindlichkeitserklärung indirekt anerkennen und finanzieren, erklärten sie ihn sofort nach ihrem Ausspruch für “rechtswidrig”, verweigerten mit Hohnlachen jeden Pfennig Unterstützung, erließen täglich Aufrufe zur Wiederaufnahme der Arbeit und begingen den Schandstreich, im sozialdemokratischen “Hamburger Echo”, mitten im vollsten Kampf ein bezahltes Inserat des Unternehmerverbandes für die Wiederaufnahme der Arbeit abzudrucken. So stand den Arbeitern von Beginn an ein geschlossener Dreibund von Regierung, Kapitalisten und sozialdemokratischen Gewerkschaftsführern gegenüber.

Auch die kämpfende Arbeiterschaft und die Kommunistische Partei wandten im Verlauf der Bewegung neue Methoden an. Zähe Entschlossenheit, zielbewußte Kampfdisziplin, hohes Klassenbewußtsein - das waren die Merkmale dieses Streiks. So konnten die Hafenarbeiter unter Ausnutzung der für sie objektiv sehr günstigen Situation, verraten und verlassen von den Reformisten, fünf Tage lang ausharren und allein dadurch den Feinden die schwersten Schäden zufügen. Die Hafengewaltigen verloren Millionen und aber Millionen an Profiten durch die Lahmlegung des gesamten Hafenbetriebs, durch die Unterbrechung des englischen Kohlengeschäfts, durch die Umlenkung zahlreicher Dampfer der internationalen Schiffahrtsgesellschaften in ausländische Häfen.

Die Kommunistische Partei wandte im Streik die Einheitsfronttaktik im besten Sinne des Wortes an: als Methode der revolutionären Agitation und Mobilisierung der Massen. Es kam ihr dabei zugute, daß unsere Hamburger Mitgliedschaft sich seit der Diskussion über den EKKI-Brief mit überwältigender Mehrheit hinter die Parteilinie gestellt und alle antibolschewistischen Strömungen zur völligen Einflußlosigkeit verurteilt hatte. Daher besaß die Organisation im Moment des Kampfes volle Schlagkraft. Die Handlungen der Partei gingen davon aus, ein Höchstmaß an Kampfkraft der Massen gegen Unternehmer, Regierung und die sabotierenden Gewerkschaftsführer zu entfalten und zugleich den Massen ein Höchstmaß an Vertrauen in die Kommunistische Partei einzuflößen. Der Streik war keine “kommunistische Mache”, denn selbst die beste kommunistische Partei kann keinen Streik aus der Luft hervorzaubern, wenn die Arbeiterschaft ihn nicht will. Dagegen befand sich die politische und geistige Führung des Kampfes ohne Zweifel vollkommen in den Händen der Kommunisten. Schon vor vier Monaten hatte die Partei durch ihre Tarifkündigungskampagne die Hafenarbeiter eindringlich zum Widerstand aufgefordert. Nicht durch agitatorische Phrasen und radikale Thesen, sondern in der wirklichen Aktion gewannen die Massen während des Streiks die Überzeugung, daß die Kommunistische Partei die einzige Führerin des proletarischen Kampfes ist.

Die Partei wies sofort auf den politischen Inhalt des Kampfes hin. Nicht nur um zwanzigprozentige Lohnerhöhung, achtstündigen Arbeitstag und fünftägigen Garantielohn - die Existenzforderungen der Hafenarbeiter - ging der Streik, sondern er richtete sich vor allem gegen den von der Regierung und den Unternehmern seit langem geplanten Raub des Streik- und Koalitionsrechts der ganzen Arbeiterklasse.

Das begriffen die Hafenarbeiter, und deshalb verbanden sie ihre Existenzforderungen mit den Losungen des Kampfes gegen den bürgerlichen Staat und die kapitalistische Regierung. So entstand unter dem bewußten Einfluß der Kommunisten im Hamburger Streik jene eigenartige Verbindung von politischen und wirtschaftlichen Forderungen, die das Kennzeichen der in nächster Zukunft einsetzenden Massenkämpfe gegen die kapitalistische Rationalisierung in ganz Deutschland sein wird. Die Kommunisten zerstörten den Keim jeder Illusion über die Haltung der reformistischen Gewerkschaftsführer und der Sozialdemokratie. Sie geißelten rücksichtslos den schmählichen Verrat der Verbandsführer, die schmutzige Streikbrecherrolle ihres sozialdemokratischen Blattes, und sie kritisierten täglich mit ganzer Schärfe die schwankende, zum Schluß die offen streikfeindliche Haltung der aus Sozialdemokraten bestehenden Dreiviertelmehrheit der Streikleitung.

