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10. Plenum des Exekutivkomitees
der Kommunistischen Internationale
(3.19. Juli 1929)

Dmitrij Zaharovič Manuilʹskij
Referat: Die Kommunistische Internationale
im Kampf um die Mehrheit der Arbeiterklasse

3. Juli 1929

 

 

Quelle:

10. Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale (Moskau, 3. bis 19. Juli 1929) - Protokoll, Verlag der Kommunistischen Internationale, Hamburg, Verlagsbuchhandlung Carl Hoym Nachf. L. Cahnbley, 1929, S. 50‑85.

 

 

 

 

 

 

Erstellt: November 2016

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Dokumente der Kommunistischen Internationale ‑ Übersicht

 

 

 

 

 

 

Einleitung: Die Grundfragen der Politik des heutigen Tages

Die Frage, die ich zur zentralen Achse meines Referats machen will, ist die Frage der Eroberung der führenden Rolle durch die kommunistischen Parteien in der Arbeiterbewegung, eine Frage, die unter den Verhältnissen der europäischen Arbeiterbewegung die Frage der Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse darstellt, der Bedingungen, unter denen die kommunistischen Parteien diese Aufgabe zu lösen haben, der Methoden ihrer Lösung und der Hindernisse, die sich ihrer erfolgreichen Lösung in den Weg stellen.

Diese Frage der Eroberung der Führung der Arbeiterbewegung ist augenblicklich der Anfang allen Anfangs, von dem wir ausgehen müssen bei der Festsetzung aller übrigen Aufgaben der kommunistischen Parteien, der Schwerpunkt der gesamten weiteren innerparteilichen Entwicklung der Sektionen der Komintern, die das in der dritten Periode höchst wichtige Problem zu lösen haben, wie das ausschlaggebende Massivelement der Arbeiterklasse ihrer Avantgarde nähergebracht und wie diese Avantgarde erweitert werden kann zum siegreichen Kampf um die proletarische Diktatur. Diese Aufgabe haben die Kommunisten Europas und Amerikas unter anderen Bedingungen zu lösen als es die russischen Bolschewiki vor der Oktoberrevolution 1917 tun mußten. Der Kapitalismus ist in diesen Ländern stärker, die Bourgeoisie ist organisierter, die Bestechung und die Korrumpierung der Spitze, der Arbeiteraristokratie haben einen derartigen Grad erreicht, wie man ihn im alten zaristischen Rußland nicht kannte, die Arbeiterklasse ist dort stärker organisiert in allen möglichen gelben Organisationen (Sozialdemokratie, reformistische Gewerkschaften, Christliche, die Amerikanische Arbeitsföderation usw.).

Je organisierter aber das Proletariat irgend eines entwickelten kapitalistischen Landes ist, um so größere Gründlichkeit fordert die Geschichte von uns bei der Vorbereitung der Revolution und mit um so größerer Gründlichkeit müssen wir die Mehrheit der organisierten Arbeiter erobern.

(Lenin, Referat über die Taktik der KPSU. auf dem Dritten Weltkongreß, 5. Juli 1921.)

Wir stehen noch nicht einer unmittelbar revolutionären Situation gegenüber, in der die revolutionäre Partei des Proletariats verpflichtet ist, sich nicht nur die Frage der Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse. sondern auch der Ausdehnung ihres Einflusses auf die breitesten Schichten aller Werktätigen und Ausgebeuteten überhaupt zu stellen. Aber wir befinden uns bereits in einer solchen Etappe der Entwicklung der internationalen kommunistischen Bewegung, in der wir in einer Reihe von Ländern mit starken kommunistischen Parteien die Aufgabe der Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse stellen müssen, als die konkrete Aufgabe der Politik des heutigen Tages. Wir stellen sie einigermaßen anders heute als zur Zeit des 3. Weltkongresses, als ihre Lösung sich auf eine Reihe von langen Jahren der “Stabilisierungs”periode zu erstrecken hatte. Seither haben wir Klassenkonflikte von so gigantischer Größe erlebt wie den englischen Generalstreik, die chinesische Revolution, den Juliaufstand des Wiener Proletariats und die Maiereignisse in Berlin, die die geschichtlichen Fristen für die Lösung dieser Aufgabe erheblich verkürzt haben. Diese Fristen wurden verkürzt durch die Verschärfung des Klassenkampfes, der eine allgemeine Scheidung der Klassenkräfte herbeiführte, sie wurden verkürzt durch das im Zusammenhang mit der Durchführung der kapitalistischen Rationalisierung immer ärger werdende Elend der proletarischen Massen, durch den immer stärker werdenden Prozeß der Linksentwicklung der Arbeiterklasse, durch die “Prüfung”, der er augenblicklich die sozialdemokratische und die "Arbeiter"-Regierung in Deutschland bzw. England unterzieht, durch den unerbittlich näherrückenden Krieg, durch die heranreifenden kolonialen Revolutionen in erster Linie in Indien und überhaupt durch alle Widersprüche des “organisierten” Kapitalismus.

Wenn wir uns nun aber die Aufgabe der Eroberung der Führung der Arbeiterbewegung stellen, so stoßen wir dabei auf eine außerordentliche Mannigfaltigkeit der Bedingungen für ihre Lösung. Anders z. B. steht diese Aufgabe in Deutschland als in England, und ganz anders wiederum steht sie in bezug auf die kleine österreichische Kommunistische Partei. Hier kann es weder eine Einfachheit, noch eine allgemeine Schablone für ihre Lösung geben. In einer Reihe von Ländern sind wir Kommunisten erst noch eine potentielle Kraft, eine Kraft des morgigen Tages. In andern Ländern, wie zum Beispiel in einigen Ländern Lateinamerikas, wo ein äußerst rascher Wechsel der politischen Konjunktur zu verzeichnen ist, und wo nicht selten äußerst rasch unmittelbare revolutionäre Situationen heranreifen, geht das Wachstum des Einflusses der jungen, politisch noch nicht im Feuer gestandenen kommunistischen Parteien auf die breitesten nichtproletarìschen Massen der Werktätigen weit rascher vor sich als die Ausdehnung ihres Einflusses auf die Arbeiterklasse. In solchen Kolonialländern wie Indien, wo die Kommunistische Partei erst im Entstehen begriffen ist, kämpfen bereits ungeheure Massen, Millionen von Menschen mit unsern Methoden der Klassengewalt, ohne daß sie sich für Kommunisten-Bolschewisten halten. Die Art und Weise, wie die Lösung dieser Aufgabe aufzufassen ist, hängt ab von der Gesamtheit der wirtschaftlichen, politischen und geschichtlichen Entwicklungsbedingungen der Arbeiterbewegung jedes Landes, von dem Grade ihrer revolutionären Reife, vor allem aber von dem Niveau, auf dem sich die kommunistische Bewegung befindet. Wir stellen diese Aufgabe als eine aktuelle Aufgabe deshalb, weil wir nicht eine kleine Sekte in der internationalen Arbeiterbewegung sind. Die Komintern ist schon nicht mehr das Gespenst des Kommunismus, das in Europa umgeht, sondern sie ist bereits eine reale Kraft, die heute die proletarischen Klassenkämpfe in einer Reihe von Ländern vorbereitet, organisiert und führt. Ihre bedeutendste Sektion ist die KPSU., diese Partei der siegreichen proletarischen Revolution, die seit einem Jahrzehnt auf einem Sechstel des Erdballs am Aufbau des Sozialismus arbeitet. Die Kommunisten sind bereits zu Massenparteien in Ländern geworden wie Deutschland, Frankreich, Tschechoslowakei, und in Polen, in diesem Lande des weißen Terrors ‑ Parteien, deren ideologische Anhänger nicht nach Tausenden, sondern nach Zehntausenden, Hunderttausenden und Millionen zählen. Und diese Tatsache unserer Erfolge steckt die rückständigen Sektionen der Kommunistischen Internationale an durch das Beispiel und regt ihre Energie an. Nicht durch die Methoden des Zirkelwesens und nicht durch die Methoden nur der Agitation und Propaganda werden wir diese Aufgabe in der jetzigen Etappe der Arbeiterbewegung lösen, sondern durch die erstarkenden und an Ausdehnung zunehmenden Klassenkämpfe, die angesichts der aufsteigenden Welle der Arbeiterbewegung zur hauptsächlichsten Methode der Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse werden. Unter dem Gesichtspunkte der Lösung dieser Aufgabe stellen wir unsere Reihen um. Das Übergewicht innerhalb der Kommunistischen Partei erhalten die aktivsten, kampfentschlossensten Elemente unserer Bewegung, die fähig sind, in der innerparteilichen Politik die in der Arbeiterklasse vor sich gehenden Verschiebungen widerzuspiegeln und dementsprechend werden die weniger aktiven Parteischichten in den Hintergrund gedrängt. Unter diesem Gesichtspunkt erfolgt die Umstellung und Erneuerung der Parteiführung. In der Parteimasse vollzieht sich ein Prozeß zu ihrer Säuberung von allem, was faul und passiv in ihr ist, was wie ein Bleigewicht auf ihr lastet und die Vorwärtsbewegung der Partei hemmt. Das, was die Rechten als “Krisen” in der Komintern bezeichnen, ist die Bolschewisierung der kommunistischen Parteien, die notwendig ist als eine Vorbedingung für die erfolgreiche Durchführung der Aufgabe der Eroberung der führenden Rolle in der Arbeiterbewegung. Das ist der Übertritt der Kommunistischen Partei, wenn man sich so ausdrücken kann, in die “oberste Schulklasse”, wobei alles Untaugliche, wenig Erfolgversprechende und hinter den Anforderungen der kommunistischen Bewegung Zurückbleibende abgestoßen wird.

Nach diesen einleitenden Bemerkungen, die auf die Stellung der Frage Bezug haben, gehe ich über zu ihrem eigentlichen Wesen.

I. Die Aufgabe der Eroberung der Mehrheit

1. Können die kommunistischen Parteien unter dem Kapitalismus die Mehrheit der Arbeiterklasse organisatorisch erfassen?

Was heißt es, die führende Rolle in der Arbeiterbewegung zu erobern? Bedeutet das, daß die Kommunisten verpflichtet sind, die Mehrheit der Arbeiterklasse zu erobern? Unter den Verhältnissen in Europa bei dem Vorhandensein einer starken Sozialdemokratie und der reformistischen Gewerkschaften ‑ zweifellos: ja! Aber bedeutet das, daß die Kommunisten verpflichtet sind, die Mehrheit der Arbeiterklasse organisatorisch zu erfassen? Nein, Genossen, es kann hier nur die Rede sein von dem unmittelbaren Einfluß der Kommunistischen Partei auf die Mehrheit der Arbeiterklasse durch ihre Transmissionsriemen ‑ die Gewerkschaften, die Betriebsräte, die Streikleitungen und die verschiedensten Aktionsausschüsse, die in den Betrieben usw. organisiert werden. Schlecht bestellt wäre es in bezug auf jene kommunistische Partei, die abwarten würde, bis sie die Mehrheit der Arbeiterklasse organisatorisch erfaßt hat, um Anspruch erheben zu können auf die führende Rolle in der Arbeiterbewegung. Wir sind nicht nur die Partei der Mehrheit der Arbeiterklasse, sondern wir sind die einzige Partei der gesamten Arbeiterklasse, die in hingebungsvoller Weise sowohl ihre unmittelbaren Interessen als auch ihre Endziele, im allumfassenden weltgeschichtlichen Maßstab genommen, verteidigt. Die Sozialdemokratie ist heute nicht nur jene Partei, die ähnlich dem Revisionismus der Vorkriegszeit die Endziele der Bewegung preisgegeben hat, sondern auch die Partei, die heute im Dienste des Kapitals gegen die unmittelbaren Interessen des Proletariats auftritt. Eine zahlenmäßig kleine kommunistische Partei, die sich einschüchtern ließe durch die Zahl der sozialdemokratischen Stimmen und die darauf verzichten würde, schon heute den Kampf um die Führung der Arbeiterbewegung aufzunehmen, würde zeigen, daß sie nicht glaubt, daß sie und nur sie die einzige Arbeiterpartei ist. Im Rahmen des Kapitalismus werden die Kommunisten niemals zur “organisierten” Mehrheit der Arbeiterklasse und können es auch gar nicht werden.

In der Epoche des Kapitalismus, da die Arbeitermassen einer ununterbrochenen Ausbeutung ausgesetzt sind und ihre menschlichen Fähigkeiten nicht entwickeln können, ist für politische Arbeiterparteien der Umstand am charakteristischsten, daß sie nur die Minderheit ihrer Klasse erfassen können. Die politische Partei kann nur die Minderheit der Klasse vereinigen, ebenso, wie die wirklich klassenbewußten Arbeiter in jeder kapitalistischen Gesellschaft lediglich eine Minderheit aller Arbeiter darstellen. Das ist der Grund, warum wir anzuerkennen genötigt sind, daß lediglich diese klassenbewußte Minderheit die breiten Arbeitermassen zu führen und unter ihren Einfluß zu bringen vermag.

(Lenin-Rede auf dem 2. Weltkongreß am 23. Juli 1920.)

Die Erfahrung der proletarischen Diktatur in der Sowjetunion hat gezeigt, daß sogar nach dem Siege des Proletariats die organisatorische Erfassung der Mehrheit der Arbeiterklasse durch die Kommunistische Partei eine langwierige Aufgabe ist. Bedeutet das weiter, daß die kommunistischen Parteien, um die Führung der Arbeiterbewegung zu übernehmen, innerhalb der Arbeiterklasse über eine formale, bei verschiedenen Abstimmungen (bei Parlaments-, Kommunal-, Betriebsräte-, Gewerkschafts- und anderen Wahlen) zum Ausdruck kommende Mehrheit innerhalb der Arbeiterklasse verfügen müssen? Wir lehnen auf das allerentschiedenste die fetischistische Einstellung der rechten opportunistischen Elemente zur Frage der Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse ab. Diese Leute messen das Kräfteverhältnis zwischen den Kommunisten und der Sozialdemokratie in der Arbeiterbewegung statistisch, mit Maßstäben, die sich kaum von den bekanntlich auf der Erfahrung der bürgerlichen Demokratie beruhenden sozialdemokratischen Maßstäben unterscheiden. Kann man z. B. die “Mehrheit”, die bei den letzten Reichstagswahlen von der Sozialdemokratie aufgebracht wurde, als einer Staatspartei, die im Bündnis mit den Unternehmern vorgeht, über deren finanzielle Unterstützung, über eine uneingeschränkte Agitationsfreiheit und über einen riesigen Stab sozialdemokratischer Beamter im Staatsdienste verfügt ‑ kann man diese Mehrheit als den echten Ausdruck des realen Kräfteverhältnisses zwischen der Sozialdemokratie und der staatsfeindlichen kommunistischen Partei in der deutschen Arbeiterbewegung betrachten. Die dreieinhalb Millionen Stimmen der deutschen Kommunistischen Partei, deren Mitglieder von den Unternehmern aus den Betrieben herausgeworfen. deren Anhänger von Zörgiebel niedergeschossen werden, deren Presse verfolgt und verboten wird, besitzen ein ganz anderes spezifisches Gewicht als die für die Sozialdemokratie abgegebenen zehn Millionen Stimmen. Nur ein ausgemachter parlamentarischer Kretin ist imstande anzunehmen, daß man nach der Art eines ehrlichen Krämers mit ein- und demselben Gewicht zwei qualitativ von einander verschiedene Größe messen kann. Wir lehnen die formellen Kriterien deshalb ab, weil es in dem politisch bis auf die Knochen korrupten, von oben bis unten auf Betrug und einer ungeheuerlichen Druckausübung gegenüber den werktätigen Massen beruhenden System der kapitalistischen Demokratie niemals einen vollen freien Willensausdruck der Arbeiterklasse geben kann. Wir besitzen zur Definierung der Eroberung der Mehrheit andere Kriterien, nämlich die Führung der Massenkämpfe des Proletariats durch die kommunistische Partei. Eine kommunistische Partei kann, ohne die formale Mehrheit zu haben, die Führung über alle wichtigen Aktionen der Arbeiterklasse besitzen. Hätte z. B. unsere deutsche Bruderpartei, die es fertig gebracht hat, bei den letzten Betriebsrätewahlen einen so gewaltigen Sieg zu erringen, die es fertig gebracht hat, trotz des Verbots von Zörgiebel und der reformistischen Gewerkschaften, am 1. Mai etwa 200.000 Arbeiter auf die Straße zu führen, vermocht, auf den Arbeitermord am 1. Mai mit einem ebenso mächtigen politischen Massenstreik zu antworten, wenn sie fähig wäre, unter gewissen Umständen durch ihren Aufruf die Niederlegung der Arbeit in der Mehrzahl der Fabriken und Betriebe Deutschlands herbeizuführen. so wäre sie, ungeachtet dessen, daß sie nicht die formale Mehrheit besitzt, dennoch die Partei, die bereits die Mehrheit der Arbeiterklasse erobert hat.

