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Ernst Thälmann

6. (erweitertes) Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale:
Die Kommunistische Internationale
und die Kommunistische Partei Deutschlands

24. Februar 1926

(Auszüge)

 

 

Quelle:

Protokoll der erweiterten Exekutive der Kommunistischen Internationale, Moskau, 17. Februar bis 15. März 1926. S. 193‑210.

Andere Quelle:

Ernst Thälmann: Reden und Aufsätze zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung - Band 1 - Juni 1919‑November 1928. Berlin, Dietz, 1956[1].

 

 

 

 

 

 

Erstellt: Januar 2013

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KPD 1918-1945 - Inhalt

 

 

 

 

 

 

Die deutsche Delegation ist der Meinung, daß im großen und ganzen die Debatte darunter leidet, daß sie sich, von einigen Ausnahmen abgesehen, zu sehr auf die Fragen der einzelnen Sektionen konzentriert und der Zusammenhang dieser Fragen mit den internationalen Problemen zuwenig gezeigt wird. Wir sind deshalb der Meinung, daß die deutsche Frage, wie alle anderen Fragen, keine spezifisch deutsche, sondern eine ernste internationale Frage ist, die im Zusammenhang mit den Angelegenheiten aller anderen Sektionen und mit der allgemeinen Taktik der KI steht. Die Taktik der KI bedeutet in dem gegenwärtigen Abschnitt unseres Kampfes, den taktischen Maßnahmen der Weltbourgeoisie jene revolutionären Maßnahmen, jene revolutionäre Taktik entgegenzustellen, deren Zweck es ist: erstens die Stabilisierungsversuche des Weltkapitals zu verhindern und zweitens, auf Grund der verschiedenen Krisenerscheinungen die einheitliche revolutionäre Klassenfront herzustellen. Die deutsche Frage hat auch eine gewisse Bedeutung für die allgemeine Linie der KI. Nur durch eine solche Behandlung der Frage können wir zu einer einheitlichen Weltpolitik der Kommunisten kommen, nur das ist eine Garantie für eine wirkliche kollektive Durchführung der Kominternarbeit.

Es sei daran erinnert, daß die deutsche Delegation auf dem V. Weltkongreß einen schweren Fehler begangen hat ‑ den wir allerdings schnell korrigierten ‑ nämlich, daß sie in der Frage der internationalen Gewerkschaftseinheit einen anderen Standpunkt einnahm als die KPR(B). In dieser typisch “westeuropäischen” Frage hat sich die KPR(B) viel weitsichtiger gezeigt als die Delegationen der westeuropäischen Parteien. Über die deutsche Partei werde ich noch ausführlicher sprechen. Ich will jetzt nur darauf hinweisen, daß die Entwicklung unserer eigenen Partei einer der größten inneren Erfolge der Komintern im Verlaufe des letzten halben Jahres war. Denn die Initiative zu diesem Brief, ohne den diese Entwicklung nicht möglich gewesen wäre, ging von der Komintern aus.

In Deutschland hatten wir vor dem "Offenen Brief"[2] anläßlich der Hindenburgwahl einen starken Rückgang des kommunistischen Einflusses, besonders in den Gewerkschaften, zu verzeichnen. Aber in den Monaten nach dem Erscheinen des "Offenen Briefes" hat sich das Bild wesentlich geändert. Im ganzen hat die Komintern wirklich ernstliche Fortschritte gemacht, wir sind auf dem Vormarsch, die Parteien sind erstarkt.

Einige Worte über die künftige Entwicklung der Komintern.

Wir haben auf jedem Weltkongreß und auf den verschiedenen Tagungen der erweiterten Exekutive Einwendungen des Genossen Bordiga gegen die Politik der Komintern gehört. Aber diesmal ‑ das muß ausdrücklich festgestellt werden ‑ hat er der Politik der Komintern ein ganzes System entgegengestellt. Dieses System ist zweifellos durch und durch unkommunistisch. Bordigas Staatstheorie ist nicht leninistisch, sondern anarchistisch, seine Organisationslehre nicht leninistisch, sondern sozialdemokratisch. Als Bordiga mit seinen “ultralinken” Ideen auf dem II. und III. Kongreß Lenin entgegentrat, konnte man noch der Meinung sein, daß er ein Genosse ist, aus dem die revolutionäre Ungeduld spricht, heute kann man nicht mehr zweifeln, daß seine Tendenzen anarchistisch und sozialdemokratisch, also reaktionär, sind. Wenn der Bordiganismus ein System ist, dann ist dieses System Anarchismus plus Sozialdemokratie; das ist die große Gefahr für die Komintern.