Als der Streik unter dem Dolchstoß der Reformisten abgebrochen wurde, verhinderten die Kommunisten den drohenden Massenaustritt aus den Gewerkschaften und riefen zur Fortsetzung des Kampfes in den Betrieben auf. Während der ganzen Aktion mobilisierte die Partei das gesamte Proletariat in Hamburg und in ganz Deutschland zur Solidarität und propagierte die revolutionären Losungen des Sturzes der Reichsregierung, des Kampfes für die Arbeiter- und Bauernregierung. Selbstverständlich zeigten sich auch Mängel der Partei, besonders auf organisatorischem Gebiet und in der Frage der Verbindung des Streiks mit einer gleichzeitigen Bewegung der übrigen noch im Betriebe befindlichen Arbeitergruppen. Diese Mängel erklären sich größtenteils aus der gesamten Schwäche unserer Gewerkschaftsarbeit, deren Bedeutung sich in diesem Streik überragender denn jemals zeigte.

Insgesamt lieferte die Haltung der Kommunisten den klaren Beweis, daß sie keinerlei “parteipolitische” Ziele außerhalb des proletarischen Klassenkampfes haben, sondern daß umgekehrt gerade ihre strategischen und taktischen Parteiziele genau und ausschließlich den Interessen des proletarischen Klassenkampfes entsprechen.

Die Erfüllung der unmittelbaren Streiklosung wurde nicht errungen, aber Gang und Ergebnis des gesamten Streiks bedeuten einen unzweifelhaften Erfolg der Arbeiterschaft. Für sie gelten in vollem Umfang die eingangs erwähnten Worte von Franz Mehring. Der Streik bewies vor allem, daß die Arbeiterschaft imstande ist, im heutigen Deutschland auch ohne und gegen die reformistischen Führer einen Kampf durchzuführen. Er zeigte seit langen Jahren zum ersten Male wieder den Durchbruch des Kampfwillens der proletarischen Massen gegen Unternehmerdiktatur und wirtschaftliches Elend. Die Reformisten vollführten durch ihren beispiellosen Verrat das schärfste Entlarvungsmanöver gegen sich selbst. Unter dem Druck dieser Tatsache entstehen innerhalb der Hamburger Sozialdemokratie die Spuren eines neuen Risses, der sich vertiefen muß. Die Hafenvertrauensleute der SPD nahmen eine Resolution gegen ihr Parteiblatt an. Auf den während des Streiks stattfindenden Bezirksabenden der SPD entstand in allen Stadtteilen unter stürmischen Auseinandersetzungen eine erbitterte Arbeiteropposition. Dem scharfen Prestigeverlust der sozialdemokratischen Führer steht eine ebensolche Erhöhung des Ansehens der Kommunistischen Partei bei der Arbeiterschaft gegenüber.

Die wichtigsten Aufgaben, die sich aus dem Kampf ergeben, sind jetzt folgende:

1. Die Kommunistische Partei und die Arbeiterschaft müssen die Lehren aus dem Streik ziehen. Das durch die Kommunisten neu eroberte Vertrauen der Massen kann ebenso schnell wieder verlorengehen, wenn es nicht täglich durch harte Arbeit verwurzelt wird.

2. Der Kampf gegen das sogenannte System behördlicher Schiedssprüche, gegen die schamlosen Verbindlichkeitserklärungen, gegen den ganzen Schlichtungsschwindel muß auf breitester Front aufgenommen werden.

3. Nicht Flucht, sondern noch viel stärkere Arbeit in den Gewerkschaften, ihre Revolutionierung, die Ausschaltung der reformistischen Verräter, der Masseneintritt der Unorganisierten in die freien Verbände ist notwendig.

4. Für die Hafenarbeiter selbst ist zwar der Streik, aber nicht der Kampf beendet. Die Unterstützung der Gemaßregelten muß mit breiter Initiative durchgeführt, ihre restlose Wiedereinstellung erzwungen werden. Der Kampf für die Existenzforderungen der Hafenarbeiter, für ihr Koalitionsrecht, für die Zurücknahme des Schiedsspruchs und der Verbindlichkeitserklärung muß überall mit größter Energie fortgesetzt werden.

 

 

 

 

 



[1]. Cf. http://www.deutsche-kommunisten.de/Ernst_Thaelmann/Band1/thaelmann-band1-050.shtml.

[2]. Franz Mehring, "Nach dem Hamburger Ausstande”; "Die Neue Zeit", 15. Jahrgang (1896/1897), Band 1, Nr. 21, S. 641 und 643.