Mit dieser Stellung der Frage fertigen wir auch die legalistische Vorstellung von der Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse ab. Die rechten opportunistischen Elemente denken sich die Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse ausschließlich im Rahmen legaler Parteien auf friedlichem, fast idyllischem Wege, auf der Grundlage der “Arbeiterdemokratie”. Unser Kampf um die Mehrheit der Arbeiterklasse wird vom blutigen Kämpfen nicht nur gegen die Bourgeoisie, sondern auch gegen die Sozialdemokratie begleitet sein. Dieser Kampf tritt augenblicklich in jenen Ländern, wo wir unmittelbar dabei sind, die Mehrheit des Proletariats dem Einfluß der Sozialdemokratie zu entziehen, in diese erbittert akute Phase ein. Die Bourgeoisie und der Sozialfaschismus werden bestrebt sein, unsere Massenparteien in illegale Parteien zu verwandeln. Diese Perspektive läßt die rechten Opportunisten zurückschrecken. In ihrer Vorstellung ist eine illegale Partei ‑ die Loslösung von den Massen. Dabei aber kann eine kleine illegale Partei, die einige Tausend der fortgeschrittensten, der Sache der Arbeiterklasse ganz ergebenen Revolutionäre besitzt und die unter den Verhältnissen des brutalsten weißen Terrors arbeitet, falls sie Zähigkeit entfaltet und es versteht, in die Betriebe einzudringen angesichts der im Ansteigen befindlichen revolutionären Stimmung der Arbeiterklasse ‑ ganz den gleichen Einfluß auf die Massen besitzen, wie eine große, auf offener Arena auftretende Massenpartei. Der langjährige heldenhafte Kampf einer solchen illegalen Partei unter den schwersten Verhältnissen verschafft ihr unter den Massen eine Autorität, die sich mit den Jahren in eine tiefwurzelnde Tradition des Vertrauens ihr gegenüber verwandelt. Das Musterbeispiel einer solchen Partei ist die Kommunistische Partei Polens. Wenn die Erfahrung der deutschen Kommunistischen Partei, die von allen legal bestehenden Massenparteien der Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse am nächsten gekommen ist, ungeheure Bedeutung besitzt für alle Länder mit offenen oder halb offenen Formen der kommunistischen Bewegung, so ist die Erfahrung der KP. Polens ausschlaggebend für alle illegalen kommunistischen Parteien, die unter den Verhältnissen des weißen Terrors arbeiten. Nur jene Partei wird wirklich auf bolschewistische Weise an die Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse heranzutreten vermögen, die es verstehen wird, die offenen Formen der Bewegung mit den illegalen Arbeitsformen zu kombinieren, die es rasch verstehen wird, ihre Reihen umzustellen unter Anpassung an die Verhältnisse der Illegalität. Schlimm bestellt sein wird es um jene Parteien, die sich lediglich den Verhältnissen der legalen Existenz anpassen; solche kommunistische Parteien würden im Augenblick des Krieges vor dem Klassenfeinde gänzlich entwaffnet dastehen. Mit diesen sozialdemokratischen Traditionen aufzuräumen, ist deshalb die Vorbedingung für die erfolgreiche Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse.

2. Die Leninsche Einstellung in der Frage der Eroberung der Mehrheit

Die Leninsche Einstellung in der Frage der Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse bestimmt von vornherein die Haltung der Kommunisten in der Frage der Eroberung der Mehrheit aller Werktätigen und Ausgebeuteten überhaupt.

Das Proletariat kann nicht siegen, ‑ schrieb Lenin ‑ ohne daß es die Mehrheit der Bevölkerung erobert und auf seine Seite herüberzieht. Aber diese Eroberung einschränken oder bedingen zu wollen durch die Aufbringung der Stimmenmehrheit bei den Wahlen unter der Herrschaft der Bourgeoisie, ist eine unheilbare Geistesarmut oder ein einfacher Betrug der Arbeiter. Um die Mehrheit der Bevölkerung zu erobern und auf seine Seite herüberzuziehen, muß das Proletariat in erster Linie die Bourgeoisie stürzen und die Staatsgewalt in die Hand nehmen; zweitens muß es die Rätemacht einführen, nachdem es den alten Staatsapparat vollständig zertrümmert hat, wodurch es mit einem Schlage die Herrschaft, die Autorität, den Einfluß der Bourgeoisie sowie der kleinbürgerlichen Kompromißler unter der Mehrheit der nichtproletarischen werktätigen Massen untergräbt. Es muß drittens den Einfluß der Bourgeoisie und der kleinbürgerlichen Kompromißler unter der Mehrheit der nichtproletarischen werktätigen Massen endgültig beseitigen durch die revolutionäre Befriedigung ihrer ökonomischen Nöte auf Kosten der Ausbeuter.

("Die Wahlen zur Konstituierenden Versammlung und die Diktatur des Proletariats": Lenin vom 16. Dezember 1919.)

Wenn wir somit die Einstellung Lenins zu diesen Grundfragen zusammenfassen, so ergibt sich folgendes. Die erste These: Damit die revolutionäre Partei des Proletariats die Bourgeoisie zu stürzen, den alten Staatsapparat zu zerschlagen und die neue Rätemacht aufzurichten vermag, muß sie die Mehrheit der Arbeiterklasse erobern und auf ihre Seite herüberziehen.

Die zweite These: Das Proletariat kann die Bourgeoisie stürzen, noch bevor es die Mehrheit der nichtproletarischen werktätigen Massen erobert und auf seine Seite herübergezogen hat, weil seine Kraft in jedem kapitalistischen Lande bedeutend größer ist als sein zahlenmäßiges Verhältnis zur Gesamtmasse der Bevölkerung. Diese seine multiplizierte Kraft ergibt sich aus der Tatsache, daß das Proletariat wirtschaftlich über die Zentren und die Nerven des ganzen kapitalistischen Systems herrscht, daß die Stadt unter den geschichtlichen Verhältnissen der heutigen Epoche nicht dem Dorfe gleich ist und unvermeidlich das Dorf hinter sich herführt; daß die Konzentriertheit, die Organisiertheit und die Diszipliniertheit des Proletariats sein spezifisches Gewicht erhöhen, im Vergleich zur Zersplittertheit und dem kleinbürgerlichen Individualismus der Mittelstandsschichten, und daß das Proletariat wirtschaftlich und politisch die Interessen der überwiegenden Mehrheit der Werktätigen unter dem Kapitalismus ausdrückt.

Die dritte These: Das Proletariat muß nach dem Sturz der Bourgeoisie die Staatsgewalt ausnützen als Werkzeug zur Gewinnung der erdrückenden Mehrheit der nichtproletarischen werktätigen Massen und zur Herüberziehung derselben auf seine Seite, als Werkzeug, mittels dessen es der Bourgeoisie und den kleinbürgerlichen Parteien diese Massen wegnimmt.

Aber die Leninsche Stellung der Frage über die Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse bedeutet keineswegs eine Verbeugung vor der Spontaneität der Bewegung. Gerade dadurch, daß ihm eine Verbeugung vor der Spontaneität fremd war in der Frage der Massenbewegungen, unterschied sich der Leninismus von der Haltung Rosa Luxemburgs, die die organisierende Rolle der Partei in den Massenbewegungen nicht begriff. Der Leninismus verschiebt die Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse nicht auf die “großen Tage” einer unmittelbar revolutionären Situation. Wir werden die Revolution um so besser organisieren und vorbereiten, je näher wir der Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse kommen. Und das hat besondere Bedeutung für die westeuropäischen kommunistischen Parteien, wo die Elemente der revolutionären Spontaneität in der Arbeiterbewegung in bedeutendem Grade paralysiert werden durch das Bestehen starker sozialdemokratischer Parteien; und darin besteht der wesentliche Unterschied des europäischen Typs der Arbeiterbewegung etwa von dem Typ der russischen Bewegung bis zur Oktoberrevolution 1917. Bei uns haben in der Vergangenheit die Elemente der revolutionären Spontaneität eine bedeutend größere Rolle gespielt als in der Bewegung des westeuropäischen Proletariats, dessen Spitze systematisch korrumpiert wurde durch den jahrzehntelangen Betrug der parlamentarischen Demokratie, der Freiheit der reformistischen Arbeiterorganisationen usw. Die Geschichte fordert von uns eine gründlichere Vorbereitung auf die Revolution im Westen als im alten Rußland, auch noch deshalb, weil die Weltbourgeoisie sich in ausgezeichneter Weise die Lehren der Niederlage der russischen Bourgeoisie und Gutsbesitzer im Oktober 1917 zunutze gemacht hat. Sie ist heute besser vorbereitet auf den Bürgerkrieg als im Jahre 1917, sie verfügt heute überall über die stärksten faschistischen Abteilungen, sie hat unter dem Deckmantel der “Abrüstung” ihre Armee nach dem Klassenprinzip umgestellt zu dem Zweck des Bürgerkrieges, und sie hat ihren ganzen Gewaltapparat vervollkommnet. In den modernen kapitalistischen Ländern genügt es nicht, zwei bis drei Zentren zu beherrschen, wie das in Rußland der Fall war, um den Erfolg der Revolution zu sichern. Solche Zentren gibt es dort Dutzende. Schließlich ist der Charakter der Lagerung der Klassenkräfte im Westen heute ein anderer, als er bei uns vor dem Oktober 1917 war. Die Klassenscheidungen sind tiefer als bei uns; das Lager der Revolution und das Lager der Konterrevolution stehen sich in ausgeprägterer Klassenstellung gegenüber; die Rolle der zwischen der Revolution und der Konterrevolution schwankenden Zwischenschicht ist bedeutend geringer, als es in Rußland 1917 der Fall war. Das Proletariat ist hier zahlreicher und stärker, aber es ist auch isolierter; die Schicht der Mitläufer und der Sympathisieren den aus anderen Zwischenklassen ist hier sehr dünn. Die Klassendifferenzierung im Dorf ist eine tiefere. Der Charakter der heutigen Wirtschaftskämpfe zeigt, daß das Proletariat in jedem wirtschaftlichen Konflikt den heiligen Dreibund des kapitalistischen Staates, der Unternehmer und der reformistischen Bürokratie gegen sich hat. Infolge des weit fortgeschrittenen Verwachsens der Unternehmerorganisationen mit dem Staat, des Wachstums und der Verstärkung der Tendenzen des Staatskapitalismus, des Verwachsens der Sozialdemokratie und der reformistischen Gewerkschaftsbürokratie mit dem kapitalistischen Staat und den Unternehmerorganisationen, gewinnt jede Aktion des Proletariats die Tendenz, sich in einen allgemeinen Konflikt mit dein gesamten System der kapitalistischen Gesellschaft zu verwandeln. Jede Aktion des Proletariats stößt auf den Widerstand der Einheitsfront aller Kräfte der kapitalistischen Reaktion. Der Kampf des Proletariats in der heutigen imperialistischen Epoche ist schwieriger, als es bis zum Kriege 1914118 der Fall war. In solchen Ländern des Faschismus wie Italien und Jugoslawien ist der Beginn eines revolutionären wirtschaftlichen Streiks gleichbedeutend mit dem Beginn des “letzten Entscheidungskampfes”. Der Klassengegensatz ist hier auf eine in der Vergangenheit noch nicht dagewesene Spitze getrieben, vorerst aber häufen sich diese Klassengegensätze lediglich an, um sich dann bei dem Zusammenbruch des Systems des Kapitalismus, der den Faschismus und die Sozialdemokratie in den Abgrund reißen wird in derart stürmische Formen zu ergießen, vor denen der Bürgerkrieg in der Sowjetunion verblassen wird.

Alle diese Verhältnisse lassen vor den kommunistischen Parteien aller Länder die Aufgabe einer besseren organisatorischen Vorbereitung der Revolution erstehen, als es bei den russischen Bolschewiki in der Vergangenheit der Fall war. Die kommunistischen Parteien aber besser organisatorisch vorzubereiten auf die Revolution, das bedeutet den Eintritt in die revolutionären Entscheidungskämpfe in einer breiteren organisatorischen Basis, als es die Bolschewiki 1917 taten. Wenn wir uns nicht die direkte Aufgabe der organisatorischen Erfassung der Mehrheit der Arbeiterklasse im Rahmen der Kommunistischen Partei stellen, so bedeutet das keineswegs, daß wir nicht organisatorisch die Mehrheit ihrer ausschlaggebenden Schichten im Rahmen der unter dem Einfluß der Kommunistischen Partei stehenden parteilosen Organisationen (Gewerkschaften, Aktionsausschüsse, Streikleitungen, Betriebsräte usw.) erfassen können.

Im entscheidenden Moment ‑ schrieb Lenin ‑ an dem entscheidenden Punkt das erdrückende Übergewicht der Kräfte zu haben ‑ dieses “Gesetz” der militärischen Erfolges ist auch das Gesetz des politischen Erfolges, besonders in jenem erbitterten, heiß tobenden Krieg der Klassen, der die Bezeichnung Revolution trägt.

Solche Stoßtrupps unter den entscheidenden Schichten der Arbeiterklasse zu bilden, das bedeutet, sich organisatorisch in erster Linie unter den Metallarbeitern, den Bergarbeitern, den Transportarbeitern, den Arbeitern der chemischen Industrie, der elektrischen Industrie und den Arbeitern der Kriegsindustrie zu verankern. Weiter bedeutet das die Verankerung in den wichtigsten Industriearterien des Landes, in jenen großen Zentren, in denen der Sieg des Proletariats ausschlaggebenden Einfluß auf den Erfolg der Revolution haben wird. In dritter Linie bedeutet das die Eroberung der hauptsächlichsten Positionen an den wichtigsten strategischen Punkten des Klassenfeindes: Post, Telegraph, Telephon, Werften, Eisenbahnknotenpunkte usw.

Schließlich müssen wir im Betriebe selbst in erster Linie jene Arbeitergruppen erobern, ohne deren Beteiligung am Produktionsprozeß ein normales Funktionieren des Betriebes undenkbar ist.