Genosse Bordiga hat auch über die Rolle der KPdSU(B) gesprochen. Dieser Teil seiner Rede war der erste ernste Versuch, die KPdSU(B) der Komintern entgegenzustellen, und der Sinn seiner Rede war, der KPdSU(B) das Recht abzusprechen, nach wie vor die Führerin der Komintern zu sein. Die deutsche Delegation ist überzeugt, daß die KPdSU(B) die Führerin der Komintern bleiben muß und bleiben wird, weil sie eben die einzige Partei der Welt ist, die die proletarische Diktatur aufgerichtet hat, sie seit über acht Jahren behauptet und wirklich, wenn auch unter den größten Schwierigkeiten, den Sozialismus aufbaut. Wir erklären, daß die Anschauungen des Genossen Bordiga, speziell in dieser Frage, auf das schärfste und heftigste zurückgewiesen und bekämpft werden müssen.

Genosse Engel aus der deutschen Delegation hat hier vor dem Plenum der erweiterten Exekutive erklärt, daß die Weddinger Arbeiter auf dem Standpunkt der Leningrader Opposition stehen und die Beschlüsse des XIV. Parteitages ablehnen. Ich weiß nicht, ob Genosse Engel einen bestimmten Auftrag von den Weddinger Arbeitern hat, oder ob ihn nur Professor Korsch inspiriert hat. Wir erklären, daß wir mit der Haltung des Genossen Engel nichts zu tun haben, wir lehnen seine Auffassung auf das entschiedenste ab. Die deutsche Delegation läßt es keinesfalls zu, daß die Differenzen auf dem XIV. Parteitag der KPdSU(B) zugunsten “ultralinker” Ziele benutzt werden. Die Stellung der KPD zum XIV. Parteitag der KPdSU(B) ist durch den Beschluß des Zentralkomitees festgelegt. Weniger als je darf heute, wo die ernstesten Aufgaben vor uns stehen, die Einheit der Komintern, ihre Einheit auf der Grundlage des Leninismus, angetastet werden.

Nun zu Deutschland. Es ist ganz augenscheinlich, daß wir in letzter Zeit gerade in Deutschland wirklich große und ernste Erfolge hatten. Diese Erfolge haben selbst Scholem und Ruth Fischer auf dieser Tagung nicht bestritten. Momentan geht der Streit vor allem darum, die Ursachen dieser Erfolge festzustellen. Die “Ultralinken” glauben und haben auch hier auf dem Plenum erklärt, daß die Ursache unserer Erfolge die objektive Lage sei. Wir dagegen glauben, unsere Erfolge erklären sich aus zwei Grundfaktoren: erstens aus der Änderung der objektiven Lage und zweitens aus dem richtigen innerparteilichen Kurs unserer Partei, wie er“ im "Offenen Brief" festgelegt ist. Den zweiten Faktor übersehen die “Ultralinken” vollständig, indem sie gegen die Anwendung der Taktik, wie sie im "Offenen Brief” festgelegt ist, kämpfen und gleichzeitig dabei auch den innerparteilichen Kurs stören. Gerade jetzt haben wir in Deutschland eine durchaus günstige Situation, die in den nächsten Monaten noch günstiger zu werden verspricht. Wenn wir heute auch nicht wie 1923 von einer akut revolutionären Situation sprechen können, so haben wir doch eine Situation, die es uns ermöglicht, breite Massen zu gewinnen und auf dem Wege der Organisierung der Revolution Stützpunkte zu schaffen.