II. Unter welchen Verhältnissen geht der Kampf um die Mehrheit der Arbeiterklasse vor sich

1. Das Vorhandensein des proletarischen Staates

Ich gehe über zur Frage der Verhältnisse, unter denen der Kampf der kommunistischen Parteien um die Mehrheit der Arbeiterklasse vor sich geht. Das erste, was hier erwähnt werden muß, ‑ ist der Umstand, daß wir der Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse in den kapitalistischen Staaten entgegengehen, während gleichzeitig die proletarische Diktatur in der Sowjetunion besteht, die sich auf die Mehrheit der Werktätigen stützt. Das ist ein entscheidendes Moment. Die proletarische Diktatur in einem Lande ist nicht nur ein Werkzeug zur Eroberung der Mehrheit der nichtproletarischen werktätigen Massen dieses Landes für das Proletariat, sondern auch eine mächtige Waffe, die die kommunistischen Parteien jener Länder, in denen noch der Kapitalismus herrscht, erhalten, um ihrerseits die Mehrheit der Arbeiterklasse erobern zu können. In erster Linie steigert das Vorhandensein der proletarischen Diktatur der Sowjetunion um ein Vielfaches das spezifische Gewicht unserer organisierten kommunistischen “Minderheiten” in den kapitalistischen Ländern. Augenblicklich ist der Typ des quasi kommunistischen Spießers sehr verbreitet, der von der “Zersetzung” der Komintern faselt und zu diesem Zweck mit den Mitgliederzahlen solcher kommunistischer Parteien, wie der österreichischen, der schweizerischen usw. operiert. Der italienische Versöhnler Serra hat sich in einem dem ZK. der KP. Italiens eingereichten Memorandum z. B. zu einer derart ungeheuerlichen Ungereimtheit verstiegen, daß er behauptete, daß unsere Sektionen gegenwärtig schwächer seien, als in den Jahren 1919/21. Das würde darauf hinauslaufen, daß die deutschen Spartakisten stärker gewesen sind als die deutsche Kommunistische Partei in ihrem heutigen Zustand ist. Mit derartigen Spießern zu polemisieren, ist zwecklos. Ihre Mathematik zur Berechnung der revolutionären Kräfte ‑ das ist die Mathematik nicht eines Politikers, sondern eines durch die “Kraft” der Sozialdemokratie eingeschüchterten Kleinbürgers. Sie begreifen nicht, daß einige hundert Mitglieder der österreichischen Kommunistischen Partei nicht einfach einige hundert sind, sondern, daß bei der Berechnung ihrer Kräfte auch die zum proletarischen Staat organsierte Mehrheit der Werktätigen in der Sowjetunion zu berücksichtigen ist. Diese einige hundert haben kraft dieser Tatsache eine andere Bedeutung als, sagen wir, beispielsweise einige Dutzend Serra, die sich auf einige hundert Brandlerianer in Europa stützen. Derjenige, der bei der Berechnung des Kräfteverhältnisses zwischen den kommunistischen “Minderheiten” und den sozialdemokratischen “Mehrheiten” diese entscheidende Tatsache ignoriert, der ist einfach ein Schwachkopf, der nicht einmal bis 10 zählen kann. In zweiter Linie erleichtert das Vorhandensein der proletarischen Diktatur in der Sowjetunion den kommunistischen Parteien der kapitalistischen Länder in jeder Hinsicht den Kampf um die Mehrheit der Arbeiterklasse. Und das begreifen die Politiker der Bourgeoise weit besser als viele europäische Kommunisten, die nur die Schwierigkeiten ihrer Situation bei der Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse in Überlebensgröße schildern. Schließlich ist das Vorhandensein des organisierten proletarischen Staats ein Faktor, der den Kampf zwischen den kommunistischen Parteien und der Sozialdemokratie um die Führung der Arbeiterbewegung verschärft. Dieser Kampf wird nicht nur in der Form eines inneren Bürgerkrieges, sondern auch in der Form eines von der internationalen Sozialdemokratie provozierten und unterstützten Krieges gegen die Sowjetunion vor sich gehen. Solche Parteien, wie die PPS. oder die deutsche Sozialdemokratie, deren Aggressivität gegenüber der Sowjetunion schon heute bedeutend weitergeht als die Aggressivität der “Geschäftsleute” aus dem bürgerlichen Lager, werden in einem solchen Kriege nicht nur besorgt sein um den Kapitalismus, sondern vor allem um ihre eigene. mit der Aufrechterhaltung des Kapitalismus zusammenhängende Existenz.

2. Die Wandlung der Sozialdemokratie zum Sozialfaschismus

Man muß sich genau Rechenschaft darüber ablegen, daß, je mehr der Einfluß der kommunistischen Parteien wachsen wird,  und je näher sie der Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse kommen werden, eine um so raschere Entwicklung der Sozialdemokratie nach der Richtung der aggressivsten Kriegspartei gegen die Sowjetunion erfolgen wird. Der Kampf der in den letzten Zügen liegenden 2. Internationale um die Aufrechterhaltung der Reste ihres Einflusses auf die Massen gegen die 3., die Kommunistische Internationale, wird in der Arena des Krieges der kapitalistischen Staaten gegen den Staat der proletarischen Diktatur zur Austragung gelangen. Dabei ist nicht nur die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß die Bourgeoisie diesen Krieg führen wird vermittels der "Arbeiter"- und sozialdemokratischen Regierungen, sondern diese Perspektive ist unter den Verhältnissen der Zunahme der ungeheuren Schwierigkeiten der Bourgeoisie die am meisten wahrscheinliche. Wenn sich die kommunistischen Parteien im Kampfe um die Mehrheit der Arbeiterklasse auf den ersten Staat der proletarischen Diktatur in der Welt stützen werden, so wird die zweite Internationale nicht nur zum Werkzeug der kapitalistischen Staaten werden, sondern wird auch sie zu ihrem Werkzeug des Kampfes gegen das Wachstum des Kommunismus in der ganzen Welt machen. Die Sozialdemokratie wird der Bourgeoisie die Initiative zur Unterdrückung der Arbeiterklasse immer mehr aus der Hand nehmen. Sie wird um so mehr von Brutalität erfaßt werden und wird sich um so rascher faschisieren, je stärker ihr Einfluß auf die Arbeitermassen abnehmen wird. Ihre soziale Basis wird sich verändern, sie wird sich immer mehr auf jene Schichten stützen, die gestern noch die Armee des Faschismus bildeten. Die “Eroberung” dieser Schichten wird sie als ihren größten Sieg, als einen Triumph der unverwüstlichen Anziehungskraft der Idee des “demokratischen Sozialismus” proklamieren. Dieser Prozeß der Wandlung der Sozialdemokratie zum Sozialfaschismus hat bereits vor unseren Augen eingesetzt. Nicht bemerkt wird er von den rechten Opportunisten und von den Versöhnlern, die blind sind wie junge Hunde und nach wie vor die alte Leier herplappern, daß die Sozialdemokratie seit dem Verrat vom 4. August dieselbe geblieben sei und die den Prozeß ihrer Faschisierung leugnen.

Vor mir liegt z. B. ein von den deutschen Versöhnlern dem letzten Parteitag der KPD. eingereichtes Dokument. In diesem Dokument behaupten seine Verfasser, daß die von der Sozialdemokratie in den Maitagen in Berlin organisierten Arbeitermorde überhaupt nicht kennzeichnend seien für den Prozeß der Faschisierung der Sozialdemokratie, daß sie zur Kategorie der “normalen” Repressalien des kapitalistischen Staates gehören.

Alle Repressalien des bürgerlichen Staates gegenüber dem Proletariat als Faschismus und jegliche Beteiligung der Sozialdemokratie an solchen Repressalien als Sozialfaschismus zu qualifizieren, das heißt ‑ schreiben sie ‑ auf nicht marxistische Weise zu argumentieren.

(Anmerkung der Redaktion: Aus dem Russischen rückübersetzt.)

Auf Grund dieser Logik folgt, daß, wenn die italienischen Faschisten einem halb erwürgten Kommunisten Rizinusöl eingeben, das zu den Methoden der “anormalen” Repressalien gehört, die über den Rahmen der gewöhnlichen Repressalien des bürgerlichen Staates hinausgehen. Wenn aber Zörgiebel und seine Partei von der Hand der bürgerlichen Polizei das Feuer auf Arbeiterviertel eröffnen lassen, die nur die eine Schuld haben, daß sie von kommunistischen Arbeitern bewohnt sind, so bedeutet eine “Qualifizierung” dieser “Maßnahmen” als Sozialfaschismus, daß man ‑ “nicht auf marxistische Weise argumentiert”. Kann man sich eine schuftigere und spießerhaft plattere, nicht nur keine Spur von Marxismus enthaltende, sondern überhaupt auch kein Jota irgend welcher Analyse des Faschismus enthaltende Argumentation vorstellen? Diesen Leuten, die in der Tat die Sozialdemokratie weißwaschen, kommt nicht einmal die einfache Tatsache in den Sinn, daß der Faschismus nicht etwas von der Art “jeglicher Repressalien” ist, sondern die bis ins Ungeheuerliche gesteigerte Zentralisierung des staatlichen Gewaltapparates gegenüber den proletarischen Massen, die dem Grad der Zentralisierung des Kapitals und dem monopolistischen Charakter des Kapitalismus entspricht. Cavaignac ließ während des Juniaufstandes des Pariser Proletariats 1848 Zehntausende von Arbeitern niederschießen, Zörgiebel aber ließ einige Dutzend niederschießen und einige hundert Menschen zu Krüppeln schlagen und nichtsdestoweniger war der konterrevolutionäre General Cavaignac ein Lakai der bürgerlichen Demokratie, während Zörgiebel ein Lakai des Faschismus und ein Sozialfaschist ist. Zörgiebel ist, zum Unterschied von dem konterrevolutionären General Cavaignac, ein Sozialfaschist, weil zwischen Cavaignac und Zörgiebel eine ganze geschichtliche Ära der Wandlung des Kapitalismus zum monopolistischen Kapitalismus, zum Kapitalismus der Epoche der mächtigen Trusts und Konsortien, der Ära der Verwandlung der Sozialdemokratie aus einem Anhängsel der bürgerlichen Demokratie in ein Anhängsel des zentralisierten Trustkapitals liegt. Die Sozialdemokratie ist die Partei des Sozialfaschismus nicht nur deshalb, weil sie im Augenblick eines Arbeiteraufstandes nicht davor halt macht, mehr Arbeiter niederzuschießen als Cavaignac, sondern deshalb, weil durch ihre Hände das zentralisierte Trustkapital darauf hinstrebt, erstens die Einrichtung der bürgerlichen Demokratie: den Parlamentarismus, das System der Parteien usw. abzuschaffen, zweitens, weil sie bereits jene Errungenschaften abschafft, die die Arbeiterklasse sich sogar noch aus der Zeit der bürgerlichen Demokratie bewahrt hat: sie erwürgt mit der Henkerschlinge des Zwangsschlichtungswesens die Streiks, unter Mitwirkung der Sozialdemokratie werden die revolutionären Gewerkschaften aufgelöst usw. Es ist lächerlich z. B., wenn man von Faschismus in Ländern spricht, die erst die bürgerlich-demokratische Revolution durchmachen. In China haben wir die aller brutalste, aller rücksichtsloseste bürgerliche Konterrevolution, aber das ist kein Faschismus. Das schließt allerdings nicht aus, daß Tschang Kai Schek, wenn er die Kuo Min Tang-Gewerkschaften aufpfropft, sich die Erfahrung Mussolinis und Zörgiebels aufs weitgehendste zunutze macht. Würde das Weltproletariat nicht durch die proletarische Revolution für die rechtzeitige Liquidierung des eigenen Faschismus sorgen, so würde in solchen Ländern das Umschlagen der bürgerlichen Konterrevolution in den Faschismus unter den Verhältnissen der jüngsten Faschisierung der fortgeschrittenen kapitalistischen Länder in äußerst beschleunigtem Tempo vor sich gehen, unter dem jahrzehntelange Entwicklungen sich in Jahren vollziehen. Die internationale Sozialdemokratie und die reformistische Gewerkschaftsbürokratie sind auf dem Wege der allerraschesten Wandlung zum Faschismus, weil sie durch die Verquickung mit dem zentralisierten Staatsapparat der Klassenvergewaltigung der proletarischen Massen selbst zu einem Bestandteil des Apparates werden und auf diese Weise beitragen zu einer noch stärkeren Konzentrierung des durch ihn auf die Arbeitermassen ausgeübten Drucks.

Unseren “Auch”‑Marxisten will es nicht einleuchten, daß, wenn der "Vorwärts" z. B. von der “über den Klassen stehenden Staatsautorität” schreibt, das nicht nur eine faschistische Terminologie, sondern ein ganzes Programm des Sozialfaschismus ist hinsichtlich der weiteren Zentralisierung der Funktionen des Apparates der Klassengewalt. Ihnen will es auch nicht einleuchten, daß, wenn die reformistische Gewerkschaftsbürokratie Dutzende revolutionärer Arbeiter aus den Gewerkschaften ausschließt, das durchaus keine Widerspiegelung der gewöhnlichen Formen des Kampfes der verschiedenen Tendenzen in der Arbeiterbewegung, keine “gewöhnliche Repressalie” der reformistischen Bürokratie ist, sondern ein Bestandteil des gesamten Systems der zentralisierten Gewalt des sich faschisierenden bürgerlichen Staatsapparates. Das, was die Sozialdemokratie als “Eroberung der Macht durch sie” auf dem Wege der Demokratie bezeichnet, d. h. ihre Heranziehung zur bürgerlichen Staatsgewalt und ihr Aufgehen als Partei in den Apparat des kapitalistischen Staates, das sie als Eroberung des Apparats des kapitalistischen Staates durch sie ausgibt, das ist in Wirklichkeit nichts anderes als die Sozialfaschisierung der Sozialdemokratie, die Übernahme der Funktionen der vertrusteten Bourgeoisie im kapitalistischen Staat durch die Sozialdemokratie.

Die Drohung von Wels mit der “Diktatur der Sozialdemokratie” auf dem Magdeburger Parteitag zeigt, daß die Sozialdemokratie bereits reif ist für die offene bürgerliche Diktatur, daß sie die Partei des von allem parlamentarischen Firlefanz völlig entblößten Gewaltregimes über die proletarischen Massen ist. Von der Demokratie in Gänsefüßchen bis zur Diktatur ohne Gänsefüßchen, ohne jegliche Bedingtheit und Beschönigungen ‑ das ist der Weg des Sozialfaschismus. Das aber spricht davon, daß der Kampf der kommunistischen Parteien um die Mehrheit der Arbeiterklasse vor sich gehen wird nicht nur unter dein Bestehen der proletarischen Diktatur in der Sowjetunion, sondern auch unter dem Bestehen der durch die Hand des Sozialfaschismus in einer Reihe von kapitalistischen Ländern zur Durchführung gelangenden offenen Diktatur der Bourgeoisie. Die Langlebigkeit und Zähigkeit der Sozialdemokratie im Kampfe um ihre Selbsterhaltung wird der Widerstandskraft des Kapitals gegen die revolutionäre Bewegung gleich sein. Daraus folgt, daß zwar der Grad der Widerstandsfähigkeit der Sozialdemokratie zunimmt, daß aber gleichzeitig für die kommunistischen Parteien die Aufgabe der Entlarvung des sozial-faschistischen Charakters der heutigen Sozialdemokratie leichter wird. Der Machtantritt der größten Parteien der 2. Internationale in der Form der Koalitionsregierung Hermann Müllers in Deutschland und der Regierung MacDonald in England kann zum Wendepunkt werden in bezug auf die Beschleunigung der Radikalisierungsprozesse der Arbeiterklasse nicht nur in diesen Ländern, sondern überhaupt des gesamten Weltproletariats. Wir haben in der Nachkriegsperiode eine Reihe analoger Experimente der Bourgeoisie gesehen, wobei sie die Sozialdemokratie in Augenblicken inner- und außenpolitischer Schwierigkeiten zur Macht heranzog, aber diese Experimente der "Arbeiter"- und der sozialdemokratischen Regierungen erfolgten in einer anderen Situation. Die Arbeitermassen waren nicht derart durch die kapitalistische Rationalisierung in Bewegung gebracht wie heute. Der Krieg pochte nicht so energisch an die Tür wie heute. Die Aktivität der proletarischen Massen war nicht derart systematisch in die Höhe geschraubt worden, wie es gegenwärtig der Fall ist. Sie standen weiter entfernt von der Grenze der Verzweiflung als heute. Die Bourgeoisie und die Sozialdemokratie besaßen größere Reserven in bezug auf ihre Manövrierfähigkeit. Alles das schuf den Boden für fester wurzelnde und eine längere Lebensdauer besitzende demokratische Illusionen in den Massen als heute. Heute machen Millionen von Arbeitern auf Grund der Erfahrungen an der eigenen Haut eine politische Schulung durch, wie sie ihnen durch Jahre unserer mündlichen und schriftlichen Agitation nicht vermittelt werden konnte. Sie sehen immer klarer, daß die politische Mission dieser Regierungen darin besteht, die Arbeiterklasse in eiserne Daumenschrauben zu nehmen und der Bourgeoisie im Falle eines Krieges den Rücken zu sichern: in Deutschland auf der Grundlage der neuen Reparationsbestimmungen des Young-Plans, der ein System der doppelten Ausbeutung des deutschen Proletariats bedeutet, in England durch die Durchführung der kapitalistischen Rationalisierung und die Erdrosselung der Kolonien. Schon jetzt reift in England eine Reihe gewaltiger ökonomischer Konflikte heran, in denen die wirkliche Rolle der Regierung MacDonald zur Aufdeckung kommen wird.

Die reformistischen Einfaltspinsel aller Länder können sich noch so sehr hämisch darüber lustig machen, daß die englische kommunistische Partei auf dem Wege zur Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse insgesamt 50.000 Stimmen aufgebracht hat, aber morgen schon werden sich um diese 50.000 fortgeschrittenen englischen Arbeiter Londons und Südschottlands zehn- und hunderttausende jener Proletarier scharen, die heute aus Klassenhaß gegen die Baldwin-Regierung, die Regierung, die den englischen Generalstreik abgewürgt und das Zuchthausgesetz über die Gewerkschaften zur Annahme gebracht hat, ihre Stimmen der Verräterpartei MacDonalds gegeben haben. Morgen schon werden diese Proletarier erkennen, daß nur die Politik der englischen Kommunistischen Partei "Klasse gegen Klasse", die Politik, die nicht darauf ausging, billige Erfolge zu erzielen und der es auch nicht auf die Parlamentssitze ankam, die einzig richtige und ehrliche Politik war, die den breiten Arbeitermassen hilft, sich freizumachen von den pazifistischen und demokratischen Illusionen und die dem Proletariat den wirklich sicheren Weg zu seinem Siege weist. Und die kleine kommunistische Partei Englands, die “gegen den Strom” jahrhunderte alter Traditionen der politischen Korruption und des heuchlerischen politischen Betrugs nach dem Typus MacDonalds zu kämpfen hatte, wird sich an die Spitze der Arbeiterströmung setzen, die zu ihrer Umwandlung in eine Massenpartei der englischen Arbeiterklasse führen wird. Nicht verzichten auf die Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse, diese Aufgabe nicht verschieben auf den morgigen Tag in der Politik dürfen die englischen Genossen, die auf einem der verantwortlichsten Posten der internationalen kommunistischen Bewegung stehen, sondern sie müssen diesem Element trotzen und heute schon voranschreiten zur Verwandlung der englischen Kommunistischen Partei in eine Massenpartei des Proletariats, eingedenk dessen, daß nicht immer solche Bedingungen gegeben sein werden für die Lösung dieser Aufgabe wie heute in England.

Wir sagen den englischen Genossen: in eurem Kampfe gegen die Labour Party, gegen die Illusionen und die Vorurteile der englischen Arbeiterklasse steht die Kommunistische Internationale hinter euch. Sie wird es verstehen. alle defaitistischen Stimmungen in bezug auf die Rolle der englischen Kommunistischen Partei, die sich im Zusammenhang mit dem Ausgang der letzten Wahlen gezeigt haben, niederzukämpfen. Nicht wir werden euch zum Vorwurf machen, daß die englische Kommunistische Partei unter den schwierigen Verhältnissen nur in wenigen Wahlkreisen 50.000 Stimmen aufbrachte. Den wirklichen bolschewistischen Wert dieser Stimmen im Vergleich zu den acht Millionen, die die Labour Party aufbrachte, kennen wir ebenso, wie ihr ihn kennt. Wenn wir die englischen Genossen kritisieren werden, so wegen anderer Dinge. Nicht deswegen, weil ihr die Taktik "Klasse gegen Klasse" zur Durchführung gebracht habt, sondern deswegen, weil ihr sie mit nicht genügender Energie und Festigkeit durchgeführt habt, deswegen, weil eure Partei lange schwankte, bevor sie sie angenommen hat. Viele von euch haben sie angenommen aus Disziplin, nicht aber aus Überzeugung und ihr selbst habt den Vorurteilen der Massen Tribut gezollt. Ihr seid in den Kampf gezogen ohne jenen zündenden Enthusiasmus, der alle Hindernisse, die im Wege stehen, überrennt. Weiter hat es die Partei nicht verstanden, die Wahltaktik "Klasse gegen Klasse" zu erweitern und zu vertiefen durch ihre Verwandlung in die neue Linie der Partei auf allen Gebieten der Parteitätigkeit, auf der ganzen Front der Wechselbeziehungen zwischen der Partei und den breiten Arbeitermassen. Wie ist es schließlich in der Kommunistischen Partei Englands dazu gekommen, daß jene Genossen, die als die ersten in der Partei für ihre neue Linie kämpften, auf dem letzten Parteitag von den führenden Posten abgesetzt wurden? Vielleicht trägt hier die Schuld unsere kontinentale Beschränktheit. Aber die Besonderheiten dieses merkwürdigen Kurses der englischen Genossen in der Komintern vermag niemand zu begreifen. Wie ist weiter jene Tatsache zu erklären, daß die englische Kommunistische Partei, die die Politik der Partei durch die Durchführung der Linie "Klasse gegen Klasse" aktivisiert, fast nichts getan hat zur Vorbereitung ihrer Aktion am 1. August? Das Plenum muß die Fehler der Führung der KP. Englands einer ernsten Kritik unterziehen, um ihr zu helfen bei ihrer Verwandlung in eine Massenpartei der englischen Arbeiterklasse.

3. Über die Linksentwicklung der Arbeiterklasse und über das Niveau der kommunistischen Entwicklung in den verschiedenen Ländern

Bereits das englische Problem führt uns heran an jenen dritten Umstand, der Einfluß hat auf die Stellung und Lösung der Frage über die Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse, nämlich an die Frage des Niveaus der kommunistischen Bewegung. Wir machen es uns nicht zur Hauptaufgabe, in rein mechanischer Weise sämtliche Sektionen der Kommunistischen Internationale über einen Kamm zu scheren. Wir berücksichtigen die Verschiedenheit des Niveaus und des Zustandes der kommunistischen Bewegung, die die Wege zur Lösung dieser Aufgabe in den einzelnen Ländern konkretisiert. Gleichzeitig aber müssen wir in jenem verwickelten Komplex der kommunistischen Parteien mit ihrer Verschiedenheit des Niveaus, mit ihrer Verschiedenheit an Kraft, Stählung und Größe des Einflusses das grundlegende und ausschlaggebende herausgreifen, mit dem wir unsere Zielsetzung zu verknüpfen haben. Dieses Grundlegende und Ausschlaggebende aber ist bei dem heutigen Zustand der internationalen revolutionären Bewegung in erster Linie zweifellos das Wachstum des Kommunismus in den ausschlaggebenden kapitalistischen Ländern Zentraleuropas: Deutschland, Frankreich, Tschechoslowakei und Polen; in zweiter Linie der klar ausgeprägte Radikalisierungsprozeß der Arbeiterklasse in allen kapitalistischen Ländern, u. a. in so hochwichtigen kapitalistischen Ländern wie die Vereinigten Staaten Nordamerikas und England; in dritter Linie die revolutionären Prozesse in den Kolonien und Halbkolonien, in Indien und teilweise in China und in den Ländern Lateinamerikas. Das Neue in diesem allgemeinen Bild des heutigen Zustandes der revolutionären Bewegung ist das, daß sich das Anschwellen der revolutionären Bewegung in den Kolonien nicht in einer Situation ihrer internationalen Isoliertheit vollzieht, sondern parallel mit dem Anschwellen des neuen revolutionären Aufschwungs der Arbeiterbewegung in den kapitalistischen Mutterländern. Diese “Verflechtung” der revolutionären Bewegung in den Kolonien mit der sich steigernden Aktivität des Weltproletariats wirkt sich in revolutionierender Weise aus sowohl auf die werktätigen Massen der Kolonien als auch auf das Proletariat der kapitalistischen Mutterländer; das schafft gleichzeitig die Voraussetzungen, die es ermöglichen, die Frage der Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse in kühnerer Weise zu stellen. Im Einklang mit diesen drei grundliegenden Wesenszügen des heutigen Zustandes der internationalen revolutionären Bewegung differenzieren wir auch unsere zentrale Aufgabe. Wir stellen den kommunistischen Massenparteien Europas die Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse als die aktuelle Aufgabe der Politik des heutigen Tages: vor allem der KPD., als der Partei, die der Lösung dieser Aufgabe am nächsten gekommen ist, die bolschewistisch am reifsten ist und die von allen anderen Sektionen der kapitalistischen Länder die härteste marxistisch-leninistische Stählung besitzt. Ihre Erfahrung des Bürgerkrieges, die Erfahrung solcher Massenorganisationen wie der Rote Frontkämpferbund, ihre zahlreichen Krisen, die sie von den opportunistischen Elementen, sowohl von rechts als auch von “links” gesäubert haben, haben sie zur kommunistischen Partei gemacht, die als Avantgarde dasteht, nach der sich alle übrigen Sektionen der Kommunistischen Internationale bei der Eroberung der Massen richten; weiter vor der Kommunistischen Partei Frankreichs, die einen erheblichen Fortschritt auf dem Gebiete der Bolschewisierung ihrer Reihen auf dem letzten Parteitag gemacht hat, vor der Partei, die Musterbeispiele einer höchst kühnen und glänzenden Durchführung von Agitationsmassenkampagnen liefert, aus denen sämtliche übrigen Sektionen der Kommunistischen Internationale lernen müssen, die aber überaus stark zurückbleibt in bezug auf die organisatorische Verankerung der Ergebnisse dieser Kampagnen; dann vor der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei, vor dieser proletarischen Massenpartei, die soeben erst eine “Krise” durchgemacht und den ersten Schritt auf dem Wege zur Hebung der Kampffähigkeit der Partei und zur Liquidierung des auf ihr lastenden ungeheuren Erbes der sozialdemokratischen Überreste unternommen hat und schließlich vor der KP. Polens, deren geschickte illegale Arbeit als mustergültig anerkannt werden muß für alle illegalen Parteien, deren Exzesse des Fraktionskampfes jedoch nicht ohne den Einfluß von fremder Hand zustande kommen, zu einem der größten Hindernisse der Eroberung der über wiegenden Mehrheit der Arbeiterklasse Polens durch diese Partei werden.

Für die zweite Kategorie von Ländern, d. h. für das gesamte übrige Europa und für die Vereinigten Staaten von Nordamerika, stellen wir als unmittelbar nächste Aufgabe den Kurs auf eine breite Massenpartei. Das bezieht sich in erster Linie auf die Kommunistischen Parteien Englands und der Vereinigten Staaten von Nordamerika. Die Bildung breiter Massenparteien der Arbeiterklasse in diesen Ländern ist eine Aufgabe der Komintern, auf die alle Kräfte konzentriert werden müssen. Die kleinen kommunistischen Parteien dieser Länder entsprechen nicht jener ungeheuren Rolle, die diese Länder, besonders die Vereinigten Staaten von Nordamerika, in der Weltpolitik spielen. Kein Zufall ist infolgedessen auch jene radikale Lösung der amerikanischen Frage, die im Laufe von vielen Jahren alle Kongresse der Komintern sowie alle Plenartagungen des EKKI. beschäftigte, eine Lösung, die im EKKI., auf dem letzten Parteitag der amerikanischen Kommunistischen Partei erfolgte. Der prinzipienlose Fraktionskampf der begleitet war von der Übertragung amerikanischer Börsenmaklermethoden auf die Partei, von einer groben, geistlosen Spekulation auf die Differenzen in der KPdSU., der ausgeartet war in ein Fußballmatch von gegenseitigen Beschuldigungen rechter und ultralinker Abweichungen, der Kampf, der in Wirklichkeit ein Ausdruck des übelsten opportunistischen Sektierertums war, dieser Kampf stand in einem derartigen Widerspruch zu den Erfordernissen der Erfassung der sich nach links entwickelnden Arbeitermassenbewegung der Vereinigten Staaten von Nordamerika, daß alles getan werden mußte, um mit der eingetretenen unerträglichen Lage aufzuräumen. Die Beseitigung dieses Zustandes war eine Vorbedingung für die Verwandlung der KP. der Vereinigten Staaten von Nordamerika für eine breite Massenpartei der amerikanischen Arbeiterklasse. Wir mußten Schluß machen mit der Pepperschen Theorie der “Ausnahmestellung”, die einerseits den Einfluß der Monroe-Doktrin, andererseits die imperialistische Philosophie der amerikanischen Bourgeoisie widerspiegelte, in Wirklichkeit aber der Rechtfertigung der Passivität der Partei im Kampf um die Massen diente. Wir haben die Aufmerksamkeit der Partei umgelenkt von dem Fraktionskampf auf die zunehmenden Massenstreiks in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, auf die unerbittlich heranrückende Industriekrise, die die objektiven Voraussetzungen für eine Massenpartei in den Vereinigten Staaten von Nordamerika noch steigern muß. Diese Massenpartei in den Vereinigten Staaten von Nordamerika wird zustande kommen als Folge der Einengung der ökonomischen Basis des Reformismus, des unvermeidlichen Angriffs der zum rasenden Kampf um die Märkte genötigten amerikanischen Bourgeoisie auf die Lebenshaltung der Arbeiter. Schließlich haben wir die Partei umgelenkt auf die neuen Gewerkschaften, die berufen sind, die Rolle eines Rückgrats der Massenpartei in den Vereinigten Staaten von Nordamerika zu spielen und gleichzeitig die Erfahrung der europäischen kommunistischen Bewegung auf gewerkschaftlichem Gebiet im Kampf um revolutionäre Gewerkschaften zu bereichern.