Die jetzige Wirtschaftskrise in Deutschland, die eine permanente ist, zeigt sich in den verschiedensten Erscheinungen. Die Sozialdemokratie ist ernsthaft bestrebt, der Bourgeoisie in dieser Rationalisierungskrise zu helfen. Der amerikanische Kapitalismus versucht, in die Großindustrie Deutschlands einzudringen. Zu gleicher Zeit ist er bestrebt, die englische Bourgeoisie etwas zu verdrängen trotz des politischen Kurses der deutschen Bourgeoisie auf der Linie des Locarnovertrages. Auf technischem Gebiete verbessert der Kapitalismus seine Produktionsmethoden. Scharfe Angriffe gegen die Arbeiterklasse sind in Vorbereitung. Das Taylorsystem wird besonders in der Großindustrie eingeführt. Eine chronische Erwerbslosenarmee von 1 bis 1½ Millionen, was fast 10 Prozent des gesamten Proletariats bedeutet, sind die unmittelbare Folge. Neben dieser allgemeinen Wirtschaftskrise sehen wir zu gleicher Zeit eine bestimmte Erstarkung des Kapitalismus. Die steigende kapitalistische Monopolisierung zeigt sich in der Bildung des Kalisyndikats und in der Vereinigung vieler Syndikate des rheinisch-westfälischen Industriegebiets zu einem großen Stahltrust. In den Konzentrationsbestrebungen der Banken, in der Unterstützung der Truste in den letzten Monaten durch bestimmte langfristige Kredite kommen Tendenzen zum Ausdruck, die in der Linie der Stabilisierungsbestrebungen liegen. Eine besonders wichtige Teilerscheinung der Gesamtkrise ist die Agrarkrise. Im Zusammenhang mit ihr hat die Partei eine große Kampagne eingeleitet, um an bestimmte Schichten der Bauern, besonders der Kleinbauern, heranzukommen. Der Steuerdruck, ungenügende Absatzmöglichkeiten auf dem inneren Markt ‑ durch den Abschluß von Handelsverträgen, bei deren Abschluß Deutschland in seiner jetzigen Ohnmacht Bestimmungen schlucken muß, die zum Schaden der Bauern ausschlagen ‑ gestalten die Lage der Kleinbauern, Winzer usw. sehr ungünstig. Diese Agrarkrise wird auch in den nächsten Monaten bestehen bleiben und besonders für die Kleinbauern und Winzer ‑ etwa 2½ Millionen Menschen ‑ die Schwierigkeiten erhöhen. Wir sehen ferner, daß der Kapitalismus in Deutschland überall Vorbereitungen trifft, um den Lohn zu drücken. Vorerst in der mittleren Industrie, die die Löhne um 10 bis 20 Prozent herabzusetzen versucht. Ein Teil der Tarifverträge, die zu 50 Prozent Ende März und April ablaufen, sind bereits gekündigt. Die Schwerindustrie lehnt überall die Forderungen der Arbeiterschaft ab und versucht sogar die Verlängerung des Tarifvertrages zu verhindern. Darum ist es besonders notwendig, daß namentlich die gewerkschaftlichen Positionen der Kommunistischen Partei gestärkt werden, damit die Partei in den kommenden Wirtschaftskämpfen die führende Rolle übernehmen kann.

Die dritte wichtige Frage ist die Stellung zur Luther-Stresemann-Regierung. Diese Regierung wird alles tun, um ihr reaktionäres Programm gegen den Willen des Proletariats durchzusetzen, um so mehr, als der großkapitalistische Flügel des Zentrums und der Demokraten in der Regierung vertreten ist, und die Sozialdemokratie in den nächsten Monaten keine ernsthafte Offensive zum Sturz dieser Regierung unternehmen wird. Unsere Parole: Auflösung des Reichstags! wird in der gesamten Arbeiterschaft in den nächsten Monaten eine ernste Bedeutung gewinnen.

Ein vierter wichtiger Faktor in Deutschland ist, daß die faschistischen Organisationen sich stärker denn je ernsthaft betätigen, wogegen sich auch auf der anderen Seite eine engere Zusammenarbeit des Roten Frontkämpferbundes mit den Kameraden des Reichsbanners zeigt, wie es in verschiedenen Aktionen und im teilweise gemeinsamen Vorgehen gegen die faschistischen Organisationen seinen Ausdruck findet.

Eine unserer besten Kampagnen, die wir in letzter Zeit eingeleitet haben, ist die Kampagne zur entschädigungslosen Enteignung der Fürsten in Deutschland. Hier gelang es uns, die Offensive zu ergreifen, die Führung zu behalten und die SPD und den ADGB zu zwingen, sich der Einleitung des Volksentscheides zur entschädigungslosen Enteignung der Fürsten anzuschließen. Sie ist nicht nur eine Bewegung, die die Kreise der KPD, SPD, des ADGB und derjenigen Arbeiter, die mit diesen Organisationen sympathisieren, erfaßt, sondern sie ist eine wirkliche, ernste Volksbewegung, die weite Kreise des Bürgertums mit umfaßt. Sie gibt uns eine Basis, auf der die Kommunistische Partei wirklich in der Lage ist, Anknüpfungspunkte zu finden, um an die sozialdemokratischen und parteilosen Arbeiter und an diejenigen Schichten der Bevölkerung heranzukommen, bei denen dies sonst nicht möglich war. Die Bildung von Einheitskomitees in vielen Orten Deutschlands ist ein starker Beweis dafür. Diese Kampagne hat deutlich gezeigt:

1. Die Möglichkeit ist gegeben, diese Volksbewegung unter der Hegemonie des Proletariats zu leiten.

2. Sie bedeutet eine Verstärkung der antimonarchistischen Strömung in Deutschland.

3. Die Gegensätze in der Bourgeoisie, in der Demokratischen Partei und in der Zentrumspartei verschärfen sich, besonders in der letzteren, wo die Zentrumsarbeiter für Fürstenenteignung sind, während der großkapitalistische Flügel für die Abfindung ist.