Ausschlaggebende Bedeutung in der revolutionären Bewegung haben natürlich die kommunistischen Parteien der wichtigsten kapitalistischen Länder. Nicht Österreich, nicht der Schweiz und nicht Dänemark wird das letzte Wort in dem Prozeß der Weltrevolution gehören. Aber wir lehnen auf das allerentschiedenste jene Otto Bauersche Stellung der Frage ab, derzufolge der Druck des gesamten Weltkapitals auf diese kleinen Länder es ausschließen soll, daß sie eine selbständige revolutionäre Initiative entfalten können, derzufolge diese Länder lediglich “einschwenken” können in die siegreichen Revolutionen in den hauptsächlichsten kapitalistischen Ländern. Es ist durchaus nicht ausgeschlossen, daß die revolutionäre Explosion dort beginnen kann, wo sich die allerschwächsten Glieder der Kette der kapitalistischen Staaten befinden. Der Kurs auf Massenparteien in diesen kleinen Ländern bleibt infolgedessen voll und ganz in Kraft, um so mehr, als die Verwirklichung dieses Kurses jetzt erleichtert wird durch die Erfolge des Kommunismus in den hauptsächlichsten kapitalistischen Ländern. Auf eine dieser kleinen Parteien etwas ausführlicher einzugehen, ist notwendig. Wir haben die österreichische Kommunistische Partei im Auge deshalb, um an ihrem Beispiel die Krankheiten, die nicht nur der KPÖ. anhaften, besser aufzudecken. Jedoch muß von vornherein schon gewarnt werden vor einer leichtsinnigen Haltung gegenüber unserer kleinen österreichischen Kommunistischen Partei. Es soll bei den österreichischen Genossen nicht der Eindruck entstehen, daß sich das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale bei der Kritik ihrer Sektionen in der Linie des geringsten Widerstandes bewegt. Wir nehmen die KPÖ. als Typ der kommunistischen Parteien, die in ihrem Wachstum stagnieren, trotz der verhältnismäßig günstigen Bedingungen für die Eroberung der Massen, die sich in der Sozialdemokratie befinden. Die KPÖ. wurde ebenso wie die KPD. im Feuer der Revolution geboren; die wirtschaftliche Basis für den Reformismus ist in ihr noch enger als in Deutschland, oder richtiger gesagt: fehlt überhaupt; der Reformismus derer um Otto Bauer ‑ das ist ein Reformismus von Bettlern auf einem internationalen Vorhof; die materielle Lage der österreichischen Arbeiterklasse ist eine verzweifelte; trotz der starken Sozialdemokratie greift der Faschismus auf der ganzen Linie an. Und unter diesen Verhältnissen hat es unsere Partei, nach dem Aufstand des Wiener Proletariats vom 15. Juli 1927, der trotz und gegen den Willen der Sozialdemokratie zustande kam, nicht verstanden, einen entscheidenden Fortschritt in der Richtung ihrer Verwandlung in eine Massenpartei zu machen. Wo liegt die Ursache dieser Erscheinung? Wir werden nicht alle jene objektiven Ursachen aufzählen, die uns die österreichischen Genossen in die Ohren geflüstert haben. Die Schwierigkeiten für die Entwicklung einer Massenpartei in Österreich sind unbestritten groß. Aber nicht nur um diese objektiven Schwierigkeiten handelt es sich, sondern auch noch um manches andere. Vor allem glauben wir, daß sich an dem Beispiel Österreichs in glänzender Weise jene These der Komintern bestätigt, daß die linke Sozialdemokratie die übelste und gefährlichste Abart des Sozialfaschismus innerhalb der Arbeiterbewegung ist. Wenn das österreichische Proletariat heute so entwaffnet dasteht vor dem Faschismus, wenn man ihm nach und nach sämtliche Errungenschaften der Revolution von 1918 genommen hat, wenn es noch im Jahre 1928 keine revolutionäre Massenpartei besitzt, die fähig ist, das Proletariat in Klassenkämpfe zu führen, so gehört das Verdienst hieran zweifelsohne dem Austro‑Marxismus, der unter den österreichischen Proletariern durch die linke Phrase den Eindruck entstehen ließ, als wäre die Sozialdemokratie dort qualitativ eine andere, als die Sozialdemokratie der Noske und Scheidemann in Deutschland. Und diese Lehre mit der “linken” österreichischen Sozialdemokratie müssen alle Sektionen der Kommunistischen Internationale gründlich beherzigen.

Wenn es aber die österreichische Kommunistische Partei auch nach dem 15. Juli nicht verstanden hat, die sozialdemokratischen Arbeiter, die trotz den Weisungen der sozialdemokratischen Partei Seite an Seite mit den kommunistischen Arbeitern gegen den Faschismus kämpfen, davon zu überzeugen, so ist das schon nicht mehr die Schuld von Otto Bauer, sondern die Schuld der KP. Österreichs. Es ist schwer anzunehmen, daß jene sozialdemokratischen Arbeiter, die in Graz und Steiermark. während sie in den Reihen der Sozialdemokratie verblieben, mit unseren Methoden der Klassengewalt kämpften, derart weit von der Kommunistischen Partei entfernt und absolut unempfänglich wären für deren Agitation. Hier findet auch die zweite, gegen die Opportunisten aufgestellte These der Komintern ihre Bestätigung, die These, daß man, um den Einfluß der Sozialdemokratie zu untergraben, übergehen muß zur allerrücksichtslosesten Offensive gegen sie; dabei aber hat unsere österreichische kommunistische Bruderpartei sich allzu lange an die Taktik der Abwehr gehalten. Sie hat so wenig wie andere kleine Sektionen Vertrauen gehabt zu ihren Kräften; sie hat ihre Rolle in bezug auf die Sozialdemokratie so aufgefaßt, wie die Sozialdemokratie die Rolle Österreichs in bezug auf die kapitalistischen Großmächte auffaßt. In unseren eigenen Reihen hat der “Austro‑Marxismus” seinen Niederschlag gefunden. Eine Reihe österreichischer Genossen war von der Überzeugung beherrscht, daß es unmöglich ist, die sozialdemokratische Front zu durchbrechen, daß die Rolle unserer Partei vorerst die Rolle einer reinen Agitations- und Propagandapartei sei, und daß die Partei kraft ihrer Schwäche keinerlei wirksamen Einfluß auf die breiten Massen und ihre Kämpfe haben kann. Ohne die Überwindung dieser, einer echt bolschewistischen Aktivität fremden Stimmungen werden wir niemals eine Massenpartei in Österreich aufzubauen vermögen. Das, was wir hier am dringendsten brauchen, ist der Typ des aggressivsten Bolschewiken, der Schwierigkeiten zu überwältigen versteht, der nicht durch Traditionen gehemmt ist, der es versteht, im besten Sinne dieses Wortes “,ins Volk zu gehen”. Wir müssen sämtliche Methoden unserer Arbeit überprüfen, müssen sie revolutionieren und die noch tief sitzende sozialdemokratische Routine abstreifen.

Dazu gibt es ja gerade Kommunisten auf der Welt, und dazu gibt es gerade Anhänger der 3. Internationale in allen Ländern, um auf der ganzen Linie, auf allen Gebieten des Lebens die alte sozialistische, tradeunionistische, syndikalistische, parlamentarische Arbeit in eine neue, in die kommunistische [...] Arbeit umzuwandeln. Die Kommunisten in Westeuropa und in Amerika müssen lernen, einen neuen, ungewöhnlichen, nicht opportunistischen, nicht karrieristischen Parlamentarismus zu schaffen; dazu gibt es ja gerade Kommunisten auf der Welt, daß die Partei der Kommunisten ihre Losungen aufstellt, daß die echten Proletarier mit Hilfe der unorganisierten und durch und durch entrechteten Armut Flugblätter austeilen und austragen, daß sie die Wohnungen der Arbeiter aufsuchen, die Hütten der Dorfproletarier und der in abgelegenen Gegenden lebenden Bauern (in Europa gibt es glücklicherweise weit weniger abgelegene Gegenden als bei uns, in England aber gibt es überhaupt nur ganz wenige), daß sie sich in die Wirtschaften Zugang verschaffen, wo das einfache Volk verkehrt, daß sie sich Zutritt verschaffen in die Vereine und Gesellschaften, in gelegentliche Versammlungen, in denen das einfache Volk zusammen kommt, daß sie zum Volk nicht auf gelehrte Art und Weise (und nicht allzu sehr parlamentarisch) sprechen, daß sie auch nicht im leisestem nach “Pöstchen” im Parlament jagen, überall das Denken schüren und die Massen emporreißen.

(Lenin: "Einige Schlußfolgerungen", April 1920.)

So hat der größte Revolutionär alle kommunistischen Parteien, in erster Linie aber eine solche kommunistische Partei wie die österreichische, zu arbeiten gelehrt, damit sie die Massenparteien der Arbeiterklasse werden können.

Was schließlich die dritte Kategorie der Kolonial- und Halbkolonialländer, in erster Linie Indien, sowie der Länder Lateinamerikas angeht, so ist es auch hier notwendig, jenes charakteristische Merkmal hervorzuheben, daß hier das Anschwellen der unmittelbar revolutionären Situation bedeutend rascher vor sich geht als der Aufbau und die Festigung der kommunistischen Parteien in der Arbeiterklasse. In zweiter Linie muß hervorgehoben werden, daß in einer Reihe von Ländern dieser Art die in klassenpolitischer Hinsicht wenig differenzierte revolutionäre Massenbewegung die Tendenz zur Bildung von Parteien “aus zweierlei Klassenelementen” aufweist, was häufig sogar bei Kommunisten zur Nährung von Illusionen des Volkstümlertums führt. In dritter Linie muß hervorgehoben werden, daß durch das Fehlen jedweden Einflusses der Sozialdemokratie in diesen Ländern für die jungen kommunistischen Parteien die allerbreitesten Möglichkeiten gegeben sind, die unmittelbare Führung nicht nur der Arbeiterklasse, sondern überhaupt der nationalrevolutionären Bewegung aller Werktätigen und Ausgebeuteten zu erlangen. Hier spielt das Element der revolutionären Spontaneität eine ungeheure Rolle; hier vermag sogar eine zahlenmäßig nicht große kommunistische Partei hinsichtlich ihres Einflusses auf die breitesten Massen die europäischen kommunistischen Massenparteien hinter sich zu lassen. Infolgedessen führt der Weg zur Lösung unserer zentralen Aufgabe hier vor allem über die Bildung standhafter bolschewistischer kommunistischer Parteien mit einer starken ideologischen und organisatorischen Barriere gegen die “Kuomintang”- und “Halbkuomintang”-Elemente, sowie über eine allseitige Festigung der bereits bestehenden kommunistischen Parteien. In Konkretisierung dieser Aufgabe in bezug auf die einzelnen wichtigsten Länder dieser Art ist folgendes zu sagen: für Indien, dem wir augenblicklich zumindest die Hälfte der gesamten Aufmerksamkeit der Komintern widmen müssen, bedeutet das die Bildung einer selbständigen kommunistischen Partei, der einzigen Partei der Arbeiterklasse, die die Interessen des Proletariats im Prozeß der bürgerlich-demokratischen Nationalrevolution verteidigt und fähig ist, bei ihrem unvermeidlichen Umschlagen in die sozialistische Revolution die Werktätigen Indiens mit Unterstützung des Weltproletariats zur Errichtung der proletarischen Diktatur zu führen. Für die Länder Lateinamerikas bedeutet das, daß die jungen kommunistischen Parteien überall auf das energischste brechen müssen mit der Ideologie und den Traditionen des kleinbürgerlichen, sich in die Toga des “schrecklich linken” Anarchismus kleidenden Radikalismus, daß sie alle liberalen und halbliberalen Elemente aus der Partei hinauswerfen, eine kommunistische Partei auf der sozialen Basis der Arbeiterklasse errichten und auf die Bauernmassen einwirken und sie mitreißen müssen vermittels Organisationen, die unter dem Einfluß der Partei stehen, daß sie die kommunistische Partei ideologisch auf den Grundlagen des Marxismus und Leninismus und an Hand der reichen Erfahrungen der KPSU. sowie der kommunistischen Parteien Europas kräftigen müssen. Nur das Vorhandensein gestählter bolschewistischer Parteien wird die revolutionäre Bewegung der Werktätigen dieser Länder befruchten und es nicht dazu kommen lassen, daß diese ausartet zur hundertundersten “Generalsrevolution” mexikanischen Schlages.

III. Ueber die Methoden der Eroberung der Mehrheit

1. Die Führung der Klassenkämpfe

Die dritte Frage, die unserer Betrachtung unterliegt, ‑ das ist die Frage der Methoden der Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse. Wir haben fast überall die proletarische Avantgarde erobert und in allen kapitalistischen Ländern kommunistische Parteien gebildet. Das ist der erste Schritt auf dem Wege zur Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse. Ohne die ideologische Eroberung dieser Avantgarde könnten wir nicht ernsthaft reden von einer Eroberung der breiten Massen. Als die einzelnen Grüppchen von Kommunisten sich an die Eroberung der Avantgarde machten, war ihre Hauptwaffe die Propaganda und die Agitation. Jetzt, wo wir zu einer ernsthaften Kraft werden, ist das zu wenig. Die Massen müssen aus der eigenen, in den von der Kommunistischen Partei organisierten und geführten Klassenkämpfen gewonnenen politischen Erfahrung lernen.

Solange die Rede war (und solange noch die Rede ist) von der Gewinnung der Avantgarde des Proletariats für den Kommunismus, solange und nur bis dahin steht an erster Stelle die Propaganda. Sogar Zirkel, die alle Schwächen des Zirkelwesens aufweisen, sind nützlich und zeitigen fruchtbringende Resultate. Wenn die Rede ist von einer praktischen Handlung der Massen, von der Unterbringung ‑ wenn es statthaft ist, sich so auszudrücken ‑ von Millionenarmeen, von der Aufmarschgruppierung aller Klassenkräfte einer gegebenen Gesellschaft zum letzten und entscheidenden Kampf, so ist hier bereits allein mit propagandistischer Routine und allein nur mit einer Wiederholung der Wahrheiten des “reinen” Kommunismus nichts mehr zu machen. Hier darf man nicht nach Tausenden zählen, wie es in Wirklichkeit der Propagandist, das Mitglied einer kleinen Gruppe tut, das noch nicht die Massen führt: hier muß man nach Millionen und Zehnmillionen zählen. Hier muß man sich nicht nur fragen, haben wir die Avantgarde der revolutionären Klasse überzeugt, ‑ sondern hier muß man sich auch noch fragen, haben wir die geschichtlich wirksamen Kräfte aller Klassen, und zwar unbedingt aller Klassen einer jeweiligen Gesellschaft ausnahmslos so untergebracht, daß die Entscheidungsschlacht bereits reif ist?

(Lenin: "Einige Schlußfolgerungen.")

Die Kommunisten zählen in der jetzigen Etappe der internationalen Arbeiterbewegung noch nicht nach Zehnmillionen, denn sie stehen noch nicht unmittelbar vor dem letzten Entscheidungskampf, aber sie müssen es schon heute lernen, nach Millionen zu zählen, entsprechend dem Charakter und den Ausmaßen der heranrückenden Klassenkämpfe. Dieses Rechnen nach Millionen lernt man nicht mit einem Mal. Auch dieses Rechnen erwerben die kommunistischen Parteien in der rauhen Wissenschaft der Schlachten. Dieses Rechnen lernt, ohne es bis jetzt schon gelernt zu haben, die kleine Kommunistische Partei Großbritanniens an den Erfahrungen des Generalstreiks, die Kommunistische Partei Deutschlands an den Erfahrungen im Ruhrgebiet und bei den Betriebsrätewahlen, die Kommunistische Partei Polens an den Lehren des Generalstreiks in Lodz, alle kommunistischen Parteien an den Erfahrungen jener zahlreichen Streikbewegungen der ganzen Welt, durch die das laufende Jahr gekennzeichnet war. Dieses Rechnen nach Millionen hat weiter zur Voraussetzung, daß die Partei es versteht, über den Kopf der reformistischen Gewerkschaften und der Sozialdemokratie hinweg Einfluß zu nehmen auf die Millionen unorganisierter Arbeiter, die in den europäischen kapitalistischen Ländern mehr als zwei Drittel des gesamten Proletariats ausmachen. Dieses Rechnen hängt auch zusammen mit einem tieferen Eindringen in die Gewerkschaften, mit der Bildung eines breiten Netzes von Organisationen in den Betrieben (Streikleitungen, Aktionsausschüsse usw.), die die Stützpunkte des Einflusses der Kommunistischen Partei bilden. Es erfordert von der Kommunistischen Partei, daß sie an der ganzen Parteifront eine Schwenkung vornimmt in der Richtung der Eroberung der Betriebe von unten, in der Richtung einer Umstellung sogar der formell “legalen” Parteien auf die Basis der illegalen infolge des Unternehmerterrors gegen die Betriebszellen.

Die Kommunisten werden es niemals lernen, nach Millionen zu zählen, wenn sie nicht in den Massen die ganz tief wurzelnde Überzeugung zu schaffen vermögen, daß nur sie deren Klassenkämpfe führen können. Aber zu erreichen vermögen sie das nur dann, wenn sie es sein werden, die an den gefährlichsten Stellen stehen, wenn sie es sind, gegen die die ersten Schläge geführt werden, wenn sie sich trotz des Polizei- und Unternehmerterrors sowie der Repressalien der Reformisten als die ersten in den Klassenkampf stürzen werden, um durch ihr Beispiel die Schwankenden anzustecken und die unorganisierten Massen mitzureißen. Die Kommunisten vom Schlage eines Hais, die während des Textilarbeiterstreiks in der Tschechoslowakei als erste den Streik sprengten und die Arbeit wieder aufnahmen, diese Streikbrecher-Kommunisten werden dem Einfluß der Partei zum Verhängnis werden und müssen aus den Reihen der kommunistischen Bewegung mit eisernem Besen hinausgefegt werden. Die Massen werden niemals einer Kommunistischen Partei Glauben schenken, wenn in ihrem Namen Leute auftreten werden, die in einer Reihe von Streiks in Frankreich sich von den unorganisierten Arbeitern ins Schlepptau nehmen ließen und hinter ihnen dreintrotteten. Können diese Massen volles Vertrauen z. B. zu einigen Führern der Stockholmer Organisation in Schweden haben, die die 1.‑Mai‑Demonstration wegen schlechten Wetters abgesetzt haben? Die Arbeitermassen müssen sich an Hand von Taten überzeugen können, daß die Kommunistische Partei kein feuerfester Schrank für die Ansammlung von Einfluß und kein Sparkassenbuch ist, in dem sie ihre revolutionäre Energie anlegen können bis zum “letzten entscheidenden Kampf”. Wenn sie jetzt der Sozialdemokratie, die im Laufe einer Reihe von Nachkriegsjahren die Partei der Mehrheit der Arbeiterklasse war, den Rücken kehren, so eben deshalb, weil sie erkannt haben, daß diese Trustpartei ihre Kraft systematisch in Ohnmacht verwandelt hat und sie heute nach den verratenen Revolutionen in Zentraleuropa, nach einer zehnjährigen Erfahrung mit der “Demokratie” zwingt, sich vor Wut selbst in die Hand zu beißen. Die Verschiebung der Arbeitermassen nach links wird um so rascher vor sich gehen, je mehr die kommunistischen Parteien die Fähigkeit an den Tag legen, die Kraft der Massen zu realisieren und die Bourgeoisie zu zwingen, mit ihrem Einfluß auf diese Massen zu rechnen. Zur Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse können die kommunistischen Parteien nur durch gewaltige Klassenkämpfe gelangen. Diese Kämpfe werden jetzt und in Zukunft unter den schwierigsten Verhältnissen verlaufen. Jeder ernsthafte Kampf wird gegen das Proletariat die ganze Front der kapitalistischen Reaktion vorschieben, deren Durchbrechung in einer Reihe von Ländern den Beginn der revolutionären Krise bedeuten würde. Und solange die Kräfte des Proletariats noch nicht reif sind für den unmittelbaren Kampf um die Macht ‑ solange noch keine unmittelbar revolutionäre Situation vorliegt, werden diese Kämpfe häufig äußerlich einen leeren Ausgang nehmen. Und das wird den am wenigsten standfesten Elementen Veranlassung geben, ein Geschrei zu erheben über ihre Zwecklosigkeit, die Kommunistische Partei der “Streikversessenheit” zu beschuldigen und sie anzuklagen, daß sie, einem verschwenderischen Hauswirt gleich, die angesammelten Vorräte des proletarischen Vertrauens vertut. Schon jetzt betreiben alle faulen, dekadenten Elemente aus Anlaß der Aktion des internationalen Proletariats am 1. August gegen den Krieg eine schamlose Kampagne und erklären diese Aktion als einen “Putsch”. Wir sahen am Beispiel des Textilarbeiterstreiks in der Tschechoslowakei, wie sich derartige liquidatorische Stimmungen zeigten, noch deutlicher aber ‑ am Beispiel der Maiereignisse in Berlin.

Die heldenhafte Maiaktion des Berliner Proletariats ‑ diese gewaltigste Aktion seit 1923 ‑ wird von den politischen Eunuchen ausschließlich als eine Provokation Zörgiebels betrachtet, als eine Aktion, die zur “Loslösung der Partei von den Massen” führte. Man kann nicht ohne ein Gefühl des tiefsten Ekels eine derart renegatenhafte Verleumdung einer der hervorragendsten Aktionen des deutschen Proletariats der letzten Jahre lesen. Gerade an dem Beispiel der Aktion des Berliner Proletariats wird glänzend demonstriert, welche Bedeutung die Klassenkämpfe bei der Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse haben. Wer hat am stärksten verloren in den Berliner Ereignissen? Die Partei Zörgiebels. Die Haltung ihres Polizeipräsidenten und seiner Spießgesellen hat die fast ungeteilte Empörung nicht nur des aus Arbeitern bestehenden Teils der Bevölkerung Deutschlands ausgelöst. Nur die Brandlerschen Schwachköpfe können nicht sehen, was der blutige 1. Mai in Berlin der Sozialdemokratie gekostet hat und noch kosten wird. Und das gilt nicht nur für den deutschen Sozialfaschismus, sondern auch für die gesamte 2. Internationale. Der Sieg der französischen Genossen bei den Stadtratswahlen wurde in starkem Grade bedingt durch die Berliner Ereignisse. Wer hat als Partei an Einfluß auf die Massen gewonnen, wer hat ihr Vertrauen zu sich als Partei vermehrt und wer hat als Partei seine Autorität gehoben? Zweifellos die Kommunistische Partei Deutschlands. Die internationale Bedeutung der Berliner Ereignisse bestand darin, daß sie die Abwehr gegen das Kapital und seine Agentur, die Sozialdemokratie, nicht nur in Deutschland, sondern auch in internationalem Maßstab kennzeichneten. Wenn die deutsche Sozialdemokratie, die den Willen des Trustkapitals erfüllt, als Siegerin aus diesem Zusammenstoß hervorgegangen wäre, wenn es ihr gelungen wäre, dem deutschen Proletariat seinen 1. Mai zu nehmen, wenn die deutsche Kommunistische Partei vor dem Verbot der offenen Demonstration durch Zörgiebel und die reformistische Bürokratie zurückgewichen wäre und sich, nach dem Rat der rechten Renegaten, auf die Gewerkschaftsversammlungen beschränkt hätte, so wäre nicht daran zu zweifeln, daß dieser Sieg der deutschen Bourgeoisie, ebenso wie seinerzeit der “Sieg” der Regierung Baldwin, die den Generalstreik abwürgte, der internationalen Bourgeoisie zum Signal gedient hätte zur Entfesselung des Angriffs gegen die Arbeiterklasse auf der ganzen Front. Die Berliner Ereignisse endigten weder mit der Bildung von Arbeiterdelegiertenräten, noch mit dem Sturz der Regierung Müller, und nichtsdestoweniger waren sie ein Sieg der Arbeiterklasse in dem Sinne, daß sie den Angriff des Kettenhundes des deutschen Kapitals, der deutschen Sozialdemokratie, zurückgeschlagen und sie gezwungen haben, in der Frage der Straßendemonstrationen vor dem Widerstand der Arbeiter zu kapitulieren. Sie haben den Glauben der Arbeiterklasse an ihre eigene Kraft nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern gehoben. Kann etwa angenommen werden, daß der Kampf, den die KPD. im Zusammenhang mit dem Verbot des Roten Frontkämpferbundes geführt hat, keinerlei Spuren zurücklassen wird im Bewußtsein der Arbeiter anderer Länder, in denen gleichfalls ein Angriff der Bourgeoisie auf ihre offenen und halblegalen Organisationen, dort, wo sie noch vorhanden sind, bevorsteht? An Hand der deutschen Erfahrung werden die Arbeiter der anderen Länder, die sich augenblicklich vorbereiten zur Aktion am 1. August, lernen, wie man durch eine Mobilisierung der proletarischen Reihen jeden Fußbreit eroberter Positionen verteidigen muß. Derjenige, der unter diesen Verhältnissen von einer “Niederlage des Proletariats” faselt, der erleichtert nur die schwierige Lage der Partei Zörgiebels, der rettet die durch das Blutbad der Maitage kompromittierte Sozialdemokratie, der verpestet meilenweit die Luft mit dem Fäulnisgeruch der opportunistischen Zersetzung.

Die Bedeutung dieser Teilkämpfe wie des Textilarbeiterstreiks in der Tschechoslowakei und des Kampfes im Ruhrgebiet sowie in erster Linie der Berliner Ereignisse besteht darin, daß sie das ganze opportunistische Fleckfieber zum Durchbruch bringen, daß sie eine Kontrolle aller Gruppen und Strömungen der Partei durch deren Erprobung in der Tat vornehmen und den breiten proletarischen Massen helfen, die echten Revolutionäre klar zu erkennen und zu unterscheiden von den politischen Kapitulanten und Liquidatoren.

2. Der politische Massenstreik.

Die Berliner Ereignisse haben die Frage des politischen Massenstreiks als der wichtigsten Kampfwaffe des Proletariats in der jetzigen Etappe der Arbeiterbewegung auf die Tagesordnung gesetzt. Die Verquickung der Wirtschaft mit der Politik ist heute stärker als je zuvor. Das empfindet die Arbeiterklasse aus Anlaß eines jeden mehr oder minder bedeuten den wirtschaftlichen Konfliktes. So sehr sich auch die Reformisten bemühen, die Arbeiter zu überzeugen von der Notwendigkeit der Lokalisierung der wirtschaftlichen Konflikte und so sehr sie die revolutionäre “Politik” zur Tür herauswerfen, sie kommt doch zum Fenster wieder hineingeflogen. An Hand der eigenen Erfahrung erkennen die Arbeiter die echt verräterische “Politik” der Reformisten, die identisch ist mit der Politik des Kapitals. Zwischen den Kommunisten und der in der Rolle eines Unternehmerbeauftragten auftretenden Sozialdemokratie entspinnt sich ein Kampf auf Leben und Tod um die Massen im Betrieb. Der Kapitalist will unumschränkter Herrscher in “seinem” Betriebe sein. Die Diktatur der Klasse im Rahmen des bürgerlichen Klassenstaates errichtet er, ausgehend von seiner grundlegenden Zelle, vom Betriebe. Und ausgehend vom Betriebe, verwirklicht auch die Sozialdemokratie das System der “Wirtschaftsdemokratie”. Nach jedem wirtschaftlichen Konflikt und häufig auch ohne einen solchen, auf die Denunziation reformistischer Spitzel hin, erfolgt eine Säuberung der Betriebe von den revolutionären Arbeitern. Nach den Maiereignissen in Berlin wurden ungefähr 7000 Arbeiter aus den Betrieben hinausgeworfen. Bourgeoisie und Reformisten sind bestrebt, die Kommunistische Partei von den Betrieben abzuschneiden und sie in eine Partei der Arbeitslosen zu verwandeln. Die revolutionären Arbeiter können sich nicht wie die Hühner abstechen lassen. Unter diesen Verhältnissen sind Solidaritätsstreiks unvermeidlich und ihre Rolle wird zunehmen in dem Maße der Verschärfung des Klassenkampfes um die Basis des Betriebes. Solidaritätsstreiks aber, das sind Aktionen, die einer revolutionären Politik die Tür weit öffenen.

Die Rolle des politischen Massenstreiks nimmt gegenwärtig auch noch deshalb zu, weil das Proletariat unter Verhältnissen, wo noch keine unmittelbar revolutionäre Situation vorliegt, über eine Waffe verfügen muß, die es ihm gestattet, die jetzigen wirtschaftlichen Streiks in eine höhere Form des Kampfes überzuleiten. Wenn der Aufstand die höchste Form des Klassenkampfes ist, so dient als Vorstufe zu ihm der politische Massenstreik. Der politische Massenstreik als Waffe des Klassenkampfes entspricht jener Situation, in der die Kommunisten zu lernen beginnen, nach Millionen zu rechnen, aber noch nicht so weit sind, um mit Dutzenden Millionen rechnen zu können; wo die Bewegung bereits die Tendenz hat, über die wirtschaftlichen Formen hinauszutreiben, aber noch nicht die Etappe des bewaffneten Aufstandes erreicht hat. Es besteht hier natürlich die Gefahr, daß man in ein schematisches Vorgehen verfällt, und die lebendige Dialektik des Klassenkampfes ist komplizierter als alle rationell eingestellten schematischen Pläne. In der heutigen dritten Periode werden wir eine Kombinierung aller Formen des Kampfes auf den verschiedenen Abschnitten der internationalen Front, sowohl wirtschaftlicher Streiks und Demonstrationen als auch politischer Massenstreiks und Aufstände der werktätigen Massen erleben. Die Berliner Ereignisse waren denn auch ein Wendepunkt in dem Sinne, daß sie das Umschlagen des wirtschaftlichen Kampfes in den politischen Kampf signalisierten. aber sie haben auch für die Zukunft nicht etwa eine Situation geschaffen, daß nunmehr eine Verschiedenartigkeit der Formen des Klassenkampfes des Proletariats ausgeschlossen wäre. Diese Verschiedenartigkeit der Formen entspricht dem Grade des Klassenbewußtseins der verschiedenen Schichten des Proletariats. Die Aufgabe der kommunistischen Parteien wird darin bestehen, daß sie sich beim Kampfe um die Mehrheit der Arbeiterklasse aller Formen des Klassenkampfes bedienen und aus keiner einzigen von ihnen einen Fetisch machen, sondern unentwegt bestrebt sind, jede Bewegung weiterzutreiben und sie auf eine höhere Stufe emporzuheben.