4. Eine gewisse Lockerung des Verhältnisses zwischen den bürgerlichen Parteien und der Sozialdemokratischen Partei ist eingetreten, einesteils durch die Verhandlungsgrundlage und ihre Entscheidung in der Linie unseres Antrages auf entschädigungslose Enteignung und Einleitung des Volksbegehrens und andererseits durch die ablehnende Stellung aller bürgerlichen Parteien dazu.

5. Die Klassengrundlage des Proletariats im allgemeinen wurde dadurch gestärkt.

6. Jetzt ist es uns in verschiedenen Gebieten Deutschlands, wie in Bayern, Thüringen usw., möglich, in den Bauernkreisen Anknüpfungspunkte zu finden, was bisher nicht so leicht war. Die Bildung von Einheitskomitees, die nicht nur aus Arbeitern aller politischen Richtungen zusammengesetzt sind, sondern an einigen Orten auch bürgerliche und Bauernschichten mit umfassen, sind eine neue Erscheinung.

Die Kampagne für die Fürstenenteignung ist aber auch das beste Beispiel dafür, wie die neue Linie Erfolge zeitigte. Es wurde uns möglich, nicht nur die SPD zu zwingen, sich mit den Kommunisten an einen Verhandlungstisch zu setzen, sondern auch die Basis der Verhandlungen war ein voller Sieg unseres Antrages. Während früher die KPD oft am Schwanze der SPD marschierte, ist in dieser Sache das Umgekehrte festzustellen: Die SPD mußte sich unter dem Massendruck ihrer eigenen Mitglieder der Initiative der KPD anschließen. Durch die Bildung von Einheitskomitees in den Betrieben wurde jene feste Mauer beseitigt, die zwischen sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeitern seit langem bestand, so daß wir später leichter in der Lage sein werden, auch auf anderen Gebieten Erfolge zu erreichen. Auch unsere Gewerkschaftsarbeit hat seit dem "Offenen Brief" ernste Fortschritte gemacht. Wenn wir am Anfang der verstärkten Gewerkschaftsarbeit die Parole ausgegeben haben: 10 Millionen Mitglieder in die Gewerkschaften! so wird das dazu beitragen, die parteilosen Arbeiter in die Gewerkschaften hineinzubringen, um die rote Kampffront in den Gewerkschaften zu verstärken.

Ich gehe jetzt zu dem innerparteilichen Teil über. Dabei will ich nicht nur den inneren Parteikurs kennzeichnen, sondern auch die verschiedenen Abweichungen in unserer Partei skizzieren.

Ich habe bereits gesagt, daß augenblicklich in Deutschland der Hauptfeind in der Partei die “Ultralinken” sind. Wir werden hier die Probleme aufrollen und beweisen, daß auf gewissen Gebieten, wo die neue Politik durchgeführt wurde, die “Ultralinken” eine andere politische Plattform hatten. Der erste wichtige politische Akt, den das Zentralkomitee in der Linie des "Offenen Briefes" durchzuführen hatte, war die Stellungnahme zu den Berliner Stadtverordnetenwahlen. Die bürgerlichen Parteien versuchten alles aufzubieten, um ihre Mehrheit im Berliner Stadtparlament wiederzuerobern. Durch die Schaffung eines Bürgerblocks im Wahlkampf versuchten sie ihr Ziel zu erreichen.

Bei den Wahlen war die Losung aller Arbeiter "Hinweg mit dem Bürgerblock!" Die Parole der Schaffung der Arbeitermehrheit im Stadtparlament wurde von unserer Partei neben unserem Kampfprogramm sofort herausgegeben. Gleichzeitig stellten wir die Frage an die SPD, ob sie gewillt sei, zwecks Verrechnung der Reststimmen zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten mit uns in Verhandlungen einzutreten. Das war der erste wesentliche Punkt, bei dem die “Ultralinken” gemeinsam mit Ruth Fischer sich auf einen anderen Standpunkt stellten. Wir hatten damals deswegen starke innerparteiliche Schwierigkeiten, besonders in Berlin, aber trotzdem haben wir uns durchgesetzt. Später hat die Partei in ihrer großen Mehrheit unseren Standpunkt vollkommen gutgeheißen.