Im Zusammenhang damit wird die Bedeutung der Teilforderungen eine größere. Das ist der Ausgangspunkt, der uns zum “Sprungbrett” dienen muß bei der Eroberung der ausschlaggebenden Massen der Arbeiterklasse. Nicht deswegen natürlich, weil! wir etwa irgend welche Illusionen hegen, als könnte es unter den jetzigen Verhältnissen einen breiteren Boden als früher für die Realisierung dieser Teilforderungen geben. Im Gegenteil, die Bourgeoisie kämpf heute gegen jegliche mehr oder minder ernsthafte Teilforderung so, wie es niemals früher geschehen ist. Im Ruhrgebiet hat sie durch die Aussperrung in einer Woche das Doppelte jener Wertsumme verloren, die genügt hätte, um die Forderungen der Arbeiter um Lohnerhöhung im Laufe eines ganzen Jahres zu befriedigen. Durch diese versessene Hartnäckigkeit verleiht sie objektiv den Teilforderungen des Proletariats einen revolutionären Inhalt. Heute ist der Sieg der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines Kampfes um Teilforderungen ein Durchbruch der kapitalistischen Front, eine Bresche, die in das ganze kapitalistische System des kapitalistischen Regimes geschlagen wird. Dadurch wird nach jeder Richtung hin unsere Aufgabe der Heranführung der Massen von den Teilforderungen an die grundlegenden Fragen des Klassenkampfes, an die Frage der proletarischen Diktatur, erleichtert.

3. Die Einheitsfronttaktik

Einschneidende Bedeutung gewinnt die proletarische Einheitsfronttaktik. Eine Mobilisierung der Massen auf Grund der Teilforderungen ist nur auf der Basis der Einheitsfronttaktik möglich. Aber die Einheitsfronttaktik ist weder eine Koalition mit der sozialdemokratischen Spitze noch eine Politik der Verständigung mit ihren Funktionären von unten. Sie ist vielmehr der unmittelbare Appell der Kommunistischen Partei an die Arbeitermasse, an die sozialdemokratischen und an die parteilosen, an die organisierten und an die unorganisierten Arbeiter. Die Einheitsfronttaktik wäre die denkbar leichteste Sache, wenn ihre Durchführung beschränkt wäre auf mehr oder minder “freundschaftliche” Verständigungen und Abkommen der Kommunistischen Partei mit andern unteren Organisationen im Betriebe zwecks gemeinsamer Aktionen. Die Einheitsfronttaktik ist der unversöhnlichste Kampf gegen die reformistischen und sozialdemokratischen Organisationen um die Massen im Betrieb. Wir idealisieren keineswegs die unteren sozialdemokratischen Funktionäre im Betrieb (die sogenannten "Vertrauensleute", die Mitglieder der Betriebsräte usw.). Wenn diese Leute nicht den Willen in sich aufbringen konnten, mit der Partei des Arbeiterverrats zu brechen, nachdem sie die ganze blutige Erfahrung von Noske bis Zörgiebel und der langjährigen Koalitionspraxis ihrer Partei, des Wehrprogramms der Sozialdemokratie usw. hinter sich haben, so ist es schwer, sie in Wirklichkeit von jenem Apparatstab der sozialdemokratischen Funktionäre abzutrennen, die Agenten des Kapitals sind und in dessen Interesse Politik machen. Die Aufgabe der kommunistischen Parteien besteht darin, diese Elemente vor den Arbeitermassen im Betriebe an die Wand zu drücken, es nicht dahin kommen zu lassen, daß sie Illusionen säen können darüber, als wären sie, die mit der breiten Arbeitermasse zusammenhängen, qualitativ anders als ihre Spitzen, als wären sie fähig, ehrlich um die Nöte der Arbeiter zu kämpfen usw. Wir müssen sie isolieren und, je nach dem Grad unseres Einflusses, im Namen der gesamten Belegschaftsmasse den sozialdemokratischen Arbeitern die Forderung des Austritts dieser letzteren aus der Sozialdemokratischen Partei stellen. Im Zusammenhang damit müssen wir nach jeder auf der Basis der Einheitsfronttaktik durchgeführten Aktion eine Werbekampagne für unsere Partei im Betriebe veranstalten. Dabei müssen wir besondere Beachtung den weiblichen Proletariermassen schenken, die durch den Prozeß der kapitalistischen Rationalisierung immer mehr durch die Produktion aufgesaugt werden und ‑ in einer Reihe von Aktionen häufig eine größere Kampfaktivität an den Tag legen als die Proletarier. Dasselbe gilt auch in bezug auf die Arbeiterjugend, die in einer Reihe von Ländern die Rolle von Bahnbrechern bei Streikbewegungen, Demonstrationen und Straßenzusammenstößen mit der Polizei spielt.

Die Ergebnisse jeder auf der Basis der Einheitsfronttaktik durchgeführten Aktion müssen wir organisatorisch verankern. Wir dürfen uns nicht Trost antrinken an den Erfolgen dieser oder jener spontanen Aktion der Arbeiter, bei der es unserer Partei gelungen ist, auf breite Arbeitermassen Einfluß zu nehmen, und dürfen nicht glauben, daß die Eroberung eines Betriebes oder einer Gruppe von Betrieben bereits erreicht ist. Wir sind keine “Paladine auf eine Stunde”, die ihren Einfluß nur von Zeit zu Zeit in den großen Tagen der Klassenkämpfe zur Geltung bringen; wir sind die Partei der Arbeiterklasse, die unaufhörlich die Durchsetzung und Verstärkung ihres Einflusses auf die Massen anstrebt. Wir müssen im Einklang mit den konkreten Verhältnissen jedes einzelnen Landes solche organisatorischen Formen zu sondieren verstehen, die es den Kommunisten gestatten, im Rahmen dieser Formen die Massen in der Hand zu behalten und es fertigzubringen, daß sie sich bis zur nächsten Aktion nicht atomisieren. Auf Grund der Erfahrung unserer Fehler in der Vergangenheit müssen wir uns drei Hauptgebote bei der Anwendung der Einheitsfronttaktik vor Augen halten: 1. Du sollst, ohne bei der Durchführung der Einheitsfronttaktik die Rolle der Kommunistischen Partei zu schmälern, um die Führung jeder Massenaktion durch sie kämpfen. 2. Du sollst die Hegemonie des Proletariats nicht verdunkeln, und nicht auf sie verzichten bei der Durchführung der Einheitsfront mit den breiten Massen der Ausgebeuteten und der Werktätigen, insbesondere mit der Bauernschaft. 3. Du sollst nie verzichten auf eine Kritik der Halbheiten und der Schwankungen deiner Verbündeten, eingedenk dessen, daß du sie nur auf diese Weise weitertreiben wirst auf den Weg eines entschiedeneren Kampfes, und daß du nur auf diese Weise die Reihen deiner eigenen Partei revolutionär stählen wirst.

Wir haben heute bereits eine gewisse Erfahrung in bezug auf die richtige Anwendung der Einheitsfronttaktik gesammelt: in Deutschland haben wir die Erfahrung mit den von unten in den Betrieben während des Kampfes im Ruhrgebiet gebildeten Streikleitungen, ferner ‑ die Erfahrung mit der Heranziehung der unorganisierten Massen zur Einheitsfront mit den kommunistischen Arbeitern bei den Betriebsrätewahlen; in Frankreich ‑ die Einberufung von Arbeiterkonferenzen der Betriebe zur Vorbereitung des 1. Mai, derzufolge am 1. Mai 80 Prozent der Metallarbeiter in Paris und 100 Prozent der Holzarbeiter streikten. Diese Erfahrung mit der Einheitsfronttaktik hat trotz allem Gekrächze der rechten liquidatorischen Elemente gezeigt, welch eine mächtige Waffe die Einheitsfronttaktik bei der Eroberung der Massen ist, ihre richtige bolschewistische Durchführung vorausgesetzt. Sich diese Erfahrung anzueignen, diese Formen der Anwendung der Einheitsfronttaktik zu erweitern und zu vertiefen ‑ das ist die für alle Sektionen der Komintern dringendste Verpflichtung, die sie so notwendig haben, wie das tägliche Brot.

Die kommunistischen Parteien müssen auf dem Wege zur Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse die Frage ihrer Kaders aufrollen. Wir brauchen augenblicklich Kaders, die in Hinsicht auf ihre Initiative, ihre Stählung und Fähigkeit der Aufgabe der Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse entsprechen. Unsere heutigen Kaders ‑ das sind Kaders der Periode, als unsere Parteien in der Minderheit waren. Diese Kaders haben sich, besonders in einer Reihe von Ländern mit kleinen kommunistischen Parteien, allzu sehr abgefunden, daß sie eine Minderheit sind. Jeden, der damit den Beharrungszustand ihrer Arbeit überwinden will, betrachten sie als einen Wahnsinnigen. Jahraus, jahrein kommen in den Lokalen ein- und dieselben Personen zusammen und registrieren ein- und dieselben bescheidenen Erfolge in bezug auf die Eroberung der Massen. Sie ähneln häufig einer selbstabgeschlossen lebenden Kaste, die geduldig auf bessere Tage wartet, da die Massen sich mit dem Gesicht der Partei zukehren werden. In Spanien hat man in dieser Hinsicht sogar eine ganze “Theorie”, auf Grund deren der Kommunistischen Partei empfohlen wird, ihre illegalen Kaders “nicht der konspirativen Deckung zu berauben” durch eine Teilnahme an den aktuellen Kämpfen der Arbeiterklasse, da die eigentliche Berufung dieser illegalen Kaders in der ‑ Revolution liege. Andererseits lasten auf unseren Kaders sozialdemokratische Traditionen. Diese Kaders stimmen häufig überaus geschlossen für Resolutionen gegen die Opportunisten, wobei sie gleichzeitig in der praktischen Arbeit gewaltige opportunistische Fehler begehen. Von woher werden wir die Kräfte zur Auffüllung und Erneuerung unserer Kader schöpfen? Diese Kräfte wird uns der Aufschwung der Arbeiterbewegung geben. Im Prozeß der Klassenkämpfe werden jetzt und in Zukunft frische Kräfte aus ihnen hervorgehen. Diese Kämpfe werden gleichzeitig eine Prüfung der Tauglichkeit unserer Kaders darstellen und werden der Auslese jenes bolschewistischen Materials förderlich sein, das den neuen Aufgaben gewachsen sein wird.

IV. Gegen den Opportunismus

1. Die Rechten im Dienste der Sozialdemokratie

Was hindert uns, außer den objektiven Schwierigkeiten, an der Eroberung der Massen? Jene Verrenkungen der bolschewistischen Linie, die uns entweder mit der Loslösung der Avantgarde von der ausschlaggebenden großen Masse der Arbeiterklasse oder mit der Verwandlung dieser Avantgarde in ein Schlepptaupolitik treibendes Anhängsel der Massenbewegung drohen. Nehmen wir als anschauliches Beispiel eine Partei, wie die Kommunistische Partei Chinas. An ihrer Entwicklung zeigt sich deutlich diese doppelte Verrenkung. Wir haben in China den sogenannten “Avantgardismus” erlebt, der alle Etappen des Anschwellens der revolutionären Bewegung überspringt um uns in China von den breiten proletarischen Massen loszulösen, unsere Partei aber in eine Avantgarde ohne Armee zu verwandeln drohte. Augenblicklich beobachten wir in China eine andere Gefahr ‑ die Gefahr des Liquidatorentums. Unter einzelnen Schichten der Partei zeigen sich Stimmungen in der Richtung eines Austritts aus der illegalen Partei, an der die Beteiligung mit so ungeheuren Opfern verbunden ist; diese Grüppchen wollen die Arbeit der Partei ausschließlich in legalen Organisationen, in erster Linie in den gelben Gewerkschaften, konzentrieren und sie sind bestrebt, die Politik der Partei so umzukrempeln, daß sie eine Art Anhängsel der Kuo Min Tang werden würde. Auf dem Gebiete der Agrarfrage fordern sie die Orientierung der Partei auf die gesamte Bauernmasse, einschließlich des Großbauern. Gegen derartige Abweichungen führt die Parteileitung der KP. Chinas den energischsten Kampf, um sich nicht auf dem Gebiete der Eroberung der Massen zum Straucheln bringen zu lassen.

Noch vor kurzem stellte die erstere Verrenkung eine ernsthafte Gefahr für die internationale kommunistische Bewegung dar. Nunmehr, nachdem die Suhler Organisation in Deutschland, die der Hort des Trotzkismus war, unter Umgehung aller für die Renegaten unerläßlichen Etappen direkt zur Sozialdemokratie überging, nachdem Trotzki zum Pensionär der europäischen Bourgeoisie und ihrem Hauptnachrichtenleiter über die Angelegenheiten in der Sowjetunion geworden ist, und nachdem sich die “ultralinken” Neurath-Leute in einem Lager mit Hais erwiesen, hat sich der Trotzkismus selbst entlarvt und derart in den Augen der Arbeiter diskreditiert, das man ihn schon nicht mehr ernstnehmen kann. Alles das, was noch in seinen Reihen an Arbeiter- und revolutionären Elementen war, das sich nur vorübergehend, aus revolutionärer Ungeduld, von den Irrlichtern des Trotzkismus hatte verirren lassen, ist in die Reihen der Kommunistischen Partei zurückgekehrt. Heute ist die Hauptgefahr nicht der in der Maske der “linken” Phrase auftretende offene Opportunismus. Der Opportunismus, das ist die Verschleierung, die die Arbeiter daran hindert, den Weg zur Kommunistischen Partei zu finden. Der Opportunismus hindert die Kommunistische Partei an der Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse in erster Linie dadurch, daß er bestrebt ist, ihre Kritik der Sozialdemokratie, dieses der Eroberung der Massen durch die kommunistischen Parteien im Wege stehende Haupthindernis, abzuschwächen. Es gibt keine einzige Grundfrage unserer Bewegung, in der die Opportunisten mit der Kommunistischen Partei einverstanden wären, in allen diesen Fragen stehen sie der Sozialdemokratie näher als der Kommunistischen Partei. In der zentralen Frage des Krieges vertuschen solche Leute wie Crozet in Frankreich, zusammen mit der Sozialdemokratie, die mit Unvermeidlichkeit zum Kriege führenden Gegensätze des Kapitalismus, lobpreisen die internationale Interessenverquickung des Finanzkapitals als einen den Krieg hemmenden und die kapitalistische Interessen“harmonie” erzeugenden Faktor. Eine derartige Haltung aber kommt der Theorie des “organisierten Kapitalismus” von Hilferding näher als den Anschauungen der Kommunistischen Partei. Die Propagierung derartiger Anschauungen hindert die Arbeiter daran, die Kriegsgefahr zu sehen und schläfert ihre Wachsamkeit ein im Interesse der Bourgeoisie und der Kriegspartei ‑ der Sozialdemokratie. Sie sät pazifistische Illusionen, die, wie sich aus Anlaß des Experiments der schwedischen Partei zeigt, die vor kurzem im Parlament einen Gesetzentwurf über die “Abrüstung” eingebracht hat, einen überaus günstigen Boden sogar in einigen Parteien finden, schon ganz zu schweigen von den parteilosen Arbeitermassen. In der Frage der Stabilisierung des Kapitalismus verkleinert der Opportunismus (Humbert-Droz-Ewert) die auf der Grundlage der “Stabilisierung” entstehenden Gegensätze des Kapitalismus und übertreibt dessen technische sowie die Produktionserfolge desselben, wobei er sich der von der Sozialdemokratie gegebenen Einschätzung des Kapitalismus nähert. Dadurch ist er unmittelbar bemüht, im Interesse der Bourgeoisie und der Sozialdemokratie die Arbeiter einzuschüchtern mit der Macht des Kapitalismus, in ihnen den Eindruck seiner Unerschütterlichkeit entstehen zu lassen und sie von dem revolutionären Kampf gegen ihn abzulenken. In der Frage der Sowjetunion hilft der Opportunismus durch die Übertreibung der Schwierigkeiten des sozialistischen Aufbaus ‑ der Sozialdemokratie, diesen Aufbau zu diskreditieren und hemmt auf diese Weise den Prozeß des Übergangs der Arbeiter in das Lager des Kommunismus und der Revolution. Seine Losung der “Produktionskontrolle” ist angesichts des Fehlens einer unmittelbar revolutionären Situation lediglich die Widerspiegelung der sozialdemokratischen Losung der “Wirtschaftsdemokratie”. Auf diese Weise spinnt er den Faden der Gemeinsamkeit der Anschauungen zwischen Kommunistischer Partei und Sozialdemokratie und verwischt in den Augen der Arbeiter den unversöhnlichen Kampf der Kommunistischen Partei gegen die Partei des Verrates an der Arbeiterklasse.