In der Fürstenenteignungskampagne haben die “Ultralinken” die Frage nicht so gestellt: Wie kann durch die Fürstenenteignungskampagne eine große Massenbewegung entfacht werden, wie kann man dadurch die rote Klassenfront verstärken, die Autorität der Partei heben? Sie stellten ihren Pessimismus und ihren Unglauben an die Selbständigkeit der Partei an den Anfang. Wenn einzelne “Ultralinke” sogar dazu übergingen, in dieser Bewegung über parlamentarischen Kretinismus zu reden, und die Tatsachen sie inzwischen belehrt haben, daß der Ausgang dieser Kampagne nicht parlamentarischer Kretinismus war, sondern eine Verstärkung der Aktivität der Partei bedeutet, so ist dies ein Beispiel der inneren Schwäche und der falschen Einstellung dieser Genossen. Außerdem hatten wir in der Sachsenfrage, die sehr schwierig ist, mit den “Ultralinken” einige Differenzen. Eine stärkere Bewegung in Sachsen in Verbindung mit der Forderung der Auflösung des Landtages ist nicht unwahrscheinlich. Die Sozialdemokratie versuchte, die von uns im Landtag gestellten Anträge für die Erwerbslosen und für die Amnestie der politischen Gefangenen mit Absicht zu verhindern. Dadurch entstanden Differenzen zwischen den “linken” und rechten Führern innerhalb der sächsischen Sozialdemokratie und große Differenzen zwischen den linken Arbeitern der Sozialdemokratie und dem Parteivorstand. Diese Faktoren in Verbindung mit anderen Dingen in Sachsen gaben uns auch im Reichsmaßstabe Gelegenheit, sie politisch auszunützen. Inzwischen ist eine neue Lage in Sachsen eingetreten, auf die ich hier nicht eingehen will. Nur noch eins: Für die Taten der jetzigen Heldt-Regierung, die aus Sozialdemokraten und den Vertretern der bürgerlichen Parteien bis zur Deutschen Volkspartei besteht, der Regierung der offenen Arbeiterfeinde, wird die Sozialdemokratie die Verantwortung tragen, weil sie die Auflösung des Landtages verhindert! Wir müssen von dieser Stelle aus mit aller Energie zum Ausdruck bringen: Hätten wir die Taktik der “Ultralinken” befolgt, so hätte das bedeutet, daß der Kurs der Partei derselbe geblieben wäre, daß wir Niederlagen auf Niederlagen und keine besonderen Erfolge gehabt hätten. Wir mußten uns in diesem Kampf ebenfalls von Genossen in der Partei abgrenzen, die darauf ausgingen, die Partei unter der “diplomatischen” Führung von Ruth Fischer zu erobern.

Auf Grund unserer neuen Taktik war es uns möglich, die sozialdemokratischen Führer in eine schwierige Lage zu drängen, während sie bei Fortsetzung des alten Kurses uns in eine solche schwierige Lage hineingebracht hätten. Nicht wir, sondern die Sozialdemokraten hätten die Führung der Bewegung gehabt. Darum hilft die “ultralinke” Politik den sozialdemokratischen Führern, darum ist es wirklich eine unkommunistische Politik, wie der "Offene Brief" mit Recht sagt.

In einer schwierigen Situation, wo die Fragen nicht so leicht entschieden werden, wie in der Fürstenenteignungskampagne, können natürlich solche dauernden Abweichungen eine Gefahr für die Partei werden.

Genosse Scholem erklärte hier im Plenum: Man könne vielleicht eine gemeinsame Basis finden, auf der die Möglichkeit der gemeinsamen Arbeit geschaffen werden könne. Wir erklären, diese Basis ist vorhanden: Die einzige Basis ist die Taktik und der innerparteiliche Kurs des ZK, die einzige Basis ist der "Offene Brief", den Scholem ablehnt. Eine andere Basis kann es nicht geben. Solange Genosse Scholem mit Bedenken und Bauchschmerzen versucht, die Politik der Komintern nicht zu akzeptieren, solange er schwankt und glaubt, auf diesem oder jenem Wege noch ein Loch zu finden, durch das er hineinschlüpfen kann, solange er denkt, es könnte irgendein Fehler gemacht werden, und deswegen seinem Gewissen keinen Zwang auferlegen will, gibt es keine Einigung. Entweder ist er einverstanden, entweder erkennt er die politische Linie des ZK an oder nicht. Auf dieser Basis gibt es eine Verständigung - nur auf dieser Basis. Das möchte ich hier besonders betonen. Dann hat er erklärt, er komme nicht her, um einen Canossagang zu gehen, er hat von einem Kniefall, von Liebeserklärungen gesprochen. Was ist das für eine Sprache? So spricht kein Bolschewik, so ähnlich reden die Deutschnationalen über den Versailler Frieden. Scholem will mit seiner eigenen Partei verhandeln wie mit einer feindlichen Macht. Wenn man eine andere Meinung hat, vertritt man sie, ohne besondere diplomatische Kunststücke. Man sagt entweder: Ich bin dafür oder dagegen, und man spricht nicht vom Canossagang.

Genossen! Wenn man zur Frage der “Ultralinken” Stellung nimmt, so muß man einen Unterschied machen zwischen “ultralinken” Führern und Arbeitern. Viele Arbeiter wurden durch die diplomatische, demagogische und zum Teil unfähige Politik von Ruth Fischer den “Ultralinken” in die Arme getrieben. Sie suchten irgendwo Zuflucht, da durch die persönliche Diktatur, durch die doppelte Buchführung, durch das völlige Verkennen der Rolle einer kommunistischen Partei die Arbeiter erbittert wurden, und so landeten sie bei Scholem. Heute, wo wir bemüht sind, langsam ideologisch die ganze Partei für die bolschewistische Linie zu gewinnen, müssen wir um so mehr noch einen Unterschied zwischen den Arbeitern und den Führern der “Ultralinken” feststellen. Im Wedding und auch in anderen Bezirken sehen wir bereits die Unterschiede.

Genosse Scholem erklärt ferner, daß er sich von dieser KAPDistischen Strömung, zu der auch Korsch und Kötter gehören, abgrenzen will. Ruth Fischer hat sich sogar von Scholem abgegrenzt, Bordiga grenzt sich von Scholem und Ruth Fischer ab. Wo Domski bleibt, weiß ich nicht, aber alle “ultralinken” Gruppen grenzen sich gemeinsam von der Komintern ab, und die deutsche “ultralinke” Gruppe grenzt sich vom ZK der deutschen Partei ab.

Genossen! Was die Rede der Genossin Ruth Fischer anbetrifft, kann man sagen, daß sie der Gipfelpunkt der doppelten Buchführung und des demagogischen Betrugsmanövers, nichts als eine Fortsetzung ihrer alten Praxis ist. Als seinerzeit bei den Verhandlungen mit der KI Genossin Ruth Fischer den "Offenen Brief" unterschrieb, glaubte man, daß sich Ruth Fischer vielleicht fügen und auf dieser politischen Linie mit dem ZK zusammenarbeiten würde. Aber in demselben Moment, wo sie nach Deutschland zurückkehrte, setzte sie auch nach dem Erscheinen des "Offenen Briefes" ihre doppelte Buchführung wieder fort. In der Bezirksleitung Berlin-Brandenburg, wo in zwei Sitzungen der "Offene Brief" behandelt wurde, hat Genossin Ruth Fischer nicht für den Brief gekämpft, sondern sie hat dies anderen überlassen. Praktisch hat sie in den darauffolgenden Wochen bewußt, sowohl in Berlin wie im ZK, sabotiert und sich außerhalb der Linie der Partei gestellt. Wir hatten in Berlin eine Bezirksleitung, die bereits fünf Jahre lang ihre Zusammensetzung wenig gewechselt hatte, die unter Führung von Ruth Fischer einen bestimmten starken Einfluß besaß. Wir haben sie langsam, etappenweise erobert. Zuerst hatten wir ganz wenige Stimmen und haben uns unter schärfstem ideologischem Kampfe gegen die “Ultralinken”, Maslow und Ruth Fischer langsam durchgesetzt, um nach und nach eine Mehrheit auch in dieser Instanz zu gewinnen. Aber Ruth Fischer ergriff nicht etwa irgendwelche Maßnahmen, um uns zu unterstützen, sie ist vielmehr in jeder Situation der Partei und dem ZK in den Rücken gefallen. Und wenn sie sich hier herstellt und mit Liebesschalmeien alles gutheißt, was in dem "Offenen Brief" steht, so sind wir fest davon überzeugt, daß, wenn sie nach Deutschland zurückkehren sollte, sich an ihrer Praxis und ihren Methoden nichts ändern wird.

Man kann die Frage Ruth Fischer nicht aufrollen, ohne dabei auch die Rolle Maslows zu kennzeichnen. Ich glaube, daß die Frage Maslow insofern eine Bedeutung hat, als es nicht eine persönliche Frage ist, wie einige Genossen glauben, sondern eine ernste politische Angelegenheit. Es handelt sich darum, daß Ruth Fischer genauso wie in ihrer Stellungnahme zum "Offenen Brief", zur Listenverbindung und anderen Dingen, auch in der Frage des Maslow-Prozesses eine Stellung eingenommen hat, bei der sie besonders personell entschied und wo sie die politische Konsequenz der Entscheidungen verschiedener Instanzen ignorierte.