In seiner Haltung zu den Unorganisierten steht der Opportunismus näher zu Kautsky, der die gleiche Furcht vor der Aktion der Masse offenbart wie auch die russischen Liberalen in dem Sammelwerk "Wjechi" (Wegzeichen) und der noch 1911 in einer Polemik gegen Rosa Luxemburg schrieb, daß, "wenn solche Massen in Aktion treten, die mit Unvermeidlichkeit Unwissenheit und Einsichtslosigkeit an den Tag legen werden", "die Aktion der Massen nicht immer dem Fortschritt dient", daß die unorganisierte Masse "nur zerstören kann" ("Die Aktion der Masse"). Die Opportunisten, die die hochmütige Haltung der Arbeiteraristokratie gegenüber der unorganisierten Masse zur Schau tragen, unterstützen die sozialdemokratischen Vorurteile, daß die reformistische organisierte Masse dem Niveau ihres Klassenbewußtseins nach höher stehe, als die in die Klassenbewegung hereingezogene unorganisierte Masse, diese Haltung ist aber auch darauf berechnet, den Kampf der revolutionären Arbeiter gegen die reformistische Bürokratie abzuschwächen. Daher denn auch auf dem Gebiete der Streikstrategie ihre Predigt der Loyalität gegenüber der reformistischen Bürokratie, die direkte Sabotage der Organisierung von Streikleitungen von unten, ihre dem Reformismus beim Kampf gegen unsere Streikstrategie gewährte Streikbrecherhilfe, die Bespitzelungsarbeit in unseren Reihen zugunsten des Reformismus, der von ihnen mit Material beliefert wird zum Kampf gegen die Kommunisten usw. Nicht die Sozialdemokraten entlarven die Opportunisten; sie sind bestrebt jene Partei zu entlarven, in deren Reihen sie vor kurzem gestanden haben. Ihre erbärmliche Rolle in dem berüchtigten Fall Wittorf, ihr Versuch, die Kommunistische Partei an Haupt und Gliedern auszuliefern in dem Augenblick der Panzerkreuzerkampagne ‑ das alles wird für alle Zukunft ein klassisches Beispiel dafür bleiben, wie die Brandler-Leute in den zugespitztesten Augenblicken des Kampfes der Kommunistischen Partei gegen die Sozialdemokratie aus allen Kräften dieser letzteren helfen.

Nirgends aber äußert sich die Rolle des Opportunismus derart kraß wie in der Frage der Wandlung der Sozialdemokratie zum Sozialfaschismus. Heute, nach dem Mai‑Blutbad, ist es auch einem Säugling klar, wohin die Sozialdemokratie treibt. Und diese ihre Wandlung zum Sozialfaschismus ist die leichtest verletzbare Stelle der Sozialdemokratie. Aus diesem Anlaß wird sie sich das Genick brechen. Diese Frage wird zum Anlaß werden, daß die sie unterstützenden Arbeiter ihr den Rücken kehren werden. Und hier kommt ihr der Opportunismus zu Hilfe, der diesen Arbeitern, die im Begriffe sind, der Sozialdemokratie den Rücken zu kehren, versichert, daß die “Wandlung der Sozialdemokratie zum Sozialfaschismus” ein “ultralinkes Märchen” sei.

2. Der Zarathustra des Versöhnlertums ‑ Serra

Welchen Platz im System der opportunistischen Anschauungen nimmt das Versöhnlertum ein? Unterscheidet es sich prinzipiell von dem rechten Liquidatorentum? Nein, Genossen. Das Versöhnlertum und das rechte Liquidatorentum haben gemeinsame Wurzeln miteinander. Das Versöhnlertum stand stets dem Liquidatorentum näher als der Linie der Komintern. Im System des Opportunismus hat es dieselbe Rolle gespielt, wie die “linke” Sozialdemokratie sie gegenüber der rechten Sozialdemokratie spielte. Es bemäntelte das Liquidatorentum, es anerkannte dieses als eine berechtigte Strömung in der Partei, es bemühte sich, die Partei daran zu hindern, den Kampf gegen das Liquidatorentum zu führen. Nach dem Ausschluß der Liquidatoren aus der Partei hat sich seine funktionelle Rolle geändert. Es ist selbst zum zentralen Anziehungspunkt aller in der Partei gebliebenen rechten Elemente, zum Sprachrohr der opportunistischen Stimmungen geworden, deren Rahmen weiter sind als die politischen Gruppierungen des Opportunismus. Und dementsprechend machte auch seine Entwicklung in der Richtung des Liquidatorentums weitere Fortschritte. Alle Mitglieder des Plenums haben wohl u. a. in dem ihnen ausgehändigten Material die von mir bereits zitierte Erklärung des Genossen Serra erhalten. Ich werde nur einige Auszüge aus ihr anführen, um zu zeigen, wie weit das Versöhnlertum bereits in Liquidatorentum reinsten Wassers umgeschlagen hat. So schreibt Serra über den Ruhrkampf:

Das Schreiben des Präsidiums des EKKI. an das ZK. der KPD. bestätigt. daß die KPD. im Ruhrgebiet im Kampfe gegen die Sozialdemokratie und gegen die Zentrumspartei einen großen Sieg errungen habe. Selten hat man im Zeichen der Selbstkritik mit derartig leichtwiegenden Behauptungen um sich geworfen [...] [im Ruhrgebiet] sind die Arbeiter kampflos geschlagen worden.

Zur Frage der Unorganisierten:

Überhaupt befindet sich die gewerkschaftlich organisierte Masse, ebenso wie die den nichtgespaltenen reformistischen Gewerkschaften angehörende Masse auf einem fortgeschritteneren Niveau. Der Eintritt in die Gewerkschaft ist der erste Schritt auf dem Wege zu einer höheren Stufe des Klassenbewußtseins. Jede demagogische Romantik in bezug auf die unorganisierten läßt uns in Kinderei, und zwar weder in eine rechte oder in ein linke, sondern einfach in eine Kinderei ohne Abweichungen fallen.

Über die Arbeitsmethoden in den reformistischen Gewerkschaften:

Der EKKI.‑Brief an die KPD. “nährt antigewerkschaftliche Stimmungen” durch die Formeln über die “selbständige Mobilisierung der unorganisierten Arbeitermassen” und durch die Behauptungen, “daß es unter den Verhältnissen des Kapitalismus unmöglich ist, die Mehrheit der Arbeiterklasse gewerkschaftlich zu organisieren”.

Über die Linksentwicklung der Arbeiterklasse:

Der englische Generalstreik, der Wiener Aufstand, die Pariser Demonstrationen aus Anlaß des Sacco- und Vanzetti-Falles hatten nicht die Folgen, die man erwarten durfte. Die Arbeiterklasse beginnt, aktiver auf die bereits mehrere Jahre dauernde Offensive des Kapitals zu reagieren. Aber diese Erscheinungsformen eines schärferen Klassenkampfes haben noch nicht den Charakter einer Linksentwicklung (Radikalisierung) der Arbeiterklasse angenommen. Die fast überall einsetzenden wirtschaftlichen Bewegungen tragen in der Hauptsache Abwehrcharakter (vom Verfasser unterstrichen) [...] Das Kräfteverhältnis für uns ist nicht günstiger als 1921.

Über die Losung der Produktionskontrolle:

Der Kampf zwischen uns und der Sozialdemokratie wird sich in der Hauptsache in der Form eines Kampfes zwischen Ideologie und Praxis der Arbeitsgemeinschaft der Klassen auf der Grundlage der Wirtschaftsdemokratie und der revolutionären Klassenideologie, sowie der Praxis der Produktionskontrolle entwickeln [...] Die zwei Losungen "Betriebsräte" und "Produktionskontrolle" sind unzertrennlich voneinander [...] Es wäre ein grober Fehler, wenn man die Schützengräben der Produktionskontrolle den sozialbürgerlichen Truppen der Wirtschaftsdemokratie überlassen wollte.

Über die Politik der KPSU.:

Nach der Krise, die 1923 einsetzte [...], bestand das Hauptleitmotiv aller Dokumente der Partei in der Notwendigkeit der Erweiterung der Neuen Ökonomischen Politik auf dem flachen Lande (Unterstreichungen vom Verfasser). Diese Notwendigkeit der Erweiterung der Nep kam in zwei grundlegenden Schlußfolgerungen zum Ausdruck: 1. in der Notwendigkeit eines allgemeinen Aufschwungs der Landwirtschaft, und 2. in der Notwendigkeit der Bekämpfung des Großbauern nicht durch administrative: sondern durch wirtschaftliche Maßnahmen. Meiner Meinung nach hat die KPSU. diese Politik nicht fest genug durchgeführt. Auf Grund des 15. Parteitags bestand die Hauptaufgabe nicht darin, das größte Elend im Dorfe zu besiegen, sondern die “kapitalistischen Elemente” zu liquidieren [...] Das ist ein Fehler. Ich glaube. daß der 15. Parteitag die Beschlüsse des 14. Parteitags allzu früh aufgegeben hat.

Über die Gefahr des Großbauern:

Es besteht noch keine ernsthaft wissenschaftliche Definierung des Großbauern [...] Wenn man den Realwert des Rubels zugrunde legt, so muß konstatiert werden, daß das Einkommen der Mehrheit der russischen Großbauern das Einkommen unseres Mittelbauern nicht übersteigt [...] Es ist notwendig, dem Großbauern die Möglichkeit zu geben, zu produzieren [...] Wir können den Großbauern dann vernichten, wenn die allgemeine Getreideproduktion ausreichen wird für den Konsum [...] Um die Menge des Getreides zu vermehren, bedarf es weder Traktoren noch künstlicher Düngemittel [...] Man muß vor allem dem Bauern einen Preis für das Getreide bezahlen, der nicht allzu niedrig ist im Vergleich zu seinem Wert.

So spricht der Zarathustra des Versöhnlertums ‑ Serra. Es erübrigt sich, den Nachweis zu führen. daß das gesamte einheitliche System der Anschauungen von Serra ‑ der bis ins kleinste durchdachte, vollendete Opportunismus der Gruppe "Gegen den Strom" ist. Serra ist glücklich so weit, daß er das ausspricht, was seine russischen Gesinnungsfreunde nicht auszusprechen wagen. Wir zweifeln nicht daran, daß die italienischen Genossen und insbesondere Genosse Ercoli zusammen mit dem Plenum der Anschauung sind, daß die öffentliche Verteidigung solcher Anschauungen unvereinbar ist mit der Zugehörigkeit zur Kommunistischen Partei, und daß es die italienische Kommunistische Partei im ganz bedingungslosen und konsequenten Kampf gegen derartige, die Arbeiter demoralisierenden und sie vor der Sozialdemokratie entwaffnenden Anschauungen verstellen wird, ihre Reihen politisch besser zu stählen, als es bisher der Fall war.

Gleichzeitig damit wäre es für das Plenum des EKKI. nicht gleichgültig zu erfahren, welche Haltung zu derartigen Anschauungen der leider nicht zu diesem Plenum gekommene Schweizer Genosse Wieser einnimmt, der in einem an die Komintern gerichteten Dokument, wenn nicht restlos, so doch einzelne Thesen dieses Systems von Anschauungen verteidigte. Eine offene Diskussion mit Genossen Wieser auf dem Plenum des EKKI. würde uns helfen, noch eine Art des Opportunismus und wohl des weitverbreitetsten Opportunismus, aufzudecken, der es vorzieht, sich “einzugraben” und im “Graben” sitzend, stillschweigend den Dingen zuzusehen. Dieser Opportunismus stimmt “loyal” für alle Resolutionen, polemisiert in “normalen” Zeiten nicht gegen die Partei, stellt ihr keine eigene Linie entgegen und paßt sich jedem herrschenden Kurs in der Partei an, kann aber “nicht an sich halten” und verrät sich nur in Augenblicken der schärfsten Klassenkonflikte. Das ist eine der gefährlichsten Abarten des Opportunismus, denn dieser Opportunismus ist unfaßbar, er windet sich wie ein Aal, wenn Schwenkungen gemacht werden, gleitet aus den Händen, wenn man ihn auf frischer Tat ertappen will. Im Laufe einer Reihe von Jahren hatten wir eine äußerst verbreitete ähnliche Abart des Opportunismus in der Tschechoslowakei in der Gruppe von Jilek, deren wirkliche Natur erst aufgedeckt wurde durch die vom 6. Weltkongreß bestimmte Wendung. Wir müssen uns ganz klar Rechenschaft darüber abgeben, daß, je näher wir der Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse kommen, eine um so größere Gefahr gerade diese Abart des Opportunismus darstellen wird. Die “Sumpf”schicht innerhalb der Partei, die stets mit der Mehrheit geht, war stets bedeutend, aber sie wird noch größer werden, wenn die kommunistischen Parteien der Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse nahe sein werden. Der allerunversöhnlichste Kampf gegen alle Abarten des Opportunismus ist infolgedessen eine elementare Bedingung für die Lösung der Aufgabe der Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse. "Ohne ganz ernste und allseitige Vorbereitung des revolutionären Teils des Proletariats auf die Vertreibung und Unterdrückung des Opportunismus ist es sinnlos, an eine Diktatur des Proletariats auch nur zu denken." (Lenin: "Die Wahlen zur Konstituierenden Versammlung.") Wir werden die Wurzeln des Sozialdemokratismus aus den Reihen der Arbeiterklasse nicht auszuroden vermögen, wenn wir nicht seinen Einfluß in unsern eigenen Reihen liquidieren.

Man kann die Bourgeoisie und die Sozialdemokratie nicht erfolgreich schlagen, wenn man nicht die sozialdemokratische Agentur in der Arbeiterbewegung schlägt. Die Überwindung der Elemente der Passivität in dieser letzteren ist unmöglich ohne eine Überwindung der Gruppierungen, die diese Passivität zu politischen Plattformen konkretisieren. Die Abspaltungen verschwindend kleiner Grüppchen, wie wir sie im letzten Jahr in Deutschland und in der Tschechoslowakei erlebten, sind nicht nur eine Säuberung der Reihen der Komintern von opportunistischen faulen Elementen, sondern auch das beste Zeugnis für die Reife der zwei größten Parteien, deren Entwicklung das weitere Verbleiben dieser Art Elemente in den Reihen der organisierten kommunistischen Bewegung unmöglich gemacht hat. Wir haben die kleinbürgerlichen Schlacken abgestoßen, um die ungeheuren, noch nicht berührten Vorräte au proletarischem Gold im Schoße der Arbeiterklasse zu gewinnen. Auf die Erschließung der tieferliegenden Schichten der Arbeiterklasse als einer Aufgabe, der wir gewachsen sind, und die durch den jetzigen Aufschwung der Arbeiterbewegung bedingt wird, das ist es, worauf die Komintern Kurs hält. Das 10. Plenum des EKKI. wird allen Sektionen diese grundlegende Einstellung geben. Sache der Sektionen ist es, diese Kampfaufgabe zu konkretisieren und sie praktisch durchzuführen.