Maslows Verhalten war deshalb unwürdig, weil er die Grundsätze eines Revolutionärs verletzt hat. Er hat sich vor Gericht nicht so benommen, wie man es von jedem einzelnen revolutionären Arbeiter verlangt. Wir müssen auch auf diesem Gebiete die Konsequenzen aus unserem neuen innerparteilichen Kurs ziehen:

1. Beseitigung der Korruption;

2. innere feste bolschewistische Klarheit;

3. schärfstes Vorgehen gegen diejenigen, die nicht, wie notwendig, die revolutionären Grundsätze vor Gericht vertreten.

Was das Verhalten Maslows anbetrifft, so können wir diese Frage noch in der deutschen Kommission aufrollen. Wir sind der Meinung, wer als Führer einer Partei vor der Klassenjustiz in seinem Auftreten nicht der ganzen Partei und der revolutionären Arbeiterschaft ein Vorbild gibt, gehört nicht mehr an die Spitze der Partei. Wir verlangen von jedem Funktionär und besonders von einer führenden Person vor Gericht, daß er, was die Stellung vor den Klassenrichtern, die Stellung zur Revolution, die Stellung zum Leninismus anbetrifft, ohne Rücksichtnahme auf seine Person sich so benimmt und verteidigt, wie es von jedem Genossen in der Partei als Selbstverständlichkeit verlangt wird. Ebendeshalb ist die Frage Maslow keine persönliche, sondern eine politische Frage.

Was weiter die Behauptung Ruth Fischers über die falsche Behandlung der “Ultralinken” seitens des ZK anbetrifft, so hat sie wirklich kein Recht, von falscher Behandlung der “Ultralinken” zu sprechen. Sie, die die Arbeiter verärgerte, die keine Rücksicht nahm auf die Entwicklung in der Partei, sie stellt sich hier hin als Sachwalterin der “Ultralinken”. In Deutschland werden es nicht zuletzt die “ultralinken” Arbeiter sein, die den Hinweis von Ruth Fischer nur als ein demagogisches Betrugsmanöver betrachten werden. In verschiedenen Bezirken, in Leipzig, in Niedersachsen und auch in Berlin, beginnen die “ultralinken” Arbeiter sich langsam unserer politischen Linie anzuschließen und gemeinsam mit dem ZK unsere Politik durchzuführen. Es kann nicht geleugnet werden, daß die deutsche Parteiführung es verstanden hat, die verschiedenen Strömungen zum Teil zu assimilieren, und daß auf diesem Gebiete schon erfreuliche Fortschritte erzielt wurden. Unsere Stellung gegenüber den “Ultralinken” ist vollkommen klar. Und wenn Genossin Ruth Fischer erklärt, daß wir nur gegen “Ultralinke” kämpfen, so ist das falsch, denn die Praxis hat gezeigt, daß wir ebenso scharf gegen rechte Abweichungen kämpfen. Wir sehen natürlich, daß bei Anwendung der jetzigen Taktik nicht nur in der unteren Mitgliedschaft, sondern auch bei den Funktionären Fehler gemacht werden. Wir wissen, daß sich rechte Abweichungen zeigen und auch in der nächsten Zeit stärker in Erscheinung treten werden. Auch dafür sind wir gerüstet. Man muß diese Frage vom Standpunkt der politischen Notwendigkeit aus behandeln. Wenn in zwei, drei Monaten die rechten Strömungen wachsen sollten, so wird die Führung der Kommunistischen Partei Deutschlands gegen sie genauso scharf auftreten, wie sie heute gezwungen ist, gegen die “Ultralinken” verschärft aufzutreten.

Wenn fernerhin Genossin Ruth Fischer hier als Vertreterin der gesunden Elemente der alten Linken aufzutreten versucht und uns beschuldigt, daß wir nicht mehr den Standpunkt der Linken vertreten, so spricht die Praxis gegen diese Behauptung. Die Arbeiter, die in Hamburg gekämpft haben, unsere Organisation im Ruhrgebiet und der größere Teil der Berliner Mitgliedschaft sind mit uns und gegen Ruth Fischer. Das zeigen die Zellenversammlungen, das zeigen die Parteikonferenzen, das zeigt die letzte Sekretär- und Redakteurkonferenz, das wird der nächste Parteitag zeigen. Ich verweise besonders auf die letzte Redakteur- und Sekretärkonferenz, die einstimmig unsere Resolution zur politischen Lage angenommen hat. Es ist notwendig, gerade in der jetzigen Entwicklung, wo die Partei auf verschiedenen Gebieten Fortschritte gemacht hat, wo wir einen Konsolidierungsprozeß sehen, wo die Arbeiterelemente auch der “Ultralinken” dazu übergehen, sich der politischen Linie der Partei anzuschließen, mit aller Deutlichkeit auszusprechen, daß Elemente wie Ruth Fischer und Maslow für die Führung der deutschen Kommunistischen Partei vollkommen verloren sind. Ruth Fischer ist nicht nur politisch für die Partei verloren, sondern auch moralisch. Im Innern der Partei sehen wir den Prozeß einer Entwicklung, neue Schichten von Funktionären, neue gesunde Elemente aus den verschiedensten Bezirken, die den festen Willen haben, die ernste große Aufgabe, die vor uns steht, durchführen zu helfen. Unsere jetzige Basis ist zwar noch zu schmal, aber wir werden versuchen, sie zu erweitern. Unsere Kader sind noch zu klein für die großen Aufgaben, aber ebenso, wie wir im Kampfe des ZK gewachsen sind, sowohl gegen “ultralinks” und die Gruppe Ruth Fischer-Maslow wie auch gegen rechts, in derselben Linie, in der die politische Entwicklung verläuft, wird auch der innere Konsolidierungsprozeß der Partei verlaufen. Wir können jetzt schon sagen: Wir fühlen uns so stark, daß wir in der Lage sind, mit den Genossen, die politisch einen anderen Standpunkt haben, politisch zu kämpfen, um sie ideologisch zu schlagen.

Zum Schluß möchte ich noch folgendes sagen: Wir erwarten, daß im Plenum in der deutschen Kommission die Probleme gestellt, der innerparteiliche Kurs richtig entschieden und die Grundlage für einen weiteren Vormarsch der Partei geschaffen werden. Die politische Situation gibt uns Möglichkeiten, noch stärker zu werden als bisher, die äußere Front und die Peripherie der Partei zu aktivieren. Die erste Etappe haben wir überwunden, die zweite Etappe steht vor uns. Sie bedeutet innere Konsolidierung, Verstärkung der Mobilisierung der Massen, Aktivierung für die gestellten Aufgaben in der Gegenwart und der Zukunft, erhöhte Kampfmaßnahmen. Diese zweite Etappe, die vor uns steht ‑ in einer verhältnismäßig günstigen Entwicklung ‑, wird der Partei die Aufgabe stellen, den Parteitag ernsthaft vorzubereiten. Wir werden ein neues ZK zu bilden haben, in das neue proletarische Elemente hineinkommen, die mit innerer Überzeugung, mit Energie und Fleiß bemüht sind, alles zu tun, um nicht nur auf innerparteilichem Gebiete für unsere politische Linie zu kämpfen, sondern die auch die außerparteilichen Fortschritte zur Verstärkung der revolutionären Klassenfront anzuwenden verstehen. Wenn die Partei stärker wäre, wenn der Funktionärstab wirklich eine bolschewistische Grundlage gehabt hätte, wenn wir in den Betrieben und Gewerkschaften mehr organisatorische Stützpunkte gehabt hätten, hätten wir die Erfolge unserer Politik viel mehr ausnützen können, als es in den letzten Monaten der Fall war. Heute sind die Krankheitserscheinungen in der deutschen Partei noch sehr stark. Bevor sie nicht endgültig beseitigt sind, werden wir auf bestimmten Gebieten natürlich nicht so in der Lage sein, das durchzusetzen, was wir wollen und hoffen. Aber durch die allmähliche Konsolidierung in der Führung, durch die Herausbildung von neuen proletarischen Elementen, dadurch, daß wir in jeder Beziehung im täglichen Kampfe gemeinsam mit dem Proletariat gegen die Bourgeoisie und die SPD wachsen, glauben wir, daß wir in der Entwicklung, in dieser günstigen politischen Situation für die Partei die Möglichkeit schaffen, ernste Maßnahmen zum Siege der deutschen Arbeiterklasse durchzuführen.

Auf diesem Wege befinden wir uns, diese Basis müssen wir stärken, wir müssen unsere Kampffront erweitern und auch außerhalb der Kommunistischen Partei die rote Klassenfront verstärken, damit wir die zukünftigen Aufgaben im revolutionären Kampf erfüllen können. Von Etappe zu Etappe werden wir die deutsche Arbeiterklasse erobern und zum Siege führen.

 

 

 

 

 



[1]. Cf. http://www.deutsche-kommunisten.de/Ernst_Thaelmann/Band1/thaelmann-band1-040.shtml.

[2]. Gemeint ist der "Offene Brief" des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale an alle Organisationen und die Mitglieder der KPD, der in der "Roten Fahne" vom 1. September 1925 veröffentlicht wurde.